ra-2K. BindingA. MerkelWindelbandE. BelingG. ThonM. E. Mayer    
 
ALBERT AFFOLTER
Zur Normentheorie
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"Die Abstraktion Staat wird verschieden definiert; allein alle Definitionen laufen darauf hinaus, daß der Staat die höchste öffentliche Macht im Verband ist, die losgelöst von den ausübenden Menschen betrachtet, sich den Verbandsgenossen gegenüberstellt und sie beherrscht. Geht man aber vom Gebiet des Abstrakten auf dasjenige des Konkreten über, so verschwindet die Abstraktion Staat und wir haben nur noch die ihre Amtsgewalten ausübenden Behörden."

"Wenn der Befehl nur deshalb in den empirischen Verlauf eingreift, weil er mit einer Sanktion verbunden ist, warum lehrt man dann nicht geradezu, daß dem Befehl ansich jede rechtliche Bedeutung abgeht und nur die Androhung wesentlich sei. Befehl und Drohung sind nicht so untrennbar verknüpft, daß eine Ausmerzung der Befehle aus dem Rechtssatz undenkbar wäre. Wie man das Dürfen als bloßen Reflex der Pflicht erklärt, so müßte man folgerichtig den Befehl und damit die Pflicht als bloßen Reflex der Drohung bezeichnen. Das objektive Recht bestände dann nur aus Drohungen, weil nur diesen eine Einwirkungsfähigkeit zukäme."

"In der Befolgung liegt die Geltung der Norm, nicht darin, daß die in der Sanktion enthaltene Drohung durchgeführt wird. Nicht darin liegt die Geltung der Norm, Du sollst nicht stehlen!, daß der Dieb ins Gefängnis geworfen wird, sondern darin, daß nicht gestohlen wird. Es muß Regel sein, daß die Durchführung der Drohung nicht notwendig wird, sondern daß die Einwirkungsfähigkeit der Norm genügt. Die Organe wären nicht imstande, eine über ein gewisses Maß hinausgehende Zahl von Drohungen zu verwirklichen. Es würde die Gewißheit der Drohungsdurchführungen durch ein Übermaß leiden und die Einwirkungsfähigkeit der Drohung würde sich abstumpfen."


I.

Der Begriff der  Norm  ist von BINDING, "Die Normen und ihre Übertretung", 2. Auflage, Seite 7f sehr eng gezogen. BINDING tauft Normen bloß diejenigen Rechtssätze, die der Verbrecher verletzt. Normen sind danach bloß diejenigen Befehle, die sich an den einzelnen richten und die Unterlassung strafbarer Handlungen zum Gegenstand haben. Als gegensätzlich zu dieser Lehre bezeichnet BINDING, Seite 60, die These:
    "Die Norm ist keine besondere Art der Rechtssätze, sie ist Rechtssatz schlechthin; die Straf-, Prozeß-, Zivilgesetze usw., sie alle sind Normen, nur mit verschiedenem Inhalt und verschiedener Adresse."
Diese These ist namentlich von THON, "Rechtsnorm und subjektives Recht", und von BIERLING, "Zur Kritik der juristischen Grundbegriffe", entwickelt und begründet worden; sie kann als die herrschende Ansicht bezeichnet werden.

Bei der Untersuchung der Frage, ob die Norm bloß eine Art der Rechtssätze oder der Rechtssatz schlechthin sei, ist es zweckmäßig, eine weitere Frage, nämlich die, ob die Norm nur Befehl oder Befehl und Erlaubnis zugleich ist, vorläufig beiseite zu lassen.

Gegen die beschränkende Auffassung BINDINGs spricht vor allem die allgemeine Erwägung, daß der Begriff des Rechtssatzes ein einheitlicher sein muß, daß es nicht angeht, unter Normen bloß solche Befehle zu verstehen, die auf eine Unterlassung von Delikten gerichtet sind. Der Rechtssatz ist ein Satz, der Pflichten begründet, und wo wir eine Pflicht, sei es eine privatrechtliche oder eine öffentlichrechtliche annehmen, muß dieselbe auf einem Befehl beruhen. Das Gesetz will Einfluß ausüben. Das setzt voraus, daß sich das Gesetz befehlend an Personen richtet. Es ist also mit THON und BIERLING anzunehmen, daß das gesamte Recht ein Komplex von Normen ist.

Die Auffassung, daß die Normen sich nicht bloß an die einzelnen Bürger, sondern auch an die Staatsorgane richten, findet sich ebenfalls bei THON, M. E. MAYER, "Rechtsnormen und Kulturnormen", will überhaupt Rechtsnormen nur an die Staatsbehörden gerichtet sehen, eine Auffassung, die aber nicht haltbar ist.

Wenn die Rechtsordnung sich an die Staatsorgane wendet und ihnen befiehlt, im Interesse der Einzelnen tätig zu sein, so entstehen Pflichten. Diese Pflichten der Staatsorgane sind sowohl solche gegenüber den einzelnen, wie auch gegenüber anderen Staatsorganen. Freilich sind diese Pflichten nicht immer erzwingbar, es besteht nicht stets ein Weg Rechtens, um sie festzustellen und durchzuführen. Es gehört weder zum Begriff des Befehls noch der Pflicht, daß ein bezügliches Prozeßverfahren vorgesehen ist. Gerade je höher die Pflicht, je höher das Staatsorgan, an das die Norm gerichtet ist, desto mehr muß sich die letztere auf die rein psychische Beeinflussung verlassen.

Die Annahme, daß die Imperative sich auch an die Staatsorgane wenden und für diese Pflichten begründen, hat zur Konsequenz, daß die Organe als Subjekte und Persönlichkeiten des öffentlichen Rechts zu betrachten sind. Faßt man dagegen die Organe als unselbständige Apparate oder Werkzeuge eines ausschließlich wollenden Staates im Verband auf, der über die Verbandsgenossen herrscht, so sind allerdings Imperative an die Organe selbst nicht denkbar. Die Aufstellung eines herrschenden Staates im Innern des Verbandes ist aber eine bloße Abstraktion. Vgl. LABAND, "Staatsrecht des Deutschen Reiches", Bd. 1, Seite 79 und 80; REHM, "Allgemeine Staatslehre", Seite 156; TRIEPEL, "Völkerrecht und Landesrecht", Seite 78 und 120 u. a. Mit Recht bezeichnet LABAND, a. a. O., Seite 80, Anm. die von GIERKE aufgestellte Theorie, daß das wirkliche Ganze des Verbandes und seine Teile, die Genossen, ohne hierbei aus dieser ihrer Zusammenordnung hinauszutreten, als einander berechtigte und verpflichtete Subjekte gegenüberstehen, als jedem Denken unfaßlich. Die Abstraktion  Staat  wird verschieden definiert; allein alle Definitionen laufen darauf hinaus, daß der Staat die höchste öffentliche Macht im Verband ist, die losgelöst von den ausübenden Menschen betrachtet, sich den Verbandsgenossen gegenüberstellt und sie beherrscht. Geht man aber vom Gebiet des Abstrakten auf dasjenige des Konkreten über, so verschwindet die Abstraktion "Staat" und wir haben nur noch die ihre Amtsgewalten ausübenden Behörden. So sagt JELLINEK, "Allgemeine Staatslehre", 2. Auflage, Seite 564:
    "Der Staat kann nur mittels seiner Organe existieren; denkt man die Organe weg, so bleibt nicht noch der Staat als Träger seiner Organe, sondern ein juristisches Nichts übrig."
Und ähnlich TRIEPEL, a. a. O., Seite 78: "Ohne die Organe, in denen uns der Staat entgegentritt, ist der Staat nichts." Vgl. auch HÄNEL, Studien II, Seite 231. Bei der Betrachtung konkreter Normen müssen wir also die Abstraktion beiseite lassen und die konkreten Behörden ins Auge fassen. Befehle können nicht an das, was von konkreten Menschen abstrahiert, sondern nur an die konkreten Amtsinhaber gerichtet sein; denn nur diese sind fähig, Befehle entgegenzunehmen und auszuführen. Die Abstraktion  Staat  ist nicht staatsrechtliche Persönlichkeit, sondern nur die durch die Abstraktion gedeckten Behörden sind staatsrechtliche Persönlichkeiten. Die Staatsorgane oder Behörden sind nicht (äußere) Organe der Abstraktion  Staat,  sondern, in ihrer staatsrechtlichen Tätigkeit, innere Organe des Staatsverbandes, der Gesamtheit. Sie sind Teile des Ganzen, die gegenüber anderen Teilen des Ganzen gesetzmäßig, aber innerhalb der Gesetzmäßigkeit selbständig, walten. Nur im völkerrechtlichen Verkehr sind die Staatsorgane, indem sie als äußere Organe (Willensorgane) auftreten, nicht eigene (völkerrechtliche) Persönlichkeiten, sondern Teile, die mit ihrem Willen den Willen des Staatsganzen, der völkerrechtlichen Persönlichkeit des Staates ausdrücken.

Daß die Annahme einer eigenen Persönlichkeit der Organe auch einem konstruktiven Bedürfnis entspricht, zeigt sich bei der Betrachtung der Verwaltungsrechtspflege, insbesondere bei der Lehre von der Rechtskraft der Verwaltungsentscheide. Läßt man nicht bloß das Verwaltungsorgan, sondern die Abstraktion "Staat" gebunden sein, so bleibt es unerklärt, wieso der Gesetzgeber sich über den Entscheid hinwegsetzen kann. Man muß dann schon zu einer Konkretisierung Zuflucht nehmen und unterscheiden zwischen verwaltendem und gesetzgebendem Staat. Warum dann aber die Konkretisierung nicht vollständig durchführen und die Abstraktion in ihre konkreten Bestandteile d. h. in die konkreten Organe auflösen? Bei Kompetenzkonflikten ist es durchaus notwendig, statt mit der Abstraktion "Staat" mit den konkreten Organen zu operieren, sonst müßte man dazu gelangen, einen Konflikt des Staates mit sich selbst anzunehmen. BARTELS, "Juristisches Literaturblatt", Bd. 19, Seite 197 bemerkt bei der Besprechung von POPITZ, "Der Parteibegriff im preußischen Verwaltungsstreitverfahren", daß die Annahme, der Staat selbst habe eine Parteistellung im Verwaltungsprozeß zu der juristischen Ungeheuerlichkeit führt, eine Klage mit sich selbst für zulässig zu erklären. BARTELS fährt dann fort:
    "Wenn es richtig ist - und daß es richtig ist, ergeben die Gesetzesmaterialien mit zweifelloser Sicherheit -, daß der vornehmlichste Zweck des Verwaltungsstreitverfahrens eine wirksame Kontrolle der Behörden ist, dann kann nicht dem Staat, sondern nur der Behörde eine Parteistellung zukommen. Denn nicht der Staat will sich einer Kontrolle unterwerfen, daher kann auch meines Erachtens nur sie Partei sein."

II.

Das Gesetz richtet sich an die Volksgenossen und an die Behörden. Es will sie beeinflussen. Die Frage ist die, ob das Gesetz diesen Einfluß nur durch Befehle, deren Übertretung mit Nachteilen verknüpft ist, oder auch durch Erlaubnisse auszuüben vermag. Es ist zweifellos, daß der Nachdruck des Gesetzes sich am augenscheinlichsten in Befehlen mit Androhungen äußert und es liegt nahe, das Wesentliche und das Wirkungsvolle des Gesetzes nur in Befehlen mit Sanktionen zu sehen. Schon AUSTIN, "Lectures on Jurisprudence or the Philosophy of positive Law", 5. Auflage, Bd. 1, Seite 86f, hat die Lehre vertreten, daß das Gesetz nur aus mit Sanktionen versehenen Befehlen besteht. Erlaubnisse seien im Gesetz nicht enthalten, die subjektiven Rechte ergäben sich lediglich aus der Begründung relativer Pflichten. LENEL, "Über Ursprung und Wirkung der Exzeptionen", Seite 34 stellt den Satz auf, daß eine Erlaubnis lediglich die Negation des Verbotes sei; das subjektive Recht enthalte keine Erlaubnis, kein Wollendürfen. Nach THON, a. a. O., Seite 8 und 18 ist das gesamte Recht ein Komplex nur von Imperativen, ein bloßes Erlauben ist niemals Sache des Rechts, was nicht verboten ist, ist erlaubt, ist natürliches Können. BIERLING, "Juristische Prinzipienlehre", Bd. 1, Seite 160 bemerkt:
    "Das bloße rechtliche Dürfen oder Erlaubtsein ist nur ein in der äußeren Form nach positiver Ausdruck für die dem Wesen nach negative Tatsache, bzw. Erkenntnis, daß einem gewissen Verhalten im gegebenen Fall keine positive Rechtsnorm entgegensteht."
Den gleichen Standpunkt teilt HOLD von FERNECK, "Die Rechtswidrigkeit", Bd. 1, Seite 128 und 184f. Das Recht habe die Bestimmung, auf die Bürger psychisch einzuwirken. Eine solche Einwirkung sei aber nur durch Befehle, verbunden mit Sanktionen denkbar. Die subjektiven Rechte seien nur Reflex der durch die Funktion zu erlauben oder zu gewähren neben der Auferlegung des Müssens. Von einem Erlauben als einer realen Macht könne keine Rede sein, das Erlauben bedeute keine in den empirischen Verlauf eingreifende Funktion. Im Erlauben liege keine Tätigkeit, man brauche die Erlaubnis gar nicht. Kein Vernünftiger handelt deshalb, weil die Handlung erlaubt ist, sondern weil sie irgendeine Befriedigung verspricht. Das Recht als psychologisch wirkende Macht besteht in Motiven und daher in Imperativen.

Um zunächst vom Befehl zu reden, so ist es durchaus nicht so selbstverständlich, daß demselben an und für sich eine determinierende Wirkung zukommt. Es läßt sich gewiß die Auffassung vertreten, daß dem Befehl einzig, ohne Begleitung einer Drohung - Drohung im weitesten Sinne verstanden, also nicht nur Strafandrohung sondern auch Inaussichtstellen irgendwelcher Nachteile oder Unannehmlichkeiten - den Menschen nicht zu bestimmen vermöge. Es hat dann auch AUSTIN hervorgehoben, daß die Macht und Absicht, im Falle des Ungehorsams ein Übel zuzufügen zum Wesen des rechtlichen Befehls gehört. AUSTIN bemerkt a. a. O. Seite 89, daß sich der rechtliche Befehl von anderen Äußerungen des Wollens nicht etwa durch die Form des Ausdrucks, sondern lediglich durch die damit verbundene Sanktion unterscheidet. "Command, duty and sanction are inseparably connected terms." [Befehl, Pflicht und Strafe sind untrennbar verbundene Begriffe. - wp] Auch HOLD von FERNECK, a. a. O., Seite 164 und 170 betrachtet Befehl und Sanktion als etwas Verbundenes. Er sagt:
    "Es ist undenkbar, daß eine Rechtsnorm, die sich im Leben der Menschen als solche bewährt, der Sanktion entbehrt; eine Norm besteht wesentlich aus Willenskundgebung und Sanktion, da sie andernfalls zu determinieren unfähig wäre."
Wenn also diese Schriftsteller als Bestandteil des Rechts den Imperativ ansehen, so denken sie sich darunter stets einen mit üblen Folgen der Übertretung ausgestatteten Imperativ.

Es ist nun zweierlei zu bemerken. Einmal: Wenn der Befehl nur deshalb in den empirischen Verlauf eingreift, weil er mit einer Sanktion verbunden ist, warum lehrt man dann nicht geradezu, daß dem Befehl ansich jede rechtliche Bedeutung abgeht und nur die Androhung wesentlich sei. Befehl und Drohung sind nicht so untrennbar verknüpft, daß eine Ausmerzung der Befehle aus dem Rechtssatz undenkbar wäre. Wie man das Dürfen als bloßen Reflex der Pflicht erklärt, so müßte man folgerichtig den Befehl und damit die Pflicht als bloßen Reflex der Drohung bezeichnen. Das objektive Recht bestände dann nur aus Drohungen, weil nur diesen eine Einwirkungsfähigkeit zukäme. Aus der Drohung ergäbe sich rein abgeleiteter Weise, ein natürliches Müssen und dem Müssen entsprechend ein natürliches Können. Sodann: Wenn man den Befehl nur wegen seiner Verbindung mit einer Drohung als Bestandteil des Rechts erklären will, was bedeuten dann jene zahlreichen Normen, die von keiner gesetzlichen Sanktion begleitet sind? Sie müßten notwendigerweise als des rechtlichen Charakters entbehrend angesehen werden.

HOLD von FERNECK hat nun nicht übersehen, daß es im Staat eine Reihe von Normen gibt, denen keine gesetzliche Sanktion beigestellt ist. Er sagt a. a. O. Seite 171: "In der Tat sind nicht alle, sondern nur die allermeisten Normen mit spezifisch-rechtlichen Sanktionen ausgestattet." (1) Um nun das Prinzip, keine Norm ohne Sanktion, zu retten, stellt HOLD von FERNECK, a. a. O. Seite 164f neben die gesetzliche Sanktion noch den Begriff der rein ethischen und rein tatsächlichen Sanktion auf. Die rein ethische Sanktion sieht er in der inneren, durch das sittliche Bewußtsein, die Achtung vor der Rechtsautorität, die Furcht vor dem mißbilligenden Urteil der Mitmenschen bewirkten Abhaltung von der Übertretung. Eine rein tatsächliche Sanktion erblickt HOLD von FERNECK in der Revolution und dem Aufstand als Folgen der Normübertretung höchster Organe. Es scheint mir aber, daß diese Ausdehnung des Sanktionsbegriffes nicht nur gegen die herkömmliche Auffassung verstößt, sondern auch, weil ganz Verschiedenes umfassend, unzulässig ist. Man wird daran festhalten müssen, daß unter Sanktion nur die gesetzliche Androhung zu verstehen ist. Die Frage ist einzig die, ob dem rechtlichen Befehl ansich, abgesehen von einer gesetzlichen Sanktion eine determinierende Wirkung zukommt. Wäre dies zu verneinen, so wäre der Befehl aus dem Recht wegzuweisen und einzig der Drohung darin Platz einzuräumen. Ich möchte aber die Frage bejahen.

Dem Befehl kommt, wenn er von einer höheren, achtunggebietenden Autorität, wie der Gesetzgeber es ist, ausgeht, eine beeinflussende Wirkung ansich zu: er schafft für den zum Widerstreben geneigten Adressaten ein Motiv zur Befolgung, auch ohne eine Drohung. Der Befehl löst beim Adressaten ethische Momente aus, die auf Befolgung hinstreben. Nicht das ethische Moment selber, wohl aber seine Auslösung sind eine Wirkung des Befehls. Dieser kann somit Ursache einer Willensbestimmung sein. Es handelt sich dabei nicht, wie HOLD von FERNECK, a. a. O. Seite 171, behauptet, um spontan eintretende Folgen, sondern um eine durch den Befehl selbst verursachte Wirkung. Der Befehl und die Willensentschließung stehen in einem kausalen Verhältnis. Der Befehl rechnet mit den bereits in der Seele des Adressaten vorhandenen Anlagen, reizt sie an, benützt sie als Mittel zum Zweck der Determination. Nun kommt noch hinzu, daß alle sanktionslosen Befehle des staatlichen Rechts sich ausnahmslos nicht als an die einzelnen, sondern als an die Organe gerichtet erweisen. Gegenüber Organen, namentlich höheren, kommt dem Befehl auch ohne Sanktion eine erhöhte Kraft zu, weil die Amtsinhaber durch die Annahme ihrer Berufung, sich auch moralisch gebunden fühlen, den Befehlen des Gesetzes zu gehorchen. Die selbstbegründete Gewissenspflicht der Beamten - im weitesten Sinne des Wortes - bildet ein überaus starkes Motiv, das durch die erlassenen Befehle jeweils geweckt wird. Der Befehl, auch für sich betrachtet, ist also geeignet, Bestandteil des Gesetzes zu sein.

Man kann wohl sagen, daß alle Befehle, die sich an einzelne richten, mit Sanktionen begleitet sind. Ich wüßte wenigstens keinen Fall aus den mir bekannten modernen Gesetzen anzuführen, wo eine an den einzelnen gerichtete Norm keine Sanktion im Hintergrund hätte. So bemerkt AUSTIN in Bezug auf das englische Recht a. a. O.:
    "Beispiele für unvollkommene Gesetze werden von römischen Juristen erbracht. Aber bei uns in England sind die Gesetze, die eindeutig zwingend sind, immer - ich glaube - perfekt oder obligatorisch. Wo die englische Legislative einen Befehl betrifft, wird nicht unangemessenerweise ein völliger Gehorsam angenommen. Und wo nicht eine spezifische Sanktion mit einem bestimmten Gesetz verbunden wird, spricht der Gerichtshof eine Strafe aus, übereinstimmend mit der allgemeinen Maxime, die in Fällen dieser Art angemessen ist."
Es ist klar, daß der Gesetzgeber, wenn es ihm ernsthaft um die Begründung einer Genossenpflicht zu tun ist, auch zugleich ein Übel für die Übertretung bestimmt, nicht weil es in allen, wohl aber in den meisten Fällen nötig ist. Häufig sind Sanktionen allgemeiner Natur schon in Bereitschaft.

Wenden wir uns nunmehr der Frage zu, ob auch die Erlaubnis Bestandteil des Gesetzes ist. Die Ansicht, daß das Gesetz erlaubende Rechtssätze als wesentliche Bestandteile enthält, ist die hergebrachte und herrschende. Die Norm ist zugleich verpflichtender und berechtigender Rechtssatz.

Die Erlaubnis kann nur dann wesentlicher Bestandteil der Norm sein, wenn ihr vom Gesetz eine beeinflußende Bedeutung zugedacht ist und wenn sie die Funktion, in den empirischen Verlauf einzugreifen, auch auszuüben vermag. Vermöchte sie dies nicht, so bedeutete sie einen rein indifferenten Bestandteil, etwas Belangloses, ein rechtliches Adiaphorum [Neutralität - wp].

Nun glaube ich aber, daß der Erlaubnis eine beeinflussende Funktion zugedacht ist und daß sie auch eine determinierende Wirkung auszuüben vermag. Erlauben bedeutet nicht bloß eine Negation des Verbotenseins, sondern umfaßt auch das Moment des  Einladens  und  Aufmunterns.  Der Wille des Gesetzgebers ist nicht nur ein befehlender, sondern auch ein einladender. Er will nicht bloß sagen, was verboten und was infolge dessen nicht verboten ist, sondern er trachtet auch danach, daß ein bestimmtes, nicht verbotenes Verhalten eingeschlagen wird. Er befiehlt allerdings dieses Verhalten nicht, sondern überläßt es dem Adressaten, sich so zu verhalten oder nicht. Er drückt aber doch den Wunsch aus, daß dieses Verhalten eintrete und sucht durch die Einladung ein Motiv zu einem Tun oder Lassen zu schaffen, einen Einfluß auf den Willen des Adressaten auszuüben. Und diese Einladung löst das Gefühl aus, daß, abgesehen von der Befriedigung einer eigenen Neigung, der Wunsch einer höheren Autorität vorliegt. Dieses Gefühl bildet ein treibendes Willensmotiv. Es gibt eine Reihe von strafrechtlich nicht verbotenen und auch von Zivilfolgen nicht begleiteten Handlungen, die doch nicht als gesetzlich erlaubte betrachtet werden können. Der rechtschaffene und gewissenhafte Bürger wird sich dabei nicht beruhigen, daß eine Handlung, wozu er Lust hat, nicht verboten sei. Er will wissen, ob der Gesetzgeber sie auch erlaubt, dazu einlädt. Das Kennzeichen des subjektiven Rechts liegt gerade darin, daß eine Interessenwahrnehmung erlaubt ist, d. h. daß der Gesetzgeber sich wohlwollend dazu verhält und so ein Motiv setzt, von der Gewährung Gebrauch zu machen.

Die Rechtsordnung gibt uns gewiß Anhaltspunkte für die Auffassung, daß der Gesetzgeber durch Erlaubnisse den Adressaten einladen will, von der Gewährung Gebrauch zu machen. Das Recht der Thronfolge z. B. besteht gewiß nicht bloß darin, daß es dem Erbberechtigten nicht verboten ist, den Thron zu besteigen und daß lediglich die Verpflichtung anderer besteht, diese Thronbesteigung nicht zu hindern. Im Interesse eines geordneten Gangs der Dinge liegt in der Norm zugleich auch der Wunsch, daß von der Befugnis Gebrauch gemacht wird. Dieser erkennbare Wunsch, diese Einladung bildet gewiß auch ein Motiv für den Berechtigten. Das Recht eines zum Beamten oder Abgeordneten Gewählten, beruth offenbar nicht bloß auf einem Nichtverbotensein, das Amt anzutreten. Das Interesse des staatlichen Lebens verlangt es, daß der Gewählte die Berufung annimmt und nicht ohne triftige Gründe ausschlägt. Trotz grundsätzlicher Freiheit will das Gesetz doch aufmuntern. Das Recht zur Ehe ist dem Gesetzgeber nicht derart gleichgültig, daß er bloß sagt, es sei nicht verboten, zu heiraten, man dürfe das Heiraten nicht hindern. Da die Gesellschaft auf dem Institut der Ehe aufgebaut ist, liegt es gewiß im Wunsch des Gesetzgebers, daß Ehen wirklich geschlossen werden. Es hat ja Gesetzgebungen gegeben, welche die Einladung zur Ehe noch durch Inaussichtstellen von besonderen Vorteilen verstärkten. Das Gesetz will nicht nur nicht hindern, daß sich die Bürger frei niederlassen, sondern das Interesse der Industrie und des Gewerbes erfordert es, daß von dieser Erlaubnis Gebrauch gemacht wird. Man hat auch schon das Recht der Einwanderung durch die Gewährung von Vorteilen gefördert usw. Das Privatrecht scheint allerdings die Auffassung, daß der Gesetzgeber einlädt, wenig zu unterstützen. Man nimmt den Grundsatz als feststehend an, daß es völlig im Belieben der Einzelnen liegt, von der Berechtigung Gebrauch zu machen. Ganz so gleichgültig ist es aber für den Gesetzgeber nicht, ob die Privatrechte auch wirklich ausgeübt werden. In der Tat hängt die gesamte wirtschaftliche Lage und Entwicklung eines Volkes vom tatsächlichen Gebrauch der Privatrechte ab. Das Eigentum z. B. ist keine reine Privatsache in dem Sinne, daß sich der Gesetzgeber völlig indifferent zu der Frage verhält, ob auch wirklich Privateigentum ausgeübt wird. So muß dann auch AUSTIN, a. a. O. zugeben:
    "Der unmittelbare Zweck eines Eigentumsrechts ist entweder der Vorteil des Inhabers selbst oder einer bestimmten Partei, für die er ein Treuhänder ist. Aber der dahinterliegende oder tiefere Zweck, für den diese Rechte verliehen werden, ist der Vorteil der Gemeinschaft insgesamt."
Und THON, a. a. O., Seite 110 und 111:
    "Um des gemeinsamen Interesses willen wird das Rechtsinstitut des Eigentums aufgestellt, da der ausschließliche Genuß der rechtlichen Güter seitens Einzelner für das Fortschreiten der Kultur und sonach für das gesamte Gemeinwesen von eminentester Wichtigkeit ist und das Eigentum die Ermöglichung und Sicherung dieses Genusses bezweckt."
Das eigene Interesse ist allerdings ein genügend mächtiger Hebel, um den Eigentümerwillen auftreten zu lassen; das schließt aber nicht aus, daß die Einladung des Gesetzgebers ebenfalls ein Motiv liefert. Die Gesetze über die Handelsgesellschaften enthalten gewiß nicht bloß Verpflichtungen, die Errichtung und das Funktionieren solcher Gesellschaften nicht zu hindern, sondern auch die erkennbare Einladung, solche Gesellschaften zu gründen usw. Es würde zu weit führen, überall, auf dem ganzen Gebiet der Rechtsordnung das Moment des Einladens nachzuweisen. Dieses Moment tritt jedenfalls genügend hervor, um die Behauptung begründen zu können, daß auch der Erlaubnis eine Einwirkung in den empirischen Verlauf zukommt.

Mit der Erlaubnis verhält es sich ähnlich wie mit dem Befehl. Wie der Befehl selbst, abgesehen von einer Drohung, fähig ist, einen loyalen Bürger zu bestimmen, so ist es möglich, daß nicht das unter Umständen geringfügige konkrete Eigeninteresse, sondern die Rücksicht auf die gesetzliche Einladung einen Genossen veranlaßt, von der Erlaubnis Gebrauch zu machen. Wie aber die psychische Wirkung des Befehls in den meisten Fällen ohne den Nachdruck der Drohung nicht genügt, um die Befolgung zu sichern, so genügt auch die bloße Erlaubnis oder Einladung in der Regel nicht, um ein Verhalten zu bewirken, wenn nicht das eigene Interesse des Adressaten eingreifen würde. Was also beim Befehl die Einsicht in die üblen Folgen des Widerstrebens bedeutet, das bedeutet bei der Erlaubnis die Einsicht, daß es sich um eigene Interessen handelt. Ich kenne allerdings kein Beispiel, wo das Gesetz bei der Erlaubnis an Verbandsgenossen - abgesehen etwa von den politischen Rechten - einzig mit dem psychischen Moment des Einladens rechnet, wie ich kein Beispiel kenne, wo sich das Gesetz einzig auf die psychische Wirkung des Befehlens an Genossen verläßt. Wie dagegen Befehle an und für sich Organe zu bestimmen vermögen, so vermögen auch Erlaubnisse Organinhaber zu determinieren, obgleich kein ausschließlich eigenes Interesse der letzteren vorliegt.


III.

Wie wir gesehen haben, läßt das Gesetz die Befehle regelmäßig mit Sanktionen begleiten, da die psychische Wirkung des Befehls ansich zu unsicher wäre. Unter Sanktion verstehe ich die im Gesetz enthaltene, die rechtliche Sanktion.

Die Sanktion selbst ist wieder Rechtssatz und enthält als solche die beiden Bestandteile des Befehls und der Erlaubnis. Wie sich der primäre Rechtssatz an einen Berechtigten und Verpflichteten wendet, so wendet sich auch die Sanktion an einen Berechtigten und Verpflichteten. THON, a. a. O. Seite 7, macht darauf aufmerksam, daß eine gewisse Geneigtheit besteht, die Rechtsfolgen der Normwidrigkeit nicht auch zu den Normen zu zählen, sondern sie begrifflich von diesen zu scheiden. Demgegenüber betont dieser Schriftsteller mit Recht, daß auch die Sanktionen Normen sind. Der Verpflichtete ist hier das Staatsorgan, das einschreiten soll, der Berechtigte ist der in seinen rechtlichen Interessen Verletzte. Aus dem Nebeneinanderbestehen der zwei Rechtssätze, des primären und des sekundären, ergibt sich für den nach dem ersten Rechtssatz Verpflichteten eine Drohung. Der Gesetzgeber wendet sich für den Fall der Nichtbeobachtung des ersten Befehls mit einem neuen Befehl an die Staatsorgane (2). Die Drohung ist, wenigstens formell, kein selbständiger Bestandteil weder des primären Rechtssatzes, noch der Sanktion, sondern bildet eine Schlußfolgerung aus der Gegenüberstellung der beiden Rechtssätze. Dem Verpflichteten ist es bekannt, daß wenn er gegen den Imperativ des primären Rechtssatzes verstößt, ein weiterer Imperativ besteht, dessen Durchführung für ihn ein Übel bedeutet. Darin liegt die Drohung, bzw. der Anlaß zur Befürchtung. Es ist also nicht notwendig, neben dem Befehl und der Erlaubnis noch einen weiteren Bestandteil der Rechtssätze, die Drohung anzunehmen.

Es ist möglich, daß für die Sanktion noch eine weitere Sanktion besteht, d. h. daß für den Fall der Nichtausführung des Befehls der ersten Sanktion, eine zweite Sanktion einem höheren Organ befiehlt usw. Irgendwo hören dann allerdings diese Sanktionen auf; vgl. THON, a. a. O. Seite 10 und 11.

Wenn auch die Drohung formell keine Stellung im Rechtssatz selbst findet und sich bloß aus der Gegenüberstellung des primären und sekundären Rechtssatzes ergibt, so ist sie doch ein Moment, mit welchem der Gesetzgeber rechnet, ein Moment, das motivierend zu wirken bestimmt ist. Die Drohung soll den Bürger beeinflussen, daß er die ihm durch den Befehl übertragene Pflicht erfüllt.

Ist nun die Drohung für sich genommen fähig, eine determinierende Wirkung auszuüben? Man kann mit Fug behaupten, daß eine Drohung ansich, eine leere Drohung keine oder doch nur eine vereinzelte Wirkung auszuüben vermag. Die Drohung allein genügt nicht, um auf die Befolgung des Befehls hinzuwirken, es muß noch ein weiteres Moment hinzutreten, nämlich die für den Bedrohten bestehende Gewißheit oder hohe Wahrscheinlichkeit, daß die Drohung keine leere bleibt, daß sie durchgeführt wird. Der Stützpunkt, worauf die Drohung und der dieser voraufgehende Befehl ruhen, ist somit ein Moment, das nicht in den Vorschriften des Gesetzes, nicht in den Normen, sondern außerhalb derselben existiert. Die Rechtssätze müssen dieses Moment als gegeben voraussetzen. Die Normen mit Drohungen erschöpfen sich mit letzteren. Ihr Gebiet endet mit dieser Willensäußerung. Die Ernsthaftigkeit der Drohung kann durch keine Beteuerungen mehr zur Überzeugung gebracht werden. Hier hört das Wort auf und es beginnt das Gebiet der Tatsachen. Die Gewißheit oder Wahrscheinlichkeit der Drohungsausführung ergibt sich aus der Beobachtung und Würdigung tatsächlicher Verhältnisse. Letztere bestehen darin, daß Staatsorgane, bestimmt zur Durchführung des Sanktionsbefehls da sind, daß diese Staatsorgane gewillt sind, ihre Aufgaben zu erfüllen und daß die Masse der übrigen Genossen mit ihrer Übermacht nicht hindernd eingreift. Durch den Umstand, daß die Drohungen ernst zu nehmen sind, werden die Normen zu einwirkungsfähigen Normen. Es ist zwar anzunehmen, daß den primären Normen von einer Großzahl der Adressaten Folge geleistet würde, auch wenn keine Drohungen beständen. Wenn die Gesetze vernünftig sind, d. h. der historischen Entwicklung, den Kulturverhältnissen und dem Gerechtigkeitsbegriff entsprechen, so finden sie beim vernünftig denkenden Einzelnen Anklang und Eindruck. Wo aber der Gesetzgeber Drohungen für Übertretungen für nötig findet, ist es praktisch schwierig festzustellen, welcher Prozentsatz der Befolgungen einerseits der vernünftigen Einsicht und andererseits der Furcht vor der Drohung zuzuschreiben ist. Man wird deshalb grundsätzlich die Einwirkungsfähigkeit der mit Sanktionen begleiteten Normen dem Moment der ernst zu nehmenen Drohung zuschreiben.

Die Einwirkungsfähigkeit der mit einer Drohung begleiteten Norm zeigt sich darin, daß letztere zu determinieren vermag. Die Einwirkungsfähigkeit bewährt sich dann als Wirksamkeit, als Geltung. In der Befolgung liegt die Geltung der Norm, nicht darin, daß die in der Sanktion enthaltene Drohung durchgeführt wird. Die Durchführung der Drohung beweist im Gegenteil, daß die primäre Norm  in casu  nicht wirksam geworden, nicht gegolten hat. Geltung hat hier nur die sekundäre Norm gefunden. Nicht darin liegt z. B. die Geltung der Norm,  Du sollst nicht stehlen!,  daß der Dieb ins Gefängnis geworfen wird, sondern darin, daß nicht gestohlen wird. Es muß Regel sein, daß die Durchführung der Drohung nicht notwendig wird, sondern daß die Einwirkungsfähigkeit der Norm genügt. Die Organe wären nicht imstande, eine über ein gewisses Maß hinausgehende Zahl von Drohungen zu verwirklichen. Es würde die Gewißheit der Drohungsdurchführungen durch ein Übermaß leiden und die Einwirkungsfähigkeit der Drohung würde sich abstumpfen. BIERLING, "Juristische Prinzipienlehre", Bd. 3, Seite 5 bemerkt mit Recht: "Die natürliche und beste Rechtsbewährung bleibt immer jene freiwillige Beobachtung der primären Normen, worin sich die stille, aber wirksame Macht des Rechts auf die Gemüter der Rechtsgenossen unmittelbar offentbart". Vgl. auch HOLD von FERNECK, a. a. O. Seite 84.

Es ist also nicht physischer Zwang, der die primären Normen charakterisiert, der diesen wesentlich ist. Ein physischer Zwang zeigt sich lediglich in der Durchführung der Drohungen, in der bezüglichen gesetzlichen Pflichtausübung der Staatsorgane. THON, a. a. O. Seite XI: "Nicht das Zwingen ist Sache des Rechts, sondern das Zwingendürfen und Zwingensollen." Dagegen kann man sagen, dem Recht liegt der Wille, die Tendenz des Gesetzgebers zugrunde, einen psychischen Einfluß, oder wenn man so sagen will, einen psychischen Zwang auszuüben. BIERLING, "Juristische Prinzipienlehre", Bd. 3, Seite 3f bemerkt:
    "Wenn es erlaubt ist, den eigentümlichen, rein geistigen Druck, den jede Norm auf die Willensentschließungen ihrer Adressaten ausüben will, als einen Zwang zu bezeichnen, so ist gegen die Behauptung, daß Zwang eine wesentliche Eigenschaft allen Rechts sei, an und für sich, abgesehen von der Vieldeutigkeit des Wortes, kaum etwas einzuwenden. ... Es erscheint auch da, wo bei einer Rechtsnorm die Befolgung oder doch eventuell ein Ausgleich oder eine Bestrafung wegen Nichtbefolgung durch besondere Zwangsmaßregeln gesichert ist, die Anwendung dieser Maßregeln niemals als ein selbständiger Rechtszweck." (Vgl. auch Hold von Ferneck, a. a. O. Seite 82f)
Während, wie wir betont haben, die an die Einzelnen gerichteten Normen sämtlich mit Drohungen ausgestattet sind, fehlen solche häufig bei Normen, die an die Organe adressiert werden. Die Wirksamkeit dieser Normen liegt hier in dem Umstand, daß derjenige, der die Berufung zu einem Amt übernimmt, sich damit auch freiwillig die Gewissenspflicht begründet, die an ihn gerichteten Normen zu befolgen.

Die Geltung der Normen ist etwas, das nicht in der Norm selbst enthalten ist, sondern außerhalb derselben zutage tritt. Der Norm selbst sieht man es nicht an, ob sie einwirkungsfähig ist oder nicht, ob sie gilt oder nicht. Erst die Tatsachen werfen auf die Normen ihr Licht und stempeln sie zu einwirkungsfähigen geltenden Normen. Da man unter Rechtsnormen nur geltende Normen versteht, so kann man sagen, daß beim Begriff der Rechtsnorm das Merkmal der Geltung ein äußeres ist, aufgedrückt durch das entsprechende Geschehen. Das Gesetz oder das Recht im Sinne von geltendem Gesetz oder Recht weist also zwei Seiten auf, eine innere, theoretische oder geistige, und eine äußere, praktische oder faktische. Die theoretische Seite besteht im Komplex der Normen, die praktische besteht im Geschehen, in der Geltung.


IV.

Die Erlaubnis des Gesetzes begründet ein subjektives Recht, ein rechtliches Dürfen oder Können. Das Dürfen ist Tun-, Unterlassen-, Verlangen- oder Ansprechendürfen. Das Können ist Bewirken eines rechtlichen Effekts. Die Pflicht beruth auf den Befehlen des Gesetzes und bedeutet ein Sollen oder Müssen, ein Tun-, Leisten-, Unterlassen-, Duldensollen oder -müssen.

Das Gesetz erlaubt, daß ein vorausgesetztes und gebilligtes Interesse wahrgenommen werden darf. Das subjektive Recht ist eine gesetzlich erlaubte Interessenwahrnehmung. Der Inhalt des vorausgesetzten und gesetzlich umschriebenen, nicht der Inhalt des jeweils speziell beim Berechtigten vorhandenen konkreten Interesses ist Inhalt des subjektiven Rechts.

Bekanntlich definiert JHERING das subjektive Recht als ein rechtlich geschütztes Interesse und statuiert so den Schutz als begriffliches Merkmal des subjektiven Rechts. Versteht man unter Schutz des Interesses das Bestehen einer Sanktion, die das Einschreiten der Behörden ermöglicht, so wird damit erklärt, daß nur dann von einem subjektiven Recht gesprochen werden kann, wenn die Norm, die es begründet, von einer sekundären Norm begleitet ist. Es wird so der sekundäre Rechtssatz als notwendige Voraussetzung des subjektiven Rechts erklärt. Fehlte die Sanktion, so würde demnach auch das subjektive Recht fehlen. So sagt MERKEL, "Rechtsnorm und subjektives Recht" in Grünhuts Zeitschrift, Bd. 6, Seite 327, daß das bloße Dürfen, hinsichtlich dessen keine Rechtshilfe gewährt wird, den Begriff des subjektiven Rechts nicht erfüllt. Es wird damit der selbständige Anspruch auf Rechtshilfe mit dem subjektiven Recht verschmolzen. Der Begriff des subjektiven Rechts erfordert aber nicht, daß ihn ein weiteres Recht, das gegen die Behörden gerichtet ist, begleitet. Es ist allerdings zuzugeben, daß es keine Rechte der Genossen gegen Genossen gibt, für welche ein Anspruch gegenüber den Behörden auf ein eventuelles Einschreiten nicht besteht, da alle Befehle an die Genossen von Sanktionen begleitet sind. Dagegen gibt es Rechte der Bürger gegenüber den Organen, die nicht in der Weise geschützt sind, daß ein eigener Weg Rechtens für sie geöffnet ist. Es handelt sich auch hier um wahre Rechte, obgleich ihre Geltendmachung und ihr Genuß vom guten Willen, von der getreuen Pflichterfüllung der Behörden abhängt. Die neuere Entwicklung hat auch hier durch die Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit Remedur [Abhilfe - wp] zu schaffen gesucht. - Der gleiche Gedanke, der den Schutz als Begriffsmerkmal des Dürfens hinstellt, liegt auch der Auffassung zugrunde, daß dem subjektiven Recht eine Willensmacht innewohnt. Versteht man unter dieser Macht die Überlegenheit des Berechtigten infolge der Möglichkeit, die Staatsorgane anzurufen, so ist Macht lediglich ein Reflex der Pflichterfüllung der Organe. Weil ich darauf rechnen kann, daß die hierzu verpflichteten Staatsorgane mir zur Geltendmachung eines Rechts verhelfen werden, habe ich eine gewisse Macht über meinen Verpflichteten. Was man Macht oder Willensmacht nennt, ist in Wirklichkeit ein zum Recht hinzutretender weiterer Anspruch gegenüber den Staatsorganen. HOLD von FERNECK, a. a. O. Seite 121f, sieht den Schutz des Interesses nicht, wie so häufig gemeint wird, darin, daß dem Berechtigten der Rechtsweg offen steht, wenn dem Interesse zuwidergehandelt wird, sondern gerade darin, daß das Interesse nicht tangiert wird. "Das einzelne subjektive Recht ist keine konkrete, sondern eine abstrakte Macht." Die abstrakte Macht sieht HOLD von FERNECK in der Tatsache, daß die dem subjektiven Recht entsprechende Pflicht in den häufigsten Fällen ohne weiteres erfüllt, das Interesse geschont wird, daß also infolge der psychischen Beeinflussung, die das Gesetz präventiv ausübt, eine pflichtwidrige Betätigung des Verpflichteten nicht aufkommt. Allein diese präventive Beeinflussung ist zum größten Teil wieder auf die Rechnung bestehender Sanktionen zu setzen. Die Macht des Berechtigten ist auch vom Standpunkt HOLD von FERNECKs aus ein bloßer Reflex der hauptsächlich durch den Bestand von Sanktionen bewirkten Pflichterfüllung, kein Bestandteil des subjektiven Rechts selbst. Ich halte also dafür, daß das subjektive Recht lediglich in einem gesetzlichen Dürfen, in einer gesetzlich gewährten Interessenwahrnehmung besteht und daß das Moment des Schutzes oder der Macht kein begriffliches Merkmal des subjektiven Rechts bildet.

Die Pflicht oder das Sollen hat dasjenige Tun und Unterlassen zum Inhalt, das gefordert werden muß, um den, einem anderen Subjekt gewährten Interessensgenuß zu ermöglichen. Die Ausübung der Pflicht geschieht im fremden Interesse.


V.

Gesetzgebung ist der Erlaß bestimmt formulierter Befehle und Erlaubnisse. Woher der Inhalt dieser Befehle und Erlaubnisse stammt, ist gleichgültig. Die Imprägnierung dieses Inhaltes mit dem Befehls- und Erlaubniswillen ist das Wesentliche. LABAND, "Staatsrecht des Deutschen Reiches", Bd. 1, Seite 1 definierte das Gesetz als Anordnung eines Rechtssatzes. Der Begriff sei aus zwei Elementen zusammengesetzt, welche durch die Worte "Anordnung" und "Rechtssatz" gegeben sind. Der Gesetzgeber erläßt aber nicht einen Befehl, die im Gesetz enthaltenen Rechtssätze zu befolgen. Er befiehlt nicht, Befehlen Folge zu leisten, sondern er spricht mit dem Erlaß des Gesetzes die Befehle direkt aus. Er erläßt soviele Befehle, als Normen im Gesetz enthalten sind. Er tut durch den Gesetzesbeschluß soviele Willenserklärungen als Befehle und Erlaubnisse da sind. Diese Masse von Willensäußerungen sind allerdings vereinigt und geschehen  uno actu [in einem Aufwasch - wp]. Der Begriff des Gesetzes ist demnach nicht aus zwei Elementen zusammengesetzt, sondern besteht nur aus einem Element: Befehlen (implizit Erlauben). Der Wille des Gesetzgebers ist befehlender und erlaubender Wille.

BERGBOHM, "Jurisprudenz und Rechtsphilosophie", Seite 94 bemerkt:
    "Soweit Gesetzesrecht in Frage kommt wird sich gegen die Imperative schwerlich viel einwenden lassen. Zur Feststellung der imperativischen Natur allen Rechts dürfte noch gehören, daß diese Eigenschaft auch in dem, was gemeinhin Gewohnheitsrecht genannt wird zur Evidenz nachgewiesen wird."
Dazu bemerkt HOLD von FERNECK, a. a. O. Seie 106:
    "Dieses Bedenken wird wohl durch den Hinweis beseitigt, daß die Imperativen-Theorie mit der Lehre, daß das Recht als objektive Macht Motiv im Verpflichteten sei, identisch ist. Ob das geltende, wirkende Recht seinen Ursprung im Gesetz oder in der Gewohnheit hat, ist ja für seine psychologische Struktur gleichgültig."
Die Frage ist aber doch die, wieso Gewohnheit objektive Macht wird.

Die Lehre vom Gewohnheitsrecht ist der Privatrechtswissenschaft entsprossen. Das Gebiet des Privatrechts ist es auch, wo die Gewohnheit ihre Bedeutung entfaltet und es muß deshalb, um das Wesen des sogenannten Gewohnheitsrechts erfassen zu können, zunächst der privatrechtliche Gesichtspunkt gewählt werden. Als Hauptmerkmal des Gewohnheitsrechts wird hervorgehoben, daß es unmittelbar aus dem Volk herausstammt und nicht Behördenwille, Wille von Staatsorganen ist. Damit wird ein bestimmter Gegensatz von Gewohnheitsrecht und Gesetzesrecht, eine Verschiedenheit der Quellen betont. Das Gewohnheitsrecht macht aber gegenüber dem Richter den gleichen Anspruch auf Beachtung geltend, wie das Gesetzesrecht. Worin aber für den Richter der verpflichtende Grund besteht, das Gewohnheitsrecht zu beachten, darüber gehen die Meinungen auseinander. Es läßt sich ja denken, daß das Volk Imperative und Erlaubnisse an Genossen bildet, allein einer Erklärung bedarf es, wie das Volk als nichtorganisierte Rechtsgemeinschaft Sanktionen aufzustellen vermag, also Befehle, die sich an die Staatsorgane richten. Es scheint mir aber, daß das Volk überhaupt nicht Rechtsnormen schafft, weder primäre noch sekundäre; es bildet bloß Gebräuche und Übungen (consuetudines, usus) aus. Der Richter seinerseits wird jedoch die Gebräuche und Gewohnheiten als wichtige Quelle für die Interpretation des Parteiwillens betrachten. GOLDSCHMIDT, "Handelsrecht", Bd. 1, Seite 333f bemerkt: "Im Zweifel ist das Übliche, Gewöhnliche als gewollt anzunehmen und die Beteiligten rechnen darauf, daß dieses Übliche geschehe." Es scheint mir also, daß die Kraft der Gewohnheit darin beruth, daß sie dem Richter Anhalt für Erkennung des Parteiwillens gibt. Die Gewohnheit kann somit die Anwendung dispositiver Sätze des Privatrechts dadurch ausschließen, daß ein entgegenstehender Parteiwille als vorhanden angenommen wird. Dagegen vermag die Gewohnheit nicht privatrechtliche Sätze absoluter Natur auszuschließen. Gegen die derogatorische [aufhebende - wp] Kraft der Gewohnheit spricht sich auch LABAND, a. a. O. Seite 69 aus. Nicht Gewohnheit im angegebenen Sinn ist die auf Auslegung des Gesetzeswillens beruhende Praxis der Gerichte. (3)

Auf dem Gebiet des Strafrechts ist überhaupt eine Gewohnheit oder Übung des Volkes nicht denkbar, weil die Strafjustiz durch Staatsorgane ausgeübt wird. Hier kommen nur Volksanschauungen in Betracht, die der Richter namentlich da beachtet, wo ein kodifiziertes Strafrecht nicht besteht. Wo sich der Grundsatz  nulla poena sine lege [Keine Strafe ohne Gesetz. - wp] durchgerungen hat, bildet die Volksanschauung für den Richter nur noch ein Wegweiser bei der Anwendung des Gesetzes, insbesondere bei der Strafausmessung.

Volksgewohnheiten vermögen sich im ferneren nicht zu bilden auf den übrigen Gebieten des öffentlichen Rechts, des Verfassungsrechts, des Verwaltungsrechts und des Prozeßrechts. Wir bemerken zwar auch hier eine Rechtsausbildung, allein diese stützt sich auf Interpretation der Verfassung und der Gesetze. Es gibt hier nicht Gewohnheitsrecht, sondern nur durch ausbildende Praxis der Organe entwickeltes Gesetzesrecht.

Die Rechtsnorm unterscheidet sich also von anderen Befehlen und Erlaubnissen durch ein formales Moment: sie geht stets vom Inhaber der Verbandsgewalt aus. Rechtsnormen können in jedem Verband geschaffen werden durch das maßgebende Organ (Generalversammlung, Vorstand usw.) innerhalb der Macht oder Autonomie. Die Normengebung kommt also nicht bloß im Staatsverband vor. Das normengebende Organ ist eine Autorität, die über den einzelnen Genossen steht, auf letztere einwirkt. Der Verbandgenosse ist dem Gesetz unterworfen, das Gesetz herrscht.

Es frägt sich, welcher Natur die Rechtssätze sind, die in Staatsverträgen enthalten sind und die für die Organe und einzelnen Bürger der vertragschließenden Staaten Rechte und Pflichten begründen. Man denke an die internationalen Verträge über Postverkehr, Zivilprozeßrecht, Schutz des künstlerischen, literarischen und gewerblichen Eigentums, Gerichtstandfragen, Vollziehung von Zivilurteilen, freie Niederlassung, Auslieferung von Verbrechern usw. KAUFMANN, "Die Rechtskraft des internationalen Rechts", hat die These verfochten, daß es sich hier um unmittelbar durch den Staatsvertrag bewirktes objektives Recht handelt, um Recht, durch welches Organe und Staatsbürger der kontrahierenden Staaten unmittelbar berechtigt und verpflichtet werden. Dieses, das internationale Recht, habe gegenüber dem Landesrecht der Staaten eine erhöhte Rechtskraft, ein späteres Landesgesetz derogiere dem internationalen Recht nicht. So bestechend diese Theorie auf den ersten Blick auch erscheint, so hält sie doch einer näheren Prüfung nicht stand. Es ist, wie namentlich LABAND, "Staatsrecht, Bd. 2, Seite 114f ausgeführt hat, zu unterscheiden zwischen dem völkerrechtlichen und dem staatsrechtlichen Vorgang, zwischen dem Abschluß des Vertrages und seiner Durchführung. Letztere ist bei den das innere Rechtsleben der Staaten berührenden Verträgen Gesetzgebung. Diese Gesetzgebung erleichtert und vereinfacht sich der Gesetzgeber dadurch, daß er den Vertrag publizieren läßt und so anordnet, ihm gemäß zu verwalten, zu urteilen usw. LABAND, a. a. O. Seite 118 und 119; TRIEPEL, "Völkerrecht und Landesrecht", Seite 122. Die gesetzgeberische Anordnung besteht aus so vielen Befehlen und Erlaubnissen an die Organe und Bürger, wie solche im Text des Vertrags gefunden werden können. Der Vertragsinhalt wird zum Gesetz erhoben; die im Vertrag formulierten Normen werden mit dem Befehls- und Erlaubniswillen ausgefüllt. Diese Vertragsnormen, wie ich sie der Kürze halber nennen will, sind dann landesgesetzliche Befehle und Erlaubnisse. Dabei ist allerdings auf zwei Besonderheiten solcher Vertragsnormen gegenüber gewöhnlichen Landesgesetzen aufmerksam zu machen.

Einmal: Es ist möglich, daß der Gesetzgeber in der Folge ein Gesetz erläßt, das mit Vertragsnormen in einem mehr oder weniger offenbaren Widerspruch steht. Hier ist nun nicht ohne weiteres zu vermuten, daß der Gesetzgeber die völkerrechtliche Verpflichtung des Staates habe verletzen wollen. Die Gerichte werden deshalb anzunehmen haben, daß das spätere Gesetz den früheren Vertragsnormen nicht derogieren  will.  Es kann aber nicht zweifelhaft sein, daß der Gesetzgeber solche Vertragsnormen außer Wirksamkeit zu setzen vermag. Die Vertragsnormen haben keine höhere Rechtskraft gegenüber den landesgesetzlichen Bestimmungen. Der Gesetzgeber kann bewußterweise völkerrechtliche Verpflichtungen des Staates brechen und die Gerichte sind an die Anordnungen des Gesetzgebers gebunden; die Beobachtung völkerrechtlicher Verpflichtungen des Staates ist nicht ihre Sache. Nur muß, damit die Gerichte sich daran halten können, der Wille des Gesetzgebers, Verträge zu brechen, klar zutage liegen. Sodann: Während die gewöhnlichen Landesgesetze widersprechendes bisheriges Recht ohne weiteres sowohl nach der materiellen wie nach der formellen Rechtskraft hin aufheben, ist dies bei Anordnung der Vertragsnormen nicht ohne weiteres anzunehmen. Die Vertragsnormen sollen nach dem Willen des Gesetzgebers nur so lange gelten, als der Vertrag dauert. Wird letztere gekündigt, so soll auch die gesetzliche Anordnung der Vertragsnormen dahinfallen. Die Ingeltungssetzung von Vertragsnormen ist also eine befristete oder eine resolutiv bedingte. Es ist anzunehmen, daß der Gesetzgeber das bisherige widersprechende Landesrecht nicht habe direkt aufheben, sondern bloß auf die Dauer des Vertrages unwirksam machen wollen, daß also nur die materielle Rechtskraft auf unbestimmte Dauer habe unterbunden werden wollen, während die formelle Rechtskraft noch bestehen sollte. Wenn z. B. ein Staat, in welchem gewisse erschwerende Bedingungen für den Aufenthalt von Ausländern bestehen, einen Niederlassungsvertrag abschließt, so greifen die Erleichterungen nur so lange Platz, wie der Vertrag dauert. Wird letzterer gekündigt, so treten die früheren landesgesetzlichen Bestimmungen, die bloß bezüglich der materiellen Rechtskraft gehemmt waren, wiederum in Wirkung.

Die Frage, welches das Willensorgan ist, das den Staat zu verpflichten vermag und so zum Abschluß des Vertrages legitimiert erscheint, ist unzweifelhaft nicht eine staatsrechtliche, sondern eine völkerrechtliche. LABAND, a. a. O. Seite 122f, will die völkerrechtliche Legitimation dem vom Staatsrecht als legitimiert bezeichneten Organ zuerkennen und es so der Verfassung überlassen zu bestimmen, ob die Erklärungen des Staatsoberhauptes genügen oder ob auch der gesetzgebende Körper mitzuwirken habe. Das Völkerrecht würde demnach kein selbständiges Prinzip aufstellen, sondern bloß sagen: völkerrechtlich legitimiert ist dasjenige Organ, das staatsrechtlich als legitimiert bezeichnet wird. Und da die Verfassungen der einzelnen Staaten differieren können, so wäre das Willensorgan der einzelnen Staaten der Monarch oder Präsident, bei anderen Staaten der Monarch oder Präsident in Verbindung mit dem Parlament. Das völkerrechtliche Prinzip wäre demnach nur das, es völlig in das Belieben des Staatsrechts zu stellen, die zum Vertragsabschluß legitimierte Behörde zu bezeichnen. Ich glaube aber, daß das Völkerrecht, da es nun einmal die Frage der Legitimation zu lösen hat, die Lösung auf ein einheitliches und selbständiges Prinzip basieren muß. Und dieses Prinzip besteht darin, daß die völkerrechtliche Verpflichtung nur von denjenigen Organen eingegangen werden kann, die die Fähigkeit haben, für die Durchführung des Vertrages im Innern zu sorgen; vgl. meine "Grundzüge des Allgemeinen Staatsrechts", Seite 76f.

Wo es sich um Verträge handelt, die im Innern durch bloße Verwaltungsvorschriften durchgeführt werden können, ist das Willensorgan bloß die Regierung. Wo aber die Durchführung des Vertrages gesetzgeberischer Anordnungen oder einer Bewilligung von Mitteln auf dem Budgetweg bedarf, muß als Willensorgan des Staates der gesetzgebende Körper mit auftreten. Die völkerrechtliche Verpflichtung muß den Staat in seinem Kern, in seinem Selbst, in seinem selbstbestimmenden Moment treffen. Bei der Frage, welches Organ den Staat zu verpflichten vermag, sieht das Völkerrecht allerdings auf die innere Verfassung des Staates, allein nur in der Weise, daß ihm das Staatsrecht das Material für die Prüfung liefert. Das Staatsrecht bezeichnet die Organe, deren Anordnungen für die Durchführung des Vertrages im Innern bestimmend sind; das Völkerrecht bezeichnet diese Organe als Willensorgane, als legitimiert. Es ist unerheblich, was das Staatsrecht formell über die Legitimation sagt, es kommt nur darauf an, was es sachlich über die Durchführung völkerrechtlicher Verpflichtungen bestimmt. Das Völkerrecht untersucht selbst, welche Organe bei der in Frage kommenden Verpflichtung von letzterer mitbetroffen werden müssen, damit die Durchführung als gesichert erscheint. Vertragsbruch kann nur dann vorliegen, wenn Organe, die beim Vertrag mitgewirkt haben, es ablehnen, denselben durchzuführen. Eine Vorschrift des Staatsrechts, daß das Staatsoberhaupt zur Eingebung völkerrechtlicher Verpflichtungen zwar legitimiert ist, daß aber das Parlament durch dieses Vorgehen in keiner Weise staatsrechtlich dahin verpflichtet wird, zur Durchführung die Hand zu bieten, kann für das Völkerrecht keinen Anlaß bieten, das Staatsoberhaupt als das richtige Willensorgan zu betrachten. Wenn allerdings die in Nordamerika herrschende Theorie zutrifft, daß das Repräsentantenhaus staatsrechtlich verpflichtet ist, für die Durchführung der vom Präsidenten und Senat abgeschlossenen Verträge einzustehen (4), so darf das Völkerrecht den Präsidenten in Verbindung mit dem Senat als Willensorgan der Union betrachten, weil die eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen durch das Mittel des Staatsrechts den Staat in seinen zur Durchführung kompetenten Organen trifft. Was die englische Theorie anbelangt, so ist diese darüber einig, daß das Parlament staatsrechtlich durch den König nicht verpflichtet werden kann, von letzterem eingegangene Verträge durchzuführen (5). Vom völkerrechtlichen Standpunkt aus, und nur auf diesen kommt es an, kann also der König von England nicht als Willensorgan für solche Verpflichtungen betrachtet werden, deren Durchführung die Mitwirkung des Parlaments erfordert. Die von LABAND zur Unterstützung seiner Ansicht gezogene Analogie mit privatrechtlichen Korporationen scheint mir nicht das von ihm bezeichnete Resultat zu ergeben. Angenommen, das Privatrecht eines Staates bestimmt, daß über die Frage, welche Organe die privatrechtliche Korporation zu verpflichten vermag, die Korporationssatzungen entscheiden; angenommen ferner, die Satzungen einer Korporation sagen, zur Eingehung von Verträgen sei der Präsident legitimiert, mit dem Vorbehalt jedoch, daß der aus mehreren Mitgliedern bestehende Vorstand frei bestimmen kann, ob die Verpflichtung erfüllt werden soll oder nicht. In einem solchen Fall wird man doch nicht den Präsidenten als das nach den Satzungen maßgebende Willensorgan der Korporation betrachten wollen; eine wirkliche privatrechtliche Bindung der Korporation ist bei solchen Satzungen nur dann möglich, wenn der Vorstand beim Vertragsabschluß mitwirkt. Wo also die Durchführung der Vertragsverpflichtung die Tätigkeit des gesetzgebenden Körpers erfordert, ist die Mitwirkung desselben auch beim Abschluß des Vertrages nötig, wenn eine wahre völkerrechtliche Verpflichtung eintreten soll. Der gesetzgebende Körper, das Parlament ist dann mit dem Staatsoberhaupt äußeres Willensorgan. Das Parlament gibt mit seiner Ratifikation eine völkerrechtliche Willenserklärung ab. Wenn auch die Abgabe dieser Erklärung in staatsrechtlichen Formen geschieht, sich intern als Gesetz im formellen Sinn darstellt, so ist sie materiell doch ein völkerrechtlicher, nicht staatsrechtlicher Akt. UNGER, "Grünhuts Zeitschrift", Bd. 6, Seite 353, verneint, daß die Volksvertretung überhaupt einen Anteil an der Schließung des Vertrages hat; ihre Teilnahme und Mitwirkung sei lediglich eine akzessorische, eine ergänzende, vervollständigende. Allein diese ergänzende Mitwirkung soll doch die völkerrechtliche Gültigkeit der Erklärung herbeiführen; sie muß deshalb als völkerrechtlicher Akt, als völkerrechtliche Vertragsaufklärung aufgefaßt werden. Die Ratifikation eines Vertrages ist, wie schon oben bemerkt, allerdings regelmäßig nicht bloß völkerrechtlicher, sondern auch staatsrechtlicher Akt, Gesetzgebung, gesetzgeberische Anordnung des Vertragsinhaltes. Beide Willenserklärungen, die völkerrechtliche und die staatsrechtliche, geschehen gewöhnlich gleichzeitig, vereinigt, formell  uno actu.  Vgl. auch TRIEPEL, a. a. O. Seite 122 in fine.

Normen besonderer Art stehen über den souveränen Gemeinwesen, die Normen des Völkerrechts. Auch diese Normen gehen von einer Autorität aus, die über den Adressaten steht. Es ist die Autorität der Vernunft. Die Völkerrechtsnormen haben aber gegenüber den Verbandsnormen den Mangel, daß ihnen die endliche Bestimmtheit fehlt. Sie sind deshalb ganz allgemeiner Natur: Verträge sollen gehalten werden; kein Staat soll dem andern Übles zufügen; jeder Staat soll das Gebiet des andern respektieren etc. Die Bestimmtheit der Völkerrechtsnormen wird auch nicht herbeigeführt durch Verträge oder sogenannte Vereinbarungen; diese schaffen nur Rechtsverhältnisse zwischen und nicht Recht über den Staaten. Auch Gewohnheiten bewirken kein Völkerrecht. Wohl aber haben die Gewohnheiten ihre Bedeutung. Sie geben einen Anhaltspunkt zur Feststellung des Parteiwillens, jeder Staat darf vernünftigerweise erwarten, daß das Übliche geschieht.

Es wird namentlich von TRIEPEL, a. a. O. Seite 63f auszuführen versucht, daß Völkerrecht zwar nicht durch Staatsverträge, wohl aber durch sogenannte Vereinbarungen entstehen kann. Die Vereinbarung soll sich einerseits vom Gesetz, andererseits vom Vertrag unterscheiden. Gesetz ist die Erklärung eines Machtinhabers, die infolge der Machtstellung des Erklärenden einseitige Wirkungen gegenüber den Gewaltunterworfenen hat; aus dem Gesetz entstehen Normen, Befehle und Erlaubnisse. Vertrag ist Verständigung im gleichen Rang stehender Persönlichkeiten über gegenseitige Interessen; er begründet keine Normen, sondern nur Rechtsverhältnisse; Rechte und Pflichten läßt er nur deshalb entstehen, weil Normen vorhanden sind, die den Vertrag mit dieser Wirkung ausstatten. Die Vereinbarung hätte nun nach BINDING, "Die Gründung des norddeutschen Bundes", Seite 69 und 70, mit dem Beschluß eines gesetzgebenden Kollegiums gemein, daß eine Verschmelzung inhaltlich gleicher Willen stattfindet; mit dem Vertrag hätte sie gemein, daß nicht, wie beim Beschluß, nur bestimmte Personen, d. h. die Kollegiumsmitglieder berufen sind, sondern eine Freiheit der Mitwirkung besteht. Ich glaube aber, daß es nur zwei Arten von Willensakten gibt, die Rechte und Pflichten zu begründen vermögen, Gesetz und Vertrag (bzw. Rechtsgeschäft), Gesetz unmittelbar, Vertrag mittelbar. Der Begriff der Vereinbarung ist im Begriff des Kollegiumsbeschlusses enthalten und hat außer diesem keine besondere Existenz. Wenn mehrere Personen sich nach Willkür zusammenfinden und inhaltlich gleiche Willenserklärungen abgeben, die sich nicht an Dritte, sondern an sich selbst richten, so kann man nicht von einem durch die Rechtsordnung mit Rechtswirkung ausgestatteten Kollegiumsbeschluß, sondern nur von so vielen gleichlautenden Entschlüssen sprechen, als Erklärende da sind. Wieso aber solche gleichlautende Entschlüsse binden sollen, ist nicht begreiflich, da ja gerade das, was Willenseinigungen sonst bindend macht, das  Synallagma [Tauschverhältnis - wp], die Gegenseitigkeit des Vertrauens, die Zusicherung, die Voraussetzung der gleichen Interessenschonung, hier fehlen würde. Wir hätten nur absolut gleiche, nebeneinander bestehende, nicht ineinander übergreifende Erklärungen, Erklärungen, denen die Wirkung, die beim Kollegiumsbeschluß vorhanden ist, fehlt. Was TRIEPEL als Normen erzeugende Vereinbarungen ansieht, ist entweder Gesetz oder Vertrag. Als Beispiele von Vereinbarungen führt er zunächst Seite 67 an:
    "Zwei Staaten, die im Kondominatsverhältnis zu einem Gebiet stehen, einigen sich über die Bestellung einer Staatsservitut an diesem Gebiet zugunsten eines dritten Staates oder über eine Anstellung von Behörden."
Die Einigung dieser zwei Staaten ist hier Kollegiumsbeschluß. Die Staatsgewalt über das Kondominium wird hier durch zwei Faktoren ausgeübt, die sich, ähnlich wie die beiden Kammern eines Parlaments, zu einem Kollegiumsbeschluß einigen müssen. Der Beschluß, einen Vertrag abzuschließen, ist ein staatsrechtlicher Beschluß; der Servitutsvertrag ist ein gewöhnlicher völkerrechtlicher Vertrag des Kondominiumsgemeinswesens mit dem dritten Staat; die Anstellung von Behörden ist ein interner Verwaltungsakt. TRIEPEL fährt dann fort: "Mehrere Staaten, die ein Kollektivprotektorat über einen dritten übernommen haben, verabreden Maßregeln, die sich als gemeinschaftliche Ausübung des Gesamtprotektorates darstellen." Auch hier handelt es sich um einen Kollegiumsbeschluß von Trägern der Staatsgewalt des protegierten Staates, um einen staatsrechtlichen Akt, um ein Gesetz. Als weitere Beispiele führt TRIEPEL, Seite 70 an:
    "So sind die Regeln des Wiener Kongresses über die Freiheit der Flußschifffahrt und den Rang der diplomatischen Agenten, die Pariser Seerechtsdeklaration von 1856, die Genfer Konvention von 1864, die Petersburger Konvention von 1868, durch die der Gebrauch gewisser Geschosse in Kriegsfällen untersagt wird, die Bestimmungen der Kongo-Akte von 1885 über die Okkupation herrenloser Länder in Afrika, die Anordnungen der Brüsseler Anti-Sklaverei-Akte von 1890, daneben zahlreiche Verträge über das Beuterecht zur See, Blockade, Kontrabande [Schmuggel - wp], ferner Verträge zu dauernden Regelung des Rechtshilfe-, insbesondere des Auslieferungswesens, des Konsularverkehrs, Verträge, durch für alle künftigen Streitigkeiten der Kontrahenten eine schiedsgerichtliche Entscheidung ausgemacht wird usw., nicht Verträge im richtigen Sinn des Wortes, sondern Vereinbarungen von Rechtssätzen".
Ich betrachte alle diese Beispiele als Verträge, die auf dem Prinzip des  do ut des [Ich gebe, damit du gibst. - wp] oder  facio ut facias [Ich tue, damit du tust. - wp] beruhen. Weil sich ein Staat im Interesse des andern verpflichtet, durch seine Organe das und das zu tun oder zu unterlassen, verpflichtet sich auch der andere Staat im Interesse des andern zur,  mutatis mutandis [unter denselben Bedingungen - wp], nämlichen Leistung. TRIEPEL, a. a. O. Seite 72 anerkennt selbst, daß das Abkommen über einen Spezialfall der Auslieferung ein Vertrag ist, dagegen ist ein Abkommen über zukünftige Auslieferungen kein Vertrag, sondern eine Vereinbarung. Aber auch die zukünftigen Auslieferungen sollen ja nur im Hinblick und unter der Voraussetzung geschehen, daß von der anderen Seite ebenfalls ausgeliefert wird; es handelt sich hier also durchaus um einen (gegenseitigen) Vertrag. Auch bei den Schiedsgerichtsverträgen tritt das Moment der Gegenseitigkeit sehr scharf hervor, ebenso bei den Verträgen wegen gegenseitiger Rechtshilfe. Oft sind die Interessen, welche gegenseitig vertraglich gewahrt werden sollen, allerdings mehr idealer, speziell humanitärer Natur. Das schließt aber nicht aus, daß ein Vertrag vorliegt, daß versprochen wurde, weil der andere Teil ebenfalls verspricht. Es gibt keine Vereinbarungen zwischen den Staaten, weil letztere kein Kollegium bilden das verbindliche Beschlüsse zu erlassen vermag (6).
LITERATUR Albert Affolter, Zur Normentheorie, Archiv für öffentliches Recht, Bd. 23, Tübingen 1908
    Anmerkungen
    1) Vgl. auch THON, a. a. O., Seite 11; BIERLING, Juristische Prinzipienlehre, Bd. 1, Seite 52; MERKEL, Juristische Enzyklopädie, § 57: "Einer einzelnen Norm ... ist deswegen nicht der Charakter der Rechtsvorschrift abzustreiten, weil ihr etwa die Sanktion fehlt. Unter anderen fehlt wichtigsten Bestimmungen unseres Verfassungsrechts jegliche Sanktion."
    2) Es wird da und dort die Lehre vertreten, daß die Rechtssätze sich nur an die Organe wenden; vgl. neuerdings M. E. MAYER, "Rechtsnormen und Kulturnormen". Die Gründe, die dieser Schriftsteller anführt, sind die, daß das Volk die Gesetze nicht kennt, nicht kennen kann und auch nicht soll. Die Intention des Gesetzgebers geht aber doch dahin, Befehle und Erlaubnisse an die Genossen direkt zu richten. Freilich wird es dem Einzelnen, auch dem Juristen nicht möglich sein, alle diese Befehle und Erlaubnisse zu kennen. Der Gesetzgeber setzt aber voraus, daß sich jeder Einzelne erkundigen kann und, soweit es seine Stellung und seinen Beruf betrifft, auch erkundigt. So wird der Kaufmann sich im Handels- und Wechselrecht umsehen und beraten lassen müssen. Der Landwirt wird sich Kenntnisse über den Verkehr mit Liegenschaften, ländliche Dienstbarkeiten, Viehwährschaft, Gesinderecht etc. zu verschaffen haben. Vgl. auch GERLAND, "Kritische Vierteljahresschrift", Bd. 46, Seite 417f.
    3) Gegenüber der sogenannten freirechtlichen Bewegung, deren schärfster Ausdruck sich bei  Gnaeus Flavius  (KANTOROWICZ), "Der Kampf umd die Rechtswissenschaft" findet, möchte ich daran festhalten, daß der Richter (und auch der Verwaltungsbeamte) auf dem Boden des Gesetzes zu stehen und den offenbaren oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers zur Anwendung zu bringen hat.
    4) RÜTTIMANN, Das nordamerikanische Bundesstaatsrecht, Bd. 1, Seite 296f; E. MEIER, Über den Abschluß von Staatsverträgen, Seite 166f.
    5) E. MEIER, a. a. O., Seite 131f.
    6) Den Begriff der Vereinbarung verwendet BINDING a. a. O. zur juristischen Erklärung der Gründung des Norddeutschen Bundes. Die Verfassung dieses Bundes sei eine paktierte, d. h. eine vereinbarte, auf einer Verschmelzung verschiedener inhaltlich gleicher Willen beruhende. Damit ist eigentlich gesagt, daß die Verfassung des norddeutschen Bundes Beschluß eines Kollegialorganes ist, da die Vereinbarung nur als Bestandteil eines solchen vorkommt. In der Tat beruth die Verfassung des norddeutschen Bundes auf dem (einstimmigen) Beschluß der Versammlung der Regierungsbevollmächtigten, die als verfassungsgesetzgebendes Organ für den zu gründenden und mit dem Beschluß auch gegründeten Bundesstaat auftrat. Auch HÄNEL, Studien, Bd. 1, Seite 78 spricht von einem Organ ad hoc. Dieses provisorische oder ad-hoc-Organ zu spielen, beruhte auf einer Verständigung, auf einem (echten) Vertrag.