ra-2Gnaeus FlaviusG. JellinekR. Pattaivon JheringF. Klein    
 
JOSEPH UNGER
Der Kampf ums Recht

"Nach dem Muster von  Nietzsches Willen zur Macht formt Kantorowicz den Ausdruck Wille zum Recht. Immer ist es der Wille, der den Verstand am Gängelband führt. In der Tat verhält es sich gerade umgekehrt. Wenn der Wille etwas wollen soll, so muß er zuerst eine Vorstellung von diesem Etwas haben. Wie soll der Wille eine bestimmte Richtung nehmen, wenn er nicht vorher weiß, worauf er sich richten soll? Erst erkennen, dann wollen: erst Vorstellung, dann Wille. Die richterliche Entscheidung geht zuerst aus dem Verstand, hierauf erst aus dem Willen hervor: weil der Richter erkannt hat, daß dieses oder jenes recht ist, spricht er es im Urteil als Recht aus. Der Richter fällt seinen Spruch, weil er ihn für gerecht hält, nicht aber er seinen Spruch für gerecht, weil er ihn gewollt und gefällt hat."

Mit dem vorstehenden Titel ist unter der Maske "Gnaeus Flavius" eine kleine Schrift von fünfzig Seiten erschienen, welche nicht verfehlen wird, in weiten juristischen Kreisen und wohl auch darüber hinaus Aufsehen zu erregen. In dieser wohlbegründeten Erwartung tritt dann auch das Opuskulum, wie auf dem Titelblatt verkündet wird, sofort mit zweitausend Exemplaren auf den Kampfplatz.

Der pseudonyme Verfasser ist sicherlich ein geist- und temperamentvoller, wohlunterrichteter und vielseitig gebildeter Gelehrter. Er schreibt frisch und flott von der Leber weg. Er beschäftigt sich nicht bloß mit der Jurisprudenz, sondern streift gelegentlich auch andere Kreise und holt zum Teil blendende Vergleiche aus entlegenen Gebieten her. Er rührt - eingedenk des Ausspruchs von ULPIAN in L. 10. § 1 D. de just. et jure (1,1):  Jurisprudentia est divinarum atque humanarum rerum notitia  [Rechtswissenschaft ist die Kenntnis der göttlichen und menschlichen Angelegenheiten, und das Verständnis darüber, was gerecht und was ungerecht ist. - wp]. - an göttliche und menschliche Dinge mit einem unerschrockenen Freimut und mit einer Parrhesie [Offenheit - wp], die noch bewundernswerter wäre, wenn es ihm beliebt hätte, mit offenem Visier zu kämpfen.

Was will nun diese kleine Schrift? Sie unternimmt es, der heutigen Rechtswissenschaft und Rechtensprechung den Todesstoß zu versetzen und dagegen das Prinzip der  "freien Rechtsfindung"  der  "freien Rechtsschöpfung"  an ihre Stelle zu setzen.

Was ist nun das "freie Recht"? Es ist ein Recht, das im Gegensatz zum staatlichen Recht steht, ein nichtstaatliches Recht, ein Recht, das das rechtslehrende oder rechtsprechende Individuum in und aus sich findet, aus sich selbst schöpft.

In welchem Verhältnis steht das freie Recht zum staatlichen Recht? Dies ist die entscheidende Frage.

Indem ich die Reihenfolge der Darstellung des Verfassers umkehre, wende ich mich sofort seinen Ansichten über die  Rechtsprechung  zu.

Unser  Gnaeus Flavius  fordert, "daß der Richter, durch seinen Eid verpflichtet, den Fall so entscheidet, wie nach klarem Wortlaut des Gesetzes zu entscheiden ist. Von diesem darf und soll er absehen erstens, sobald das Gesetz ihm eine zweifellose Entscheidung nicht zu bieten scheint." Leistet aber der Richter den Eid etwa nur auf die Befolgung  klarer  Gesetze und nicht auf die Befolgung der Gesetze überhaupt? Wie schade, daß der Richter einen solchen Eid ablegen muß: er könnte sonst sofort das Gesetz beiseite schieben und "freies Recht" an dessen Stelle setzen! Und wenn das Gesetz zweifelhaft ist, so muß der Richter sich eben für den einen oder den anderen Sinn, den dasselbe haben kann, entscheiden. Woher soll ihm aber das Recht kommen, sowohl diesen als auch jenen möglichen Sinn des Gesetzes außer acht zu lassen und nach seinem eigenen Sinn zu entscheiden?

Der Richter "darf und soll zweitens vom Gesetz absehen, wenn es, seiner freien und gewissenhaften Überzeugung nach, nicht wahrscheinlich ist, daß die zur Zeit der Entscheidung bestehende Staatsgewalt die Entscheidung so getroffen haben würde, wie es das Gesetz verlangt. In beiden Fällen soll er die Entscheidung treffen, die, seiner Überzeugung nach, die gegenwärtige Staatsgewalt, falls der einzelne Fall ihr vorgeschwebt hätte, getroffen haben würde". Wie soll aber der Richter sich diese oder jene Überzeugung verschaffen? Wie soll er  in animam  [im Leben - wp] der "Staatsgewalt" hinein judizieren? Vollends in unserer parlamentarischen Zeit, wo Gesetze nur durch Übereinstimmung dreier Faktoren zustande kommen. Soll der Richter etwa nach dem vermutlichen Willen des Unterhauses oder des Oberhauses oder der Krone den gegebenen Fall entscheiden? Freilich meint der Verfasser, "vermag der Richter sich eine solche Überzeugung nicht herzustellen, so soll er nach freiem Recht entscheiden". Um zu diesem Resultat zu gelangen, hätte es jenes unmöglichen Umwegs nicht bedurft.

"Endlich, in verzweifelt verwickelten oder nur quantitativ fraglichen Fällen, wie Schadensersatz fürimmateriellen Schaden, soll - und muß - er nach Willkür entscheiden". Nach Willkür?! Wie ganz anders und besonnener lautet die Vorschrift des § 287 der deutschen Zivilprozeßordnung und des § 273 der österreichischen ZPO!

"Stets aber soll den Parteien im Zivilprozeß freistehen, durch gemeinsamen Antrag den Richter von der Pflicht der Beobachtung irgendeiner staatlichen Rechtsnorm zu entbinden". Das ist wohl der äußerste "Schritt vom Weg"! Die Parteien sollen "durch gemeinsamen Antrag"  jedes  Gesetz für sich außer Kraft setzen dürfen, und der Richter muß sich trotz seines Eides auf das Gesetz dem fügen! Es gibt hiernach kein zwingendes Reht mehr! Die Willkür der Parteien ind zur  suprema lex  geworden. Hiermit wäre dann auch eine unbeschränkte "einverständliche Scheidung" ("Trennung" nach österreichischem Sprachgebrauch) neuester Faktur möglich und den katholischen Ehegatten in Österreich mit  einem  Schlag geholfen - der gordische Knoten wäre gelöst!

"Gegen Exzesse der Subjektivität - meint der Verfasser - schützt genügend die ausgleichende Vielheit der Köpfe im Richterkollegium und der Instanzenzug". Aber wozu dies alles, da ja jeder Richter doch wieder nur nach seinem "freien Recht" entscheiden würde: soviel Richter, soviel freie Rechtsfindungen! Auf diesem Weg würde die wegen der Möglichkeit widersprechender Entscheidungen (selbst in derselben Richterinstanz) ohnehin nicht allzu große, und doch so erwünschte Rechtssicherheit vollends in die Brüche gehen.

Durch diese Positionen und Propositionen unseres  Gnaeus Flavius  wird die Suprematie [Vorherrschaft - wp] des Individuums über das Gesetz, die Herrschaft des Einzelwillens über den Staatswillen proklamiert. Der Verfasser meint allerdings, daß wir in einer Zeit leben, "die überall den individuellen Faktor mächtig zur Geltung bringt" und nennt unser Zeitalter "ein Zeitalter des steigenden Individualismus". Wir hatten bisher freilich geglaubt, daß das 20. Jahrhundert ein soziales oder, wenn man lieber will, ein sozialistisches, kollektivistisches sein wird!

Unter diesen Umständen wäre es wohl besser, sich nicht die Mühe zu machen, Gesetzbücher zu verfassen und ihren Inhalt wissenschaftlich zu bearbeiten, da sich ja Richter und Parteien "stets" über das Gesetz hinwegsetzen können.

Auf der schiefen Ebene weiter gleitend, gelangt unser Verfasser schließlich dazu, die Volkswahl der Richter etwa nach schweizerischem Vorbild zu empfehlen. Ob die Erfaungen, die man in der Schweiz in dieser Beziehung gemacht hat, so glänzend und vielverheißend sind, vermag ich nicht zu sagen. In England aber, auf das als Vorbild der Verfasser vielfach rekurriert, hält man an der Ernennung der Richter fest, und auch in Frankreich ist man nach den während der Revolutionszeit mit der Wahl der Richter gemachten Erfahrungen zur Ernennung derselben zurückgekehrt. Wir leiden ohnehin an der Hypertrophie [Übermaß - wp] der Wahlen: Wahlen in den Reichstag (Reichsrat), in den Landtag, in Kreis- und Bezirksausschüsse usw. Seitdem die staatsrechtliche Wissenschaft erkannt hat, daß es ein primäres selbständiges Wahlrecht nicht gibt, daß das Wählen eine staatliche Funktion, eine staatliche Pflicht und nur ein obligatorisches Recht ist, sprechen sich immer mehr Stimmen für die Einführung der Wahlpflicht aus. (1) Dann aber darf man die Wahlen nicht allzusehr häufen. Und wie groß und begründet sind die Befürchtungen, daß gewählte Richter nicht die so gebieterisch geforderte Objektivität und Unparteilichkeit besitzen, sondern zu willfährigen Organen politischer und sozialer Parteien werden und ihr hohes Amt parteimäßig ausüben würden.

Unser Verfasser dürfte seines Zeichens wohl ein Zivilist sein - der ganze Zuschnitt seiner Schrift macht dies wahrscheinlich. Gelegentlich streift er aber auch das Strafrecht. Soll nun etwa auch auf diesem Gebiet und auf dem Gebiet des Verfassungs- und Verwaltungsrechts "freies Recht" herrschen?

Nun gibt es allerdings ein Gebiet, auf dem freie Rechtsfindung stattfinden darf, ja muß. Es ist dies der Fall, wenn und soweit das Gesetz Lücken enthält. Da der gegebene Rechtsfall entschieden werden muß, und der Richter nicht so lange warten kann, bis ein "diesbezügliches" Gesetz erlassen wird, so darf und muß er den gesetzleeren Raum durch eine quasi-legislatorische Tätigkeit ausfüllen und für den konkreten Fall auf denselben ein beschränktes objektives Recht schaffen. Der Richter darf zwar nicht  contra legem  [gegen das Gesetz - wp] judizieren, aber  praeter legem  [am Recht vorbei - wp] darf und muß er aus eigener Machtvollkommenheit Recht schaffen (2). Hierzu ist er aber erst dann berechtigt, wenn alle Mittel und Handhaben zur Gewinnung der Entscheidung aus dem Gesetz selbst geschöpft sind. So bestimmt dann auch Artikel 1 des schweizerischen Zivilgesetzentwurfs, daß der Richter in diesem äußersten Fall "sein Urteil nach der Regel zu sprechen hat, die er als Gesetzgeber aufstellen würde." Unser Verfasser geht über "diese anderen Quellen" leichten Fußes rasch hinweg und pflanzt sofort die Fahne des souveränen, allein seligmachenden "freien Rechts auf: was nach jenem Artikel 1  ultimum remedium  [letztes Heilmittel - wp] ist, ist nach ihm  primum et unicum remedium  [erstes und einziges Heilmittel - wp]. Hiermit ist dann auch schon seine Stellung zur  Rechtswissenschaft  gegeben und gekennzeichnet.

Der Verfasser verwirft die extensive (3) und die restriktive Interpretaion sowie (mit Recht) die überkommenen, einander widersprechenden Interpretationsregeln, die ja in der Tat nicht mehr Wert haben als die Wetterregeln der Bauern. Er verwirft die Analogie und (mit Recht), aus bekannten Gründen) den Gebrauch von dogmatischen Fiktionen. Er verwirft das Operieren mit der  ratio legis  (4), ferner alle juristischen Konstruktionen (5), alle Dogmatik, alle Systematik und schließlich summarisch die ganze moderne "papierne Jurisprudenz" (ein nach dem Titel des bekannten Werkes von OTTO SCHRÖDER "Vom papiernen Stil" geformter Ausdruck). Schließlich verwirft er die Motivierung richterlicher Entscheidungen (mit der vielleicht nicht sehr überzeugenden Nebenbegründung, daß auch "der Gläubige nicht vom jüngsten Gericht motivierte Entscheidungen verlangt") - von seinem Standpunkt aus gewiß mit Recht:  sic volo, sic jubeo  [So will ich, so befehle ich. - wp].

Und was setzt er an die Stelle? Den von manchen neueren Philosophen gepredigten  Voluntarismus:  "Die Rechtswissenschaft schließt sich dem Zug der Geisteswissenschaften im 19. Jahrhundert an und tritt in ihre  voluntaristische Phase."  Im Anschluß an SCHOPENHAUER (obgleich er "dessen Willensmetaphysik strikt ablehnt") behauptet er den Primat des Willens. Nach dem Muster von NIETZSCHEs "Wille zur Macht" formt er den Ausdruck "Wille zum Recht". "Immer ist es der Wille, der den Verstand am Gängelband führt".

In der Tat verhält es sich gerade umgekehrt. Wenn der Wille etwas wollen soll, so muß er zuerst eine Vorstellung von diesem Etwas haben. Wie soll der Wille eine bestimmte Richtung nehmen, wenn er nicht vorher weiß, worauf er sich richten soll? Erst erkennen, dann wollen: erst Vorstellung, dann Wille. Die richterliche Entscheidung geht zuerst aus dem Verstand, hierauf erst aus dem Willen hervor: weil der Richter erkannt hat, daß dieses oder jenes recht ist, spricht er es im Urteil als Recht aus. Der Richter fällt seinen Spruch, weil er ihn für gerecht hält, nicht aber er seinen Spruch für gerecht, weil er ihn gewollt und gefällt hat. Und ebenso verhält es sich mit dem staatlichen Gesetzgeber: weil er ein bestimmtes Objekt und Ziel vor Augen hat, faßt er im Hinblick darauf einen bestimmten Willen und stellt die ihm entsprechend scheinende Norm auf. Auch hier dirigiert der Verstand den Willen, nicht der Wille den Verstand.

"Der Wille, zu einer vorher gewissen Entscheidung zu gelangen, ist es, welcher die Auswahl der jene Entscheidung begründenden Gesetzesstellen in Wahrheit leitet. BARTOLUS, der berühmteste aller Juristen, ist das klassische Beispiel, von dem die Geschichte berichtet, er habe erst die Entscheidungen gemacht und sich dann von seinem Freund TIGRINUS die zu ihnen passenden Corpus-iuris-Stellen aufweisen lassen, weil er wenig Gedächtnis besessen hat". Hat aber etwa BARTOLUS aus "blindem Willen" oder aus  bon plaisir  [reinem Vergnügen - wp] seine Entscheidungen getroffen? Doch wohl aus seinem, durch Studium und Erfahrung geschulten und geläuterten Rechtsgefühl (Rechtsbewußtsein) (6). Auch  Gnaeus Flavius  verweist hin und wieder auf das Gefühl und auf den juristischen Takt. Aber Fühlen und Wollen sind zwei verschiedene Dinge.

Vom Standpunkt des Verfassers aus gibt es keine Rechtswissenschaft und kann es keine geben - höchstens könnte es etwa eine Rechtsphilosophie des Unbewußten geben.

LITERATUR Joseph Unger, Der Kampf ums Recht, Deutsche Juristenzeiten, Jhg. 11, Berlin 1906
    Anmerkungen
    1) Eine zwar etwas breite, aber fleißige und zahlreiche statistische Nachweisungen bietende Abhandlung über Wahlpflicht ist die ungarische (von EMIL KUMLIK übersetzte) Schrift des Preßburgers Professors ALEXANDER VUTKOVICH "Wahlpflicht. Politische Studie" (1906).
    2) Vgl. meine Ausführungen in  Grünhuts Zeitschrift,  Bd. 31, 1904, Seite 108f. Gelegenheit hierzu kann sich z. B. leicht ergeben infolge der Vorschrift des § 1234 des österr. ABGB, daß "die Gütergemeinschaft unter Ehegatten in der Regel nur auf den Todesfall verstanden wird." Das Gesetz erkennt somit an, daß eine eheliche allgemeine Gütergemeinschaft auch  inter vivos  [unter Lebenden - wp] stattfinden kann (vgl. Zeiller Komment. Bd. 3, Seite 608), es regelt aber dieselbe nicht. Diese Regelung muß daher erforderlichenfalls durch den Richter erfolgen, der hiermit anstatt und anstelle des staatlichen Gesetzgebers für den konkreten Fall Recht setzt und hiernach Recht spricht. Das gleiche gilt, wenn eine eheliche Errungenschafts- oder Fahrgemeinschaft verabredet wurde, da das österr. ABGB auch hierüber nichts enthält. - Auf die im Text aufgestellte Formel könnten sich meines Erachtens Gegner und Anhänger der freien Rechtsfindung einigen.
    3) Der Verfasser bemerkt, daß "die Raritätenkabinette unserer Gerichtsarchive davon zu erzählen wissen, was man alles unter der Marke  gefährliches Werkzeug  konfiszieren kann". Wird dies viel anders und besser werden, wenn einmal "freies Recht" gelten sollte?
    4) Der Verfasser weist hierbei auf THÖL und mich hin. Aber meines Wissens beschäftigen sich alle Rechtslehrer und gegebenenfalls jeder Richter mit der  ratio legis  und ihrer Ergründung. Wie ich übrigens jetzt über mein System des österr. Privatrechts denke, dessen 1. Band gerade vor 50 Jahren erschienen ist, habe ich in der Vorrede zur fünften Auflage gesagt.
    5) "Die Wissenschaft hat die Definitionen sämtlicher Begriffe zu liefern - nicht durch  Konstruktion - sondern durch Ausstattung mit jenen Merkmalen, welche freie Rechtssätze an die Hand geben". Dunkel ist der Rede Sinn.
    6) So groß auch der Abstand zwischen BARTOLUS und mir ist, so geht es mir in dieser Beziehung doch ebenso wie unserem berühmten Ahnherrn. Auch ich schöpfe, wenn mir ein Rechtsfall zur Entscheidung vorgelegt wird, mein Urteil zunächst und unmittelbar aus meinem Rechtsgefühl (Rechtsbewußtsein) und suche erste hinterher nach der gesetzlichen Begründung und Rechtfertigung meines "Vorurteils": es findet sich also zunächst ein instinktives Erkennen und Urteilen und hierauf erst ein reflektierendes statt. Freilich aber, wenn es sich herausstellt, daß eine gesetzliche Vorschrift meiner vorläufigen Entscheidung im Weg steht, halte ich es für meine beschworene richterliche Pflicht, meine Rechtsüberzeugung dem Gesetz unterzuordnen: lex dura sed ita scripta [Es ist hart, aber so steht es im Gesetz geschrieben. - wp] - Es gäbe freilich auch noch eine andere, vielleicht natürlichere und einfachere Erklärung: nämlich, daß BARTOLUS zwar den Inhalt und den Sinn, nicht aber den Standort und den genauen Wortlaut der betreffenden Gesetzesstellen in Erinnerung hatte und deshalb im  corpus iuris  öfters nachschlagen (lassen) mußte.