ra-2O. KrausE. Zitelmannvon BülowThibautJ. LukasSomlo    
 
ADOLF JULIUS MERKL
(1890-1970)
Zum Interpretationsproblem

"Da die juristische Praxis notwendig einer restlosen Individualisierung der generellen Norm bedarf, die Auslegung aber nicht immer zu diesem Ziel führt, sondern oft an einen Punkt gelangt, wo sich mehrere Lösungsmöglichkeiten als logisch gleich gut möglich darstellen, ergibt sich die Notwendigkeit einer subjektiven Willens- (anstelle einer bloßen Erkenntnis)funktion, welche wie von subjektiver Willkür so auch von anderen außerrechtlichen Motivationen, wie Zweckmäßigkeit, Billigkeit, Gerechtigkeit und dgl. mehr gelenkt sein kann."

"Das Recht wird und kann nie völlig eine Realisierung des Gerechtigkeitsideals bedeuten, kann sich aber von diesem ungeheuer weit entfernen."

"Wenn nun für das Auslegungsergebnis die Probe aus dem Recht gemacht wird, so führt sie - wie jede mathematische Probe - zum Ausgangspunkt zurück, ist aber gerade darum noch kein (logisch-juristischer) Beweis für die Richtigkeit der betreffenden rechswissenschaftlichen Methode. Denn diese Richtigkeit wird - darin steckt der arge Denkfehler - an einem Maßstab gemessen, der mit dem Objekt der Messung zusammenfällt. Das Gemessene ist zugleich das Maß."

"Jedes Recht ist (durch die es erkennende Rechtswissenschaft) schon irgendwie ausgelegt, ist z. B. entweder ein Recht der historischen oder der objektiven Auslegung und wird als solches die Auslegungsmethode, die zu ihm geführt hat notwendig bestätigen. Jedes Auslegungsergebnis der Rechtswissenschaft ist rechtlich einwandfrei, da das Recht das Antlitz einer Wissenschaft zur Schau trägt. Wie die Rechtsauslegung, so das Recht. Juristische Beweise für die Richtigkeit oder Unrichtigkeit eines Ergebnisses der historischen oder objektiven Auslegung - vorausgesetzt eben, daß diese Auslegungswege streng, ohne Abirren von den Gesetzen der Logik verfolgt wurden - gibt es nicht."

Es gibt gewisse Grundfragen in jeder Wissenschaft, die, mögen sie in der Fülle des behandelten Stoffes zeitweilig auch untertauchen, mögen sie im Gedränge der Einzelfragen ihr Interesse verlieren, vermöge ihres für die betreffende Wissenschaft fundamentalen Charakters doch immer wieder an die Oberfläche kommen und Beachtung erlangen. Für die Rechtswissenschaft stellt eine solche Frage die Rechtsauslegung dar. (1) Mag diese Frage auch, wenn eine Fülle von Spezialproblemen das Interesse der Fachgenossen absorbiert, zeitweilig unbeachtet bleiben - inaktuell kann sie kraft ihrer Problemstellung für die Rechtswissenschaft niemals werden. Wirft sie doch das für alle Rechtswissenschaft fundamentale Problem auf: "Was ist Recht?" Allerdings nicht in der ganzen Tiefe, auf welche diese Worte hindeuten, nicht jenes Grundproblem, das in erster Linie unter diesen Worten zu verstehen ist. Das heißt, das Interpretationsproblem, besser die Interpretationsproblematik begit sich  nicht voraussetzunglos  an die Lösung jener Frage, was Recht ist, sondern mach die  Voraussetzung  einer provisorischen und oberflächlichen Lösung, welche in der Aufstellung  einer oder mehrerer bestimmter Rechtsquellen  besteht; einer Lösung, welche z. B. als primäre Rechtsquelle das Gesetz, als sekundäre die Gewohnheit hingestellt hat. Diese Lösung muß im Voraus gefunden sein, ehe für eine  Auslegung,  aber auch für eine positivrechtliche  Auslegungslehre  Platz ist: der Gegenstand dieser Lösung, z. B. das Gesetz, stellt ja eben erst das  Auslegungsobjekt  bereit, mit dem sich der Interpretator und Interpretationstheoretiker abgeben kann und muß. Ehe man sich fragen kann,  wie auszulegen  ist, muß man darüber im Reinen sein,  was auszulegen  ist. Und wenn dies das Recht ist (2), so fragt sich, was im  allgemeinen  als solches zu betrachten ist, ehe man sich fragen kann, wie es sich im  besonderen  darstellt. Und fällt die Problemstellung:  "Was  ist auszulegen?, d. h. mit anderen Worten "Was ist Recht schlechthin?" in den Bereich einer voraussetzungslosen, einer primären Rechtsphilosophie - genauer kann man vielleicht von einer Rechtserkenntnistheorie sprechen -, so gehört die zweite Problemstellung "Wie ist auszulegen" - eine Problemstellung, welche nicht mehr so voraussetzungslos ist, da sie eben die Lösung des ersten Problems "Was ist das Objekt der Auslegung?" bereits voraussetzt - zwar einer  sekundären,  aber doch noch immer einer (der Jurisprudenz transzendenten)  Rechtsphilosophie  an. Denn die Resultate der Jurisprudenz sind Ergebnisse der  Auslegung,  die  Interpretation  selbst (und nicht deren Methodenlehre)  ist die Funktion der Jurisprudenz.  Fragt sich nämlich eine primäre Rechtsphilosophie,  was  auszulegen sei, so handelt es sich für die Jurisprudenz darum, im  Wege  der Auslegung, deren Objekt und Methode bereits feststehen muß oder doch feststehen sollte, festzustellen, was im  besonderen  Recht ist.

Was aber im  allgemeinen  Recht sein soll - Gesetz, Gewohnheit, Präjudiz und dgl. mehr - und auf welchem Weg aus dieser allgemeinen Rechtsquelle der  besondere Rechtssatz  zu gewinnen sein soll, das kann die Rechtswissenschaft im Grunde niemals selbst ausmachen, das bleibt notwendig der Rechtsphilosophie, der Rechtserkenntnistheorie vorbehalten. Mag ein unter dem Titel des Rechts auftretendes Wort- oder Gedankending noch so entschieden auf seine Rechtsnatur Anspruch erheben, es bedarf doch, um wirklich Recht zu sein, der Inthronisation durch den erkennenden Intellekt. Niemals ist etwas schon dadurch zum Recht geworden, daß es sich selbst als Recht bezeichnete, mag es sich auch mit dem anmaßenden Prädikat des ewigen Rechts ausgestattet haben, mag es auch - wie so viele alte Gestze - erklärt haben, für alle zeiten unabänderlich Recht sein zu wollen. Noch immer gibt es naive Gemüter, die da glauben, es genügt, um eine Norm zum Recht zu stempeln, daß sie sich selbst als solches inthronisiert, die die Frage gegenüber dieser Erscheinung, ob es sich überhaupt um Recht handelt, für indiskutabel halten, die auf der Stelle mit der Jurisprudenz ins Haus fallen. Dieses Benehmen beruth auf dem Verkennen jenes das bestimmte Rechtssystem einleitenden Satzes: "Alles folgende soll Recht sein" (oder wie er sonst formuliert sein mag), auf seiner falschen Auffassung als  Rechtssatz  - der, wenn er es wäre, allerdings bereits Objekt der Jurisprudenz sein müßte. So einfach ist die Rechtswerdung nun allerdings nicht - da hätten die Rechtsreformatoren und gar die Staatsutopisten ein leichtes, ein gewonnenes Spiel, wenn sich ihre Reformprojekte, ihre Phantasieprodukte auf solche Weise dekretieren [anordnen - wp] und damit realisieren ließen - gegenüber jedem solchen grundlegenden Rechtsdekret ist vielmehr immer noch die Frage erlaubt und geboten, ob es sich tatsächlich um eine Rechtsquelle handelt. Die grundlegende Rechtsqualität kann nicht rechtssatzmäßig  verordnet  (3), sondern bloß von einem fremden Standpunkt aus, von einem dieses Normsystem zum Erkenntnisobjekt wandelnden Subjekt  erkannt  werden. Und diese Erkenntnis gehört nicht der Rechtswissenschaft, sondern der - erst deren Boden schaffenden - Rechtsphilosophie an, einer Rechtsphilosophie, welche zwar, wie alle Philosophie und Wissenschaft, nie ganz von Dogmatik frei ist, aber bei der für den  einzelnen  Staat gegebenen Antwort auf die Frage, was Recht sein soll, das dogmatische Gepräge jedenfalls viel stärker und deutlicher zur Schau trägt als bei der allgemeingültigen (alle denkbaren Staatsgebilde umfassenden) Problemlösung. Es ist z. B. juristisch auszumachen, ob im heutigen österreichischen Staat das Oktoberdiplom oder Februarpatent, die bloße streng konstitutionelle Dezemberverfassung oder das halb-absolute renovierte ständische Prinzip gilt, wie es bei einem Bestreben, die ganze verfassungspolitische Wirklichkeit zu erfassen, TEZNER (4) vorschwebt. Von ihrem Standpunkt aus alle in unveränderter Geltung, repräsentieren diese Verfassungen vier voneinander mehr oder weniger abweichende Rechtsordnungen, zwischen denen es nach einem ihnen fremden - außerrechtlichen - Prinzip die Wahl zu treffen gilt. Es ist ein mehr als nötiger und darum unwissenschaftlicher Dogmatismus, wenn man diese apriorische Wahlmöglichkeit übersieht oder leugnet und von vornherein eines dieser Prinzipien kraft eigener Anordnung als  de jure  geltend annimmt (5).

Auf ähnliche Weise wie das  Objekt  der Auslegung ist nun auch - wofür jenes nur Exempel sein sollte - ihre  Methode  dem Recht transzendent und daher  nicht Gegenstand der Rechtswissenschaft.  Nicht so einleuchtend wie jene Behauptung, da ja treffende Gegenbeweise vorzuliegen scheinen, wird diese einer längeren Beweisführung bedürfen. Und so sei es gleich im Voraus bemerkt, daß auch die scheinbar erschöpfendsten  gesetzlichen  Auslegungsregeln, die doch offenbar in den Bereich der Jurisprudenz gehören, der Jurisprudenz die eigentliche Interpretationskunde nicht einzuverleiben vermögen, daß die Rechtswissenschaft auch bei dieser Sachlage eine ihr gegenüber transzendente Auslegungslehre voraussetzt. Auch die  gesetzlichen Auslegungsregeln verlangen  nämlich ihre  Auslegung,  welche selbst nicht wieder gesetzlich geregelt sein kann. Und das ganze Rechtssystem bedarf auch wieder einer - sei es auch durch die gesetzlichen Auslegungsregeln vereinfachten - so doch letztenendes nach einem außergesetzlichen Prinzip vorgenommenen Auslegung. Es verhält sich mit den gesetzlichen Auslegungsregeln ganz gleich wie mit den Legaldefinitionen, welche, wie weit sie auch die Begriffe zurückverfolgen, doch bei bestimmten Begriffen haltmachen und haltmachen müssen, deren Definition, soweit die logische Möglichkeit hierzu überhaupt noch gegeben ist, einem außerrechtlichen Prinzip überlassen bleibt (6): Ein Blankett [Freistelle - wp] für Logik und Grammatik ist auch bei der weitest getriebenen Legaldefinition unvermeidbar; und abgesehen davon kann eine Rechtssystem, welches sich  prinzipiell  in Legaldefinitionen ergeht, zur Verwirklichung dieses Prinzipes doch bloß bei den wenigsten von ihm angewendeten Wörtern auch nur einen Ansatz machen. Und so bleibt letztenendes auch nicht etwa nur ein Rest, sondern sogar der Hauptteil, ja sogar, wie sich noch zeigen soll, streng genommen die Gesamtheit echter Auslegungsregeln einer außerrechtlichen Disziplin gewahrt.

Die  Auslegung selbst  aber ist, wie schon angedeutet,  nichts als Sache der Rechtswissenschaft  - und umgekehrt ist  diese  wieder  nichts als Rechtsauslegung.  Jede positiv-rechtliche Darstellung, die das ist, was ihr Name sagt, erschöpft sich in Rechtsauslegung. Was bezweckt die rechtswissenschaftliche Arbeit anderes als Verdeutlichung. Verständlichmachung, insbesondere eine Zerlegung solcher Rechtssätze, die auf viele Tatbestände passen, in solche mit einem engeren Anwendungsfeld - also kurz Auslegung, Interpretation? Soweit sie sich eben nich auf derartige Zwecke beschränkt, trägt sie ihren Namen nicht mehr zurecht, ist sie eher Rechtspolitik, Rechtssoziologie, Rechtsstatistik oder sonst etwas derartiges - nur nicht Jurisprudenz.

Es handelt sich für die eigentlichen Rechtswissenschaft stets nur um eine Zerlegung, Zerdehnung des Gesetzestextes (sofern das Gesetz als Rechtsquelle angenommen wurde), und das umfangreichste Werk über positives Recht enthält um kein Jota mehr an Rechtsinhalt als sein Objekt, als der behandelte Ausschnitt des geschriebenen Rechts. An Umfang kann und wird der juristische Kommentar die kommentierte Rechtserscheinung ganz gewaltig überragen - an Inhalt aber in einem gewissen Sinne wenigstens nicht. Die Erweiterung des Umfangs ist sicherlich vorwiegend einer stets, wenn auch - je nach dem Umfang - in sehr verschiedenem Maße gesteigerten Kasuistik zuzuschreiben, welche aber in nuce [im Kern - wp] bereits im Gesetzestenor enthalten war und, wenn die Kasuistik richtig sein will, enthalten sein mußte. Würde die rechtswissenschaftliche Behandlung über das behandelte Rechtsgebiet inhaltlich hinausragen, so hätte man es gar nicht mehr mit einer Darstellung, sondern mit einer Verfälschung positiven Rechts zu tun. Beruf der Rechtswissenschaft ist bloß, Dinge, die alle ausnahmslos irgendwie schon im Rechtstenor (- bei der herrschenden Rechtsform ist dies eben der Gesetzestext -) gesagt sind, mit anderen Worten zu wiederholen: es werden die Falten des konzisen Gesetzestextes gewissermaßen entfaltet, auseinandergelegt - kurz, es wird ausgelegt.

Zwar nicht äußerlich in Bezug auf die stoffliche Anordnung, wohl aber innerlich in Bezug auf Inhalt und Methode stellt sich auf diese Weise das stärkste Buch positiv-rechtlichen Charakters als bloßer Kommentar dar. Das soll nicht im entferntesten ein absprechendes Urteil sein: der Fehler einer positiv-rechtlich sein wollenden Darstellung liegt nach dem Gesagten nicht etwa darin, daß sie  nur  Gesetzeskommentar ist, nein, sondern darin, daß sie  mehr  als dieses ist. Wie paradox es vielleicht auch klingen mag: die Gefahr liegt näher und der Fehler ist größer, daß und wenn der Kommentar zuviel als wenn er zu wenig bringt. In der  Beschränkung  zeigt sich auch hier der Meister. Die  Schranke  liegt aber in den Möglichkeiten der Auslegung.  Rechtswissenschaft ist im Grunde nur die Wiederholung eines unveränderten Inhalts in veränderter Form. Rechtstheoretiker heißt Rechtsinterpretator sein. 

Aber auch die  Rechtspraxis  hat die Auslegung zu ihrer unumgänglichen Basis. Sie fragt sich ständig: Was ist unter der Voraussetzung dieser oder jener Rechtsquellen für diesen oder jenen Tatbestand Rechtens? Sie beruth auf einer Zerlegung des gesetzlichen Tatbestandes, auf der Untersuchung, ob und in welchem abstrakt-idealen gesetzlichen Tatbestand ein konkreter Sachverhalt des Lebens Platz hat: das ist die ausschließliche juristische Funktion des Rechtspraktikers. Im Grunde haben alle Staatsorgane mit dem Recht zu tun: aber nur soweit sie beruflich mit  Rechtsauslegung  befaßt sind, sind sie als "praktische Juristen" anzusprechen (und werden demgemäß der Erfordernis juristischer Vorbildung unterworfen). Was im Grunde z. B. den Staatstechniker, den Staatsarzt, den staatlichen Lehrer, den Soldaten, welche alle, richtig verstanden (7), im Dienst des Rechts stehen, zur Rechtsanwendung berufen sind, Juristen zu nennen verwehrt, das ist (abgesehen von einem formalen Erkenntnisgrund der mangelnden normalen Vorbildung) der materielle Grund der meist nahezu völligen Ausschaltung der Interpretationsfunktion. Freilich gibt es zwischen den Juristen und Nichtjuristen unter den Staatsorganen ebensowenig eine feste Grenze wie zwischen den Organfunktionen in Bezug auf ihren Gehalt an Ermessensfreiheit, bezüglich deren ja auch nur ein gradueller und kein prinzipieller Unterschied besteht. (8) Was mit diesen Ausführungen gezeigt werden sollte, ist die Tatsache, daß das Hervortreten der rechtsauslegenden - im Gegensatz zur ermessen-ausfüllenden - Tätigkeit den Rechtspraktiker zum Juristen stempelt.

Befaßt sich somit einerseits die juristische Theorie und Praxis, soweit sie überhaupt als juristische anzusprechen ist, mit der Rechtsauslegung, so ist es andererseits Sache einer besonderen Disziplin, der Auslegungslehre oder Interpretationstheorie, der Rechtswissenschaft die Auslegungsmittel an die Hand zu geben. In der Tat hat sich ihre Stellung in der jüngsten Zeit außerordentlich gehoben und verselbständigt, und nicht nur, daß sie in Rechtskompendien eine besondere und immer steigende Rolle spielt, hat sie auch eine Reihe eigener, zum Teil höchst verdienstlicher Monographien zutage gefördert. Juristische Theorie und Praxis haben aber aus dieser - allerdings selbst in der ganzen Interpretationstheorie nicht gehörig zum Ausdruck kommenden - Sonderstellung derselben die entsprechenden Konsequenzen noch nicht gezogen.

Von einer prinzipiellen Wahl einer Interpretationsmethode, von einem festen Interpretationsplan kann nur bei zu vielen Rechtstheoretikern wie Praktikern  nicht  die Rede sein - fast scheint es, sie hätten es sich zum Prinzip gemacht, kritiklos jede denkbare Interpretationsmethode anzuwenden.

Man hat sich von vornherein nur selten auf eine bestimmte Methode eingestellt; diese Methode wird - so denkt man wohl, wenn man dabei überhaupt etwas denkt - diese Methode wird die Arbeit mit sich bringen. Es wird jene Interpretationsmethode eingeschlagen, welche sozusagen "der einzelne Fall erfordert" und dieser läßt erst die gewünschte und schließlich gewählte Interpretationsmethode finden. Am einzelnen Rechtsfall wird eine Interpretationsproblematik betrieben. Der Theoretiker macht es oftmals nicht anders als der Praktiker, von dem - für die Mehrzahl der Fälle wohl zutreffend - gesagt wurde, daß er zuerst die Entscheidung bei der Hand hat und dann die Gründe dafür sucht: ihm muß dann freilich jede Interpretationsmethode taugen, welche die logische Brücke zwischen dem Gesetz und der so gesetzesfrei zustande gekommenen Entscheidung herstellt. Was aber beim Rechtspraktiker unter Umständen eine Tugend ist, muß beim Rechtstheoretiker als schwerer Fehler angesehen werden. Der Rechtspraktiker ist und soll Jurist und Mensch nicht bloß in einer Person, sondern auch  in derselben Handlung!  sein. Sogar etwas unjuristisch zu werden zugunsten des ethischen Postulates, ganzer Mensch zu sein, wird man ihm verzeihen dürfen. Beim Rechtstheoretiker trifft aber eine solche Sachlage nicht zu; er kann sozusagen das Menschsein und Juristsein reinlich scheiden, wo immer es unvereinbar erscheint. Aus irgendwelchen Menschlichkeitsrücksichten etwa seine Rechtserkenntnisse beschneiden, das ist Vergehen gegen die Postulate der reinen Erkenntnis. Der Rechtstheoretiker hat das Recht, zu erkennen - es abändern, das tue, wenn, dann schon der Praktiker! Durch ethisch schlechte, um bei Beispiel zu bleiben, etwa extrem gesetzestreue und dadurch inhumane Erkenntnisse des Theoretikers wurde noch niemandem ein Leid getan - außer der mißhandelten Wissenschaft; was für ein Unheil aber schon mitunter unnötigerweise allzu gesetzestreue richterliche Erkenntnisse angerichtet haben, soll uns hier nicht weiter befassen.

Bemerkungen wie: "Aus Billigkeitsrücksichten muß man annehmen" und dgl. mehr, haben in einer Ausführung nicht Platz, welche erklärtermaßen auf eine Gesetzeserkenntnis ausgeht, und man wird mit Entschiedenheit solche Gesetzesirrungen verurteilen, wenn man auch andererseits vor einem gerichtlichen Urteil, das mit einer ähnlichen Begründung kommt, ein Auge zudrückt oder sogar vielleicht freudig seinen Beifall kundgibt. Ja, es braucht ein Akt der Rechtsanwendung, welcher mit Billigkeit, Zweckmäßigkeit, Gerechtigkeit, - also Eigenschaften, welche dem Recht zwar anhaften können, aber nicht begriffswesentlich sind (9) - keineswegs vom Gesetz abgewichen zu sein, während  die Theorie, welche mit solchen Argumenten  kommt, damit das Zeichen der Gesetzesuntreue an sich trägt. Die Praxis  erschöpft  sich ja bekanntlich  nicht  in der Rechtsauslegung: da die Praxis notwendig einer  restlosen Individualisierung der generellen  Norm bedarf, die Auslegung aber nicht immer zu diesem Ziel führt, sondern oft an einen Punkt gelangt, wo sich mehrere Lösungsmöglichkeiten als logisch gleich gut möglich darstellen (10), ergibt sich die Notwendigkeit einer subjektiven Willens- (11) (anstelle einer bloßen Erkenntnis)funktion, welche wie von subjektiver Willkür so auch von anderen außerrechtlichen Motivationen, wie Zweckmäßigkeit, Billigkeit, Gerechtigkeit und dgl. mehr gelenkt sein kann.

Die sich in der Auslegung erschöpfende  Theorie  hat aber allenfalls auch beim mehrdeutigen Auslegungsergebnis halt zu machen und hat nicht durch die Hereinbeziehung rechtsfremder Faktoren, wie Billigkeit, Gerechtigkeit, Zweckmäßigkeit auf Kosten der Gesetzmäßigkeit eine Eindeutigkeit des Auslegungsergebnisses herbeizuführen, die ihm  de lege lata  [nach geltendem Recht - wp] nicht zukommt. Die Aufgabe der strafgerichtlichen  Praxis  besteht zum Beispiel darin, innerhalb des gesetzlichen Strafspielraums eine ganz bestimmte Strafe herauszugreifen, und kann und muß dabei, weil sich das Gesetz einer näheren Bestimmung enthält, die verschiedensten Motivationen sprechen lassen - die  Theorie  muß sich aber damit bescheiden, festzustellen, daß  de jure  diese oder jene Latitude [Breitengrad - wp] gegeben ist, und muß sich, wenn sie bei reiner Gesetzeserkenntnis bleiben will, dessen enthalten, in diesem gesetzlichen Rahmen engere Fixierungen aufzustellen (12): diese wären ja nicht mehr vom  Recht,  sondern allenfalls von  anderen Normsystemen  geboten oder vom subjektiven Willen eingegeben.

Eine die Grenzen der Auslegung überschreitende Praxis braucht also noch keineswegs gesetzesuntreu zu werden. Und auch wo sie es wird, ist sie anders zu beurteilen als eine die Auslegungsmöglichkeiten überspannende Theorie. Die Tatsache, daß sie Theorie und Praxis in Bezug auf die Auslegung nicht auseinanderhält, ist dann auch der Denkfehler der die  Freirechtsbewegung,  an welcher sicher viel Gutes, nur leider wenig juristisch Gutes ist, am stärksten kompromittiert. Als Forderung  de lege ferenda  [vom Standpunkt des zukünftigen Rechts - wp] steht die Richterfreiheit, dieses Hauptpostulat der Freirechtsbewegung, außerhalb jeder juristischen Diskussion; aber auch als tatsächliche Übung, deren  weitere  Verbreitung man überdies noch fordert, geht eine freiere, eine dem Gesetz derogierende [abweichende - wp] Stellung des Richters dem Theoretiker des Rechts nicht nahe; als Jurist kann und muß er das als mit dem Gesetz nicht vereinbar hinstellen, was er etwa als sozial denkender Mensch gutheißt. Aber mit dieser Sachlage findet sich die Freirechtslehre in ihren entschiedensten Häuptern nicht abe; nicht Gesetzgebungspolitik, sondern Rechtstheorie will sie vorwiegend sein. Und so wird die Richterfreiheit nicht als Gegebenheit  de lege ferenda,  sondern  de lege lata,  nicht als politisches Postulat, sondern als juristische Theorie aufgefaßt. Und als solche ist die Lehre von der Richterfreiheit, sofern diese das Judizieren  praeter  [am Recht vorbei - wp] und  contra legem  [gegen das Gesetz - wp] besagen soll, falsch und wird selbst von dem als falsch anerkannt, der sich mitunter mit dem  Faktum  eines solchen Judizierens abfindet. Die Praxis kann man billigen - (das ist eben keine juristische, sondern eine ethische Billigung) - und sich dabei völlig ihrer Unvereinbarkeit mit einem strengen Recht bewußt sein. (13) Die Billigung einer nicht ganz gesetzestreuen Praxis, welche noch dazu oft viel gesetzestreuer ist, als man annimmt (14), wird man der Freirechtsschule nicht entfernt so verargen wie die abstruse theoretische Rechtfertigung, welche sie für eine solche gesetzabändernde Praxis ersonnen hat, jene Rechtfertigung, welche besagt: gerade da, wo der Praktier vom Recht (d. h. dem geschriebenen Recht) etwas abgekommen ist, da beginnt erst das  eigentliche  Recht, das Freirecht, wie man es im Gegensatz zum Gesetzesrecht wie überhaupt zu allem geschriebenem Recht nennt. Es ist dies jenes sonderbare Beginnen, welches aus der Not der Praxis - in der Theorie eine Tugend macht.

Wenn sich daraus wohl zur Genüge erhellt, daß die Wege von Theorie und Praxis divergieren können, und daß es beiden schadet, wenn man sie ohne jede Regungsfreiheit aneinanderkettet, so darf wohl an die Theorie das Postulat der strengsten Folgerichtigkeit in der Auslegung gerichtet und darf sie als aus der Rolle gefallen erachtet werden, wenn sie sich in ihrer Interpretationsfunktion von irgendwelchen Rücksichten auf die Praxis leiten läßt.

Gerade diese Sachlage ermöglicht aberb auch, daß die Theorie des Rechts mit einem a priori feststehenden Interpretationssystem arbeiten kann, welches, allgemein zur Richtschnur genommen, die  Wahl der Interpretationsmethode  a posteriori [im Nachhinein - wp], im Einzelfall - richtiger gesagt eine  Methodenlosigkeit  - ausschließt.

Freilich würde von vielen Theoretikern auch die besterwogene und zum Prinzip erhobene Interpretationsmethode im konkreten Fall verleugnet werden, wo sie nicht die gewünschte Lösung zu bieten vermöchte, und würde so immer wieder von neuem durchbrohen werden, was im Effekt jener - man kann sagen: gegenwärtig herrschenden - Sachlage gleichkäme, daß von vornherein ein Interpretationsprinzip fehlt. Man hat für dieses häufige Verhalten des Juristen gegenüber der Interpretations methode  ein Vorbild in seinem Verhalten gegenüber dem Interpretations objekt.  Wenn auch nicht ein bestimmter  Weg der Auslegung seiner Rechtsquelle,  so schwebt doch jedem Juristen beim Antritt dieses Weges ein bestimmtes  Bild der auszulegenden Rechtsquelle  vor. Im Verfassungstaat ist es das Gesetz; a priori zweifelt man also nicht daran, daß das Gesetz Gegenstand der Auslegung ist; und a posteriori - wie oft und wie bald verschwimmt nicht das Bild des Auslegungsobjekts? (15)

Wie bald gelangen so viele an einen Punkt, wo sie mit dem Gesetz nicht weiterzukommen sich einreden und daher das Gesetz, das wie bisher in allen Fällen auch an diesem kritischen Punkt eine logisch jedenfalls feststellbare, wenn auch praktisch unerwünschte Lösung böte, einfach beiseite werfen. Da hat also die apriorische Einstellung auf das Gesetz auch nicht davor bewahrt, daß man nachher von ihm abging. Man kann also die Beobachtung machen: Ist sich auch die große Mehrzahl der Interpretatoren darüber im Klaren, daß Gegenstand der Interpretation das Gesetz ist, ist für sie im Voraus auch nur die Methode der Interpretation problematisch, so greifen sie doch oft in einem Stadium, wo die Sprache des Gesetzes noch lange nicht zuende ist, zu Hilfsmitteln, wie etwa die Gesetzesmaterialien, die mit dem Gesetz offenbar nicht mehr identisch sind, womit man also vom Ausgangspunkt bereits abgekommen ist, aber auch zu Argumenten, wie Gewohnheit oder Zweckmäßigkeit oder Gerechtigkeit und Billigkeit, womit man bereits - außer es wären diese Systeme ausdrücklich vom Gesetz delegiert - neuen fremden Rechtsquellen verfallen ist.

Doch nicht nur der Interpretator, auch der Interpretationstheoretiker muß bereits mit der Voraussetzung des Interpretationsobjekts, der bestimmten Rechtsquelle operieren. Der Interpretationstheoretiker steht zum Rechtsproblem in demselben Verhältnis wie der Interpretator zum Interpretationsproblem. Die Lösung des letzteren, die bestimmte Interpretationsmethode kommt beim Juristen als weitere Voraussetzung hinzu. Geradeso wie dieser aus seiner wissenschaftlichen Rolle fällt, wenn er sich mit dem Interpretationsproblem zu befassen verleitet sieht, hört der Interpretationstheoretiker auf, seinem Namen treu zu bleiben, wenn ihm während der Arbeit das Recht selbst problematisch wird und er etwa neue Rechtsquellen einbezieht. Geradeso wie der Interpretator mit einer festen Interpretationsmethode, so sollte der Interpretationstheoretiker mit der Erkenntnis der Rechtsquelle als einer gegebenen Größe operieren und an dieser Voraussetzung seiner wissenschaftlichen Arbeit festzuhalten in der Lage sein. Doch trotz dieser Voraussetzung der obersten Rechtsquelle bewegt sich der Interpretationstheoretiker noch nicht auf dem Boden der Rechtserkenntnis, sondern der Erkenntnistheorie des Rechts; trotz der Gegebenheit - sagen wird - des Gesetzes als oberster Rechtsquelle steht er noch nicht diesseits, sondern noch immer jenseits des Gesetzes. Sein Problem ist, um es noch mit anderen Worten zu formulieren, nicht: "Was ist, wenn das Gesetz oberste Rechtsquelle ist, Recht?", sondern: "Wie erkennt der Jurist unter dieser Voraussetzung, was Recht ist?" Das sind offensichtlich verschiedene Fragen.

Die korrektesten Antworten auf die zweite Frage müssen variieren - je nach den Lösungen, die der ersten Frage zuteil wurden. So entsteht so oft der Schein einer falschen Interpretation, da man, ohne darauf zu achten, von verschiedenen Voraussetzungen ausgegangen ist, da man sich verschiedener Auslegungsmethode bedient hat. Die verschiedenen Auslegungsmittel führen zu voneinander abweichenden Auslegungsergebnissen, ohne daß sich die Vertreter dieser Richtungen mit Grund logische Fehler vorzuwerfen hätten. So klärt sich die Erscheinung auf, daß es auf dem Boden der Jurisprudenz Meinungsverschiedenheiten in einer Menge gibt, welche einer jeden sonstigen Spezialdisziplin wohl unerhört ist. Die Unstimmigkeiten sind restlos auf Verschiedenheiten der Interpretation zurückzuführen, die sich bei näherer Untersuchung wiederum nicht so sehr aus Verschiedenheiten in der Durchführung der Interpretation als aus der Verschiedenheit in Bezug auf die angewendeten Interpretationsmethoden erklären lassen. Bei logisch korrekter Durchführung müssen nämlich die Ergebnisse von ein und derselben Interpretationsmethode identisch sein, so daß der Ursprung der Divergenzen, die korrekte Verfolgung des einmal eingeschlagenen Auslegungsweges vorausgesetzt, in der verschiedenen Wahl der Interpretationsmethode, in der Verschiedenheit des Ausgangspunkte der Rechtsbetrachtung zu suchen ist. Mit dem Auslegungsmittel wandelt sich das Auslegungsergebnis. In extremer Formulierung kann man sogar behaupten, daß es ebenso viele Rechtsordnungen als Auslegungsmethoden gibt. Die Relation zwischen Recht und Rechtswissenschaft ist nicht die, daß dem  einen  unverrückbaren Recht  verschiedene  Erkenntnismethoden desselben gegenüberstünden, sondern verschiedene Erkenntnismethoden der  einen  Rechtswissenschaft führen zu einer schillernden, verschwommenen, insbesondere mehrdeutigen Rechtsvorstellung. Durch den Spiegel der Rechtserkenntnis gebrochen, erscheinen mehrere Rechtsbilder; deren Berichtigung aus der Rechtssphäre heraus und damit die Einengung der Erkenntnismethoden zu einer Einheit, zu einem einzigen Strahl, welcher einlinear den Punkt des Rechts mit dem seiner Wissenschaft verbinden würde, ist aber ausgeschlossen, da das Recht das logisch Sekundäre, das  Erkenntnisobjekt  ist.

Um die Probe auf die gangbarsten widersprechenden Rechtserkenntnismethoden, die man als objektive und subjektive Auslegung einander gegenüberstellt, in Kürze zu machen, so führen eben diese Vorstellungsgänge zu grundverschiedenen, stark divergierenden Vorstellungsbildern, die, übereinandergebreitet, das Rechtssystem, sowie die einzelnen Rechtsnormen verschwommen und damit mehrdeutig erscheinen lassen. Wenn nun, wie so häufig, für das Auslegungsergebnis die Probe aus dem Recht gemacht wird, so führt sie - wie jede mathematische Probe - zum Ausgangspunkt zurück, ist aber gerade darum noch kein (logisch-juristischer) Beweis für die Richtigkeit der betreffenden rechswissenschaftlichen Methode. Denn diese Richtigkeit wird - darin steckt der arge Denkfehler - an einem Maßstab gemessen, der mit dem Objekt der Messung zusammenfällt. Das Gemessene ist zugleich das Maß. Jedes Recht ist (durch die es erkennende Rechtswissenschaft) schon irgendwie "ausgelegt", ist z. B. entweder ein Recht der historischen oder der objektiven Auslegung und wird als solches die Auslegungsmethode, die zu ihm geführt hat notwendig bestätigen. Jedes Auslegungsergebnis der Rechtswissenschaft ist  rechtlich  einwandfrei, da das Recht das Antlitz einer Wissenschaft zur Schau trägt. Wie die Rechtsauslegung, so das Recht. Juristische Beweise für die Richtigkeit oder Unrichtigkeit eines Ergebnisses der historischen oder objektiven Auslegung - vorausgesetzt eben, daß diese Auslegungswege streng, ohne Abirren von den Gesetzen der Logik verfolgt wurden - gibt es nicht. Wer sie zu besitzen meint, hat die Grenzen der Rechtswissenschaft überschritten. Zum erstenmal bricht diese Vorstellung im ausgezeichneten Werk PHILIPP HECKs (16) Bahn, um allerdings bald wieder verdunkelt zu werden, ja sogar in einer Weise, daß es zweifelhaft ist, ob den treffenden Worten die richtige, daraus zu entnehmende Vorstellung entspricht.
    "Bei unseren Einzeluntersuchungen" (warum - nebenbei! - nur bei diesen?) "müssen wir uns immer gegenwärtig halten, daß unser Gebiet nicht durch Gesetzesgebote geregelt ist. Unsere Aufgabe gehört daher nicht in das Gebiet der historischen Forschung" (will sagen: der Rechtserkenntnis), "sondern in das Gebiet der Rechtsfortbildung" (soll heißen: der Erkenntnistheorie des Rechts). "Die Endprobleme, die wir zu lösen haben, sind Probleme der Normierung" (d. h., wie vor ausgeführt: Wir  setzen  eigentlich erst (oder zum zweiten Mal von Neuem) die Norm, indem wir ihre Erkenntnismittel aufstellen, und wir setzen sie in verschiedener Gestalt, je nach den verschiedenen Erkenntnismitteln, welche wir aufstellen). "Solch normativen Aufgaben sind einmal zu scheiden von Erkenntnisproblemen" (d. h. richtiger, es ist zwischen einer Rechtserkenntnislehre und einer Rechtslehre, zwischen der Interpretaionslehre und der eigentlichen Jurisprudenz zu unterscheiden). "Die Endfrage ist bei ihnen eine "Sollfrage" und nicht eine "Istfrage". (17)
Nun, innerhalb der eigentlichen Rechtswissenschaft handelt es sich im Gegensatz dazu allerdings in  dem  Sinne um eine  Ist frage, als es sich durch die Anwendung bloßer logischer Mittel, durch reine Erkenntnis feststellen läßt, was unter der Voraussetzung dieser oder jener Interpretationsmethode Rechtens ist. Welche Interpretationsmethode anzuwenden ist, ist eine Sache außerordentlicher, mehr oder weniger dogmatischer Festsetzung. Und wie immer diese Festsetzung ausfallen mag, die unter dieser Voraussetzung operierende Rechtswissenschaft ist stets "im Recht".

Nur eine einzige Interpretationsmethode möchte ich (unter der Voraussetzung des Gesetzes als oberster Rechtsquelle) als logisch geboten erachten. Nicht sie allein ist in allen Fällen obligatorisch, aber doch auch niemals eine andere Interpretationsmethode  ohne  sie.

Wir meinen die grammatisch-logische Interpretation und stellen als ersten Satz jeder Auslegungslehre auf, daß  diese  als erstes Auslegungsmittel zu dienen hat. Und in diesem Sinn ist ihr Primat zu verstehen, daß sie das einzige  notwendige,  alle anderen sonst etwa in Betracht kommenden nur  mögliche  Auslegungsmittel sind.

Diese primäre Rolle der grammatisch-logischen Interpretation gründet sich - was, wie sehr es auch in die Augen springen mag, immer wieder übersehen wird - darauf, daß sie als nichts anderes als die Berücksichtigung der dem Gesetz eigenen Ausdrucksmittel erscheint! Tritt doch das Gesetz in der Sprach- und Denkform auf und schließt damit, was die Theorie der Sprache und des Denkens lehrt, stillschweigend wie selbstverständlich in sich ein!

Da liegt wohl die Vorstellung nahe, daß das Gesetz kraft Verweisung auf Logik und Grammatik gilt. In ihrer primären Stellung wird die grammatisch-logische Interpretation nicht so durch das Recht, wie durch die Rechtserkenntnis sanktioniert. Das Gesetz bringt in der Gestalt der Sprache Gedanken zum Ausdruck. Denken und Sprache sind aber nicht bloß das Medium des Rechts, sondern auch der Rechtserkenntnis. Diese wendet die genannten Mittel ebenso unwillkürlich und sozusagen selbstverständlich an wie das Recht selbst. Es handelt sich also um jene Mittel der Rechtserkenntnis, mangels derer es überhaupt kein erkanntes Recht gibt.

Grammatik und Logik sind also jene Elemente, die durch die Rechtserkenntnis unfehlbar in das Recht hineingetragen werden, die aber darum das Recht doch nicht verfälschen, da es sich von vornherein nur um ein Recht der mit den normalen Erkenntnismethoden gewonnenen Rechtserkenntnis handelt, da wir ein von der Erkenntnis unberührtes Recht begriflich nicht erfassen können. Grammatik und Logik sind also in keiner Hinsicht rechtsfremde Elemente. Kraft einer Verweisung des Gesetzs, die darin zu erblicken ist, daß es sich dieser Ausdrucksmittel selbst bedient, kann man diese als geltend annehmen. Diese logische Gebotenheit der grammatisch-logischen Interpretation geht so weit, daß, wenn sie ausgeschlossen sein soll, das Gesetz natürlich ausdrücklich die Ausnahme machen muß. Eine solche Ausnahme ist z. B. eine - vom normalen Sprachgebrauch abweichende - Legaldefinition. Unterläßt das Gesetz die Legaldefinition, so gilt eben das, was der normale Sprachgebrauch unter einem Wort versteht. Und im Zweifel ist ein einem Rechtssatz das normiert, was der normale Sinn unter dem Satz versteht. Etwas vom normalen Sinn Abweichendes bedarf einer ausdrücklichen Normierung. Und so ist andererseits eine ausdrückliche gesetzliche Delegation des normalen Sprachgebrauchs als Pleonasmus [Wiederholung mit anderen Worten - wp] aufzufassen. Der Satz § 6 des österreichischen allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches "Einem Gesetz darf in der Anwendung kein anderer Verstand beigelegt werden, als welcher aus der eigentümlichen Bedeutung der Worte in ihrem Zusammenhang ... hervorleuchtet", würde z. B. gelten, auch wenn er nicht geschrieben stünde. Ein solcher Satz ist nicht anders zu beurteilen, wie wenn ein Gesetz erklärt, daß es allein Recht und daß alles andere ausgeschlossen ist. (Ob es Recht ist, hat es nicht selbst zu entscheiden, wenn es Recht ist, versteht sich damit aber gleichzeitig, daß nichts Widersprechendes als Recht angesprochen werden kann.)

Unter der Voraussetzung, daß das Gesetz Recht ist, stellt sich aber andererseit doch  nur  die grammatisch-logische Interpretation als geboten dar und sind alle anderen denkbaren Interpretationsmethoden höchstens möglich und immer akzessorisch-suppletorisch [hinzutretend, ergänzend - wp] Dort - in diesen jedenfalls sehr zahlreichen Fällen - erscheinen sie als möglich, wo die grammatisch-logische Interpretation nicht zu einer eindeutigen Lösung gelangt (18). Zwischen diesen mehreren Interpretationsmöglichkeiten, welche sich bei der Beschränkung der Interpretationstheorie auf die grammatisch-logische Interpretation  rechtlich  alle gleich stehen, muß die Praxis eine engere Wahl treffen. Ihr wandeln sich die weiteren Interpretationsmethoden zu unentbehrlichen Lückenausfüllungsmitteln, zu Mitteln, innerhalb des von der Auslegungstheorie freigegebenen Rahmes zum Einzelfall hinabzusteigen. Der Theorie ist aber bei unserer Voraussetzung eine ähnliche Wahl verwehrt; es genügt nich, wie man etwa glauben könnte, daß sie wenigstens  eine  dieser Interpretationsmethoden gelten läßt, es steht ihr nicht frei, die anderen zu verwerfen. Wenn man sich paradox ausdrücken will:  Die Lückenfeststellung, nicht aber die Lückenausfüllung fällt in die Kompetenz der Rechtswissenschaft.  Sie hat sich damit zu bescheiden, daß sie erklärt: Hier ist ein rechtsfreier Raum, hier findet sich eine Variationsmöglichkeit. Das Recht der Variation, das mit dem Ausschluß aller übrigen Möglichkeiten einhergeht, steht bloß der Praxis offen. Dies unter der Voraussetzung, daß sich die Interpretationsproblematik auf das Interpretationsprinzip der grammatikalisch-logischen Auslegung beschränkt. Eine Einengung der rechtswissenschaftlichen Lösungsmöglichkeiten ergibt sich nun durch eine Erweiterung der Interpretationstheorie, durch eine Vermehrung der Interpretationsprinzipien. Die grammatikalisch-logische Interpretation deckt sich so ziemlich mit dem Bereich der objektiven Auslegung, der Wortlautmeinung KOHLERs; sie läßt die meisten Lösungsmöglichkeiten offen, ihr ist der weiteste gesetzesfreie Raum zugeordnet. Der Einengung des Auslegungsergebnisses in der Richtung der Eindeutigkeit dient es, wenn die Interpretationstheorie als weiteres Auslegungsprinzip etwa die Materialienforschung aufstellt; also eine Art der subjektiven (historische) neben der subjektiven Interpretation.  Neben  ihr - denn diese selbst wird dadurch nicht ausgeschlossen, sie wird nur in eigentümlicher Weise modifiziert. Das Verhältnis von objektiver und subjektiver Interpretation ist nämlich nicht, wie meist angenommen wird, das einer gegenseitigen Ausschließung - es handelt sich vielmehr meist um zwei konzentrische Kreise; das besondere Ergebnis der historischen Interpretation ist im Rahmen der grammatikalisch-logischen Interpretation in der Regel mitenthalten - außer die Kodifikatoren hätten sich sprach- und denkwidrig unter einem bestimmten Rechtssatz etwas ganz anderes gedacht, als sich durch eine logisch-grammatikalische Auslegung aus ihm ergibt.

Der Rechtssatz, den der an diese vom Rechtsphilosophen und Interpretationstheoretiker geleistete Vorarbeit anknüpfende Jurist formuliert, lautet vollständig: Unter der Voraussetzung, daß das Gesetz oberste Rechtsquelle und daß die Rechtsquelle historisch-subjektiv auszulegen ist, gilt das und das als Recht. Man darf nun aber nicht zurückschließen und sagen: Weil dies und jenes als Recht gilt, ist diese oder jene Interpretationsmethode rechtlich geboten. Eine andere Interpretationsmethode hätte zu einem anderen rechtswissenschaftlichen Ergebnis geführt und mit demselben guten oder besser schlechten Grund hätte man dann diese andere Interpretationsmethode für rechtlich geboten erklären können. Wer aber aus der auf einer bestimmten Auslegungsmethode gewonnenen Rechtserkenntnis auf deren juristische Gebotenheit, ja überhaupt nur auf deren Richtigkeit - die ja allenfalls noch zuläßt, daß auch andere Ergebnisse richtig sind - zurückschließt, bewegt sich in einem unentrinnbaren Zirkel.

Das Beispiel hat gezeigt, daß die metajuristischen Voraussetzungen bei der historisch-subjektiven Auslegung vermehrt, erweitert sind, was zur Folge hat, daß das Auslegungsergebnis eingeengt ist. Und dies gilt für alle Interpretationsmethoden, welche außer Grammtik und Logik noch weitere Voraussetzungen in den Gesetzesbegriff aufnehmen, für die Interessenforschung HECKs, für die soziologische Deutung der Rechtssoziologen und noch für viele andere. Der Irrtum der meisten dieser Theoretiker ist jener, daß sie, was höchstens als rechtslogisch möglich erklärt werden kann, als rechtswissenschaftlich geboten erachten.

Es gibt aber nur  ein  Mittel, eine dieser engeren Auslegungsregeln mit rechtlicher Kraft auszustatten und die anderen mit rechtlicher Kraft auszuschließen (19): das ist die sogenannte gesetzliche Auslegungsregel. Sie, die zur Normierung der logisch-grammatikalischen Interpretation ein Superfluum [Superschmierstoff - wp] ist, ist zu der einer jeden anderen Auslegungsregel eine  conditio sine qua non  [Grundvoraussetzung - wp]. Aber in solcher Gestalt wandelt sich der wissenschaftliche Charakter der Auslegungsregel.

Der allgemeine Satz, mit dem die Auslegungstheorie von WURZEL (20) charakterisiert wird, kann nicht anders als für verfehlt erklärt werden: "Die Gesetze, welche die Auslegung beherrschen, sind Naturgesetze und keine Rechtsnormen." Wenn auch nicht Rechtsnormen, so sind sie doch Normen, allerdings solche einer dem Recht transzendenten Rechtserkenntnistheorie (was natürlich nicht ausschließt, daß man außerdem auch naturgesetzliche Regeln der tatsächlichen Auslegungspraxis - wie übrigens auch der Rechtspraxis aufstellen kann). Aber ebenso richtig, wie jener Satz falsch ist, ist die "sehr wichtige Einschränkung", die der Satz erfahren muß.  "In der Form von Auslegungsregeln verbergen sich sehr oft neue Rechtsvorschriften."  (21) "Diese neuen Rechtsvorschriften" sind eben die gesetzlichen Auslegungsregeln. Einen - sonst möglichen - Sinn des Gesetzes sind sie in der Lage auszuschließen, eine nur mögliche Bedeutung zur gebotenen zu erheben. So das bürgerliche Gesetzbuch, wenn es in § 6 auf die "Absicht des Gesetzgebers" verweist. Damit ist jedem einzelnen Rechtssatz - seine grammatikalisch-logische Bedeutung mehr oder weniger einengend, denkbarerweise auch sie modifizierend - die Absicht des Gesetzgebers als maßgeblich vorangestellt. Statt, daß er seine Absicht bei jedem einzelnen Rechtssatz erschöpfend gesagt hätte, ist auf etwaige anderweitig sich findende Willensäußerungen verwiesen. Bildlich gesprochen, bedeutet die gesetzliche Auslegungsregel einen gemeinsamen Faktor, der aus sämtlichen Rechtsnormen der Einfachheit oder Übersichtlichkeit halber herausgehoben ist - nicht anders als alle anderen sogenannten allgemeinen Teile. Auch dieser um die Auslegungsnorm ergänzte Rechtssatz unterliegt aber nach wie vor der  Rechtsauslegung.  Wie ein Gesetz auszulegen ist, kann letzten Endes trotz allen gesetzlichen Auslegungsregeln nie das Gesetz selbst bestimmen, fällt vielmehr stets in die Kompetenz der das selbstherrlichste Recht zu ihrem Objekt wandelnden und damit dieses Objekt sich unterwerfenden, über das Recht erhabenen Wissenschaft.
LITERATUR Adolf Julius Merkl, Zum Interpretationsproblem, Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart, Bd. 42, Wien 1916
    Anmerkungen
    1) Ich glaube also nicht, daß eine Behandlung unseres Stoffes jener Rechtfertigung bedarf, die FELIX SOMLO der letzten diesem Stoffkreis entnommenen, in dieser Zeitschrift veröffentlichten Abhandlung vorauszuschicken für nötig fand, wiewohl seit SOMLOs Publikation erst wenige Jahre vergangen sind. Seine eigenen, im 38. Band, Seite 55f unter dem Titel "Die Anwendung des Rechts" gebrachten Ausführungen sind dann auch der sprechendste Beweis hierfür, wie ewig jung und stets aktuell, wie unerschöpflich geradezu jener Problemkreisist, dem die naheverwandten (in dieser ihrer Verwandtschaft unter anderem auch von den folgenden Untersuchungen aufzudeckenden) Probleme der Rechtsauslegung und Rechtsanwendung sind. Diesem Standpunkt hat dann auch gerade diese Zeitschrift aufs beredteste Rechnung getragen, indem sie stets von neuem einschlägige Themen zur Veröffentlichung brachte, von denen außer der bereits zitierten glänzenden Abhandlung SOMLOs noch - als für die folgenden Ausführungen beispielgebend und orientierend, wenn auch keineswegs durchaus akzeptiert - EHRLICH, "Recht und Prätor", 32. Band, Seite 599, OSKAR KRAUS, "Die leitenden Grundsätze der Gesetzesinterpretation", ERICH DANZ, "Gesetzesauslegung und das Leben" hervorgehoben sein sollen.
    2) Taugliche Objekte einer Auslegungstätigkeit gibt es ja bekanntlich auch auf zahllosen anderen Wissensgebieten. Vgl. insbesondere KRAUS, a. a. O. - Und daß die Auslegung nicht bloß eine Sache der Wissenschaft, sondern auch eine solche des täglichen Lebens ist, hat besonders deutlich HECK, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, Tübingen 1914, Seite 23f und öfter, dargestellt, welcher gerade von der Beobachtung der Urteilsfunktionen (worin die Auslegung besteht) im täglichen Leben ausgeht, um seine wissenschaftliche Auslegungslehre, vornehmlich die Theorie der Interesseninterpretation, daraus zu entwickeln.
    3) Hingegen kann die abgeleitete (delegierte) Rechtsqualität bekanntlich (und zwar im besten Sinne) verliehen werden: delegiertes Gesetzgebungsrecht, Verordnungsrecht, Gewohnheitsrecht usw.
    4) Das ständisch-monarchische Staatsrecht und die österreichische Gesamt oder Länderstaatsidee, Wien, Bd. 42 dieser Zeitschrift.
    5) Gerade der Skeptiker ist sich der - wo sie geboten ist, auch von ihm angewendeten - Dogmatik bewußt, der echte Dogmatiker (als welcher sich auf unserem Gebiet in der Regel der überzeugte Anhänger einer extremen politischen Richtung darstellt) glaubt korrektester Wissenschaftler, und zwar Jurist zu sein, sobald er reinste Dogmatik betreibt.
    6) Gerade diesen anscheinend wichtigsten Punkt unterläß das mit den einschlägigen Fragen sich befassende Buch von SALOMON, Das Problem der Rechtsbegriffe, hervorzuheben.
    7) Vgl. KELSEN, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, Tübingen 1911, Seite 503f, wo die gesamte Staatstätigkeit auf eine Rechtsfunktion reduziert und die rechtliche Relevanz geradezu zum Kriterium der Staatsfunktion erhoben ist.
    8) Vgl. insbesondere BERNATZIK, Rechtsprechung und materielle Rechtskraft, Wien 1886, Seite 39f; ferner HOFACKER, Über die Grenzabscheidung zwischen Strafrechtsprechung und Verwaltung, Berlin 1914, Seite 6f; von VERDROSS, Das Problem des freien Ermessens und die Freirechtsbewegung, Österr. Zeitschrift für öffentliches Recht, Bd. 1.
    9) Insofern stellen wir uns in einen diametralen Gegensatz nicht nur zu jeder Naturrechtslehre, welcher bekanntlich die  ethische Gesolltheit Erkenntnisgrund der juristischen Gebotenheit  ist, - vgl. in dieser Hinsicht insbesondere BERGBOHM, Jurisprudenz und Rechtsphilosophie, Leipzig 1892, vornehmlich Seite 122f -, sondern insbesondere zu STAMMLERs "Theorie vom richtigen Recht", welcher das Recht einen "Zwangsversuch zum Richtigen" nennt und damit die Richtigkeit (allerdings nicht schlechtweg mit moralischer Gebotenheit zu identifizieren!) zum Begriffsmerkmal des Rechts erklärt.
    10) Dies ist die Haupterkenntnis der zitierten Abhandlung von VERDROSS.
    11) Das Willensmoment in der richterlichen Funktion wird insbesondere von RUMPF, betont ("Gesetz und Richter", Berlin 1906). Vgl. hierüber die gerade in diesem Belang - in der Kritik RUMPFs - ausgezeichneten Ausführungen SOMLOs, a. a. O.! RUMPF, a. a. O., Seite 100 schaltet Willkür als  de jure  mögliche Freiheit des Richters aus: "Der Richter muß, wenn das befragte Gesetz Zweifel über Zweifel bietet, sagen: Es soll meine nach  bestem Ermessen  und möglichst im Einklang mit den herrschenden rechtspolitischen und rechtsethischen Anschauungen getroffe Entscheidung Recht sein zwischen den Parteien." Dasselbe besagt LAUNs "pflichtmäßig gebundenes Ermessen", das er eigentlich nicht bloß in der Justiz, sondern sogar auch in der Verwaltung annimmt (LAUN, Das freie Ermessen). Übrigens entspricht die Einstellung auf ein einziges, und zwar das gerechteste, zweckmäßigste, billigste Auslegungsergebnis, wo die Auslegung als rein logische Funktion auch ein diesen Eigenschaften weniger entsprechendes Ergebnis zulassen würde, der gesamten herrschenden Lehre.
    12) Anders RUDOLF LAUN, a. a. O. Seite 42: "Wenn auf ein Verbrechen 1 - 5 Jahre Kerker gesetzt sind und der Richter verurteilt aufgrund der vorhandenen Erwschwerungs- und Milderungsumstände zu zwei Jahren, so kann er nicht behaupten, daß eine Verurteilung zu einem, zu drei, vier, fünf Jahren ebenso gerecht und ebenso im Sinne des Gesetzes sind." Das "ebenso  gerecht"  behauptet niemand, aber die gleichzeitige  Legalität  wird insbesondere von VERDROSS, a. a. O. mit treffenden Gründen behauptet (Österr. Zeitschrift für öffentliches Recht, Bd. 1, Seite 630)
    13) Das Recht wird und kann nie völlig eine Realisierung des Gerechtigkeitsideals bedeuten, kann sich aber von diesem ungeheuer weit entfernen.
    14) Vgl. insbesondere wieder VERDROSS, a. a. O., Seite 632
    15) Weit verbreitet ist auch die Meinung, daß Gesetzesauslegung und Rechtsauslegung verschiedene Dinge sind.
    16) PHILIPP HECK, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, Tübingen 1914
    17) HECK, a. a. O., Seite 105
    18) Daß dies der Regelfall ist, hat VERDROSS a. a. O. treffend entwickelt.
    19) Man befindet sich nämlich meist in dem Glauben, daß nicht nur das eine favorisierte Auslegungsprinzip rechtlich geboten, sondern daß damit auch jedes andere - de jure gleich gut mögliche - rechtlich verwehrt ist.
    20) KARL GEORG WURZEL, Das juristische Denken, Wien 1904, Seite 14
    21) WURZEL, a. a. O., Seite 14