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GEORG LUKACS
Die Verdinglichung und das
Bewußtsein des Proletariats


"Der Akt des Tausches in seiner formellen Allgemeinheit hebt den Gebrauchswert als Gebrauchswert auf und schafft jene Beziehung der abstrakten Gleichheit zwischen konkret ungleichen, ja unvergleichbaren Materien. So ist das Subjekt des Tausches genauso abstrakt, formell und verdinglicht wie sein Objekt. Und die Schranke dieser abstrakt-formellen Methode offenbart sich eben in der abstrakten Gesetzlichkeit als Erkenntnisziel."

"Der Kampf um das Naturrecht, die revolutionäre Periode der bürgerlichen Klasse geht methodisch gerade davon aus, daß die formelle Gleichheit und Universalität des Rechts, also seine Rationalität zugleich seinen Inhalt zu bestimmen imstande ist. Damit wird einerseits das vielfältige, bunte, aus dem Mittelalter stammende Privilegienrecht, andererseits die Rechtsjenseitigkeit des Monarchen bekämpft. Die revolutionäre bürgerliche Klasse lehnt es ab, in der  Tatsächlichkeit  eines Rechtsverhältnisses, in seiner Faktizität die Grundlage für seine Gültigkeit zu erblicken. Verbrennt eure Gesetze und macht deren neue! riet Voltaire Woher die neuen nehmen? Aus der Vernunft!"

"Radikal sein ist die Sache an der Wurzel fassen.
Die Wurzel für den Menschen ist aber der Mensch selbst."
- Marx, Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie -


Es ist keineswegs zufällig, daß beide großen und reifen Werke von MARX, die die Gesamtheit der kapitalistischen Gesellschaft darzustellen und ihren Grundcharakter aufzuzeigen unternehmen, mit der Analyse der Ware beginnen. Denn es gibt kein Problem dieser Entwicklungsstufe der Menschheit, das in letzter Analyse nicht auf diese Frage hinweisen würde, dessen Lösung nicht in der Lösung des Rätsels der Warenstruktur gesucht werden müßte. Freilich ist diese Allgemeinheit des Problems nur dann erreichbar, wenn die Problemstellung jene Weite und Tiefe erreicht, die sie in den Analysen von MARX selbst besitzt; wenn das Warenproblem nicht bloß als Einzelproblem, auch nicht bloß als Zentralproblem der einzelwissenschaftlich gefaßten Ökonomie, sondern als zentrales, strukturelles Problem der kapitalistischen Gesellschaft in allen ihren Lebensäußerungen erscheint. Denn erst in diesem Fall kann in der Struktur des Warenverhältnisses das Urbild aller Gegenständlichkeitsformen und aller ihnen entsprechenden Formen der Subjektivität in der bürgerlichen Gesellschaft aufgefunden werden.


I. Das Phänomen der Verdinglichung

1. Das Wesen der Warenstruktur ist bereits oft hervorgehoben worden, es beruth darauf, daß ein Verhältnis, eine Beziehung zwischen Personen den Charakter einer Dinghaftigkeit und auf diese Weise eine "gespenstische Gegenständlichkeit" erhält, die in ihrer strengen, scheinbar völlig geschlossenen und rationalen Eigengesetzlichkeit jede Spur ihres Grundwesens, der Beziehung zwischen Menschen verdeckt. Wie zentral diese Fragestellung für die Ökonomie selbst geworden ist, welche Folgen das Verlassen dieses methodischen Ausgangspunktes für die ökonomischen Anschauungen des Vulgärmarxismus gezeitigt hat, soll hier nicht untersucht werden. Hier soll bloß - bei  Voraussetzung  der MARXschen ökonomischen Analyse - auf jene Grundprobleme hingewiesen werden, die sich aus dem Fetischcharakter der Ware, als Gegenständlichkeitsform einerseits und aud dem ihr zugeordneten Subjektsverhalten andererseits ergeben; deren Verständnis uns erst einen klaren Blick in die Ideologienprobleme des Kapitalismus und seines Untergangs ermöglicht. Bevor jedoch das Problem selbst behandelt werden könnte, müssen wir darüber ins Klare kommen, daß das Problem des Warenfetischismus ein  spezifisches  Problem unserer Epoche, des  modernen  Kapitalismus ist. Warenverkehr und dementsprechend subjektive und objektive Warenbeziehungen hat es bekanntlich schon auf sehr primitiven Entwicklungsstufen der Gesellschaft gegeben. Worauf es aber  hier  ankommt, ist: wieweit der Warenverkehr und seine struktiven Folgen das  ganze  äußere wie innere Leben der Gesellschaft zu beeinflussen fähig sind. Die Frage also, wieweit der Warenverkehr die herrschende Form des Stoffwechsels einer Gesellschaft ist, läßt sich nicht - den modernen, bereits unter dem Einfluß der herrschenden Warenform verdinglichten Denkgewohnheiten entsprechend - einfach als quantitative Frage behandeln. Der Unterschied zwischen einer Gesellschaft, in der die Warenform die herrschende, alle Lebensäußerungen entscheidend beeinflussende Form ist, und zwischen einer, in der sie nur episodisch auftritt, ist vielmehr ein qualitativer Unterschied. Denn sämtliche subjektiven wie objektiven Erscheinungen der betreffenden Gesellschaften erhalten diesem Unterschied gemäß qualitativ verschiedene Gegenständlichkeitsformen. MARX betont diesen episodischen Charakter der Warenform für die primitive Gesellschaft sehr scharf (1):
    "Der unmittelbare Tauschhandel, die naturwüchsige Form des Austauschprozesses, stellt vielmehr die beginnende Umwandlung der Gebrauchswerte in Waren als die der Waren in Geld dar. Der Tauschwert erhält keine freie Gestalt, sondern ist noch unmittelbar an den Gebrauchswert gebunden. Es zeigt sich dies doppelt. Die Produktion selbst in ihrer ganzen Konstruktion ist gerichtet auf Gebrauchswert, nicht auf Tauschwert, und es ist daher nur durch ihren Überschuß über das Maß, worin sie für die Konsumtion erforderlich sind, daß die Gebrauchswerte hier aufhören, Gebrauchswerte zu sein und Mittel des Austauschs zu werden, Ware. Andererseits werden sie Waren selbst nur innerhalb der Grenzen des unmittelbaren Gebrauchswerts, wenn auch polar verteilt, so daß die von den Warenbesitzern auszutauschenden Waren für beide Gebrauchswerte sein müssen, aber jeder Gebrauchswert für ihren Nicht-Besitzer. In der Tat erscheint der Austauschprozeß von Waren ursprünglich nicht im Schoß der naturwüchsigen Gemeinwesen, sondern da, wo sie aufhören, an ihren Grenzen, den wenigen Punkten, wo sie in Kontakt mit anderen Gemeinwesen treten. Hier beginnt der Tauschhandel, und schlägt von da ins Innere des Gemeinwesens zurück, auf das er zersetzend wirkt."
Wobei die Feststellung der zersetzenden Wirkung des nach innen gewendeten Warenverkehrs ganz deutlich auf die qualitative Wendung, die aus der Herrschaft der Ware entspringt, hinweist. Jedoch auch dieses Einwirken auf das Innere des Gesellschaftsaufbaus reicht nicht aus, um die Warenform zur konstitutiven Form einer Gesellschaft zu machen. Dazu muß sie - wie oben betont wurde - sämtliche Lebensäußerungen der Gesellschaft durchdringen und nach ihrem Ebenbild umformen, nicht bloß ansich von ihr unabhängige, auf die Produktion von Gebrauchswerten gerichtete Prozesse äußerlich verbinden. Der qualitative Unterschied zwischen der Ware als Form (unter vielen) des gesellschaftlichen Stoffwechsels der Menschen und zwischen der Ware als universeller Form der Gestaltung der Gesellschaft zeigt sich aber nicht bloß darin, daß die Warenbeziehung als Einzelerscheinung einen höchstens negativen Einfluß auf den Aufbau und auf die Gliederung der Gesellschaft ausübt, sondern dieser Unterschied wirkt zurück auf Art und Geltung der Kategorie selbst. Die Warenform zeigt als universelle Form auch ansich betrachtet ein anderes Bild wie als partikulares, vereinzeltes, nicht herrschendes Phänomen. Daß die Übergänge auch hier fließende sind, daraf aber den qualitativen Charakter des entscheidenden Unterschiedes nicht verdecken. So hebt MARX als Kennzeichen des nicht herrschenden Warenverkehrs hervor (2):
    "Das quantitative Verhältnis, worin sich Produkte austauschen, ist zunächst ganz zufällig. Sie nehmen sofern Warenformen an, daß sie überhaupt Austauschbare, d. h. Ausdrücke desselben Dritten sind. Der fortgesetzte Austausch und die regelmäßige Reproduktion für den Austausch hebt diese Zufälligkeit mehr und mehr auf. Zunächst aber nicht für die Produzenten und Konsumenten, sondern für den Vermittler zwischen beiden, den Kaufmann, der die Geldpreise vergleicht und die Differenz einsteckt. Durch diese Bewegung selbst setzt er die Äquivalenz. Das Handelskapital ist am Anfang bloß die vermittelnde Bewegung zwischen Extremen, die es nicht beherrscht, und Voraussetzungen, die es nicht schafft."
Und  diese  Entwicklung der Warenform zur wirklichen Herrschaftsform der gesamten Gesellschaft ist erst im modernen Kapitalismus entstanden. Darum ist es nicht weiter verwunderlich, daß der Personalcharakter der ökonomischen Beziehungen noch zu Beginn der kapitalistischen Entwicklung manchmal relativ klar durchschaut wurde, daß aber, je weiter die Entwicklung fortschritt, je kompliziertere und vermitteltere Formen entstanden sind, ein Durchschauen dieser dinglichen Hülle immer seltener und schwerer geworden ist. Nach MARX liegt die Sache so (3):
    "In früheren Gesellschaftsformen tritt diese ökonomische Mystifikation nur ein hauptsächlich in Bezug auf das Geld und das zinstragende Kapital. Sie ist der Natur der sache nach ausgeschlossen, erstens wo die Produktion für den Gebrauchswert, für den unmittelbaren Selbstbedarf überwiegt; zweitens, wo, wie in der antiken Zeit und im Mittelalter, Sklaverei oder Leibeigenschaft die breite Basis der gesellschaftlichen Produktion bildet: die Herrschaft der Produktionsbedingungen über die Produzenten ist hier versteckt durch die Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnisse, die als unmittelbare Triebfedern des Produktionsprozesses erscheinen und sichtbar sind."
Denn nur als Universalkategorie des gesamten gesellschaftlichen Seins ist die Ware in ihrer unverfälschten Wesensart begreifbar. Erst in diesem Zusammenhang gewinnt die durch das Warenverhältnis entstandene Verdinglichung eine entscheidende Bedeutung sowohl für die objektive Entwicklung der Gesellschaft wie für das Verhalten der Menschen zu ihr; für das Unterworfenwerden ihres Bewußtseins den Formen, in denen sich diese Verdinglichung ausdrückt; für die Versuche, diesen Prozeß zu begreifen oder sich gegen seine verheerenden Wirkungen aufzulehnen, sich von dieser Knechtschaft unter der so entstandenen "zweiten Natur" zu befreien. MARX beschreibt das Grundphänomen der Verdinglichung folgendermaßen (4):
    "Das Geheimnisvolle der Warenform besteht als einfach darin, daß sie den Menschen die gesellschaftlichen Charaktere ihrer eigenen Arbeit als gegenständliche Charaktere der Arbeitsprodukte selbst, als gesellschaftliche Natureigenschaften dieser Dinge zurückspiegelt, daher auch das gesellschaftliche Verhältnis der Produzenten zur Gesamtarbeit als ein außer ihnen existierendes gesellschaftliches Verhältnis von Gegenständen. Durch dieses  quid pro quo  [dieses für jenes - wp] werden die Arbeitsprodukte Waren, sinnlich übersinnliche oder gesellschaftliche Dinge . . . Es ist nur das bestimmte gesellschaftliche Verhältnis der Menschen selbst, welches hier für sie die phantasmagorische Form eines Verhältnisses von Dingen annimmt."
An dieser struktiven Grundtatsache ist vor allem festzuhalten, daß durch sie dem Menschen seine eigene Tätigkeit, seine eigene Arbeit als etwas Objektives, von ihm Unabhängiges, ihn durch menschenfremde Eigengesetzlichkeit Beherrschendes gegenübergestellt wird. Und zwar geschieht dies sowohl in objektiver wie in subjektiver Hinsicht. Objektiv, indem eine Welt von fertigen Dingen und Dingbeziehungen entsteht (die Welt der Waren und ihrer Bewegungen auf dem Markt), deren Gesetze zwar allmählich von den Menschen erkannt werden, die aber auch in diesem Fall ihnen als unbezwingbare, sich von selbst auswirkende Mächte gegenüberstehen. Ihre Erkenntnis kann also zwar vom Individuum zu seinem Vorteil ausgenützt werden, ohne daß es ihm auch dann gegeben wäre, durch seine Tätigkeit eine verändernde Einwirkung auf den realen Ablauf selbst auszuüben. Subjektiv, indem - bei vollendeter Warenwirtschaft - die Tätigkeit des Menschen sich ihm selbst gegenüber objektiviert, zur Ware wird, die der menschenfremden Objektivität von gesellschaftlichen Naturgesetzen unterworfen, ebenso unabhängig vom Menschen ihre Bewegungen vollziehen muß, wir irgendein zum Warending gewordenes Gut der Bedarfsbefriedigung. "Was also die kapitalistische Epoche charakterisiert," sagt MARX (5), "ist, daß die Arbeitskraft für den Arbeiter selbst die Form einer ihm gehörigen Ware . . . erhält. Andererseits verallgemeinert sich erst in diesem Augenblick die Warenform der Arbeitsprodukte."

Die Universalität der Warenform bedingt also sowohl in subjektiver wie in objektiver Hinsicht eine Abstraktion der menschlichen Arbeit, die sich in den Waren vergegenständlicht. (Andererseits ist wiederum ihre historische Möglichkeit vom realen Vollzug dieses Abstraktionsprozesses bedingt.) Objektiv, indem die Warenform als Form der Gleichheit, der Austauschbarkeit qualitativ verschiedener Gegenstände nur dadurch möglich wird, daß sie -  in dieser  Beziehung, in der sie freilich erst ihre Gegenständlichkeit als Waren erhalten - als formal gleich aufgefaßt werden. Wobei das Prinzip ihrer formalen Gleichheit nur auf ihr Wesen als Produkte der abstrakten (also formal gleichen) menschlichen Arbeit begründet sein kann. Subjektiv, indem diese formale Gleichheit der abstrakten menschlichen Arbeit nicht nur der gemeinsame Nenner ist, auf den die verschiedenen Gegenstände in der Warenbeziehung reduziert werden, sondern zum realen Prinzip des tatsächlichen Produktionsprozesses der Waren wird. Es kann hier selbstredend nicht unsere Absicht sein, diesen Prozeß, die Entstehung des modernen Arbeitsprozesses, des vereinzelten, "freien" Arbeiters, der Arbeitsteilung usw. noch so skizzenhaft zu schildern. Hier kommt es nur darauf an, festzustellen, daß die abstrakte, gleiche, vergleichbare, die an der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit mit stets zunehmender Exaktheit meßbare Arbeit, die Arbeit der kapitalistischen Arbeitsteilung zugleich als Produkt und als Voraussetzung der kapitalistischen Produktion erst im Laufe ihrer Entwicklung entsteht; also erst im Laufe dieser Entwicklung zu einer gesellschaftlichen Kategorie wird, die die Gegenständlichkeitsform sowohl der Objekte wie der Subjekte der so entstehenden Gesellschaft, ihrer Beziehung zur Natur, der in ihr möglichen Beziehungen der Menschen zueinander entscheidend beeinflußt. (6) Verfolgt man den Weg, den die Entwicklung des Arbeitsprozesses vom Handwerk über Kooperation, Manufaktur zur Maschinenindustrie zurücklegt, so zeigt sich dabei eine ständig zunehmende Rationalisierung, eine immer stärkere Ausschaltung der qualitativen, menschlich-individuellen Eigenschaften des Arbeiters. Einerseits, indem der Arbeitsprozeß in stets wachsendem Maß in abstrakt rationelle Teiloperationen zerlegt wird, wodurch die Beziehung des Arbeiters zum Produkt als Ganzem zerrissen und seine Arbeit auf eine sich mechanisch wiederholende Spezialfunktion reduziert wird. Andererseits, indem in und infolge dieser Rationalisierung die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit, die Grundlage der rationellen Kalkulation, zuerst als bloß empirisch erfaßbare, durchschnittliche Arbeitszeit, später durch eine immer stärkere Mechanisierung und Rationalisierung des Arbeitsprozesses als objektiv berechenbares Arbeitspensum, das dem Arbeiter in fertiger und abgeschlossener Objektivität gegenübersteht, hervorgebracht wird. Mit der modernen, "psychologischen" Zerlegung des Arbeitsprozesses (Taylor-System) ragt diese rationelle Mechanisierung bis in die "Seele" des Arbeiters hinein: selbst seine psychologischen Eigenschaften werden von seiner Gesamtpersönlichkeit abgetrennt, ihr gegenüber objektiviert, um in rationelle Spezialsysteme eingefügt und hier auf den kalkulatorischen Begriff gebracht werden zu können. (7)

Für uns ist das  Prinzip,  das hierbei zur Geltung gelangt, am wichtigsten: das Prinzip der auf Kalkulation, auf  Kalkulierbarkeit  eingestellten Rationalisierung. Die entscheidenden Veränderungen, die dabei an Subjekt und Objekt des Wirtschaftsprozesses vollzogen werden, sind folgende: Erstens erfordert die Berechenbarkeit des Arbeitsprozesses ein Brechen mit der organisch-irrationalen, stets qualitativ bedingten Einheit des Produkts selbst. Rationalisierung im Sinne des immer exakteren Vorherberechnens aller zu erzielenden Resultate ist nur erreichbar durch die genaueste Zerlegung eines jeden Komplexes in seine Elemente, durch Erforschung der speziellen Teilgesetze ihrer Hervorbringung. Sie muß also einerseits mit dem organischen, auf  traditioneller Verknüpfung empirischer Arbeitserfahrungen  basierten Hervorbringen ganzer Produkte brechen: Rationalisierung ist undenkbar ohne Spezialisierung. (8) Das einheitliche Produkt als Gegenstand des Arbeitsprozesses verschwindet. Der Prozeß wird zu einer objektiven Zusammenfassung rationalisierter Teilsysteme, deren Einheit rein kalkulatorisch bestimmt ist, welche also einander gegenüber als  zufällig  erscheinen müssen. Die rationell-kalkulatorische Zerlegung des Arbeitsprozesses vernichtet die organische Notwendigkeit der aufeinander bezogenen und im Produkt zur Einheit verbundenen Teiloperationen. Die Einheit des Produktes als Ware fällt nicht mehr mit seiner Einheit als Gebrauchswert zusammen: die technische Verselbständigung der Teilmanipulationen ihres Entstehens drückt sich bei der Durchkapitalisierung der Gesellschaft auch ökonomisch als Verselbständigung der Teiloperationen, als wachsende Relativierung des Warencharakters eines Produktes auf den verschiedenen Stufen seines Hervorbringens aus (9). Wobei mit dieser Möglichkeit eines raum-zeitlichen usw. Auseinanderreißens der Produktion eines Gebrauchswertes die raum-zeitliche usw. Verknüpfung von Teilmanipulationen, die wiederum auf ganz heterogene Gebrauchswerte bezogen sind, Hand in Hand zu gehen pflegt.

Zweitens bedeutet dieses Zerreißen des Objekts der Produktion notwendig zugleich das Zerreißen seines Subjekts. Infolge der Rationalisierung des Arbeitsprozesses erscheinen die menschlichen Eigenschaften und Besonderheiten des Arbeiters immer mehr  als bloße Fehlerquellen  dem rationell vorherberechneten Funktionieren dieser abstrakten Teilgesetze gegenüber. Der Mensch erscheint weder objektiv noch in seinem Verhalten zum Arbeitsprozeß als dessen eigentlicher Träger, sondern er wird als mechanisierter Teil in ein mechanisches System eingefügt, das er fertig und in völliger Unabhängigkeit von ihm funktionierend vorfindet, dessen Gesetzen er sich willenlos zu fügen hat. (10) Diese Willenlosigkeit steigert sich noch dadurch, daß mit zunehmender Rationalisierung und Mechanisierung des Arbeitsprozesses die Tätigkeit des Arbeiters immer stärker ihren Tätigkeitscharakter verliert und zu einer  kontemplativen  Haltung wird. (11) Das kontemplative Verhalten einem mechanisch-gesetzmäßigen Prozeß gegenüber, der sich unabhängig vom Bewußtsein, unbeeinflußbar von einer menschlichen Tätigkeit abspielt, sich also als fertiges geschlossenes System offenbart, verwandelt auch die Grundkategorien des unmittelbaren Verhaltens der Menschen zur Welt: es bringt Raum und Zeit auf einen Nenner, nivelliert die Zeit auf das Niveau des Raums. "Durch die Unterordnung des Menschen unter die Maschine," sagt MARX (12), entsteht der Zustand, "daß die Menschen gegenüber der Arbeit verschwinden, daß das Pendel der Uhr der genaue Messer für das Verhältnis der Leistungen zweier Arbeiter wurde, wie er es für die Schnelligkeit zweier Lokomotiven ist. So muß es nicht mehr heißen, daß die (Arbeits-)Stunde des einen Menschen der Arbeitsstunde eines anderen gleichkommt, sondern daß vielmehr ein Mensch während einer Stunde so viel wert ist wie ein anderer Mensch während einer Stunde. Die Zeit ist alles, der Mensch ist nichts mehr, er ist höchstens noch die Verkörperung der Zeit. Es handelt sich nicht mehr um die Qualität. Die Quantität allein entscheidet alles: Stunde gegen Stunde, Tag gegen Tag . . . " Die Zeit verliert damit ihren qualitativen, veränderlichen, flußartigen Charakter: sie erstarrt zu einem genau umgrenzten, quantitativ meßbaren, von quantitativ meßbaren "Dingen" (den verdinglichten, mechanisch objektivierten, von der menschlichen Gesamtpersönlichkeit genau abgetrennten "Leistungen" des Arbeiters) erfüllten Kontinuum: zu einem Raum (13). In dieser abstrakten, genau meßbaren, zum physikalischen Raum gewordenen Zeit als Umwelt, die zugleich Voraussetzung und Folge der wissenschaftlich-mechanisch zerlegten und spezialisierten Hervorbringung des Arbeitsobjekts ist, müssen die Subjekte ebenfalls dementsprechend rationell zerlegt werden. Einerseits, indem ihre mechanisierte Teilarbeit, die Objektivation ihrer Arbeitskraft ihrer Gesamtpersönlichkeit gegenüber, die bereits durch den Verkauf dieser Arbeitskraft als Ware vollzogen wurde, zur dauernden und unüberwindlichen Alltagswirklichkeit gemacht wird, so daß die Persönlichkeit auch hier zum einflußlosen Zuschauer dessen wird, was mit seinem eigenen Dasein, als isoliertem, in ein fremdes System eingefügtem Teilchen geschieht. Andererseits zerreißt die mechanisierende Zerlegung des Produktionsprozesses auch jene Bande, die die einzelnen Subjekte der Arbeit bei "organischer" Produktion zu einer Gemeinschaft verbunden haben. Die Mechanisierung der Produktioin macht aus ihnen auch in dieser Hinsicht isoliert abstrakte Atome, die nicht mehr unmittelbar-organisch, durch ihre Arbeitsleistungen zusammengehören, deren Zusammenhang vielmehr in stets wachsendem Maße ausschließlich von den abstrakten Gesetzlichkeiten des Mechanismus, dem sie eingefügt sind, vermittelt wird.

Eine solche Wirkung der inneren Organisationsform des industriellen Betriebes wäre aber - auch innerhalb des Betriebes - unmöglich, wenn sich in ihr nicht der Aufbau der ganzen kapitalistischen Gesellschaft konzentriert offenbaren würde. Denn Unterdrückung, bis ins äußerste gehende, jeder Menschenwürde spottende Ausbeutung haben auch die vorkapitalistischen Gesellschaften gekannt; selbst Massenbetriebe mit mechanisch gleichförmiger Arbeit, wie z. B. die Kanalbauten in Ägypten und Vorderasien, die Bergwerke Roms usw. (14) Die Massenarbeit konnte dort aber einerseits nirgends zur  rationell mechanisierten  Arbeit werden, andererseits blieben diese Massenbetriebe isolierte Erscheinungen innerhalb eines anders (naturwüchsig) produzierenden und dementsprechend lebenden Gemeinwesens. Die auf diese Weise ausgebeuteten Sklaven standen deshalb außerhalb der in Betracht kommenden "menschlichen" Gesellschaft, ihr Schicksal konnte für ihre Zeitgenossen, selbst für die größten und edelsten Denker, nicht als menschliches Schicksal, nicht als das Schicksal des Menschen erscheinen. Mit der Universalität der Warenkategorie ändert sich dieses Verhältnis radikal und qualitativ. Das Schicksal des Arbeiters wird zum allgemeinen Schicksal der ganzen Gesellschaft; ist ja die Allgemeinheit dieses Schicksals die Voraussetzung dafür, daß der Arbeitsprozeß der Betriebe sich in dieser Richtung gestaltet. Denn die rationelle Mechanisierung des Arbeitsprozesses wird nur möglich, wenn der "freie" Arbeiter entstanden ist, der seine Arbeitskraft als ihm "gehörende" Ware, als ein Ding, das er "besitzt", frei am Markt zu verkaufen instand gesetzt wird. Solange dieser Prozeß erst im Entstehen begriffen ist, sind zwar die Mittel der Auspressung der Mehrarbeit offenkundig-brutaler als die der späteren, entwickelteren Stadien, der Verdinglichungsprozeß der Arbeit selbst, also auch der des Bewußtseins des Arbeiters ist aber dennoch viel weniger fortgeschritten. Hierzu ist unbedingt notwendig, daß die gesamte Bedürfnisbefriedigung der Gesellschaft sich in der Form des Warenverkehrs abspielt. Die Trennung des Produzenten von seinen Produktionsmitteln, die Auflösung und Zersetzung aller urwüchsigen Produktionseinheiten usw., alle ökonomisch-sozialen Voraussetzungen der Entstehung des modernen Kapitalismus wirken in dieser Richtung: rationell verdinglichte Beziehungen anstelle der urwüchsigen, die menschlichen Verhältnisse unverhüllter zeigenden zu setzen. "Die gesellschaftlichen Verhältnisse der Personen in ihren Arbeiten", sagt MARX (15) über die vorkapitalistischen Gesellschaften, "erscheinen jedenfalls als ihre eigenen persönlichen Verhältnisse, und sind nicht verkleidet in gesellschaftliche Verhältnisse der Sachen, der Arbeitsprodukte." Dies bedeutet aber, daß das Prinzip der rationellen Mechanisierung und Kalkulierbarkeit sämtliche Erscheinungsformen des Lebens erfassen muß. Die Gegenstände der Bedürfnisbefriedigung erscheinen nicht mehr als Produkte des organischen Lebensprozesses einer Gemeinschaft (wie z. B. einer Dorfgemeinde), sondern einerseits als abstrakte Gattungsexemplare, die von anderen Exemplaren ihrer Gattung prinzipiell nicht verschieden sind, andererseits als isolierte Objekte, deren Haben oder Nichthaben von rationellen Kalkulationen abhängig ist. Erst indem das ganze Leben der Gesellschaft auf diese Weise in isolierte Tauschakte von Waren pulverisiert wird, kann der "freie" Arbeiter entstehen; zugleich muß sein Schicksal zu einem typischen Schicksal der ganzen Gesellschaft werden.

Freilich ist die so entstehende Isolierung und Atomisierung ein bloßer Schein. Die Bewegung der Waren am Markt, das Entstehen ihres Wertes, mit einem Wort der reale Spielraum einer jeden rationellen Kalkulation ist nicht nur strengen Gesetzen unterworfen, sondern setzt als Grundlage der Kalkulation eine strenge Gesetzlichkeit allen Geschehens voraus. Diese Atomisierung des Individuums ist also nur der bewußtseinsmäßige Reflex dessen, daß die "Naturgesetze" der kapitaistischen Produktion sämtliche Lebensäußerungen der Gesellschaft erfaßt haben, daß - zum ersten Mal in der Geschichte - die ganze Gesellschaft, wenigstens der Tendenz nach, einem einheitlichen Wirtschaftsprozeß untersteht, daß das Schicksal aller Glieder der Gesellschaft von einheitlichen Gesetzen bewegt wird. (Während die organischen Einheiten der vorkapitalistischen Gesellschaften ihren Stoffwechsel voneinander weitgehendst unabhängig vollzogen haben.) Aber dieser Schein ist als Schein notwendig; d. h. die unmittelbare, praktische wie gedankliche Auseinandersetzung des Individuums mit der Gesellschaft, die unmittelbare Produktion und Reproduktion des Lebens - wobei für das Individuum die Warenstruktur aller "Dinge" und die "Naturgesetzlichkeit" ihrer Beziehungen etwas fertig Vorgefundenes, etwas unaufhebbar Gegebenes ist - kann sich nur in dieser Form der rationellen und isolierten Tauschakte zwischen isolierten Warenbesitzern abspielen. Wie betont, muß der Arbeiter sich selbst als "Besitzer" seiner Arbeitskraft als Ware vorstellen. Seine spezifische Stellung liegt darin, daß diese Arbeitskraft sein einziger Besitz ist. An seinem Schicksal ist für den Aufbau der ganzen Gesellschaft typisch, daß diese Selbstobjektivierung, dieses Zur-Ware-Werden einer Funktion des Menschen, den entmenschten und entmenschlichenden Charakter der Warenbeziehung in der größten Prägnanz offenbaren. 2. Diese rationelle Objektivierung verdeckt vor allem - den qualitativen und materiellen - unmittelbaren Dingcharakter aller Dinge. Indem die Gebrauchswerte ausnahmslos als Waren erscheinen, erhalten sie eine neue Objektivität, eine neue Dinghaftigkeit, die sie zur Zeit des bloßen gelegentlichen Tauschs nicht gehabt haben, in der ihr ursprüngliche, eigentliche Dinghaftigkeit vernichtet wird, verschwindet.
    "Das Privateigentum", sagt MARX (16),  "entfremdet  nicht nur die Individualität der Menschen, sondern auch die der Dinge. Der Grund und Boden hat nichts mit der Grundrente, die Maschine nichts mit dem Profit zu tun. Für den Grundbesitzer hat der Grund und Boden nur die Bedeutung der Grundrente, er verpachtet seine Grundstücke und zieht die Rente eine; eine Eigenschaft, die der Boden verlieren kann, ohne irgendeine seiner inhärenten Eigenschaften, ohne z. B. einen Teil seiner Fruchtbarkeit zu verlieren, eine Eigenschaft, deren Maß, ja deren Existenz von gesellschaftlichen Verhältnissen abhängt, die ohne Zutun des einzelnen Grundbesitzers gemacht und aufgehoben werden. Ebenso mit der Maschine."
Wird also selbst der einzelne Gegenstand, dem der Mensch als Produzent oder Konsument unmittelbar gegenübersteht, durch seinen Warencharakter in seiner Gegenständlichkeit entstellt, so muß sich dieser Prozeß einleuchtenderweise desto mehr steigern, je vermittelter die Beziehungen sind, die der Mensch in seiner gesellschaftlichen Tätigkeit zu den Gegenständen als Objekten des Lebensprozesses stiftet. Es kann hier selbstredend unmöglich der ganze ökonomische Aufbau des Kapitalismus zergliedert werden. Es muß die Feststellung genügen, daß die Entwicklung des modernen Kapitalismus nicht nur die Produktionsverhältnisse nach seinen Bedürfnissen umwandelt, sondern auch jene Formen des primitiven Kapitalismus, die in vorkapitalistischen Gesellschaften ein isoliertes, von der Produktion abgetrenntes Dasein geführt haben, in sein Gesamtsystem einfügt, sie zu Gliedern des nunmehr einheitlichen Durchkapitalisierungsprozesses der ganzen Gesellschaft macht. (Kaufmannskapital, Rolle des Geldes als Schatz bzw. als Geldkapital usw.) Diese Formen des Kapitals sind zwar objektiv dem eigentlichen Lebensprozeß des Kapitals, der Auspressung des Mehrwerts in der Produktion selbst untergeordnet, sind also nur aus dem Wesen des industriellen Kapitalismus begreifbar, sie erscheinen aber, im Bewußtsein des Menschen der bürgerlichen Gesellschaft, als die reinen, eigentlichen, unverfälschten Formen des Kapitals. Gerade weil in ihnen die in der unmittelbaren Warenbeziehung verborgenen Beziehungen der Menschen zueinander und zu den wirklichen Objekten ihrer realen Bedürfnisbefriedigung zur vollen Unwahrnehmbarkeit und Unkenntlichkeit verblassen, müssen sie für das verdinglichte Bewußtsein zu den wahren Repräsentanten seines gesellschaftlichen Lebens werden. Der Warencharakter der Ware, die abstrakt-quantitative Form der Kalkulierbarkeit erscheint hier in seiner reinsten Gestalt: sie wird also für das verdinglichte Bewußtsein notwendigerweise zur Erscheinungsform seiner eigentlichen Unmittelbarkeit, über die es - als verdinglichtes Bewußtsein - gar nicht hinauszugehen trachtet; die es vielmehr durch "wissenschaftliche Vertiefung" der hier erfahrbaren Gesetzmäßigkeiten festzuhalten, ewig zu machen bestrebt ist. So wie das kapitalistische System sich ökonomisch fortwährend auf erhöhter Stufe produziert und reproduziert, so senkt sich im Laufe der Entwicklung des Kapitalismus die Verdinglichungsstruktur immer tiefer, schicksalhafter und konstitutiver in das Bewußtsein der Menschen hinein. MARX schildert diese Potenzierung der Verdinglichung oft in sehr eindringlicher Weise. Es sei hier nur ein Beispiel angeführt (17):
    "Im zinstragenden Kapital ist daher dieser automatische Fetisch rein herausgearbeitet, der sich selbst verwertende Wert, Geld heckendes Geld, und trägt es in dieser Form keine Narben seiner Entstehung mehr. Das gesellschaftliche Verhältnis ist vollendet als Verhältnis eines Dings, des Geldes zu sich selbst. Statt der wirklichen Verwandlung von Geld in Kapital zeigt sich hier nur ihre inhaltlose Form. Es wird so ganz Eigenschaft des Geldes, Wert zu schaffen, Zins abzuwerfen, wie diei eines Birnbaumes, Birnen zu tragen Und als solches zinstragendes Ding verkauft der Geldverleiher sein Geld. Damit nicht genug. Das wirklich fungierende Kapital, wie gesehen, stellt sich selbst so dar, daß es den Zins, nicht als fungierendes Kapital, sondern als Kapital ansich, als Geldkapital, abwirft. Es verdreht sich auch dies: Während der Zins nur ein Teil des Profits ist, d. h. des Mehrwerts, den der fungierende Kapitalist dem Arbeiter auspreßt, erscheint jetzt umgekehrt der Zins als die eigentliche Frucht des Kapitals, als das Ursprüngliche, und der Profit, nun in die Form des Unternehmergewinns verwandelt, als bloßes im Reproduktionsprozeß hinzukommendes Akzessorium und Zutat. Hier ist die Fetischgestalt des Kapitals und die Vorstellung vom Kapitalfetisch fertig. In G (=Geld) als G' (=Kapital) haben wir die begrifflose Form des Kapitals, die Verkehrung und Versachlichung der Produktionsverhältnisse in der höchsten Potenz: Zinstragende Gestalt, die einfache Gestalt des Kapitals, worin es seinem eigenen Produktionsprozeß vorausgesetzt ist; Fähigkeit des Geldes, bzw. der Ware, ihren eigenen Wert zu verwerten, unabhängig von der Reproduktion - die Kapitalmystifikation in der grellsten Form. Für die Vulgärökonomie, die das Kapital als selbständige Quelle des Werts, der Wertschöpfung, darstellen will, ist natürlich diese Form ein gefundenes Fressen, eine Form, worin die Quelle des Profits nicht mehr erkenntlich, und worin das Resultat des kapitalistischen Produktionsprozesses - getrennt vom Prozeß selbst - ein selbständiges Dasein erhält."
Und genauso wie die Ökonomie des Kapitalismus in dieser ihrer selbst geschaffenen Unmittelbarkeit stehenbleibt, so auch die bürgerlichen Versuche, sich das ideologische Phänomen der Verdinglichung bewußt zu machen. Sogar Denker, die das Phänomen selbst keineswegs verleugnen oder verwischen zu wollen, ja mit seinen menschlich verheerenden Wirkungen mehr oder weniger in klaren sind, bleiben bei der Analyse der Unmittelbarkeit der Verdinglichung stehen und machen keinen Versuch, von den objektiv abgeleitetsten, vom eigentlichen Lebensprozeß des Kapitalismus entferntesten, also von den am meisten veräußerlichten und entleerten Formen zum Urphänomen der Verdinglichung vorzudringen. Ja, sie lösen diese entleerten Erscheinungsformen von ihrem kapitalistischen Naturboden ab, verselbständigen und verweigen sie als einen zeitlosen Typus menschlicher Beziehungsmöglichkeiten überhaupt. (Am deutlichsten zeigt sich diese Tendenz in dem in Einzelheiten sehr interessanten und scharfsinnigen Buch SIMMELs "Die Philosophie des Geldes") Sie geben eine bloße Beschreibung dieser "verzauberten, verkehrten und auf den Kopf gestellten Welt, wo Monsieur le Capital und Madame le Terre als soziale Charaktere und zugleich unmittelbar als bloße Dinge ihren Spuk treiben" (18). Sie kommen aber damit über die bloße Beschreibung nicht hinaus, und ihre "Vertiefung" des Problems dreht sich im Kreis um die äußerlichen Erscheinungsformen der Verdinglichung.

Diese Ablösung der Phänomene der Verdinglichung vom ökonomischen Grund ihrer Existenz, von der Grundlage ihrer wahren Begreifbarkeit wird noch dadurch erleichtert, daß dieser Umwandlungsprozeß sämtliche Erscheinungsformen des gesellschaftlichen Lebens erfassen muß, wenn die Voraussetzungen für das restlose Sichauswirken der kapitalistischen Produktion erfüllt werden sollen. So hat die kapitalistische Entwicklung ein ihren Bedürfnissen entsprechendes, ein sich ihrer Strukur strukturell anschmiegendes Recht, einen entsprechenden Staat usw. geschaffen. Die strukturelle Ähnlichkeit ist in der Tat so groß, daß sie von allen wirklich klarblickenden Historikern des modernen Kapitalismus festgestellt werden mußte. So beschreibt z. B. MAX WEBER (19) das Grundprinzip dieser Entwicklung folgendermaßen:
    "Beide sind vielmehr im Grundwesen ganz gleichartig. Ein  Betrieb  ist der moderne Staat, gesellschaftswissenschaftlich angesehen, ebenso wie die Fabrik: das ist gerade des ihm historisch Spezifische. Und gleichartig bedingt ist auch das Herrschaftsverhältnis innerhalb des Betriebes hier und dort. Wie die relative Selbständigkeit des Handwerkers oder Hausindustriellen, des grundherrlichen Bauern, des Kommendatar, des Ritters und Vasallen darauf beruhte, daß er selbst Eigentümer der Werkzeuge, der Vorräte, der Geldmittel, der Waffen war, mit deren Hilfe er seiner ökonomischen, politischen, militärischen Funktion nachging und von denen er während deren Ableistung lebte, so beruth hierauf die hierarchische Abhängigkeit des Arbeiters, Kommis, technischen Angestellten, akademischen Institutsassistenten  und  des staatlichen Beamten und Soldaten ganz gleichmäßig darauf: daß jene für den Betrieb und die ökonomische Existenz unentbehrlichen Werkzeuge, Vorräte und Geldmittel in der Verfügungsgewalt, im einen Fall: des Unternehmers, im anderen: des politischen Herrn konzentriert sind."
Und er fügt auch - sehr richtig - zu dieser Beschreibung den Grund und den sozialen Sinn des Phänomens hinzu:
    "Der moderne kapitalistische Betrieb ruht innerlich vor allem auf der  Kalkulation.  Er braucht für seine Existenz eine Justiz und Verwaltung, deren Funktionieren wenigstens im Prinzip ebenso auf festen generellen Normen  rational kalkuliert  werden kann, wie man die voraussichtliche Leistung  einer Maschine  kalkuliert. Er kann sich mit ... dem Judizieren nach dem Billigkeitsempfinden des Richters im  Einzelfall  oder nach anderen irrationalen Rechtsfindungsmitteln und Prinzipien ... ebensowenig befreunden wie mit der patriarchalen, nach freier Willkür und Gnade und im übrigen nach unverbrüchlich heiliger, aber irrationaler Tradition verfahrenden Verwaltung ... Was dem  modernen  Kapitalismus im Gegensatz zu jenen uralten Formen kapitalistischen Erwerbs spezifisch ist: die streng rationale  Organisation der Arbeit  auf dem Boden  rationaler Technik  ist  nirgends  innerhalb derartig irrational konstruierter Staatswesen entstanden und konnte dort auch nie entstehen. Denn dazu sind diese modernen Betriebsformen mit ihrem stehenden Kapital und ihrer exakten Kalkulation gegen Irrationalitäten des Rechts und der Verwaltung viel zu empfindlich. Sie konnten nur da entstehen, wo ... der Richter, wie im bürokratischen Staat mit seinen rationalen Gesetzen mehr oder minder ein Paragraphenautomat ist, in welchem man oben die Akten nebst den Kosten und Gebühren hineinwirft, auf daß er unten das Urteil nebst den mehr oder minder stichhaltigen Gründen ausspuckt: - dessen Funktionieren also jedenfalls im Großen und Ganzen  kalkulierbar  ist."
Der Prozeß, der hier vor sich geht, ist also sowohl in seinen Motiven wie in seinen Auswirkungen der oben angedeuteten ökonomischen Entwicklung nahe verwandt. Auch hier vollzieht sich ein Bruch mit den empirischen, irrationalen, auf Traditionen beruhenden, subjektiv auf den handelnden Menschen, objektiv auf die konkrete Materie zugeschnittenen Methoden von Rechtsprechung, Verwaltung usw. Es entsteht eine rationale Systematisierung aller rechtlichen Regulierungen des Lebens, die einerseits, wenigstens der Tendenz nach, ein geschlossenes und auf alle nur irgend möglichen und denkbaren Fälle beziehbares System vorstellt. Ob nun dieses System auf rein logischem Weg, auf dem Weg der rein juristischen Dogmatik, der Rechtsauslegung sich innerlich zusammenschließt, oder die Praxis des Richters die "Lücken" der Gesetze auszufüllen bestimmt ist, bedeutet für unser Streben,  diese Struktur  der modernen juristischen Gegenständlichkeit zu erkennen, keinen Unterschied. Denn in beiden Fällen liegt es im Wesen des Rechtssystems, daß es in formaler Allgemeinheit auf alle irgendwie möglichen Ereignisse des Lebens beziehbar und in dieser Beziehbarkeit voraussehbar, kalkulierbar ist. Selbst die dieser Entwicklung am meisten gleichende, aber im modernen Sinn doch vorkapitalistische Rechtsentwicklung, das römische Recht, ist in dieser Beziehung empiristisch, konkret, traditionell gebunden geblieben. Die rein systematischen Kategorien, durch die erst die sich auf alles gleich ausbreitende Allgemeinheit der rechtlichen Regelung zustande gebracht wird, sind erst in der modernen Entwicklung entstanden (20). Und es ist ohne weiteres klar, daß dieses Bedürfnis nach Systematisierung, nach Verlassen der Empirie, der Tradition, der materiellen Gebundenheit, ein Bedürfnis der exakten Kalkulation gewesen ist (21). Andererseits bedingt eben dasselbe Bedürfnis, daß das Rechtssystem als stets Fertiges, genau Fixiertes, also erstarrtes System den Einzelereignissen des gesellschaftlichen Lebens gegenübersteht. Freilich entspringen daraus ununterbrochen Konflikte zwischen der sich ständig revolutionär entwickelnden kapitalistischen Wirtschaft und dem erstarrten Rechtssystem. Dies hat aber doch nur neue Kodifizierungen usw. zur Folge: das neue System muß dennoch in seiner Struktur die Fertigkeit und Starrheit des alten Systems bewahren. Es entsteht also der - scheinbar - paradoxe Tatbestand, daß das Jahrhunderte, manchmal sogar Jahrtausende lang kaum veränderte "Recht" primitiver Gesellschaftsformen einen fließenden, irrationalen, in den Rechtsentscheidungen stets neu entstehenden Charakter hat, während das sachlich und fortwährend und stürmisch umgewälzte moderne Recht ein starres, statisches und fertiges Wesen zeigt. Die Paradoxie erweist sich jedoch als scheinbar, wenn bedacht wird, daß sie bloß daraus entsteht, daß dieselbe Sachlage das eine Mal vom Standpunkt des Historikers (dessen Standpunkt des miterlebenden Subjekts, vom Standpunkt der Einwirkung der betreffenden Gesellschaftsordnung auf sein Bewußtsein betrachtet wird. Und mit dieser Einsicht wird es zugleich klar, daß sich hier auf anderem Gebiet der Gegensatz des traditionell-empiristischen Handwerks zur wissenschaftlich-rationalen Fabrik wiederholt: die sich ununterbrochen umwälzende moderne Produktionstechnik steht - auf jeder einzelnen Stufe ihres Funktionierens - als starres und fertiges System den einzelnen Produzenten gegenber, während die objektiv relativ stabile, traditionelle, handwerksmäßige Produktion im Bewußtseins der einzelnen Ausübenden einen fließenden, sich stetig erneuernden, von den Produzenten produzierten Charakter bewahrt. Wodurch einleuchtenderweise auch hier der  kontemplative  Charakter des kapitalistischen Subjektverhaltens in Erscheinung tritt. Denn das Wesen der rationalen Kalkulation beruth ja letzten Endes darauf, daß der - von individueller "Willkür" unabhängige -zwangsläufig-gesetzmäßige Verlauf bestimmter Vorgänge erkannt und berechnet wird. Daß also das Verhalten des Menschen sich in der richtigen Berechnung der Chancen dieses Ablaufs (dessen "Gesetze" er "fertig" vorfindet), im geschickten Vermeiden störender "Zufälligkeiten" durch Anwenden von Schutzvorrichtungen, Abwehrmaßnahmen usw. (die ebenfalls auf Erkenntnis und Anwendung ähnlicher "Gesetze" beruhen) erschöpft; sehr oft sogar bei einer Wahrscheinlichkeitsrechnung der möglichen Auswirkung solcher "Gesetze" stehenbleibt, ohne selbst den Versuch zu unternehmen, in den Ablauf selbst durch die Anwendung anderer "Gesetze" einzugreifen (Versicherungswesen usw.). Je eingehender und je unabhängiger von bürgerlichen Legenden über das "Schöpferische" der Exponenten der kapitalistischen Epoche diese Sachlage betrachtet wird, desto deutlicher wird in jedem solchen Verhalten die strukturelle Analogie zum Verhalten des Arbeiters zur Maschine, die er bedinet und beobachtet, deren Funktionieren er betrachtend kontrolliert, zum Vorschein kommen. Das "Schöpferische" ist bloß daran erkennbar, wieweit die Anwendung der "Gesetze" etwas - relativ - Selbständiges oder rein Dienendes ist. Das heißt bis zu welchem Punkt das rein kontemplative Verhalten zurückgeschoben wird. Aber der Unterschied, daß der Arbeiter der einzelnen Maschine, der Unternehmer dem gegebenen Typus der maschinellen Entwicklung, der Techniker dem Stand der Wissenschaft und der Rentabilität ihrer technischen Anwendung gegenüber so stehen muß, bedeutet eine bloß quantitative Abstufung und unmittelbar  keinen qualitativen Unterschied in der Struktur des Bewußtseins. 

Das Problem der modernen Bürokratie wird erst in diesem Zusammenhang ganz verständlich. Die Bürokratie bedeutet eine ähnliche Anpassung der Lebens- und Arbeitsweise und dementsprechend auch des Bewußtseins an die allgemein gesellschaftlich-ökonomischen Voraussetzungen der kapitalistischen Wirtschaft, wie wir dies für die Arbeiter im Einzelbetrieb festgestellt haben. Die formelle Rationalisierung von Recht, Staat, Verwaltung usw. bedeutet objektiv-sachlich eine ähnliche Zerlegung aller gesellschaftlichen Funktionen auf ihre Elemente, ein ähnliches Aufsuchen der rationalen und formellen Gesetze dieser genau voneinander abgetrennten Teilsysteme und dementsprechend subjektiv ähnliche bewußtseinsmäßige Folgen der Abtrennung der Arbeit von den individuellen Fähigkeiten und Bedürfnissen des sie Leistenden, eine ähnliche rational-unmenschliche Arbeitsteilung, wie wir sie technisch-maschinell im Betrieb gefunden haben (22). Es handelt sich dabei nicht nur um die völlig mechanisierte, "geistlose" Arbeitsweise der unteren Bürokratie, die der bloßen Maschinenbedienung außerordentlich nahe kommt, ja sie an Öde und Einförmigkeit oft übertrifft. Sondern einerseits um eine immer stärker formal-rationalistisch werdende Behandlung aller Fragen in objektiver Hinsicht, um eine sich immer steigernde Abtrennung vom qualitativ-materiellen Wesen der "Dinge", auf die sich die bürokratische Behandlung bezieht. Andererseits um ein noch monströsere Steigerung der einseitigen, das menschliche Wesen des Menschen vergewaltigenden Spezialisierung in der Arbeitsteilung. Die Feststellung von MARX über die Fabriksarbeit, daß "das Individuum selbst geteilt, in das automatische Triebwerk einer Teilarbeit verwandelt" und dadurch "in eine Abnormität verkrüppelt" wird, zeigt sich hier umso krasser, je höhere, entwickeltere, "geistigere" Leistungen diese Arbeitsteilung verlangt. Die Trennung der Arbeitskraft von der Persönlichkeit des Arbeiters, ihre Verwandlung in ein Ding, in einen Gegenstand, den er auf dem Markt verkauft, wiederholt sich auch hier. Nur mit dem Unterschied, daß nicht sämtliche geistige Fähigkeiten durch die maschinelle Mechanisierung unterdrückt werden, sondern eine Fähigkeit (oder ein Komplex von Fähigkeiten) von der Gesamtpersönlichkeit losgelöst, ihr gegenüber objektiviert, zum Ding, zur Ware wird. Sind auch sowohl die Mittel der gesellschaftlichen Züchtung solcher Fähigkeiten wie ihr materieller und "moralischer" Tauschwert von denen der Arbeitskraft gründlich verschieden (wobei freilich die große Reihe von Verbindungsgliedern, von gleitenden Übergängen nicht vergessen werden darf), so bleibt das Grundphänomen doch das gleiche. Die spezifische Art der bürokratischen "Gewissenhaftigkeit" und Sachlichkeit, die notwendige völlige Unterordnung unter das System der Sachbeziehungen, in der der einzelne Bürokrat steht, die Vorstellung, daß eben seine "Ehre", sein "Verantwortlichkeitsgefühl" eine solche völlige Unterordnung erfordern (23), zeigen, daß die Arbeitsteilung - wie bei der Taylorisierung ins "Psychische" - hier ins "Ethische" versenkt wurde. Dies ist aber keine Abschwächung, sondern eine Steigerung der verdinglichten Bewußtseinsstruktur als Grundkategorie für die ganze Gesellschaft. Denn solange das Schicksal des Arbeitenden noch als ein vereinzeltes Schicksal erscheint (wie etwa beim Sklaven des Altertums), solange kann sich das Leben der herrschenden Klassen in ganz anderen Formen abspielen. Erst der Kapitalismus hat mit der einheitlichen Wirtschaftsstruktur für die ganze Gesellschaft eine - formell - einheitliche Bewußtseinsstruktur für ihre Gesamtheit hervorgebracht. Und diese äußert sich gerade drin, daß die Bewußtseinsprobleme der Lohnarbeit sich in der herrschden Klasse verfeinert, vergeistigt, aber eben darum gesteigert wiederholen. Der spezialistische "Virtuose", der Verkäufer seiner objektivierten und versachlichten geistigen Fähigkeiten, wird aber nicht nur Zuschauer dem gesellschaftlichen Geschehen gegenüber (wie sehr die moderne Verwaltung und Rechtsprechung usw. die oben angedeutete Wesensart der Fabrik im Gegensatz zum Handwerk annimmt, kann hier nicht einmal angedeutet werden), sondern gerät auch in eine kontemplative Attitüde zum Funktionieren seiner eigenen, objektivierten und versachlichten Fähigkeiten. Am groteskesten zeigt sich diese Struktur im Journalismus, wo gerade die Subjektivität selbst, das Wissen, das Temperament, die Ausdrucksfähigkeit zu einem abstrakten, sowohl von der Persönlichkeit des "Besitzers" wie vom materiell-konkreten Wesen der behandelten Gegenstände unabhängigen und eigengesetzlich in Gang gebrachten Mechanismus wird. Die "Gesinnungslosigkeit" der Journalisten, die Prostitution ihrer Erlebnisse und Überzeugungen ist nur als Gipfelpunkt der kapitalistischen Verdinglichung begreifbar. (24)

Die Verwandlung der Warenbeziehung in ein Ding von "gespenstischer Gegenständlichkeit" kann also beim Zur-Ware-werden aller Gegenstände der Bedürfnisbefriedigung nicht stehenbleiben. Sie drückt dem ganzen Bewußtsein des Menschen ihre Struktur auf: seine Eigenschaften und Fähigkeiten verknüpfen sich nicht mehr zur organischen Einheit der Person, sondern erscheinen als "Dinge", die der Mensch ebenso "besitzt" und "veräußert", wie die verschiedenen Gegenstände der äußeren Welt. Und es gibt naturgemäß keine Form der Beziehung der Menschen zueinander, keine Möglichkeit des Menschen, seine physischen und psychischen "Eigenschaften" zur Geltung zu bringen, die sich nicht in zunehmendem Maße dieser Gegenständlichkeitsform unterwerfen würden. Man denke dabei nur an die Ehe, wobei es sich erübrigt, auf die Entwicklung im 19. Jahrhundert hinzuweisen, da z. B. KANT mit der naiv-zynischen Offenheit großer Denker diesen Tatbestand klar ausgesprochen hat. "Geschlechtsgemeinschaft", sagt er (25), "ist der wechselseitige Gebrauch, den ein Mensch von eines anderen Geschlechtsorganen und Vermögen macht ... die Ehe ... die Verbindung zweier Personen verschiedenen Geschlechts zum lebenslangen wechselseitigen Besitz ihrer Geschlechtseigenschaften."

Diese scheinbar restlose, bis ins tiefste physische und psychische Sein des Menschen hineinreichende Rationalisierung der Welt findet jedoch ihre Grenze am formalen Charakter ihrer eigenen Rationalität. Das heißt die Rationalisierung der isolierten Elemente des Lebens, die daraus entstehenden - formalen - Gesetzlichkeiten fügen sich zwar unmittelbar und für den oberflächlichen Blick in ein einheitliches System allgemeiner "Gesetze" ein, die Mißachtung des Konkreten an der Materie der Gesetze jedoch, worauf ihre Gesetzlichkeit beruth, kommt in der tatsächlichen Inkohärenz des Gesetzessystems, in der Zufälligkeit der Bezogenheit der Teilsysteme aufeinander, in der - relativ - großen Selbständigkeit, die diese Teilsysteme einander gegenüber besitzen, zum Vorschein. Ganz kraß äußert sich diese Inkohärenz in Krisenzeiten, deren Wesen - vom Standpunkt dieser Betrachtungen aus gesehen - gerade darin besteht, daß die unmittelbare Kontinuität des Übergangs aus einem Teilsystem in das andere zerreißt und ihre Unabhängigkeit voneinander, ihre zufällige Bezogenheit aufeinander, plötzlich ins Bewußtsein aller Menschen gedrängt wird. Darum kann ENGELS (26) die "Naturgesetze" der kapitalistischen Wirtschaft als Gesetze der Zufälligkeit bestimmen.

Jedoch die Struktur der Krise erscheint bei näherer Betrachtung als bloße Steigerung der Quantität und Intensität des Alltagslebens der bürgerlichen Gesellschaft. Daß der - in der Unmittelbarkeit des gedankenlosen Alltags - fest geschlossen scheinende Zusammenhalt der "Naturgesetzlichkeit" dieses Lebens plötzlich aus den Fugen geraten kann, ist nur darum möglich, weil das Aufeinanderbezogensein seiner Elemente, seiner Teilsysteme auch beim normalsten Funktionieren etwas Zufälliges ist. So daß der Schein, als ob das ganze gesellschaftliche Leben einer "ewigen, ehernen" Gesetzlichkeit unterworfen wäre, die sich zwar in verschiedene Spezialgesetze für die einzelnen Gebiete differenziert, sich auch als solcher enthüllen muß. Die wahre Struktur der Gesellschaft erscheint vielmehr in den unabhängigen, rationalisierten, formalen Teilgesetzlichkeiten, die miteinander nur formell notwendig zusammenhängen (d. h., daß ihre formalen Zusammenhänge formell systematisiert werden können), materiell und konkret jedoch zufällige Zusammenhänge untereinander abgeben. Diesen Zusammenhang zeigen bei etwas genauerer Analyse bereits die rein ökonomischen Erscheinungen. So hebt z. B. MARX hervor - wobei freilich die hier angeführten Fälle nur zur methodischen Beleuchtung der Sachlage dienen sollen und keineswegs einen noch so oberflächlichen Versuch zur materiellen Behandlung der Frage vorzustellen beanspruchen -, daß "die Bedingungen der unmittelbaren Exploitation und die ihrer Realisation nicht identisch sind. Sie fallen nicht nur nach Zeit und Ort, sondern auch begrifflich auseinander." (27) So besteht "kein notwendiger, sondern nur zufälliger Zusammenhang zwischen dem Gesamtquantum der gesellschaftlichen Arbeit, das auf einen gesellschaftlichen Artikel verwandt ist" und "zwischen dem Umfang, worin die Gesellschaft eine Befriedigung des durch jenen bestimmten Artikel gestillten Bedürfnisses verlangt." (28) Dies sollen selbstredend bloß herausgegriffene Beispiele sein. Denn es ist ja klar, daß der ganze Aufbau der kapitalistischen Produktion auf dieser Wechselwirkung von streng gesetzlicher Notwendigkeit in allen Einzelerscheinungen und von relativer Irrationalität des Gesamtprozesses beruth. "Die manufakturmäßige Teilung der Arbeit unterstellt die unbedingte Autorität des Kapitalisten über Menschen, die bloße Glieder eines ihm gehörigen Gesamtmechanismus bilden; die gesellschaftliche Teilung der Arbeit stellt unabhängige Warenproduzenten einander gegenüber, die keine andere Autorität anerkennen, als die der Konkurrenz, den Zwang, den der Druck ihrer wechselseitigen Interessen auf sie ausübt." (29) Denn die kapitalistische, auf privatwirtschaftlicher Kalkulation beruhende Rationalisierung erfordert in jeder Lebensäußerung dieses Wechselverhältnis von gesetzmäßigem Detail und zufälligem Ganzen; sie setzt einen solchen Aufbau der Gesellschaft voraus; sie produziert und reproduziert diese Struktur in dem Maße, als sie sich der Gesellschaft bemächtigt. Dies liegt schon im Wesen der spekulativen Kalkulation, der Wirtschaftsweise der Warenbesitzer auf der Stufe der Allgemeinheit des Warenaustausches begründet. Die Konkurrenz der verschiedenen Warenbesitzer wäre unmöglich, wenn der Rationalität der Einzelerscheinungen auch eine genaue, rationale, gesetzmäßig funktionierende Gestalt der ganzen Gesellschaft entsprechen würde. Die Gesetzmäßigkeiten aller Einzelheiten seiner Produktion müssen vom Warenbesitzer vollständig beherrscht sein, wenn eine rationale Kalkulation möglich werden soll. Die Chancen der Verwertung, die Gesetze des "Marktes" müssen zwar ebenfalls rational im Sinne einer Berechenbarkeit, einer Wahrscheinlichkeitsrechnung sein. Sie dürfen aber nicht in demselben Sinn wie die Einzelerscheinungen von einem "Gesetz" beherrscht sein, sie dürfen unter keinen Umständen rational durchorganisiert sein. Dies allein schließt freilich keineswegs das Herrschen eines "Gesetzes" für das Ganze aus. Nur müßte dieses "Gesetz" einerseits das "unbewußte" Produkt der selbständigen Tätigkeit der voneinander unabhängigen einzelnen Warenbesitzer sein, also ein Gesetz der aufeinander wirkenden "Zufälligkeiten" und nicht das der wirklich rationalen Organisation. Andererseits muß aber diese Gesetzmäßigkeit sich nicht nur über die Köpfe der Einzelnen hinweg durchsetzen, sondern sie darf auch  niemals vollständig und adäquat erkennbar  sein. Denn die vollständige Erkenntnis des Ganzen würde dem Subjekt dieser Kenntnis eine derartige Monopolstellung sichern, die gleichbedeutend mit der Aufhebung der kapitalistischen Wirtschaft wäre.

Diese Irrationalität, diese - äußerst problematische - "Gesetzmäßigkeit" des Ganzen, eine Gesetzmäßigkeit, die von der der Teile  prinzipiell und qualitativ  verschieden ist, ist aber gerade in dieser Problematik nicht nur ein Postulat, eine Voraussetzung für das Funktionieren der kapitalistischen Wirtschaft, sie ist zugleich das Produkt der kapitalistischen Arbeitsteilung. Es wurde bereits hervorgehoben, daß diese Arbeitsteilung jeden organisch einheitlichen Arbeits- und Lebensprozeß zerreißt, in seine Elemente zerlegt, um diese rationell und künstlich isolierten Teilfunktionen durch ihnen psychisch und physisch besonders angepaßte "Spezialisten" in der rationalsten Weise verrichten zu lassen. Diese Rationalisierung und Isolierung der Teilfunktionen hat aber zu notwendigen Folge, daß jede von ihnen sich verselbständigt und die Tendenz hat, sich unabhängig von den anderen Teilfunktionen der Gesellschaft (oder jenes Teils der Gesellschaft, dem sie zugehört) auf eigene Faust, nach der Logik ihrer Spezialität weiterzuentwickeln. Und diese Tendenz wächst verständlicherweise mit zunehmender und mit zunehmend rationalisierter Arbeitsteilung. Denn umso entwickelter diese ist, desto stärker werden jene Berufs -, Standesinteressen usw. der "Spezialisten", die zu den Trägern solcher Tendenzen werden. Und diese auseinandergehende Bewegung beschränkt sich nicht auf Teile eines bestimmten Gebietes. Ja, sie ist noch klarer wahrnehmbar, wenn wir die großen Gebiete betrachten, die die gesellschaftliche Arbeitsteilung hervorbringt. So beschreibt ENGELS (30) diesen Prozeß in der Beziehung von Recht und Wirtschaft: "Mit dem Recht ist es ähnlich: so wie die Arbeitsteilung nötig wird, die  Begriffsjuristen  schafft, ist wieder ein neues selbständiges Gebiet eröffnet, das bei all seiner allgemeinen Abhängigkeit von der Produktion und dem Handel doch auch eine besondere Reaktionsfähigkeit gegen diese Gebiete besitzt. In einem modernen Staat muß das Recht nicht nur der allgemeien ökonomischen Lage entsprechen, ihr Ausdruck sein, sondern auch ein  in sich zusammenhängender Ausdruck,  der sich nicht durch innere Widersprüche selbst ins Gesicht schlägt. Und um das fertigzubringen, geht die Treue der Abspiegelung der ökonomischen Verhältnisse mehr und mehr in die Brüche ..." es ist wohl kaum nötig, hier weitere Beispiele über die Inzucht und den Kampf zwischen einzelnen "Ressorts" der Verwaltung (man denke nur an die Selbständigkeit der Militärapparate von der Zivilverwaltung), Fakultäten usw. anzuführen.

3. Durch die Spezialisierung der Leistung geht jedes Bild des Ganzen verloren. Und da das Bedürfnis nach einer - wenigstens erkenntnismäßigen - Erfassung des Ganzen dennoch nicht aussterben kann, entsteht der Eindruck und der Vorwurf, als habe die ebenfalls auf diese Weise arbeitende, d. h. ebenfalls in dieser Unmittelbarkeit steckenbleibende Wissenschaft die Totalität der Wirklichkeit in Stücke gerissen, über ihre Spezialisierung den Blick für das Ganze verloren. Solchen Vorwürfen, daß "die Momente nicht in ihrer Einheit" gefaßt werden, gegenüber hebt Marx (31) richtig hervor, daß der Vorwurf erhoben wird "als wenn dieses Auseinanderreißen nicht aus der Wirklichkeit in die Lehrbücher, sondern umgekehrt aus den Lehrbüchern in die Wirklichkeit gedrungen sei." So sehr aber dieser Vorwurf in seiner naiven Form zurückgewiesen zu werden verdient, so verständlich ist er, wenn das - sowohl soziologisch wie immanent methodologisch notwendige und darum "verständliche" - Treiben der modernen Wissenschaft für einen Augenblick von außen, d. h. nicht vom Standpunkt des verdinglichten Bewußtseins betrachtet wird. Ein solcher Anblick wird nun (ohne ein "Vorwurf" zu sein) offenbaren, daß je entwickelter eine moderne Wissenschaft geworden ist, je mehr sie sich die methodische Klarheit über sich selbst erarbeitet hat, sie sich desto entschiedener von den Seinsproblemen ihrer Sphäre abkehren, diese desto entschiedener aus dem Bereich der von ihr herausgearbeiteten Begreifbarkeit ausscheiden muß. Sie wird - je entwickelter, je wissenschaftlicher, desto mehr - zu einem formell abgeschlossenen System von speziellen Teilgesetzen, für das die außerhalb des eigenen Bereichts liegende Welt und mit ihr sogar in erster Reihe die ihm zur Erkenntnis aufgegebene Materie,  sein eigenes, konkretes Wirklichkeitssubstrat  als methodisch und prinzipiell  unerfaßbar  gilt. MARX (32) hat diese Frage für die Ökonomie scharf formuliert, indem er erklärte, daß "der Gebrauchswert als Gebrauchswert jenseits des Betrachtungskreises der politischen Ökonomie liegt". Und es wäre ein Irrtum, zu glauben, daß etwa Fragestellungen, wie die der "Grenznutzentheorie", über diese Schranke hinauszuführen vermögen: der Versuch, von "subjektivem" Verhalten auf dem Markt und nicht von den objektiven Produktions- und Bewegungsgesetzen der Waren, die den Markt selbst und die "subjektiven" Verhaltensarten auf dem Markt bestimmen, auszugehen, verschiebt bloß die Fragestellung auf immer abgeleitetere, immer verdinglichtere Stufen, ohne den formellen Charakter der Methode, ihre prinzipielle Ausschaltung des konkreten Materials aufzuheben. Der Akt des Tausches in seiner formellen Allgemeinheit, der ja gerade für die "Grenznutzentheorie" das Grundfaktum bleibt, hebt ebenfalls den Gebrauchswert als Gebrauchswert auf, schafft ebenfalls jene Beziehung der abstrakten Gleichheit zwischen konkret ungleichen, ja unvergleichbaren Materien, aus der diese Schranke entsteht. So ist das Subjekt des Tausches genauso abstrakt, formell und verdinglicht wie sein Objekt. Und die Schranke dieser abstrakt-formellen Methode offenbart sich eben in der abstrakten "Gesetzlichkeit" als Erkenntnisziel, das die Grenznutzentheorie genauso ins Zentrum rückt, wie es die klassische Ökonomie getan hat. Durch die formelle Abstraktion dieser Gesetzlichkeit wird aber die Ökonomie stets in ein geschlossenes Teilsystem verwandelt, das einerseits weder sein eigenes materielles Substrat zu durchdringen, noch von ihm aus den Weg zur Erkenntnis der Totalität der Gesellschaft zu finden fähig ist, das deshalb andererseits diese Materie als eine umwandelbare, ewige "Gegebenheit" auffaßt. Damit wird die Wissenschaft außerstande gesetzt, das Entstehen und das Vergehen, den gesellschaftlichen Charakter der eigenen Materie, sowie den der möglichen Stellungnahmen zu ihr und den des eigenen Formsystems zu begreifen.

Hier zeigt sich die innige Wechselwirkung einer wissenschaftlichen Methodik, die aus dem gesellschaftlichen Sein einer Klasse, aus ihren Notwendigkeiten und Bedürfnissen, dieses Sein begrifflich zu bewältigen, entsteht, und dem Sein der Klasse selbst wieder in voller Klarheit. Es ist bereits - auch in diesen Blättern - wiederholt darauf hingewiesen worden, daß die Krise das Problem ist, das dem ökonomischen Denken des Bürgertums eine unübersteigbare Schranke setzt. Wenn wir nun - unserer Einseitigkeit voll bewußt - diese Frage einmal vom rein methodischen Standpunkt betrachten, so erweist es sich, daß gerade das Gelingen der restlosen Durchrationalisierung der Ökonomie, ihr Verwandeltsein in ein abstraktes, möglichst mathematisiertes Formsystem von "Gesetzen" die methodische Schranke für die Begreifbarkeit der Krise bildet. Das qualitative Sein der "Dinge", das als unbegriffenes und ausgeschaltetes Ding-ansich, als Gebrauchswert sein außerökonomisches Leben führt, das man während des normalen Funktionierens der ökonomischen Gesetze ruhig vernachlässigen zu können meint, wird in den Krisen plötzlich (plötzlich für das verdinglichte, rationelle Denken) zum ausschlaggebenden Faktor. Oder besser gesagt: seine Wirkungen äußern sich in der Form des Nichtmehrfunktionierens dieser Gesetze, ohne daß der verdinglichte Verstand in der Lage wäre, in diesem "Chaos" einen Sinn zu erblicken. Und dieses Versagen bezieht sich nicht bloß auf die klassische Ökonomie, die in den Krisen nur "vorübergehende", "zufällige Störungen erblicken konnte, sondern auf die Gesamtheit der bürgerlichen Ökonomie. Die Unbegreifbarkeit, die Irrationalität der Krise folgt zwar auch inhaltlich aus der Klassenlage und den Klasseninteressen der Bourgeoisie, sie ist aber zugleich formell die notwendige Folge ihrer ökonomischen Methode. (Daß die beiden Moment für uns eben bloß Momente einer dialektischen Einheit sind, muß nicht ausführlich erörtert werden.) Diese methodische Notwendigkeit ist so stark, daß z. B. die Theorie TUGAN-BARANOWSKYs, als Zusammenfassung eines Jahrhundertes von Krisenerfahrungen, die Konsumtion gänzlich aus der Ökonomie auszumerzen und eine "reine" Ökonomie der bloßen Produktion zu begründen versucht. Solchen Versuchen gegenüber, die dann die Ursache der als Tatsachen nicht wegzuleugnenden Krisen in der Disproportionalität der Elemente der Produktion, also in rein quantitativen Momenten, zu finden meinen, betont HILFERDING (33) mit vollem Recht: "Man operiert nur mit den ökonomischen Begriffen  Kapital, Profit, Akkumulation usw.  und glaubt, die Lösung des Problems zu besitzen, wenn man die quantitativen Beziehungen aufgezeigt hat, aufgrund deren die einfache und erweiterte Reproduktion möglich ist oder aber Störungen auftreten müssen. Man übersieht dabei, daß diesen quantitativen Beziehungen zugleich qualitative Bedingungen entsprechen, daß sich nicht nur Wertsummen gegenüberstehen, die miteinander ohne weiteres kommensurabel sind, sondern auch Gebrauchswerte bestimmter Art, die bestimmte Eigenschaften in der Produktion und Konsumtion erfüllen müssen; daß bei der Analyse der Reproduktionsprozesse nicht nur Kapitalteile im allgemeinen einander gegenüberstehen, so daß etwa ein Zuviel oder Zuwenig von industriellem Kapital durch einen entsprechenden Teil des Geldkapitals  ausgeglichen  werden kann, auch nicht nur fixes oder zirkulierendes Kapital, sondern daß es sich zugleich um Maschinen, Rohstoffe, Arbeitskraft einer ganz bestimmten (technisch bestimmten) Art handelt, die als Gebrauchswerte dieser spezifischen Art vorhanden sein müssen, um Störungen zu vermeiden." Wie wenig jene Bewegungen der ökonomischen Phänomene, die von den "Gesetzes"-Begriffen der bürgerlichen Ökonomie ausgedrückt werden, die wirkliche Bewegung der Gesamtheit des ökonomischen Lebens zu erklären imstande sind, wie sehr diese Schranke gerade in der - von hier aus methodisch notwendigen - Unerfaßbarkeit des Gebrauchswertes, der wirklichen Konsumtioni liegt, hat MARX (34) wiederholt überzeugend geschildert.
    "Innerhalb gewisser Grenzen kann der Reproduktionsprozeß auf derselben oder erweiterten Stufe vorgehen, obgleich die aus ihm ausgestoßenen Waren nicht wirklich in die individuelle oder produktive Konsumtion eingegangen sind. Die Konsumtion der Waren ist nicht eingeschlossen in den Kreislauf des Kapitals, aus dem sie hervorgegangen sind. Soabld das Garn z. B. verkauft ist, kann der Kreislauf des im Garn dargestellten Kapitalwerts von neuem beginnen, was auch immer zunächst aus dem verkauften Garn wird. Solange das Produkt verkauft wird, geht vom Standpunkt des kapitalistischen Produzenten alles seinen regelmäßigen Gang. Der Kreislauf des Kapitalwerts, den er repräsentiert, wird nicht unterbrochen. Und ist dieser Prozeß erweitert - was die erweiterte produktive Konsumtion der Produktionsmittel einschließt -, so kann diese Reproduktion des Kapitals von einer erweiterten individuellen Konsumtion (also Nachfrage) der Arbeiter begleitet sein, da er durch eine produktive Konsumtion eingeleitet und vermittelt ist. Es kan so die Produktion von Mehrwert und mit ihr auch die individuelle Konsumtion des Kapitalisten wachsen, der ganze Reproduktionsprozeß sich im blühendsten Zustand befinden und dennoch ein großer Teil der Waren nur scheinbar in die Konsumtion eingegangen sein, in Wirklichkeit aber unverkauf in den Händen von Wiederverkäufern lagern, tatsächlich sich also noch auf dem Markt befinden."
Und es muß hierbei besonders darauf hingewiesen werden, daß diese Unfähigkeit, bis zum wirklichen materiellen Substrat der Wissenschaft durchzudringen, nicht das ! Verfehlen einzelner ist, sondern gerade desto krasser hervortritt, je entwickelter die Wissenschaft ist, je konsequenter sie - von den Voraussetzung ihrer Begriffsbildung aus - arbeitet. Es ist also keineswegs zufällig, wie dies ROSA LUXEMBURG (35) überzeugend geschildert hat, daß die große, wenn auch oft primitive, fehlerhafte und inexakte Gesamtanschauung von der Totalität des ökonomischen Lebens, die noch in QUESNAYs "Tableau économique" vorhanden war, mit der zunehmenden Exaktheit der - formalen - Begriffsbildung in der Entwicklung über SMITH zu RICARDO immer mehr verschwindet. Für RICARDO ist der Prozeß der Gesamtreproduktion des Kapitals, wobei dieses Problem nicht zu umgehen ist, kein zentrales Problem mehr.

Noch klarer und einfacher - wegen der bewußteren Verdinglichung ihrer Einstellung - erscheint diese Sachlage in der Rechtswissenschaft. Schon darum, weil hier die Frage der Unerkennbarkeit des qualitativen Inhalts von den rationalistisch-kalkulatorischen Formen aus nicht die Form der Konkurrenz zweier Organisationsprinzipien desselben Gebietes annahm (wie Gebrauchswert und Tauschwert in der Nationalökonomie), sondern von vornherein als Form-Inhalt-Problem auftrat. Der Kampf um das Naturrecht, die revolutionäre Periode der bürgerlichen Klasse geht methodisch gerade davon aus, daß die formelle Gleichheit und Universalität des Rechts, also seine Rationalität zugleich seinen Inhalt zu bestimmen imstande ist. Damit wird einerseits das vielfältige, bunte, aus dem Mittelalter stammende Privilegienrecht, andererseits die Rechtsjenseitigkeit des Monarchen bekämpft. Die revolutionäre bürgerliche Klasse lehnt es ab, in der  Tatsächlichkeit  eines Rechtsverhältnisses, in seiner Faktizität die Grundlage für seine  Gültigkeit  zu erblicken. "Verbrennt eure Gesetze und macht deren neue!" riet VOLTAIRE. "Woher die neuen nehmen? Aus der Vernunft!" (36) Der Kampf gegen das revolutionäre Bürgertum, etwa zur Zeit der Französischen Revolution, steht größtenteils noch so stark im Bann dieses Gedankens, daß diesem Naturrecht nur ein anderes Naturrecht gegenübergestellt werden kann. (BURKE, auch STAHL) Er nachdem das Bürgertum wenigstens teilweise gesiegt hat, dringt in beiden Lagern eine "kritische", eine "historische" Auffassung durch, deren Wesen sich darin zusammenfassen läßt, daß der Rechtsinhalt etwas rein Faktisches, also von den formellen Kategorien des Rechts selbst Unerfaßbares ist. Von den Forderungen des Naturrechts bleibt nur der Gedanke des lückenlosen Zusammenhangs des formellen Rechtssystems bestehen; bezeichnenderweise nennt BERGBOHM (37) alles juristisch Ungeregelte, mit Übernahme der Terminologie der Physik, "einen rechtsleeren Raum". Jedoch der Zusammenhang dieser Gesetze ist rein formell:  was  sie aussprechen "der Inhalt der Rechtsinstitute ist aber niemals juristischer, sondern stets politischer, ökonomischer Natur" (38). Damit erhält der primitive, zynisch-skeptische Kampf gegen das Naturrecht, den der "Kantianer" HUGO am Ende des 18. Jahrhunderts begann, eine "wissenschaftliche" Form. HUGO (39) begründet unter anderem den Rechtscharakter der Sklaverei damit, daß sie "Jahrtausende hindurch bei so vielen Millionen kultivierter Menschen wirklich Rechtens war". In dieser naiv-zynischen Offenheit kommt aber die Struktur, die das Recht in der bürgerlichen Gesellschaft in steigendem Maß erhält, ganz klar zur Geltung. Wenn JELLINEK den Rechtsinhalt metajuristisch nennt, wenn "kritische" Juristen die Erforschung des Rechtsinhalts der Geschichte, der Soziologie, der Politik usw. zuweisen, so tun sie letzten Endes doch nichts anderes als das, was bereits HUGO gefordert hat: auf die vernunftgemäße Begründbarkeit, auf die inhaltliche Rationalität des Rechts methodisch zu verzichten; im Recht nichts anderes zu erblicken als ein formales Kalkulationssystem, mit dessen Hilfe die notwendigen juristischen Folgen bestimmter Handlungungen (rebus sic stantibus [unter gleich bleibenden Umständen - wp]) möglichst exakt errechnet werden können.

Diese Rechtsauffassung verwandelt aber das Entstehen und das Vergehen des Rechts in etwas - juristisch - ebenso Unbegreifliches, wie die Krise für die Nationalökonomie unbegreifbar geworden ist. Der scharfsinnige, "kritische" Jurist KELSEN (40) sagt dann auch über das Entstehen des Rechts: "Es ist das große  Mysterium  von Recht und Staat, das sich im Gesetzgebungsakt vollzieht, und darum mag es gerechtfertigt sein, daß nur in unzulänglichen Bildern das Wesen desselben veranschaulicht wird." Oder mit anderen Worten: "Es ist eine für das Wesen des Rechts bezeichnende Tatsache, daß auch eine widerrechtlich entstandene Norm eine Rechtsnorm sein kann, daß sich mit anderen Worten die Bedingung seines rechtmäßigen Zustandekommens im Begriff des Rechts nicht aufnehmen läßt." (41) Diese erkenntniskritische Klärung könnte eine tatsächliche Klärung und damit einen Fortschritt der Erkenntnis bedeuten, wenn einerseits das in andere Disziplinen verschobene Problem der Rechtsentstehung dort wirklich eine Lösung finden würde und wenn andererseits die so entstehende, rein zur Kalkulation von Handlungsfolgen und zur klassenmäßig rationellen Durchsetzung von Handlungsarten dienende Wesensart des Rechts zugleich wirklich durchschaut werden könnte. Denn in diesem Fall würde das wirkliche, materielle Substrat des Rechts mit einem Schlag als sichtbar und begreifbar erscheinen. Aber keines von beiden ist möglich. Das Recht bleibt weiter in einer engen Beziehung zu den "ewigen Werten", wodurch in der Form von Rechtsphilosophie ein formalistisch verdünnter Neuaufguß des Naturrechts entsteht (STAMMLER). Und die wirkliche Grundlage der Rechtsentstehung, die Änderung der Machtverhältnisse der Klassen, verschwimmt und verschwindet in den sie behandelnden Wissenschaften, in denen - den Denkformen der bürgerlichen Gesellschaft gemäß - dieselben Probleme der Transzendenz des materiellen Substrats entstehen, wie in Jurisprudenz und Nationalökonomie.

Die Art der Auffassung dieser Transzendenz zeigt, wie vergeblich die Hoffnung wäre, zu erwarten, daß der Zusammenhang des Ganzen, auf dessen Erkenntnis die Einzelwissenschaften durch die Entfernung des materiellen Substrats ihrer Begriffsbildung bewußt verzichtet haben, von einer zusammenfassenden Wissenschaft, von der Philosophie geleistet werden könnte. Denn dies wäre nur möglich, wenn die Philosophie durch eine radikal anders gerichtete Fragestellung, durch ein Gerichtetsein auf die konkrete, materielle Totalität des Erkennbarn, des Zuerkennenden, die Schranken dieses in die Vereinzelung geratenen Formalismus durchbrechen würde. Dazu wäre aber ein Durchschauen der Gründe, der Genesis und der Notwendigkeit dieses Formalismus vonnöten; dazu müßten aber dann die spezialisierten Einzelwissenschaften nicht mechanisch zu einer Einheit verbunden, sondern durch die innerlich vereinheitlichende, philosophische Methode auch innerlich umgestaltet werden. Es ist klar, daß die Philosophie der bürgerlichen Gesellschaft hierzu unfähig sein mußte. Nicht als ob keine Sehnsucht nach Zusammenfassung dagewesen wäre; nicht als ob die Besten den lebensfeindlichen Mechanismus des Daseins und den lebensfremden Formalismus der Wissenschaft freudig auf sich genommen hatten.  Aber eine radikale Veränderung des Standpunktes ist auf dem Boden der bürgerlichen Gesellschaft unmöglich.  Es kann der Versuch einer - enzyklopädischen - Zusammenfassung allen Wissens als Aufgabe der Philosophie entstehen (Typus  Wundt).  Es kann der Wert der formalen Erkenntnis dem "lebendigen Leben" gegenüber überhaupt in Zweifel gezogen werden. (Die Irrationalitätsphilosophie von HAMANN bis BERGSON) Neben diesen episodischen Strömungen bleibt aber die Grundtendenz der philosophischen Entwicklung: die Resultate und die Methode der Einzelwissenschaften als notwendig, als gegeben anzuerkennen und der Philosophie die Aufgabe zuzuweisenden Grund der Gültigkeit dieser Begriffsbildungen aufzudecken und zu rechtfertigen. Die Philosophie stellt sich damit zu den Einzelwissenschaften genau so, wie jene sich zur empirischen Wirklichkeit gestellt haben. Indem für die Philosophie auf diese Weise die formalistischen Begriffsbildungen der Einzelwissenschaften zum unveränderlich gegebenen Substrat werden, ist die hoffnungslose Entfernung von einem Durchschauen der Verdinglichung, die diesem Formalismus zugrunde liegt, endgültig vollendet. Die verdinglichte Welt erscheint nunmehr - philosophisch, auf zweiter Potenz, in "kritischer" Beleuchtung - endgültig als die einzig mögliche, einzig begrifflich erfaßbare, begreifbare Welt, die für uns Menschen gegeben ist. Ob dies nun verklärend, resigniert oder verzweifelnd geschieht, ob eventuell ein Weg über das irrational-mystische Erlebnis ins "Leben" gesucht wird, kann am Wesen dieser Sachlage gar nichts ändern. Indem das moderne bürgerliche Denken nur die "Bedingungen der Möglichkeit" des Gehens jener Formen untersucht, in denen sich das ihr zugrundeliegende Sein äußert, versperrt es sich selbst den Weg zu den klaren Fragestellungen, zu den Fragen nach Entstehen und Vergehen, nach Hindu-Mythos von Wolfgang Domaschka wirklichem Wesen und Substrat, dieser Formen. Sein Scharfsinn gerät immer mehr in die Lage jener sagenhaften "Kritik" in Indien, die der alten Vorstellung gegenüber, daß die Welt auf einem Elefanten steht, die "kritische" Frage aufwarf: worauf steht der Elefant? Nachdem aber die Antwort, daß der Elefant auf einer Schildkröte steht, gefunden war, hat sich die "Kritik" dabei beruhigt. Es ist aber klar, daß selbst eine weitere ähnlich "kritische" Fragestellung höchstens ein drittes Wundertier, nicht aber die Lösung der wirklichen Frage zum Vorschein zu bringen imstande gewesen wäre.
LITERATUR: Georg Lukacs, Geschichte und Klassenbewußtsein [Studien über marxistische Dialektik] Berlin 1923
    Anmerkungen
    1) MARX, Zur Kritik der politischen Ökonomie, Seite 30
    2) MARX, Kapital III, Seite 314
    3) MARX, Kapital III und II, Seite 367
    4) MARX, Kapital I, Seite 38 - 39. Zu diesem Gegensatz vgl. rein ökonomisch den Unterschied zwischen dem Austausch der Waren zu ihrem Wert und zwischen dem zu ihren Produktionspreisen (Kapital II, Seite 1, 156 und öfter).
    5) MARX, Kapital I, Seite 133
    6) Vgl. MARX, Kapital I, Seite 286 - 287, 310 und öfter.
    7) Dieser ganze Prozeß ist historisch und systematisch im ersten Band des "Kapitals" dargestellt. Die Tatsachen selbst - freilich zumeist ohne Beziehung auf das Verdinglichungsproblem - finden sich auch in der bürgerlichen Nationalökonomie bei BÜCHER, SOMBART, A. WEBER, GOTTL usw.
    8) MARX, Kapital I, Seite 451
    9) MARX, Kapital I, Seite 320, Anm.
    10) Vom Standpunkt des  individuellen  Bewußtseins ist dieser Schein durchaus berechtigt. In Bezug auf die Klasse ist zu bemerken, daß diese Unterwerfung das Produkt eines langwierigen Kampfes gewesen ist, der mit der Organisierung des Proletariats als Klasse - auf höherem Niveau und mit veränderten Waffen - wieder einsetzt.
    11) MARX, Kapital I, Seite 338 - 339, 387 - 388, 425 und öfter. Daß diese "Kontemplation" anstrengender und entnervender sein kann als die handwerksmäßige "Aktivität", ist selbstverständlich. Dies liegt aber außerhalb unserer Betrachtungen.
    12) MARX, Elend der Philosophie, Seite 27
    13) MARX, Kapital I, Seite 309
    14) Vgl. GOTTL-OTTLILIENFELD, Wirtschaft und Technik, Grundriß der Sozialökonomie II, Seite 234f
    15) MARX, Kapital I, Seite 44
    16) Gemeint ist vor allem das kapitalistische Privateigentum ("Der heilige Max", Dokumente des Sozialismus III, Seite 363. Anschließend an diese Betrachtung finden sich hier sehr schöne Bemerkungen über das Eindringen der Verdinglichungsstruktur in die Sprache. Eine hier einsetzende geschichtsmaterialistische philologische Untersuchung könnte zu interessanten Ergebnissen führen.
    17) MARX, Kapital III, I, Seite 378-379
    18) MARX, Kapital III, II, Seite 366
    19) MAX WEBER, Gesammelte politische Schriften, München 1921, Seite 140 - 142. Der Hinweis WEBERs auf die englische Rechtsentwicklung bezieht sich nicht auf unser Problem. Über das langsame Sichdurchsetzen des ökonomisch-kalkulatorischen Prinzips vgl. auch ALFRED WEBER, "Standort der Industrien", besonders Seite 216.
    20) MAX WEBER, Wirtschaft und Gesellschaft, Seite 491
    21) MAX WEBER, a. a. O., Seite 129.
    22) Daß in  diesem  Zusammenhang der Klassencharakter des Staates usw. nicht hervorgehoben wird, stammt aus der Absicht, die Verdinglichung als  allgemeines,  struktives Grundphänomen der  ganzen  bürgerlichen Gesellschaft zu begreifen. Der Klassenstandpukt müßte ja sonst bereits bei der Betrachtung der Maschine einsetzen. Vgl. darüber den dritten Abschnitt.
    23) Vgl. dazu MAX WEBER, Politische Schriften, Seite 154
    24) Vgl. den Aufsatz von A. FOGARASI, Kommunismus, Jahrgang 11, Nr. 25/26
    25) KANT, Metaphysik der Sitten, 1. Teil, § 24
    26) ENGELS, Ursprung der Familie, Seite 183 - 184
    27) MARX, Kapital III, I, Seite 225
    28) MARX, Kapital III, I, Seite 166
    29) MARX, Kapital I, Seite 321
    30) ENGELS, Brief an Konrad Schmidt vom 27. 10. 1890 in "Dokumente des Sozialismus", Bd. 2, Seite 68
    31) KARL MARX, Zur Kritik der politischen Ökonomie, Vorwort, Seite XXI - XXII
    32) MARX, Kritik der pol. Ökonomie, a. a. O.
    33) RUDOLF HILFERDING, Finanzkapital, 2. Auflage, Seite 378 - 379.
    34) MARX, Kapital II, Seite 49
    35) ROSA LUXEMBURG, Akkumulation des Kapitals, 1. Auflage, Seite 78 - 79. Es wäre eine reizvolle Aufgabe, die methodische Beziehung dieser Entwicklung zu der der großen rationalistischen Systeme auszuarbeiten.
    36) Zitat von BERGBOHM, Jurisprudenz und Rechtsphilosophie, Seite 170
    37) BERGBOHM, a. a. O., Seite 375
    38) HUGO PREUSS, Zur Methode der juristischen Begriffskonstruktion, Schmollers Jahrbuch, Bd. 24, Seite 370
    39) GUSTAV HUGO, Lehrbuch des Naturrechts, Berlin 1799, § 141. Die Polemik von MARX gegen HUGO (Nachlaß 1, Seite 268f) steht noch auf einem hegelianischen Standpunkt.
    40) HANS KELSEN, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, Seite 411 (von mir gesperrt).
    41) FELIX SOMLO, Juristische Grundlehre, Seite 177