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ERNST CASSIRER
Die Sprache

Begriff der symb. Formen
Religion, Kunst und Mythos
Wer daher mit Verstand reden will, der darf sich durch die Besonderung der Worte nicht täuschen lassen, sondern muß hinter sie zurückdringen.

Die philosophische Frage nach dem Ursprung und dem Wesen der Sprache ist im Grunde so alt, wie die Frage nach dem Wesen und Ursprung des Seins. Denn eben dies charakterisiert die erste bewußte Reflexion über das Ganze der Welt, daß für sie Sprache und Sein, Wort und Sinn sich noch nicht voneinander abgesondert haben, sondern daß sie ihr als eine untrennbare Einheit erscheinen. Weil die Sprache selbst eine Voraussetzung und Bedingung der Reflexion ist, weil erst in ihr und durch sie die philosophische "Besonnenheit" erwacht, - darum findet auch die erste Besinnung des Geistes sie immer schon als eine gegebene Realität, als eine "Wirklichkeit", die der physischen vergleichbar und ebenbürtig ist, vor.

Die Welt der Sprache umfangt den Menschen, in dem Augenblick, in dem er zuerst seinen Blick auf sie richtet, in derselben Bestimmtheit und Notwendigkeit und in der gleichen "Objektivität", mit der ihm die Welt der Dinge gegenübertritt. Hier wie dort steht vor ihm ein Ganzes, das in sich selbst sein eigenes Wesen und seine eigenen, aller individuellen Willkür entrückten Bindungen besitzt. So wenig wie die Beschaffenheit der Dinge oder die unmittelbare Beschaffenheit seiner sinnlichen Eindrücke - so wenig geht, für diese erste Stufe der Betrachtung, auch das Sein und die Bedeutung der Worte auf eine freie Tätigkeit des Geistes zurück. Das Wort ist nicht eine Bezeichnung und Benennung, nicht ein, geistiges Symbol des Seins, sondern es ist selbst ein realer Teil von ihm. Die mythische Anschauung der Sprache, die der philosophischen überall vorausgeht, ist durchgehend durch diese Indifferenz von Wort und Sache gekennzeichnet. Für sie ist im Namen jedes Dinges sein Wesen beschlossen.

An das Wort und seinen Besitz knüpfen sich unmittelbar magische Wirkungen. Wer sich des Namens bemächtigt und ihn zu gebrauchen weiß, der hat damit die Herrschaft über den Gegenstand selbst gewonnen, - der hat sich ihn mit all seinen Kräften zu eigen gemacht. Aller Wort- und Namenzauber beruht auf dieser Voraussetzung, daß die Welt der Dinge und die der Namen eine einzige Wirklichkeit, weil ein einziger in sich ungeschiedener WirkensZusammenhang ist. Es ist die gleiche Form der Substantialität und die gleiche Form der Kausalität, die in jeder von ihnen gilt und die sie mit einander zu einem in sich geschlossenen, Ganzen verknüpft.

Diese eigentümliche "Ganzheit" des mythischen Weltbildes, diese Aufhebung aller Besonderungen der Dinge in einen mythisch-magischen Kreis des Wirkens schließt nun auch für die Auffassung der Sprache eine bedeutsame Konsequenz in sich. Sobald der Mythos sich über die Stufe der primitivsten magischen, Praxis erhebt, die je eine besondere Wirkung durch die Anwendung eines besonderen Mittels zu erreichen strebt, die also im unmittelbaren Tun ein Einzelnes an ein anderes Einzelne knüpft, - sobald er in noch so roher und unvollkommener Form sein eigenes Tun zu verstehen sucht, ist er damit bereits zu einer neuen Sphäre der Allgemeinheit durchgedrungen.

Als Erkenntnisform ist ihm, wie jeder anderen Erkenntnis, der Zug zur Einheit wesentlich. Sollen die geistigen Wesenheiten und Kräfte, in denen der Mythos lebt, für das Tun des Men-schen beherrschbar sein, so müssen sie in sich selbst bereits irgend-welche bleibende Bestimmungen aufweisen. So schließt schon der erste unmittelbar sinnliche und praktische Zwang, den der Mensch auf die ihn umgebenden Dinge der Natur ausübt, den ersten Keim für den Gedanken einer in ihnen waltenden theoretischen Notwendigkeit in sich. Je weiter das mythische Denken fortschreitet, um so mehr hören die dämonischen Einzelkräfte auf, bloße Einzelkräfte, bloße "Augenblicksgötter" oder "Sondergötter" zu sein; - um so mehr zeigt sich auch zwischen ihnen eine Art Über- und Unterordnung, eine Art der hierarchischen Gliederung.

Die mythische Ansicht der Sprache geht in der gleichen Richtung fort, indem sie sich von der Anschauung der besonderen Kraft, die im einzelnen Wort und in der einzelnen magischen Formel enthalten ist, mehr und mehr zum Gedanken einer allgemeinen Potenz erhebt, die das Wort als solches, die die "Rede" als Ganzes besitzt. In dieser mythischen Form wird der Begriff der Sprache als Einheit zuerst konzipiert. Schon in der frühesten religiösen Spekulation kehrt mit charakteristischer Gleichförmigkeit in weit auseinanderliegenden Gebieten dieser Gedanke wieder. Für die vedische Religion bildet die geistige Kraft des Wortes eines der Grundmotive, aus dem sie erwächst: das heilige Wort ist es, das in dem Gebrauch, den der Wissende, der Priester, von ihm macht, zum Herrn über alles Sein, über Götter und Menschen wird.

Schon im Rigveda wird der Gebieter des Wortes mit der allnährenden Kraft, dem Soma, gleichgesetzt und als der bezeichnet, welcher über alles mit Macht gebietet. Denn der menschlichen Rede, die entsteht und vergeht, liegt die ewige und unvergängliche Rede, die himmlische Vâc zugrunde.
"Ich wandle" - so spricht diese himmlische Rede in einem Hymnus von sich selbst - "mit den Vasus, mit den Rudras, mit den Adityas und mit allen Göttern . . . Ich bin die Königin, die Spenderin der Güter, die wissende, bin der ehrwürdigen erste; vielfach verteilt, an vielen Orten weilend, vieles durchdringend, machten mich die Götter. Wer Einsicht hat, der speiset durch mich Speise; wer atmet, wenn er höret, was ich sage ... Dem Winde gleichend wahrlich stürm' ich vorwärts, mit Macht erfassend sämtliche Geschöpfe. Weit ob dem Himmel, weit hier ob der Erde bin ich so groß an Majestät geworden."
Noch eng verschwistert mit dieser mythischen Ansicht von der Würde und Allmacht des himmlischen Wortes scheint auf den ersten Blick der Begriff des "Logos" (zu sein, wie er sich zuerst in der griechischen Spekulation gestaltet. Denn auch hier ist das Wort ein Ewiges und Unvergängliches; auch hier geht auf seine Einheit und Unzerstörbarkeit die Einheit und der Bestand des Seienden überhaupt zurück.

So wird für HERAKLIT der Logos zum "Lenker des All".Gleich dem Kosmos, den es beherrscht, hat es keiner von den Göttern und keiner der Menschen geschaffen, sondern es war immerdar und ist und wird sein. Aber mitten in der Sprache des Mythos, die HERAKLIT noch spricht, wird jetzt ein ganz neuer Ton vernehmlich. Der mythischen Ansicht des Weltgeschehens tritt zum ersten Mal in voller Bewußtheit und Klarheit der philosophisch-spekulative Grundgedanke von der einheitlichen und unverbrüchlichen Gesetzlichkeit des All gegenüber. Die Welt ist kein Spielball dämonischer Mächte mehr, die sie nach Laune und Willkür regieren, sondern sie untersteht einer schlechthin allgemeinen Regel, die alles einzelne Sein und alles einzelne Geschehen bindet und die ihm seine festen Maße anweist.
"Die Sonne wird ihre Maße nicht überschreiten, sonst werden die Erinnyen, die Schergen der Dike, sie ausfindig zu machen wissen." (fr. 94, Diels.)
Und dieses eine in sich unveränderliche Gesetz des Kosmos ist es nun, was sich, in verschiedener Form und doch innerlich sich selbst gleich, in der Welt der Natur, wie in der der Sprache ausdrückt. Denn eines ist Weisheit: den Sinn zu erkennen, der durch alles hindurchwirkt.

Der magisch-mythische Kraftzusammenhang hat sich somit jetzt in einen Sinnzusammenhang gewandelt. Dieser aber erschließt sich uns freilich nicht, solange wir noch dabei stehen bleiben, das Eine Sein nur getrennt und bruchstückweise, nur zerschlagen in eine Vielheit besonderer "Dinge", zu erfassen, sondern erst, wenn wir es als ein lebendiges Ganzes anschauen und erfassen. Auch die Sprache vereinigt in sich beide Ansichten: auch in ihr findet sich, je nachdem wir sie betrachten, nur eine zufällige und partikuläre Auffassung des Seins oder eine echt spekulative und allgemeine ausgedrückt.

Betrachten wir den Logos der Sprache nur in der Form, in der er sich im einzelnen Wort darstellt und niederschlägt - so zeigt sich, daß jedes Wort den Gegenstand, den es bezeichnen will, vielmehr begrenzt und in dieser Begrenzung verfälscht. Durch die Fixierung im Wort wird der Inhalt aus dem kontinuierlichen Strom des Werdens, in dem er steht, herausgehoben, wird er also nicht nach seiner Totalität erfaßt, sondern nur nach einer einseitigen Bestimmung dargestellt. Hier bleibt, wenn wir wieder zur tieferen Erkenntnis des echten Wesens des Dinges vordringen wollen, kein anderer Weg, als diese einseitige Bestimmung in einer anderen wiederum aufzuheben, also jedem Wort, das einen bestimmten Einzelbegriff in sich faßt, den Gegensatz eben dieses Begriffs gegenüberzustellen. Und so zeigt sich in der Tat, im Ganzen der Sprache, jede Bedeutung an ihr Gegenteil, jeder Sinn an seinen Gegensinn gebunden und wird erst mit ihm vereint zum adäquaten Ausdruck des Seins.

Die geistige Synthese, die Vereinigung, die sich im Wort vollzieht, gleicht darin der Harmonie des Kosmos und drückt sie in sich aus, daß sie eine in sich "gegenstrebige" ist. Und hier tritt uns das Grundgesetz des Alls zugleich in gesteigerter, in potenzierter Form entgegen. Denn was im Seienden als Gegensatz erscheint, das wird im Ausdruck der Sprache zum Widerspruch: - und nur in einem solchen Wechselspiel von Setzung und Aufhebung, von Spruch und Widerspruch gelingt es, das wahrhafte Gesetz und die innere Struktur des Seienden in der Sprache wiederzugeben. So begreift man, von HERAKLIT Gesamtanschauung der Welt aus, die Grundform seines Stils, dessen vielberufene "Dunkelheit" nicht zufällig und willkürlich, sondern der adäquate und notwendige Ausdruck des Gedankens selbst ist.

HERAKLITs Sprachstil und sein Denkstil bedingen sich wechselseitig : beide stellen, nach verschiedenen Seiten hin, das gleiche Grundprinzip seiner Philosophie, dar. Sie weisen auf jene "unsichtbare Harmonie" hin, die, nach Heraklits Wort, besser ist als die sichtbare, und wollen an ihr gemessen sein. Wie HERAKLIT das einzelne Objekt in den stetigen Strom des Werdens stellt und es in ihm zugleich vernichtet und aufbewahrt sein läßt, so soll auch das einzelne Wort sich zum Ganzen der "Rede" verhalten. Selbst die innere Vieldeutigkeit, die dem Wort anhaftet, ist daher kein bloßer Mangel der Sprache, sondern ein wesentliches und positives Moment der in ihr gelegenen Ausdruckskraft. Denn in ihr erweist sich eben, daß seine Grenzen, wie die des Seienden selbst, nicht starre, sondern fließende sind.

Nur in dem beweglichen und vielgestaltigen Sprachwort, das gleichsam seine eigenen Grenzen immer wieder durchbricht, findet die Fülle des weltgestaltenden Logos ihr Gegenbild. Alle Trennungen, die die Sprache vollzieht und vollziehen muß, müssen von ihr selbst als vorläufige und relative erkannt werden, die sie selbst wieder zurücknimmt, sofern sie den Gegenstand unter einen neuen Gesichtspunkt der Betrachtung rückt.
"Gott ist Tag Nacht, Winter Sommer, Krieg Frieden, Überfluß und Hunger: er wandelt sich aber wie Feuer, das, wenn es mit Räucherwerk vermengt wird, nach eines jeglichen Belieben bald so, bald anders benannt wird." (fr. 62, 67)
So sind Unsterbliche sterblich, Sterbliche unsterblich: sie leben gegenseitig ihren Tod und sterben ihr Leben (fr. 62). Wer daher mit Verstand reden will, der darf sich durch die Besonderung der Worte nicht täuschen lassen, sondern muß hinter sie zurückdringen.

Dann erst, wenn Sinn und Gegensinn der Worte in dieser Weise verstanden und miteinander verknüpft werden, kann das Wort zum Führer und zur Richtschnur der Erkenntnis werden. So begreift man, daß auch die meisten der "Etymologien", mit denen HERAKLIT spielt, diese zwiefache Wendung in sich schließen: daß sie Wort und Sache, statt durch irgendeine Ähnlichkeit, mit Vorliebe per antiphrasin miteinander verbunden und aneinander gebunden sein lassen. "Des Bogens Name ist Leben, sein Werk aber ist Tod."

Jeder einzelne sprachliche Inhalt ist immer zugleich Enthüllung und Verhüllung der Wahrheit des Seins; ist immer zugleich rein bedeutend und bloß andeutend . So gleicht in dieser Weltansicht die Sprache der Sibylle, die, nach HERAKLITs Wort, mit rasendem Mund Ungeschminktes und Ungesalbtes redet, die aber nichtsdestoweniger mit ihrer Stimme durch die Jahrtausende reicht: denn der Gott treibt sie (fr. 92). Sie faßt in sich einen Sinn, der ihr selbst doch verschlossen bleibt, den sie sich nur ahnend im Bild und Gleichnis zu enträtseln vermag.

Aber wenn sich in dieser Auffassung der Sprache eine zwar unbestimmte und ungeklärte, aber doch in sich selbst völlig geschlossene Gesamtkonzeption des Seins und des Geistes ausdrückt - so wird bei den nächsten Nachfolgern Heraklits, die sich seine Lehre zu eigen machen, diese ihre originale Bedeutung immer weiter zurückgehängt . Was bei ihm, in einer letzten Tiefe der metaphysischen Intuition, noch als unmittelbar eins gefühlt wurde, - das fällt jetzt, in der diskursiven Betrachtung und Behandlung des Sprachproblems in heterogene Bestandteile, in einander widerstreitende logische Einzelthesen auseinander.

Beide Motive, die HERAKLITs Metaphysik zu einer Einheit zusammengeschaut und zusammengezwungen hatte: die Lehre von der Identität von Wort und Sein und von dem Gegensatz zwischen Wort und Sein, erfahren jetzt ihre selbständige Entwicklung. Damit erst wird das Problem der Sprache in wirklicher begrifflicher Schärfe gestellt - aber zugleich wird damit der Grundgedanke HERAKLITs, indem man versucht, ihn aus der Form der symbolischen Andeutung in die des abstrakten Begriffs umzubilden, gleichsam zerschlagen und in kleine gangbare Münze umgeprägt. Was bei ihm ein sorgsam behütetes Geheimnis war, auf das nur er von fern her hinzudeuten wagte - das wird jetzt mehr und mehr zum eigentlichen Gegenstand des philosophischen Tages- und Streitgesprächs. XENOPHONs Memorabilien entwerfen ein anschauliches Bild davon, wie im Athen des fünften Jahrhunderts dieses Lieblingsthema beim Wein und bei der Mahlzeit verhandelt wurde.

Besteht zwischen der Sprachform und der Seinsform, zwischen dem Wesen der Worte und dem der Dinge, ein natürlicher oder nur ein vermittelter und konventioneller Zusammenhang? Drückt sich in den Worten das innere Gefüge des Seins aus, oder zeigt sich in ihnen kein anderes Gesetz, als dasjenige, das die Willkür der ersten Sprachbildner ihnen aufgeprägt hat? Und wenn das letztere gilt: - muß dann nicht, sofern überhaupt noch irgendein Zusammenhang zwischen Wort und Sinn, zwischen Sprechen und Denken angenommen wird, das Moment der Willkür, das dem Wort unvermeidlich anhaftet, auch die objektive Bestimmtheit und die objektive Notwendigkeit des Denkens und seiner Inhalte fragwürdig machen?

Daher scheint die Sophistik, um ihren Satz der Relativität aller Erkenntnis zu verfechten, um den Menschen als "Maß aller Dinge" zu erweisen, der Betrachtung der Sprache ihre besten Waffen entlehnen zu können. Sie ist in der Tat von ihren ersten Anfangen an in jenem Mittelreich der Worte, das zwischen der "objektiven" und der "subjektiven" Wirklichkeit zwischen dem Menschen und den Dingen steht, recht eigentlich heimisch; sie befestigt sich in ihm, um von hier aus ihren Kampf gegen die Ansprüche des "reinen", des angeblich allgemeingültigen Denkens zu führen. Das überlegene Spiel, das sie mit der Mehrdeutigkeit der Worte treibt, liefert ihr auch die Dinge in die Hand und erlaubt ihr, deren Bestimmtheit in die freie Bewegung des Geistes aufzulösen.

So führt die erste bewußte Reflexion über die Sprache und die erste bewußte Herrschaft, die der Geist über sie gewinnt, zugleich zur Herrschaft der Eristik; - aber von hier, von der Besinnung auf den Gehalt und Urgrund des Sprechens geht andererseits auch die Reaktion aus, die zu einer neuen Grundlegung und zu einer neuen Methodik des Begriffs hinführt. Denn wie die Sophistik am Wort das Moment der Vieldeutigkeit und der Willkür erfaßt und heraushebt - so erfaßt SOKRATES an ihm die Bestimmtheit und Eindeutigkeit, die freilich nicht als Tatsache in ihm gegeben ist, wohl aber als latente Forderung in ihm liegt. Die vermeinte Einheit der Wortbedeutung wird ihm zum Ausgangspunkt, an dem seine charakteristische Frage, nach dem identischen und in sich beharrenden Sinn des Begriffs einsetzt.

Wenn das Wort diesen Sinn nicht unmittelbar in sich schließt, so deutet es doch beständig auf ihn hin - und die Aufgabe der Sokratischen "Induktion" besteht darin, diese Hindeutung zu verstehen, sie aufzunehmen und sie fortschreitend zur Wahrheit zu machen. Hinter der fließenden und unbestimmten Wortgestalt soll die dauernde identische Begriffsgestalt, als das eigentliche, die Möglichkeit des Sprechens wie des Denkens erst begründende Eidos aufgewiesen werden.

PLATON, wurzelt in diesen Grundvoraussetzungen der Sokratik, und durch sie wird seine Stellung zum Wort und zur Sprache bestimmt. Er ist in seiner Jugend der Schüler des KRATYLOS, der, der Sophistik gegenüber, die andere, die positive Kehrseite des Heraklitischen Gedankens vertritt, indem er in den Worten die eigentlichen und echten, das Wesen der Dinge ausdrückenden und befassenden Erkenntnismittel sieht. Die Identität, die HERAKTLIT zwischen dem Ganzen der Sprache und dem Ganzen der Vernunft behauptet hatte, wird hier auf das Verhältnis des einzelnen Wortes zu seinem gedanklichen Inhalt übertragen. Aber mit dieser Übertragung, mit dieser Umsetzung des metaphysischen Gehalts des Heraklitischen Logos-Begriffs in eine pedantisch-abstruse Etymologie und Philologie, war freilich bereits jene reductio ad absurdum gegeben, die PLATONs Dialog "Kratylos" nun in voller dialektischer und stilistischer Meisterschaft vollzieht.

Die These, daß es für jegliches Sein eine "natürliche" Richtigkeit der Bezeichnung gebe wird jetzt in der überlegenen Ironie dieses Dialogs in sich selbst zerstört und in dieser naiven Form für immer beseitigt. Aber mit dieser Einsicht ist für PLATON nicht jegliche Beziehung zwischen Wort und Erkenntnis abgebrochen, sondern es ist an Stelle des unmittelbaren und unhaltbaren Ähnlichkeitsverhältnisses zwischen beiden vielmehr ein tieferes mittelbares Verhältnis getreten. Im Aufbau und im Stufengang des dialektischen Wissens behält das Wort einen ihm eigentümlichen Platz und Wert. Die fließenden Grenzen, die jederzeit bloß relative Festigkeit des Wortgehalts wird für den Dialektiker zum Ansporn, um sich, im Gegensatz und im Kampf mit ihm, zur Forderung der absoluten Festigkeit des Bedeutungsgehalts der reinen Begriffe, Ideenreichs, zu erheben.

Aber erst PLATONs Altersphilosophie hat diese Grundanschauung, im positiven wie im negativen Sinne, zur vollständigen Entfaltung gebracht. Die Echtheit des siebenten PLATONischen Briefes wird vielleicht durch nichts deutlicher erwiesen, als daß er in dieser Hinsicht unmittelbar an das Ergebnis des KRATYLOS anknüpft und es erst zu voller methodischer Klarheit und zu durchgreifender systematischer Begründung bringt.

Vier Stufen der Erkenntnis sind es, die der siebente Brief unterscheidet und die erst in ihrer Gesamtheit zur Anschauung des wahren Seins, des Erkenntnisgegenstandes, hinführen. Die untersten Stufen sind durch den Namen, durch die sprachliche Definition des Gegenstandes und durch sein sinnliches Abbild gegeben. So kann z.B. das Wesen des Kreises in dieser dreifachen Weise erfaßt werden: das eine Mal, indem wir einfach den Namen des Kreises aussprechen, das andere Mal, indem wir diesen Namen durch eine Erklärung des in ihm Gemeinten näher bestimmen und umgrenzen, indem wir also etwa den Kreis als dasjenige Gebilde "definieren", was von den Endpunkten bis zum Mittelpunkt allseitig die gleiche Entfernung hat, und schließlich, indem wir irgendeine sinnliche Gestalt, sei sie im Sande hingezeichnet oder vom Drechsler verfertigt, als Bild, als Modell des Kreises vor uns hinstellen.

Keine dieser Darstellungen im Wort, in der Definition und im Modell erreicht und faßt die wahre Wesenheit des Kreises - denn sie alle gehören nicht dem Reich des Seins, sondern dem des Werdens an. Wie der Laut wandelbar und flüchtig ist, wie er entsteht und vergeht, so kann auch das gezeichnete Bild des Kreises wieder weggewischt, das vom Drechsler gebildete Modell wieder vernichtet werden - alles Bestimmungen, von denen der Kreis als solcher in keiner Weise betroffen wird.

Und doch wird andererseits erst durch diese für sich unzureichenden Vorstufen die vierte und fünfte Stufe, die wissenschaftliche Erkenntnis und ihr Gegenstand, erreicht. In diesem Sinne bleiben Name und Bild von der vernünftigen Einsicht aufs schärfste geschieden - und gehören doch andererseits zu ihren Voraussetzungen, zu den Vehikeln und Mittlern, vermöge deren wir uns erst, im stetigen Fortschritt und Stufengang, zur Erkenntnis erheben können. Das Wissen vom Gegenstand und dieser selbst erscheint demnach ebensowohl als etwas, was diese drei Stufen überschreitet, wie als etwas, was sie in sich befaßt - als deren Transzendenz und deren Synthese.

In diesen Entwicklungen des siebenten PLATONischen Briefes ist - zum erstenmal in der Geschichte des Denkens - der Versuch gemacht, den Erkenntniswert der Sprache in rein methodischem Sinne zu bestimmen und zu umgrenzen. Die Sprache wird als ein erster Anfangspunkt der Erkenntnis anerkannt, aber sie ist auch nicht mehr als ein solcher Anfangspunkt. Ihr Bestand ist noch flüchtiger und wandelbarer als der der sinnlichen Vorstellung; die Lautgestalt des Wortes oder des sprachlichen Satzes faßt den eigentlichen Gehalt der Idee noch weniger, als es das sinnliche Modell oder Abbild tut. Und doch bleibt andererseits ein bestimmter Zusammenhang zwischen Wort und Idee gewahrt: wie von den sinnlichen Inhalten gesagt wird, daß sie nach den Ideen "streben", so ist ein solcher Hinweis und gleichsam eine geistige Tendenz auf sie auch in den Gebilden der Sprache anzuerkennen.

Zu dieser relativen Anerkennung war PLATONs System vor allem deshalb bereit und fähig, weil in ihm ein Grundmoment, das aller Sprache wesentlich ist, zum erstenmal in seiner prinzipiellen Bestimmtheit und in seiner ganzen Bedeutsamkeit erkannt war. Alle Sprache ist als solche "Repräsentation"; ist Darstellung einer bestimmten, "Bedeutung" durch ein sinnliches" Zeichen". Solange die philosophische Betrachtung im Kreise des bloßen Daseins verharrt, vermag sie für dieses eigenartige Verhältnis im Grunde keine Analogie und keinen zutreffenden Ausdruck zu finden. Denn in den Dingen selbst, sei es, daß man sie nach ihrem Bestande als Inbegriffe von "Elementen" betrachtet, sei es, daß man die Wirkungszusammenhänge zwischen ihnen verfolgt, findet sich nichts, was der Beziehung des "Wortes" auf den "Sinn", dem Verhältnis des "Zeichens" zu der in ihm gemeinten "Bedeutung" entspricht.

Für PLATON erst, für den sich die charakteristische Umkehr der Fragestellung vollzogen hat, die er im PHAIDROS beschreibt, hat der Begriff der Repräsentation eine wahrhaft zentrale systematische Bedeutung. Denn er ist es, in den sich das Grundproblem der Ideenlehre zuletzt zusammenfaßt, durch den sich das Verhältnis von "Idee" und "Erscheinung" ausdrückt. Die "Dinge" der gemeinen Weltansicht, die sinnlich konkreten Erfahrungsgegenstände - sie werden, vom Standpunkt des Idealismus aus gesehen, selbst zu "Bildern", deren Wahrheitsgehalt nicht in dem liegt, was sie unmittelbar sind, sondern in dem, was sie mittelbar ausdrücken. Und dieser Begriff des Bildes schafft nun eine neue geistige Vermittlung zwischen Sprachform und Erkenntnisform.

Um das Verhältnis zwischen beiden klar und scharf zu bezeichnen, um die "Sphäre" des Worts von der der reinen Begriffe abzugrenzen und sie zugleich mit ihr in Verbindung zu halten, braucht PLATON jetzt nur auf den Zentralgedanken der Ideenlehre, auf den Gedanken der "Teilhabe" zurückzugreifen. Das Dunkel, das HERAKLITs metaphysische Lehre von der Einheit von Wort und Sinn und von dem Gegensatz zwischen beiden umgab, erscheint jetzt in diesem neuen Methodenbegriff mit einem Schlage geklärt. Denn in der "Teilhabe" ist in der Tat ebensowohl ein Moment der Identität, wie ein Moment der Nicht-Identität enthalten; in ihr ist ebensowohl ein notwendiger Zusammenhang und eine Einheit der Elemente, wie eine scharfe prinzipielle Auseinanderhaltung und Unterscheidung derselben gesetzt. Die reine Idee des "Gleichen selbst" bleibt, gegenüber den gleichen Steinen oder Hölzern, durch die sie repräsentiert wird, ein anderes - und doch läßt sich eben dieses Andere, vom Standpunkt der bedingten sinnlichen Weltansicht, nur in dieser Darstellung erfassen.
LITERATUR - Ernst Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen, Bd.1 Die Sprache, Oxford 1954