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JOHANNES VOLKELT
Erfahrung und Denken
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"Die gesamte Erkenntnistheorie würde vereitelt, wenn es ausschließlich ein objektives Erkennen gäbe. Denn nirgends läßt sich ein objektives Erkennen auftreiben, das keinem Fundamentalzweifel ausgesetzt wäre. Da nun der Erkenntnistheoretiker schon in seinen ersten Schritten, die er noch nicht auf ein bereits gerechtfertigtes objektives Erkennen gründen kann, doch ein Erkennen ausüben muß, so würde er, wenn es ausschließlich ein objektives Erkennen gäbe, offenbar und unvermeidlich jenem die kritische Erkenntnistheorie vereitelnden Zirkel verfallen. Die Existenz der Erkenntnistheorie hängt demnach an der Frage, ob es ein Erkennen gebe, das auf Objektivität, d. h. auf Allgemeingültigkeit und Seinsgültigkeit verzichtet und zum Ersatz dafür den Vorzug der absoluten Selbstverständlichkeit genießt."

"Das Bedenken bezieht sich darauf, daß für die Auswahl und den Fortschritt der subjektiven Wissenssätze jedes leitende Prinzip zu fehlen scheint. Meine eigenen Bewußtseinsvorgänge zeigen mir lauter Tatsachen, aber kein Prinzip, wonach ich diese Tatsachen in einer der Erkenntnistheorie förderlichen Weise auswählen und ordnen könnte. Fehlt aber ein solches Prinzip, so bleibt für die Erkenntnistheorie nur übrig, sich blind und auf gut Glück in den individuellen Bewußtseinsvorgängen herumzutreiben. Wohin soll das aber führen? Welches Interesse kann es haben, zu erfahren, was in diesem oder jenem einzelnen Bewußtsein von Moment zu Moment auftaucht und verschwindet? Ein derartiges Bezeichnen und Aufzählen des eigenen Bewußtseinskrams kann doch nie zu einer Wissenschaft hinführen."

"Es ist mir schlechterdings unmöglich, solange ich mit dieser Aufeinanderfolge von bewußten Zuständen, die ich eben als mein Ich bezeichne, identisch bin, die Grenzen meines Bewußtseins zu überspringen, aus meinem Bewußtsein herauszufahren. Ich kann diese Einsicht auch so ausdrücken, daß ich in mein Bewußtsein niemals etwas Transsubjektives als solches aufnehmen kann. Was in meinem Bewußtsein geschieht, hat immer schon die Form und Daseinsweise meines Bewußtseins. Ich bin gänzlich außerstande, der transsubjektiven Gegenstände als solcher, in ihrer Selbstheit und Nacktheit, mit meinem Bewußtsein habhaft zu werden. Ich komme nie an die Dinge ansich heran. Nach Locke, Berkeley, Hume, Kant und Schopenhauer sollte es nicht mehr nötig sein, auf das Aussprechen dieser selbstverständlichen Wahrheit besondere Mühe zu verwenden."

"Wer vom Dasein einer Körperwelt oder einer Vielheit bewußter Subjekte oder von der Gültigkeit des Gravitationsgesetzes und dgl. in einer jedem Zweifel unzugänglichen Weise überzeugt ist, besitzt diese absolute Gewißheit nicht als Ergebnis des bloßen Erkennens, sondern entweder als Ergebnis aus einer Verbindung von Erkennen und verstärkend hinzutretendem subjektiven Glauben und Fühlen oder vielleicht auch nur als reines Glaubens- und Gefühlserlebnis."

Zweites Kapitel
Fundamentalschwierigkeit, Ausgangspunkt und
Methode der Erkenntnistheorie

1. Der scheinbare Widerspruch beim Beginn der Erkenntnistheorie. Mit so unabweisbarer Notwendigkeit sich uns auch die Forderung einer voraussetzungslosen Erkenntnistheorie aufgedrängt hat, so dürfen wir uns doch nicht verhehlen, daß in dieser Forderung eine prinzipielle Schwierigkeit von größter Tragweite enthalten ist. Es läßt sich diese Schwierigkeit in der Form eines scheinbar unauflöslichen Widerspruches darstellen, der die ganze Erkenntnistheorie im allerersten Keim zu vernichten droht.

Die Erkenntnistheorie soll die Frage nach der Möglichkeit des Erkennens so beantworten, daß dabei in keiner Weise irgendwelche Erkenntnisresultate vorausgesetzt werden. Dies eben scheint gänzlich unmöglich zu sein. Der Erkenntnistheoretiker muß schon bei seinem ersten Schritt ein Erkennen ausüben; die Sätze, mit denen er seine Untersuchung beginnt, hätten keinen Sinn, wenn sie nicht mit dem Anspruch aufträten, als Erkennen zu gelten. Er hat also da, wo er die Frage nach der Möglichkeit des Erkennens erst untersuchen soll, den festen Glauben, daß sich ein solches gewinnen lasse und er übt, zumindest bei den ersten Schritten, die er tut, aufgrund dieses völlig ungeprüften Glaubens faktisch ein Erkennen aus. So ruht sein Gebäude auf gewissen Erkenntnissen, deren Gültigkeit nicht vom Ausfall der Untersuchung über die Möglichkeit des Erkennens erst abhängig ist, sondern dieser Untersuchung vielmehr zur Voraussetzung dient. So nimmt die sich als im eminentem Sinn kritisch ankündigende Erkenntnistheorie notwendig einen dogmatischen Charakter an, und ihre Erörterungen sind daher prinzipiell gerade soviel wert, als wenn sie irgendwo mitten in der Metaphysik oder Psychologie angestellt würden. Es scheint sonach nur übrig zu bleiben, die Idee einer voraussetzungslosen Erkenntnistheorie als eine widerspruchsvolle Forderung fahren zu lassen. Das Erkennen müßte dann entweder auf gut Glück ausgeübt werden oder man müßte sich bei einer Erkenntnistheorie begnügen, die sich im Zirkel bewegen würde und gerade in der Hauptsache leistungsfähig wäre, oder es müßte gar, eben wegen des Mangels an begründeten Erkenntnisprinzipien, die Partei des absoluten Skeptizismus gewählt werden.

Schon oft ist dieser Einwand gegen die kritische Erkenntnistheorie erhoben worden. Am bekanntesten ist die Art, wie ihn HEGEL vorbringt. (4) Er erkennt an, daß es ein großer und gewichtiger Schritt KANTs gewesen sei, das Erkennen der Betrachtung unterworfen zu haben. Das Verkehrte aber findet er darin, daß KANT verlangt habe, vor dem Erkennen das Erkenntnisvermögen zu untersuchen. Das Erkennen werde dabei vorgestellt wie ein Instrument, wodurch man sich der Wahrheit bemächtigen wolle und das daher, ehe man dami die Arbeit unternehme, nach seiner Fähigkeit, den Gegenstand zu packen, untersucht werden müsse. Sehe dies nicht so aus, als ob man mit Spießen und Stangen auf die Wahrheit losgehen könnte? "Ferner ist dabei die Forderung diese: man soll das Erkenntnisvermögen erkennen, ehe man erkennt. Wie man erkennen will, ist nicht zu sagen. Es ist die Geschichte, die vom Scholastikus erzählt wird, der nicht ins Wasser gehen wollte, als bis er schwimmen könne." KANT über fortwährend das Erkennen aus und meine doch immer, erst zum Erkennen kommen zu müssen. "Es geht ihm wie den Juden: der Geist geht mitten hindurch und sie merken es nicht." - In der Tat, man kann die Fundamentalschwierigkeit der kritischen Erkenntnistheorie nicht treffender und drastischer zum Ausdruck bringen, wenn vielleicht auch KANT hierdurch nicht ganz getroffen wird. Indessen paßt der Einwurf nur darum nicht völlig auf KANT, weil dieser nicht genügend voraussetzungslos, d. h. nicht genügend kritisch in seiner Erkenntnistheorie verfährt. HEGEL ließ sich übrigens durch jene Schwierigkeit nur in seiner Überzeugung bestärken, daß das Denken mit der Zusammenfassung aller seiner Energie und Innerlichkeit und in der durch sich selbst sicheren Überzeugung von seiner objektiven Erkenntnismacht sich sofort, d. h. ohne vorangehende Erwägungen über das Subjektive und Objektive seiner Faktoren, auf das Wesen der Welt zu richten habe. Er kennt daher keine besondere Erkenntnistheorie; wo in seiner Philosophie das Erkennen sich selbst betrachtet, ist diese Selbstbetrachtung unmittelbar eine Erkenntnis des objektiven Seins. (5)

Auch bei den alten Skeptikern begegnen wir jenem Einwand; nur ließen sich diese, da bei ihnen nicht, wie bei HEGEL, die kritische Gewissenhaftigkeit des Verstandes durch das siegesgewisse Pathos eines gewaltigen Denkens überwogen wurde, durch jenen scheinbar unüberwindlichen Widerspruch zu der vom Standpunkt jenes Widerspruchs unanfechtbaren Konsequenz forttreiben, daß, da es keine begründeten Kriterien des Erkennens gebe, überhaupt alles Erkennen durch und durch relativer und subjektiver Natur sei. (6)

Noch anders verhält sich LOTZE diesem Zirkel gegenüber. Er legt ihn in seiner Erkenntnislehre mit Präzision dar, schließt hieraus jedoch weder auf die Unmöglichkeit des Erkennens, noch auf die Unmöglichkeit einer spezifischen Lehre vom Erkennen, sondern er gibt  mit dem vollen Bewußtsein, damit einen Zirkel zu begehen,  eine ausführliche Untersuchung darüber, worauf die Gewißheit der Grundsätze des Erkennens subjektiv für uns beruhe und worin die Kennzeichen, nach denen wir die Wahrheit anerkennen und unterscheiden, bestehen. Nur verlangt er, daß man in dieser Lehre vom Erkennen jenen Zirkel "reinlich begehe". (7)

2. Einzige Möglichkeit der Beseitigung dieses Widerspruchs. Wir stehen sonach einer eigentümlichen Sachlage gegenüber: einerseits haben wir als eine wissenschaftliche Notwendigkeit erkannt, allem Erkennen eine voraussetzungslose Untersuchung der Möglichkeit des Erkennens voranzuschicken; andererseits steht ebenso unwiderleglich fest, daß jede solche Untersuchung schon in ihren ersten Schritten, durch welche die Möglichkeit des Erkennens doch erst geprüft und gesichert werden soll, in nichts anderem als in der faktischen Ausübung des Erkennens selber bestehen könne. Wie sollen wir uns angesichts dieser Antinomie helfen? Sollen wir mit den alten Skeptikern auf alles Erkennen verzichten oder werden wir lieber mit HEGEL den unwissenschaftlichen Entschluß fassen, das Erkennen im dogmatischen Vertrauen auf unsere Erkenntniskraft auszuüben und uns gegen die Mahnung des kritischen Gewissens ein für allemal taub zu stellen? Oder sollen wir mit LOTZE  faute de mieux  [in Ermangelung eines Besseren - wp] eine sich im Zirkel bewegende Erkenntnistheorie zu geben versuchen? In der Tat, es wäre unvermeidlich, eine dieser drei Möglichkeiten zu wählen, wenn nicht ein gewisser Umstand vorläge, über den ich bis jetzt absichtlich hinweggesehen habe.

An der Spitze meiner Erwägungen stand der Satz, daß das objektive Erkennen in seinem ganzen Umfang aus gutem Grund bezweifelt werden könne und daß daher die Philosophie mit einer Untersuchung über die Möglichkeit des objektiven Erkennens zu beginnen habe. Dabei betonte ich das Wort "objektiv" nicht besonders, weil damit nicht eine besondere Art des Erkennens, der eine andere ebenbürtig oder auch nur annähernd gleichwertig gegenüberstehe, gemeint ist. Vielmehr würde - was freilich erst an späterer Stelle bewiesen werden kann - alles Erkennen in der Wissenschaft und im gewöhnlichen Leben sofort bedeutungslos werden und seinen Zweck verfehlen, wenn man die objektiven Erkenntnisakte daraus entfernen wollte. Als objektiv nämlich wird dasjenige Erkennen bezeichnet, das erstens einen Gegenstand meint, der mehr als ein bloßer Bewußtseinsvorgang des erkennenden Individuums ist, also irgendwie außerhalb des individuellen Bewußtseins dessen, der die Erkenntnis ausübt, vorkommt, und das zweitens auf die Anerkennung aller denkenden Subjekte Anspruch erhebt. Dieses zweite Merkmal kann man als die  Allgemeingültigkeit jenes erstere als die objektive Gültigkeit im engeren Sinne oder als die  Seinsgültigkeit  bezeichnen. Daß in der Tat das objektive Erkennen diese beiden Merkmale besitzt, wird später (im dritten Abschnitt) darzutun sein.

Trotz dieser weitaus überragenden Bedeutung des objektiven Erkennens ist für unseren jetzigen Zweck gerade diese Art des Erkennens unbrauchbar; ja die gesamte Erkenntnistheorie würde vereitelt, wenn es ausschließlich ein objektives Erkennen gäbe. Denn nirgends läßt sich ein objektives Erkennen auftreiben, das jenem Fundamentalzweifel nicht ausgesetzt wäre. Da nun der Erkenntnistheoretiker schon in seinen ersten Schritten, die er noch nicht auf ein bereits gerechtfertigtes objektives Erkennen gründen kann, doch ein Erkennen ausüben muß, so würde er, wenn es ausschließlich ein objektives Erkennen gäbe, offenbar und unvermeidlich jenem die kritische Erkenntnistheorie vereitelnden Zirkel verfallen. Die Existenz der Erkenntnistheorie hängt demnach an der Frage, ob es ein Erkennen gebe, das auf Objektivität, d. h. auf Allgemeingültigkeit und Seinsgültigkeit verzichtet und zum Ersatz dafür den Vorzug der absoluten Selbstverständlichkeit genießt. Nur dann wird die Erkenntnistheorie vollkommen gesichert dastehen, wenn sie mit einer Art des Erkennens beginnt, der gegenüber jeder Zweifel von vornherein verstummen muß. Gibte es ein solches absolut unbezweifelbares Erkennen, so werden seine Ansprüche natürlich nur rein subjektiver Natur sein können. Es wird daher meine erste Aufgabe sein, die Frage zu beantworten, ob es ein rein subjektives, dabei aber absolute Unbezweifelbarkeit besitzendes Wissen gebe. Ist diese Frage mit Ja beantwortet, dann wird zweitens zu zeigen sein, daß sich dieses Wissen zum Aufbau einer voraussetzungslosen Erkenntnistheorie verwerten lasse.

3. Das Wissen von den eigenen Bewußtseinsvorgängen als einziges Mittel der Beseitigung des Widerspruchs. Der einfachste Blick auf mein eigenes Bewußtsein lehrt mich, daß ich ein Wissen von meinen eigenen Bewußtseinsvorgängen besitze. Dieses Wissen entbehrt der beiden Merkmale des objektiven Erkennens; denn erstens will es nichts aussagen, als was sich in meinem Bewußtsein findet; es beansprucht nicht die mindeste Geltung für ein wirkliches oder problematisches Seiendes außerhalb meines Bewußtseins. Und zweitens kann dieses Wissen auch gänzlich von Allgemeingültigkeit absehen. Zwar geschieht es wohl meistens, daß das Wissen von den eigenen Bewußtseinsvorgängen mit der ausdrücklichen oder stillschweigenden Forderung auf Anerkennung aller denkenden Subjekte ausgesprochen wird. Doch ist es auch möglich, daß ich, indem ich mir sage: es gehe jetzt dieses und jenes in meinem Bewußtsein vor, dabei völlig dahingestellt sein lasse, ob andere denkende Wesen existieren. Ich spreche dann eben ein Wissen aus, das für mich allein existiert, das mein Monolog im strengsten Sinn ist, das nicht gehört und verstanden zu werden verlangt, das sich dabei beruhigt, daß ich es eben bin, der das weiß. Freilich ist das eine künstliche Veranstaltung; doch läßt sie sich ohne weiteres herstellen. Was hindert mich, zu sagen: "ich bin gewiß, daß ich jetzt die Empfindung "süß" habe und ich kümmere mich dabei nicht um das Dasein etwa vorhandener anderer Subjekte, sondern ich sehe vor der hand davon gänzlich ab und reflektiere nur auf diese meine ganz individuelle Gewißheit." Indem ich einsehe, daß diese meine Gewißheit nicht gestört würde, auch wenn der Solipsismus Recht hätte, habe ich damit schon jene Abstraktion in der möglichst korrekten Weise vollzogen.

Wie dieses rein subjektive Wissen nicht an den Vorzügen des objektiven Wissens teilnimmt, so ist es auch dem Fundamentalmangel desselben entrückt; es stellt sich mir als etwas unbedingt Unbezweifelbares dar. Nur der Verrückte könnte bezweifeln, ob es, wenn er eben die Empfindung "süß" oder die Wahrnehmung eines Dreiecks hat, eine richtige Erkenntnis sei, wenn er den Satz ausspreche, daß in seinem Bewußtsein soeben die Empfindung "süß" oder das Wahrnehmungsbild eines Dreiecks vorhanden sei. Dieses Wissen bedarf keiner Begründung oder Rechtfertigung; es knüpft sich an dasselbe keine Schwierigkeit, keine Dunkelheit; es ist ein  absolut selbstverständliches  oder - was dasselbe ist - ein  von vornherein absolut unbezweifelbares  Wissen (8) Hier ist nicht der Ort, festzustellen, ob ich von  allen  meinen Bewußtseinsvorgängen ein absolut gewisses Wissen haben könne, oder ob gewisse Bedingungen erfüllt sein müssen, wenn das Wissen von meinen Bewußtseinsvorgängen unbezweifelbar werden solle. Dies wird im folgenden Abschnitt geschehen. Für den gegenwärtigen Zweck genügt es, daß ich von einer unbestimmt großen Menge meiner eigenen Bewußtseinsvorgänge ein Wissen besitze, das sich absoluter Selbstverständlichkeit und Unbezweifelbarkeit rühmen darf. - Jetzt ist ein Wissen aufgefunden, das zur voraussetzungslosen Prüfung der Möglichkeit des Erkennens dienen kann. Denn das Wissen von meinen eigenen Bewußtseinsvorgängen ist absolut selbstverständlich und eben darum jeder Bezweiflung entrückt. Freilich ist es der Preis der Objektivität, um den es diesen Vorzug erkauft.

Nur unter der  einen  Bedingung also läßt sich die voraussetzunglose Erkenntnistheorie herstellen, daß mit dem Aussprechen solcher rein subjektiver, dafür aber absolut selbstverständlicher Wissenssätze begonnen werde. Der Erkenntnistheoretiker darf zu Anfang nur solches aussprechen, was er mit unbezweifelbarer Gewißheit in seinem eigenen Bewußtsein vorfindet. Natürlich müssen diese Wissenssätze in der ersten Person der Einzahl vorgetragen werden; also nach dem Schema: "Ich finde in meinem Bewußtsein dies und das". Spräche der Erkenntnistheoretiker mit "Wir" oder sonst in einer auf Allgemeingültigkeit Anspruch erhebenden Form, so wäre darin zumindest soviel als objektiv erkannt vorausgesetzt, daß es außer dem Bewußtsein des Erkenntnistheoretikers noch unbestimmt viele andere Subjekte gebe, die mit einem Denken von prinzipiell gleicher Beschaffenheit ausgestattet seien.

4. Zwei Bedenken dagegen: "Leitende Prinzipien". Hier treten nun sofort  zwei Bedenken  in den Weg. Erstens scheinen solche subjektive Aufstellungen, die von der Allgemeingültigkeit gänzlich absehen, für den Aufbau der Erkenntnistheorie überhaupt völlig wertlos zu sein. Denn schließlich soll doch die Erkenntnistheorie die Möglichkeit des objektiven Erkennens  rechtfertigen;  ein solches Rechtfertigen aber muß den Charakter der Allgemeingültigkeit an sich tragen. Wie sollen nun wohl rein subjektive Wissenssätze dem Erzeugen von Allgemeingültigkeit irgendwie förderlich sein? Oder sollte das rein Subjektive imstande sein, direkt das Allgemeingültige aus sich heraus zu erzeugen? Das letztere ist offenbar eine absolut unerfüllbare Zumutung; doch auch mit jener ersteren Leistung scheint dem rein subjektiven Wissen allzuviel zugemutet sein. Ich werde diese Schwierigkeit sehr bald in einer noch bestimmteren Weise aufnehmen und zu heben suchen. Für jetzt sei nur soviel bemerkt, daß,  falls  es gelingen sollte, die Allgemeingültigkeit des Erkennens zu rechtfertigen, dann diese Allgemeingültigkeit natürlicherweise eine rückwirkende Kraft auf die rein subjektiven Sätze des Anfangs ausüben wird. Ist überhaupt das Dasein einer Mehrheit denkender Subjekte gesichert, von denen ich eine Anerkennung dessen, was mir unbezweifelbar feststeht, verlangen darf, so tritt von selbst zur rein subjektiven, sozusagen monologischen Gewißheit der Anfangssätze die Gewißheit der Anerkennung von seiten aller anderen Subjekte hinzu. So würde sich dann nachträglich der monologische Charakter der Anfangssätze aufheben und sie würden wenigstens das eine Merkmal des objektiven Erkennens: die  Allgemeingültigkeit  erhalten. Das zweite Merkmal desselben: die  Seinsgültigkeit,  muß ihnen naturgemäß für immer versagt bleiben, denn ihr Gegenstand ist ja ausdrücklicher und beabsichtigter Weise nicht ein Etwas außer dem eigenen Bewußtsein, sondern das im eigenen Bewußtsein Vorgefundene.

So würden als von einem später zu erreichenden Standpunkt aus die anfänglich rein subjektiven Aufstellungen, mit denen der Erkenntnistheoretiker zu beginnen hat, einen in der bezeichneten Weise aus Subjektivität und Objektivität gemischten Charakter erhalten. Jene anfängliche rein subjektive Beschaffenheit war eine gewaltsame Abstraktion; dagegen stellt die von einem späteren Standpunkt aus zu erwartende Korrektur die gewöhnliche Beschaffenheit derjenigen Urteile her, die das im eigenen Bewußtsein Vorgefundene aussagen. Denn wenn ich sage: ich habe Hunger, oder: dies gefällt mir, so meine ich damit, daß jeder, der in mein Bewußtsein hineinblicken könnte, die Empfindung des Hungers oder das Gefühl des Gefallens darin finden würde. Auch diejenigen Urteile, die nur die eigenen Bewußtseinsvorgänge zu ihrem Inhalt haben, treten, wie man sieht, wenn sie unbefangen ausgesprochen werden, mit dem Anspruch auf, daß jedermann ihren Inhalt als ein Ereignis im betreffenden Bewußtsein gelten lasse, d. h. sie anerkenne. Nur die eigenartige Konstellation zu Beginn der Erkenntnistheorie nötigt, von diesem sonst stillschweigend mitgemeinten Anspruch auf Allgemeingültigkeit künstlicher Weise abzusehen.

Das  zweite  Bedenken bezieht sich darauf, daß für die Auswahl und den Fortschritt der subjektiven Wissenssätze jedes leitende Prinzip zu fehlen scheint. Meine eigenen Bewußtseinsvorgänge zeigen mir lauter Tatsachen, aber kein Prinzip, wonach ich diese Tatsachen in einer der Erkenntnistheorie förderlichen Weise auswählen und ordnen könnte. Fehlt aber ein solches Prinzip, so bleibt für die Erkenntnistheorie nur übrig, sich blind und auf gut Glück in den individuellen Bewußtseinsvorgängen herumzutreiben. Wohin soll das aber führen? Welches Interesse kann es haben, zu erfahren, was in diesem oder jenem einzelnen Bewußtsein von Moment zu Moment auftaucht und verschwindet? Ein derartiges Bezeichnen und Aufzählen des eigenen Bewußtseinskrams kann doch nie zu einer Wissenschaft hinführen.

In der Tat würde für den Erkenntnistheoretiker mit dem Betrten des subjektiven und absolut unbezweifelbaren Wissensgebietes nichts gewonnen sein, wenn er sich schon zu Beginn seiner Wissenschaft nicht von Gesichtspunkten  leiten  lassen dürfte, die sich aus seinen unmittelbaren Bewußtseinstatsachen nicht herholen lassen, die also nicht absolut selbstverständlicher Natur sind. Was uns feststeht, ist dies, daß der Erkenntnistheoretiker zu Beginn nichts, was über seinen Bewußtseinskreis hinausführt und so der absoluten Unbezweifelbarkeit ermangelt,  behaupten  darf. Damit ist ihr aber keineswegs verboten, sich in der Auswahl des absolut Selbstverständlichen von irgendwelchen anderswoher genommenen Begriffen  leiten  zu lassen. Mögen sich auch die  leitenden Gesichtspunkte  keineswegs von selbst verstehen, so tut dies doch der absoluten Selbstverständlichkeit und reinen Subjektivität der unter dieser Leitung zustandegekommenen Behauptungen nicht den mindesten Abbruch, vorausgesetzt natürlich, daß diese Behauptungen nichts enthalten, als das Aufzeigen der sich unmittelbar darbietenden Beschaffenheit der eigenen Bewußtseinsvorgänge. Was ich als meinen Bewußtseinsinhalt konstatiere, bleibt in diesem seinem Charakter völlig unangetastet, mag ich bei der Wahl gerade dieses Bewußtseinsinhaltes einer närrischen Laune, einem durch das tägliche Leben eingegebenen Bedürfnis oder einem wohlerwogenen Prinzip gefolgt sein. Wenn ich etwa konstatiere, daß ich eben das Bild des blauen Himmels in der Wahrnehmung hatte und zugleich die Sonnenhitze und einen Mückenstich spürte, so steht dieses Wissen an Subjektivität und Unbezweifelbarkeit genau auf derselben Stufe, wie die folgende Erkenntnis, die ich mir infolge eines lange Zeit erwogenen Prinzips zu Bewußtsein bringe: es sei in meinen Bewußtseinsvorgängen keine Kontinuität zu entdecken. Jene Erkenntnis ist für die Erkenntnistheorie höchst gleichgültig, diese dagegen von entscheidender Wichtigkeit; beide aber enthalten nichts als ein Aufweisen eines in meinem Bewußtsein unmittelbar Vorliegenden und besitzen daher dieselbe absolute Selbstverständlichkeit. Stehen einmal die absolut selbstverständlichen Behauptungen da, so ist es für sie  durchaus  gleichgültig, ob  sie aus diesen oder jenen subjektiven Motiven hingestellt wurden. Die Erkenntnistheorie darf also sehr wohl allerhand anderswoher genommene Begriffe einführen; nur muß sie diesselben ausschließlich zu dem Zweck benutzen, von den Bewußtseinsvorgängen irgendeine sich durchaus von selbst verstehende Eigenschaft auszusagen. Mit anderen Worten: niemals darf der  Inhalt  des selbstverständlich Behaupteten von jenen leitenden Prinzipien abhängig sein; dagegen kann die  psychische Tatsache,  daß ich mir jetzt gerade diesen und keinen anderen selbstverständlichen Inhalt zu Bewußtsein bringe, ihren Grund in allem Möglichen, und so unter anderem auch in der Überzeugung haben, daß mit dem Aussprechen gerade dieses Inhalts den Zwecken einer mir vorschwebenden Wissenschaft gedient ist. - Der Leser wird sich hier von selbst an das erinnert haben, was oben über den Unterschied zwischen den tatsächlichen oder psychologischen und den wissenschaftlichen oder logischen Voraussetzungen gesagt wurde. Gemäß dieser Unterscheidung ist klar, daß die leitenden Begriffe, denen ich in der Auswahl der selbstverständlichen Sätze folge, zu den psychologischen Voraussetzungen gehören. Es ist hier ein Fall, wo sogar das leitende, methodische Prinzip zu den rein tatsächlichen Voraussetzungen des behaupteten Inhalts gehört und mit der Frage, warum dieser Inhalt gilt, schlechterdings nichts zu tun hat.

Diese wichtige Erwägung muß noch durch folgende Bemerkung ergänzt werden. Die leitenden Prinzipien empfangen naturgemäß ihre Berechtigung und Gültigkeit nicht von irgendwelchen individuellen Bewußtseinstatsachen, sondern sie beruhen auf darüber hinausreichenden Annahmen und Forderungen; sie gehören eben einem objektiven Erkennen an. Damit ist unmittelbar gesagt, daß die Sätze, in denen ich etwas von einem Bewußtseinsinhalt konstatiere, unmöglich den Inhalt jener leitenden Prinzipien in  positiver  Weise mitenthalten können. Dagegen ist es ganz wohl mit dem absolut selbstverständlichen Charakter dieser Sätze verträglich, irgendeine Seite meines Bewußtseinsinhaltes mit der Forderung des leitenden Prinzips zu vergleichen und an meinem Bewußtseinsinhalt das  Nichterfülltsein  jener Forderung oder den Gegensatz, der zwischen beiden Seiten besteht, zu konstatieren. Man nehme z. B. an, es wäre die Frage, woher wir zur Annahme einer Materie oder eines Unbewußten kommen, ein leitendes Prinzip, so könnte der absolut selbstverständliche Satz ausgesprochen werden, daß mir meine Bewußtseinsvorgänge  keine Spur  von Materie, bzw.  keine Spur  von Unbewußtem aufweisen. Durch diese  vergleichende  und  abweisende  Aufnahme eines objektiven Begriffs wird keineswegs ein objektives Element in den betreffenden Satz hineingebracht, also seine absolute Selbstverständlichkeit nicht geschädigt. Es wird damit nur  meine Kenntnis von der objektiven Bedeutung des betreffenden Wortes,  nicht aber seine objektive Gültigkeit selber vorausgesetzt. Den vorigen Satz kann ich auch so ausdrücken: wenn das Wort "Materie" oder das Wort "Unbewußtes" dies und das bedeutet, so finde ich, daß meine Bewußtseinsvorgänge nichts davon enthalten. Man sieht, daß in diesem Satz nicht die realte Gültigkeit der Materie oder des Unbewußten vorausgesetzt ist, sondern nur das  subjektive  Faktum, daß ich mit diesen Worten die Vorstellung einer gewissen objektiven Bedeutung verbinde. Selbst wenn die Materie und das Unbewußte reine Fiktionen, bloße Worte ohne ein entsprechendes Objektives wären, so würde ich doch genau ebenso sagen können, daß mein Bewußtsein nichts von Materie und Unbewußtem aufzeige. So sehr ist dieser Satz von der Voraussetzung der objektiven Gültigkeit jener Begriffe unabhängig.

So komme ich denn zu folgendem Resultat. Die absolut selbstverständlichen Sätze werden in ihrer Selbstverständlichkeit nicht geschädigt, wenn das Aufstellen derselben in der Überzeugung von der objektiven Gültigkeit gewisser leitender Prinzipien sein subjektives Motiv hat. Ja, es kann sogar der Inhalt dieser leitenden Prinzipien in vergleichender und negierender Weise in jene absolut selbstverständlichen Sätze aufgenommen werden. Denn wenn lediglich die Tatsache konstatiert wird, daß der Inhalt gewisser, auf objektive Gültigkeit Anspruch erhebender Begriffe in meinen Bewußtseinsvorgängen  nicht  vorhanden ist, so ist damit nur die subjektive Kenntnis von der Bedeutung dieser Begriff, nicht jedoch notwendig ihre objektive Gültigkeit vorausgesetzt. Diese abstrakten und zunächst pedantisch, wo nicht gar unfruchtbar erscheinenden Formulierungen werden in den folgenden Untersuchungen sich in ihrer ganzen Wichtigkeit dartun. Sie bezeichnen eben die Methode, nach welcher der Erkenntnistheoretiker zu Beginn durchweg zu verfahren hat.

Es bedarf kaum einer besonderen Hervorhebung, daß diese leitenden Begriff gleichfalls einer Prüfung unterworfen werden können und müssen. Natürlich kann diese Prüfung nicht vom Standpunkt der beginnenden Erkenntnistheorie aus geschehen, sondern erst dann, wenn der Fortschritt derselben die geeigneten Mittel an die Hand gibt. Von diesem späteren Standpunkt aus erfolgt, wenn auch nur stillschweigend, die Sanktion der leitenden Prinzipien, nach denen bei der Auswahl der selbstverständlichen Sätze vorgegangen wurde, und deren Zweckmäßigkeit der Erkenntnistheoretiker vorher bei sich privatim erwogen hatte. Erst von dort aus kann die zunächst nur psychologische Voraussetzung den Charakter einer logisch zweckmäßigen und daher gerechtfertigten Methode gewinnen. Die vom beginnenden Erkenntnistheoretiker geübte, private, geheime Prüfung und Billigung erhält dort gleichsam ihren offiziellen Charakter. Sollte indessen auch der Leser, sich auf diesen späteren Standpunkt stellend, die Sanktion verweigern, so würde damit die Richtigkeit der aufgestellten selbstverständlichen Behauptungen nicht im mindesten erschüttert sein. Diese ist vom Ausfall der Prüfung der Zweckmäßigkeit der leitenden Prinzipien gänzlich unabhängig. Durch den ungünstigen Ausfall der Prüfung wäre nur dies gesagt, daß die  Auswahl  oder  Reihenfolge  der selbstverständlichen Sätze anders hätte getroffen werden sollen.

5. Erste Aufgabe der Erkenntnistheorie. Es steht uns aus dem vorigen Kapitel fest, daß die erste große Aufgabe der Erkenntnistheorie sich mit der Erörterung der letzten, d. h. einfachsten, nicht weiter zurückführbaren Prinzipien der objektiven Erkenntnis zu beschäftigen hat. Damit ist der "leitende Gesichtspunkt" bezeichnet, dem die Erkenntnistheorie im Aufstellen der absolut selbstverständlichen Wissenssätze zu folgen hat. Es gilt nun, folgende beide Forderungen recht scharf zusammenzuhalten: einerseits soll nur absolut Selbstverständliches, nur im eigenen Bewußtsein Aufzeigbares, also das Gegenteil von objektiven Wissenssätzen, ausgesprochen werden, und andererseits sind diejenigen Prinzipien aufzusuchen, die dem objektiven Erkennen als nicht weiter ableitbare Gründe der Gewißheit zugrunde liegen. Für die Erreichung dieses letzteren Zwecks ist offenbar unter den unzähligen, absolut selbstverständlichen Sätzen zunächst keiner wichtiger als derjenige, der das absolut selbstverständliche Wissen selbst in Form eines Erkenntnisprinzips, freilich eines Erkenntnisprinzips rein subjektiver Natur, ausspricht; vorausgesetzt natürlich, daß sich das Prinzip absolut selbstverständlichen Wissens wirklich als ein absolut selbstverständlicher Satz aussprechen läßt. Sollen die dem objektiven Erkennen zugrunde liegenden Gewißheitsprinzipien scharf und rein formuliert werden, so wird es äußerst zweckdienlich sein, wenn vorher das  subjektive  Wissen auf den Grund seiner Gewißheit zurückgeführt ist. Daran wird sich dann die weitere Aufgabe knüpfen, das rein subjektive Gewißheitsprinzip in seiner Eigenart, in seiner Leistungsfähigkeit, in seiner Tragweite mit aller nur erreichbaren Präzision zu bestimmen. Wenn genau feststeht, was im Bereich des absolut selbstverständlichen Wissens liegt, so wird sich dann das  objektive  Erkennen viel leichter in seiner Eigenart würdigen, in seiner Berechtigung und Tragweite prüfen lassen. Die Provinz des objektiven Erkennens wird sich dann als ein vor jeder Vermischung geschütztes Gebiet deutlich und bestimmt abheben.

So wird es also die erste Aufgabe des Erkenntnistheoretikers sein, darauf zu achten, ob unter den absolut selbstverständlichen Sätzen sich auch solche finden, die das absolut selbstverständliche Wissen als Gewißheitsprinzip formulieren und es auf den Grund seiner Gewißheit zurückführn; und ob sich auch weiterhin solche Sätze darunter entdecken lassen, die dieses rein subjektive Gewißheitsprinzip nach Eigenart, Leistungsfähigkeit und Tragweite unzweideutig abgrenzen. Der Beginn des folgenden Abschnitts wird unmittelbar an das oben Gesagte anzuknüpfen und zu versuchen haben, ob diese Aufgabe sich durchführen lasse.

6. Die Methode des Aufzeigens der eigenen Bewußtseinsvorgänge als einzig mögliche Methode zur Feststellung der objektiven Erkenntnisprinzipien. Ich nehme nun an, daß es gelungen sei, das absolut selbstverstänliche Wissen auf den Grund seiner Gewißheit zurückzuführen und die Leistungsfähigkeit dieses subjektiven Erkenntnisprinzips genau zu bestimmen. Hiermit hat aber der Erkenntnistheoretiker noch nichts getan, was als eine direkte Verwirklichung seines Zieles, das im Aufsuchen der  objektiven  Erkenntnisprinzipen besteht, bezeichnet werden könnte. Wenn alles weiterhin gut geht, so ist jenes erste Geschäft, die Formulierung des subjektiven Erkenntnisprinzips, nur die Vorbereitung zu dieser eigentlichen Aufgabe. Es fragt sich nun, wie es der Erkenntnistheoretiker anfangen solle, um durch das ihm einzig zu Gebote stehende Mittel, durch ein Konstatieren seiner Bewußtseinstatsachen, diejenigen Prinzipien ausfindig zu machen, welche das objektive Erkennen begründen und rechtfertigen. Hier ist ein entscheidender Punkt in der Entwicklung der Erkenntnistheorie: hier muß es sich zeigen, ob und wie es möglich sei, das objektive Erkennen in voraussetzungsloser Weise zu rechtfertigen. Bis dahin ist der Erkenntnistheoretiker nicht über seine individuellen Bewußtseinstatsachen hinausgekommen; jetzt hat er darzutun, ob und wie dennoch aufgrund eines rein subjektiven Wissens es möglich und gerechtfertigt sei, ein objektives Erkennen zu gewinnnen. Das objektive Erkennen steht hier vor einem verhängnisvollen Entweder-Oder: entweder läßt sich das objektive Erkennen auf diesem rein subjektiven Boden rechtfertigen, oder es gibt überhaupt keine Möglichkeit einer Rechtfertigung desselben, womit dann der Versuch einer kritischen Philosophie als endgültig gescheitert zu betrachten wäre und nur der Rückfall in Skeptizismus oder Dogmatismus übrigbliebe. Es handelt sich hier also um die Frage, welche prinzipiellsten Gründe mich berechtigen, über meine individuellen Bewußtseinstatsachen hinauszugreifen und einer sei es kleineren oder größeren Anzahl unter ihnen die Bedeutung einer objektiven Gültigkeit zuzusprechen. Doch wie auch immer die berechtigenden Gründe für diesen eminent bedeutungsvollen Schritt ins Objektive hinaus aussehen mögen: unter allen Umständen müssen sie im Wissen von meinen individuellen Bewußtseinstatsachen enthalten sein; sonst verlieren sie sofort alle rechtfertigende Kraft.

Wer das eben Gesagte aufgefaßt hat, für den fallen damit zugleich alle Versuch, die objektiven Erkenntnisprinzipien aus den individuellen Bewußtseinstatsachen irgendwie  beweisen  zu wollen, als grundverkehrt hinweg. Es wäre überhaupt geradezu absurd, aus lauter rein subjektiven Sätzen, die nichts als Bewußtseinstatsachen in mir konstatieren, irgendwelche  Beweise  aufbauen zu wollen. Wie auch immer ich meine Bewußtseinstatsachen zusammensetzen und verflechten mag, sie sprechen stets nur sich selbst aus, verbürgen nur sich selbst, führen nicht über sich hinaus. Wer aus seinen individuellen Bewußtseinstatsachen die Möglichkeit des objektiven Erkennens als notwendig ableiten oder beweisen wollte, der würde ja schon ein Prinzip des objektiv-gültigen Beweisens voraussetzen und müßte sonach dieses selbst erst beweisen, woduch er endlos nach rückwärts getrieben würde. Mit anderen Worten: es wäre damit das voraussetzungslose Rechtfertigen des objektiven Erkennens von vornherein vereitelt.

Es bleibt somit nichts anderes übrig, als zu fragen, ob das objektive Erkennen sich durch das Aufzeigen gewisser individueller Bewußtseinstatsachen rechtfertigen lasse, ob die Prinzipien der objektiven Erkenntnis in der Form unmittelbarer Gewißheit existieren. Wer meinen Erwägungen gefolgt ist, sieht sich vor die unvermeidliche Alternative gestellt, daß die letzten Gründe, die dem objektiven Erkennen seine Gewißheit verleihen, entweder unmittelbar in gewissen Bewußtseinsphänomenen selber liegen oder daß es deren keine gibt und das objektive Erkennen völlig in der Luft hängt. Das objektive Erkennen kann seine Berechtigung schließlich nur aus gewissen Arten der subjektiven Gewißheit, aus gewissen arten des subjektiven Innewerdens herleiten und es wird die Aufgabe des Erkenntnistheoretikers sein, in dieser Absicht unter seinen Bewußtseinserscheinungen Umschau zu halten. Gibt es wirklich solche Formen der subjektiven Gewißheit, die durch das, was sie unmittelbar enthalten und aussprechen, das objektive Erkennen verbürgen, so wird der Erkenntnistheoretiker wahrscheinlich nicht lange zu spähen und zu lauschen haben, sondern sehr bald werden sich ihm unter seinen Bewußtseinsvorgängen solche präsentieren, die mit vernehmlicher Stimme ihre objektive Bedeutung verkünden, die als prinzipiell mehr denn als bloß subjektive Ereignisse angesehen sein wollen. Und nun wird er nichts anderes tun können, als einfach aussprechen, in welcher Form sich beim unmittelbaren Haben und Erleben dieser Bewußtseinsvorgänge ihre objektive Bedeutung bezeugt, und was als das, worauf es in dieser unmittelbaren Selbstbezeugung jedesmal ankommt, anzusehen sei. Mit dem Aufzeigen sämtlicher allgemeinster Arten subjektiver Gewißheit, die sich unmittelbar als objektiv bezeugen und bewähren, ist die erste Hauptaufgabe des Erkenntnistheoretikers beendet, denn dann ist das objektive Erkennen auf seine letzten rechtfertigenden Prinzipien zurückgeführt. - Übrigens wird sich weiterhin zeigen, daß es streng genommen nur eine einzige Form subjektiver Gewißheit gibt, die ein objektives Erkennen verbürgt und begründet.

So bestehen also die grundlegenden Schritte der Erkenntnistheorie nicht in einem Beweisen, sondern in einem  Aufzeigen,  sie wollen nicht Verborgenes erschließen, sondern nur im Bewußtsein Vorhandenes auch wirklich  zu Bewußtsein bringen.  Soll die Möglichkeit des objektiven Erkennens gerechtfertigt werden, so kann das nur durch  ein empirisches Konstatieren,  durch ein Aufdecken  von Tatsachen  geschehen und selbstverständlich können das immer nur Tatsachen des eigenen Bewußtseins sein. Und von diesen wieder sind nur solche zweckdienlich, welche in ihrer Bewußtseinsunmittelbarkeit sich doch zugleich als ein objektiv Gültiges bezeugen. So hat sich demnach dieses grundlegende Aufzeigen und Feststellen in der Hauptsache auf die Art und Weise zu erstrecken, wie in gewissen Bewußtseinsvorgängen sich unmittelbar ein objektivgültiger Gehalt verkündet. Die Erkenntnistheorie durchforscht das empirische Bewußtsein, um festzustellen, an welchen Punkten desselben die Evidenz des Objektiven hervorspringt. Sie will das Bewußtsein dahin führen, daß es sich die unmittelbar in ihm enthaltenen Kriterien der objektiven Gewißheit zu Bewußtsein bringt. (9)

So ist also die Methode der Erkenntnistheorie von Anfang an bis dahin, wo die Prinzipien des objektiven Erkennens aufgedeckt sind, eine  Methode des Aufzeigens der eigenen Bewußtseinsvorgänge.  Nur erstreckt sich zu Anfang das Aufzeigen auf andere Bewußtseinsvorgänge als im weiteren Verlauf. Zu Anfang werden solche Bewußtseinsvorgänge aufgezeigt, die eben nicht mehr sein wollen als subjektive Bewußtseinsvorgänge, wogegen im weiteren Verlauf der Untersuchung, wo es sich um die Auffindung der objektiven Erkenntnisprinzipien handelt, das Aufzeigen den Zweck hat, solche Bewußtseinsvorgänge ans Licht zu ziehen, denen eine Gültigkeit über das Bewußtsein hinaus innewohnt.

7. Methode der denkenden Selbstbetätigung des Bewußtseins. Jetzt stellt es sich uns noch deutlicher dar, daß die Erkenntnistheorie, wie ich schon oben ausführte, eine Theorie der  Gewißheit  ist. Was sich uns dort unter dem allgemeinen Gesichtspunkt ergab, daß das objektive Erkennen uns unmittelbar immer nur als individueller Bewußtseinsvorgang gegenwärtig ist, dies ergibt sich uns hier durch einen bestimmteren Einblick in die methodischen Bedingungen, unter denen sich allein eine voraussetzungslose Rechtfertigung des objektiven Erkennens durchführen läßt. Oben wurde zugleich hervorgehoben, daß die Erkenntnistheorie nicht nur in ihren grundlegenden Schritten, sondern auch  in ihrem weiteren Verlauf  die subjektive Haltung einer Theorie der Gewißheit besitzen werde. Darüber mögen von unserem jetzigen entwickelteren Standpunkt aus noch einige Worte gesagt sein.

Nehmen wir an: die Prinzipien des objektiven Erkennens seien in ihrer unmittelbaren Bewußtseinsexistenz aufgezeigt. Die weitere Aufgabe wird naturgemäß darin bestehen, diese Prinzipien in ihrer Eigenart und Leistungsfähigkeit, in ihren Vorzügen und Schranken, in ihrer Zusammensetzung aus subjektiven und objektiven Seiten darzulegen. Wie sich mir diese Prinzipien als unmittelbare Bewußtseinserlebnisse kundtun, so werde ich auch, um die nähere Eigenart dieser Prinzipien festzustellen, lediglich meiner eigenen Ausübung dieser Prinzipien zuzusehen haben. Will ich wissen, was die gefundenen Prinzipien für die Erkenntnis leisten, so habe ich sie eben zu betätigen, das Erkennen auf ihrer Grundlage zu versuchen und dabei ins Auge zu fassen, welche Erfahrungen sich mir bei dieser Selbstbetätigung der Prinzipien in Bezug auf die in Frage gestellten Punkte darbieten. Ich habe auf Grundlage der aufgefundenen Gewißheitsprinzipien solche Erkenntnisversuche, die für die Klarstellung der fraglichen Punkte geeignet sind, zu unternehmen und dabei achtzugeben, was dieselben in ihrem Gelingen oder Mißlingen in der fraglichen Hinsicht an den Tag legen. So ist demnach auch die Methode der weiteren erkenntnistheoretischen Untersuchungen ein empirisches Aufzeigen, ein zum Bewußtseinbringen von solchem, was unter gewissen Bedingungen in unserem Bewußtsein geschieht. Das Bewußtsein hat sich auch hier nach einer gewissen Richtung selbst zu betätigen und dieser seiner Selbstbetätigung aufmerksam zuzusehen.

Nur in einer Beziehung unterscheidet sich dieses jetzige Aufzeigen eines Bewußtseinsinhaltes vom früheren, das in den grundlegenden Schritten der Erkenntnistheorei vorkommt. Jetzt nämlich stehen die objektiven Erkenntnisprinzipien in ihrer Allgemeinheit bereits fest; sie bilden eine Errungenschaft, die bei den besonderen Untersuchungen, die sich an sie knüpfen, z. B. bei der Untersuchung über ihre Leistungsfähigkeit, schon benutzt werden darf. Wenn ich daher, um etwa diese Leistungsfähigkeit zu untersuchen, darauf achtgebe, zu welchem Gelingen oder Mißlingen das Ausüben jener Erkenntnisprinzipien führe und konstatiere, was sich mir dabei im Bewußtsein zeigt, so wird sich dieses Achtgeben und Konstatieren hier überall schon mit der Tätigkeit desjenigen objektiven Erkennens verknüpfen, das durch die im allgemeinen feststehenden Erkenntnisprinzipien bereits verbürgt ist. Das Aufzeigen und zum Bewußtseinsbringen bereits verbürgt ist. Das Aufzeigen und zum Bewußtseinbringen darf sich hier also überall schon vom objektiven Erkennen, soweit dies bereits feststeht, leiten lassen. Das Bewußtsein blickt jetzt in sich mit einem durch die schon verbürgte objektive Erkenntnis geschärften Auge, nicht mehr, wie früher, in der hilfloseren Weise des unmittelbaren Inneseins. Wo die Erkenntnistheorie derartige Untersuchungen wirklich zu führen haben wird, da erst wird es deutlicher werden, was mit diesem vom objektiven Erkennen geleiteten und geschärften Aufzeigen des im Bewußtsein Vorkommenden gemeint ist. Dort wird sich auch zeigen, daß die Objektivität des Erkennens im Grund auf einem einzigen Prinzip, dem des Logischen oder des Denkes, beruth. Mit Rücksicht hierauf kann ich die Methode, welche die Erkenntnistheorie von da an, wo im allgemeinen das Prinzip des objektiven Denkens aufgezeigt ist, befolgt,  als Methode der denkenden Selbstbetätigung des Bewußtseins  bezeichnen. Hierbei ist durch das Attribut "denkend" nicht nur dies ausgedrückt, daß es vor allem das Denken ist, das in seiner Selbstausübung aufgezeigt wird, sondern auch das weitere, daß die zusehende, aufzeigende Tätigkeit durch das Denken bestimmt und geleitet wird.

Jetzt ist auch jenes Bedenken gründlich beseitigt, welches sich in der Frage ausdrückte, wie durch lauter rein subjektive Wissenssätze das volle Gegenteil davon, die Allgemeingültigkeit des Wissens, gerechtfertigt werden könne. Diese Rechtfertigung wird dadurch möglich, daß sie sich begnügt, nichts anderes zu sein, als das subjektive Aufweisen gewisser Bewußtseinsvorgänge, in denen sich die Forderung der Allgemeingültigkeit unmittelbar erfüllt zeigt.

Ich bemerke hier ein für allemal, daß ich statt des Ausdrucks "objektiv", der wegen seiner Vieldeutigkeit oft zu Mißverständnissen Anlaß geben kann, meistens den Ausdruck  "transsubjektiv"  gebrauchen werde. Ich bezeichne als transsubjektiv alles, was es außerhalb meiner eigenen Bewußtseinsvorgänge etwa geben mag. Unter  "intersubjektiv"  wäre dann alles das zu verstehen, was jeder in seinem Bewußtsein unmittelbar vorfindet. Diese Terminie können zu schwankender oder dunkler Anwendung niemals Anlaß geben.


Drittes Kapitel
Die üblichen Voraussetzungen in den
Erkenntnistheorien der Gegenwart

1. Metaphysiklosigkeit der gegenwärtigen Erkenntnistheorie. Überblicke ich die erkenntnistheoretischen Bestrebungen der Gegenwart, so finde ich, daß, soweit sie mir bekannt sind, die Forderung der Voraussetzungslosigkeit nur äußerst selten erfüllt ist. (10) In den verschiedensten Formen und Graden werden den erkenntnistheoretischen Untersuchungen Voraussetzungen entweder vorausgeschickt oder eingeflochten. Selbst solche Darstellungen, die der Erkenntnistheorie die Stelle der grundlegenden Wissenschaft, der den Anfang allen Wissens bildenden Disziplin anweisen und sie im Sinne der Voraussetzungslosigkeit zu behandeln erklären, zeigen sich bei näherer Betrachtung nicht frei von Voraussetzungen mannigfacher Art.

Einen bedeutenden Fortschritt indessen hat die Erkenntnistheorie unserer Tage aufzuweisen. Fast allgemein ist der Grundsatz angenommen, daß sich diese Wissenschaft von den Besonderheiten der metaphysischen Systeme freizuhalten habe. Die Erkenntnistheorie wird als eine Wissenschaft betrieben, die den metaphysischen Untersuchungen voranzugehen und zur Richtschnur zu dienen hat. Und so findet man dann auch in der Tat in den neueren Bearbeitungen derselben die Weltanschauungsfragen fast durchweg beiseite gelassen; das Erkennen wird untersucht, ohne daß dabei Erörterungen oder Behauptungen über das Wesen der Welt, über das Verhältnis von Natur und Geist, von Endlichem und Unendlichem und dgl. zugrunde gelegt würden. Unsere Zeit ist gegen keine Wissenschaft so ungerecht wie gegen die Metaphysik; doch darin hat man vollkommen recht, daß man die Austreibung derselben aus den Grundlagen der Erkenntnistheorie aufs peinlichste durchzuführen bemüht ist. Vielmehr muß der Vielmehr muß der Vorwurf erhoben werden, daß auch in die neueren Darstellungen der Erkenntnistheorie mannigfache Voraussetzungen aufgenommen werden, die zwar ein harmloses, unverfängliches Aussehen haben, im Grunde aber doch metaphysischer Natur sind, daß man also in jener Austreibung der Metaphysik, trotz allen Vorsätzen, nicht scharf genug vorgeht. Welcherlei Art diese versteckt auftretenden metaphysischen Voraussetzungen sind, wird im folgenden angedeutet werden.

Indessen gibt es auch in der Gegenwart Darstellungen der Erkenntnislehre, welche in die Prüfung der Berechtigung des Wissens metaphysische Gedanken im Sinne der älteren nachkantischen Spekulation als Voraussetzungen eingehen lassen. Ich nenne nur die "Logik" von SEYDEL, worin es im Grunde die metaphysische Wesenseinheit von Denken und Sein, von Ich und Gott ist, worauf die Möglichkeit des Wissens gegründet wird. (11)

2. Psychologische Voraussetzungen. Bei einem Überblick über die Voraussetzungen, die den erkenntnistheoretischen Untersuchungen zugrunde gelegt zu werden pflegen, fallen mit besonderer Deutlichkeit die der  Psychologie  entnommenen in die Augen. Freilich hat die Untersuchung über die Möglichkeit des Erkennens, über die Gründe der Gewißheit und dgl. auf psychische Vorgänge soll eben voraussetzungslos geschehen, die Erkenntnistheorie soll sich dabei so benehmen, als ob sie von der Psychologie nichts wüßte. In nicht wenigen Erkenntnislehren jedoch werden den spezifisch erkenntnistheoretischen Erörterungen psychologische Darlegungen vorausgeschickt, auf die sich dann die Untersuchung des Erkennens bezieht und stützt. So gibt z. B. WUNDT eine eingehende Darstellung der assoziativen und apperzeptiven Vorstellungsverbindungen, um erst hieran seine logisch-erkenntnistheoretischen Untersuchungen zu knüpfen. (12)

Weit nachteiliger für die Erkenntnistheorie ist das Hereinziehen psychologischer Untersuchungen dann, wenn diese Untersuchungen mit dem Anspruch auftreten, die Erkenntnistheorie selber zu sein. Dies ist z. B. bei HORWICZ der Fall. Er sucht zu zeigen, wie das objektive Erkennen aus den elementarsten psychischen Prozessen schrittweise entspringe. Sicherlich ist das eine wichtige Aufgabe der Philosophie, nur ist sie psychologischer und nicht erkenntnistheoretischer Natur. HORWICZ hingegen will hiermit eine "wirkliche Erkenntnistheorie" liefern. Er führt seine Untersuchungen durchweg in dem Sinne, daß durch sie die Frage, wie das Erkennen Anspruch auf objektive Bedeutung erheben könne, beantwortet werden solle. (13) So setzt er also das Erkennen, wie es die Psychologie ausübt, überall als zugestanden voraus, und dennoch meint er, daß mit diesem ohne weiteres an seine Objektivität glaubenden Erkennen eine Rechtfertigung des Erkennens geleistet werden könne! - In der jüngsten Zeit hat die Ansicht von der Begründung der Erkenntnistheorie auf die Psychologie an LIPPS (14) einen entschiedenen Vertreter gefunden.

Hier muß auch die Erkenntnistheorie des  Positivismus  erwähnt werden. Aus dem zweiten Abschnitt wird sich erhellen, daß der Positivismus als der Standpunkt der reinen Erfahrung konsequenter Weise eine Erkenntnistheorie nicht geben könne. Auf dem Standpunkt der reinen Erfahrung kann es zu keinem objektiven Erkennen kommen; wie soll es also auf diesem Standpunkt eine  Rechtfertigung  des objektiven Erkennens geben? Dennoch schleicht sich begreiflicherweise bei den Positivisten die Annahme eines objektiven Erkennens in den verschiedensten Formen, doch überall in sehr großem Umfang ein, ohne daß sie dies freilich zugeben wollen. Es fehlt ihnen das klare Bewußtsein über das von ihnen selbst ausgeübte objektive Erkennen; die Prinzipien des objektiven Erkennens treten bei ihnen in Form von ihnen selbst unbewußter Voraussetzungen auf. Dies wird natürlich auch da der Fall sein, wo die Positivisten inkonsequenterweise eine Rechtfertigung des objektiven Erkennens zu geben versuchen. Diese Rechtfertigung kann bei ihnen unmöglich darin bestehen, daß dasjenige, was das Erkennen zu einem spezifisch objektiven machtn Erkennens zu geben versuchen. Diese Rechtfertigung kann bei ihnen unmöglich darin bestehen, daß dasjenige, was das Erkennen zu einem spezifisch objektiven macht, klar herausgestellt und begründet würde; denn damit würde ja der Positivismus mit vollem Bewußtsein sich selber aufgeben. Sondern es wird sich in der vermeintlichen Rechtfertigung des objektiven Erkennens alles das, worin diese Objektivität prinzipiell besteht, in der Form stillschweigender, unklarer Voraussetzungen einschleichen.

Ich werde diese den positivistischen Erkenntnistheorien zugrunde liegenden Voraussetzungen gleich weiterhin (Seite 47f) in bessere Beleuchtung rücken; für jetzt kommt es mir darauf an, zu betonen, daß neben diesen Fundamentalvoraussetzungen auch noch eine Menge psychologischer Voraussetzungen in den positivistischen Erkenntnistheorien vorkommen. Der Positivismus kennt keine andere Methode als Beschreibung, Vergleichung, höchstens (wiewohl inkonsequenterweise) Zergliederung der Bewußtseinstatsachen. Forderungen, Normen, Ziele, Ideale als etwas vom Tatsächlichen prinzipiell Verschiedenes gibt es für den Standpunkt der reinen Erfahrung nicht. Es kann daher auch die positivistische Erkenntnistheorie nichts als eine Beschreibung (und höchstens Zergliederung) der tatsächlichen Erkenntnisprozesse sein. So verwandelt sich hier die Rechtfertigung des Erkennens in eine Darlegung seines psychischen Werdens, seiner psychischen Zusammenhänge. Die Erkenntnistheorie erhält in ausführlichen Erörterungen über Empfindungen, Wahrnehmungen, Gefühle, Triebe und dgl. einen weitläufigen psychologischen Unterbau. Man muß also eine Menge psychologischer Erkenntnisse gelten lassen, erst auf dieser Grundlage soll sich das Erkennen selber rechtfertigen. Wenn man die erkenntnistheoretischen Darstellungen von CARL GÖRING (15), ALOIS RIEHL (16), AVENARIUS usw. liest, wird man sofort diese psychologische Grundlage gewahr werden. Damit soll nicht in Abrede gestellt sein, daß sich in diesen psychologisierenden Erkenntnistheorien auch Bemerkungen und Betrachtungen echt erkenntnistheoretischer Art finden.

3. Logische Voraussetzungen. Eine zweite Hauptgattung von Voraussetzungen besteht in den  logischen  Untersuchungen, sei es, daß sie den eigentlich erkenntnistheoretischen Erörterungen vorangeschickt, sei es, daß diese in jene hineingearbeitet werden. Ich werde an einer späteren Stelle dartun, daß die Logik einen wesentlichen Teil der Erkenntnistheorie bildet, daß diese durch die Ausführung ihrer eigentlichen Aufgabe von selbst zur Behandlung aller derjenigen Fragen geführt wird, die in der Logik vorzukommen pflegen. Die Darstellung der Logik in der Gegenwart hat, im Vergleich zur formalistischen und metaphysischen Logik der früheren Zeit, eine entschiedene Hinwendung auf dieses Ziel genommen; fast alle bedeutenderen neueren Werke über Logik sind unter dem erkenntnistheoretischen Gesichtspunkt verfaßt. Dagegen ist man erst selten dazu fortgeschritten, die Logik als einen Bestandteil der Erkenntnistheorie zu behandeln. Gerade die vorzüglichsten neueren Darstellungen der Logik befolgen meistenteils den umgekehrten Weg: die Erkenntnistheorie wird in die Logik hineingearbeitet. So ist es bei LOTZE, SIGWART, WUNDT u. a. Überall enthält hier die Logik gewisse Abschnitte, die vorwiegend erkenntnistheoretische Fragen behandeln.

Soviel ergibt sich nun schon aus unseren früheren Erwägungen, daß, wie auch Logik und Erkenntnistheorie im übrigen zueinander stehen mögen, die erkenntnistheoretischen Untersuchungen doch keinesfalls auf logische gebaut werden dürfen. Wer logische Untersuchungen führt, will in jedem Fall zu dem Ergebnis kommen, daß es gewisse allgemeingültige Gesetze und Formen des Denkens gibt. Werden also derartige Untersuchungen der Erkenntnistheorie vorausgeschickt, so beruth die Rechtfertigung des Erkennens selbst schon auf der Voraussetzung, daß es möglich sei, das Denken in seinen allgemeingültigen Gesetzen und Formen zu erkennen. Welche Fülle von Erkenntnissen geht also unkontrolliert voraus, bevor die Erkenntnistheorie einsetzt! Und soviel allgemein Anerkanntes auch die Logik enthalten mag, so ist doch auch selbst diesem allgemein Anerkannten keineswegs Unbezweifelbarkeit zuzusprechen. Es werden daher alle diejenigen Erkenntnistheorien, die sich auf vorausgegangene logische Untersuchungen stützen, gleich von vornherein getrübt und verschoben.

4. Ontologische Voraussetzungen. In der Voraussetzung allgemeiner Gesetze und Formen des Denkens ist aber noch viel mehr enthalten: es wird in ihr als zugestanden vorausgesetzt, daß es eine Menge bewußter Subjekte gebe, und daß die Bewußtseinsvorgänge derselben einer gemeinsamen Gesetzmäßigkeit unterliegen. Auch dies ist aber ein Erkenntnisinhalt von keineswegs selbstverständlicher Natur. So sind also, sobald die Erkenntnistheorie der Logik eingeflochten oder angehängt wird, in der logischen Grundlage zugleich auch Voraussetzungen von allgemeinster ontologischer oder metaphysischer Natur enthalten.

Derartige metaphysische Voraussetzungen können sich übrigens auch ganz abgesehen von spezifisch logischen Erörterungen einstellen. Besonders ist dies auch in den positivistischen Erkenntnistheorien der Fall. Ich sagte vorhin, daß hier naturgemäß das, was das Erkennen zu einem objektiven macht, sich in der Form stillschweigender Voraussetzungen einschmuggeln werde. Nun gehört aber zur Objektivität des Denkens dies, daß es für alle denkenden Subjekte gelte, und daß es außer dem eigenen Bewußtsein des Erkennenden eine transsubjektve Welt als Erkenntnisgegenstand gebe, sollte diese auch ausschließlich aus den Bewußtseinsvorgängen der anderen Subjekte bestehen. Und weiter gesellt sich noch die Erfordernis hinzu, daß das erkennende Verhalten der Subjekte und die Beziehungen derselben zu den zu erkennenden Gegenständen gesetzmäßig geordnet seien. Auch der Positivist kann diese Erfordernisse des objektiven Erkennens nicht entbehren; doch kann er sie nicht rechtfertigen, ja sich nicht einmal zu klarem Bewußtsein bringen, und so treten sie in seiner Erkenntnistheorie als ungerechtfertigte metaphysische Voraussetzungen auf.

So sehr sich also auch die moderne Erkenntnistheorie von metaphysischen Voraussetzungen, soweit sie für einzelne Systeme charakteristisch sind, freihält, so wenig weiß sie sich dochvon den allgemeinsten Sätzen unabhängig zu machen. Zu den genannten Sätzen kommt häufig noch der, daß es eine den Wahrnehmungen entsprechende, wenn auch unbekannte Außenwelt gebe. Diese Voraussetzung macht z. B. RIEHL, der sonst zum Positivismus neigt. Er will seine erkenntnistheoretischen Untersuchungen von der "realistischen Hypothese" aus führen: er nehme an, daß etwas vom Bewußtsein Verschiedenes und Unabhängiges existiere, unter welcher Annahme das eigentliche Problem der Erkenntnistheorie erst seine eigentliche Bedeutung und Tragweite erhalte. (17)

5. Der radikale Subjektivismus in der Erkenntnistheorie. Zum Schluß sei noch auf eine gewisse Voraussetzung hingewiesen, die gerade in den allerneuesten erkenntnistheoretischen Versuchen häufig vorkommt. Es wird uns noch öfter eine Gruppe radikaler subjektiver Idealisten beschäftigen, die eine Zuspitzung des Kantianismus nach  der  Seite hin darstellen, daß alles Sein im subjektiven Bewußtsein aufgehen, in ihm eingefangen werden soll. Diese Denker bearbeiten, da ihnen das Seiende nur als erkanntes existiert, mit besonderer Vorliebe die Erkenntnistheorie. Indessen sind sie weit davon entfernt, das Erkennen unbefangen zu prüfen, d. h. die verschiedenen möglichen Stellungen, die das Erkennen zum Seienden haben kann, zunächst als gleichwertig zu behandeln, sodann die Gewißheitsquellen im Bewußtsein aufzuzeigen und abzuschätzen und hernach über die Stellung des Erkennens zum Seienden zu entscheiden. Vielmehr steht ihnen gleich von vornherein fest, daß es ein Widerspruch sei, ein Sein, das nicht Bewußtsein wäre, anzunehmen. Das Erkennen soll sich im Widerspruch mit sich selbst setzen, wenn es ein Transsubjektives zu seinem Gegenstand haben zu können glaubt. Diese Entscheidung wird erlassen, ohne daß irgendwie vorher den Gewißheitsquellen, auf die das Erkennen seine Entscheidungen zu gründen habe, nachgespürt worden wäre; d. h. sie tritt als ein  erkenntnistheoretisches Vorurteil  auf.

Ich will beispielsweise auf SCHUPPE hinweisen. Ich stimme hierin vollkommen zu, daß die Logik keine selbständige Wissenschaft sei, sondern in die Erkenntnistheorie aufzugehen habe. Dagegen zeigt sich sogleich an der Art, wie er seine erste Frage behandelt, wie wenig voraussetzungslos er zu Werke geht. Das Hauptproblem der Erkenntnistheorie liegt in der Frage: was ist Denken? Allein was er nun mit dem Denken vornimmt, ist kein Aufweisen des rein Tatsächlichen, was sich im bewußten Denkvorgang als unbezweifelbar enthalten zeigt, sondern eine schwierige Analyse, die nur unter der Voraussetzung einer ganz bestimmten Bedeutung des Denkens für das Seiende Gültigkeit hat. Denn diese Analyse ergibt ihm sofort, daß Denken und Sein nur eine Unterscheidung des abstrahierenden Verstandes sei, daß  ein Denken ohne Inhalt  und  ein Sein ohne Gedachtwerden  zu den Unmöglichkeiten gehören. Und auf dieser Voraussetzung, daß es widersinnig sei, ein Seiendes "außerhalb des Bewußtseins" anzunehmen, baut er nun weiter. (18)

Bis zu einem gewissen Grad gehört auch REHMKE zu den Vertretern der gesteigerten Bewußtseinsimmanenz. Auch REHMKE hat die Absicht, alle Voraussetzungen fernzuhalten; beim Aufstellen erkenntnistheoretischer Beziehungen pflegt er einzuschärfen, dieselben ja nicht als reale oder Seins-Beziehungen anzusehen. Indessen zeigt es sich auch bei ihm sofort, unter welcher Fundamentalvoraussetzung er operiert. Er beginnt seine Erkenntnistheorie damit, daß er die Lehre von den Grenzen des Erkennens bekämpft. Diese Bekämpfung geschieht aber durchweg von der (sehr bald zum Vorschein kommenden) Voraussetzung aus, daß das "Bewußt-Seiende" und das "Seiende" identisch sei. Nur ist bei REHMKE diese Gleichsetzung nicht so sehr eine Folge der Meinung, daß das Erkennen sich sonst mit seiner eigenen Natur in Widerspruch setzen würde, also nicht so sehr ein erkenntnistheoretisches Vorurteil, als vielmehr ein  metaphysisches  Dogma. (19)



Zweiter Abschnitt
Die reine Erfahrung als Erkenntnisprinzip

Erstes Kapitel

Das Wissen von meinen eigenen
Bewußtseinsvorgängen als das einzige
unbezweifelbar gewisse Erkennen

1. Das Gewißheitsprinzip des absolut selbstverständlichen Wissens. Ich weiß, daß ich ein absolut selbstverständliches Wissen besitze, und daß die Erkenntnistheorie als eine voraussetzungslose Wissenschaft mit dem Aussprechen eines solchen beginnen muß (siehe oben folgende) [Wissen zum Aufbau einer]. Weiter kenne ich auch zwei "leitende Gesichtspunkte", nach denen sich die Auswahl der absolut selbstverständlichen Sätze, mit denen der Anfang gemacht werden muß, zu richten hat. Erstlich nämlich steht mir fest, daß die erste umfassende Aufgabe der Erkenntnistheorie darin besteht, die einfachsten, nicht weiter zurückführbaren Prinzipien des objektiven Erkennens bloßzulegen (oben) [Ich setze mir in diesem =7.] Und zweitens hat sich mir auch das nächstliegende Mittel zur Herbeiführung der Lösung dieser Aufgabe gezeigt: sollen die Prinzipien des objektiven Erkennens festgestellt und in ihrer Tragweite genau abgegrenzt werden, so wird zunächst dasjenige Gewißheitsprinzip, das dem subjektiven und absolut selbstverständlichen Erkennen zugrunde liegt, genau formuliert werden müssen (oben) [selbstverständlichen Sätze]. Ich habe also unter meinen Bewußtseinsvorgängen daraufhin Umschau zu halten, ob sich wohl das Prinzip des absolut selbstverständlichen Wissens selbst als eine unbezweifelbare Bewußtseinstatsache aussprechen lasse.

Für die Erreichung dieses Zwecks wäre es ganz nutzlos, wenn ich meine zusammenbestehenden und aufeinanderfolgenden einzelnen Bewußtseinsvorgänge aufzählen wollte. Wenn ich konstatiere, daß ich jetzt die Wahrnehmung des blauen Himmels und dann die der grünen Wiese habe, oder daß ich jetzt Hunger und dann Durst spüre, und wenn ich in dieser Weise fortfahren wollte, so würde ich nie zur Auffindung des Prinzips kommen, in dem sich das absolut selbstverständliche Wissen zusammenfaßt. Wie wäre es nun, wenn ich in einer gewissen verallgemeinernden Weise sagte, daß sich dieses Wissen teils auf meine Sinneswahrnehmungen, teils auf die Lust- und Unlustempfindungen, teils auf meine reproduzierten Vorstellungen usw. beziehe? Doch auch die in dieser klassifizierten Weise angegebene Mannigfaltigkeit meines Bewußtseinsinhaltes führt mich meinem Ziel nicht näher. Dagegen scheint sich dasselbe dadurch erreichen zu lassen, daß ich folgende ganz allgemeine Tatsache ausspreche: ich besitze ein absolut selbstverständliches Wissen von meinen eigenen Bewußtseinsvorgängen.

Zunächst will ich mir einige Eigentümlichkeiten dieses Satzes einprägen. Dieser Satz ist mir nicht etwa infolge eines Schlusses gewiß, den ich aus verschiedenen einzelnen Erfahrungen ziehe, sondern er ist eine für mich in gerade so selbstverständlicher Weise gewisse Tatsache, wie etwa der Satz, daß ich jetzt Hunger oder Hitze empfinde. In Verbindung mit jedem beliebigen Inhalt meines Bewußtseins werde ich dessen inne, daß es ein absolutes selbstverständliches Wissen von solchem gibt, was in meinem eigenen Bewußtsein vorkommt. Ferner hat dieser Satz das Eigentümliche, daß das von ihm ausgesprochene, absolut selbstverständliche Wissen nichts anderes zum Inhalt hat, als die Tatsache, daß meine Bewußtseinsvorgänge sich in absolut selbstverständlicher Weise gewußt, daß es eine derartige Weise des Wissens gibt, und daß meine Bewußtseinsvorgänge Gegenstand eines derartigen Wissens sind. Endlich ist ausdrücklich hervorzuheben, daß mit der absoluten Selbstverständlichkeit eo ipso [schlechterdings - wp] die absolute Unbezweifelbarkeit ausgesagt ist (vgl. oben) [Wahrnehmung eines Dreiecks]. Die absolute Selbstverständlichkeit besagt, daß die Unbezweifelbarkeit nicht etwa erst infolge irgendwelcher Begründungen, Beweise oder sonstiger Operationen, sondern ohne weiters und von vornherein stattfindet. Was sich absolut von selbst versteht, das steht einfach dadurch, daß ich es ausspreche, unbezweifelbar fest.

Ich will mir jetzt den Satz, daß ich von meinen eigenen Bewußtseinsvorgängen ein sich absolut von selbst verstehendes Wissen besitze, noch deutlicher zum Bewußtsein bringen. Und da komme ich sofort zu der unerschütterlichen Gewißheit, daß mit diesem Satz zugleich das Gewißheitsprinzip, das dem absolut selbstverständlichen Wissen von meinen Bewußtseinsvorgängen zugrunde liegt, zum Ausdruck gebracht ist. Was ich auch immer von meinem Bewußtsein mit absoluter Selbstverständlichkeit aussagen möge, so läßt sich auf die Frage, worauf diese absolut selbstverständliche Aussage beruhe, immer nur diese Antwort geben, daß meine eigenen Bewußtseinsvorgänge sich eben in absolut selbstverständlicherweise wissen lassen. Von einer noch einfacheren, tieferen Grundlage des absolut selbstverständlichen Wissens von meinen Bewußtseinsvorgängen kann keine Rede sein. Wer nach einer solchen sucht, legt damit nur an den Tag, daß er den Sinn des absolut selbstverständlichen Wissens nicht verstanden habe. Wenn ich weiß, daß ich jetzt die Empfindung des Süßen habe, so ist dies ohne Zweifel ein in psychophysischer Hinsicht vielfach vermittelter Vorgang. Allein mit der psychologischen und physiologischen Bedingtheit dieses Wissens habe ich es hier nicht zu tun. Für mich ist hier nur dies wichtig, daß für den Standpunkt, der nach der Berechtigung des Erkennens fragt, sich die Gewißheit dieses Wissens auf nichts weiteres als auf die allgemeine Tatsache zurückführen läßt, daß es eben von meinen Bewußtseinszuständen ein absolut selbstverständliches Wissen gibt. Ich bin also hiermit auf die nicht weiter ableitbare Quelle des subjektiven und absolut selbstverständlichen Wissens gestoßen, und es ist demnach die erste Aufgabe, die ich der Erkenntnistheorie gestellt habe, erfüllt. Ich kann das auch so ausdrücken, daß das Wissen von meinen eigenen Bewußtseinsvorgängen, so oft es sich vollzieht, in seiner Tatsächlichkeit sein eigenes Erkenntnisprinzip besitzt. Die unmittelbare Tatsächlichkeit dieses Wissens und das Gewißheitsprinzip desselben fallen sonach durchaus zusammen.

2. Psychologische Bedingungen des Wissens. Es wird gut sein, sich die Voraussetzungen klar zu machen, die im Bewußtsein erfüllt sein müssen, wenn ein unbezweifelbares Wissen von meinen Bewußtseinsvorgängen zustandekommen soll. Ich brauche, um diese Voraussetzungen festzustellen, nur auf das zu sehen, was in meinem Bewußtsein vorgeht, während es ein unbezweifelbares Wissen von seinen eigenen Vorgängen hat. Erstlich müssen in meinem Bewußtsein gewisse Vorgänge überhaupt stattfinden, zweitens muß es mir gelingen, meine Aufmerksamkeit auf diese zu lenken, und drittens muß es mir weiter gelingen, die Vorgänge, die sich im Blickpunkt meiner Aufmerksamkeit befinden, zu unterscheiden, zu fixieren, zu beobachten. Das einfache Haben von Bewußtseinsvorgängen ist noch nicht das Wissen von ihnen. Alle Vorgänge, die nur so nebenher, ohne Gegenstand der Aufmerksamkeit zu sein, durch mein Bewußtsein laufen, sind zwar selbstverständlich bewußt, wenn auch in dunkler Weise; darum aber sind sie nicht auch schon gewußt. (20) Aber auch das aufmerksame Betrachten des Bewußtseinsinhaltes ist noch nicht notwendig ein absolut gewisses Wissen. Wieviel Unbestimmtes, Unentwickeltes, Anklingendes, Flüchtiges taucht in meinem Bewußtsein auf, das, so sehr ich auch meine Aufmerksamekit darauf lenke, doch nicht von mir in unbezweifelbarer Weise gewußt wird. Es muß zum aufmerksamen Haben von Bewußtseinsvorgängen noch dies dazu kommen, daß es mir gelingt, mittels meiner Aufmerksamkeit dieselben in ihren Unterschieden und Abgrenzungen zu fixieren. Man nennt dieses unterscheidende Aufmerken in der Regel Beobachten. Auf die Fragen, wieweit es in meiner Macht liegt, meine Bewußtseinsvorgänge mittels meiner Aufmerksamkeit zu beobachten, welche Bedingungen der Beobachtbarkeit förderlich, und welche ihr hinderlich sind, und welche Mittel und Wege angewandt werden müssen, wenn ich in dieser Beziehung Fortschritt machen soll, habe ich hier nicht einzugehen. Erörterungen darüber mögen an anderen Stellen der Erkenntnistheorie wichtig und unentbehrlich sein. Hier genügt die Einsicht, daß, sobald ich meine Aufmerksamkeit auf meine Bewußtseinsvorgänge gerichtet habe und es mir gelungen ist, sie unterscheidend zu erfassen, ich auch, soweit das Unterscheiden reicht, ein absolut selbstverständliches Wissen von ihnen habe. Ja, dieses Wissen ist nichts anderes als das aufmerksame Haben und Unterscheiden meiner Bewußtseinsvorgänge selber. Beide Ausdrücke sind völlig gleichbedeutend.

Mit dieser Gleichsetzung ist das Wissen von meinen Bewußtseinsvorgängen keineswegs auf ein zugrunde liegendes einfacheres Prinzip zurückgeführt, sondern nur in seinen psychologischen Bedingungen aufgedeckt, wodurch allerdings zugleich ein verdeutlichendes Licht auf jenes Prinzip selber fällt. Die psychologische Natur dieser Bedingungen wird von NEUDECKER verkannt. Er hat ganz recht, nachdrücklich darauf zu dringen, daß das Haben von Empfindungen ja nicht mit dem Wissen von diesem Haben verwechselt werde. Allein er ist im Unrecht, wenn er wegen des Plus, das zum einfachen Haen hinzutreten muß. wofern daraus ein Wissen entstehen soll, dem Wissen von unseren Bewußtseinsvorgängen die unmittelbare Gewißheit abspricht und in ihm ein schwieriges erkenntnistheoretisches Problem sieht. Wären die psychologischen Bedingungen noch so kompliziert, so würden sie doch die absolute Selbstverständlichkeit jenes Wissens nicht aufheben können. (21)

Noch will ich zur Verdeutlichung eine psychologische Begleiterscheinung des Wissens von meinen Bewußtseinsvorgängen hervorheben, auf die SIGWART hinweist, und die in der Tat als Kennzeichen jenes Wissens dienen kann. Nur dann habe ich ein Wissen von meinen Bewußtseinserscheinungen, wenn ich, um SIGWARTs Worte zu gebrauchen, "den Inhalt einer bestimmten Vorstellung und dgl. festzuhalten und mit dem Bewußtsein ihrer Identität zu wiederholen imstande bin". (22) Der Genauigkeit halbe kann noch hinzugefügt werden, daß ich wenigstens unmittelbar, nachdem die Vorstellung und dgl. aus meinem Bewußtsein verschwunden ist, in der Lage sein muß, sie in der Erinnerung zu reproduzieren. Soweit ich meine Bewußtseinszustände unmittelbar nach ihrem Aufhören reproduzieren kann, soweit habe ich von ihnen ein unbezweifelbares Wissen. Doch ist die Sache nicht so zu verstehen, als ob damit ein erkenntnistheoretisches Kennzeichen angegeben wäre, das man nöttig hätte, um danach erst zu entscheiden, ob ein Wissen von den eigenen bewußten Vorgängen vorliege oder nicht. Dieses Wissen gibt sich vielmehr unmittelbar durch sich selbst kund als das, was es ist, ohne daß irgendwelche anderen Kennzeichen nötig wären; die Selbstgewißheit des Bewußtseins ist an sich selbst Kriterium der Wahrheit.

Bis jetzt habe ich nur in Bezug auf das Wissen von den gegenwärtigen oder soeben gegenwärtig gewesenen Bewußtseinsvorgängen die psychologischen Bedingungen angedeutet, die erfüllt sein müssen, damit dieses Wissen absolut gewiß sei. Nun besitze ich aber auch von weiter vergangenen Bewußtseinsvorgängen ein unbezweifelbares Wissen. So weiß ich, daß ich in meiner Kindheit und Jugend von meinen Eltern, meiner Vaterstadt, der Schule daselbst, den Lehrern an dieser Schule und dgl. häufige Wahrnehmungen hatte, und ich würde mir wie verrückt vorkommen, wenn ich an diesem Wissen zweifeln wollte. Doch ist zuzugeben, daß vergangene Bewußtseinsvorgänge in viel geringerem Umfang absolut sicher gewußt werden. Es ist, wie SIGWART ausführt, (23) die Unsicherheit der Erinnerung, infolge deren das Wissen von vergangenen Bewußtseinsvorgängen gar häufig auf Selbsttäuschung beruth, da es für die Unterscheidung der fehlbaren von der unfehlbaren Erinnerung kein allgemeines und sicheres Kriterium gibt. Doch bleibt trotzdem der Satz bestehen, daß auch vergangene Bewußtseinszustände in unzähligen Fällen unbezweifelbar sicher von mir gewußt werden. Zuweilen freilich glaube ich mit absolut unbezweifelbarer, sonnenklarer Gewißheit zu wissen, dies oder jenes früher erlebt zu haben, und dennoch stellt sich nachträglich heraus, daß ich mich geirrt habe. Allein es wäre absurd, wenn mich derlei Irrungen dahin brächten, für bezweifelbar zu halten, daß ich z. B. vor Jahren an der Universität Leipzig studiert oder vor längerer Zeit diese Uhr als Geschenk erhalten habe und dgl. Vom Standpunkt der Erkenntnistheorie müssen solche Irrungen als unbegreifliche Unachtsamkeiten, als psychologische Tücken erscheinen, die mich zwar zu gewissenhaftester Sorgfalt in der Beurteilung der Sicherheit meines Erinnerungswissens anhalten sollen, aus denen aber kein Schluß auf die allgemeine Bezweifelbarkeit des Erinnerungswissens gezogen werden darf.

3. Die Unüberspringbarkeit des Bewußtseins. Gibt es aber nicht noch ein anderes absolut selbstverständliches, von vornherein unbezweifelbares Wissen? Läßt sich nicht auch überdas, was nicht zu meinen jeweilig gegenwärtigen Bewußtseinsvorgängen gehört, manches in absolut verständlicher Weise festsetzen? Da ich nach meiner früheren Bemerkung alles, was es außerhalb meiner eigenen Bewußtseinsvorgänge geben mag, als das Gebiet des Transsubjektiven bezeichne, so kann ich diese Frage auch so formulieren: läßt sich über das Transsubjektive irgendetwas mit absoluter Selbstverständlichkeit wissen?

Es ist klar, daß hier, zu Beginn der Erkenntnistheorie, diese Frage nur in absolut selbstverständlicher Weise beantwortet werden kann. Die Antwort liegt nun in der selbstverständlichen Einsicht, daß ich, solange ich dieses mein Bewußtsein habe, mich von demselben loszulösen, aus ihm zu entfernen nicht imstande bin. Es ist mir schlechterdings unmöglich, solange ich mit dieser Aufeinanderfolge von bewußten Zuständen, die ich eben als mein Ich bezeichne, identisch bin, die Grenzen meines Bewußtseins zu überspringen, aus meinem Bewußtsein herauszufahren. Ich kann diese Einsicht auch so ausdrücken, daß ich in mein Bewußtsein niemals etwas Transsubjektives als solches aufnehmen kann. Was in meinem Bewußtsein geschieht, hat immer schon die Form und Daseinsweise meines Bewußtseins. Ich bin gänzlich außerstande, der transsubjektiven Gegenstände als solcher, in ihrer Selbstheit und Nacktheit, mit meinem Bewußtsein habhaft zu werden. Ich komme nie an die Dinge als solche (ansich) heran; wenn ich - was hier noch nicht zu entscheiden ist - überhaupt etwas von ihnen mit meinem Bewußtsein zu ergreifen, sie also zu erkennen imstande bin, so wird dies immer nur so möglich sein, daß ich bewußte Vorstellungen von den Dingen habe, bewußte Vorstellungen, denen ich eine gewisse Beziehung auf die Dinge ansich zuschreibe. Wollte ich das Transsubjektive ohne Hülle und Scheidewand empfinden, wahrnehmen, fühlen und dgl., so müßte ich, indem ich als mein Bewußtsein bestehen bleibe, mich doch zugleich seiner entledigen und mit irgendwie in das Transsubjektive verwandeln. So fest auch der naive Mensch in dem Glauben leben mag, die transsubjektiven Dinge als solche vorzustellen, so bewegt er sich doch immer nur in seinen Bewußtseinsprozessen, die er instinktiv auf die Dinge als solche deutet. Nach LOCKE, BERKELEY, HUME, KANT, SCHOPENHAUER (24) sollte es nicht mehr nötig sein, auf das Aussprechen dieser selbstverständlichen Wahrheit besondere Mühe zu verwenden.

Ich sagte, daß in dieser selbstverständlichen Einsicht die Antwort auf jene Frage liegt. Wenn es nämlich unmöglich ist, irgendetwas Transsubjektives in meinem Bewußtsein aufzufinden oder in dasselbe aufzunehmen, so ist es auch unmöglich, von diesem Transsubjektiven irgendeine selbstverständliche Erkenntnis zu gewinnen. Und zwar ist diese Unmöglichkeit nicht etwa eine Folgerung aus jener, sondern indem ich es für selbstverständlicherweise unmöglich erkläre, mit meinem Bewußtsein direkt an das Transsubjektive heran- oder in dasselbe hineinzurücken, so ist eben darin zugleich auch schon die Unmöglichkeit eines absolut selbstverständlichen oder von vornherein unbezweifelbaren Wissens vom Transsubjektiven ausgesprochen. Ich hätte also auch gleich anfänglich die Verneinung jener Frage als etwas Selbstverständliches aussprechen können. Nicht um einer vorzunehmenden Ableitung willen (denn eine solche kann es hier noch nicht geben), sondern nur der Verdeutlichung wegen wählte ich diesen Weg. Ich weiß hier noch nicht, ob sich vielleicht im Laufe des weiteren Erkennens durch allerhand Vermittlungen aus dem transsubjektiven Gebiet ein unbezweifelbares Wissen gewinnen lassen wird. Sollte dies jedoch auch der Fall sein, so würde diese Unbezweifelbarkeit doch eben nicht von vornherein bestehen, sondern erst infolge von Schlüssen und Beweisen eintreten.

Beim Beginn des philosophischen Erkennens stehen also alle Möglichkeiten in Bezug auf das Transsubjektive gleich offen; selbst von größerer oder geringerer Wahrscheinlichkeit derselben kann nicht die Rede sein. Es ist also auf meinem jetzigen Standpunkt ebensosehr möglich, daß der Inhalt meiner Vorstellungen vom Transsubjektiven diesem selbst aufs Haar gleicht, wie daß eine absolute Ungleichheit zwischen beiden Seiten stattfindet; ebenso möglich aber ist es, daß eine gewisse Verwandtschaft, eine gesetzmäßige Beziehung, also ein aus Gleichheit und Ungleichheit gemischtes Verhältnis, zwischen dem Transsubjektiven und den entsprechenden Vorstellungen besteht; ja ich muß die Möglichkeit zulassen, daß es außer meinen jeweiligen Bewußtseinsvorgängen überhaupt kein Sein gibt und so der Solispismus die einzig richtige Philosophie ist. Vom Standpunkt der Selbstgewißheit des Bewußtseins aus läßt sich über alle diese Möglichkeiten nicht das Mindeste ausmachen.

4. Auch im weiteren Verlauf des Erkennens kein absolut unbezweifelbares Wissen. Jetzt gehe ich einen kleinen Schritt weiter und frage, ob sich wohl durch ein vermittelndes Verfahren oder überhaupt auf Grundlage anderer, uns jetzt noch unbekannter Erkenntnisprinzipien eine unbezweifelbare Gewißheit über das Transsubjektive erreichen lassen wird. Vielleicht erobert sich mancher Satz, dem die von vornherein feststehende Unbezweifelbarkeit gebricht, auf dem Weg von Schlüssen und Beweisen oder überhaupt auf der Grundlage von Erkenntnisprinzipien, die von einem absolut selbstverständlichen Erkennen verschieden sind, eine unbezweifelbare Geltung. In diesem Fall würde also dem Erkennen, wenn auch nicht am Anfang, so doch nach mancherlei Mühen und Anstrengungen, der Lohn der absoluten Gewißheit in transsubjektiven Fragen zuteil werden.

Auch diese Frage muß verneint werden, und auch hier ist die Verneinung von absolut selbstverständlichem Charakter. Welche Mittel nämlich auch mein Bewußtsein anwenden mag, um das Transsubjektive zu erkennen, so wird dies doch immer nur in der Form meines Bewußtseins geschehen können. Mag dieses Erkennen nun aufgrund von Schlüssen und Beweisen oder vielleicht in der Form von Intuitionen vor sich gehen, in jedem Fall ist es in meinem Bewußtsein eingeschlossen. Ein Erkennen, das nicht in meinem Bewußtsein vor sich geht, wäre eben nicht mehr mein Erkennen. So gewiß es ist, daß mein Bewußtsein sich nicht selbst überspringen, sich nicht des Transsubjektiven als solchen bemächtigen kann, so gewiß ist es auch, daß alle Anstrengungen des Erkennens, mögen sie noch so schlau und kunstvoll ausgedacht sein, nicht über das Bewußtsein hinausgreifen. Mag mein Erkennen sich auch wie auch immer drehen und winden, mag es auch in sonnenklarer und augenscheinlicher Weise irgendetwas vom Transsubjektiven bewiesen zu haben glauben, so wird es doch immer innerhalb meines Bewußtseins gefangen gehalten. So kann sich an jeden Satz der Philosophie und der anderen Wissenschaften, der etwas vom Transsubjektiven aussagt, der Zweifel heranwagen, ob der subjektive Erkenntnisakt wohl auch eine transsubjektive Geltung hat, und es ist unmöglich, diesen Zweifel in absolut unbezweifelbarer Weise zu widerlegen. Bezeichne ich den Standpunkt, der die Möglichkeit des Wissens vom transsubjektiven Gebiet in vollem Umfang leugnet, als absoluten Skeptizismus, so kann ich auch sagen, daß der absolute Skeptizismus sich in einer jeden Zweifel unmöglich machenden Weise nicht widerlegen läßt.

So gibt es also außer dem Wissen von meinen eigenen Bewußtseinsvorgängen überhaupt kein absolut unbezweifelbares Wissen: weder ein solches, dem von vornherein, d. h. zu Beginn des Erkennens, absolute Gewißheit zukäme, noch auch ein Wissen, dem im weiteren Verlauf des Erkennens eine solch verschafft werden könnte.

Hiermit soll natürlich nicht die Möglichkeit geleugnet sein, sich über transsubjektive Gegenstände eine Überzeugung von absoluter Gewißheit zu bilden. Nur die Möglichkeit, sich auf Grundlage des Wissens eine solche Überzeugung zu bilden, stelle ich entschieden in Abrede. Wer vom Dasein einer Körperwelt oder einer Vielheit bewußter Subjekte oder von der Gültigkeit des Gravitationsgesetzes und dgl. in einer jedem Zweifel unzugänglichen Weise überzeugt ist, besitzt diese absolute Gewißheit nicht als Ergebnis des bloßen Erkennens, sondern entweder als Ergebnis aus einer Verbindung von Erkennen und verstärkend hinzutretendem subjektiven Glauben und Fühlen oder vielleicht auch nur als reines Glaubens- und Gefühlserlebnis.

5. Der exklusive Subjektivismus. Äußerungen, die mit dem Inhalt dieses Paragraphen mehr oder weniger zusammentreffen, finden man bei vielen Philosophen (25). Dennoch glaube ich unsere Frage in einem ausführlichen und lückenlosen Zusammenhang darstellen zu müssen, weil es sich hierbei um eine wahrhaft grundlegende Betrachtung handelt, und weil es nur zu leicht geschieht, daß die Bedeutung und Tragweite dieser Sätze bei den weiteren philosophischen Entwicklungen unterschätzt und vergessen wird. Ich will zum Beleg dafür auf SCHOPENHAUER hinweisen.

Nichts ist gewisser, sagt er, als daß keiner jemals aus sich herauskommt, um sich mit den von ihm verschiedenen Dingen unmittelbar zu identifizieren. Alles, wovon jemand sichere, mithin unmittelbare Kunde hat, liegt innerhalb seines Bewußtseins. Über das eigene Bewußtsein hinaus kann es keine unmittelbare Gewißheit geben. Ja noch mehr: alles, was wir kennen, liegt innerhalb des Bewußtseins. So ist dann auch der "theoretische Egoismus", wie er den Solipsismus nennt, nimmermehr zu widerlegen, er ist eine auf immer unbezwingliche Festung. (26)

Trotz dieser klaren Einsicht knüpft sich bei SCHOPENHAUER aber sofort eine gewisse Gleichsetzung an dieselbe, die ihr unbedingt widerspricht. Der Satz von der Unmöglichkeit, ein Objekt ohne das Bewußtsein, gleichsam mit einem Übersprung desselben, zu erkennen, wird von ihm unmittelbar der transsubjektiven Erkenntnis gleichgesetzt, daß das Ding-ansich nicht in den Formen des Bewußtseins (Raum, Zeit, Kausalität) existiert. Er merkt nicht, daß damit doch schon eine ganz bestimmte, wenn auch nur negative Erkenntnis des Transsubjektiven ausgesprochen ist, während doch mit dem ersten Satz, den er ganz richtig als den Ausgangspunkt und wahren Stützpunkt aller Philosophie bezeichnet, bloß soviel gesagt ist, daß alle Objekte, insofern sie erkannt werden, nur in meinem eigenen Bewußtsein existieren. Jedermann weiß, wie bestimmend diese Verwechslung für die ganze Philosophie SCHOPENHAUERs geworden ist; seine fundamentale Lehre vom "Willen" wäre ohne sie gänzlich unmöglich.

Da sich nicht nur SCHOPENHAUER, sondern auch KANT und viele andere dieser Verwechslung schuldig machen, so soll hier ein für allemal davor gewarnt werden. Die Erkenntnistheorie hat sich an ihrem Ausgangspunkt auf den Standpunkt des absoluten Skeptizismus zu stellen; nicht als ob dieser das letzte Ende des Erkenntnisstrebens wäre, sondern nur in dem Sinne, daß die Möglichkeit seiner Überwindung zu Beginn der Erkenntnistheorie gänzlich dahingestellt bleibt. Von diesem absoluten Skeptizismus wesentlich verschieden ist die Ansicht, daß die Formen des Bewußtseinsinhaltes, weil sie eben im Bewußtsein vorkommen, darum eo ipso [schlechthin - wp] von der transsubjektiven Wirklichkeit nicht gelten können. Diese Ansicht, die übrigens in verschiedenen Formen auftreten kann, mag der exklusive Subjektivismus heißen. Sie ist ein ganz bestimmter metaphysischer Standpunkt und muß daher, wie jeder metaphysische Standpunkt, zu Beginn der Erkenntnistheorie als ebenso wahrscheinlich wie unwahrscheinlich erscheinen. Trotzdem unterschiebt sich das negative Wissen des exklusiven Subjektivismus bei mangelhafter Aufmerksamkeit leicht dem Nichtwissen des absoluten Skeptizismus.
LITERATUR: Johannes Volkelt, Erfahrung und Denken - Kritische Grundlegung der Erkenntnistheorie, Hamburg und Leipzig 1886
    Anmerkungen
    4) HEGEL, Enzyklopädie § 10; Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, 3. Band, 2. Auflage
    5) Mit HEGELs Auseinandersetzung haben sich viele beschäftigt, z. B. KUNO FISCHER, Geschichte der neuern Philosophie III, 2. Auflage, Seite 24; CARL GÖRING, System der kritischen Philosophie I, Seite 16f u. a. Beide indessen werden HEGEL nicht gerecht.
    6) So führte schon KARNEADES unter den Gründen, warum es kein sicheres Wissen gebe, auch den Gedanken an, daß dann die Möglichkeit der Beweisführung erst selbst bewiesen werden müsse, dies aber eben unmöglich sie (vgl. ZELLER, Philosophie der Griechen III, 1. Teil, 3. Auflage, Seite 504). Besonders aber kam der Scharfsinn der spätere Skeptiker darauf, der stolzen Erkenntnissicherheit des menschlichen Geistes den Zirkel entgegenzuhalten, daß das Erkennen, wenn es, wie es doch unabweislich gefordert sei, die Prüfungund Begründung seiner selbst vornehmen wolle, doch schon immer sich selbst voraussetzen müsse. Es geschah dies bei AENESIDEMUS, AGRIPPA und ihren Nachfolgern besonders in der Form, daß das Kriterium des Erkennens selbst wieder fraglich sei und daher eines neuen Kriteriums bedürfe von dem aber wiederum genau dasselbe gelte; und so gehe es ins Unendlich weiter (vgl. ZELLER, a. a. O. III, 2. Teil, 3. Auflage, Seite 26, 37, 44, 46). Auch als man von der Zeit MONTAIGNEs angefangen sich wieder, vor allem in Frankreich, der Argumente der alten Skeptiker zu erinnern begann, tauchte auch jener prinzipiellste Einwurf gegen die Möglichkeit des Erkennens von neuem auf (so z. B. bei HUET in seinem "Traité philosophique de la faiblesse de l'esprit humain, Amsterdam 1723, Seite 51, 69f).
    7) LOTZE, Logik, 1874, Seite 471, 479f, 513. - Auch J. G. FICHTE in seiner Wissenschaftslehre begeht den Zirkel mit vollem Bewußtsein (Werke I, Seite 72f, 92)
    8) Das erste Kapitel des zweiten Abschnitts wird diese Eigenschaft des rein subjektiven Wissens genauer charakterisieren.
    9) WINDELBAND bestimmt in ganz ähnlicher Weise die Aufgabe der Philosophie überhaupt (Präludien, Freiburg 1884, Seite 44f). Wenn er damit auch zu weit gehen sollte, so hat er doch mit seinen dortigen Ausführungen jedenfalls die Aufgabe der Erkenntnistheorie treffend gekennzeichnet.
    10) Ein streng voraussetzungslos verfahrender Erkenntnistheoretiker ist J. J. BAUMANN. Vgl. seine Schrift "Philosophie als Orientierung über die Welt", Leipzig 1872. Auch der Art, wie er den Ausgangsstandpunkt, das Wissen von den Bewußtseinstatsachen, beschreibt und gegen Einwürfe rechtfertigt, kann ich zumeist zustimmen; wogegen mir freilich das Prinzip, wodurch er dem Skeptizismus dieses Standpunktes zu entrinnen und ein objektives Erkennen zu begründen sucht, als verfehlt erscheint.
    11) RUDOLF SEYDEL, Logik oder Wissenschaft vom Wissen, Leipzig 1866, Seite 16f und 25f. Übrigens ist die erkenntnistheoretische Grundlegung trotz der Verquickung mit Metaphysik sehr reinlich und durchsichtig ausgeführt.
    12) WILHELM WUNDT, Logik I - Erkenntnislehre, Stuttgart 1880, Seite 10 - 85.
    13) ADOLF HORWICZ, Analyse des Denkens - Grundlinien der Erkenntnistheorie (Zweiter Teil der "Psychologischen Analysen"), Halle 1875
    14) THEODOR LIPPS, Grundtatsachen des Seelenlebens, Bonn 1883
    15) CARL GÖRING verlangt noch außerdem, daß die "Theorie des Wissens" sich an den anerkannten Wissenschaften zu orientieren und den Sätzen der derselben "ohne nähere Prüfung" Glauben zu schenken habe (System der kritischen Philosophie I, Leipzig 1874, Seite 12f). So werden also von ihm diejenigen Wissenschaften, die "nachweislich viele genügend bewährte Erkenntnisse aufzuweisen haben", zur Voraussetzung der Erkenntnistheorie gemacht.
    16) ALOIS RIEHL dringt zwar mit großer Schärfe auf die Trennung von Erkenntnistheorie und Psychologie. Es sei nicht die Aufgabe der Erkenntnistheorie, zu ermitteln, wie wir, getrieben vom psychologischen Mechanismus, tatsächlich apperzipieren; vielmehr bestehe ihre Aufgabe darin, festzustellen, was wir apperzipieren  sollen,  und den  Zweck  des Erkennens zu erreichen (Der philosophische Kritizismus II, Leipzig 1879, Seite 217. Vgl. Seite 4f) Allein nichtsdestoweniger trägt seine Erkenntnistheorie jenen psychologisierenden Charakter.
    17) RIEHL, Der philosophische Kritizismus II, Seite 18
    18) WILHELM SCHUPPE, Erkenntnistheoretische Logik, Bonn 1878, Seite 15f
    19) JOHANNES REHMKE, Die Welt als Wahrnehmung und Begriff - eine Erkenntnistheorie, Berlin 1880, Seite 5 - 41.
    20) SCHUPPE macht sich dieser Gleichsetzung von Bewußtsein und Wissen schuldig (Logik, Seite 93f).
    21) GEORG NEUDECKER, Grundproblem der Erkenntnistheorie, Seite 28f
    22) CHRISTOPH SIGWART, Logik II, Tübingen 1873 - 1878, Seite 33
    23) CHRISTOPH SIGWART, Logik I, Seite 342f
    24) Vgl. auch OTTO LIEBMANN, Kant und die Epigonen, Stuttgart 1865, Seite 43. - Zur Analysis der Wirklichkeit, zweite Auflage, Straßburg 1880, Seite 28, 38. Ebenso JULIUS BAUMANN, Philosophie als Orientierung über die Welt, Seite 75f.
    25) Ich nenne unter den neueren Denkern beispielsweise LIEBMANN, SCHUPPE und BAUMANN.
    26) SCHOPENHAUER, Die Welt als Wille und Vorstellung, dritte Auflage, Bd. 1. Seite 124f; Bd. II, Seite 5f.