ra-2DittmannStammlerBeselerMoellerGnaeus FlaviusLifschitz    
 
HERMANN ULLRICH KANTOROWICZ
(1877-1940)
Volksgeist
und historische Rechtsschule


"Am 13. Juli 1805 schreibt Jakob Grimm an seine Tante, es seien in Hessen wenig Aussichten für ein gelehrtes und eigentliches juristisches Studium (das neue Gesetzbuch vernichtet alle meine Hoffnungen). Also schon damals war Grimm bei jenem extremen Antirationalismus angelangt, der nur noch das organisch gewordene Erzeugnis unbewußten Volkslebens, das Gewohnheitsrecht, nicht das Produkt gesetzgeberischer  Willkür als Gegenstand eigentlicher Jurisprudenz gelten läßt."

"Es muß eine zweite und höhere Natur gleichsam über der ersten errichtet werden, in welcher ein Naturgesetz, aber ein ganz anderes, als in der sichtbaren Natur herrscht, nämlich ein Naturgesetz zum Zweck der Freiheit. Unerbittlich, und mit der eisernen Notwendigkeit, mit welcher in der sinnlichen Natur auf die Ursache ihre Wirkung folgt, muß in dieser zweiten Natur auf den Eingriff in fremde Freiheit der augenblickliche Widerspruch gegen den eigennützigen Trieb erfolgen. Ein solches Naturgesetz wie das eben geschilderte, ist das Rechtsgesetz, und die zweite Natur, in welcher dieses Gesetz herrschend ist, ist die Rechtsverfassung."

"Vielmehr ist es der in allen Einzelnen gemeinschaftlich lebende und wirkende Volksgeist, der das positive Recht erzeugt. Diese Formulierung verdankt Savigny seinem und Schellings gemeinsamen Schüler Puchta, der seit 1828, dem Jahr des Erscheinens des ersten Bandes seines Gewohnheitsrechts, die Lehre in aller Ausführlichkeit und fast wörtlich wie später Savigny vorträgt."

"Das Schlagwort vom  Volksgeist  müßte in seinem Ursprung noch festgestellt werden." So MEINECKE in einer gelegentlichen Bemerkung (Seite 244) der 1. Auflage (1908) von "Weltbürgertum und Nationalstaat". Die Worte waren kaum geschrieben, als eine überreiche Forschung sich gerade diesem Problem zuwandte, ich meine der Frage: Welches ist Ursprung und Entwicklung der Lehre, daß alle Kultur und speziell das Recht aus dem Volksgeist entspringt? BRIE (1), von MOELLER (2) und DITTMANN (3) widmeten dieser Frage wertvolle Monographien, E. LOENING (4) und E. LANDSBERG (5) haben das Thema in einem größeren Zusammenhang förderlich behandelt. Indessen bemerkt MEINECKE, der in der kürzlich (1911) erschienen 2. Auflage seines Werkes (Seite 214) auf diese Forschungen hinweist und zu einer Ergänzung hinsichtlich der "Bedeutung Jakob Grimms für die Entwicklung der Lehre" auffordert, "daß noch manche Meinungsverschiedenheiten übrig bleiben". Es ist die Aufgabe der folgenden Arbeit, diese Meinungsverschiedenheiten dadurch zu beheben, daß der wahre Kern aus den durchweg etwas einseitigen Darstellungen herausgeschält und durch das Neue ergänzt wird, das wir dem durchgeackerten Boden noch entnehmen konnten; hierbei soll der Leser dieser historischen Zeitschrift zugleich den Stand der Meinungen erfahren, die über dieses für unsere allgemeine Geschichtsauffassung so wichtige Problem in der juristischen und philosophischen Literatur neuerdings entwickelt worden sind. Die Arbeit ist also nach Form und Inhalt bestimmt durch das, was andere gesagt haben oder noch zu sagen übrig ließen; man wolle daher in ihr nicht eine Behandlung des Themas ex professo suchen, sondern mehr eine Folge kritischer Bemerkungen. Und zwar beziehen sich diese der Reihe nach auf Vorkommen von Begriff und Name "Volksgeist" bei den Aufklärern (MONTESQUIEU, VOLTAIRE, BÜLAU) und bei den Romantikern, sodann auf das Verhältnis der Volksgeistlehr zu den Systemen der Kulturphilosophen (MONTESQUIEU, HERDER), Sprachforscher (*WILHELM von HUMBOLDT, JAKOB GRIMM) und Metaphysiker (SCHELLING und HEGEL).

Durch vereinzelte Äußerungen hindurch hat von MOELLER die  Voraussetzung der Lehre,  die Idee einer gemeinsamen geistigen Eigenart der Volksglieder, bis ins Altertum hinauf verfolgen können (Seite 6f); unter den Vertretern dieser Idee ragt GIAMBATTISTA VICO hervor. Eine zusammenhängende Entwicklung beginnt jedoch erst mit MONTESQUIEUs "Geist der Gesetze" (1748). Hier ist für uns von besonderer Bedeutung Buch 19, wo es z. B. in Kapitel 5 heißt: "Ein Gesetzgeber hat sich wohl vorzusehen, den Nationalcharakter nicht zu irren, solange er den billigen Endzwecken der Regierung nicht hinderlich ist." Die Abhängigkeit des Rechts vom Volksgeist wird hier sowohl als Forderung (Kap. 21f) wie als regelmäßige Tatsache (Kap. 23f) in klaren Worten gelehrt und mit zahlreichen Beispielen belegt, desgleichen die Möglichkeit des umgekehrten Verhältnisses (Kap. 27). Aber neben MONTESQUIEUs  Esprit des lois  darf man VOLTAIREs gleichzeitig entstandenen "Essai sur les moeurs et l'esprit des nations" setzen, den von MOELLER (Seite 32) irrig von MONTESQUIEU abhängen läßt (6). Jedoch nur mit erheblichen Einschränkungen: denn bei VOLTAIRE dient der Volksgeist nicht zur Erklärung einer bestimmten Kultur, sondern des einzelnen politischen Ereignisses (7); auch lehrt er "l'esprit d'une nation reside toujours dans le petit nombre, qui fait travailler le grand, est nourri par lui, et le gouverne." [Der Geist der Nation liegt bei einer kleinen Zahl, die große Arbeit wird von ihm und der Regierung getragen. - wp] (8) Das war also eine aristokratische Wendung der Volksgeisttheorie; sie gestattete VOLTAIRE, ohne daß der neuestens von FUETER getadelte Widerspruch bestünde (9), mit dieser Erklärungsweise sehr stark eine individualistisch-pragmatische konkurrieren zu lassen. Aber diese Wenung scheint ohne Einfluß geblieben zu sein; in Deutschland zumindest zieht die Entwicklung, entsprechend dem gewaltigen Einfluß, den MONTESQUIEUs Werk auf das ganze deutsche Geistesleben in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts ausgeübt hat, auch in der Volksgeistfrage durchaus in seinem Geleis. Es treten nunmehr - bezeichnenderweise keineswegs früher - in der deutschen Literatur eine Menge Synonyma für diesen Begriff auf; RUDOLF HILDEBRANDT hat in seinem durch Stoffreichtum ausgezeichneten Artikel "Geist" in GRIMMs  Wörterbuch  (1897, Spalte 2728f) dies mit Ausdrücken wie "allgemeiner Geist", "Geist eines Volkes" usw. aus den Schriften der Klassiker und Frühromantiker belegt, desgleichen von MOELLER (Seite 33). Beide weisen sehr richtig darauf hin, daß schon die Wendung "Geist  des  Volkes" auf eine Entlehnung aus dem Französischen deutet. Für die Wendung "Geist dieses Volcks" ist die Entlehnung ausdrücklich bezeugt in einer Schrift F. C. von MOSERs von 1761, eines Schriftstellers, dessen Verehrung für MONTESQUIEU bekannt ist (10), und der hier auch - vielleicht zuerst - das Wort "National-Geist" gelegentlich gebraucht (11). Derselbe MOSER ist es, der 1765 die erste Monographie über das Thema "Von dem deutschen Nationalgeist" schreibt (12). "Sein Nationalgeist ist ein politischer Nationalgeist" (MEINECKE, a. a. O., Seite 25). Aber ihm erwidert bedeutsam im folgenden Jahr der anonyme Verfasser der (bisher unbeachtet gebliebenen) Schrift: "Noch etwas zum deutschen Nationalgeist", als welcher der Zerbster Stadtschreier, Syndikus und Gymnasialprofessor JOHANN JAKOB BÜLAU genannt wird (13). "Der deutsche Nationalgeist ist meines Erachtens weit ausgebreiteter, er erstreckt sich auf viel mehr und auf viel wichtigere Gegenstände, als bloß auf das Verhältnis eines oder des anderen mächtigeren deutschen Reichsstandes, gegen den Kaiser oder des einen gegen den anderen" (Seite 40); MOSERs Schrift hätte daher, wenn sie ihrem Titel entsprechen wollte, "Bestimmung der Europäischen Nationaleigenschaften, eine Vergleichung derselben untereinander, die Auszeichnung ihrer verschiedenen Nuancen, die Ausbildung der unsrigen im Privatleben, im Krieg, im Frieden, bei Allianzen, nach dem mannigfaltigen Staatsinteresse unserer Nachbarn, im Handlungswesen, in der Schifffahrt, in der Gelehrsamkeit, nach allen ihren verschiedenen Teilen, und dann in unserer allgemeinen  Regimentsform  enthalten müssen, in denen davon zum Teil abhängenden besonderen, in unserer großen und kleinen  Rechtspflege,  in unseren Religions- und Verteidigungs-, Polizei- Beratschlagungs- und Münzverfassungen, und wer kann die nötigen Kapitel alle erzählen, ohne den Plan mit einem reifen Nachdenken selbst entworfen zu haben? Ein solches Buch, von einem solchen Verfasser - wem muß nicht sein ganzes Herz danach brennen?" (Seite 41). Ein bemerkenswerter Katalog - bemerkenswert freilich auch in dem, was ihm, einem Erzeugnis des rationalistischen Jahrhunderts, nicht einfällt: die Auswirkung des Volksgeistes in Kunst, Literatur und Sprache. Aber der Begriff  in abstracto  wird schon hier als ein allumfassender erkannt und unter grundsätzlichen Ausführungen darüber: "Ob es einen Nationalgeist gibt?", "Was der Nationalgeist ist?" (Ausführungen, die durch eine bittere Ironie gegenüber den damaligen Rechts- und Staatsverhältnissen gewürzt sind) folgendermaßen definier (Seite 35f): "die besondere Eigenschaft, oder der Inbegriff,  complexus,  all der besonderen Eigenschaften, wodurch ein Volk sich vom anderen  unterscheidet."  "Diese unterscheideidenden Eigenschaften äußern ihre Kräfte sowohl in allen Handlungen aller Mitglieder des Volkes überhaupt, als in  den  öffentlichen Handlungen, welche vom Volk, inbesondere als Volk verrichtet werden." "Bei all diesen ist notwendig, daß sie keinem anderen Volk gemein sein müssen. Denn eben durch ihre  Singularität,  (ein Wort, welches ich aus Unwissenheit eines besseren gebrauche, und welches, wenn es mir von jemandem, mit einem schicklicheren vertauscht werden kann, ich dankbar anzunehmen mich erbiete) gehören sie dieser und keiner anderen Nation." So bildet diese Schrift indem sie  Volksgeist  und Volksindividualität verknüpft und als universelle Kulturbegriffe erfaßt,' das bemerkenswerte Gegenstück zur MOSER'schen und eine kühne Vorwegnahme eines bis heute unausgeführten Programms, des Programms der historischen Rechtsschule.

Sowohl aus "Geist des Volkes" wie aus "Nationalgeist"  mußte  alsbald das verdeutschende und verkürzende Kompositum "Volksgeist" entstehen. Unter diesen Umständen halte ich es für wenig interessant zu fragen, wann dieses Kompositum zuerst gebraucht wird; da aber die Frage einmal ernsthaft diskutiert und ungenügend beantwortet worden ist (und zwar von KLUGE bei MEINECKE in einem Zusatz der 2. Auflage, Seite 214), findet sich bei dem auch als Puristen bekannten CAMPE in seiner "Reinigung und Bereicherung der deutschen Sprache", 1794; hier spricht er in der Vorrede (Seite 20) von einer "Veredelung des Volksgeistes und des Volkssinnes". Doch finde ich das Wort schon ein Jahr früher - 1793 - gebraucht, und zwar in einer damals ungedruckt gebliebenen, erst jetzt (1907) herausgegebenen Arbeit: in einer von HEGELs ersten Arbeiten überhaupt, den Fragmenten "Volksreligion und Christentum". Hier wird (Seite 21) vom damaligen Studenten der Theologie in Ausführungen, deren bedeutsamer sachlicher Gehalt uns noch unten beschäftigen wird, der Religion ein "Anteil an der Bildung eines Volksgeistes" zugesprochen (14). Dies wäre also die älteste biser  sicher  nachweisbare Verwendung des Wortes "Volksgeist";  möglicherweise  hat es schon früher JEAN PAUL (tätig seit 1783) gebraucht, denn der schon erwähnte CAMPE belegt in seinem Wörterbuch 5 (1811), Seite 436, das Vorkommen des Wortes mit einer - nicht näher bezeichneten - Stelle aus dem letztgenannten Schriftsteller: "Volks- und Zeitgeist entscheidet und ist der Schulmeister und das Schulmeisterseminar zugleich." Unter den nächsten Erwähnungen ist am wichtigsten eine schon von HILDEBRAND (a. a. O. Spalte 2734) nachgewiesene, aber unbeachtet gebliebene Stelle in der vom Januar 1805 datierten Nachschrift zum 1. Band von "Des Knaben Wunderhorn" (erste Auflage 1806). Hier ist in der ersten Note die Rede vom "lebendigen Volksgeist". Das Interesse dieser Stelle liegt für uns darin, daß die Herausgeber ACHIM von ARNIM und CLEMENS von BRENTANO - wie bekannt - SAVIGNYs Freunde und Schwäger waren (durch seine Gattin KUNIGUNDE BRENTANO, Schwester von CLEMENS und BETTINA, der Gattin ARNIMs). SAVIGNY selbst dagegen gebraucht das Wort, das später das Schiboleth (Parole - wp] der historischen Rechtsschule werden sollte, in der Programmschrift noch nicht; denn hier, in der Schrift "Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft", 1814, ist nur von der "gemeinsamen Überzeugung des Volkes", dem "gemeinsamen Bewußtsein des Volkes", dem "organischen Zusammenhang des Rechts mit dem Wesen und Charakter des Volkes" die Rede (Kap. 2). Es ist dies umso verwunderlicher, als - ein Kuriosum, auf das von MOELLER Seite 45 hingewiesen hat - sich Begriff und Wort gerade in der Schrift finden, gegen die SAVIGNY die seine gerichtet hat: in THIBAUTs Schrift "Über die Notwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts für Deutschland", gleichfalls 1814. Man muß jedoch hinzufügen, daß sich das Wort, wie Einsicht in die Originalausgabe ergab, in dieser noch nicht findet; vielmehr steht es erst in einem Zusatz der noch im gleichen Jahr erschienenen zweiten Ausgabe (15); SAVIGNY jedoch zitiert allein nach der ersten Ausgabe, obwohl auch die zweite bei der Veröffentlichung seiner Schrift schon vorlag (16). Auf das Fehlen der Worte ist jedoch - mit LOENING (Spalte 120) und LANDSBERG (Seite 216) gegen BRIE - kein Gewicht zu legen. Denn - und damit beenden wir den Ausflug in die Wortforschung, um zur Geschichte des Begriffs zurückzukehren - die sachliche Lehre von der  schlechthinnigen Abhängigkeit allen Rechts vom still waltenden Volksgeist  findet sich in dieser Schrift bereits mit aller Entschiedenheit formuliert. "Die Summe dieser Ansicht also ist, daß alles Recht auf die Weise entsteht, welche der herrschende, nicht ganz passende Sprachgebrauch als Gewohnheitsrecht bezeichnet, d. h., daß es erst durch Sitte und Volksglaube, dann durch Jurisprudenz erzeugt wird, überall also durch innere stillwirkende Kräfte, nicht durch die Willkür eines Gesetzgebers" (SAVIGNY, Vom Beruf a. a. O., Seite 8f).

Es ist nun nach den Darlegungen von BRIE (a. a. O. Seite 14f), von MOELLER (a. a. O., Seite 48), LOENING (a. a. O. Spalte 77f) und LANDSBERG (a. a. O., Seite 213f) nicht mehr der geringste Zweifel daran gestattet, daß die allgemeine  Grundlage  der Lehre, nämlich die "geschichtliche" Auffassung vom naturhaften, "organischen" Werden aller Kultur, entlehnt ist der  Romantik  im allgemeinen, im besonderen aber SCHELLING. Nur geht LANDSBERG darin fehl, wenn er außer der Beziehung zu SCHELLINGs Kunst- und Geschichtsphilosophie auch - und besonders - eine solche zu seiner Lehre von der "Weltseele" herzustellen sucht; denn diese hat mit der Volksseele (einem Begriff, mit dem SCHELLING selber überhaupt nicht arbeitet) gar nichts zu tun, ist vielmehr nur der metaphorisch so genannte "Äther" und demgemäß, wie schon der Titel der fraglichen Schrift von 1798 besagt, "eine Hypothese der höheren  Physik  zur Erklärung der allgemeinen Organisation" (der Natur) (17). Selbst der Rest sachlicher Originalität, den doch auch die genannten Autoren für SAVIGNY beanspruchen, indem sie eine selbständige Übertragung der Lehre auf das Spezialgebiet des Rechts annehmen, kann angesichts des Materials, das POETZSCH (18) und MEINECKE - übrigens ohne diese Behauptung oder Absicht - gerade für die  Staats auffassung der Romantik beigebracht haben, nur noch schwer behauptet werden. Und vollends zerfließt dieser Anspruch bei der Erwägung der oben aus BÜLAUs (?) Schrift beigebrachten Stellen, die zudem, weil von einem unbekannt gebliebenen Mann herrührend, für die weite Verbreitung dieser Gedanken schon im 18. Jahrhundert zeugen dürften. SAVIGNY hat für seine Lehre dann auch gar keine Originalität in Anspruch genommen - "geschichtlicher Sinn ist überall erwacht", sagt er sogar selber (Seite 4); er tut dies höchstens für die Einzelheit, daß bei "steigender Kultur" das Recht nicht mehr im Bewußtsein des gesamten Volkes lebt, sondern "dem Bewußtsein der Juristen anheimfällt, von welchem das Volks nunmehr in dieser Funktion repräsentiert wird" (Seite 7) - eine Fiktion, die er in der Tat eine "neue Ansicht" nennen durfte, und die bestimmt war, die für die Volksgeisttheorie so fatale Grundtatsache der Rezeption des römischen Rechts in Deutschland zu "erklären" (19). Ja, man täte sogar SAVIGNY unrecht, wenn man ihm zutraute, er habe die wahre Grundlage für seine "geschichtliche Ansicht" in den dürftien und ohne geschichtliche Begründung vorgetragenen Konstruktionen seiner Programmschriften erblickt; diese Grundlage liegt vielmehr (und zwar ohne daß sie seitdem erneuert worden wäre) in der zeitgenössischen Geschichtsphilosophie, die SAVIGNY bei seinen Lesern als bekannt und anerkannt voraussetzen durfte. Und wie die "geschichtliche Ansicht", so ist auch die "geschichtliche Methode" SAVIGNYs, Geist vom Geist der Romantik. "Die Gegenwart ist gar nicht verständlich ohne die Vergangenheit" und: "An die Geschichte verweise ich euch, forscht in ihrem belebenden Zusammenhang" ruft NOVALIS aus und FRIEDRICH WILHELM SCHLEGEL bezeichnet (1803) "die Staatsverfassung als ein historisches Phänomen, das nur genetisch, d. h. durch seine Entwicklung in der Geschichte" begriffen werden kann. (20) Nur die "politische" Romantik eines ADAM MÜLLER und von HALLER muß hier ganz außer Betracht bleiben (21); sie hat aber auch mit der Volksgeistlehre nichts zu tun.

Neben dem Einfluß der Romantik ist aber hier noch einmal der des Mannes zu nennen, der in so vieler Hinsicht ihr  Vorläufer  war: MONTESQUIEUs (während der durch REHBERG vermittelte Einfluß von BURKE auf die Ideen der historischen Rechtsschule zwar sehr hoch anzuschlagen ist (22), aber ebenfalls nicht für die Volksgeistidee im besonderen). Denn außer em indirekten besteht auch ein direkter Zusammenhang. Das geht zur Genüge daraus hervor, daß SAVIGNY, trotz seiner Mißachtung des 18. Jahrhunderts, doch gerade MONTESQUIEU in seiner Programmschrift, wenn auch in anderen Zusammenhängen, mehrfach und nicht ohne Beifall anführt (Vom Beruf, a. a. O. Seite 25 und 77). Wenn er unter seinen direkten Vorgängern dann freilich nur MÖSER und HUGO, nicht den Franzosen aufführt (Seite 9) - im Gegensatz zu HUGO selber, der MONTESQUIEU als Vorbild preist (23) -, so wird sich das erklären aus "der aufgeregten Stimmung gegen diese Nachbarn, die in jenem Zeitpunkt (1814) so natürlich war", und die er aus anderem Anlaß im Vorwort zur zweiten Auflage (1828) zugibt. Ganz neuerdings hat freilich REXIUS einen Gegensatz zwischen der "negativ-historischen" Auffassung MONTESQUIEUs und gewisser seiner Zeitgenossen, und der positiven SAVIGNYs konstruieren wollen; denn die erstere füge sich in die Unmöglichkeit einer allgemeingültigen Idealverfassung nur mit der "Resignation vor einem notwendigen Übel", die letztere schätze gerade die diese Unmöglichkeit bedingenen "irrationalen, spontanen und unreflektierten Kräfte" als die "positi aufbauenden Faktoren der Geschichte" (24). Indessen, selbst wenn diese Konstruktion richtig wäre, würde sie nur auf einen Unterschied der Bewertung, nicht der Auffassung hinweisen. Aber sie ist nicht richtig, trifft jedenfalls nicht für den tiefsten Denker dieser Gruppe zu. MONTESQUIEU begründet zum Beispiel den bekannten Satz: ""Ein Gesetzgeber hat sich wohl vorzusehen, den Nationalcharakter nicht zu irren, solange er den billigen Endzwecken der Regierung nicht hinderlich ist" damit: "... denn nichts gelingt uns besser, als das, wozu wir natürliche Anlage haben" (Buch 19, Kap. 5). Tatsächlich ist der offenbare Zusammenhang auch meist richtig erkannt worden, seit HEGEL MONTESQUIEUs "unsterbliches Werk" als Bahnbrecher der geschichtlichen Auffassung des Rechts in fast überschwenglichen Worten gefeiert und STAHL dieses Verdienst als dem "allgemeinen Urteil entsprechend bezeichnet hatte (25). Nach einem neueren Autor freilich hat MONTESQUIEU "Klima und Bodengestaltung" als der "einzige Moment" für die Erklärung der Vielgestaltigkeit des Rechts betrachtet: so VICTOR EHRENBERG in seiner Rektoratsrede über "Herders Bedeutung für die Rechtswissenschaft" (1903, Seite 13). (26) Über diese Bedeutung HERDERs, der hier (in Ausführungen von bestechender Form) gegen MONTESQUIEU ausgespielt wird, ist folgendes zu sagen (27):

Wie HERDERs "Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit" (1784 - 1791) überhaupt dem Nachweis einer zusammenhängenden Entwicklung der gesamten menschlichen Kultur zum Endziel der Verwirklichung der Kultur gewidmet sind, so spricht er programmatisch aus: "Nur Zeit, nur Ort und  genetischer Nationalcharakter,  kurz, das ganze Zusammenwirken lebendiger Kräfte in ihrer bestimmten Individualität entscheiden auch über alle Ereignisse der Menschenreiche" (XII,6). Nur eine sehr charakteristische Ausnahme hat HERDER anerkannt: das (öffentliche)  Recht  läßt er nicht aus dem stillen Walten des Volksgeistes hervorgehen, sondern gerade umgekehrt - unter Vorwegnahme modernster "soziologischer" Staatstheorien - aus  volksfremder Gewalt.  "Wer hat - so fragt er im 4. Kapitel des 9. Buches, der einzigen Stelle, die dem Recht gewidmet ist - "Deutschland, wer hat dem kultivierten Europa seine Regierungen gegeben? Der Krieg. Horden von Barbaren überfielen den Weltteil; ihre Anführer und Edlen teilten unter sich Länder und Menschen. Daher entsprangen Fürstentümer und Lehne: daher entsprang die Leibeigenschaft unterjochter Völker; die Eroberer waren im Besitz und was seit der Zeit in diesem Besitz verändert wurde, hat abermals Revolution, Krieg, Einverständnis der Mächtigen, immer also das Recht des Stärkeren entschieden. Auf diesem königlichen Weg geht die Geschichte fort." Derselbe HERDER also, der für die  allgemeine Kulturphilosophie  in so hohem Maße der Mann der neuen Zeit ist, verbleibt als  Rechts philosoph, eben  weil  er dieser Seite des Kulturlebens keine besondere Aufmerksamkeit schenkt, durchaus im Bannkreis des 18. Jahrhunderts. Entsprechend leitet er (ebd.) das Familenrecht umgekehrt aus den "Banden des Naturrechts" her; über das sonstige Recht verbreitet er sich nicht. Verwunderlich ist es daher, daß EHRENBERG, ohne die beiden genannten echt rationalistischen Elemente auch nur zu erwähnen, gerade ihn als den wichtigsten Vorläufer gerade der SAVIGNY'schen  Rechts theorie gefeiert und ihm auch den Ursprung der SAVIGNY'schen Vergleichung von Recht und Sprache gesucht hat (Seite 18). Für EHRENBERG nämlich ist HERDER der Mann, der "als der Erste auch dem Recht - den "Ordnungen unter den Menschen", wie er es nennt - die gebührende Stellung in der Geschichte der Menschheit anweist, und zwar zwischen Sprache und Religion: damit war das Recht als eine der großen Grundlagen menschlicher Entwicklung, als geschichtlicher Kulturfaktor ersten Ranges entdeckt" (Seite 13). Das ist wieder eine Anspielung auf dasselbe 4. Kapitel, nämlich seine Überschrift: "Die Regierungen (nicht das Recht schlechthin!) sind festgestellte Ordnungen unter den Menschen, meistens aus ererbter Tradition". Aber schon das Studium der Textentwicklung der Überschrift kann den, der zu SUPHANs kritischer Ausgabe greift, belehren, wie HERDER dies gemeint hat: fortwährend schwanken nämlich die Manuskripte in der Bezeichnung der Regierungen als "Vormundschaften", "Kunstmaschinen", "angemaßte Vormundschaften" (28). Demgemäß findet sich bei HERDER auch keine Spur der Trias Sprache, Recht, Religion als der drei großen Kulturfaktoren; eine Gleichordnung der letzten beiden wäre HERDER sogar blasphemisch vorgekommen; nur weil alle drei, aber auch (Kap. 3): "Wissenschaften und Künste", durch Tradition fortgepflanz werden, wird das Recht von HERDER überhaupt erwähnt. Und was die Sprache anlangt, so befaßt sich ja HERDER gar nicht mit dem Problem der Sprachverschiedenheit und Sprachentwicklung, sondern mit dem Problem des Sprechens, und hierfür hat er bekanntlich in seiner Preisschrift von 1770, "Über den Ursprung der Sprache" eine sinnespsychologishe, in den Ideen (IX, 2) eine theistische Erklärung gegeben: "Alle liefen wir noch in den Wäldern umher, wenn nicht dieser göttliche Odem uns angehaucht hätte". An letzter Stelle streift er zwar auch das andere Problem, aber deutlich bekundend, daß er es nicht als  sein  Problem betrachtet: "Warum ich noch kein Werk nennen kann, das den Wunsch BACONs, LEIBNIZ', SULZERs u. a. nach einer allgemeinen Physiognomik der Völker aus ihren Sprachen nur einigermaßen erfüllt hat?" Trotz alledem sind EHRENBERGs Behauptungen bisher ganz unangefochten geblieben und angenommen worden u. a. von GIERKE und von LANDSBERG, der diesen Zusammenhang sogar "als allgemein bekannt" bezeichnet (29).

Wir werden also den  Ursprung der berühmten Vergleichung des Rechts mit der Sprache  - als der deutlichsten Offenbarung des Volksgeistes -, eine Vergleichung, die in der ganzen Lehre eine so große Rolle spielt, anderswo zu suchen haben. Man könnte nun versucht sein, an WILHELM von HUMBOLDT zu denken, in dem LANDSBERG in der Tat den Vermittler zwischen HERDER und SAVIGNY nachweisen zu können glaubt. Hierfür beruft er sich auf KUNTZEs auch im Historischen sehr interessante Schrift "Der Wendepunkt der Rechtswissenschaft" von 1854, wo dieser Nachweis "selbst schon durch die Anführung stilistischer Gleichklänge von überzeugender Bedeutung" erbracht wurde. Aber diese Gleichklänge beschränkten sich darauf, daß nach KUNTZE - der hier (Seite 55) keine Belegstellen nennt und wohl aus dem Gedächtnis zitiert - HUMBOLDT "die Sprachbildung eine nationale Gesamttat genannt" hat und dann SAVIGNY das Recht eine "gemeinsame Tatsache". Dieser Gleichklang wäre selbst dann unbedeutend, wenn es mit ihm in zeitlicher Hinsicht richtig bestellt wäre. Dies ist nicht der Fall, denn die Äußerung SAVIGNYs, die KUNTZE meint, ist offenbar eine in seinem Spätwerk von 1840, dem "System des heutigen römischen Rechts", Bd. 1, wo er Seite 21 "die Erzeugung des Rechts" (sprachlich korrekter) eine "gemeinschaftliche Tat" nennt. Mit HUMBOLDTs Äußerung aber wird KUNTZE eine Stelle in dessen Schrift von 1822 "Über das vergleichende Sprachstudium", § 19, gemeint haben, wo es heißt, die Sprache "gehört immer der ganzen Nation an". (30) Auch die übrigen Äußerungen, die KUNTZE hier unter einem genauen Zitat anführt (Seite 61 und 67), finden sich in dieser Schrift. Beide Schriften liegen aber erheblich später als SAVIGNYs Programmschrift, die von der Paralellisierung von Recht und Sprache schon so großen Gebrauch macht. Die einzige sprachphilosophische Schrift HUMBOLDTs, die früher liegt, seine "Ankündigung einer Schrift über die Vaskische Sprache und Nation" von 1812, enthält nichts Einschlägiges (31). Aus seinen späteren Schriften hätte die historische Schule freilich sehr viel lernen können, aber eben, wie verfehlt  ihre  Art der Parallelisierung war (32). Denn HUMBOLDT ist ja Dualist (33), und ein Grundgedanke seiner bahnbrechenden Schrift "Über die Verschiedenheit des Sprachbaus" von 1835 ist, zu zeigen, daß nicht die Sprache hervorgeht aus dem Volksgeist, sondern "beide zugleich und in gegenseitiger Übereinstimmung aus einer unnerreichbaren Tiefe des Gemüts hervorgehen". Weiter betont er hier - im § 6, der vom "Zusammenwirken der Individuen und Nationen" handelt - immer wieder: "Indem die Sprachen nun also in dem von allem Mißverständnis befreiten Sinn des Worts Schöpfungen der Nationen sind, bleiben sie doch Selbstschöpfungen der Individuen." (34) Sicherlich hätte es daher WILHELM von HUMBOLDT weit von sich gewiesen, als Zeuge für SAVIGNYs Lehre angerufen zu werden. Und noch weit mehr als in der Sprache hat ja im Recht die individuelle Schöpfertätigkeit ihre Rolle. Inbesondere bei einem Kenner der Geschichte gerade des römischen Rechts, wie es SAVIGNY war, begreift man schwer, wie er zu seinem Vergleich gekommen ist. Mußte er doch, um zu dieser einseitigen und schiefen, weil ideologischen und idyllischen Auffassung zu gelangen, außer dem individuellen Moment den Anteil übersehen, den - um Ausdrücke JHERINGs zu verwenden -  "Kampf ums Recht"  und  "Zweck im Recht"  allzeit gehabt haben und vor allen Dingen die rechtsbildende Funktion des  Staates  ignorieren.

Da nun in all diesen Punkten die Sprachentwicklung nur sehr geringe Analogien bietet, so liegt es nahe, den Ursprung dieser von weltfremder "Romantik" eingegebenen Auffassung zu suchen in den Kreisen der romantischen Dichter und Sprachforscher, die von Jugend auf SAVIGNYs vertrauten Umgang gebildet haben (35), und zu vermuten, daß es der Philologe gewesen ist, der dem Juristen den Vergleich  suggeriert  hat. Insbesondere drängt sich der Name seines genialen Schülers und Freundes JAKOB GRIMM auf (dessen - von MEINECKE oben vermuteter - Anteil an der Entwicklung der Lehre wohl nur hier zu suchen sein wird). (36) Dafür spricht nämlich die Art der rechtsgeschichtlichen Studien des bekanntlich aus der Jurisprudenz hervorgegangenen Forschers. Diese beginnen schon im ersten Band der "Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft" von 1815, als deren Zweck SAVIGNYs einleitender Aufsatz es bezeichnet, "gleichgesinnten Freunden einen Punkt der Vereinigung" zu bieten (Seite 7), mit einem Aufsatz von JAKOB GRIMM "Über eine eigene altgermanische Weise der Mordsühne" (Seite 323). Nun ist aber dieser Aufsatz, wie GRIMM selbst (Seite 334) andeutet, nur ein Abfall von seiner im nächsten Band der Zeitschrift (Seite 25f) erschienenen Abhandlung "Von der  Poesie  im Recht", ein Thema, das, wie er selbst an WILHELM schreibt, den Ausgangspunkt seiner Sammlungen zum deutschen Recht - seit 1813 - gebildet hat (37). Gerade für diese Seite des Rechts und überhaupt für das  älteste deutsche Recht,  das der große Erforscher der "Deutschen Rechtsaltertümer" (1828) und der "Weistümer" (1839) allein gepflegt hat, stimmt nun aber, wie aus der Eigenart dieses Rechts leicht einzusehen ist, der Vergleich noch verhältnismäßig am besten. Ein sicherer Nachweis ist freilich nicht zu erbringen; aber ist es auch nur psychologisch denkbar, daß zwei Freunde von der Art eines SAVIGNY und eines JAKOB GRIMM nicht die Grundfragen ihrer Wissenschaften gemeinsam erörtert hätten und daß dann ein solcher für den einen Teil so naheliegender Vergleich  nicht  angestellt worden wäre? Diese Einzelheit könnte selbst dann noch zutreffen, wenn richtig wäre, was LANDSBERG unter Berufung auf den "genauen Hinweis bei HÜBNER" als unbezweifelbar hinstellt, nämlich, "daß GRIMM die Lehre von der Rechtsentstehung aus der historischen Schule einfach übernommen hat." (38) Indessen bringt HÜBER an Tatsachen nur einen Wiener Brief JAKOBs an WILHELM vom 23. November 1814 bei, worin von SAVIGNYs Zeitschriftenplan die Rede ist und es weiter heißt: "Es gehört zu unseren Zufällen, daß ich seit einem Jahr, ohne alle Gedanken hierauf, fürs alte Recht gesammelt habe; doch weiß ich noch nicht, ob ich hier zu einer Ausarbeitung komme". Von einer Anregung durch SAVIGNY ist hier also keine Rede, und für das gegenteilige Verhältnis, das ja ohnehin bei der ganzen wissenschaftlichen Persönlichkeit GRIMMs und seiner noch intimeren Zugehörigkeit zur Romantik von vornherein wahrscheinlicher ist, sprechen sogar direkt einige (bisher nicht beachtete) Briefe, die zugleich ein neues Licht auf Zeitpunkt und Motik der Abkehr JAKOBs von der Jurisprudenz werfen (39). Er schreibt nämlich am 1. November 1814 an WILHELM: "Du wirst SAVIGNY seine Schrift über Gesetzgebung erhalten haben, die mir gar wohl gefallen hat, in unsere Meinungen stimmt und sie bestätigt." (40) So durfte er getrost schreiben, denn schon im Mai 1805 heißt es in einem Brief an WILHELM: "Eine sehr traurige Nachricht erhalte ich gestern, nämlich daß in Hessen ein Gesetzbuch erscheinen soll, unter dem Triumvirat eines LEDDERHOSE, SCHMERFELD und noch eines Dritten. Muß denn alles, was aus dem flachen preußischen Sand herauskeimt, nachgeahmt werden? Die Nachricht hat mich recht sehr angegriffen" und am 13. Juli 1805 an seine Tante, es seien in Hessen "wenig Aussichten für ein gelehrtes und eigentliches juristisches Studium (das neue Gesetzbuch vernichtet alle meine Hoffnungen)." Also schon damals war GRIMM bei jenem extremen Antirationalismus angelangt, der nur noch das "organisch gewordene" Erzeugnis unbewußten Volkslebens, das Gewohnheitsrecht, nicht das Produkt gesetzgeberischer "Willkür" als Gegenstand "eigentlicher" Jurisprudenz gelten läßt. Von diesem Standpunkt aus hat dann später - 1814 - SAVIGNY jene romantisch-quietistischen Forderungen aufgestellt, die den praktischen Kern der Schulgründung bildeten: Abdankung jeder rechts ändernden,  also auch jeder rechtseinigenden Gesetzgebung zugunsten des Gewohnheitsrechts (Vom Beruf a. a. O., Seite 16, 25, 80f) und Ausschluß des neuen preußischen Rechts - wegen Ermangelung einer "wissenschaftlichen Seite" - vom Studium auf den preußischen Universitäten (ebd. Seite 88f).

So zeigt sich auch hier, daß SAVIGNY in der Volksgeisttheorie, die man noch vielfach als seine eigenste Leistung ansieht, nur die Originalität des  Formulierers  besitzt. Von Formulieungen aber sind vereinfachende  Übertreibungen  schwer fernzuhalten. So hatte, wie wir schon sahen, MONTESQUIEU die  wechselseitige  Bedingtheit von Volksgeist und Recht gelehrt, HERDER diese Bedingtheit für das  Verfassungsrecht  widerlegt. SAVIGNY, indem er  alles  Recht allein aus dem Volksgeist  emanieren  läßt, streicht die beiden so wichtigen und richtigen Einschränkungen und öffnet damit den bedenklichsten politischen Folgerungen im Sinne der Restaurationszeit die Tür. Aus dieser Unselbständigkeit gegenüber der Romantik und ihren Vorläufern erklärt sich dann auch eine  eigentümliche Form,  in der die Volksgeisttheorie in SAVIGNYs zweiter Programmschrift, dem schon genannten Aufsatz von 1815, auftritt. Hier (Seite 3f) heißt es, es sei "jedes Zeitalter eines Volkes (zu denken) als die Fortsetzung und  Entwicklung  aller vergangenen Zeiten", daher "bringt nicht jedes Zeitalter für sich und willkürlich seine Welt hervor, sondern es tut dies in unauflöslicher Gemeinschaft mit der ganzen Vergangenheit. Dann also muß jedes Zeitalter etwas Gegebenes anerkennen, welches jedoch  notwendig und frei zugleich  ist; notwendig, insofern es nicht von der besonderen Willkür der Gegenwart abhängig ist: frei, weil es ebensowenig von irgendeiner fremden besonderen Willkür (wie der Befehl des Herrn an seinen Sklaven) ausgegangen ist, sondern vielmehr hervorgebracht von der  höheren Natur des Volkes  als eines stets werdenden, sich entwickelnden  Ganzen.  Von diesem höheren Volk ist ja auch das gegenwärtige Zeitalter ein  Glied,  welches in jenem und mit jenem Ganzen will und handelt, so daß, was von jenem Ganzen gegeben ist, auch von diesem Glied frei hervorgebracht genannt werden darf. Die  Geschichte  ist dann nicht mehr bloß eine Beispielsammlung, sondern der einzige Weg zur wahren Erkenntnis unseres eigenen Zustandes." An dieser Stelle, die zugleich von SAVIGNYs Formulierungskunst - dem Charisma des Juristen - einen Begriff gibt, ist allerlei auffällig, so die Verwertung des philosophischen Modebegriffs der Entwicklung, ferner, daß hier die Natur des Volkes - man sieht nicht recht, in welchem Sinn - ihrerseits ein Gewertetwerden und Abstufungen zuläßt; daß der Begriff der Einheit von Freiheit und Notwendigkeit, der in der praktischen Philosophie des deutschen Idealismus eine solche Rolle spielt, hier eine aller Problematik bare Umdeutung erfährt; weiter, wie vage hier der Begriff des Organismus mit seinem Problem des Verhältnisses von Glied und Ganzem angedeutet erscheint; schließlich, daß hier die kausale, geschichtliche Erkenntnis für die einzig "wahre" gehalten wird. All dies läßt sofort vermuten, daß hier blasse Reminiszenzen an philosophische Lektüre vorliegen. Nun steht fest, daß SAVIGNY sich in der Tat eine kurze Zeit hindurch - anscheinend weder jemals früher noch später jemals - mit Philosophie befaßt hat, auf seinen durch die damalige gute Sitte gebotenen Wanderjahren zwischen Studium und Dozentur 1799 - 1899. Und hier - inbesondere in Jena - war es wiederum ausschließlich der Philosoph der Romantik, SCHELLING, dem er sich zuwandte, insbesondere hat das System des transzendentalen Idealismus von 1800 auf ihn nachweislich einen starken Eindruck gemacht (41). Wirklich steht dann hier die gesuchte Stelle (erster Zusatz zum 4. Hauptabschnitt, Seite 583f, der Ausgabe in Bd. 3 der sämtlichen Werke, Seite 583):
    "Es muß eine zweite und  höhere Natur  gleichsam über der ersten errichtet werden, in welcher ein Naturgesetz, aber ein ganz anderes, als in der sichtbaren Natur herrscht, nämlich ein Naturgesetz zum Zweck der  Freiheit.  Unerbittlich, und mit der eisernen  Notwendigkeit,  mit welcher in der sinnlichen Natur auf die Ursache ihre Wirkung folgt, muß in dieser zweiten Natur auf den Eingriff in fremde Freiheit der augenblickliche Widerspruch gegen den eigennützigen Trieb erfolgen. (42) Ein solches Naturgesetz wie das eben geschilderte, ist das Rechtsgesetz, und die zweite Natur, in welcher dieses Gesetz herrschend ist, ist die Rechtsverfassung."
Deren "Realisierung" wird nun weiter als "das einzige Objekt der  Geschichte"  deduziert und so entsteht das Problem, wie sie denn "Freiheit und Notwendigkeit in Vereinigung darstellen" (Seite 593) und "uns, indem wir völlig frei, d. h. mit Bewußtsein, handeln, bewußtlos etwas entstehen kann, was wir nie beabsichtigt haben und was die sich selbst überlassene Freiheit nie zustande gebracht hätte?"; wie also "durch mein freies Handelns auch etwas Objektives, eine zweite Natur, die Rechtsordnung, entstehen" kann, obwohl "alles Objektive als solches bewußtlos entsteht" (Seite 596). Das Problem wird gelöst durch KANTs Theorie des  Organismus,  der da "zweckmäßig ist, ohne zweckmäßig hervorgebracht zu sein. Ein solches Produkt muß die Natur sein" (Seite 606) also auch die "zweite Natur, die Rechtsordnung". Hier also haben wir die Schlagworte beieinander, die dann in SAVIGNYs Gedächtnis haften geblieben sind, nicht ohne dabei ihren tieferen Sinn einzubüßen. Auch die unzulässige Vereinfachung müssen wir hier wieder feststellen. Für SCHELLING, wie für die Philosophie des deutschen Idealismus überhaupt, ist nicht das  Natur wesen "Volk", sondern das  Vernunft wesen "Staat", Träger der eben deshalb zweckvollen, "organischen", Rechts"entwicklung". SAVIGNY, auch hierin nach Adeptenart radikaler als die führenden Romantiker selbst, hat von SCHELLINGs Organismuslehre des Rechts nur die eine Seite, die Unbewußtheit des  Geschehens  übernommen, dagegen die andere, für die Anwendung einer juristischen Methode unentbehrliche Seite, die immanente Vernünftigkeit des  Ergebnisses,  fortgelassen und demgemäß das Gewohnheitsrecht nicht nur neben, sondern über das Gesetzesrecht gestellt. Auch der für SCHELLING wie überhaupt für die Philosophie der Zeit so bedeutungsvolle Entwicklungsbegriff erscheint trivialisiert. Statt daß "Entwicklung" ein Werden mit einem bestimmten  Ziel,  Telos (HERDERs "Humanität", HEGELs "Freiheit") oder ein Werden von einer bestimmten organischen, dialektischen oder sonstigen  Eigenart  bedeutet, heißt "Entwicklung" bei SAVIGNY und seiner Schule einfach - Werden schlechthin und empfängt keine anderen Prädikate als die jedem Werden zukommen: eine stetige Veränderung bei beharrender Substanz. Nur an einer Stelle (Vom Beruf, Seite 7) wird der Begriff im Sinn eines organischen Werdens präzisiert, indem behauptet wird, daß das Recht parallel mit dem Volksgeist (hier "Eigentümlichkeit" des Volks genannt) "wächst", sich "ausbildet" und "abstirbt". Doch wird von dieser Vorstellung, die sich in einer Schrift des Verfassers der "Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter" wunderlich genug ausnimmt, sonst keinen Gebrauch gemacht. Das soll kein Tadel sein, da unserer Überzeugung nach die Entwicklungslehre auf allen Gebieten der Kulturgeschichte zu gewaltsamen Konstruktionen führt und die historische Schule sehr gut daran tat, nur ein stetiges Werden des Rechts anzunehmen (worin sie einerseits über den Rationalismus hinausdrang, andererseits aber auch hinter ihm zurückblieb, da im Recht wie auf jedem anderen Gebiet auch die geniale Improvisation und der plötzliche Umsturz eine Rolle spielen). Diese nüchterne Auffassung aber war, wie der trotzdem eifrige Gebrauch des Schlagworts "Entwicklung" zeigt, nicht etwa das Ergebnis tieferer Einsicht, sondern umgekehrt eine Folge mangelnden Eindringes in den eigentlichen Sinn philosophischer Lehren. Das hat nicht gehindert, daß man SAVIGNY als Vater des Entwicklungsgedankes in der Lehre vom Recht und der Kultur überhaupt gefeiert hat, ja sogar als Vorläufer der naturwissenschaftlichen Entwicklungslehre (im Sinne DARWINs) (43). Dabei wird zu all dem noch übersehen, daß der Evolutionismus in der Naturphilosophie - sehr bekannterweise - uralt ist und z. B. kurz vor SAVIGNY von GOETHE (1790) und LAMARCK (1809) vertreten worden war. Auch hierin wird SCHELLING der Vermittler gewesen sein (44). Es erledigt sich damit auch der alte Streit, ob SAVIGNY eine philosophische oder unphilosophische Gesinnung besaß: nicht er besaß eine Philosophie, sondern eine Philosophie besaß ihn. Diese Philosophie aber war die seines Milieus, dem sich der große Rechtshistoriker als unphilosophischer Geist gerade im Grundsätzlichen kritiklos gefangen gab, ohne die Inadäquatheit der Lehre für den Stoff der Jurisprudenz und insbesondere das römische Recht zu bemerken, jenes Milieu nun war, wie bekannt, die Romantik, obwohl SAVIGNY selbst nach Temperament und Lebensführung alles andere war als ein Romantiker (45). Doch kam auch ein persönliches Moment hinzu, um ihn der Volksgeistlehre in die Arme zu führen, das, was man sein "Würdebedürfnis" genannt hat, das Bestreben, seiner Wissenschaft größtmögliche  "Würde"  zu verleihen (46). Diese scheint der Aristokrat SAVIGNY dann darin gesehen zu haben, daß die Jurisprudenz keinen anderen als ihre eigenen Zwecken  dienstbar  sein darf, und so mußte ihm dann die (angebliche) Auffassung des Naturrechts, daß das positive Recht dem subjektiven zufälligen Belieben des Herrschers entspringt, sehr unsympathisch sein, umso sympathischer eine Auffassung, die das Recht mit natürlicher Notwendigkeit aus den unergründlichen Tiefen des Volksgeistes emporsteigen ließ. Für die Schule war jedoch dieser, in einer praktischen, d. h. dienenden Wissenschaft unangebrachte, Vornehmheitsstandpunkt nicht maßgebend; sie adoptierte die Volksgeisttheorie einfach ohne weitere Begründung auf die Autorität des Meisters und die Zeitstimmung hin. Ein Rationalist wie PUCHTA z. B. hätte sich niemals zu dieser Lehre bekannt, wenn sie nicht die bereits herrschende gewesen wäre.

Das Verhältnis SAVIGNYs und seiner Schule zur Lehre vom organischen Wachstum und Zusammenhang der Kultur war also ein mehr zufälliges, äußerliches, modegemäßes, und dem entspricht dann auch die tatsächliche Leistung: es wurde nämlich im Gegensatz zum Programm die Rechtsgeschichte rein formalistisch betrachtet, aus allem Zusammenhang mit der Kultur und dem Volksgeist  gelöst.  So mußte JHERING in seinem Nachruf auf SAVIGNY das bittere Wort sprechen, daß "jene  geschichtliche Ansicht  des Programms" "nur ein vielversprechendes Aushängeschild gewesen" ist (47). Es entspricht das genau dem Verfahren der vom gleichen SAVIGNY durch sein epochemachendes Werk "Das Recht des Besitzes" von 1803 eingebürgerten, von PUCHTA auf die Höhe gehobenen, von JHERING überwundenden "Begriffsjurisprudenz", die den Zusammenhang des  geltenden  Rechts mit der Kultur der Gegenwart durchschneidet. In dieser  Abkehr vom Leben  sowohl bei der dogmatischen wie bei der historischen Bearbeitung des Rechts liegt die tatsächliche Eigenart der geschichtlichen (besser: romantischen) Rechtsschule, nicht in der Lehre vom Volksgeist, die sie lediglich übernommen und sofort verleugnet hat.

Eine nähere Ausgestaltung und  genauere Formulierung  erfuhr dann bekanntlich die Volksgeisttheorie durch SAVIGNY erst 1840 im ersten Band seines "System des heutigen römischen Rechts". Hier (Seite 14 und dann oft) gebraucht SAVIGNY auch zum erstenmal den  Ausdruck  "Volksgeist": "Vielmehr ist es der in allen Einzelnen gemeinschaftlich lebende und wirkende Volksgeist, der das positive Recht erzeugt." Diese Formulierung verdankt SAVIGNY, wie BRIE (a. a. O., Seite 161) nachgewiesen hat, seinem und SCHELLINGs gemeinsamen Schüler PUCHTA, der seit 1828, dem Jahr des Erscheinens des ersten Bandes seines "Gewohnheitsrechts", die Lehre in aller Ausführlichkeit und fast wörtlich wie später SAVIGNY vorträgt. Hier erscheint auch der Ausdruck "Volksgeist" gleich auf der ersten Seite des Textes (Seite 3). Woher nun PUCHTA das Wort "genommen" hat, das ist bei der allgemeinen Verbreitung von Begriff und Name müßig zu fragen. BRIE (a. a. O., Seite 112, 69f) behauptet die Herkunft aus HEGEL, der das Wort erst seit seiner  Enzyklopädie  (1817) und  Rechtsphilosophie  (1821) - also  nach  SAVIGNYs Programmschrift - gebraucht. Aber HEGEL gebraucht, wie LOENING (a. a. O. Spalte 82f) nachgewiesen hat, das Wort schon 1807 in seiner "Phänomenologie des Geistes", wo er "die Regierung als die einfache Seele oder das Selbst des Volksgeistes" bezeichnet. (48) Und, was wichtiger ist, er gebraucht, wie schon dieses eine Zitat beweist, das Wort in einem durchaus anderen Sinn. Denn an den hier genannten Stellen (nicht dagegen an der erst von uns beigebrachten von 1793) bietet HEGEL  Metaphysik,  und in seiner Metaphysik bedeutet  Volksgeist  keineswegs das gemeinsame Bewußtsein der durch natürliche Momente zur Einheit verbundenen Nation, sondern den absoluten Weltgeist auf einer bestimmten Stufe der dialektischen Entwicklung, wobei das Volk nur als Substrat des Staates in Betracht gezogen wird. Dagegen - und diese Unterscheidung bildet das Ergebnis der eingangs erwähnten Schrift DITTMANNs, dessen Ausführungen LOENING (a. a. O. Seite 84) leider ohne Begründung als "verfehlt" ablehnt - bedeutet  Volksgeist  etwas wesentlich anderes in HEGELs (von LOENING nicht erwogener)  Geschichtsphilosophie.  DITTMANN sucht diesen Unterschied - und ihm zufolge Widerspruch - jedoch in falscher Richtung, nämlich hauptsächlich darin, daß HEGEL in seienr "geschichtlichen  Praxis"  den Geist der einzelnen Völker, besonders der Griechen und Germanen, verschiedene Kulturstufen, also eine psychologische Entwicklung, durchmachen läßt, während er in HEGELs  Metaphysik  selbst eine Stufe im logischen Prozeß ist. Demgegenüber ist zu bemerken, daß bei den Griechen der Übergang von einer zur anderen Stufe als das  "Verderben  der griechischen Welt" hingestellt wird und es sich bei den Germanen um verschiedene "Perioden" innerhalb derselben Stufe des Weltgeistes handelt, wobei ihre Bestimmung durchgängig die gleiche bleibt, nämlich "die Realisierung der absoluten Wahrheit als der unendlichen Selbstbestimmung der Freiheit" (49). Solche Veränderungen aber hatte HEGEL schon in seiner Rechtsphilosophie (§ 347) ausdrücklich gefordert, und zwar sollten es auf jeder Stufe drei sein. Die Doppeltheit des HEGELschen Volksgeistbegriffs bedeutet also keinen Widerspruch im System, sondern beruth auf dem Verhältnis des Volksgeistes zum Weltgeist einerseits, zu den verschiedenen Seiten der Volkskultur andererseits. Das erste Verhältnis, das in HEGELs Metaphysik allein betrachtet wird, ist logisch-dialektischer Art; es besteht darin, daß die "Volksgeister" dem Weltgeist, "um dessen Thron sie als die Vollbringer seiner Verwirklichung und als Zeugen und Zierrat seiner Herrlichkeit stehen" (50), nur als Mittel dienen, um eine Stufe seiner selbst in seinem "Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit" zu realisieren; daher dann, sobald dieser Zweck erreicht ist, der Weltgeist auf ein anderes "welthistorisches" Volk übergeht. Von einer solchen Begriffsdichtung waren die Romantiker und SAVIGNY freilich soweit wie möglich entfernt. Das andere Verhältnis ist dagegen rein  empirisch-psychologischer  Natur und begegnet schon in HEGELs obenerwähnter theologischer Jugendschrift von 1793. Hier (Seite 20) wird nämlich die Frage aufgeworfen: "Wie muß Volksreligion beschaffen sein?" (sie erscheint ihm als das erstrebenswerte Dritte zwischen Vernunftlehre und Kirchenglaube, wie später SAVIGNY das Gewohnheitsrecht zwischen Naturrecht und Gesetz). Und er antwortet darauf u. a., ihre Lehren müßten einfach sein, "und durch diese Eigenschaft, daß sie einfach sind, werden sie umso mehr Kraft und Nachdruck auf das Gemüt, auf die Bestimmung des Willens zu Handlungen ausüben - und so konzentriert weit mehr Einfluß, weit mehr Anteil an der Bildung eines  Volksgeistes  haben, als wenn die Gebote gehäuft, künstlich geordnet sind und eben deswegen immer vieler Ausnahmen bedürfen" (Seite 21), und "den Geist des Volkes zu bilden ist zum Teil auch Sache der Volksreligion, zum Teil der politischen Verhältnisse" (Seite 27). Aber wie hier der Volksgeist als das Produkt erscheint, so auch umgekehrt: "Solche wesentlichen Gebräuche der Religion müssen eigentlich mit dieser nicht näher zusammenhängen, als mit dem Geist des Volkes, und aus diesem eigentlich hervorgesproßt sein" (Seite 26). HEGEL lehrt also genau jene  Wechsel wirkung von Volksgeist und Kultur, die wir bei MONTESQUIEU angetroffen haben und wirklich begegnet dann auch gleich darauf (Seite 40) ein Zitat aus dem  Esprit des lois.  Der gleiche Begriff beherrscht dann wieder seine "Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte" (wobei freilich die Vorgänge eine fortwährende metaphysische Deutung im Sinne der von ihm inzwischen entwickelten Dialektik erfahren und dieser - a priori als möglich feststehenden - Deutung zu Liebe verzerrend dargestellt werden). "Hier" sagt HEGEL selbst in klarer Abgrenzung "haben wir nur dieses aufzunehmen, daß jedes Stufe als verschieden von der andern ihr bestimmtes eigentümliches Prinzip hat. Ein solches Prinzip ist in der Geschichte die Bestimmtheit des Geistes - ein  besonderer Volksgeist.  In dieser drückt er als konkret alle Seiten seines Bewußtseins und Wollens, seiner ganzen Wirklichkeit aus; sie ist das gemeinschaftliche Gepräge seiner Religion, seiner politischen Verfassung, seiner Sittlichkeit, seines Rechtssystems, seiner Sitten, auch seiner Wissenschaft, Kunst und technischen Geschicklichkeit. Diese speziellen Eigentümlichkeiten sind aus jener allgemeinen Eigentümlichkeit, dem besonderen Prinzip eines Volkes, zu verstehen, sowie umgekehrt aus dem in der Geschichte vorliegenden faktischen Detail jenes Allgemeine der Besonderheit herauszufinden ist." (51) Dieses Programm hätte sowohl der Auffassung als der daraus abgeleiteten Methode nach jeder Romantiker und auch SAVIGNY unterschreiben können. Dennoch ist keine Einmischung HEGELs auf PUCHTA-SAVIGNY anzunehmen. Denn HEGELs Geschichtsphilosophie, in der, wie schon bemerkt, sich der kollektiv-psychologische Begriff des Volksgeistes zuerst entwickelt findet, stammt als Kolleg aus dem Jahre 1822 (52), ist also jünger als SAVIGNYs "Beruf", und die Drucklegung erfolgte - durch GANS - erst 1837, also nach PUCHTAs "Gewohnheitsrecht". Für sein "System" hätte freilich SAVIGNY HEGEL benutzen können, aber daß er dies nicht tat, geht eben daraus hervor, daß er durchaus PUCHTA folgen konnte. Er mochte zu einer Anlehnung an HEGEL umso weniger geneigt sein, als das Verhältnis beider Schulen nichts weniger als freundlich war: HEGEL hatte 1821 in seiner Rechtsphilosophie SAVIGNYs legislativen Quietismus als "einen der größten Schimpfe, der einer Nation oder jenem Stand (dem juristischen) angetan werden konnte" (53), bezeichnet; PUCHTA hatte 1823 - wie HEGEL, ohne Namen zu nennen - von HEGELs "frivoler Philosophie" gesprochen (54), und SAVIGNY war, als sein intimer Feind, der Hegelapostel GANS, 1828 in die Berliner Fakultät eintrat, aus dieser ausgeschieden (55). Umgekehrt ist aber auch HEGEL nicht etwa von SAVIGNY abhängig, das ergibt schon das Datum 1793. Vielmehr besteht hierin eine gemeinsame Abhängigkeit von MONTESQUIEU (56). Aber der Philosoph unterscheidet sich vorteilhaft vom Juristen dadurch, daß er, wie wir oben sahen, diese Beeinflussung freudig anerkennt, zweitens dadurch, daß er methodisch über MONTESQUIEU, hinter dem SAVIGNY zurückblieb, schon in seiner Jugendschrift (Seite 27) hinausging: "Geist des Volks, Geschichte, Religion, Grad der politischen Freiheit desselben - lassen sich weder nach ihrem Einfluß aufeinander, noch nach ihrer Beschaffenheit  abgesondert betrachten  - sie sind in ein Band zusammenverflochten."

Vom kollektiv-psychologischen und dem metaphysischen Begriff des Volksgeistes scheint nun noch als ein dritter ein  mystizistischer  unterschieden werden zu müssen. Es ist nämlich oft und zuletzt von STAMMLER, der diese Auffassung, ohne der anderen Möglichkeiten auch nur zu gedenken, zur Grundlage seiner Polemik gemacht hat, die Behauptung- oder die Beschuldigung - aufgestellt worden, der "Volksgeist" der historischen Rechtsschule sei für diese ein "eigenes Lebewesen", ein "eigenes Ding außer uns" gewesen. (57) Belege für seine Auffassung bringt STAMMLER nicht bei, und eine bündige Widerlegung dieser Auffassung ist erschwert durch die Verworrenheit, mit der SAVIGNY-PUCHTA ihre Rechtsentstehungslehre vortragen, und welche noch jeden, der sich, wenn auch als ihr Anhänger, mit ihr wissenschaftlich, nicht in Festrednerstimmung, befaßte, zur Verzweiflung getrieben hat (58). Man muß sogar einräumen, daß sich Stellen finden, die eine solche Deutung zumindest zulassen (59). Es gibt aber keine Stelle, die zu der Annahme des Glaubens an ein hypostasiertes [einem Gedanken gegenständliche Realität unterschieben - wp] Lebewesen mit eigenem Selbstbewußtsein als "Subjekt" der Rechtsbidung  nötigte,  und viele Stellen, die eine solche Auffassung  ausschließen,  so alle die, in denen SAVIGNY und PUCHTA den Volksgeist in die gemeinsame Überzeugung der Volksglieder setzen. BRIE, der diese Stellen selbst zusammengestellt hat, mach daher diesem Mißverständnis noch zuviele Zugeständnisse, wenn er die mystische Auffassung als eine tatsächliche, wenn auch nur gelegentliche "Inkonsequenz" PUCHTAs bezeichnet. und wenn er diese Auffassung wiederum aus einer Anlehnung an HEGEL erklären will, bei dem die Auffassung des Volksgeistes als einer "realen psychischen Existenz" nur "naturgemäß" sei, so heißt dies doch wohl den panlogistischen und gar nicht mystischen Charakter der HEGELschen Metaphysik verkennen. Eine ernste, nicht nur bildlich gemeinte Vertretung der  mystizistischen  Auffassung des Volksgeistes wird sich in dieser Zeit weder innerhalb noch außerhalb der romantischen Rechtsschule nachweisen lassen. Auch die spätere Ausgestaltung der Volksgeistlehre scheint mir, soweit ich sie übersehe, eine solche Deutung nicht zuzulassen. Doch auch diese neuere Entwicklung zu verfolgen - über die moderne "Kulturgeschichte" und die "Völkerpsychologie" bis zu den Spekulationen der "Rassentheorie" - liegt außerhalb des Rahmens dieser Bemerkungen.
LITERATUR Hermann U. Kantorowicz, Volksgeist und historische Rechtsschule, Historische Zeitschrift, Bd. 108, dritte Folge Bd. 12, München und Berlin 1912
    Anmerkungen
    1) SIEGFRIED BRIE, Der Volksgeist bei Hegel und in der historischen Rechtsschule, Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie, Bd. 2, 1908/1909, Seite 1f und 179f; auch separat 1909.
    2) ERNST von MOELLER, Die Entstehung von dem Ursprung des Rechts aus dem Volksgeist, Mitteilungen des Instituts für österr. Geschichtsforschung, Bd. 30, 1909, Seite 1f. Vieles in seine Forschung Einschlägiges bietet übrigens schon CARL MENGER, in seinen "Untersuchungen über die Methode der Sozialwissenschaften", 1883, Seite 187 - 208.
    3) FRIEDRICH DITTMANN, Der Begriff des Volksgeistes bei Hegel, Leipzig 1909, auch in LAMPRECHT Beiträgen zur Kultur- und Universalgeschichte, Heft 10.
    4) EDGAR LOENING, Die philosophischen Ausgangspunkte der rechtshistorischen Schule, Internationale Wochenschrift, Bd. 4, 1910, Spalte 65f und 115f
    5) ERNST LANDSBERG, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, Bd. 2, 1910, Seite 209f
    6) von MOELLER gibt als Erscheinungsjahr 1757 an. In Wahrheit datiert die Niederschrift des Essais von 1740; ein Teildruck von 1744/45; eine unberechtigte und verfälschte Ausgabe von 1753; die erste echte Ausgabe von 1754; die erste mit dem Schlagwort "esprit des nations" im Titel von 1756; der endgültige Titel von 1769; siehe  Oeuvres complétes  11 (1878(, Seite XIf. FUETER, Geschichte der neueren Historiographie (1911), Seite 349f, DILTHEY, Das 18. Jahrhundert und die geschichtliche Welt, Deutsche Rundschauf, Heft 108, 1901, Seite 260f und 350f, der sehr schön über beide Männer handelt. Über "Voltaire als Kritiker Montesquieus" siehe SAKMANN, Herrigs Archiv, Bd. 113, 1905, Seite 374.
    7) Vgl. FUETER, a. a. O., Seite 361f; SAKMANN, Voltaires Geistesart und Gedankenwelt, 1910, Seite 291.
    8) VOLTAIRE, Essai, chap. 155, Oeuvres 12, Seite 434
    9) FUETER, a. a. O., Seite 362
    10) MEINECKE, a. a. O., Seite 25
    11) FRIEDRICH CARL MOSER, Beherzigungen, Seite 362, 492. Die dritte Ausgabe von 1763, nach der MEINECKE Seite 25 zitiert, stimmt mit der ersten hierin in Text und Seitenzahl überein.
    12) Das Buch erschien in diesem Jahr (nicht erst, wie MEINECKE Seite 24 angibt, 1766) und zwar anonym, in Frankfurt am Main, im folgenden Jahr mit dem Namen des Verfassers, aber ohne den des Druckorts und Verlegers (Nachdruck).
    13) Nach MEUSELs  Lexikon,  Bd. 1, 1802, Seite 681. Auch von diesem Buch gibt es zwei Ausgaben, Lindau 1766 und Frankfurt und Leipzig 1767, beide in Freiburg.
    14) NOHL, Hg.,  Hegels theologische Jugendschriften.  Der Zeitpunkt ergibt sich aus NOHLs Untersuchungen, Seite 404; nur das unten erwähnte MONTESQUIEU-Zitat würde hiernach etwas später - wohl 1794 - fallen.
    15) Enthalten in THIBAUTs "Zivilistische Abhandlungen", daselbst Seite 418. Sämtliche Ausgaben der THIBAUTschen Schrift besitzt die Universitätsbibliothek zu Freiburg i. B.
    16) Dies ergibt THIBAUTs Antikritik, wieder abgedruckt in der dritten Ausgabe seiner Schrift (1840), Seite 89 und SAVIGNY, a. a. O., Seite 3 (des Neudrucks von 1892)
    17) Vgl. nunmehr auch W. METZGER, Die Epochen der Schellingschen Philosophie von 1785 bis 1802 (1911), besonders Seite 74.
    18) LANDSBERG, Studien zur frühromantischen Politik und Geschichtsauffassung, Leipziger Dissertation 1907, auch am Seite 295 genannten Ort, Heft 3.
    19) An Beeinflussung durch VOLTAIRE, von dem SAVIGNY meines Wissens niemals spricht, ist hiernach nicht zu denken.
    20) POETZSCH, a. a. O., Seite 64 und 67
    21) Vgl. die scharfe Erklärung SAVIGNYs im "System des heutigen römischen Rechts", Bd. 1 (1840), Seite 32 und REXIUS, Studien zur Staatslehre der historischen Schule, in dieser Zeitschrift, Bd. 107 (1911), Seite 520f.
    22) REXIUS, a. a. O., Seite 512f
    23) Belege bei SINGER, Zur Erinnerung an Gustav Hugo,  Grünhuts Zeitschrift,  Bd. 16, 1889, Seite 278f.
    24) REXIUS, a. a. O., Seite 500f
    25) HEGEL, Über die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts (1802 / 03), Werke I, Seite 417 der ersten Auflage; Grundlinien der Philosophie des Rechts (1821) § 3; STAHL, Philosophie des Rechts I, Seite 362, zitiert nach der zweiten Auflage von 1847. Andererseits in unleugbar - und von REXIUS zutreffend angedeutet -, daß hinsichtlich des Motivs des Geschichts studiums  zwischen dem Pragmatiker und dem Romantiker die größten Unterschiede obwalten, jenem die Geschichte Induktionsmaterial und - mit SAVIGNY zu sprechen - "Beispielsammlung" politisch-soziologischer Gesetze ist, so daß die Rechtsgeschichte Vorstufe oder Spezialfall der Rechtsvergleichung wird, während bei diesen der Erkenntnistrieb gerade im unvergleichbar Einmaligen Genüge und Genuß findet.
    26) In Wahrheit anerkennt MONTESQUIEU (Bd. 1, Seite 3) ca. 14 "Momente".
    27) Eine kurze, aber hierin zutreffende Darstellung bietet LAMPRECHT, Herder und Kant als Theoretiker der Geschichtswissenschaft, in CONRADs Jahrbücher, 3. Folge, Bd. 14 (1897, Seite 172.
    28) HERDERs Sämtliche Werke, Bd. 13 (1887) Seite 448
    29) GIERKE, Die historische Rechtsschule und die Germanisten (1903), Seite 5, Note 7. LANDSBERG hatte im ersten Band seiner Geschichte (1898)HERDER mit Recht unter den Vorläufern der historischen Juristenschule nicht einmal erwähnt, wovon dann von MOELLER (in der ihm eigentümlichen Ausdrucksweise) als dem "plumpen Versuch", HERDERs Verdienste "totzuscheweigen" (Seite 6) spricht. Im zweiten Band hat LANDSBERG dann EHRENBERGs Auffassung Konzessionen gemacht (Seite 213, Noten Seite 412). Auch E. ZWEIG, Studien und Kritiken (1907) Seite 40f ("Herder und die Rechtswissenschaft") Fußt durchaus auf EHRENBERG, jedoch mit einer Einschränkung zugunsten MONTESQUIEUS (Seite 42f).
    30) Die sprachphilosophischen Werke WILHELM von HUMBOLDT herausgegeben und erklärt von STEINTHAL (1884) Seite 58.
    31) im Auszug bei STEINTHAL, a. a. O., Seite 15f.
    32) Den Hinweis auf dieses Verhältnis verdanke ich einem Gespräch mit meinem verstorbenen Kollegen Professor WILHELM WETZ.
    33) Über HUMBOLDTs Dualismus siehe STEINTHAL, Der Ursprung der Sprache, dritte Auflage, 1877, Seite 77.
    34) in STEINTHALs Ausgabe Seite 245 und 248
    35) siehe dazu die wichtige, auf ungedrucktem Material fußende Arbeit von A. STOLL, F. K. von Savignys sächsische Studienreise, Programm des Kgl. Friedrich-Gymnasium zu Kassel (1890), Seite 2f.
    36) Dagegen mangelt es an Parallelismen nicht. Zum Beispiel findet SAVIGNYs bekannter "Purismus" - das Bestreben, veraltete Institute des "reinen" römischen Rechts wieder zur praktischen Geltung zu bringen - ein (freilich harmloseres) Gegenstück in JAKOB GRIMMs Versucht, in Orthographie und Grammatik der deutschen Sprache zu archaisieren. So schreibt er in seiner Abhandlung "Über das pedantische in der deutschen sprache (Abhandlung der Berliner Akademie, Phil.-Hist. Klasse 1847, Seite 206, auch in "Kleinere Schriften", Bd. 1): "Den gleichverwerflichen mißbrauch großer buchstaben für das substantivum, der unser pedantischen unart gipfel heißen kann, habe ich und die mir darin beipflichten abgeschüttelt ... eine neuerung, die nichts ist als wieder hergestellte naturgemäße schreibweise, der unsere voreltern bis ins fünfzehnte jahrhundert, unsere nachbarn bis auf heute treu blieben. Was sich in der gesunkenen sprache des sechzehnten und siebzehnten verkehrtes festsetzte, nennt man nationale deutsche entwicklung ... nichts lag der philologie näher, als die grundsätze, welche aus dem neuerstandenen und gereinigten studium der klassischen sprachen geschöpft wurden, auch auf die landessprachen anzuwenden". Man glaubt SAVIGNY oder (noch mehr) PUCHTA zu hören.
    37) Briefwechsel zwischen JAKOB und WILHELM GRIMM aus der Jugendzeit, hg. von H. GRIMM und G. HINRICHS (1881) Seite 372 und 390.
    38) LANDSBERG, a. a. O., Seite 284, Noten Seite 116; R. HÜBNER, "Jakob Grimm und das deutsche Recht (1895), Seite 16f
    39) Briefwechsel, Seite 40 und 57. JAKOB hat sich selbst und dadurch seine Biographien (siehe u. a. HÜBNER, Seite 14) getäuscht, wenn er ein halbes Jahrhundert später (1850) in einer Festgabe für SAVIGNY (Kleinere Schriften, Bd. 1, Seite 114) seine Abwendung von der juristischen Laufbahn mit der 1807 erfolgten Einführung des  französischen  Rechts in seine Heimat, das im Königreich Westfalen aufgegangene Kurhessen, begründete. Über das im Text genannte "Gesetz" von 1805, das sich eng an das preußische Landrecht anlehnen sollte, aber wegen der französischen Invasion in der Kommission stecken blieb (siehe ROTH, Kurhessisches Privatrecht, Bd. 1 (1851), Seite 54.
    40) In Übereinstimmung damit heißt bald darauf WILHELM SAVIGNYs Buch "herrlich", und GÖNNERs Gegenschrift "schändlich", "schamlos", "niederträchtig" (Briefe der Brüder Grimm an Paul Wigand, hg. von E. STENGEL (1910), Seite 175 und 178f). In seiner Rezension von GÖNNERs Schrift, 1815, stellt er sich rückhaltlos auf SAVIGNYs Seite (auch in Kleinere Schriften I, Seite 549f). Über GÖNNERs bedeutende Arbeit, die WILHELM nicht mit methodologischen Gründen, sondern mit patriotischen Gefühlen bekämpft, siehe LANDSBERG, a. a. O., Seite 156.
    41) Über seine damaligen Beziehungen zu SCHELLINGs Person, Freundeskreis, Lehrtätigkeit und Philosophie unterrichten STOLL, a. a. O., Seite 14, 34f, 37f, LANDSBERG, a. a. O., Seite 188 und 214f. Beide machen darauf aufmerksam, daß eine kunstphilosophische Äußerung SAVIGNYs in einem Brief vom 26. April 1800 auf eine Theorie SCHELLINGs zurückgehen muß; in der Tat finde ich sie im System, 6. Hauptabschnitt, § 1, in den "Sämtlichen Werken", Bd. 3, Seite 617. Aber hat SAVIGNY denn damals das Werk kennen können? Die Vorrede ist datiert "Jena, Ende März 1800" und der Verleger - COTTA - an den ich mich mit der Bitte um die freundliche Mitteilung des genauen Erscheinungsdatums wandte, hat im Verlagsarchiv nur ermitteln können, daß SCHELLING das Honorar erst Ende August 1800 erhalten hat. Dennoch muß er bereits im April im Besitz mindestens der Freiexemplare gewesen sein, denn am 19. April bedankt sich GOETHE, am 1. Mai SCHILLER für die Überreichung des Werkes. (Vgl. "Aus Schellings Leben", In Briefen 1869, hg. von G. L. PLITT) SCHELLINGs Besuch in Weimar fällt nach einem Brief GOETHEs an SCHILLER vom 16. April (im Briefwechsel gedruckt) auf dieses Datum. Sofort also hat sich SAVIGNY an die Lektüre des Werkes gemacht. LOENING hält, mit STOLLs Material leider nicht bekannt, nur eine indirekte Einwirkung SCHELLINGs für wahrscheinlich (a. a. O. Spalte 77), hat aber die entscheidenden Stellen richtig ermittelt (Spalte 74f).
    42) Die nähere Ausführung dieses Gedankens (Seite 582f) beruth zweifellos auf seines damaligen Jenenser Kollegen FEUERBACHs "Theorie des psychologischen Zwangs" ("Antihobbes" 1798). Anderes zu diesen Theorien SCHELLINGs siehe bei MEHLIS, Schellings Geschichtsphilosophie in den Jahren 1799 - 1804 von 1907.
    43) So z. B. ADOLF MERKEL, Über den Begriff der Entwicklung, Grünhuts Zeitschrift, Bd. 3, 1876, Seite 625f. (aufgenommen in "Fragmente zur Sozialwissenschaft, 1898, Seite 36f; WIELAND, Die historische und die kritische Methode in der Rechtswissenschaft, 1910, Seite 6; vorsichtiger: von BELOW, Die neue historische Methode, Historische Zeitschrift, Bd. 81, 1898, Seite 199f (mit reicher Literatur)
    44) Über SCHELLINGs Entwicklungslehre in diesen Jahren siehe LOENING, a. a. O. Spalte 74; METZGER, a. a. O., Seite 93f.
    45) Eine nähere Begründung dieser Beurteilung SAVIGNYs und seiner Lehre in meiner Schrift "Was ist uns Savigny?", Recht und Wirtschaft, Bd. 1, 1911, Seite 47f und 76f, auch separat 1912. Dagegen schrieb SINGER 1889 in seiner erwähnten, grundgelehrten Abhandlung, Seite 305: "SAVIGNYs Unabhängigkeit gegenüber der zeitgenössischen Philosophie hätte nie bezweifelt werden sollen." Wieviel haben wir seitdem über jene große Zeit gelernt!
    46) Dazu vortrefflich LANDSBERG, a. a. O., Seite 247f; vgl. außerdem das Zitat bei LANDSBERG, Seite 192, wo SAVIGNY die Auffassung der ganzen Rechtswissenschaft als Rechtsgeschichte die "würdigste" nennt. Überhaupt hängt damit seine Bevorzugung der historischenvor der praktischen Jurisprudenz zusammen, auch seine selbstherrliche, d. h. lebensfremde Art der Dogmatik
    47) Jahrbücher für die Dogmatik, Bd. 5, 1861, Seite 367.
    48) HEGEL, Enzyklopädie, Originalausgabe Seite 415; Werke Bd. 2, Seite 355 der Erstausgabe.
    49) HEGEL, Geschichtsphilosophie, Seite 347, 435, 364 (der Reclam-Ausgabe)
    50) HEGEL, Rechtsphilosophie § 352
    51) HEGEL, Geschichtsphilosophie, Seite 107
    52) siehe die Vorrede von GANS (1837) zur Ausgabe in den Werken, erste Auflage, Bd. 9, Seite XX
    53) § 211 und ausführlicher in den aus den Vorlesungen von GANS herausgegebenen Zusätzen (Werke, Bd. 8, 1833, auch separat in GEORG LASSONs neuester Ausgabe 1911, Seite 340). Dagegen sind die noch gröberen Ausfälle HEGELs gegen die, die den Staat "in den Brei des Herzens, der Freundschaft und Begeisterung zusammenfließen" lassen (Vorrede, Seite XII der Originalausgabe, Werke, erste Ausgabe, Seite 8 und 11) nicht mit LANDSBERG (Noten Seite 165) auf SAVIGNY zu beziehen, sondern, wie Zusammenhang und Zitat ergeben, auf FRIES (Rede am Wartburgfest 1817).
    54) Zitiert nach "Kleine zivilistische Schriften" (1851) Seite 147
    55) LANDSBERG, a. a. O. Seite 367. Die Aktenstücke dieser Affäre jetzt bei LENZ, Geschichte der Kgl. Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin (1910), Seite 512f.
    56) HEGEL hatte MONTESQUIEU schon als Gymnasiast studiert (siehe DILTHEY, Die Jugendgeschichte Hegels, 1905, Seite 7f. Die weiteren Quellen der Jugendschrift - es handelt sich nach NOHL am Seite 300 genannten Ort um Schriften von MOSES MENDELSSOHN, FICHTE und KANT - ergeben zu diesem Punkt nichts. H. DREYER, Der Begriff Geist in der deutschen Philosophie von Kant bis Hegel, Kantstudien, Ergänzungshef 7, 1908, geht auf den Begriff  Geist des Volkes  nicht ein.
    57) RUDOLF STAMMLER; Wesen des Rechts und der Rechtswissenschaft, in Kultur der Gegenwart II (1906), Seite VIIf; übereinstimmend neuestens in "Theorie der Rechtswissenschaft, 1911, Seite 388f.
    58) Vgl. z. B. ZITELMANN, Gewohnheitsrecht und Irrtum, Archiv für die zivilistische Praxis, Bd. 66, 1883, Seite 385f ("nebelhafte Unbestimmtheit"); BERGBOHM, Jurisprudenz und Philosophie", Bd. 1, 1892, Seite 503f (505 Note: "Wer sie nicht gelesen hat, dem können keine Exzerpte die Größe ihrer Unsicherheit und die Unzahl ihrer Fehler in der Quellenlehre klar machen").
    59) Sie finden sich am Besten zusammengestellt in dem tiefsinnigen Werk von REINHOLD SCHMID, Theorie und Methodik des bürgerlichen Rechts (1848), Seite 173f, der eine Anlehnung an SCHELLING vermutet. AM verdächtigsten erscheinen einige Stellen bei STAHL.