ra-2L. PohorillesP. KampitsWindelbandE. H. Schmitt G. Mehlis    
 
GEORG MEHLIS
Formen der Mystik

"Bevor wir nunmehr auf die eigentlich entscheidenden Gegensätze zu sprechen kommen, sei nur ganz kurz auf das Problem der Wertfeindlichkeit hingewiesen, wie es in der Mystik manchmal so schroff zum Ausdruck kommt. In den Antinomien zwischen den verschiedenen Kulturgebieten tritt es zutage. Vor allem enthüllt sich auf diesem esoterischen Gebiet des religiösen Lebens die Feindschaft des Mystikers gegenüber dem spezifisch Ethischen. Mit den historischen Formen der Religion in Einklang gesetzt, widerstrebt die Unmittelbarkeit des mystischen Erlebens nur zu sehr dem Gebot des Sollens. Denn das Sollen ist es ja, welches der freien Liebesvereinigung hemmend entgegentritt und dem Menschen dasjenige zur Pflicht macht, was nur als ein Geschenk freier, freudiger Hingabe wertvoll ist. An der Kategorie der Einheit gemessen, steht das religiöse Bewußtsein der Verwirklichung dieses Ideals am nächsten, das ethische am fernsten. Der Sinn und Geist der Religion ist absolute Einheit, der Sinn des ethischen Lebens Dualismus und Widerstreit. Die Überwindung und Aufhebung der Gegensätze ist auch zugleich die Vernichtung der ethischen Probleme."

Kann die Mystik eine Form haben, sie, deren Wesen Form- und Gestaltlosigkeit bedeutet? Gibt es eine Form des Formlosen, eine Gestalt des Gestaltlosen? Kann das Namenlose einen Namen haben und dasjenige, zu dessen Wesen die absolute Indifferenz gehört, selber unterschieden werden?

Eine Untersuchung, welche darauf ausgeht, den Begriff der Mystik zu finden, welche sie systematisch orientiert, welche sie zu der ihr fremden und feindlichen Sphäre des Begriffs in Beziehung bringt, muß notwendig zu dem Resultat gelangen, daß ihr Begriff das Begrifflose sei. Die systematische Position der Mystik ist der Begriff des Irrationalen, der Begriff des Unbegriffes. Sie ist das, was der Form widerstrebt, was da ist, um überwunden zu werden. Selber keine Wirklichkeit, sondern vielmehr dasjenige, was das Wirkliche erst möglich macht, ist sie der Begriff von dem, was noch nicht ist. Über den Begriff der Möglichkeit, des Unbestimmten und Formlosen hinaus, ist das Grenzenlose und Unendliche dem Wesen der Mystik verwandt. Nicht nur entgegengesetzt, sondern feindlich ist ihre Natur dem logischen Wert. Sie bereitet dem Begriff Nacht und Untergang. Sie setzt an die Stelle der gegliederten Einheit das nächtliche Chaos, in dem die Schönheit der Form begraben wird.

Es läßt sich unschwer zeigen, daß die Mystik darauf ausgeht, alle logisch gültigen Verhältnisse in ihr Gegenteil zu verkehren. Die Mystik sprengt die logischen Grundverhältnisse, so vor allem das Verhältnis des Allgemeinen zum Besonderen. Während das logisch Allgemeine, sofern es im Abstraktionsprozeß zum Ausdruck kommt, das Besondere als solches deutlich hervortreten läßt, indem die Gattung die Individualität des einzelnen  bestimmt  und das Besondere im Prozeß der Determination durch Hineintragen der Differenz, das Unbestimmte, zu einem Bestimmten macht, hat das Allgemeine der Mystik die Tendenz, das Besondere in sich zurückzunehmen. Unduldsam gegen jede Differenz, sucht hier  das  Allgemeine sein eigenes Gebiet vollkommen homogen zu halten. Ist die logische Sehnsucht darauf gerichtet, daß alles differenter werde und eigene, selbständige Form gewinne, so will die mystische Sehnsucht die absolute Verschmelzung und Austilgung des Gegensatzes. Feindlich ist die Mystik ihrem innersten Wesen nach dem Prinzip des Gegensatzes, des Widerspruchs, der Negation. Die lebendige und schöpferische Kraft der Negatioin, die ihr Licht auf alle Gegenstände fallen läßt, wird ihr zum dunklen Schatten des Bösen.

Das logisch Wertvolle wird zum mystischen Unwert und das mystisch Wertvolle zum logischen Unwert. So wird das Ganze durch die Bestimmung der Unendlichkeit aller logischen Wirksamkeit entkleidet, da es nunmehr den perennierenden [immerwährenden - wp] Widerspruch in sich trägt.

Wenn wir dem ureigensten Wesen der Mystik nachdenken, so ist ihre Position das stille Verstummen in der unendlichen Fülle des religiösen Erlebens. Ihrer Stummheit entgegen gehört der Philosophie das laute Wort in der strengen Form des Begriffs. Wenn die Mystik reden will, so geht sie über sich hinaus, aber sie will manchmal reden, um andere teilnehmen zu lassen an der Schönheit ihres stummen Glücks. Dann muß ihr Sprache werden durch Begriffs- und Bildgestaltung. Der Mystiker, das religiöse Genie, deutet die Stummheit und Namenlosigkeit seines religiösen Werterlebnisses durch Begriff und Symbol. Diese Transskription der Innerlichkeit des religiösen Werterlebnisses durch die Gestalten der Philosophie und Kunst, die das religiöse Genie zu vollziehen vermag, ist die Mystik als Lehre. Hier handelt es sich also immer um eine Deutung, die das religiöse Bewußtsein an sich selber vollzieht. Das ist der unvergleichliche Wert der Mystik, daß sie uns in das reine Wesen der religiösen Innerlichkeit einzuführen vermag.

Wenn nun die Mystik, indem sie zur Lehre wird, sich des philosophischen Begriffes bedient, muß sie die der logischen Wahrheit angemessenen Formen so zu wandeln suchen, daß sie ihr zum Ausdrucksmittel werden können. Mystik als Philosophie ist somit stets ein logischer Irrtum, der mit Vernunftnotwendigkeit entsteht, wenn jene den Versuch macht, ihre große Paradoxie zu erfüllen, dem Unaussprechlichen eine Sprache zu geben.

Die Mystik, deren Wesen Formlosigkeit bedeutet, wird also zur Form, indem das mystische Erlebnis zur mystischen Lehre wird. Wir können die Mystik als Formlosigkeit im Sinne des absoluten Quietivs [Ruhe - wp] der Mystik als Form im Sinne der laut gewordenen Rede gegenüberstellen. Zwischen beiden liegt kein schroffer oder gar tragischer Gegensatz. Gehört auch zum Wesen der Mystik das absolute Verstummen vor Gott, so bedeutet die Lehre als Rede doch keinen Verrat an der religiösen Innerlichkeit. Denn diese Rede als Predigt ist gleichsam eine Emanation aus der Überfülle des religiösen Lebens. Und indem der religiös Erlebende zum religiösen Verkünder wird, offenbart er sich erst als religiöses Genie. Aus dem Überfluß ist alles gegeben. Die tiefste Armut ist hier zugleich die größte Fülle. An allzugroßer Fülle ist die mystische Seele arm geworden. Das Allzuviel vernichtete die Mannigfaltigkeit in absoluter Homogenität.

Die Armut der Mystik ist keine Armut des Entbehrens im Sinne eines ursprünglichen Mangels, sondern ihre Liebe und Sehnsucht ist auf hohem Reichtum aufgebaut. Je mehr die Liebe hat, umso mehr begehrt sie auch. Wenn der große Mystiker arm sein will, so entsagt er den äußeren Dingen und läßt die Lebendigkeit der Bilder und Begriffe in sich erlöschen. Die Betätigung aller Kräfte schweigt, zum tiefen Seelengrund geführt und in dieser gesteigerten Innerlichkeit, in dieser wahren Armut des Geistes sieht er dem zeitlosen Augenblick der Vergottung entgegen, in dem sich der Durchbruch nach der Ewigkeit vollzieht. Aber aus dieser Hochflut des innersten Erlebens, in der sie Menschheit war und Gott, kehrt die Seele zurück in die äußeren Kräfte und wird zum Verkünder des Geschauten, zum Lehrer und Prophet. Denn die Sehnsucht des Mystikers beschreibt gar weite Kreise. Auch alle jene, die weglos und führerlos nach außen gewandt sind, will er hineinbeziehen in den grundlosen Strudel des mystischen Erlebens. So verhält sich die  epistrophe  [Wiederkehr - wp] der Seele zur notwendigen Rückkehr zu Wort und Lehre wie Flut und Ebbe in ewigem Wechsel.

In der Lehre hat also das mystische Erlebnis eine Formung erhalten und die Art dieser Formung kann zu Unterscheidungen führen. Die Verschiedenheit der Form kann aber zuerst gesucht werden in der Natur der Hilfsmittel, welche die Transskription des religiösen Erlebnisses vollziehen. Als solche Hilfsmittel ergaben sich einerseits der Begriff und andererseits das anschauliche Bild als Gleichnis, Allegorie und Symbol. Der philosophische Begriff soll das Unbegreifliche begreiflich, das künstlerische Symbol das Bildlose bildhaft machen. In allen konkreten Erscheinungen der Mystik finden wir diese beiden wichtigsten Ausdrucksmittel mehr oder weniger vertreten.

Zu anderen Unterscheidungen werden wir geführt, wenn wir nicht auf das Mittel der Formung, sondern auf das Ziel reflektieren, nach dem sich die Gestaltung des mystischen Erlebens vollzieht. Am bedeutsamsten ist diejenige Form, welche sich die Erkenntnis zum Ziel setzt, in der innerhalb der mystischen Sphäre der spekulative Gedanke lebt. Als Vertreter der spekulativen Mystik sind vor allem ECKHART und BÖHME zu betrachten. Hier versteht sich das religiöse Bewußtsein als Gotteserkenntnis und in der schöpferischen Prägung neuartiger Begriffe berührt es sich am engsten mit der philosophischen Spekulation.

Anders, wenn das Ziel der mystischen Sehnsucht vor allem der Genuß der göttlichen Liebe ist, wenn die Gotteserkenntnis hinter der Gottesminne vollkommen zurücktritt und nunmehr die ästhetische Formung des religiösen Liebeslebens das mystische Kunstwerk erzeugt, wo das Ästhetische in die Sphäre der Mystik hineingenommen ist, wie in jenem minnereichen Liedern, die HEINRICH SUSO der ewigen Weisheit weihte.

Oder endlich die Mystik ist in dem Sinne praktisch gerichtet, sofern sie die Anweisung zum seligen Leben gibt, die ungöttlichen Menschen in ihrer Gottesfremdheit auf den Heilsweg der Seele weist und durch eine gewisse Betonung der Wirksamkeit das Ethische im Mystischen zum Ausdruck bringt.

Es würde nicht uninteressant sein zu zeigen, daß in derselben Weise wie die spekulative Mystik den logischen Wert aufhebt und begräbt, so die ästhetische und ethische Mystik den Sinn des Ästhetischen und Ethischen vernichtet, denn indem jene das Symbol bildet, um das Bildlose bildhaft zu machen, zerrüttet sie doch auch zugleich wieder die Form durch eine absolute Absage an alle plastische Gestaltung; und indem diese das Wirken betont, führt sie das Wirken doch auch zugleich vom Schauplatz des historischen Lebens fort in den Abgrund der Ewigkeit hinein.

Eine neue Möglichkeit verschiedener Formgebung gibt das Problem, welches im Mittelpunkt des Interesses steht. Hier handelt es sich vor allem darum, wo die Hauptspannung zwischen den drei Faktoren mystischer Kontemplation, Gott, Seele und Welt gesucht wird. Hier gibt es nun die beiden Möglichkeiten, daß im Spannungsverhältnis von Gott und Nicht-Gott entweder die Welt in der Seele oder die Seele in der Welt untergeht. In der Mystik des ECKHART geht die Welt unter vor der individuellen persönlichen und zugleich überpersönlichen Seele. Die Welt ist hier ein Nichts. Die große bedeutsame Relation liegt zwischen Gott und Einzelseele. In der Mystik PLOTINs liegt die letzte Spannung zwischen Gott und Welt. Hier bedeutet die individuelle Seele nur wenig gegenüber der schönen kontemplativen  psyche tou pantos  [Weltseele - wp]. Die Sehnsucht der Welt als Ganzes zu ihrem Ursprung hin ist so mächtig und groß, daß ihr gegenüber der Schrei der Einzelseele nach Gott lautlos verklingt. Die Mystik des PLOTIN verhält sich daher zur Mystik des ECKHART als Mystik des Kosmos zur Mystik der Individualität. Nicht auf dem Individuum, sondern auf dem Ganzen liegt hier der Wert. In ihrer erhabenen und ewigen Ruhe bleibt hier die Gottheit unbekümmert um die Individualität, die sehnsuchtsvoll emporstrebt, ohne sie jemals zu errichen. Dem Liebeswerben der Seele kommt die Gottheit nicht entgegen, bedarf sie doch der schwachen irdischen Liebe nicht. Die Gottheit als das Geliebte ist nicht auch zugleich das Liebende, d. h. es bestimt kein eigentliches Wechselverhältnis von Lieben und Geliebtsein Gott und Welt.

Bevor wir nunmehr auf die eigentlich entscheidenden Gegensätze zu sprechen kommen, sei nur ganz kurz auf das Problem der Wertfeindlichkeit hingewiesen, wie es in der Mystik manchmal so schroff zum Ausdruck kommt. In den Antinomien zwischen den verschiedenen Kulturgebieten tritt es zutage. Vor allem enthüllt sich auf diesem esoterischen Gebiet des religiösen Lebens die Feindschaft des Mystikers gegenüber dem spezifisch Ethischen. Mit den historischen Formen der Religion in Einklang gesetzt, widerstrebt die Unmittelbarkeit des mystischen Erlebens nur zu sehr dem Gebot des Sollens. Denn das Sollen ist es ja, welches der freien Liebesvereinigung hemmend entgegentritt und dem Menschen dasjenige zur Pflicht macht, was nur als ein Geschenk freier, freudiger Hingabe wertvoll ist. An der Kategorie der Einheit gemessen, steht das religiöse Bewußtsein der Verwirklichung dieses Ideals am nächsten, das ethische am fernsten. Der Sinn und Geist der Religion ist absolute Einheit, der Sinn des ethischen Lebens Dualismus und Widerstreit. Die Überwindung und Aufhebung der Gegensätze ist auch zugleich die Vernichtung der ethischen Probleme.

Es gibt aber noch einen anderen Weg, Formen der Mystik zu unterscheiden und dadurch dem Verstehen dieser großen Kulturerscheinung näher zu kommen. So läßt sich nach WINDELBAND die Mystik des Intellektualismus, deren Hauptrepräsentant ECKHART ist, der Mystik des Voluntarismus eines JAKOB BÖHME entgegensetzen. Die Mystik der Passivität tritt der Mystik der Aktivität entgegen, das Leiden durch Gott dem Kämpfen um Gott. Diese Unterscheidung ist nur scheinbar eine psychologische. Es handelt sich nicht um Verstellung und Wille, sondern um den gedeuteten Willen und die gedeutete Vorstellung.

Wertgesichtspunkte ethischer und logischer Natur machen sich geltend, so daß wir es hier augenscheinlich mit dem Gebiet der Sinnesdeutung zu tun haben. Diese Sinndeutung finden sich bei ECKHART überall dort, wo er das Wesen des Verstandes mit dem Wesen des Willens vergleich. Der Verstand ist die dem Willen überlegene Seelenkraft. Er ist ein Prinzip der Einheit, sofern er lediglich auf Erkenntnis gerichtet ist. Im Willen steckt dagegen etwas Antinomisches. Zwischen seinen beiden Funktionen, Begierde und Liebe, liegt ein Gegensatz. Die Begierde richtet sich immer auf das Zukünftige, das wir noch nicht besitzen. Sie kommt nie zur Ruhe und führt zum unendlichen Prozeß. Die Liebe ist hingegen auf das Gegenwärtige gerichtet. Sie ist eine Funktion des Verweilens und des Besitzes. So lange man die Dinge begehrt, hat man sie nicht, besitzt man sie aber und liebt sie, so schweigt die Begierde.

Der mystische Intellektualismus des ECKHART wurzelt in einer Sinndeutung, welche, orientiert am Wesen des Theoretischen, die psychischen Phänomene auf eine bestimmte Leistung hin einschätzt. Diese Sinndeutung und Orientierung am logischen Wert führt zum Primat des Verstandes über den Willen und führt weiter dahin, das Verhältnis von Gottheit und Seele seinem tiefsten Wesen nach als ein Verhältnis strenger Notwendigkeit zu denken. Nicht nach freier Wahl, sondern mit Notwendigkeit kommt Gott zur Seele und die Seele zu Gott. Mit Gottes Wesen ist das Wirken verbunden. Er  muß  wirken ständig und immerdar. Wenn Gott die menschliche Seele bereit findet, so  muß  er sich in sie ergießen in gleicher Weise wie sich die Sonne ergießen muß, sobald die Luft lauter und rein ist.

Und der zentrifugalen ausströmenden Bewegung entspricht eine zentripetale einströmenden Bewegung der Rückkehr. Gott ist nach Meister ECKHART dem Magneten zu vergleichen, der seine Kraft in die Nadeln gießt und sie an sich zieht oder der Sonne, die das Morgenlicht an sich zieht, so daß es zunichte wird. Aufgesogen wird die Seele vom Göttlichen wie der Tautropfen von der Sonne. Und ganz im Geist des Intellektualismus ist auch die Betonung der reinen Passivität als des unbedingt wertvollen göttlichen Zustandes.

Im Gegensatz dazu macht sich bei JAKOB BÖHME die Betonung des Willens, der Aktivität, der Freiheit geltend, und während für ECKHART das Böse im Geiste PLOTINs das bloße  me on  [Nichts - wp] bedeutet, gewinnt es in der Mystik des JAKOB BÖHME einen durchaus positiven Charakter.

So spiegelt sich in der Gedankenwelt dieser beiden großen Mystiker der Gegensatz von antiker und moderner Kultur. In der Mystik des ECKHART lebt noch der Geist der Antike, in der Mystik des JAKOB BÖHME pocht schon das Herz einer neuen Zeit. Dabei erscheint uns die Lehre des ECKHART als die vollendete Transskription des mystischen Erlebnisses. Dieses selbst bedeutet ja die absolute Gegensatzlosigkeit, das vollkommene Ungeteiltsein. Die Lehre des ECKHART versucht eine Umschreibung des Unbegreiflichen durch Begriff und Symbol und zerlegt so die absolute Einheit des religiösen Erlebens, aber die Trennung wird nur vollzogen, um die Einheit kund zu tun. Nur unter dem Gesichtspunkt des Vorläufigen und Vorletzten läßt sich bei Meister ECKHART der Gegensatz von Gott und Welt, von Form und Inhalt, von Wert und Unwert, von Gott und Mensch aufrechterhalten. Die Konsequenz seiner Lehre führt zu vollkommener Einheit zurück, da alle Schranken überwunden, alle Dinge lauter Gott sind. Aus der Einheit hervorgewachsen, durch Begriff und Symbol getrennt, führt der religiöse Einheitsgedanke auch auf dem Feld der Objektivierung das Getrennte wieder zusammen in der vollendeten  coincidentia oppositorum  [Zusammenfall der Gegensätze - wp].

Vielleich ist der Gegensatz von intellektueller und voluntaristischer Mystik für ihr kulturhistorisches Verstehen am wertvollsten, da er sich auf das engste mit den verschiedenen Wertungstendenzen alter und neuer Kultur berührt, doch erhalten wir von ihm aus noch keine Einsicht in die Natur der religiösen Antinomien, die sich offenbaren im Gegensatz von Notwendigkeit und Freiheit göttlicher und menschlicher Natur, der geschaffenen und ungeschaffenen Seele, der Vereinigung durch Schauen und der Wesensvereinigung. Dieses Gegensätze sind sowohl für die Mystik verschiedener Epochen charakteristisch, als sie auch in der Lehre der großen Mystiker selbst die ganze Schwere der letzten religiösen Probleme mit tragischer Gewalt zum Ausdruck bringen.

Diese Antinomien, welche das religiöse Bewußtsein auszukämpfen hat und die gerade bei den großen Mystikern so schroff hervortreten, wollen wir auf eine letzte Formel zu bringen suchen. Wir fragen aber nicht nach dem Werden, sondern nach der Vollendung, nicht nach dem Begriff, sondern nach der Gestalt. Nicht den religiösen Wert als solchen in seiner zeitlosen Geltung wollen wir zu bestimmen suchen, sondern die Grundformen und Gestalten des religiösen Bewußtseins, wie sie im historischen Prozeß zur Darstellung gelangt sind.

Nach dem Werden fragen wir nicht. Wer wollte das Mysterium ihres Werdens enthüllen, den tiefverschleierten Gründen nachspüren, aus denen diese Formen emporgetaucht sind. Wir fragen nach der Vollendung. Und da stehen sich zwei Gestalten drohend und unversöhnlich gegenüber: der religiöse Magier und der religiöse Mystiker. Niemals werden sie sich verstehen und niemals einander dulden, denn des einen Seligkeit ist des anderen Verzweiflung und des einen Himmel ist des anderen Hölle. Der eine behauptet das Gott binden, der andere das durch Gott gebunden sein, der eine das Gott zwingen, der andere das durch Gott gezwungen sein. Der eine behauptet das "zu Gott werden", der andere das "zu Gott kommen", der eine behauptet das "Gott sein", der andere das "in Gott sein".

Aber gibt es denn überhaupt einen religiösen Magier und einen religiösen Mystiker? Sind diese Gestalten des religiösen Bewußtseins wirklich? Ich meine nicht, daß sie uns als konkrete historische Individualitäten begegnen. Die Gestalten, die wir angedeutet haben, sind Typen des religiösen Bewußtseins, so wie antike und romantische Kunst Typen des ästhetischen Bewußtseins sind. Magie und Mystik sind die großen Gegensätze des religiösen Lebens. Häufig gehen diese Extreme im Einzelindividuum friedlich zusammen, bis dann plötzlich ein grelles Licht auf die Unverträglichkeit der Gegensätze, auf den verderblichen Sophismus der armen Seele fällt. Dann schauen sie mit irrem Geisterblick einander in die Augen und beben voreinander zurück, der Magier und der Mystiker.

Seltsam ist es, daß diese beiden Gestalten sich so nah und so fern sind. So fern in der absoluten Wertfeindlichkeit, die zwischen ihnen gesetzt ist, so nah, weil es nur ein kleines ist, wodurch das eine für das andere und das andere für das eine von dem am meisten Gewerteten zu dem am meisten Verworfenen wird.

Aller Zauber ruht auf Kraft. Es gibt ein religiöses Kraftbewußtsein, welches die Überzeugung in sich trägt, religiös wirken zu können. Will es aber wirken, so muß es von der Notwendigkeit des Schicksals und des Todes erlösen. Diese Erlösung geschieht durch das Wunder. Das Wunder ist Ausdruck der religiösen Kraft und der religiösen Bestimmung des Magiers. Der Magier ist ein Wundertäter, seine wundertätige Kraft ist grenzenlos. Vermag sie doch im Promethidendrang [Geschöpfe des Prometheus - wp] das Licht den Menschen zu bringen. Sie bedeutet eine Macht und eine Stärke, die vor nichts zurückschreckt. Vor himmelstürmendem Titanentum bebt diese Kraft der Seele nicht zurück und in ihrem großen Freiheitsdrang duldet sie nichts über sich. In sehnsuchtsvoller Ungeduld fällt sie dem göttlichen Schicksalslenker in den Arm seiner Weltregierung und die Feuerrosse des Sonnenwagens möchte sie peitschen, um schneller am Ziel zu sein.

Wo treffen wir in den Zeiten lichter Kultursonne den religiösen Magier? Mit der tiefen Weisheit des Dunklen von Ephesus geht eine religiöse Eschatologie zusammen. Niemand war so stolz in Griechenland wie HERAKLIT. So überzeugt vom Wert und der Heiligkeit seiner Person. Aus ihm tönt das Wort der Weltvernunt, wie von den Lippen der Pythia die Worte des delphischen Gottes. Was lehrt HERAKLIT von der Seele? Sie ist Feuer. Aber das Feuer hat Stufen der Reinheit. Es gibt weise und edle Seelen, die mit dem Tod nicht vergehen, sondern die ein höheres Los erwartet. Diese Seelen geben sich niemals auf. Ihre Individualität ist unbesiegbar. Der Tod des Sterblichen ist das Leben des Unsterblichen. Die Menschen werden zu Heroen, zu Dämonen, zu Wächtern der Lebendigen und Toten.

Es gibt nichts, was unerreichbar wäre für die starke Seele. Sie kann zum Gott werden. Zwischen Menschlichem und Göttlichem liegt keine absolute Kluft. Das Menschliche erhebt sich zum Göttlichen empor. Es hebt sich empor, denn das Gottwerden ist kein Gnadenakt, kein Geschenk von oben. In ihrer starken, unbeugsamen Individualität ringt sie sich empor, die Titanenseele, um Gott unter Göttern zu sein. Und wenn sie einmal zum Gott geworden ist, warum sollte es für sie unmöglich sein, der höchste der Götter zu werden?

Liegt nicht, so werden wir fragen, eine religiöse Ungeheuerlichkeit in dieser Anschauung? Gehört nicht zum Wesen des religiösen Bewußtseins das Gefühl des Gebundenseins an ein Höchstes, Unerreichbares? Aber warum den unerreichbar? Verlangt nicht die religiöse Sehnsucht, mit dem Unerreichbaren vereinigt zu werden, ihm näher und näher zu kommen? Wenn aber die Sehnsucht des Ähnlichwerdens zum Wollen des Gleichseins führt? Und wenn das "durch Gottes Kraft" zurücktritt hinter dem "durch eigene Kraft"? Ist das eine Verkehrung des religiösen Bewußtseins in ein Fremdes, Feindliches, oder hat nicht vielmehr damit das religiöse Bewußtsein nur die andere Seite seines Wesens enthüllt? Weggeworfene Demut, absolute Entäußerung, jauchzender Titanenmut, absolute Behauptung - sind sie vielleicht notwendige Brennpunkte, um die alles religiöse Leben sich bewegt? Das Gefühl des tiefsten Unwerts und des höchsten Werts. Der Wunsch, als Individualität ins Unendliche zu wachsen und der Wunsch, als Individualität zu vergehen.

Form und Gestalt scheint mir der Magier zu lieben. Aufgehen und Untergehen ist Buße für schwere Schuld. Seine Freude und Liebe gehört der eigenen großen Gestalt. Sich und die Welt will er nicht aufgeben. Deswegen kann der Magier wohl als der "Fürst dieser Welt" erscheinen. Aber wenn er auch die große Negation der Diesseitigkeit nicht vollziehen will, so führt ihn doch die Bejahung der eigenen Individualität in die Sphäre des Ewigen hinein.

Werfen wir noch einen Blick auf die Nachfolger des HERAKLIT in seiner Lehre vom göttlichen Logos, auf die Philosophen des römischen Weltreiches, auf die Stoiker. Wie mächtig ist doch in ihnen der religiöse Magier! Hoch über alle irdische Gemeinschaft erhebt sich der göttliche Weise. Der Weise ist ein König, ein Gott, der Herr dieser Erde. In ihm ist der Logos wirklich. Geschieden ist er durchaus von den schwachen vernunftlosen Menschen, der großen Zahl der Toren. Der Weise ist absolut gut, alle anderen Menschen sind absolut schlecht. Gewaltig ist seine Kraft. Hervorzaubern kann sein Wille aus dem Innersten der Seele die starke, mächtige Lust und derselbe Wille kann den gewaltigen Schmerz siegreich überwinden. Und so übt der religiöse Magier den Zauber aus, der auf Kraft beruth und ist so stolz, daß er sich niemals beugt, und so stark, daß er sich niemals aufgibt. Wandelnd im ruhigen Licht der Vernunft, bejaht er diese Welt als den Schauplatz seiner Taten. Er ist der Fürst dieser Welt, der zum Gott werden will. Deswegen ist er dem Mystiker Teufel.

Diese andere Form des religiösen Bewußtseins war bisher nur schüchtern hervorgetreten. Sie hatte ein verborgenes und stilles Leben geführt, wenn auch schon ihr bloßes Dasein einen Protest bedeutete gegen die Ungöttlichkeit des religiösen Magiers. Die mystische Seele protestierte in stummer, hilfloser Qual gegen die Wundertätigkeit, Kraft, Schönheit und Weltlichkeit des religiösen Magiers. Sie konnte ihn nicht ertragen diesen Formensinn, diese Gestaltungskraft, diesen Stolz, diese Selbstbejahung und diese Weltbejahung.

Und doch fehlte es dem Gegenbild der Mystik nicht an Frömmigkeit. Sein Kultus war der Schönheit und Form der eigenen Individualität zugewendet und weil sie so schön und göttlich war, hielt er sie für heilig. Der religiöse Magier besaß das Bewußtsein seiner Ewigkeit und Göttlichkeit. Dieses Bewußtsein machte ihn so stolz. Er war kein Feind Gottes. Er hat die Gottheit so wenig geleugnet wie er sich selbst geleugnet hat. Aber er blieb dabei, das Göttliche in sich selbst zu schauen. Er fand nicht den Weg über sich hinaus. Er empfand die Ewigkeit als sein gutes Recht und kannte keine Bitte.

Und wenn der stolze Blick des Magiers den stummen Vorwurf im Auge der mystischen Seele beobachtet und ihr Wesen und ihre Art erkannt hätte, so hätte er sich gewiß über ihre Ungöttlichkeit entsetzt. Denn wo blieb hier die Heiligung und Werthaltung der Individualität? Wo blieb jene freudige Quelle des Stolzes, daraus er sein Flammendasein zog? Suchte jener nicht die stumpfen und dumpfen Niederungen auf, ohne Wunsch und Ziel des schaffenden Götterlebens den Weg der Erniederung wandelnd, nicht aber den Weg der Erhöhung? Wie schwach und ohnmächtig doch die mystische Seele ist! Sie will sich nicht selbst erhalten, sich nicht selbst bewahren. Sie fordert nicht die Unendlichkeit für sich, sondern die Vernichtung. Sie will hingehen und aufgehen im Wesen der Gottheit, zum ewigen Schweigen soll ihr die Gottheit werden. So macht sie die Gottheit zum Grabmal ihres Seins, zum stummen Kirchhof des Lebens. Und die Form und Eigentümlichkeit des Wesens, darin doch unsere Göttlichkeit besteht - denn unsere Göttlichkeit ist unsere Freiheit - grade sie sollen einer absoluten Bindung aufgeopfert werden. Das Wertvollste sollen wir aufgeben, Selbstmord und Selbstvernichtung treiben. Denn für den religiösen Magier ist die Individualität und ihre Freiheit ein Heiliges, für den Mystiker aber ein Schuldhaftes. Das sich selbst aufgeben ist ihm nicht nur Genuß, sondern auch Erlösung.

Dem Mystiker gilt die Betonung der Individualität als Sündenschuld. Sündhaft ist die Ablösung vom Alleinen. Das Gewordene verdankt sein Gewordensein einem Unrecht, einer Schuld. Diese Schuld wird als Auflehnung, als Empörung gedeutet, als sündige Liebe, als das Bestreben, wissen zu wollen vom Urgrund des Seins, also als Schuld der Erkenntnis. Wieviele Deutungen dieser Ablösung und Trennung hat der religiöse Mystiker doch versucht! Ein strenger Richter war er, wenn ihm das Wesen der Individualität als das sündige Streben erschien, Gott gleich zu sein, oder auch, wenn er erschaute den unbesiegbaren Hang, an das große Geheimnis der Welt zu rühren und Geliebter sein zu wollen, wo stilles Dienen ziemt. Aber wie zahlreich auch die Deutungen waren, durch welche der Mystiker sich das Geheimnis der unseligen Individuation verständlich zu machen suchte: Hochverrat, sündige Liebe, pietätloser Rationalismus - sie vor allen sind des Magiers Schuld.

An der Scheidegrenze von alter und neuer Welt steht die Gestalt des göttlichen Menschen, in dem die mystische Sehnsucht ihre erste große Erfüllung fand. In ihm wurde das geheime Verlangen des religiösen Mystikers zum deutlichen Wort und zwingender Macht. Hier hat die mystische Sehnsucht ihren absoluten Ausdruck gefunden in dem Wollen und Vollbringen des Opfers, in der völligen Hingabe an Gott. In ihm ist der Gedanke der ungöttlichen Trennung, die Schuld der Individualität überwunden. Bleibt doch die reine, die heilige Seele unlöslich mit Gott verbunden, sie, die selber göttlich ist. Sein Kommen bedeutet keine Trennung, sondern vielmehr Aufhebung aller Trennung und absolute Vereinigung. Der große Liebesgang der Seele kennt keine Fremdheit und Entfremdung. Dem Menschlichen nicht fremd und dem Göttlichen nicht entfremdet. Absolute Menschennähe und absolute Gottesnähe.

Der große Mystiker hat seinen Jüngern das heilige Schauen gelehrt. In der visio, in der contemplatio kehrten die Getrennten zu ihm zurück. Was ist das Neue in diesem Schauen gegenüber dem Schauen PLATOs? Es ist wichtig für das platonische Schauen, daß es am Licht der Erinnerung aufleuchtet. Das platonische Schauen gibt der Seele wieder, was sie verlor. Die großen Gestalten des Wissens, welche die Seele dereinst am überhimmlischen Ort erblickt, läßt die metaphysische Erinnerung auftauchen. Diese Fülle der Gestalten hat die Seele nie besessen. Auch damals waren sie für die Seele ein Unerreichbares. Sie waren etwas von fern Geschautes, leicht zu Verlierendes. Das irdische Wissen von den Ideen ist durch die dumpfe Sinnenwelt getrübt. Niemals vermag die Seele in ihrem irdischen Dasein so zu schauen, wie sie damals geschaut hat. Im schwachen Abendlicht der Erinnerung sieht sie Gestalten, die sie dereinst in der glutvollen Schönheit des Mittags geschaut hat.

So ist das platonische Schauen ein Schauen des Gestalteten, eine Hinwendung zur Vielheit des Einzigartigen unter Bewahrung der absoluten Distanz und der Betonung des Unerreichbaren mit dem Gedanken der Erinnerung an eine verlorene Schönheitswelt verbunden. Jene Welt aber besitzt eine absolute Stabilität. Sie ist das ewige Jenseits der Seele, das sie erstrebt, das selber aber dem Streben der Seele nicht entgegenkommt und dort bleibt und in sich ruht. Das Göttliche bleibt der Seele fern. Niemals kann die Seele zu den Ideen gelangen. Sie ist von niederem Geschlecht und kann die Ideenwelt nie erreichen. Mit der absoluten Gottesferne ist die Wirklichkeit des Göttlichen gewiß. Wir können das Göttliche niemals besitzen, aber wir wissen, daß es sicher und fest in sich ruht, unbekümmert um unser Sein oder Nichtsein.

Gegenüber jenem unerreichbaren Göttlichen ohne Bewegung, ohne Mangel und Bedürftigkeit, ohne Haß und ohne Liebe, das, unbekümmert um die Welt, in der Betrachtung seiner höheren Natur versunken ist, gegenüber jenem Gottesbegriff, den große einsame Denker aus den Tiefen des theoretischen Bewußtseins geschöpft hatten, und den das religiöse Bewußtsein nicht anerkennen konnte, bedeutet Magie und Mystik in gleicher Weise eine Überwindung der Distanz. Die Überwindung der Gottesferne ist nach der Lehre des Mystiker die Tat der Liebe. Die Einseitigkeit des Verhältnisses von Gott und Seele wird überwunden. Gott ist nicht nur der Geliebte, sondern auch der Liebende. Wenn aber Gott liebt, so liegt in seinem Wesen ein Mangel. Gott ist der Liebende, Gott ist der Bedürftige, so lehren Mystik und Magie. Die Lehre von der minne, mit der Gott sich selber minnet, und die Lehre von der amor dei intellectualis sind die wertvollsten Lösungen, zu denen das mystische Bewußtsein bisher gelangt ist in seinem Bestreben, den Begriff der Bedürftigkeit aus dem der Liebe auszuschließen. Ist Gott der Liebende, aber nicht der Bedürftige, so erleiden wir seine Macht, ist Gott der Bedürftige, so erleidet Gott Zwang, so wird er durch uns mit Notwendigkeit zum Tun getrieben.

Das Schauen des Mystikers überwindet die Gottesferne. Seine  epistrophe  ist eine Hinwendung zur Einheit, zu jenem Einen, in dem die Formen untergehen, die Gestalten erlöschen. Das Schauen ist nicht mehr ein ruhiges Abbilden der göttlichen Wahrheiten. Es schlägt jede Verwandtschaft mit dem sinnlichen Schein aus. Nicht nur weiter reicht das Auge des Geistes, nicht nur feiner bildet es nach. Das mystische Schauen ist dem sinnlichen Leben wesensverschieden. Es handelt sich nicht mehr um ein Schauen der Gestalten, sondern um ein gestaltloses Schauen. Denn nach Innen ist das Auge des Mystikers gerichtet. Nicht sucht er hinter den Gestalten der Natur die höheren Gestalten, sondern aus der formlosen Welt des inneren Erlebens wächst ihm der Gegenstand seiner Sehnsucht zu. Und indem die Formen erlöschen und verschwimmen, führt die Sehnsucht des Mystikers nicht zur Vielheit des Einzigartigen, sondern zu der Einzigartigkeit des Vielen.

Aus der Lehre des HUGOs von St. Victor verstehen wir der Mystik reines Wesen. Der Mystiker ist der große Schauende und muß als Mystiker der Schauende bleiben. Ist das Schauen Gottes von Angesicht zu Angesicht nicht die Erfüllung aller religiösen Sehnsucht? Aber hinzu tritt der Gedanke der Wahl: auserlesen ist die fromme, die dienende Seele von CHRISTUS, dem göttlichen sponsus. CHRISTUS nimmt die Seele zu sich. Die jungfräuliche Seele ist dem Heiland lieb. Im Anschaun Gottes versunken, stirbt die Bewegung des Geistes und die Seele geht ein in das göttliche Dunkel, geleitet von CHRISTUS, ihrem Geliebten und Herrn. Und so wird der geliebten Seele die hohe Gnade zuteil, schon im Diesseits teilhaftig zu werden der Offenbarung der ewigen Wahrheit. Wohl ziemt es der mystischen Seele, dem hohen Bild den heiligen Schleier zu lassen, das Unbekannte still zu verehren. Frevel und Schuld ist das eigenmächtige Streben der Individualität, das göttliche Mysterium zu durchdringen. Aber die Seele, die Gott liebt, darf mit seinem Willen die hüllenlose Wahrheit schaun. Der Eigenwille der Seele geht völlig verloren. Der Wille des einzelnen geht im Willen des Ganzen auf. Die Individualität geht in Gott unter wie der Wassertropfen im Meer oder wie glühendes Eisen im Feuer.

Umso ähnlicher wird die Seele Gott, je mehr die "Kräfte", Gedächtnis, Wille und Verstand, überformt werden von der göttlichen Gnade. Der Weg zu Gott bedeutet im Geist der Frühmystik eine Erhöhung und Steigerung aller seelischen Kräfte. Und dennoch bleiben jene beiden, Gott und Seele noch getrennt, sie gehen nicht zu vollkommener Einheit zusammen, denn verschieden ist ihre Natur und verschieden ihr Wesen, kreatürlich ist die Seele und ungeworden ist Gott. In den soeben kurz umschriebenen Gedankengängen bewegt sich die reine Mystik des Mittelalters, zu deren letzten großen Erscheinungen HEINRICH SUSO gehört. Aber in die Entfaltung des religiösen Bewußtseins drängt sich das religiöse Genie hinein, in dem Mystik und Magie in Widerstreit geraten: Meister ECKHART. Darin scheint mir die Größe ECKHARTs zu liegen, daß er die Forderungen des magischen Bewußtseins mit den Forderungen des mystischen Bewußtseins zu verbinden wußte. Und die hohe Tragik seiner Erscheinung ist darin zu suchen, daß die beiden ewigen Widersacher, jene beiden, die sich niemals verstehen und dulden können, daß der Magier und Mystiker sich seine Seele wählten, um ihren tödlichen Kampf auszukämpfen. All die großen religiösen Antinomien brechen bei ihm gewaltig hervor: der Gegensatz von Notwendigkeit und Freiheit, von Allgemeinem und Besonderem, von Gott und Unsterblichkeit.

Schon in der Sprache des ECKHART kündigt sich etwas ganz Neues an. Die zarten Worte der jungfräulichen Mystik weichen der glutvollen Schönheit leidenschaftlicher, gewaltiger Rede. Denn die Jungfrau ist Weib geworden, und Weib ist mehr wie Jungfrau. Die Seele Meister ECKHARTs konnte Gott nicht nah genug kommen und lief so Gefahr, ihn ganz zu verlieren. Um Gott nah zu sein, müssen alle Hüllen fallen. Die Seele muß sich aller Kräfte entkleiden und nackt und bloß sein wie die Gottheit, die mehr als Gott, doch ein Nichts ist, arm, weil vollkommen unbestimmt, reich, weil Grund aller Realität. Mit jener nackten Gottheit, die sich aller Dinge entäußert hat, will sich die nackte Seele vereinen. Diese Vereinigung kann aber keine Vereinigung des Schauens sein. Im Schauen sind wir Gott noch gar zu fern. Die Liebesvereinigung der Seele mit Gott ist eine Wesensvereinigung. Die Seele wird in der mystischen Vereinigung nicht nur göttlich, nicht nur gottähnlich, sondern dem göttlichen Wesen gleich.

Und diese Wesensgleichheit ist überhaupt das wahre und ewige Verhältnis von Gott und Seele. Die Seele ist ebensowenig geschaffen wie Gott selber. Es lebt etwas in uns, was mehr ist als alle Kreatur. Dieses Etwas, der Funken, war mit Gott eins im ewigen Abgrund der Welt, in der bloßen Gottheit und hat mit Gott die Welt geschaffen. Die Seele ist ungeschaffen und Gott gleich, nicht nur das Edelste von allem Geschaffenen, nicht nur gottähnlich. Hier ist die Stelle, wo der religiöse Mystiker zum religiösen Magier wird.

Nicht hoch genug kann ECKHART den Wert der Individualität erheben. Über die Natur der Engel geht das Wesen der menschlichen Seele. Der tiefe Grund, das "nirgend" der Seele, in dem der Mensch nicht nur Persönlichkeit, sondern auch Menschheit ist, die heilige Tiefe der Seele ist dem Abgrund und Urgrund des göttlichen Wesens gleich.

Die Seele ist nach ECKART Schöpfer und nicht nur Geschöpf. Sie ist wie Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit. Es gibt kein von der Seele unabhängiges Prinzip des Anfangs. Durch die menschliche Seele erleidet Gott Zwang. Dem reinsten Zustand ihrer Jungfräulichkeit gegenüber hat Gott keine Wahl. Er muß sich mit der Seele vereinigen. Er mag wollen oder nicht. Und so erwächst aus den entgegengesetzten Forderungen von Magie und Mystik durch die Kraft des religiösen Genius das große, fromme und schuldhafte Werk: Meister ECKARTs Lehre.

Der Forderung der Magie genügt die hohe Bewertung der Seele, die nichts über sich duldet, die ihrem Wesen nach Gott gleich, anfangslos und grundlos ist wie er. Die Seele ist frei, denn ihre Göttlichkeit kennt keine höhere Macht und da sie ungeworden und ungeschaffen ist, so muß die Seele notwendig auch unsterblich und unzerstörbar sein. die Seele ist so stark, daß sie Gott zu zwingen vermag und so stirbt Gott vor der allmächtigen Seele.

Der Forderung der Mystik genügt die Betonung des Allgemeinen im Gedanken des Begrabenseins in der wüsten und leeren Gottheit. Der Untergang in Nichtesnicht. Das Fortgezogenwerden in den Urgrund des Seins. Die Seele ist so mächtig, daß sie den Durchbruch nach der Ewigkeit vollziehen, Gott zur Vereinigung zwingen kann. Aber indem sie Gott zwingt, erleidet sie selber den Zwang seiner Liebe. In heiliger Passivität erleidet sie sein Wirken, und im Gedanken des Gottwerdens erlischt niemals die Sehnsucht des zu Gott Kommens. Die starke Betonung des Allgemeinen, in dem alles ruht und begründet ist, läßt die Teile in ihrer Selbständigkeit und Abgegrenztheit nicht bestehen. Und so stirbt die Seele vor dem allmächtigen Gott.

Die Antinomien der verschiedenen Kulturgebildet münden in die Sphäre des religiösen Lebens. Aber die Sphäre der Religion ist nicht so ohne weiteres die Lösung, hebt nicht so ohne weiteres die Gegensätze auf. Vielmehr erscheinen die Gegensätz der anderen Kulturgebiete hier in verschärfter Form, wo es sich um die letzten Werte handelt. An der Lösung der religiösen Antinomien arbeitet das religiöse Genie und wir müssen die Probleme zu verstehen suchen, vor die es gestellt ist. Dahin gehört aber auch die Synthese von Magie und Mystik, die Meister ECKHART versucht hat.

LITERATUR Georg Mehlis, Formen der Mystik, Logos, Bd.2, Tübingen 1912