ra-2Schubert-SoldernI. RubinN. BucharinK. Marx    
 
TATIANA GRIGOROVICI
Die Wertlehre
bei Marx und Lassalle

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"Schäffle anerkennt zwei tauschwertbestimmende Faktoren: die gesellschaftlichen Arbeitskosten  und  den gesellschaftlichen Bedarf: Marx wiederum anerkennt bloß  einen  wertbestimmenden Faktor - "die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit", gibt aber diesem  einen  Faktor eine solche Fassung, daß in ihm  beide  Elemente, sowohl die gesellschaftliche Arbeitszeit  wie auch  der gesellschaftliche Bedarf, enthalten sind."

II. Kapitel
Der Begriff der gesellschaftlich notwendigen Arbeit
als des wertbildenden Faktors bei Marx und Lassalle

Die ersten Angriffe, denen die MARXsche Wertlehre von Anfang an ausgesetzt war, gingen dahin, daß MARX bei Behandlung des Wertproblems zu einseitig bloß die technische Seite, nicht aber auch die Einwirkung des wechselnden gesellschaftlichen Bedarfes auf den Tauschwert der Waren berücksichtigt habe. Dies wurde, wie wir im vorigen Kapitel zu sehen schon Gelegenheit hatten, hauptsächlich an der Hand der bekannten MARXschen Definition der wertbildenden gesellschaftlich notwendigen Arbeit nachgewiesen. Der Umstand, daß dieser Vorwurf gegen die MARXsche Wertlehre nicht nur von ausgesprochenen Gegnern MARX', sondern auch von solchen Leuten wie ALBERT SCHÄFFLE, der durch seine "Quintessenz des Sozialismus" sich allgemeiner Sympathie in den Kreisen der Sozialisten erfreute, erhoben wurde, trug nicht wenig dazu bei, daß auch die Anhänger der MARXschen Wertlehre sich gezwungen sahen, den MARXschen Begriff der gesellschaftlich notwendigen Arbeit einer gründlicheren Untersuchung zu unterziehen. Das Ergebnis dieser Untersuchung war ein sehr verschiedenes. Während die einen und zwar diejenigen, die den Argumenten der Gegner standhalten konnten, bei der alten Auffassung dieses Begriffes blieben, glaubten andere weniger widerstandsfähige Marxisten, sich dadurch helfen zu können, daß sie den Beweis führten, das Bedarfsmoment sei bereits im Ausdruck "gesellschaftlich notwendige Arbeit" enthalten.

Soweit wir übersehen können, war es A. C. SCHRAMM, ein begeisterter Anhänger der MARXschen Wertlehre, der zum erstenmal den Versuch gemacht hat, dem Begriff der gesellschaftlih notwendigen Arbeit eine solche Fassung zu geben. Er ist der erste, zugleich aber auch der typischste Vertreter dieser Anschauung und seine Ausführungen über dieses Thema verdienen umso mehr berücksichtigt zu werden, als sie, trotzdem sich gerade an ihnen am leichtesten nachweisen läßt, wie irrig diese Auffassung des Begriffes der gesellschaftlich notwendigen Arbeit bei MARX ist, so verlockend zu sein schienen, daß sie mit der Zeit ziemlich viele Anhänger, besonders unter den Vertretern der MARXschen Wertlehre, gefunden haben.

Wenn, meint SCHRAMM, gegen MARX der Vorwurf der Einseitigkeit, der Vorwurf, als hätte MARX bei der Wertbestimmung der Waren die Rolle des quantitativ wechselnden gesellschaftlichen Bedürfnisses vollkommen außer acht gelassen, erhoben wird, so ist dieser Vorwurf nicht auf eine falsche Definition der gesellschaftlich notwendigen Arbeit seitens MARX', sondern ausschließlich auf die falsche einseitige Auffassung dieses Begriffes seitens seiner Interpreten zurückzuführen. Denn schon in der bloßen MARXschen Wertdefinition, nach der nicht die gesellschaftliche Durchschnittsarbeit, sondern die gesellschaftlich  notwendige  Durchschnittsarbeit, sondern die gesellschaftlich  notwendige  Durchschnittsarbeit wertbildend sei, ist dem Einfluß, den der wechselnde gesellschaftliche Bedarf auf die Wertbestimmung ausübt, zur Genüge Rechnung getragen.

SCHRAMM erläutert dies an einem Beispiel.

Die Gesellschaft braucht ein bestimmtes Quantum Getreide; die zur Erzeugung desselben aufgewendete oder aufzuwendende allgemein menschliche, gesellschaftlich notwendige Arbeit, gemessen nach Zeit, bestimmt den Wert des Getreides. Ist mehr Getreie erzeugt worden, als gebraucht wird, so wurde auch mehr Arbeit darauf verwendet, als gesellschaftlich notwendig war; ist also doppelt soviel Getreide gebaut worden, so steckt darin nur halb soviel Wert, nur halb soviel gesellschaftlich  notwendige  Arbeit, als wirkliche Arbeit zur Getreidegewinnung aufgewendet worden ist.

Wäre dagegen der gesellschaftliche Bedarf nur zur Hälfte durch den Ernteertrag gedeckt, so ist eben nicht das genügende Quantum  "gesellschaftlich notwendiger Arbeit"  auf Getreidebau verwendet worden; das vorhandene Getreidequantum repräsentiert also einen doppelt so hohen Tauschwert, als wirkliche gesellschaftliche Durchschnittsarbeit zur Produktion verwendet worden ist.

Nimmt man also auch an, daß Preis und Wert gleich hoch sein sollen, so wird der Brotpreis bei einer reichlichen Ernte sinken, das Brot wird billiger werden, man wird mit dem Arbeitsertrag einer Stunde doppelt soviel kaufen können als in gewöhnlichen Jahren. Ist dagegen nur halb soviel Getreide gewonnen worden, als zur Deckung des gesellschaftlichen Bedarfes notwendig ist, so wird der Brotpreis steigen, man wird für den Arbeitsertrag einer Stunde nur halb soviel Brot kaufen können als sonst. (1)

Daß die Hervorbringung der Waren verwendete Arbeit nur dann als wertbestimmend gilt, wenn sie den herrschenden Produktionsverhältnissen gemäß geleistet worden ist, das ist nach SCHRAMM nur selbstverständlich; darauf weist schon der Umstand hin, daß nach MARX der Wert der Ware nicht durch die individuelle, sondern durch die in ihr enthaltene  gesellschaftliche  Arbeitszeit bestimmt wird. Das von ihm zur Erläuterung des Begriffes der gesellschaftlich notwendigen Arbeit vorgebrachte Beispiel sollte nur noch zeigen, wie das Wörtchen  "notwendig"  aufzufassen sei und wir sahen, daß nach SCHRAMM die in den Waren verkörperte gesellschaftliche Durchschnittsarbeit nur dann im Sinne MARX' als "notwendige" Arbeit anzusehen ist, wenn sie in einer dem gesellschaftlichen Bedürfnis entsprechenden  Menge  vorhanden ist.

Enthält somit der Begriff der "gesellschaftlichen Durchschnittsarbeit" das technische Moment, so der der "notwendigen" Arbeit - das Bedarfsmoment. Im Begriff "gesellschaftlich notwendige Arbeit" sind folglich beide Momente enthalten: sowohl das technische wie das Bedarfsmoment. Das Rätsel war gelöst und SCHRAMM mit sich selbst höchst zufrieden. Denn nun brauchte er die Vorwürfe der Gegner nicht mehr zu fürchten, nun war er in der Lage, den Gegnern zu beweisen, daß die MARXsche Wertformel nicht nur nicht, wie sie behaupteten, zu beschränkt, sondern die denkbar weitestgehende war.

Vor allem läßt sich der MARXsche Begriff der gesellschaftlich notwendigen Arbeit, als des wertbildenden und wertbestimmenden Faktors, im Sinne SCHRAMMs aufgefaßt, auf Güter, deren Herstellung ausschließlich menschliche Arbeit kostet, ebenso wie auf Güter, deren Herstellung nicht bloß von der menschlichen Arbeit, sondern auch vom Naturfaktor abhängig ist, auf beliebig vermehrbare, wie auf Seltenheitsgüter mit demselben Erfolg anwenden. Bei Bestimmung des Wertes beliebig vermehrbarer Güter ist das technische Moment ausschlaggebend, der Wert der Waren entspricht der in ihnen tatsächlich enthaltenen gesellschaftlichen Durchschnittsarbeit, bei den Gütern dagegen, deren Herstellung auch vom Naturfaktor abhängig ist, die daher nicht dem gesellschaftlichen Bedarf entsprechend beliebig vermehrt oder vermindert werden können, ist das Bedarfsmoment bei der Wertbestimmung maßgebend. "In guten oder geringen Ernteerträgen steckt vielleicht gleichviel menschliche Arbeitszeit - der Wert des Gesamtprodukts richtet sich aber hierbei nicht nur nach der aufgewendeten, sondern auch nach der zur Deckung des gesellschaftlichen Bedarfs notwendigen Arbeitszeit und gibt daher bei schlechten Ernten dem einzelnen Scheffel Getreide einen umso viel höheren Wert." (2)

Daß der MARXsche Begriff der wertbildenden gesellschaftlich notwendigen Arbeit diese zwei Momente, das technische und das Bedarfsmoment, in sich enthält und dadurch sich bei allen Gütern bewährt, das schien SCHRAMM sogar das charakteristische Merkmal der MARXschen Wertlehre zu sein und er erklärte auch ausdrücklich, daß er eben darin die "hohe wissenschaftliche Bedeutung der MARXschen Werttheorie" (3) erblicke. Denn würde der Ausdruck "gesellschaftlich notwendige Arbeit" nichts anderes besagen als das, was die Interpreten von MARX in ihn hineinlegen, dann wäre nicht zu ersehen, worin die Wertdefinition von MARX von der CAREYs sich unterscheidet. Definierte ja schon CAREY den Wert dahin, "daß nicht die wirkliche, zur Herstellung der Ware aufgewendete Arbeit, sondern die zur  Wiederherstellung  aufzuwendende Arbeit die eigentliche Wertsubstanz bilde." (4) Es hieße daher das Wesen der MARXschen Werttheorie vollkommen verkennen, wollte man unter "gesellschaftlich notwendiger Arbeit" nur die Arbeit verstehen, die unter bestimmten Produktionsverhältnissen technisch notwendig ist, um irgendeinen Gebrauchswert hervorzubringen. Das ist aber falsch. Damit die Arbeit nach MARX "gesellschaftlich notwendig" ist, meint SCHRAMM, muß sie vielmehr noch  eine  Bedingung erfüllen und diese Bedingung besteht darin, daß die durch diese Arbeit produzierten Produkte auch  quantitativ  dem gesellschaftlichen Bedürfnis angepaßt sind: sie müssen den gesellschaftlichen Bedarf nach diesen Produkten weder übersteigen noch hinter ihm zurückbleiben. Und erst diejenige Arbeit, die diese beiden Bedingungen sowohl in Bezug auf die technische Seite wie in Bezug auf die quantitativ bestimmten menschlichen Bedürfnisse erfüllt, kann als die wertbestimmende "gesellschaftlich notwendige Arbeit" im Sinne von MARX betrachtet werden.

Daß das von verschiedenen Seiten verkannt wurde und gegen MARX der Vorwurf auch nur erhoben werden konnte, er "betone in zu einseitiger und deshalb nicht zutreffender Weise die Arbeit als die eigentliche Substanz des Wertes", während es doch offensichtlich sei, "daß auch die Seltenheit einer Ware, daß der Naturfaktor einen eminenten Einfluß auf den Wert ausübe" (5) - dies, meint SCHRAMM, erklärt sich ganz einfach aus der Art und Weise, in der MARX den Tauschwert immer nur an beliebig vermehrbaren Gütern demonstrierte, an Gütern, die dank ihrer uneingeschränkten Vermehrbarkeit dem gesellschaftlichen Bedürfnis leicht angepaßt werden können und bei deren Wertbestimmung daher das Bedarfsmoment keine hervorragende Rolle spielen kann. (6)

Will man aber die wahre Natur des Begriffs der "gesellschaftlich notwendigen Arbeit" und die Wirkung, die der Bedarf auf die Wertbestimmung ausübt, erkennen, so muß man ihn eben nicht an beliebig vermehrbaren, sondern an Gütern, deren Hervorbringung an den Naturfaktor gebunden ist, demonstrieren. Denn "bei ihnen tritt dann auch gemeinhin der Fall ein, daß die allgemein menschliche gesellschaftliche Arbeit, gemessen nach Zeit, ihren Wert in der Weise darstellt, daß das Wort:  notwendige Arbeit  das Verhältnis bezeichnet zwischen dem Bedürfnis der ganzen Gesellschaft und der Quantität der Arbeit, die hinreicht, dieses Bedürfnis zu befriedigen." (7)

Hat man aber einmal die wahre Bedeutung des Begriffes der gesellschaftlich notwendigen Arbeit erkannt, hat man eingesehen, daß in diesem Begriff "ebenso Rücksicht auf die Arbeit genommen ist, welche zur Deckung des gesellschaftlichen Bedarfs notwendig ist, wie auf die Arbeit, welche zur Herstellung der Produkts unter den jeweiligen Produktionsweisen notwendig erforderlich sind" (8), dann, meint SCHRAMM, fallen alle Einwürfe, die man gegen die MARXsche Werttheorie erhebt - und worin diese Einwürfe bestehen, haben wir bereits gehört: daß sie zu einseitig die Arbeit als die eigentliche Substanz des Wertes betone, daß sie die Einwirkung des Naturfaktors auf die Wertbestimmung verkennt, daß sie sich bloß auf beliebig vermehrbare Güter anwenden läßt usw. - weg und die von MARX aufgestellte Werttheorie läßt nichts zu wünschen übrig.

Und in der Tat, gibt man zu, daß die gesellschaftlich notwendige Arbeit als wertbestimmte Arbeit ein doppeltes Moment enthält, das technische Moment wie das des Bedarfs, dann lassen sich mit dieser Wertformel alle Widersprüche lösen, denn wo das eine Moment zur Erklärung des Wertes nicht ausreicht, dort stellt sich eben das zweite rechtzeitig ein. Haben wir doch gesehen, wie nach SCHRAMM sich der Wert der Waren, je nachdem es ihm gerade paßte, bald nach der in ihnen tatsächlich enthaltenen gesellschaftlichen Durchschnittsarbeit, bald nach der zur Deckung des gesellschaftlichen Bedarfs notwendigen Arbeit richtete. Aufgrund dieser Wertformel läßt sich aber ebenso beweisen - und SCHRAMM beweist das auch tatsächlich - daß die Arbeit nicht die einzige Substanz des Wertes sei, daß der Naturfaktor eine ebenso aktive Rolle bei der Wertbestimmung spielt. Vom Naturfaktor hängt nämlich die Produktivität der Arbeit ab, von der Produktivität der Arbeit - die Menge der hervorgebrachten Produkte, von der Menge der Produkte - ob er der gesellschaftliche Bedarf nach diesen Produkten befriedigt werden kann, der gesellschaftliche Bedarf aber wirkt bestimmend auf den Wert der Waren ein; auf diese Weise erscheint der Naturfaktor mittelbar als  wertbestimmender  Faktor. Denn, wohlgemerkt, nach der Auslegung SCHRAMMs wird durch die Erhöhung oder Verminderung der Produktivität der Arbeit nicht bloß der Wert jeder  einzelnen  Ware sinken oder steigen, was ja dem MARXschen Wertgesetz vollkommen entsprechen würde, (9) sondern das  Gesamtprodukt  wird im Falle erhöhter oder verminderter Produktivität der Arbeit an Wert ab- oder zunehmen, trotzdem die im Gesamtprodukt enthaltene Arbeit weder ab- noch zugenommen hat. Eine solche Werttheorie wird sich natürlich auch auf Seltenheitsgüter anwenden lassen und der Wertvorstellung des isolierten Menschen entsprechen, (10) nur einen Fehler hat diese Werttheorie, den nämlich, daß sie nicht die Werttheorie von MARX ist, als welche sie SCHRAMM hat hinstellen wollen. Denn die MARXsche Werttheorie betont tatsächlich die Arbeit "als die eigentliche Substanz des Wertes"; nach der MARXschen Werttheorie sind tatsächlich die Seltenheit einer Ware und der Naturfaktor keine wertbestimmenden Faktoren, die MARXsche Werttheorie will schließlich auch  nur  für beliebig vermehrbare und nicht für Seltenheitsgüter gelten und die Aufgabe der Anhänger der MARXschen Wertlehre ist es nun, zu zeigen, daß diese Wertlehre trotz alledem oder richtiger gesagt eben deshalb die einzig richtige Wertlehre sei. SCHRAMM aber schlug den entgegengesetzten Weg ein. Er wollte die Richtigkeit der MARXschen Wertlehre dadurch beweisen, daß er alles in sie hineininterpretierte, was die Gegner in ihr vermißten.

Es darf daher auch nicht wundernehmen, wenn der Bekämpfer der MARXschen Werttheorie ALBERT SCHÄFFLE, in der dritten Auflage seine "Quintessenz des Sozialismus", sich auf den Artikel SCHRAMMs im "Vorwärts" berufend, mit Freuden konstatieren konnte, daß die Sozialisten seiner Aufforderung, den MARXschen "Fundamentalsatz vom sozialen Arbeitskostenwert der Güter von Grund auf zu korrigieren", wenn sie die ganze ökonomische Lehre des Sozialismus nicht zur Utopie werden lassen wollen, gefolgt sind. Denn der "Vorwärts", meint SCHÄFFLE mit Recht, "gibt dem MARXschen Begriff der "gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit" eine Deutung, welche im Begriff des "gesellschaftlich Notwendigen" das unterbringt, was ich (Schäffle) den  Gebrauchs wert nenne." (11) SCHÄFFLE selber hielt zwar diese Auffassung des Begriffs der gesellschaftlich notwendigen Arbeit bei MARX für falsch, erklärte aber, daß er an und für sich gegen diese Auslegung nichts einzuwenden habe, da sie die von ihm "betonte notwendige Mitbestimmung des Tauschwerts  durch den wechselnden Bedarf  wenigstens prinzipiell zur Geltung kommen läßt." (12) Gegen die MARXsche Wertlehre in dieser Fassung hätte SCHÄFFLE jedenfalls nur eines einzuwenden. Er wollte nämlich nicht recht einsehen, wozu "die Hineinzwängung des ganz selbständigen zweiten Moments der Tauschwertbestimmung, des sozialen Gebrauchswertes, in die gesellschaftliche  Arbeits kostengröße" (13) notwendig ist. Wäre es doch viel einfacher und viel praktischer, dann mit SCHÄFFLE zu sagen, daß "gesellschaftliche Arbeitskosten  und  gesellschaftlicher Bedarf,  beide selbständig und ohne vermengende Ineinanderschiebung"(14) tauschwertbestimmende Faktoren sind.

Und was war die Antwort SCHRAMMs darauf? Er "akzeptierte" seinerseits "mit Freuden" das Zugeständnis SCHÄFFLEs, "daß man gegen die MARXsche Theorie in dieser (das heißt SCHRAMMschen) Auffassung Einwendungen durchschlagender Art nicht wohl erheben könne." (15)

Nun haben wir gesehen, daß SCHÄFFLE nur aus dem Grunde gegen die MARXsche Wertlehre in der Auslegung SCHRAMMs nichts einzuwenden hatte, weil sie sich dann von seiner eigenen Wertlehre durch nichts unterschied, höchstens nur durch größere Verworrenheit und Unklarheit. Indem aber SCHRAMM trotz dieser klaren Erklärung SCHÄFFLEs und auch ohne nur den Versuch zu machen, ihn irgendwie zu widerlegen, sein in dieser Form gemachtes "Zugeständnis" "mit Freuden" akzeptierte, gab er selbst zu, daß auch er keinen wesentlichen Unterschied zwischen diesen zwei Werttheorien sieht. In der Tat ist nicht einzusehen, wodurch sich zwei Werttheorien voneinander unterscheiden könnten, von denen die eine zwar nur einen, die andere zwei Faktoren der Wertbestimmung anerkennt, die erstere aber ihrem einzigen wertbestimmenden Faktor eine solche Fassung gibt, daß in ihm der zweite Faktor von selbst enthalten ist. Kein anderer Unterschied würde aber zwischen der Werttheorie SCHÄFFLEs und der MARX' bestehen, wollte man die letztere in der Auslegung SCHRAMMs auffassen. Denn dann erhielten wir folgendes: SCHÄFFLE anerkennt zwei tauschwertbestimmende Faktoren: die gesellschaftlichen Arbeitskosten  und  den gesellschaftlichen Bedarf: MARX wiederum anerkennt bloß  einen  wertbestimmenden Faktor - "die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit", gibt aber diesem  einen  Faktor eine solche Fassung, daß in ihm  beide  Elemente, sowohl die gesellschaftliche Arbeitszeit  wie auch  der gesellschaftliche Bedarf, enthalten sind.

Wie schwer es in der Tat wäre, diese der Form nach zwar verschiedenen, aber dem Inhalt nach auf dasselbe hinauslaufenden Begriffe auseinanderzuhalten, darauf weist der Umstand hin, daß selbst SCHRAMM nicht umhin konnte, die Wertdefinition der börgerlichen Ökonomen, die er sonst heftig bekämmpfte, im einen oder anderen Fall auch für seine das Wesen des Wertes illustrierenden Beispiel passend zu finden.

In seinem Artikel: "Die Wertvorstellung des isolierten Menschen", in welchem SCHRAMM nachweisen will, daß die MARXsche Werttheorie auch für die Wirtschaft des isoliert lebenden Menschen gültig sei, daß sie nämlich auch der Wertvorstellung des isolierten Menschen entspreche, führt er folgendes Beispeil an: Nehmen wir an, daß ROBINSON 120 Stunden gebraucht hat, um ein Stück Land mit Mais zu bestellen. Infolge ungünstiger Witterung gibt ihm der Mais nur 60 Maß Ertrag, während er zum eigenen Gebrauch 120 Maß Mais jährlich braucht. Hätte ROBINSON die schlechte Mißernte vorausgesehen, er würde eine doppelt so große Fläche mit Mais bestellt, nicht 120, sondern 240 Stunden gearbeitet haben, um seine 120 Maß Mais zu erhalten. Da nun nach MARX der Wert der Produkte sich nicht nach der in ihnen tatsächlich enthaltenen Durchschnittsarbeit, sondern nach der zur Deckung des gesellschaftlichen Bedarfs notwendigen Arbeit richtet, so müßten die 60 Maß Mais einen Wert von 240 Stunden haben oder ein Maß, das das Produkt einer zweistündigen Arbeit ist, müßte den Wert einer vierstündigen Arbeit repräsentieren. SCHRAMM warf nun die Frage auf, ob auch ROBINSON "den Wert ebenso hoch schätzen oder nur nach der wirklich darauf verwendeten Arbeit taxieren wird", (16) und nachdem er den Beweis geführt hat, daß auch ROBINSON jedes Maß Mais doppelt so hoch schätzen wird, genauso hoch, "als wenn die zur Deckung des gesamten Bedarfs notwendige Arbeitszeit als Gesamtwert des vorhandenen Quantums Mais angesetzt, als wenn die MARXsche Werttheorie der Rechnung zugrunde gelegt würde." (17) setzte er unmittelbar fort: "In diesem besonderen Fall kann man den Wert wirklich als eine "Kombination des Gebrauchswertes mit dem Kostenwert" bezeichnen (eine Wertdefinition, die SCHRAMM als Anhänger der MARXschen Werttheorie zu Anfang desselben Artikels verspottet hat, denn hier bestimmt das Verhältnis des - zur Deckung des Bedarfs am Gebrauchswert - notwendigen Quantums zum vorhandenen Quantum (also: 120 : 60 = 2) multipliziert mit dem Kostenwert, das heißt der zur Herstellung der vorhandenen Menge wirklich aufgewendeten Arbeitszeit (120 Stunden) den in notwendiger Arbeitszeit zu berechnenden Wert dieser Gütermenge ( 2 x 120 = 240 Stunden für 60 Maß)" (18)

"In diesem besonderen Fall," meint SCHRAMM, stellt der Wert eine "Kombination des Gebrauchswertes mit dem Kostenwert" dar. Ja, bildet denn dieser Fall eine Ausnahme? Hat uns denn SCHRAMM diesen Fall nicht vielmehr als einen typischen Fall dargestellt, als einen Fall, der eben dadurch bemerkenswert ist, weil er uns die MARXsche Wertlehre in ihrer reinsten Form wiedergibt, weil ihm "die MARXsche Werttheorie ... zugrunde gelegt" ist? Und kann der Wert einer Ware etwas anderes als eine "Kombination des Gebrauchswertes mit dem Kostenwert" darstellen, wenn man mit SCHRAMM der Ansicht ist, daß der Wert der Ware nicht bloß durch die in ihr enthaltene gesellschaftliche Durchschnittsarbeit, sondern auch durch den gesellschaftlichen Bedarf bestimmt wird? Würde sich ja an dieser Form nichts dadurch ändern, wenn wir anstatt "Gebrauchswert" "gesellschaftlichen Bedarf" und anstatt "Kostenwert" "gesellschaftliche Durchschnittsarbeit" setzen. Wenn sich aber SCHRAMM trotzdem gegen diese Wertformel wehrt und sie, ohne freilich, wie wir gesehen haben, dazu auch nur im geringsten berechtigt zu sein, nur ausnahmsweise gelten lassen will, so hat dies offenbar seinen Grund darin, daß SCHRAMM wohl selbst eingesehen haben mag, daß dann seine Wertauffassung sich durch nichts von der Wertauffassung derjenigen Ökonomen unterschiede, die, nach seinem eigenen ironischen Ausdruck, zwar die Arbeit als wertbildendes Element "noch immer betonen", "aber neben der SMITHschen Arbeit" noch "das BASTIATsche Bedürfnis" anerkennen. (19)

Mochte sich SCHRAMM damit trösten, daß er  offiziell  die Wertformel der "bürgerlichen" Ökonomen verwarf, wir können aber nicht einsehen, wodurch sich seine Wertauffassung von der der letzteren unterscheidet.

Die Bedeutung und Tragweite dieser Auffassung der gesellschaftlich notwendigen Arbeit für die MARXsche Werttheorie mußte besonders zum Vorschein kommen, als die Anhänger dieser Theorie vor das bekannte Rätsel gestellt wurden, wie es mit dem MARXschen Wertgesetz, nach welchem nur lebendige Arbeit neue Werte schaffen kann, zu vereinbaren ist, daß gleiche Kapitale, ohne Rücksicht auf ihre organische Zusammensetzung, in gleichen Zeiten gleich hohe Profite hervorbringen.

Das erste, was den Schülern MARX' bei dem Versuch, dieses Rätsel zu lösen, in den Sinn kommen mußte, war der Gedanke, daß da die Produkte, nach ihren Werten getauscht, unbedingt verschiedene Profitraten hervorbringen müssen, gleiche Profitraten bei ungleicher Zusammensetzung der Kapitale nur dadurch entstehen können, daß die Produkte nicht nach ihren Werten ausgetauscht werden, daß Preis und Wert nicht zusammenfallen. Das Problem konnte danach nur darin bestehen, nachzuweisen, daß die durch Angebot und Nachfrage hervorgerufene Divergenz zwischen den Preise der Produkte und ihren Werten mit dem Wertgesetz nicht in Widerspruch steht. So wurde auch die Frage von denjenigen gestellt, die die MARXsche Werttheorie richtig erfaßt haben und mehr oder weniger nahe daran waren, das von ENGELS aufgeworfene Rätsel zu lösen.

Für die Anhänger der SCHRAMMschen Auffassung der "gesellschaftlich notwendigen Arbeit" bei MARX war schon diese Problemstellung allein eine Sache der Unmöglichkeit, denn für sie war die Konkurrenz, der Wechsel von Angebot und Nachfrage, das gesellschaftliche Bedürfnis, ein Faktor, der vor allem auf den  Wert  der Produkte selbst einwirkte; entstanden daher durch Über- oder Unterproduktion Preisschwankungen, so entsprachen sie bloß den durch diese Über- oder Unterproduktion hervorgerufenen  Wert schwankungen der Produkte und von einer Divergenz zwischen Preis und Wert konnte somit in solchen Fällen nicht die Rede sein.

So erklärte auch HUGO LANDÉ, einer derjenigen, die das Rätsel der gleichen Profitrate zu lösen versucht haben, der aber dabei von der Auffassung SCHRAMMs über den Begriff der gesellschaftlich notwendigen Arbeit beeinflußt war, "die furchtbare Gedankenanstrengung", die KONRAD SCHMIDT machte, um den Nachweis zu erbringen, daß Divergenz von Preis und Wert nicht im Widerspruch mit dem Wertgesetz steht, für "völlig überflüssig". "Denn weit davon entfernt, daß diese Divergenz mit dem Wertgesetz in Widerspruch stehen könnte, ist sie vielmehr - sofern sie eben ausschließlich auf Über-, bzw. Unterproduktion beruhe - einfach im Wertgesetz selbst enthalten." (20) Das wird einem sofort klar, sobald man sich daran erinnert, daß nach MARX der Wert der Ware sich nicht nach der in ihr tatsächlich aufgewandten gesellschaftlichen Durchschnittsarbeit, sondern nach der "gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit", im Sinne ihrer Anpassung an das quantitative gesellschaftliche Bedürfnis richtet.

"Liegt Überproduktion vor, so ist eben keine "gesellschaftlich notwendige" Arbeitszeit aufgewandt worden, so erzeugt die zu viel aufgewandte Arbeitszeit überhaupt keinen Wert, so enthalten die Gesamtprodukte nur so viel Wert, als bei regulärer Produktion die geringere Produktenmasse enthalten hätte. (Bei Unterproduktion ist natürlich in umgekehrter Richtung das gleiche der Fall), das heißt die Preise entsprechen zwar nicht der in den Produkten kristallisierten tatsächlich aufgewandten, wohl aber der in ihnen kristallisierten gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit, sie entsprechen durchaus dem Wert der Produkte nach dem Wertgesetz - von einer Divergenz zwischen Preis und Wert kann hier überhaupt keine Rede sein." (21) LANDÉ zieht dann konsequenterweise daraus den Schluß, daß nach MARX "die Möglichkeit der Inkongruenz unterstellt ... er eben an Ausnahmefälle" denkt.(22)
LITERATUR - Tatiana Grigorovici, Die Wertlehre bei Marx und Lassalle, Wien 1908
    Anmerkungen
    1) A. C. SCHRAMM, Die Quintessenz des Sozialismus, Vorwärts 1877, Nr. 62
    2) SCHRAMM, Der Einfluß des Privateigentums auf den Wert und die Verteilung der Produkte, Zukunft 177/78, Seite 476 und 477
    3) SCHRAMM, Quintessenz des Sozialismus, Vorwärts 1877, Nr. 62
    4) SCHRAMM, Quintessenz des Sozialismus, Vorwärts 1877, Nr. 62
    5) SCHRAMM, Die Werttheorie von Karl Marx, Zukunft, Heft 5, Seite 127
    6) Den Umstand aber, daß MARX seine Werttheorie nur an beliebig vermehrbaren Gütern demonstrierte, erklärte SCHRAMM wieder damit, daß es 1. "bei uneingeschränkter Konkurrenz, bei vollständigem Freihandel" nur wenig Waren gibt, "deren Wert sich nicht auf Arbeitszeit als einzige Wertsubstanz reduzieren ließe; selbst der Naturfaktor verliert an Wirksamkeit, wenn der Getreide-, Holz-, Kohlen-, Leder- etc.-Bedarf jedes Landes aus jedem anderen Land ungehindert bezogen werden kann", und 2. meint SCHRAMM, was war und ist natürlicher, als daß MARX, da er ja in "Zur Kritik der politischen Ökonomie" und im ersten Band des  Kapital  "die klassische politische Ökonomie kritisiert und in RICARDO den Vollender derselben erblickt, bei der Behandlung der  Ware  und des  Warenwerts  sich ebenfalls in den Grenzen hielt, die sich RICARDO gezogen hat?" (a. a. O. Seite 128)
    7) SCHRAMM, Die Werttheorie von Karl Marx, Zukunft, Heft 5, Seite 133 und 134
    8) SCHRAMM, Die Werttheorie von Karl Marx, Zukunft, Heft 5, Seite 476
    9) Bei erhöhter Produktivität der Arbeit verteilt sich die im Gesamtprodukt enthaltene Arbeit auf eine größere Quantität von Produkten; die auf die Hervorbringung jedes einzelnen Produktes verwendete Arbeit vermindert sich, weshalb auch der Wert jeder einzelnen Ware sinken muß. Umgekehrt im entgegengesetzten Fall, wenn sich die Produktivität der Arbeit vermindert. Aber im einen wie im anderen Falle wird das  Gesamtprodukt  nach MARX einen und denselben Wert haben, weil die auf die Hervorbringung des Gesamtprodukts verwendete  Arbeit  in beiden Fällen sich gleich bleibt. Ebenso ist es klar, daß in beiden Fällen die Wertgröße der Waren einzig und allein durch die in ihnen  tatsächlich  enthaltene gesellschaftliche Durchschnittsarbeit bestimmt wird.
    10) siehe SCHRAMM, Die Wertvorstellung des isolierten Menschen, Zukunft, Heft 4
    11) ALBERT SCHÄFFLE, Die Quintessenz des Sozialismus, 7. Auflage, Gotha 1879, Seite 48, Anmerkung
    12) SCHÄFFLE, Quintessenz, Seite 48
    13) SCHÄFFLE, Quintessenz, Seite 48
    14) SCHÄFFLE, Quintessenz, Seite 48
    15) SCHRAMM, Vorwärts Nr. 128, 1877
    16) SCHRAMM, Die Werttheorie von Karl Marx, Zukunft, Heft 5, Seite 112
    17) SCHRAMM, Die Werttheorie von Karl Marx, Zukunft, Heft 5, Seite 113
    18) SCHRAMM, Die Werttheorie von Karl Marx, Zukunft, Heft 5, Seite 113
    19) SCHRAMM, Die Werttheorie von Karl Marx, Zukunft, Heft 4, Seite 107
    20) HUGO LANDÉ, Mehrwert und Profit, Neue Zeit, Bd. IX, Seite 590
    21) HUGO LANDÉ, Mehrwert und Profit, Neue Zeit, Bd. IX, Seite 590
    22) HUGO LANDÉ, Mehrwert und Profit, Neue Zeit, Bd. IX, Seite 590