ra-2Albert SchäffleHeinrich Cohnvon EhrenfelsFriedrich von Wieser    
 
WILHELM LIEBKNECHT
Zur Geschichte der
Werttheorie in England

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"Jede wissenschaftliche Forschungsmethode muß beurteilt werden mit Rücksicht auf den Zweck, der mit ihr erreicht werden soll, so daß  dieselbe  Methode im einen Fall richtig, im andern falsch sein kann."

"Die abstrakte Freihandelstheorie beruth auf einer mechanischen, völlig unhistorischen Auffassung der Volkswirtschaft."

"Die Forderung, unter Beibehaltung einer Vermögens- und Erbschaftssteuer anstelle unseres heutigen komplizierten Steuersystems eine einzige allgemeine Einkommenssteuer zu setzen, ist aus  prinzipiellen  Gründen  nicht  zu verwerfen."

Teil I
Geschichtliche Darstellung
der Theorien


II. Kapitel
Von Adam Smith bis David Ricardo

Das große Werk STUARTs hätte gewiß größere und verdiente Beachtung gefunden und würde auch heute mehr gewürdigt sein, wenn es nicht wenige Jahre nach seinem Erscheinen durch das Werk von ADAM SMITH in den Hintergrund gedrängt und verdunkelt worden wäre, wozu namentlich der allmähliche Umschwung von der merkantilistischen Politik der großen Staaten zu einer freihändlerischen Praxis betrug. Unzweifelhaft ist aber JAMES STUART aufs eifrigste benutzt, aber undankbar genug, nie zitiert habe" (1). Was indessen die hier in Betracht kommenden Fragen betrifft, so dürfte feststehen, daß ADAM SMITH wesentliche Fortschritte in ihrer theoretischen Erkenntnis sowohl wie in ihrer präziseren Fassung und Terminologie gemacht hat. Bedeutende Widersprüche fehlen freilich auch bei ihm nicht. Er beginnt mit der Proklamierung der Gesamtarbeit einer Nation als Quelle all ihres Reichtums und mit der Verherrlichung der Arbeitsteilung als des wesentlichsten Fortschritts in der Produktivität der Arbeit durch Erzielung der denkbar größten Geschicklichkeit und Gewandtheit in den kleinen Teilfunktionen. So einseitig diese seine Auffassung, so ist er doch der erste, der förmlich und ausdrücklich bei der Betrachtung der Dinge an ihnen zwei Seiten scharf unterschied: den Gebrauchswert (value in use), der bei ihm identisch ist mit Nützlichkeit (utility), und den Tauschwert (value in exchange), der die Fähigkeit des Dings, andere Güter zu erlangen (the power of purchasing other goods), anzeigt. Wie andere, z. B. schon HARRIS vor ihm, nimmt auch er zur Jllustration die Beispiele des Wassers und des Diamanten, wobei er den Fehler begeht, zwischen "vernünftigem" und "unvernünftigem" Gebrauchswert zu unterscheiden.

Was ist nun das Wesen des Tauschwerts, wodurch wird er bestimmt? "Der wirkliche Preis (2) jedes Dings, das, was jedes Ding demjenigen, der es zu erwerben wünscht, wirklich kostet, ist die Mühe und Schwierigkeit der Erwerbung (The toil and trouble of aquiring it.) Was jedes Ding für den Mann, der es erworben hat und es zu veräußern wünscht oder für etwas anderes zu vertauschen wünscht, in  Wirklichkeit wert ist  (is really worth), ist die Mühe und Beschwerlichkeit, die es ihm ersparen und auf andere Leute abwälzen kann" (3).

Trotzdem aber hat man nach SMITH bei Untersuchung des Tauschwerts zwei Geschichtsperioden streng voneinander zu trennen: den ursprünglichen Zustand der Dinge, welcher der Aneignung des Bodens und der Anhäufung von Kapital vorangeht (that original state of things, which preceeds both the appropriation of land and the accumulation of stock); und den gegenwärtigen Zustand, wo diese Bedingungen vorliegen. In jenem Urzustand, wo der ganze Arbeitsertrag dem Arbeiter gehörte, und er ihn weder mit einem Grundherrn (landlord) noch mit einem Arbeitgeber (master) zu teilen hatte, wurden alle durch gleiche Arbeitsquantitäten geschaffenen Produkte natürlicherweise gegeneinander vertauscht (4). Arbeit ist hier die Quelle, und Arbeitszeit der Maßstab des Tauschwerts, wobei allerdings die verschiedene Schwierigkeit der Arbeit, die verschiedenen Grade von Geschicklichkeit und Scharfsinn, die zu ihr erforderlich sind, in Betracht zu ziehen sind. Wegen der Achtung, in der solche Talente stünden, werde dem, was durch dieselben geschaffen werde, ein höherer Wert beilegt, als ihm bei einer bloßen Berechnung der darauf verwandten Zeit gebühren würde. Die hier entstehende Schwierigkeit sucht SMITH zu beseitigen, indem er ausführt, daß der höhere Wert der Erzeugnisse dieser Talente nicht mehr als ein billiger Ersatz für die zu ihrer Erwerbung erforderte Zeit und Mühe sei.

In alledem tritt eine völlige Änderung ein mit der Aneignung des Landes und der Anhäufung vom Kapital. Jetzt erhält der Arbeiter nicht mehr den ganzen Ertrag seiner Arbeit, sondern er muß ihn mit anderen teilen; zunächst mit dem Kapitalisten, seinem Anwender (which employs him). Dieser muß einen Profit erzielen, und  daher kann die zur Erwerbung oder Erzeugung einer Ware aufgewendete Arbeitsmenge nicht mehr das einzige Element zur Bestimmung des Tauschwerts der Ware sein,  "vielmal muß offenbar noch etwas mehr gegeben werden, zur Gewährung des Gewinnes für das in Arbeitslöhnen und Rohstoffen vorgeschossene Kapital". Ein drittes Element des Preises der meisten Waren bildet schließlich die Bodenrente der Grundherren, "die ernten wollen, wo sie nicht gesät haben". Arbeitslohn, Profit und Grundrente bilden so die drei Bestandteile (component parts) des Preises der meisten Waren; trotzdem aber bleibt die Arbeit der Maßstabe des realen Werts (real value) aller drei Bestandteile,  d. h. die Arbeit, welche jeder von ihnen zu kaufen oder zu gewähren vermag  (which they can, each of them purchase or command).

Die Fehlerquelle, aus der diese ganze Konfusion SMITHs hervorgeht, hat später RICARDO mit Scharfsinn nachgewiesen, wir brauchen also an dieser Stelle nicht darauf einzugehen. Jedenfalls gibt SMITH es auf, für die bürgerliche Gesellschaft überhaupt einen letzten Bestimmungsgrund des Wertes aufzufinden; denn wenn er die Arbeitsmenge, die eine Ware zu kaufen imstande ist, als einzigen Maßstab ihres Tauschwerts hinstellt, so ist damit eine Erklärung weder der Tatsache noch der bestimmten Höhe des Tauschwerts einer beliebigen Ware gegeben, abgesehen davon, daß die Arbeit als Ware sich in nichts von den anderen Waren unterscheidet und in ihrem Wert gerade so wechselt wie die anderen Waren. Das leugnet nun freilich ADAM SMITH, indem er behauptet, daß gleiche Arbeitsmengen immer von gleichem Wert für den Arbeiter seien, wenn auch vom Standpunkt des Anwenders der Preis der Arbeit wie der jeder anderen Ware hin- und herschwanke. (5) Tatsächlich seien es die Güter, welche die Arbeiter als Lohn erhielten, die in ihrem Preis variierten. "Arbeit allein, die in ihrem Wert stets gleich bleibt, ist also der letzte und wahre Maßstab, nach welchem der Wert aller Waren zu allen Zeiten und Orten geschätzt und verglichen werden kann. Sie ist ihr wirklicher Preis, Geld nur der nominelle." (6) Dieser ganzen Argumentaion gegenüber genügt der einzige Einwand, daß es sich doch hier nicht um den Wert der Arbeit für den Arbeiter, d. h. um den Gebrauchswert der Arbeit in diesem Sinne handelt, sondern um ihren gesellschaftlichen Wert, ihren Tauschwert.

Eine sehr interessante Stelle widerspricht obiger Behauptung freilich: "Beim Austausch der fertigen Ware, sei es gegen Geld, gegen Arbeit oder gegen Waren, muß außer demjenigen, was zur Bestreitung der Anschaffungskosten des Rohstoffs und Arbeitslohns erfordert wird, noch etwas übrig bleiben, was dem Unternehmer einen Gewinn für das in das Unternehmen gesteckte Kapital gewährt.  In einem solchen Fall löst sich demnach der Wert, welchen der Arbeiter dem Stoff hinzufügt, in zwei Teile auf, deren einer seinen Lohn, der andere den Gewinn des Arbeitgebers (employers) auf die von ihm vorgeschossenen Stoffe und Löhne bildet."  (7) Zweierlei ergibt sich aus diesem Passus: erstens leitet SMITH den Zuwachs des Stoffes im Tauschwert allein aus der Arbeit des Lohnarbeiters ab, nimmt also die Arbeitswerttheorie, die er kurz darauf verwirft, auch für die moderne Gesellschaft als gültig an. Zweitens erscheint der Profit des Kapitalisten hier durchaus entstanden aus der Differenz zwischen dem Preis der Arbeit und dem durch diese selbe Arbeit dem Produkt zugesetzten Wert. Ganz zweifellos ist hier im Keim schon die MARXsche Mehrwerttheorie vorhanden, zu deren voller Begründung und Durchführung es freilich noch der Lösung mancher Widersprüche bedurfte.

Im übrigen aber gibt SMITH es auf, den Warenwert in der entwickelten bürgerlichen Gesellschaft auf ein einheitliches Prinzip zurückzuführen und versucht vielmehr die drei Bestandteile, in die jedes Volkseinkommen schließlich zu zerlegen ist, Arbeitslohn, Profit und Grundrente, auch als die notwendigen Bestandteile des Tauschwertes der meisten Waren, ja sogar als die  ursprünglichen Quellen allen Tauschwertes  (the original sources of all exchangeable value) nachzuweisen. Denjenigen Warenpreis, der genügt, um Arbeitslohn, Profit und Grundrente in ihren natürlichen Beträgen (to their natural rates) zu decken, nennt er den natürlichen Preis der Waren (the natural price of the comodities), den augenblicklichen (actual) Preis, der wirklich erzielt wird, mag er nun über oder unter dem natürlichen Preis stehen, oder mit ihm zusammen halten, den  Markt preis (market price). Der Marktpreis jeder Ware wird reguliert durch das Verhältnis der Menge der im Moment auf dem Markt befindlichen Waren zu den wirklich oder wirksam Nachfragenden (effectual demanders), d. h. denen, die gewillt und fähig sind, den natürlichen Preis der Waren zu zahlen.  Absolute Nachfrage  kommt hier nicht in Betracht. Erreicht die auf den Markt gebrachte Menge Ware nicht die wirksame Nachfrage, so wird durch die infolgedessen unter den Käufern entstehende Konkurrenz der Marktpreis mehr oder weniger über den "natürlichen" Preis steigen, je nachdem die Größe des Mangels, oder der Reichtum, oder die Verschwendung der Konkurrenten den Eifer der Bewerbung mehr oder weniger anspornt. Im entgegengesetzten Fall dagegen wird der Marktpreis in dem Maße unter den natürlichen Preis herabsinken, als die Größe der Überführung des Marktes die Konkurrenz der Verkäufer vermehrt, oder je nachdem es mehr oder minder wichtig für sie ist, ihre Ware sofort loszuschlagen. Entspricht schließlich die Warenmenge genau der wirklichen Nachfrage, so stellt sich der Marktpreis auch dem "natürlichen" Preis so nahe wie möglich.  Dauernd  kann der Marktpreis jedoch nie weder viel über noch viel unter dem natürlichen Preis stehen, da in jenem Fall neues Kapital in den betriffenden Produktionszweig verläßt; wodurch jedesmal eine Annäherung des Marktpreises an den natürlichen Preis bewirkt wird. "Der natürliche Preis ist demnach gewissermaßen der Mittelpunkt, nach dem die Preis aller Waren beständig gravitieren." (8) Er ist gleichzeitig der niedrigste Preis, der im Durchschnitt einer längeren Zeit erzielt werden muß, soll nicht alles Kapital schließlich den betreffenden Produktionszweig verlassen.

Ausnahmen von diesen allgemeinen Regeln sind entweder auf  zufälligen,  oder auf  natürlichen,  oder auf  politischen  Ursachen gegründet. Erstere liegen vor im Falle eines Fabrikgeheimnisses etc., die natürlichen im Falle eines natürlichen Monopols, wenn der gesamte produzierte und zu produzierende Betrag einer bestimmten Warensorte nicht der vorhandenen Nachfrage entspricht; der Preis wird sich hier nach dem Grad der Unterführung des Marktes mit der Ware richten, also nach dem Verhältnis von Angebot und Nachfrage. Politische Ursachen endlich sind vorhanden im Fall der Privilegien von Korporationen, der Lehrlingsstatuten und aller anderen gesetzlichen, die freie Konkurrenz beschränkenden Bestimmungen. In allen drei Fällen liegt in Wirklichkeit ein faktisches Monopol vor, welches die Konkurrenz für längere oder kürzere Zeit ausschließt. Die Folge ist, daß jene allgemeinen Preisgesetze für diese Waren nicht gelten, deren Preise vielmehr dauernd über den natürlichen Preis gehalten werden.

Fassen wir die Theorien SMITHs noch einmal kurz zusammen, so würden nach ihm in den Urzuständen der Gesellschaft die Güter nach den relativen, zu ihrer Produktion verwandten Arbeitsmengen ausgetauscht, wobei die größere Anstrengung, Geschicklichkeit oder Gewandtheit erfordernde Arbeit als ein Mehrfaches der gewöhnlichen Arbeit gerechnet wurde.

In der modernen bürgerlichen Gesellschaft dagegen wird der Tauschwert oder der natürliche oder durchschnittliche Preis der meisten Waren reguliert durch den Preis der angewandten Arbeit plus der Bodenrente plus dem durchschnittlichen Profitsatz, der jeweilige Marktpreis der Wren durch das Verhältnis des Angebots zur wirksamen Nachfrage.

Der Eindruck, den die weitgehenden Untersuchungen SMITHs auf seine Zeitgenossen machten, scheint ein bedeutender gewesen zu sein, wenn auch die Zahl der merkantilistischen Gegner in der unmittelbar folgenden Literaturperiode wohl noch überwog. Von diesen Gegnern seien genannt THOMAS POWNALL (9), CROWFORD (10), DANIEL WAKEFIELD (11), für unseren Gegenstand aber kommt vor allem in Betracht JAMES LANDERDALE. Sein Werk "An inquiry into the nature and origin of public wealth and into the means and causes of its increase", welches 1804 zu London erschien, handelt in den ersten sechs Paragraphen vom Wert und dessen Maßstab. Er scheint als erster die Wahrheit erkannt zu haben, daß eine Sache nur insofern Wert (Tauschwert) habe, als sie erstens Eigenschaften besitzt, die sie zu einem Gegenstand menschlichen Wünschens und Begehrens machen, und zweitens nicht in solcher Menge vorhanden ist, daß jeder  ohne Mühe  davon erhalten kann, soviel er will. Als Beispiel dafür nimmt er das Wasser und das Getreide. Während er also hier offenbar die Nützlichkeit einer Sache und die Arbeit, die zu ihrer Erlangung notwendig ist, als Vorbedingungen des Tauschwerts behauptet, führt er schon im nächsten Paragraphen aus, daß unter der bloßen Voraussetzung der Nützlichkeit einer Sache ihr Wert einzig und allein durch das Verhältnis der vorhandenen zur begehrten Warenmenge bestimmt werde, läßt also die Mühe oder Arbeit der Erwerbung ganz außer Acht. Der Begriff "Wert" hat nach ihm durchaus  relativen  Charakter, einen  absoluten  Wert, wie eine absolute Schönheit, eine absolute Gradheit existiert, gibt es  nicht:  "den Wert einer Sache ausdrücken können wir nur dadurch, daß wir sie mit einer anderen vergleichen." (12) Ein Wertmaß, bemerkt er gegenüber PETTY und SMITH, sei unenkbar, da es keine Sache gäbe, die in ihrem Wert unveränderlich sei. Nur eine solche aber könne als ein Maß des Wertes aller Dinge zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten dienen. Im weiteren folgen interessante Erörterungen über das Verhältnis des Nationalwohlstandes zum Reichtum des Einzelnen, die im Zusammenhang mit seiner Preistheorie stehen. Der Preis der Waren wird nach LANDERDALE steigen, erstens, wenn sich die Warenmenge, d. h. also die Zufuhr vermindert; zweitens, wenn sich die Nachfrage vermehrt; er wird sinken, erstens, wenn sich die Menge (Zufuhr) vermehrt, zweitens, wenn die Nachfrage zurücksteht. Der Preis variiert aber nicht proportional der Veränderung des Verhältnisses von Nachfrage und Menge, das ist vielmehr, wie LANDERDALE in Übereinstimmung mit STUART ausführt, außerordentlich verschieden, je nachdem es sich um  notwendige Lebensbedürfnisse  (z. B. Zucker und Getreide) handelt, oder um  Luxuswaren  (z. B. Gold oder Diamanten) (13). Hieraus glaubt der Autor die Folgerungen ableiten zu können;
    1. Daß eine Vermehrung des  Individualreichtums  mit der Verringerung des Nationalreichtums, und

    2. eine Verminderung des Individualreichtums mit der Vermehrung des Nationareichtums verbunden sein kann; sowie

    3. Daß der Nationalwohlstand unverändert bleiben kann, wenngleich sich durch Veränderung der Nachfrage die Summe des Individualreichtums sich verändert. Doch kann sich auch die Masse des individuellen Reichtums proportional dem Nationalreichtum vermehren.
Zusammenfassend bemerkt er, daß Privatreichtum und Nationalwohlstand wahrscheinlich niemals in gleichem Verhältnis zunehmen. (14)

Inwiefern diese Theorien falsch seien, braucht kaum näher ausgeführt zu werden. Sie beruhen auf der Verwirrung der Begriffe von Tauschwert und Gebrauchswert (Reichtum). Es ist grundfalsch, daß die Summe der Individualreichtümer zunehmen könne, ohne daß der Nationalreichtum in genau dem früheren Maße wachse. Die Summe der Individualreichtümer  ist  der Nationalreichtum. (15)

Setzt man jedoch anstelle von Individualreichtum die Summe des Tauschwerts der Ware des einzelnen Individuums, so bekommen die Behauptungen LANDERDALEs einen Sinn. Angenommen z. B., infolge einer schlechten Getreideernte steige der Getreidepreis, so ist zweifellos der Nationalreichtum vermindert, die Summe der Tauschwerte dagegen nicht notwendig, da die Summe des Getreidepreises entweder die gleiche bleibt, wie vorher, wahrscheinlich aber sogar weit darüber steigt. Allerdings kann die für LANDERDALE wiederum nicht in Betracht kommen, da dies einen  absoluten  Tauschwert voraussetzt, den er aber, wie wir bereits sehen, nicht kennt. Es bleibt nur die eine Erklärung, daß LANDERDALE den absoluten Tauschwert unbewußt bei seinen Erörterungen vorausgesetzt hat. (16) Nimmt man z. B. die Arbeitswerttheorie an, so ist leicht einzusehen, daß die obigen Sätze LANDERDALEs in vollem Umfang zutreffen.

Viel weniger originell ist unser Autor in seinen weiteren Ausführungen über die Quellen des Nationareichtums, die nach seiner Meinung in jedem Zustand der menschlichen Gesellschaft aus Land, Arbeit und Kapital bestehen, wobei Kapital jedes Hilfsmittel der Produktion oder des Erwerbs von Dingen bedeutet. Hervorzuheben sind noch seine Ansichten über die Entstehung des Profits. von der SMITHschen Erklärung des Profits ist er nicht befriedigt; wäre sie richtig, dann sie Kapital keine erste, sondern nur eine abgeleitete Quelle des Nationalwohlstandes; denn es ginge alsdann der Profit durch das Kapital nur aus der Tasche des Arbeiters in die des Kapitalisten. (17) Vielmehr entstehe der Kapitalgewinn dadurch, daß entweder das Kapital Arbeit erspart, die sonst durch Menschenhand verrichtet werden müßte, oder daß es Arbeit verrichtet, welche ein Mensch sonst nicht verrichten kann. (18)

Alle bisher behandelten Ökonomen haben ihre Werttheorie nur gelegentlich und häufig noch widersprechend entwickelt; keiner hatte sie, die doch schon PETTY für den Eckstein der politischen Ökonomen erklärt hatte, zum Fundament eines ganzen ökonomischen Systems gemacht. DAVID RICARDO war der erste, der die Werttheorie an die Spitze seines Systems stellt, sie in längeren, scharfsinnigen und großenteils neue Betrachtungen auseinandersetzte und sein ganzes System, wenn auch keineswegs in ausreichender Weise, darauf aufbaute.

Im Anschluß und in Übereinstimmung mit SMITH unterscheidet RICARDO zwischen Gebrauchswert und Tauschwert (19), wobei er unter Gebrauchswert die Nützlichkeit (utility) versteht. Das Verhältnis beider stellt er so fest, daß nicht jedes Ding, was nützlich sei, also Gebrauchswert habe, auch Tauschwert besitzen müsse (Wasser, Luft), daß aber ein Ding nur dann Tauschwert haben könne, wenn es auch Gebrauchswert besitze. "Die Nützlichkeit ist darum nicht der Maßstab des Tauschwerts, obgleich sie für ihn unumgänglich notwendig ist." (20) Vielmehr gibt es zwei Quellen des Tauschwerts nützlicher Waren:  Seltenheit  und die Menge Arbeit, die erfordert ist, sie zu erlangen.' Der Tauschwert derjenigen Waren, deren Anzahl durch keinerlei Arbeit vermehrt werden kann, wechselt bloß mit dem Wechsel im Wohlstand und in den Neigungen derjenigen, die sie zu besitzen wünschen. In seiner ganzen weiteren Deduktion indessen handelt RICARDO, wie er ausdrücklich betont, nur von solchen Waren, die ohne jede bestimmte Grenze vermehrt werden können, wenn wir nur imstande sind, die zu ihrer Erlangung erforderliche Arbeit anzuwenden, auf deren Produktion also die Konkurrenz ohne Einschränkung wirkt.  Auf den frühesten Stufen der Gesellschaft  (in the carly stages of society) hängt der Tauschwert dieser Waren oder die Regel, welche bestimmt, wieviel von der einen im Tausch für eine andere gegeben wird, fast ausschließlich (almost exclusively) von der verglichenen Arbeitsmenge ab, die auf eine jede verwandt werden kann. Das  Maß  der Arbeitsmenge ist die  Zeit,  wie schon SMITH richtig erkannte. "Daß dies wirklich die Grundlage des Tauschwerts aller Dinge ist, ausgenommen derjenigen, welche durch die menschlichen Gewerbe nicht vermehrt werden können, ist eine Lehre von der größten Wichtigkeit für die politische Ökonomie." (21) Wenn die in den Waren realisierte Arbeitsmenge ihren Tauschwert reguliert, so muß jedes Anwachsen der Arbeitsmenge den Wert der Waren erhöhen, jede Verminderung ihn senken. Absolut verschieden von der auf die Produktion einer Ware verwandelten Arbeitsmenge - bemerkt er gegenüber SMITH - ist die Arbeitsmenge, welche dieselbe Ware auf dem Markt zu kaufen vermag, als ob, weil nun einmal die Arbeit eines Menschen einen doppelten Effekt erzielt hat und derselben zweimal so viel von einer Ware hervorbringen könne, derselbe notwendigerweise auch doppelt so viel als die frühere Arbeitsmenge im Tausch dafür erhalten müßte. Die bei der Produktion verwandte Arbeitsmenge ist unter vielen Umständen ein  unveränderlicher  Maßstab, die Arbeitsmenge dagegen, die eine Ware zu kaufen vermag, ist ein ebenso  veränderliches  Vergleichsmittel wie Gold und Silber, überhaupt jede andere Ware. Ebendasselbe gilt auch vom Getreide. Der Wert der Arbeit variiert nicht nur nach der Proportion von Angebot und Nachfrage, sondern auch nach dem wechselnden Preis der Nahrungsmittel und anderer Lebensbedürfnisse, für welche der Arbeitslohn ausgegeben wir, und RICARDO weist nach, daß der Arbeitslohn keineswegs proportional dem Preis der Lebensmittel, der durch die zu ihrer Produktion erforderlichen Arbeitsmenge bestimmt würde, zu wechseln braucht.

Die Lebensmittel können z. B. um 100 % steigen, ohne daß die Arbeitsmenge, die sie kaufen können, nur annähernd in demselben Verhältnis wachse; ebenso umgekehrt. Die zwei Sätze: "Der Wert einer Ware wird reguliert durch die zu ihrer Produktion notwendige Arbeitsmenge", und "der Wert einer Ware hängt von der Arbeitsmenge ab, die sie auf dem Markt kaufen könne," sind also in ihrem Inhalt keineswegs identisch. Getreide und Arbeit unterscheiden sich nach RICARDO in nichts von allen anderen Waren. Wenn vom Gold gesagt wird, daß es in seinem Wert gefallen sei, wenn - ceteris paribus [alles andere bleibt gleich - wp] - eine geringere Arbeitsmenge auf seine Produktion verwandt würde, als vorher, so muß ebenso von Getreide und Arbeit gesagt werden kann, daß sie in ihrem Wert gefallen seien, wenn zur Produktion von Getreide, bzw. der anderen Lebensbedürfnisse eine geringere Arbeitsmenge aufgewendet wurde, von den Schwankungen im Verhältnis von Angebot und Nachfrage ganz abgesehen.

RICARDO übersieht bei seinen Darlegungen aber keineswegs die Schwierigkeit, die sich dadurch erhebt, daß es  Arbeiten von verschiedener Qualität  gibt, die auch verschieden entlohnt werden. Die Schätzung, welcher verschiedene Qualitäten von Arbeit unterliegen, zeigt sich im Marktpreis der Arbeit und hängt von der verglichenen Geschicklichkeit des Arbeiters und der Intensität der geleisteten Arbeit ab. Ist diese Schätzungsskala einmal gebildet, so ist sie nur geringen Veränderungen unterworfen, so daß z. B., wenn ein Kleid jetzt zwei Stück Leinwand wert ist, es in zehn Jahren aber vier Stück Leinwand wert sein würde, man rühig schließen kann, daß entweder mehr Arbeit erfordert ist, das Kleid herzustellen oder weniger Arbeit, die Leinwand zu machen, oder daß beide Ursachen wirksam gewesen sind. Hierbei beruhigt sich RICARDO: "Da die Untersuchung", sagt er, "auf die ich des Lesers Aufmerksamkeit zu lenken wünsche, sich auf die Wirkung der Veränderung im  relativen Wert  der Waren bezieht und nicht auf ihren  absoluten Wert,  so wird es von geringer Wichtigkeit sein, den verglichenen Grad der Schätzung zu prüfen, dem die verschiedenen Arten menschlicher Arbeit unterliegen." (22) Denn gar keine oder nur geringe Änderungen treten im Zeitverlauf in der Schätzungsskala ein.

Bisher war die Warenproduktion so betrachtet worden, als ob sie ganz allein durch die unmittelbare menschliche Arbeit vor sich ginge. Aber stets war  Kapital  zur Unterstützung der Produktion unentbehrlich, selbst in den Urzuständen, wo der Jäger eine Waffe, der Fischer Fischgerätschaften usw. brauchte. Alles Kapital, also Werkzeuge, Maschinen und Gebäude, ist aber selbst erst Produkt menschlicher Arbeit, sein Wert bestimmt durch die zu seiner Hervorbringung verwandte Arbeitsmenge. Gemäß seiner längeren oder kürzeren Dauer, gemäß der größeren oder geringeren in ihm realisierten Arbeitsmenge wird demgemäß von ihm auf das mit seiner Hilfe erzeugte Produkt ein größerer oder geringeren Wertteil übertragen. Angenommen also, daß im Urzustand der Gesellschaft die Bogen und Pfeile des Jägers  von gleichem Wert und von gleicher Dauer  gewesen seien wie das Boot und die Geräte des Fischers, so würden die in gleicher Zeit gewonnene Beute des Jägers und des Fischers genau von demselben Wert gewesen sein.  Die Höhe des Arbeitslohne hat hier auf den relativen Wert der Waren gar keinen Einfluß;  der  Profit  wird zwar steigen und fallen, genau in dem Maße, als die Arbeitslöhne fallen und steigen, die Austauschverhältnisse der Waren bleiben davon unberührt.

Diese oben gemachte Voraussetzung trifft aber keineswegs zu, vielmehr sind zu allen Zeiten die in verschieden Gewerbszweigen benutzten Werkzeuge, Maschinen und Gebäude von verschiedener Dauerhaftigkeit und von verschiedenem Wert, und ebenso sind  die Proportionen verschieden,  in denen das Kapital, das Arbeit bezahlt, zu dem in Werkzeugen, Maschinen und Gebäuden investierten Kapital steht. (23)

Je nachdem das Kapital schnell vergänglich ist und häufigen Ersatz nötig macht oder nur einer langsamen Abnutzung unterliegt, ist es unter die Rubriken  umlaufendes  oder  stehendes  Kapital zu bringen (circulating or fixed capital), wobei aber zu bemerken ist, daß RICARDO unter umlaufenden Kapital fast stets nur den in  Arbeitslohn verausgabten Kapitalbetrag  begreift. Außerdem ist auch die Zeit sehr verschieden, in der das umlaufende Kapital umläuft oder zu seinem Anwender zurückkehrt. Unter solchen Umständen erleidet sowohl das Prinzip, daß der Tauschwert der Waren durch die respektive aufgewandte Arbeitsmenge bestimmt werde, wie auch das Prinzip, daß ein allgemeines Steigen des Arbeitslohnes den relativen Wert der Ware nicht beeinflussen könne, wesentliche Modifikationen.

Nehmen wir zuerst den Fall, daß zwei Kapitale in ungleichen Proportionen in  fixes  und  zirkulierendes  Kapital zerfallen.  A  beschäftige 100 Mann ein Jahr lang im Bau einer Maschine,  B  100 Mann dieselbe Zeit im Landbau. Am Ende des ersten Jahres hat die Maschine denselben Wert wie das Getreide. Nun beschäftige aber  A  ein zweites Jahr 100 Mann, die mit der Maschine Kleider fabrizieren. Dann werden Maschine und Kleider am Ende des zweiten Jahres  von mehr als dem doppelten Wert sein,  als das gewonnene Getreide des einen Jahres, obwohl die angewandte Arbeitsmenge genau doppelt so groß; denn der Profit auf das Kapital des Tuchmachers für das erste Jahr wird zu seinem Kapital hinzugefügt. "Infolge also der verschiedenen Grade der Dauerhaftigkeit ihrer Kapitale, oder was dasselbe ist, infolge der verschiedenen Zeit, die vergehen muß, bevor eine Partei der Waren zum Markt gebracht werden kann, wird ihr Tauschwert nicht genau der auf sie verwandten Arbeitsmenge entsprechen, - sie werden sich nicht wie zwei zu eins verhalten, sondern etwas höher, damit die größere Länge der Zeit kompensiert wird, die verstreichen muß, bevor die wertvollste zum Markt gebracht werden kann." (24)

Ein Steigen des Arbeitslohns, das stets ein Sinken des Profits zur Folge haben muß, wird den relativen Wert der beiden Warensorten beeinflussen, in der Weise, daß die Kleider, die zum großen Teil mit  fixem  Kapital produziert wurden, in ihrem relativen Wert  sinken  werden, im Verhältnis zum Getreide, das ausschließlich mittels zirkulierenden Kapitals hergestellt wurde. Angenommen der Arbeitslohn beträgt pro Mann und Jahr 50 Pfund Stirling, die Profitrate sei 10 %, dann beträgt der Wert des Produkts von  A  6050 Pfund, der Wert des Produkts von  B  5500 Pfund, (wobei die Abnutzung der Maschine nicht gerechnet wird). Sinkt nun die Profitrate auf 9%, so wird der Wert des Produkts von  A  5995 Pfund fallen, der Wert des Produktis von  B  stationär bleiben.  Das Maß, in dem die Waren in ihrem relativen Wert durch ein Steigen des Arbeitslohns affiziert werden, hängt aber von der Proportion des fixen zum zirkulierenden Kapital oder von der Länge der Zeit, die sie brauchen, bevor sie zum Markt gebraucht werden können. 

Ob es korrekt von RICARDO ist, diese beiden Fälle zu identifizieren, wird sich später zeigen. "Die Wertdifferenz" erklärt er, "entsteht in beiden Fällen aus den als Kapital angehäuften Profiten und ist nur ein gerechter Ersatz für die Zeit, wo die Profite vorenthalten wurden." (25)

Ebenso wird der relative Warenwert durch eine Veränderung im Arbeitslohn beeinflußt infolge der ungleichen Dauerhaftigkeit des Kapitals und der ungleichen Geschwindigkeit, mit der es zu seinem Anwender zurückkehrt. "Im Verhältnis, als fixes Kapital weniger dauerhaft ist, nähert es sich der Natur des zirkulierenden Kapitals. Es wird konsumiert und sein Wert reproduziert in einer kürzeren Zeit." Proportional nur zur geringen Dauerhaftigkeit des fixen Kapitals und seiner Annäherung an die Natur des zirkulierenden Kapitals, wird der Wert der mit ihm hergestellten Waren bei einem Steigen der Arbeitslöhne im Verhältnis zum Wert der mit dauerhafterem fixen Kapital hergestellten Waren steigen, der relative Wert der letzteren fallen.

Ein Beispiel hierfür (obwohl RICARDO selbst keins gibt) ist unschwer aufzufinden. Gegeben ist ein Kapital  A  von 1000 Pfund, das allein aus Maschinen besteht und seinen Wert in einem Jahr auf die Produkte überträgt; ferner ein Kapital  B  von 2000 Pfund, das ebenfalls nur aus Maschinen besteht, seinen Wert aber erst in zwei Jahren auf das Produkt übertrage. Die Profitrate sei 10 %. Dann wird der Gesamtproduktionswert im ersten Jahr: bei Kapital  A  1100 Pfund, bei Kapital  B  1200 Pfund,  eine Differenz im Wert von 100 Pfund betragen, obwohl die in ihnen realisierten Arbeitsmengen durchaus die gleichen.  Nun sinkt die Profitrate infolge eines Steigens des Arbeitslohns auf 5 %. Dann beträgt der Produktwert des Kapitals  A  1050 Pfund, des Kapitals  B  1100 Pfund. Es ergibt sich also, daß,  während  vorher das Wertverhältnis der Produkte 11/12 war, ist es jetzt 21/22,' d. h. es ist gestiegen, weil der Produktwert des Kapitals  A  in seinem relativen Wert gestiegen, bzw. der Produktwert des Kapitals  B  in seinem relativen Wert gefallen ist.

Es folgt hieraus:
    1. daß Waren, auf welche die gleiche Arbeitsmenge verwandt worden ist, in ihrem Wert voneinander abweichen werden je nach dem Grad der Dauerhaftigkeit des angewandten fixen Kapitals;

    2. daß sich bei einem Steigen des Arbeitslohns das Wertverhältnis dieser Waren entsprechend dem Grad der Dauerhaftigkeit des fixen Kapitals und entsprechend dem Grad des Steigens des Arbeitslohns verändern muß.
"Es hat sich also gezeigt", faßt RICARDO zusammen, "daß im Urzustand der Gesellschaft, bevor viele Maschinen oder dauerhaftes Kapital verwandt wird, die durch gleiche Kapitale produierten Waren beinahe (nearly) von gleichem Wert sein werden und im Verhältnis zueinander steigen oder fallen werden, je nachdem mehr oder weniger Arbeit zur ihrer Produktion erforderlich ist; aber nach der Einführung dieser teuren und dauerhaften Instrumente werden die durch die Anwendung gleicher Kapitale produzierten Waren von sehr ungleichem Wert sein, und obgleich sie immer noch im Verhältnis zueinander steigen oder fallen werden, je nachdem mehr oder weniger Arbeit zu ihrer Produktion erforderlich wird, so werden sie doch auch einer andern, obschon geringeren Veränderung unterworfen sein infolge des Steigens oder Falles der Löhne und Profite. Wenn Güter, die für 5000 Pfund verkauft werden, das Produkt des Kapitals sein können, das im Betrag demjenigen gleich ist, welches Güter im Wert von 10 000 Pfund verkauft, so werden die Profite die gleichen sein;  aber  diese Profite würden ungleich sein, wenn die Preise der Güter nicht mit dem Steigen oder Fallen der Profitrate variieren würden." (26)

Nach diesen bedeutsamen Darlegungen (27) wendet sich RICARDO zum Problem eines  unveränderlichen Wertmaßstabes.  Ein solcher Maßstab würde dazu dienen, alle Veränderungen im wahren Wert (real value) der Waren feststellen zu können. Allein einen derartigen Maßtstab kann es nicht geben aus zwei Gründen: erstens gibt es keine Ware, zu deren Herstellung stets die gleiche Arbeitsmenge gebraucht wird; zweitens, selbst wenn eine Ware diese Bedingungen erfüllte, so könnte sie doch nur für diejenigen Waren als Wertmaß gelten, die unter derartig gleichen Bedingungen wie sie selbst produziert würden, daß jedes Steigen im Arbeitslohn diejenige Ware, die als Wertmaßstab dient, und diejenigen, die mit ihr verglichen werden sollen, in gleichem Maß beeinträchtigte. Einen vollkommenen Wertmaßstab, wie er  theoretisch  zu verstehen ist, kann es demnach nicht geben.

Hier ist deutlich, daß RICARDO bei seinen Darlegungen einen  absoluten  durch die  absolute  Arbeitsmenge bestimmten Wert voraussetzt, während er sich vorher nachdrücklich dagegen verwahrte, den absoluten Wert der Waren untersuchen zu wollen. Denn das, was RICARDO hier  Realwert  nennt, ist eben der absolute Wert, ist der Wert, losgelöst von jeder Beziehung zu den anderen Waren. MacCULLOCH hat dann auch diesen Begriff übernommen und weiter verwertet.

Die ganzen Bemühungen RICARDOs waren bisher darauf gerichtet gewesen, nachzuweisen, daß auch in der modernen bürgerlichen Gesellschaft allerdings mit wichtigen Modifikationen der Arbeitswert der Produkte ihren Tauschwert reguliere, daß die Anhäufung von Kapital zwar jenes Grundgesetz abändere, es aber keineswegs aufhebe, daß der Arbeitslohn und der Profit nicht den Warenwert, sondern der Warenwert den Arbeitslohn und den Profit bestimme. SMITH hatte aber auch behauptet, daß die Grundrente jenes Gesetz ungültig mache; im Anschluß daran nun entwickelt RICARDO seine berühmte Grundrententheorie (28), in der er nachweist, daß sich die Preise der Bodenproduktion nach dem Ertrag des jeweiligen schlechtesten Bodens, der keine Grundrente zahle, richten, daß die Grundrente demgemäß kein Element des Preises der Bodenprodukte bilde, sondern daß auch sie, wie allen anderen Waren, in ihrem Tauschwert von der zu ihrer Produktion notwendigen Arbeitsmenge abhängen. Ein Steigen des Preises der Bodenprodukte ist stets ein Beweis dafür, daß für Befriedigung der vorhandenen Nachfrage schlechterer Boden bebaut worden ist, der mit gleichem Arbeitsaufwand, wie ein gleich großer besserer, bearbeitet, einen geringeren Ertrag liefert oder, was dasselbe heißt, daß zur Erzeugung desselben Ertrags eine größere Arbeitsmenge aufgewandt werden mußte.  Ein hoher Preis der Bodenprodukte ist also nicht die Folge, sondern die Ursache eines Steigens der Bodenrente.  "Wäre der hohe Preis des Getreides die Folge und nicht die Ursache der Rente, so würden die Preise von der Höhe der Rente beeinflußt werden und die Rente wäre ein komponenter Teil des Preises. Aber dasjenige Getreide, das durch die größte Arbeitsmenge produziert wird, ist der Preisregulator des Getreides und die Rente bildet nicht und kann nicht im mindesten bilden einen komponenten Teil des Preises. Daher ist ADAM SMITH im Unrecht, wenn er annimmt, daß das Grundgesetz (original rule), welches den Tauschwert der Waren reguliert, nämlich die verglichene Arbeitsmenge, mit der sie produziert würden, irgendwie beeinträchtigt werden kann durch die Aneignung des Bodens und die Bezahlung einer Rente." (29)

Während RICARDO aber in seiner  Wert theorie im allgemeinen polemisch gegen SMITH aufgetreten war, schließt er sich in seiner  Preis theorie im wesentlichen eng an ihn an. Den Preis, der der aufgewandten Arbeitsmenge entspricht, nennt er den "primären und natürlichen Preis" (primary and natural price), den davon abweichenden Preis bezeichnet er als "den augenblicklichen oder Marktpreis" (actual or market price). Die Ursache der zeitweiligen Preisschwankungen ist, daß keine Ware stets in der Menge vorhanden sein kann, wie es den Wünschen des Publikums entspricht. Dauernd indessen können die Warenpreise weder tief unter noch hoch über ihrem natürlichen Stand bleiben, und das Mittel, das die Preise beständig nach dem natürlichen Preis gravitieren läßt, wenn man es so nennen darf, die Zentrifugalkraft, ist das natürliche Streben des Kapitalisten nach der höchst möglichen Profitrate. RICARDO folgt hier vollständig ADAM SMITH, weshalb wir für alles Nähere auf diesen verweisen können.

Von Wichtigkeit ist schließlich auch noch die scharfe Unterscheidung, die RICARDO zwischen Wert und Reichtum oder Wohlstand (value und riches or wealth) vornimmt. (30) Reichtum besteht, wie schon SMITH ganz richtig sagte, aus der Summe aller Lebensmittel, Bequemlichkeiten und Annehmlichkeiten (necessaries, conveniences and amusements). Da durch dieselbe Arbeitsleistung zu verschiedenen Zeiten ein sehr verschiedener Effekt erzielt wird, so kann der Reichtum einer Gesellschaft sich außerordentlich vermehren, ohne daß sich der Tauschwert der Produkte irgendwie erhöht. Reichtum und Wert stehen also in keinem notwendigen Zusammenhang, der Wert kann konstant bleiben oder sich sogar vermindern, während der Reichtum bedeutend wächst. Das ergibt sich ja ohne weiteres aus den Begriffen von "Wert" und "Reichtum". Im einzelnen deckt dann noch RICARDO die Widersprüche auf, die sich SMITH hat zu schulden kommen lassen, und weist die Verkehrtheiten der Ansichten LANDERDALEs und J. B. SAYs in diesem Punkt nach.

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L e b e n s l a u f

Ich, WILHELM LIEBKNECHT, wurde als vierter Sohn des Schriftstellers WILHELM LIEBKNECHT und seiner Frau NATALIE, geb. REH, zu Leipzig am 29. November 1877 geboren.

Einer Konfession gehöre ich nicht an.

Nachdem ich in Leipzig vier Jahre lang die Bürgerschule besucht hatte, kam ich im Frühjahr 1888 auf das "Nicolai-Gymnasium", wo ich bis zum Herbst 1890 verbliebt. Im September 1890 siedelt meine ganze Familie nach Berlin über, und hier setzte ich dreizehn Semester lang meine Ausbildung am "Friedrichs Werder'schen Gymnasium" fort.

Mit dem im Frühjahr 1897 erhaltenen Zeugnis der Reife bezog ich sofort die Berliner Universität und ließ mich in die philosophische Fakultät eintragen. Acht Semester lang studierte ich, stets auf der Berliner Universität, hauptsächlich Nationalökonomie, daneben Geschichte, Philosophie und Jura.

Bei folgenden Herren Dozenten habe ich Vorlesungen gehört bzw. seminaristische Übungen mitgemacht:
    BÖCKH, BREYSIG, BURCHARD, H. DELBRÜCK, DILTHEY, FOERSTER, GIERKE, HINTZE, HÜBLER, JASTROW, KAHL, von KAUFMANN, KOSER, LEISEGANG, MEITZEN, PAULSEN, REINHOLD, G. SCHMOLLER, M. SERING, STERNFELD, C. STUMPF, THIELE, A. WAGNER.
Allen diesen Herren bin ich zu Dank verpflichtet, namentlich aber den Herren GUSTAV SCHMOLLER, M. SERING, A. WAGNER, die mich in meinen Studien mit der größten Bereitwilligkeit unterstützten.





T h e s e n

I.

Jede wissenschaftliche Forschungsmethode muß beurteilt werden mit Rücksicht auf den Zweck, der mit ihr erreicht werden soll, so daß  dieselbe  Methode im einen Fall richtig, im andern falsch sein kann.

II.

Die abstrakte Freihandelstheorie beruth auf einer mechanischen, völlig unhistorischen Auffassung der Volkswirtschaft.

III.

Die Forderung, unter Beibehaltung einer Vermögens- und Erbschaftssteuer anstelle unseres heutigen komplizierten Steuersystems eine einzige allgemeine Einkommenssteuer zu setzen, ist aus  prinzipiellen  Gründen  nicht  zu verwerfen.
LITERATUR - Wilhelm Liebknecht, Zur Geschichte der Werttheorie in England, Jena 1902
    Anmerkungen
    1) Vgl. DANIEL WAKEFIELD, An Essay upon Political Economy, London 1804
    2) "Wirklicher Preis" (real price) ist bei SMITH synonym mit "Tauschwert" (exchangeable value)
    3) ADAM SMITH, Wealth of Nations, Edinburgh 1872, Seite 13, Kap. V
    4) SMITH, a. a. O., Seite 22, 293
    5) SMITH, a. a. O., Seite 15
    6) SMITH, a. a. O., Seite 15
    7) SMITH, a. a. O., Seite 22
    8) SMITH, a. a. O., Seite 26, "The natural price, therefor, is as it were, the central price, to which the prices of all commodities are continually gravitating."
    9) THOMAS POWNALL, Letter to Adam Smith, being an examination of several points of his doctrine, 1776
    10) CROWFORD, Doctrine of Equivalents etc. or an explanation of the nature of value and the power of money, 1794
    11) DANIEL WAKEFIELDAn Essay upon Political Economy, 1804
    12) SMITH, a. a. O., Seite 3. Zitiert wird hier nach der deutschen Übersetzung "Über Nationalwohlstand", Berlin 1808
    13) LANDERDALE, An inquiry etc., Seite 13f
    14) LANDERDALE, An inquiry etc., Seite 25, § 39
    15) Hierbei wird natürlich von der Verbreitung des Reichtums unter die verschiedenen Bevölkerungsklassen abgesehen. In einem höheren, ethischen Sinne kann man allerdings, wie es z. b. SISMONDI tut, bestreiten, daß es ein Wachsen des Nationalreichtums gäbe ohne das gleichzeitige Wachstum der nationalen Genüsse. In unserem Fall kommt es aber auf  diesen  Unterschied gar nicht an.
    16) Vgl. hierzu RICARDO, Principles of political economy and taxation, London 1846, Kap. XX. - Ferner MARX, Das Elend der Philosophie, 3. Auflage, Stuttgart 195, Seite 6f
    17) LANDERDALE, An inquiry etc., Seite 37, § 17 43.
    18) LANDERDALE, An inquiry etc., § 21, Seite 38
    19) RICARDO gebraucht für Tauschwert meist den Ausdruck  exchangeable value. 
    20) The works of David Ricardo, London 1846, (McCulloch ed.), Seite 9
    21) SMITH, a. a. O. Seite 10
    22) Hiermit im Widerspruch steht sowohl der Abschnitt über einen unveränderlichen Wertmaßstab, wie auch das XX. Kapitel, wo er beide Male dem Sinn nach mit einen "absoluten" "inneren" Wert (d. h. Tauschwert) der Waren operiert. Das hat S. BAILEY später klar gewiesen.
    23) Es ist dies also genau dasselbe, was MARX die  "organische Zusammensetzung"  des Kapitals nennt. Vgl. Kapital, Bd. 1, 3. Auflage, Seite 628; Bd. III, Seite 123f
    24) RICARDO, a. a. O. Seite 22
    25) RICARDO, a. a. O. Seite 25
    26) RICARDO, a. a. O. Seite 27, 28
    27) ZUCKERKANDL erörtert diese Frage gar nicht, weil, wie er sagt, auch die folgenden Autoren sie nicht beachtet hätten. Das ist ganz falsch, wie sich sofort zeigen wird. Vgl. ZUCKERKANDL, Zur Theorie und Geschichte der Preise, Seite 258
    28) Die allerdings im wesentlichen schon MALTHUS vor ihm zum Abschluß gebracht hatte.
    29) RICARDO, a. a. O. Seite 40
    30) RICARDO, a. a. O. Kap. XX