ra-2Die Pathologie der ZeichenZeichen und Ordnung    
 
WALTER POLLACK
Perspektive und Symbol
in Philosophie und Rechtswissenschaft

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"Die Wahrheit ist eine Frage der Wissenschaft, ihre absolute Existenz heutzutage durchaus nicht erweisbar, sie ist das wichtigste Problem der Wissenschaft selbst. Nie und nimmer kann sie dazu dienen, unsere wissenschaftliche Tätigkeit selbst zu rechtfertigen, da sie zu diesem Zweck außerhalb und über der Forschung ihre Position besitzen müßte."


Vorrede

Die Rolle der Gesichtspunkte in unserem Denken, sowie die Bedeutung einer bildlichen Darstellungsweise für den Ausdruck wissenschaftlicher Ideen sind die beiden Probleme, mit denen sich das vorliegende Buch beschäftigen soll. Es knüpft damit an mein früheres Werk "Über die philosophischen Grundlagen der wissenschaftlichen Forschung" von 1907 an, führt aber über die Methodologie und Philosophie hinaus in das Gebiet der Rechtswissenschaft, mit deren Fragen es sich eingehenderweise auseinander zu setzen sucht. Hier strebt es nämlich nicht bloß dahin, eine positive Grundlegung unter Überwindung der Freirechtsschule zu schaffen, sondern es nimmt auch Stellung zur Lehre vom Anspruch und zu rechtshistorischen Aufgaben. Das Buch ist in allen seinen Teilen für Philosophen und Juristen bestimmt. Eine scharfe Trennung der Gebiete ließ sich für meine Zwecke nicht aufrechterhalten, ist ja sogar in einem tieferen wissenschaftlichen Sinn ungerechtfertigt. Auch für den Philosophen ist der zweite Teil von besonderer Wichtigkeit. Denn die Einzelfragen der Rechtswissenschaft sind in vorliegendem Werk für den Philosophen nur das zufällige Objekt, an welchem die Probleme seiner Wissenschaft entwickelt werden. Rechtswissenschaftliche Philosohie und philosophische Rechtswissenschaft erscheinen hier beide miteinander verbunden.

Dieses Verfahren, welches sich in der Anlehnung an den wirklichen Gang meiner Untersuchungen als notwendig herausstellte, bietet Vor- und Nachteile. Die juristischen Theorien ansich sind ohne Beherrschung der philosophischen Grundlagen freilich schwerer verständlich als vielleicht in anderen gleichartigen Werken und umgekehrt. Dennoch, hoffe ich, werden die Spezialisten, Philosophen oder Juristen, viele sie interessierende Ausführungen finden. Dieser Weg hat andererseits den Vorzug, daß ich die philosophische Idee der Perspektiven und Symbole intensiver ausbauen konnte, als es möglich gewesen wäre, wenn ich diesen Gedanken in sämtlichen Wissenschaftsgebieten vielleicht mehr oder weniger oberflächlich durchgeführt hätte. Der Philosoph möge bedenken, daß man ja auch in seiner Wissenschaft neue Resultate an einem Einzelproblem, etwa psychologischer oder metaphysischer Art, zu gewinnen sucht, daß die allgemeinen philosophischen Ergebnisse sodann mehr als Leitgedanken zugrunde gelegt und infolgedessen in der äußeren Schilderung wie Nebenwerk behandelt werden. Zugegeben wird: Für die Zukunft besteht eine wichtige Aufgabe darin, die in diesem Buch aufgebauten Behauptungen auch für andere Wissenschaften durchzuführen und weiter zu bilden. Nach alledem glaube ich jedenfalls mit Recht die Bitte auszusprechen, der Leser möge die Schwierigkeiten, die sich aus der hier verfolgten Bahn ergeben, genügend berücksichtigen und milde urteilen, falls ich mein Ziel nur unvollkommen erreicht habe. Denn lediglich ein  Ziel,  welches ein zukünftiges Ideal darstellt, gibt diesem Buch seine Richtung.

Wesentliche Gedanken, welche ich im Abschnitt über objektives Recht vertrete, z. B. die Notwendigkeit, die Rechtsanschauung als Rechtsquelle herbeizuziehen, sowie das Erfordernis der Enquêten, habe ich bereits früher ausgesprochen. (Vgl. obengenanntes Werk, Seite 125f, sowie Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie, Bd. III, Seite 582).

Das Buch bietet vielfach eine Zusammenfassung von Ideen, welche ich schon im Unterricht oder sonst wirksam vertreten konnte, so daß mancherlei Ergebnisse bereits auf diesem Weg bekannt geworden sind. Abgesehen von den kleinen Ausnahmen bin ich bisher in Zeitschriften nicht hervorgetreten, weil die Untersuchungen als einheitliches Ganzes behandelt werden mußten und somit erst die Grundlage für weitere Einzelaufsätze bilden. Gewiß wäre eine Publikation vor vielen Jahren nach mancher Richtung hin von größerem Eindruck auf den Leser geworden. Aber ich habe es doch mit Rücksicht auf die Durcharbeitung, die Geschlossenheit und eine gewisse Vollständigkeit vorgezogen, erst jetzt mit den hier entwickelten Ideen an eine größere Öffentlichkeit zu gelangen.

Infolge mannigfaltiger, besonders technischer Schwierigkeiten, ist die Publikation verzögert worden. Obwohl nun gerade die neuere Literatur eine ganze Reihe von Fragen zu meiner Freude angeschnitten und fördernd behandelt hat, konnte ich mich zu tiefgreifenden Änderungen nicht entschließen. Einheitlichkeit und Charakter des Buches hätten darunter gelitten. Außerdem wird stets bei einem aus divergenten Teilen bestehenden Werk der Abschluß der einzelnen Abschnitte zu verschiedenen Zeiten stattfinden müssen. Deshalb ist es nicht möglich, die zahlreihen berührten Lehren allenthalben auf den neuesten Stand der in Fluß befindlichen Forschung zu bringen. Teilweise mußte ich mich mit einem Stand der Forschung von vor mehreren Jahren begnügen.

Ebensowenig vermochte ich die während der Drucklegung erschienen Schriften oder Aufsätze, z. B. von VAIHINGER, SCHLESINGER, KÜLPE zu berücksichtigen, indessen gedenke ich recht bald bei passender Gelegenheit zu ihnen Stellung zu nehmen. Vollständigkeit der Literatur wurde aus inneren und äußeren Gründen nicht im entferntesten angestrebt. Die Zitate dienen lediglich der Erläuterung oder Weiterführung der Gedanken.

Hinsichtlich der Behandlungsweise des Stoffes ließen sich für dieses Mal Unebenheiten der Terminologie schon deswegen nicht ausgleichen, weil ich häufig Konzessionen an die wahrscheinliche Auffassung des Lesers machen mußte. Daher habe ich z. B. das Wort "symbolistische" vermieden. Die "Symbolologie" erscheint als Unterfall der Symbolik, der letzte Ausdruck also der weitere Begriff. Andererseits mag wohl mancherlei in der Schilderung mißglückt sein. Ist es doch wahrscheinlich, daß man den Leser falsch beurteilt, wenn man sich selbst jahrelang in bestimmten Gedankengängen bewegt hat und dann zuviel nach dieser, zuwenig nach jener Richtung voraussetzt! Manches mag daher in späteren Auseinandersetzungen klargelegt werden. Auch hieraus mache mir der Fachmann keinen Vorwurf, daß ich von meinem Standpunkt aus vielleicht die ihm wichtige Literatur nicht herangezogen und gerade die ihn interessierenden Probleme nicht eingehend genug behandelte, daß ich es mir versagen mußte, auf die bewegenden Fragen des Tages allzu starken Nachdruck zu legen. Denn hoffentlich wird die Diskussion recht eifrig einsetzen und mir zur Weiterführung meiner Studien, sowie zur Erörterung der gegenwärtigen Fragen Anlaß geben.

Ich habe mich bemüht, durch möglichst konsequentes Zusammenfassen den Stoff zu gestalten und auch da, wo ähnliche Resultate oder Begründungen von anderen ausgesprochen sind, auf das Formen einer einheitlichen Anschauung (z. B. im Abschnitt über objektives Recht) hauptsächlich Gewicht gelegt. Nach einem solchen Versuch der vorsichtigen Systembildung - denn nur um einen Versuch kann es sich einstweilen handeln - verlangt die Wissenschaft unserer Zeit immer dringender. So muß auch eine Durchprüfung der allgemeinen Rechtslehre in verstärktem Maße stattfinden. Ich meine, man darf sich nicht mehr damit begnügen, allgemeine Gesichtspunkte neuer Art aufzufinden, und im übrigen bei den Einzellehren über das Recht doch schließlich wieder auf die altüberkommenen Theorien zurückgreifen, wie das in der Regel noch bei den neuesten Schriftstellern vielfach zu geschehen pflegt. Vielmehr suche man nach Auffassungen, die sich unmittelbar bei den einzelnen Problemen produktiv ausnutzen lassen und schon in ihrer Struktur offen erkennbar eine besondere Kraft enthalten, um mit ihr auch in speziellen Streitfragen zu einer neuen theoretischen Konstruktion zu gelangen. Man darf z. B. nicht bloß darauf hinweisen, daß die Rechts- und Volksanschauung bei der Auslegung zu verwenden ist, sondern jene muß auch konstruktionell an den richtigen Platz gesetzt und aus ihr ein Element des ganzen Rechtssystems gebildet werden, welches ebenso plastisch, konkret und technisch verwertbar ist, wie die Begriffe der älteren juristischen Theorien. Trotz dieses Bestrebens nach Systematisierung bin ich nicht etwa zu veralteten Lehren zurückgekehrt. Wenn ich manchem vielleicht plötzlich auf einem überholten Standpunkt zu stehen scheine, so beruth dies oft nur auf der Ausdrucksweise, die auch im neuen eine Anlehnung an frühere Zeiten beansprucht; vielfach beruth es auf Denkfiguren, die trotz ihres modernen Inhalts ihrem Gewand nach mit älteren Anschauungen eine gewisse Verwandtschaft zeigen; vielfach endlich hat es seinen Grund darin, daß gute, alte Ansichten neu belebt wurden, die ich mit Unrecht in Vergessenheit geraten glaubte. Jedenfalls sei der Leser überzeugt, daß ich mich bemühte, gegenüber der modernen Wissenschaftsbewegung einen in jeder Beziehung gerechten Maßstab anzulegen.

Auch in der äußeren Darstellungsweise habe ich nach Objektivität gestrebt. Ich habe versucht zu schildern, was ich erreicht und was ich nicht erreicht habe, ebenso entgegenstehende Bedenken möglichst hervorgehoben. Das sind die Richtlinien, denen ich bei der Abfassung gefolgt bin.


Kapitel 1
Die perspektivische und symbolische Methode im allgemeinen.

§ 1.
Die Theorie der Gesichtspunkte

Zum richtigen Verständnis unserer Wissenschaftslehre ist es notwendig, den Relativismus zum Ausgangspunkt zu nehmen. Wir bemerken indessen gleich zu Anfang, daß wir gerade dem Relativismus später eine neue  positive  Theorie gegenüberzustellen haben. Gleichzeitig konstituieren wir als Ziel der folgenden Erörterungen weniger die Erbringung eines Beweise, als die Einführung in einen bestimmten Gedankenkreis (1). Dies möge der Leser stets im Auge behalten.

In einer Zeit, in welcher das geschichtliche Bewußtsein in unerhörtem Grad gesteigert erscheint, in welcher bei der Mannigfaltigkeit des wissenschaftlichen Betriebes und des Ideenreichtums ein ungeheures Spezialistentum obwaltet, muß naturgemäß kraft historischer Entwicklung die Frage aufgeworfen werden, ob der Glaube an eine einzige Wahrheit noch genug Berechtigung besitzt. Viele hoffen freilich, daß sich aus dem Wirrwarr der Meinungen und Anschauungen wieder eine einzige Lehre besonders hervorheben werde und es ist auch gewiß am unbedingten Erfordernis einer bestimmten Einheitlichkeit im wissenschaftlichen Betrieb nimmermehr zu zweifeln. Indessen kann die Frage aufgeworfen werden, ob es von unserem heutigen Standpunkt überhaupt ein historischer Gewinn ist, zum System einer einzigen Auffassung zurückzukehren, ob in dem Postulat derselben nicht eine Art Dogmatismus steckt, der für die Sphäre des praktischen Lebens vielleicht in mancher Beziehung berechtigt sei, für die Sphäre der gelehrten Arbeit jedoch überwunden werden müsse. Denn methodisch ist gewiß gar kein Unterschied, ob wir eine mehr oder minder moderne Wahrheit als Dogma anerkennen, oder ob wir uns mehr auf den Standpunkt des Papstes in seiner Enzyklika  Pascendi dominici gregis  stellen, welche allein die Lehre des THOMAS von AQUIN als maßgebend gelten läßt. Diese unsere Behauptung beansprucht zunächst lediglich für das methodologische Gebiet eine volle Anerkennung. Um nun den Unterschid zwischen methodologischer und materieller Betrachtungsweise zu erläutern und weiterzuführen, erscheint uns das soeben berührte Beispiel des sogenannten Modernismus sehr geeignet. Die Modernisten legen die Religion in das Gefühl und so sehr auch schließlich die historische Bedingtheit religiöser Vorgänge nachgewiesen werden möge, immer erscheinen diese als die symbolische Verkörperung eines dahinter stehenden grandiosen Wesens, dessen Offenbarungen selbst dann weiterdauern müssen, wenn Wissen und Leben im Weiterwerden der Menschheit sich in stets wachendem Maße ausgestalten. Man könnte nun freilich den Modernisten gegenüber betonen, daß dann am Ende nicht allein die von ihnen vertretene Richtung der Religion den Anspruch erheben dürfe, eine derartige Offenbarung kund zu geben. Indessen soll auf diese Konsequenz nicht näher eingegangen werden. Hier handelt es sich vielmehr um jenen Fortschritt moderner Auffassung, dem es gelungen ist, eine ganze Reihe von Widersprüchen zu beseitigen. Denn fürwahr, die ungeheure Masse von Erfahrungen, die die moderne Zeit nicht bloß infolge der naturwissenschaftlichen Fortschritte häufte, traten in einen geradezu unerträglichen Gegensatz zu den Lehren der Theologen, zu den Lehren des Mittelalters, zum Glauben an die Wunder und eine direkte Offenbarung. So hat sich ein gewaltiger Kampf entwickelt von LUTHER bis NIETZSCHE. Ziehen wir nun, gleichgültig ob dies richtig ist oder nicht (2), ein gewisses Fazit der Erörterungen und des wissenschaftlichen Ringens in der modernistischen Auffassung, so liegt doch der Fortschritt darin, daß sie dem Gedanken der direkten Offenbarund die indirekte Kundgebung Gottes gegenübergestellt hat. Man kann auch sagen, die moderne Auffassung ist insofern umfassender, freier, zugleich auch reichhaltiger, vielseitiger, spiritueller, erhabener. Neben dieser materiell inhaltlichen Verschiedenheit steht nun aber auch eine Verfeinerung in formeller Hinsicht. Die Modernisten lassen (3), z. B. gemäß der uns über sie gegebenen Schilderung Glauben und Wissen, historische und dogmatische Betrachtung vollkommen in Frieden beeinander wohnen. Sie bestreiten nicht die Naturkräfte des Dampfes und der Elektrizität, das KEPLERsche Gesetz; sie glauben andererseits an Unsterblichkeit und persönliche Verantwortung. So kann in der Tat von Autoritäten nicht ganz mit Unrecht die Behauptung aufgestellt werden, noch lange könne sich die katholische Kirche und auch eine echte theologische Wissenschaft in der katholischen Kirche entwickeln, wenn man nur in geringerem oder größerem Maße modernen Anschauungen Rechnung trüge. Stellen wir uns jetzt einmal einen Denker mit einer so weiten modernen Auffassung vor und nehmen wir nunmehr an, es käme nach einigen Jahren ein Mann, der ihm von einer ganz unerhörten, vielleicht großartigen und wahrheitsvollen Religion erzählte, so würde der Modernist diesem Gedanken vielleicht trotz seines aufgeklärten Geistes feindlich entgegentreten und eine heftige Fehde beginnen, wahrscheinlich selbst dann, wenn die neue Verkündigung eine Ausgeburt jener modernen Anschauung darstellte. Denn in der Tat hält man heute noch nach wie vor nur allzu gern an den einmal gewonnenen Resultaten fest und in diesem Sinne sind wir alle eigentlich noch dieselben Dogmatiker, wie einst zuvor. Solches liegt daran, daß wir den methodischen Fortschritt moderner Denkart noch nicht gehörig erkannt haben. Wollen wir uns aber nicht mit uns selbst in Widerspruch setzen, so bedarf es auch  dieser  Einsicht. Wenn nämlich ein Modernist, um zu unserem Beispiel zurückzukehren, die Doktrinen eines THOMAS von AQUINO nicht als eine unbedingte göttliche Wahrheit anbetet, sondern in ihnen nur einen für das Mittelalter möglichst adäquaten Ausdruck der himmlischen Lehre bewundert, wenn er in ihnen nur ein freilich sehr vollkommenes Gebilde jener Zeit erblickt, so muß er sich, wenn er der von ihm selbst anerkannten Logik treu bleiben will, auch sagen, daß seine eigene Lehre im  besten  Fall der vollkommenste Ausdruck des 20. Jahrhunderts genannt werden kann. Wer dies zubilligt, vollzieht erst auch in formaler Beziehung die wirkliche Folgerung unserer modernen Wissenschaft.

Nunmehr können wir verallgemeinern. Die moderne Wissenschaft hat zwei miteinander in Wechselwirkung stehende Fortschritte gezeitigt oder wenigstens vorbereitet. Sie hat ihren materiellen Inhalt gewechselt, sie muß aber auch in methodischer, formaler Beziehung soweit als möglich vorzugehen sich bemühen, indem sie nicht bloß die historische Bedingtheit früherer Ansichten anerkennt, sondern sich auf ihre eigene historische Bedingtheit besinnt. Schon hieraus erhellt, wie bedenklich es sein mß, wenn sich die heutige Wissenschaft noch in Wahrheitssätzen ergeht. Man hat nun freilich instinktiv schon häufig einen Ausweg gesucht; man hat gesagt, der wissenschaftliche Betrieb soll in reinen Existenzsätzen vor sich gehen. Stillschweigend wird schon der Leser, der Hörer und selbstverständlich auch der Forscher sich in Gedanken ein Fragezeichen zu allem hinzudenken und das Relative der Auseinandersetzung gern zugestehen. Das ist ein verhängnisvoller Weg, so ungeheuer gefährlich, weil er  scheinbar  den modernen Ideen vollständig gerecht wird. Man erwäge doch nur, daß der Einzelforscher, der unter solchen Umständen von philosophischen, erkenntnischen Ideen vernimmt, diesen unbedingt sein Ohr verschließt; er wird sich nämlich sagen: Diese Ideen denke ich mir einfach hinzu, ich fahre indessen im übrigen in meinem alten wissenschaftlichen Arbeiten fort; höchstens in einer gemütlichen Stunde darf ich mich mit den Leckerbissen der Philosophie nebenbei beschäftigen. Und selbst wer der Philosophie eine große Neigung entgegenbringt, wird, wenn er das Problem nicht richtig erfaßt, unnütz seine Studien betreiben, ohne unmittelbare praktische Verwertung für sein Fach. Die hier bekämpfte Ansicht eines rein äußerlichen Relativismus ist jedenfalls unrichtig. Denn dadurch, daß ich etwa in einer Anmerkung den Zusatz der Relativität mache, wird doch diese nicht in die Ausführungen hineinverwoben, der eigentliche Inhalt der Deduktion bleibt in sich unverändert, vollständig unberührt vom neuen Gedanken. Die Schlußfolgerungen, die ich oben im Text ziehe, gehen ja immer von der Voraussetzung aus, daß es sich um Wahrheitsschlüsse handelt. So kommen wir zu der ganz neuen Frage: Läßt sich die Idee der historischen Bedingtheit allen Wissens auch in die Dogmatik (jetzt im weitesten Sinne genommen) organisch hineinverweben? Sofort taucht jedoch gleichzeitig ein Problem auf von schwerwiegenster Bedeutung, gefürchtet von so manchem Forscher, daher lieber allzu häufig umgangen oder überhaupt ängstlich gemieden: Führt ein derartiger Relativismus nicht erst recht zum Skeptizismus, zu Tod und Verderben aller Wissenschaft überhaupt? Von vielen sonst sehr liebevoll auf unsere Ideen eingehenden Kritikern ist die Frage ohne weiteres bejaht und deswegen auch der an sich berechtigte Trieb der Selbsterhaltung des Relativismus zurückgewiesen worden. Dabei hat man jedoch den Schwerpunkt des Problems nicht richtig erfaßt. Eine relativistische Anschauung aufzustellen und die Gefahren des Relativismus zu erkennen, ist meines Erachtens nach der Kulturentwicklung des letzten Menschenalters kein Verdienst, wir suchen vielmehr in Wahrheit nach einer positiven, den Relativismus überwindenden Philosophie. Zu diesem Zweck aber mußten wir, wie dies auch in meinen bisherigen Ausführungen geschah, den Relativismus selbst folgerichtig und unerschrocken entwickeln. Indessen darf sich der Leser durch die längeren Erörterungen, die mit Rücksicht hierauf angestellt werden mußten, nicht täuschen lassen. Wir sind in Wahrheit Feinde des Relativismus, wir gehen über ihn hinweg zum Positivismus. Unsere neue positive Wissenschaftslehre enthält naturgemäß gewisse relativistische Elemente, weil sie die historische Nachfolgerin jener früheren Weltanschauung darstellt. Ebenso ist es notwendig, auf ihre historischen Wurzeln, insbesondere den Relativismus, näher einzugehen; es wäre aber ein verhängnisvoller Irrtum, wenn man den rein positiven Zweck unserer Lehre übersähe (4), wenn man die in ihren Anfängen selbstverständlich unbeholfene Theorie durch Mitarbeit zu fördern unterließe und lediglich deswegen das Kind mit dem Bad ausschüttete, weil jene Ideen infolge unserer eigenen Unvollkommenheit noch mangelhaft entwickelt sind. Aber worin liegt denn nun das Heilmittel gegen den gefürchteten Relativismus und der Ausweg aus aller Qual?

Wir fanden das Fundament der neuen, positiven Auffassung in der innigen Verbindung zwischen Wissenschaft und Leben. Die Wahrheit ist eine Frage der Wissenschaft, ihre absolute Existenz heutzutage durchaus nicht erweisbar, sie ist das wichtigste Problem der Wissenschaft selbst. Nie und nimmer kann sie dazu dienen, unsere wissenschaftliche Tätigkeit selbst zu rechtfertigen, da sie zu diesem Zweck außerhalb und über der Forschung ihre Position besitzen müßte.

Wir betreiben die Wissenschaft, weil wir an sie glauben, weil wir auf sie hoffen, weil wir von ihr überzeugt sind; wir betreiben sie, weil sie überhaupt eine Betätigung unserer Lebensfunktion ist; wir betreiben sie, weil wir wünschen. Ganz entschieden weisen wir zurück jene uns vielfach verwandte Lehre des Pragmatismus, der so zahlreich mutige Anhänger jenseits des Ozeans gewonnen hat. Nicht aus Nützlichkeitsgründen, sondern aus rein idealem Interesse geben wir uns mit dem Problem des wissenschaftlichen Denkens ab. Mag diese Auffassung von der materiellen Philosophie mißbilligt werden, rein formal und methodologisch muß jeder Denker sich zu ihr bekennen, wenn er auch für seine Einzeldisziplin bald wieder von ihr scheinbar abweicht. Denn diese Auffassung allein befreit den Menschen von der größten Reihe von Vorurteilen und schafft eine viel umfassendere Problemstellung, als sie bisher von der Wissenschaft geübt worden ist. Die Geschichte der Gelehrtenarbeit beweist aber, wie sich der Fortschritt stets in der größeren Weite problematischer Aufgaben vollzog.

Einen Versuch zum Positivismus in diesem Sinne haben wir zunächst auf methodologischem Gebiet unternommen. Wie weit im einzelnen jener Gedanke sich in das  dogmatische Denken  einfügen läßt, muß einstweilen noch dahingestellt werden. Jedenfalls bewirkt schon die methodische Berücksichtigung des Gedankens einen bedeutenden Umschwung des einzelwissenschaftlichen Betriebes. Ja, darin liegt sogar die eigentliche Bedeutung unserer neuen Theorie. Diese Auffassung steht vollständig auf dem Boden der historischen Schule der Wissenschaft überhaupt, und wie die historische Schle dem Kantischen Kritizismus denkverwandt ist, so erscheint uns auch unsere Lehre als die eigentliche Fortsetzung und Weiterbildung der Kantischen Philosophie sowie der historischen Schule. Und nun kommt das Merkwürdigste: Gerade NIETZSCHE, der scheinbar das Vergangene wie ein Sturmwind hinweggefegt hat, ist der erste gewesen, der eigentlich mit den Errungenschaften des historischen Denkens im 19. Jahrhundert Ernst gemacht hat. Man findet in ihm gerade häufig eine einzelstehende Erscheinung, er fällt auf den ersten Blick aus dem historischen Rahmen, aus der Geschichte der Philosophie vollständig heraus, seine Lehren werden vielfach als Sonderlehre abgehandelt. Man hat versucht, ihm eine festere Stellung zu geben, indem man ihn einen Fortsetzer der Romantik nannte. Vollständig mit Unrecht! Soviel auch äußerlich dagegen sprechen mag, er ist eine Gestalt, die vollständig an die Stelle in der Geschichte paßt, wo sie auftrat; er ist deswegen eine Persönlichkeit, die nicht abseits vom Weg steht, wir können sie nicht umgehen; wir müssen mindestens ihre Lehren bekämpfen; ja wir müssen sogar, wie ich glaube, über ihn hinweg. Diese große historische Tat des Philosophen erheischt eine weit energischere Anerkennung, als wie dies bisher geschehen ist. Er war, soweit wir sehen, der erste, welcher mit scharfem Blick das Unternehmen gewagt hat, die historische Bedingtheit in die Wissenschaft überhaupt, in die Philosophie, in die Ethik insbesondere hineinzutragen. Nur so ist es ihm gelungen, auf seine Art das Deprimierende, das Pessimistische, was in der Anerkennung unwandelbarer Gesetze steckt, ebenso zu überwinden, wie jene Haltlosigkeit, jene Verzweiflung, jenen lähmenden Skeptizismus, zu dem der aus der historischen Auffassung entspringende Relativismus am Anfang unbedingt führen muß.

Schon heute ist es jedem geläufig, eine wie große Rolle die Gesichtspunkte in der Wissenschaft spielen. Wir gingen nun einen Schritt weiter und haben dieser Beobachtung eine sehr weittragende Bedeutung beigelegt. Die Wissenschaft ist, soweit wir heute überhaupt zu gehen vermögen, eine Kombination gewisser, auf menschlichem Willen beruhender Gesichtspunkte; ihre Durchführung und Entwicklung ist Sache des Gelehrten. Wer die Wissenschaft betreibt, bindet sich selbst an ganz bestimmte Regeln, welche die Methodologie zu ermitteln hat, an ein bestimmtes Verfahren, das aber selbst wieder einer organischen Veränderung fähig ist. Dies ist die am weitesten angelegte Auffassung, die sich heutzutage ohne Gefahr für den wissenschaftlichen Betrieb verwenden läßt. Eine derartige Theorie ist aber allein methodologisch richtig. Eine absolute Notwendigkeit, für alle Zeiten an ihr festzuhalten, besteht nicht (5). So verlangen wir beispielsweise heutzutage unbedingt, daß der Forscher von bestimmten Axiomen ausgehe, seine Gedanken auf uns bekannte Sätze reduziere und eine absolute Aufrichtigkeit walten lasse; dagegen braucht er die objektive, unumstößliche Wahrheit seiner Aussagen nicht mehr nachzuweisen, wenigstens soweit er einzelwissenschaftliche Untersuchungen anstellt. Jeder, der heute als Wissenschaftler gelten will, muß sich dieser Anschauung fügen; tut er dies nicht, so handelt er zwar nicht im Sinne einer absolut richtigen Anschauung verfehlt, wohl aber von dem Standpunkt aus, der heute unter den Gelehrten eingenommen wird. Gewiß, dieser Standpunkt ist schließlich ein historisches Faktum! Wir ziehen ihn jedoch deswegen vor, weil wir, die bisherige Entwicklung der Menschheit erkennend, in derartiger Betrachtungsweise die freieste und weiteste Überzeugung erblicken (6), die wir uns in der modernen Wissenschaft einstweilen ohne Gefahr vorzustellen und zu verwenden befähigt sind.

Wissenschaft ist also eine nach bestimmten Prinzipien gestaltete Tätigkeit. Gewiß stellen wir damit auch die wissenschaftliche Arbeit zum Teil auf voluntaristische Basis, indessen hüte man sich davor, Voluntarismus und Subjektivismus ohne berechtigenden Grund zu identifizieren. Obwohl wir hier von einem näheren Eingehen auf die positive Seite unserer Auffassung absehen müssen, ergibt sich schon, wie wenig Bestand und Leben der Wissenschaft gefährdet wird, sobald man das schöpferische Wirken der Forscher mit dem künstlerischen Produktionsprozeß in Parallele setzt. Wir haben alsbald wieder festen Boden unter den Füßen; freilich befinden wir uns in einem Land, das uns fürs erste nur in seinen Umrissen bekannt ist, aber herrliche Entdeckungen verheißt. (7) Und alsdann ist noch ein sehr wesentlicher Punkt zu beachten: Unsere ganze Theorie ist keine philosophische Lehre über die Wissenschaft, sie fällt durchaus nicht, wie viele annehmen, in das Gebiet der Philosophie im Sinne der Metaphysik, sondern allein für das methodologische Denken, für diese Sonderdisziplin wird sie vorgetragen. Gerade in dieser Beschränkung besteht der hauptsächlichste Vorzug unserer Lehre gegenüber dem sogenannten Pragmatismus und es ist zu bedauern, daß man in der Literatur hierauf nicht genügend hingewiesen hat, obwohl dieses Buch vor dem Auftauchen der neuen Lehre in Deutschland einen Standpunkt vertrat, der die richtigen Gedanken der Pragmatisten bereits enthielt, bedenkliche Überschreitungen aber vermied. Was in  dieser  Einzeldisziplin vollständig richtig ist, kann in  jener  eine ganz gefährliche, ja sinnlose Behauptung sein. Man vergesse doch nicht die verschiedenen Fragestellungen! Dann wird man auch endlich einsehen, wie sehr jede vorurteilsvolle Beschränkung, mag sie religiöser oder erkenntnismäßiger, psychologischer oder philosophischer Art sein, den Fortschritt für den weiterstrebenden Gelehrten nach den durch derartige Sätze abgeschnittenen Richtungen unmöglich macht. Es wäre demnach zu wünschen, daß der scheinbar subjektivistische Charakter der Wissenschaft auf dem ihm von uns zugewiesenen Gebiet bald allgemeine Anerkennung fände. (8) Dies wird in noch höherem Grad einleuchten, sobald man diesen hier genannten Bezirk unseres menschlichen Denkens näher ins Auge faßt. (9)
LITERATUR Walter Pollack, Perspektive und Symbol in Philosophie und Rechtswissenschaft, Berlin und Leipzig 1911
    Anmerkungen
    1) Über die eingehende Begründung meiner Anschauungen vgl. mein Buch "Die philosophischen Grundlagen der wissenschaftlichen Forschung", Berlin 1907.
    2) Es handelt sich hier ja nur um ein formale Gedanken erläuterndes Beispiel, auf dessen sachliche Gültigkeit es an dieser Stelle nicht ankommt.
    3) Vgl. Internationale Wochenschrift für Literatur etc., Jahrgang 1908, mit verschiedenen Abhandlungen und Zitaten, PAULSEN; ferner POEHLE in Kultur der Gegenwart, Teil I, Abt. IV, 2, Systematische Christliche Religion, Seite 55f; Antwort der französischen Katholiken an den Papst, Jena 1908; vgl. insbesondere Seite 29f, 41f, 44f und 69f; Programm der italienischen Modernisten, ebenda, 1908; vgl. insb. Seite 84f, 109f, MAUSBAUCH, Der Eid wider den Modernismus, 1911, Seite 19f.
    4) Man könnte dann schließlich auch FICHTEsche oder HEGELsche Philosophie relativistisch nennen.
    5) Falsch daher beispielsweise HERMANN in der Internationalen Wochenschrift für Literatur, Kunst und Technik, 1908, Seite 87
    6) Die Bedeutung unserer Erörterungen in dieser Beziehung beleuchtet im ganzen treffend SAVIGNY mit folgenden Sätzen: "In der Masse von Begriffen, Regeln und Kunstausdrücken, die wir von unseren Vorgängern empfangen, wird unfehlbar der gewonnenen Wahrheit ein starker Zusatz von Irrtum beigemischt sein, der mit der traditionellen Macht eines alten Besitzstandes auf uns einwirkt und leicht die Herrschaft über uns gewinnen kann. Um dieser Gefahr zu begegnen, müssen wir wünschen, daß von Zeit zu Zeit die ganze Masse des Überlieferten neu geprüft, in Zweifel gezogen, um seine Herkunft befragt werde. Dieses geschieht, indem wir uns künstlich (sic!) in die Lage versetzen, als hätten wir das überlieferte Material einem Unkundigen, Zweifelnden, Widerstrebenden mitzuteilen. Die angemessene Stimmung für eine solche prüfende Arbeit ist die der geistigen Freiheit, der Unabhängigkeit von aller Autorität; damit aber dieses Freiheitsgefühl nicht in Übermut ausarte, muß das heilsame Gefühl der Demut hinzutreten, die natürliche Frucht unbefangener Erwägung der Beschränktheit unserer persönlichen Kräfte, welche allein jene Freiheit des Blicks zu eigenen Leistungen befruchten können." (Als Motto verwendet von CARL RISCH, Die Lehre vom Vergleich, 1855, Bd. 1, Vorrede)
    7) Gegen unsere Theorie wegen der mit ihr verbundenen anfänglichen Ungewißheit und Unfertigkeit anzukämpfen, hieße Eulen nach Athen tragen; denn es handelt sich hier um Begleiterscheinungen, die mit dem Ausbau eines jeden neuen wissenschaftlichen Bezirkes notwendig verbunden sind, jedenfalls dann, wenn eine weitergreifende Idee aufgestellt wird.
    8) Wie EUCKEN einmal bemerkt, muß bei allem Scharfsinn dialektischer Art doch die Überzeugungskraft fehlen, wenn man sich in die Denkweise der neuen Anschauung nicht hineinzuversetzen und sie als Ganzes zu würdigen vermag, wenn man nicht das Problem innerlich belebt und eine neue Gestaltung der Verhältnisse als notwendig empfindet und anerkennt. Denn nach EUCKEN wird dann die ganze Bewegung als überflüssig und nichtig erscheinen. Sie wird nur in verzerrtem Bild uns entgegentreten, alles an ihr sich vergröbern und das Problematische allzusehr im Vordergrund stehen, so daß der Gegner ungerechter Weise nur das Fragwürdige zum Gegenstand seiner Kritik erhebt. Wenn man einem Unternehmen keine seelische Notwendigkeit zuerkenne, so werde dieses nur als eine Sache eigenwilliger Absonderung, als ein Ausdruck der Überhebeung und Pietätlosigkeit gelten.
    9) Wie sehr unsere Gedanken dem Geist der Zeit entsprechen, erweist nicht nur die wohlwollende Kritik, die unser erstes Werk gefunden hat, sondern auch die indessen erschienene reichhaltig Literatur. Besonders verweisen wir noch auf das von FRISCHEISEN-KÖHLER herausgegebene Buch "Weltanschauung", 1911, Einleitung, sowie auf BOUTROUX, Wissenschaft und Religion, 1910, Seite 216, 255f, 330f, auch Seite 180 (mit freilich zu einseitiger Formulierung des Wissenschaftsbegriffs). Möglich, daß der wissenschaftliche Geist nicht anders forschen kann, als wenn er sich einer Tatsache gegenübergestellt, möglich auch, daß scheinbar die Auflösung der Welt in reine Tätigkeit mißglücken muß. Dennoch kann über einen Punkt kein Zweifel sein, nämlich über die Variabilität von Form und Stoff. Diese Erkenntnis nötigt uns auch in der Betrachtungsweise, welche Ich und Welt gegenüberstellt, nur eine Anschauungsform zu erblicken und mit der Möglichkeit ihrer Überwindung zu rechnen. Und fürwahr gelingt ein solches Beginnen, wie wir gezeigt haben, jedenfalls auf methodologischem Gebiet bis zu einem bestimmten Grad, der uns eine vollständige Lösung des Problems von der Zukunft unbedingt erhoffen läßt. Denn wenn Form und Stoff für uns zu Kategorien werden, die wir beliebig an die Erscheinungen der Welt anlegen können, so formen wir diese Erscheinungen selbst in nicht unbeträchtlichem Maß um. Wir werden zu ihrem Produzenten und es ist nur eine Schwerfälligkeit unserer Sprache und der äußeren Form unseres Denkens, wenn wir den Gegensatz von Subjekt und Objekt scheinbar nicht auszuschalten vermögen, ebensowenig, wie wir die Röntgenstrahlen zu konstatieren imstande sind, wenn wir sie nicht durch Verpflanzung auf ein uns zugänglicches Sinnesgebiet wahrnehmbar machen. Vgl. zum Wissenschaftsbegriff auch MARIE JOACHIMI, Die Weltanschauung der Romantik, 1905, Seite 107f, sowie Programm der italienischen Modernisten, Jena 1908, Seite 102. Hier heißt es: "Die neueste Kritik der verschiedenen Erkenntnistheorien zielt dahin, zu schließen, daß im Bereich der Erkenntnis alles subjektivistisch und symbolistisch ist, die Gesetze der Wissenschaften wie die metaphysischen Theorien." RIEHL, Kultur der Gegenwart 1, Abt. VI, 1907, Systematische Philosophie, Seite 99, glaubt an eine absolute Gültigkeit der Erfahrungsprinzipien, während sich die Erfahrung selbst wandelt. Vgl. noch PLANCK über das Prinzip der Relativität in der neuesten Physik in der Internationalen Wochenschrift, 1910, Seite 1275f, 1321f; GROOS in Festschrift für Kuno Fischer, 1907, Seite 502f