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PAUL JOHANN ANSELM von FEUERBACH
Blick auf die
deutsche Rechtswissenschaft


"Die Jurisprudenz in Rom war in den blühendsten Zeiten des Staates hauptsächlich nur Praxis und Gerichtsgebrauch; als sich eine eigentliche Wissenschaft des Rechts gebildet hatte, war der Staat schon verdorben, und die Gerechtigkeit aus den Gerichten verschwunden. In England gibt es keine Rechtswissenschaft, sondern nur eine Rechtskunde, als Kenntnis der Gesetze und Gerichtsgebräuche; und in Frankreich heißt Jurisprudenz nicht nur die wissenschaftliche Theorie des Rechts, sondern auch das durch richterliche Entscheidungen gebildete System der wirklichen Anwendung der Gesetze."

"Ihren eigentlichen Beruf verkannte die Philosophie nur zu bald. Sie wollte nicht Freundin, sondern Gebieterin der Rechtswissenschaft sein; sie wollte nicht bloß lehren, sondern herrschen, nicht bloß Gesetze erleuchten und erklären, sondern selbst Gesetze geben, und schon gegebene, kraft Vollmacht ewiger Vernunft, vernichten. Das Positive lag als verächtliche Materie zu ihren Füßen und wurde zertreten, sobald es sich nicht ihren Formen bequemte. Die Frage nach dem, was da ist, hatte für sie keinen oder nur einen verächtlichen Sinn;  Es ist nicht, was nicht sein soll!" 

Zwischen Theorie und Praxis ist ansich innigste Verbindung und Verwandtschaft; jene verhält sich zu dieser wie das Allgemeine zum Besonderen, wie die Regel zu ihrer Anwendung, wie das Mittel zu seinem Zweck. Nichtsdestoweniger strebte die Rechtspraxis bei allen Völkern und zu allen Zeiten der Rechtswissenschaft entgegen, machte sich unabhängig von ihr oder suchte diese sich selbst zu unbedingtem Gehorsam zu unterwerfen. Was sie überall geltend gemacht oder zu machen gesucht hat, das ist das ausschließende Recht der Auslegung und Fortbildung der Legislation. Sie selbst ist sich Grundsatz und Regel; ihre eigenen Entscheidungen sind nächst dem Gesetz ihre Normen; Gebrauch und Herkommen ihre Theorien. Es wäre unverständig und ungerecht, diese Erscheinung bloß aus der Gemächlichkeit der Richter und anderer ausübender Rechtsgelehrten zu erklären. Es liegt in der Sache selbst ein tieferer Grund, der sogar leich als Rechtstitel zu einer solchen Herrschaft behauptet werden könnte. Das ist wenigstens nicht zu leugnen, daß in Sachen des Rechts ein sicherer Gebrauch immer weit besser ist, als eine unsichere, wenn auch glänzende Theorie. Die Verwaltung des Rechts fordert Gleichförmigkeit und Stetigkeit; aber die Wissenschaft ist, wie die Meinung, unstet und wandelbar. Der Richter soll entscheiden nach bindender äußerlich geltender Autorität; aber ein wissenschaftlicher Satz ist keine Autorität, bindet nur den, den seine Gründe überzeugen, und erteilt daher parteiischer Willkür die Gewalt, ihre Absichten als  ihre  Wahrheiten geltend zu machen. Ein Philosoph auf dem Richterstuhl ist in seiner Art nicht besser, als ein Philosophe auf dem Thron, und wo man am scharfsinnigsten über das Recht räsonniert, wird gewöhnlich am schlechtesten nach Gerechtigkeit gehandelt. Die Jurisprudenz in Rom war in den blühendsten Zeiten des Staates hauptsächlich nur Praxis und Gerichtsgebrauch; als sich eine eigentliche Wissenschaft des Rechts gebildet hatte, war der Staat schon verdorben, und die Gerechtigkeit aus den Gerichten verschwunden. In England gibt es keine Rechtswissenschaft, sondern nur eine Rechtskunde, als Kenntnis der Gesetze und Gerichtsgebräuche; und in Frankreich heißt Jurisprudenz nicht nur die wissenschaftliche Theorie des Rechts, sondern auch das durch richterliche Entscheidungen gebildete System der wirklichen Anwendung der Gesetze. Eine solche vollständige unumschränkte Herrschaft der Praxis über die Wissenschaft kann aber nur da entstehen, wo die Gesetze einfach sind. Unter einer Gesetzgebung von großem Umfang, welche aus verschiedenartigen nicht ineinander, sondern nebeneinander fließenden Quellen gebildet, überdies in sich verwickelt, dabei ausländisch, sogar aus einem längst verschwundenen Volk hervorgegangen und daher großenteils nur durch Geschichte verständlich ist, da muß die Gesetzgebung erst durch Verarbeitung vereinfacht, durch Forschung erleuchtet, kurz wissenschaftlich gebildet werden, um in das Leben tätig eingreifen zu können. So war es auch in Deutschland, und so mußte es sein. Aber dieses wissenschaftliche Bedürfnis der Praxis ist bald und leicht befriedigt. Ihre ersten Lehrer sind bald auch ihre letzten, die einmal vernommenen Meinungen werden für immer angenommen; sie pflanzen sich anfangs durch Autorität, dann durch Gewohnheit als altes Erbteil fort, und sind der Grundstoff, aus welchem sich allmählich ein System der Anwendung fortbildet, welches schließlich die anzuwendende Regel, das Gesetz, zerstört. So geht dann auch zuletzt aus der Praxis selbst eine eigene vorzugsweise sogenannte  praktische  Jurisprudenz hervor, die sich nach dem Üblichen bequemt, und, um brauchbar zu sein, entweder ganz oder größtenteils auf Wissenschaftlichkeit verzichtet.

Was aber aus Wissenschaft entstanden ist, führt wieder auf Wissenschaft zurück. Hatten Rechtsgelehrte ursprünglich auf die Praxis durch ihre Meinungen gewirkt, so mußten auch diese Meinungen vor der Wahrheit zur Rede gestellt werden können. Zudem ruhte in Deutschland die Autorität der Praxis nirgends auf einem festen gesetzlichen Grund, wie z. B. in England: auch waren ihre Aussprüche im zerstückelten Deutschland selten gleichförmig, oft in sich selbst schwankend, noch öfter mehr anmaßend als gerecht. Und mitten unter den Sümpfen des Herkommens, angeerbter Irrtümer und gehaltloser bloß auf Treu und Glaube angenommener Satzungen stand das römische Recht in hoher Majestät gebietend da, ein Meisterstück der Weisheit und des Nachdenkens vieler Jahrhunderte, voll Tiefe und Kraft, Gesetz und Muster zugleich für jedes kommende Geschlecht. An ihm wußte unter einem wissenschaftlichen Volk der wissenschaftliche Sinn, der Geist des Nachdenkens und der Forschung notwendig erwachen, der dann nach allen Richtungen sich verbreitend und in einem steten Fortschreiten begriffen, sich bald umso dreister von der Praxis lossagte, je mehr sich diese, durch ihre eigene Schwere hinabgezogen, von ihrer Quelle entfernt hatte, und in dumpfer Gedankenlosigkeit zu erstarren drohte. So bildete sich über der Praxis und unabhängig von ihr eine  Rechtstheorie,  welche das ansich Wahre der Wissenschaft ohne Rücksicht auf den gemeinen Bedarf bezielte, dadurch aber zugleich einen fast unversöhnlichen Widerstreit zwischen Praxis und Theorie, zwischen dem Gebrauch und der Wissenschaft begründete. Suchte diese gegen jenen ihre Ansprüche geltend zu machen, so sträubte sich jner nur umso hartnäckiger jedem höheren Einfluß entgegen. War gleich der Theorie ihre Wahrheit zugestanden, so war doch dadurch noch nichts für ihre Brauchbarkeit gewonnen; denn unbrauchbar hieß, was noch nicht in Gebrauch gewesen ist. Und so entstand ein seltsamer Unterschied zwischen einem gültigen und einem geltenden, zwischen einem wahren, aber nicht anwendbaren, und einem falschen, aber doch ausgeübten positiven Recht in Deutschland. Drang sich gleich hin und wieder auch manche Neuerung der Theorie in das System der Praxis ein und wurde gleich die letztere besonders in den neuesten Zeiten um vieles nachgiebiger; so blieben doch beide Systeme im Ganzen, sowohl in ihren Maximen, als auch in ihren Lehren noch sehr weit voneinander geschieden.

Die Zurückgezogenheit der Praxis von der Theorie wirkte zugleich auf letztere selbst in mancher Beziehung zurück. Da man ihr die Anwendung versagte, so wurde es ihr leicht die Anwendbarkeit selbst zu verschmähen; da ihren höheren Forschungen der Einfluß auf das Leben größtenteils entzogen war, so kam sie bald in Gefahr, den letzten Zweck des Forschens aus den Augen zu verlieren. Von der starren Praxis zurückgestoßen zog sie sich daher hin und wieder auf sich selbst zurück, und lebte zuweilen einsiedlerisch in einer von ihr selbst geschaffenen Welt. Während nun der Theoretiker, (der eigentlich gelehrte Rechtslehrer), hohen Blickes auf den gemeinen Praktiker herabsah, wohl gar vor dem Streben nach Brauchbarkeit als vor dem sichersten Zeichen der Unwissenschaftlichkeit warnte und die Würdigkeit seiner Forschungen nach dem Grad ihrer Entfernung vom wirklichen Leben maß, war es dem Praktiker zu verzeihen, wenn er diesen Hochmut mit verachtender Gleichgültigkeit vergalt, und das Tun und Wirken dieses Theoretikers entweder als ein Nichtstun, oder als ein pedantisches Aftertun [Hinausschieben - wp] behandelte, das in Wüsten Früchte suchte oder das Lebendige zur Leiche machte, um es in seinen toten Nerven und Fibern desto gemächlicher zu bewundern. All das galt vorzüglich von der  historisch-philologischen  Bearbeitung der Jurisprudenz, deren Pfleger sich wegen ihres engen Verkehrs mit der klassischen Vorzeit, den Namen  eleganter  Rechtsgelehrten vorzugsweise beigelegt hatten. Kein Teil der Gesetzgebung konnte dieser Behandlung weniger entbehren, als das römische Recht. Eine altertümliche Gesetzgebung mag man nur aus dem Altertum begreifen, und selbst ihr Buchstabe, den oft Barbarenhand verstümmelt oder die Zeit verwischt hat, muß ein würdiger Gegenstand der Forschung werden. Beim römischen Recht führte der Weg dieser Forschungen durch die Hesperidengärten klassischer Vorwelt mitten durch die Wunder griechischen und römischen Geistes hindurch; begreiflich also, daß diejenigen, welche diesen Weg betraten, angezogen und bezaubert von diesen Genüssen bald nichts Höheres Würdigeres kannten, als sie; begreiflich aber auch, daß sie zuletzt den Zweck vergaßen, für welchen sie diesen Weg gegangen sind, daß sie bald nur lustwandelten, statt zu reisen, und schließlich mit ermüdenden Spielen beendeten, was sie als Arbeit für höhere Zwecke begonnen hatten. Dieselbe Beschränktheit, welche sich zum Teil der Altertumswissenschaft selbst bemächtigt hatte, und in welcher sie als bloße Grammatik oder Kritik nur auf einseitige Zwecke hinarbeitete, statt die ihr zum Ziel gesetzte hohe Idee, wie sie neuerlich WOLF entwickelt hat (1), zu umfassen und zu verfolgen; - teilte sich auch einem großen Teil unserer eleganten Rechtsgelehrten mit. Bei so vielem Trefflichen, das diese Schule zu Tag gefördert hat, ist doch nicht zu leugnen, daß ein gewisser Pedantismus, ein Geist der Kleinlichkeit und des Ungeschmacks einheimisch und vorherrschend in ihr geworden ist. Nur zu oft behandelte sie das Mittel als den einzigen und letzten Zweck, häufte Schätze und ließ sie ungebraucht, oder hob Kieselsteine auf und ließ Perlen liegen, vergötterte den Buchstaben und tötete den Geist, trug Steine zusammen, und schliff daran fort und fort, ohne zu denken, was daraus werden sollte. Beim Lesen mancher Schriften dieser Schule wird man unwillkürlich an den Nomaden erinnert, der mitten unter den Trümmern von Palmyra seine Herden weidet, sich in gefühlloser Gleichgültigkeit aus Meisterstücken eine armselige Hütte baut, und bei den schlanken zum Himmel aufstrebenden Säulen sich nicht mehr als eine Reihe übereinander gefügter Werkstücke denkt.

Als die Philosophie, eigentlich seit WOLF zuerst, auf dem Boden der Jurisprudenz Besitz zu nehmen versuchte, stellt sie sich bescheiden nur als Gehilfin des Rechtsgelehrten und als Dienerin der Gesetze dar. Was unsicher bloß in der Erfahrung schwankte, wollte sie fest an die Gewißheit ewiger Wahrheit knüpfen; was sie als ein bloß Geschichtliches gelernt hatte, wollte sie als Philosophem mathematisch demonstriert zurückgeben. Gewißheit, Klarheit, Deutlichkeit der Erkenntnis; nur das wollte sie, und das war schon viel. Aber es zeigte sich nur zu bald, daß sie sehr übel ihr Versprechen erfüllt hatte. Ihre Demonstration war nichts als ein loses Gewebe von Begriffen, das weder neue Wahrheiten gab, noch die alten befestigte. Sie wurde nicht beachtet; und welcher Verständige wollte auch nicht lieber das rein historische in seiner ursprünglichen Gestalt, in seiner ganzen Fülle lebendiger Kraft und Freiheit bewahren, als eben dasselbe nur verschränkt und verschroben, gepreßt in unpassende philosophisch-mathematische Formen, durch Heische- [Wunsch- / wp] und Folgesätze verzerrt, aus fremden Händen wieder empfangen? Für lange Zeit verschwand die Philosophie aus der Jurisprudenz. Aber sie kam, durch die kantische Revolution ermuntert und gehoben, in veränderter Gestalt, und mit größeren Ansprüchen dorthin wieder zurück. Die Philosophie, sofern sie sich in die Grenzen einer positiven Wissenschaft begiebt, ist nicht schaffend, sondern nur bildend. Sie ist da gebunden an einen gegebenen Stoff. Sie kann diesen formen, nach Ideen gestalten und geistig beleben; aber sie kann, so wenig als der Bildhauer den Marmor schafft, oder die Seele ihren eigenen Körper zerstört, die Materie selbst hervorbringen, noch ihr etwas nehmen von dem, was sie ursprünglich in sich selber hat. Doch ihren eigentlichen Beruf verkannte die Philosophie nur zu bald. Sie wollte nicht Freundin, sondern Gebieterin der Rechtswissenschaft sein; sie wollte nicht bloß lehren, sondern herrschen, nicht bloß Gesetze erleuchten und erklären, sondern selbst Gesetze geben, und schon gegebene, kraft Vollmacht ewiger Vernunft, vernichten. Das Positive lag als verächtliche Materie zu ihren Füßen und wurde zertreten, sobald es sich nicht ihren Formen bequemte. Die Frage nach dem, was da ist, hatte für sie keinen oder nur einen verächtlichen Sinn;  "Es ist nicht, was nicht sein soll! kein Gesetz, als in mir und durch mich!"  dies war nur zu oft ihre höchste Maxime, die sie entweder ausdrücklich verkündete, oder doch stillschweigend befolgte. Nicht ohne Grund erhoben sich Praktiker und Theoretiker gegen solche Anmaßungen und waffneten sich dagegen mit gerechtem Haß. Eine solche philosophische Jurisprudenz proklamierte unter dem Namen von Vernunftherrschaft die Anarchie der Unvernunft und drohte zugleich, unter dem Schein ewiger Wissenschaft, allem echtwissenschaftlichen Geist den Tod. Denn Verachtung des Historischen, Gleichgültigkeit gegen das gelehrte Wissen, seichte Oberflächlichkeit standen vielfältig in ihrem Gefolge, und bezeichneten nicht selten den Charakter ihrer Lehrer, wie ihrer Schüler. Wenn man das Wissenswürdigste und das Alleingültige rein aus sich selber weiß, wie kann man Lust haben, es erst mühselig von außen zu holen? So wie daher bei den Alten das Philosophengewand nicht immer den Weisen bezeichnete, so war es auch bei uns keine seltene Erscheinung, daß Unwissende sich in einen zerrissenen Philosophenmantel hüllten, um ihre Blöße zu bedecken, und den Reichtum gediegenen Wissens ungestraft verachten zu können.

Nur erst dann mag eine vollkommene allseitige Bildung der Jurisprudenz gedeihen, wenn Philosophie, Altertumskunde und Geschichte zugleich auf ihrem Gebiet einheimisch geworden sind, und in verständig abgemessener Wirksamkeit, jede an ihrem Teil, zu gemeinschaftlichen Zwecken wirken. Aber in der deutschen Jurisprudenz blieben sie fast durch stete Mißverständnisse voneinander getrennt; jede ging, die andere anfeindend oder verachtend, meistens ihren eigenen Weg zu einem entgegengesetzten Ziel und glaubte, sich selbst genügend, für sich allein zu vollbringen, was nur vereint in Vollkommenheit vollendet werden kann. Und so war dann, wir dürfen es uns nicht verhehlen, bei aller Vielseitigkeit, doch zugleich eine gewisse Einseitigkeit, bei aller Gründlichkeit doch zugleich eine gewisse Beschränktheit der Geist unserer juridischen Literatur. Sie trug in mancher Hinsicht den Charakter des Staates, welchem sie angehörte; - ein getrenntes in sich selbst entzweites Reich.

Wenn in manch anderer Beziehung der Deutsche den gerechten Vorwurf ertragen mußte, das Fremde höher zu achten, als das Eigene, so könnte vielleicht den deutschen Rechtsgelehrten gerade der entgegengesetzte Vorwurf treffen. Es war immer nur das Einheimische oder Einheimischgewordene, worauf sich all sein gelehrtes Forschen bezog. Ging es über das Geltende hinaus, so geschah dies fast nur anhand der Rechtsgeschichte, um zu erfahren, wie das was nun ist, allmählich so geworden war. Einige seltene, zum Teil längst vergessene Versuche der sogenannten Germanisten abgechnet, die sich indessen auch fast nur auf das beschränkten, was durch seine Altertümlichkeit die Neugierde vorzüglich reizte, hielten es unsere Rechtsgelehrten der nicht der Mühe lohnen, auch auf fremde Völker hinzusehen und deren Sitten und Gesetze mit einiger Aufmerksamkeit zu untersuchen, um das Einheimische, wo nicht mit neuen Materialien zu bereichern, so doch unter neuen Gesichtspunkten, mit geschärftem Auge, in neuem Licht zu betrachten. Unter allem, was HEINECCIUS geschrieben hatte, war gewiß seine  Historia iuris Gallici  am wenigsten gelesen. Die französischen Gewohnheitsrechte, großenteils germanischen Ursprungs, und darum, in ihrer verschiedenen oder ähnlichen Ausbildung, eine reiche Quelle für den Forscher des vaterländisch deutschen Recht, blieben gleichwohl bis auf die neuesten Zeiten den Deutschen unbekannt oder ungebraucht.

Warum hat der Anatom seine vergleichende Anatomie? und warum hat der Rechtsgelehrte noch keine  vergleichende  Jurisprudenz? Die reichste Quelle aller Entdeckungen in jeder Erfahrungswissenschaft ist Vergleichung und Kombination. Nur durch mannigfaltige Gegensätze wird das Entgegengesetzte vollständig klar; nur durch eine Betrachtung der Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten und der Gründe von beiden wird die Eigentümlichkeit und innere Wesenheit jedes Dings erschöpfend ergründet. So wie aus der Vergleichung der Sprachen die Philosophie der Sprache, die eigentliche Sprachwissenschaft hervorgeht; so auch aus der Vergleichung der Gesetze und Rechtsgewohnheiten der verwandtesten, wie der fremdartigsten Nationen aller Zeiten und Länder, die  Universal -Jurisprudenz, die  Gesetzeswissenschaft  ohne Beinamen, welche aber jeder besonders benannten Gesetzeswissenschaft erst ihr wahres kräftiges Leben verleiht. Soll doch niemand vom Geist einer Gesetzgebung sprechen, wer nicht als diese Gesetzgebung und allenfalls noch die besondere Geschichte ihrer Entwicklung kennt. Was er den Geist nennt, ist oft nur wieder ein anderer Buchstabe, oder, wenn ihm ein allgemeines Räsonnement, Philosophie genannt, der alleinige Schlüssel zum Verborgenen ist, meist nur ein flatterndes Gespenst, das mit des Tages Nähe verschwindet. JOHANN von MÜLLER behauptete, ohne das Studium aller Jahrhunderte und aller Welt kann nicht einmal die Historie von Geusau gut geschrieben werden. "Jenes Studium", sagt er (2), "erweitert die Begriffe und teilt Licht allen besonderen Geschäften mit. Ich habe neulich wahrgenommen, daß, nachdem ich den ALBUFEDA gelesen hatte, ich die Schweiz mit ganz anderen Augen ansah." Ebenso darf man wohl behaupten, daß genau genommen nicht ein Statut der kleinsten Reichsstadt, ohne das Studium der Gesetze aller Jahrhunderte und Nationen, vollständig begriffen, mit umfassendem Geist dargestellt werden kann, und daß, wer MENUs Gesetze, den  Zendavesta  oder den  Koran  gelesen hat, sein  corpus iuris  oder seinen  Code Napoleon  mit ganz anderen Augen ansehen wird, als vorher. Was die Universalgeschichte der Völker dem Geschichtsschreiber eines besonderen Staates ist, das sollte die Darstellung und Geschichte aller Gesetzgebungen dem Rechtsgelehrten sein. Unermeßliche Schätze liegen dazu schon in den großen Massen aufgehäuft; sie bedürfen nur einer bildenden Hand, welche sie ordnet und gestaltet, eines philosophischen Geistes, der des Stoffes mächtig das Allgemeine aus dem Besonderen herauszufinden, und in ein großes sinnvolles Ganzes zusammenzufassen versteht. MONTESQUIEU war der erste, dem diese Aufgabe vor der Seele stand und der ihre Auflösung wagte; aber er blieb bis jetzt der letzte. Er hat uns auf die Stufen des Tempels geführt, und viele geistreiche Blicke in das Innere getan; in das Innere selbst hat uns noch niemand gebracht.

Keine europäische Nation wäre fähiger, diesen Bogen des HERKULES zu spannen, als die deutsche, die im Reich des Wissens schon so viel Großes mutig begonnen und ruhmwürdig vollendet hat. Doch lag im Wesen der deutschen Jurisprudenz und des deutschen Charakters eine Hauptursache, warum bisher unter uns, wenigstens von den Rechtsgelehrten selbst, an eine solche Arbeit kaum gedacht werden konnte. Unsere deutsche Jurisprudenz war ansich schon von so großem Umfang, so vielfach in ihren Teilen, so reich an unerschöpflichen Quellen, daß auch der emsigste Fleiß für das Ausländische weder Zeit noch Kräfte übrig hatte, wenn er nicht, um den Boden vaterländischer Literatur mit fremden Blumen zu schmücken, die Kultur der einheimischen Früchte, die das tägliche Bedürfnis gebieterisch forderte, großen Teils vernachlässigen wollte. Der Charakter des deutschen Gelehrten ist Gründlichkeit und dieser bezeichnet auch im Ganzen unsere juristische Literatur. Der Deutsche glaubt so lange nichts zu wissen, bis er nicht seines Gegenstandes in allen Punkten bis in seine kleinsten Teile Meister geworden ist. Sein Wissen strebt daher überall nach mehr Tiefe, als in die Breite, und er beschränkt sich gern in seinem Umfang, wo er der größeren Ausdehnung die Gründlichkeit seines Wissens aufzuopfern fürchtet. Wer Vieles umfassen will, darf sich kleiner Irrtümer nicht schämen; wer alles im Ganzen überdenkt, kann nicht alles im Einzelnen ergründen, sondern muß über vieles nur hinüberstreifen, manches im Dunkeln lassen, anderes nur auf Treu und Glauben hinnehmen. Aber eben das ist es, was der deutschen Sinnesart widerstrebt, daher auch sonst der deutschen Literatur in einigen ihrer Zweige den Schein einer gewissen Beschränktheit oder ängstlichen Kleinlichkeit gegeben und selbst unseren edlen GARVE zu der Behauptung verleitet hat, daß es den Deutschen zur Vollkommenheit ihrer Geisteswerke an nichts, als an einer gewissen wohlverstandenen Oberflächlichkeit fehlt.

Was bei anderen Völkern die Politik, als Philosophie der Gesetzgebung ist, das war den deutschen Rechtsgelehrten das sogenannte Naturrecht, die Philosophie des Rechts. Wir verdanken ihr, was sich keine andere Nation rühmen kann, die genaue Bestimmung des Unterschieds zwischen dem Moralischen und dem Rechtlichen, eines Unterschieds, der für alle Gesetzgebung von der höchsten Bedeutung ist, und ohne welchen sich diese nur zu leicht auf die gefährlichsten Abwege verirrt. Wir verdanken ihr zugleich die klare Einsicht in die Natur gewisser metaphysisch-rechtlicher Begriffe, welche zuletzt jeder Gesetzgebung zugrunde liegen, und deren selbst die Politik in ihrer Anwendung nicht entbehren kann. Übrigens aber waren die Systeme dieses Naturrechts meistens in ihrem Plan einseitig gefaßt und in ihrer Ausführung mißlungen. Sie waren größtenteils ein bloßer Formalismus, der weder in seinen Gründen die Spekulation befriedigte, noch mit seinen Folgen dem Leben diente. Die Meinung, als wenn die Vernunft außer der bloßen Idee der Gerechtigkeit ein ganzes System von Rechtsgesetzen in sich faßt; die Vorstellung von der Wirklichkeit einer Rechtsgesetzgebung, welche unabhängig von aller Erfahrung mit allgemeingeltender Notwendigkeit gebietet, von möglichen und wirklichen Rechten ohne äußere Gesetze, selbst außerhalb des Staates, im sogenannten Stand der Natur; die Idee von einem strengen Gegensatz zwischen Recht und Politik und von einer Philosophie der Gesetzgebung, die nur jenes ohne Rücksicht auf diese zu ergründen und darzustellen hat: diese Meinungen waren nichts anderes, als eben so viele Grundirrtümer, welche selbst die Idee einer Rechtsphilosophie in ihren Elementen zerstörten und das darauf gegründete Gebäude konnte daher nicht viel mehr sein, als ein leeres Fachwerk, zur Lust zu öde und zum Bewohnen zu gebrechlich und zu eng. Diese Systeme gingen aus von der Formel einer Form, die dann, was man ihre Anwendung nannte, wieder in abgeleitete Form-Formeln zerspalten wurde, an welche schließlich die reine Vernunft, um ihre ursprüngliche Armut zu verbergen, einige der Erfahrung abgeborgte Begriffe anheftete, aus denen nun gerade ebensoviel durch  Weil  und  Also  wieder herausgezogen wurde, als man ursprünglich hineingelegt hatte. Ein so kraft- und saftloser Baum konnte unmöglich mannigfaltige Früchte für das Leben bringen; konnte selbst dem positiven Rechtsgelehrten zu nicht viel mehr dienen, als zu einem Werkzeug, gewisse Begriffe mit mehr Geschick zu sondern, mit mehr Bündigkeit zu entwickeln. Was aber das Wissen nicht bloß verdeutlicht, sondern dessen Umfang wahrhaft erweitert, was den Geist reich macht an Mitteln und an Zwecken, was ihn frei macht zum echtphilosophischen Denken über die Gesetzgebung, dies konnten unsere Naturrechte nicht gewähren, die gerade das, ohne welches keine wirkliche Gesetzgebung denkbar, keine umfassende Philosophie der Gesetzgebung möglich ist, die Politik, auf ihren Grenzen verbannt, sich von der Erfahrung zurückgezogen, und in den öden Kammern der Allgemeinheit eingeschlossen hatten. Philosophie der Gesetzgebung ist nichts anderes, als die Wissenschaft der Regeln, die den Gesetzgeber binden und leiten sollen; was aber den Gesetzgeber bindet und leitet, das ist Weisheit, und Weisheit ist nichts anderes, als Klugheit im Dienste der Gerechtigkeit. Das einzige, was die Vernunft rein aus sich selber sagt, ist die Notwendigkeit eines gesetzlich rechtlichen Zustandes unter den Menschen. Wie aber dieser Zustand möglich sein soll? wie er wirklich gemacht werden könnte? das sind Fragen, welche die Vernunft aufgibt, aber nur der Verstand beantwortet. Die reine Form des Rechts ist, man fasse sie, wie man will, immer nur negativ, woraus nie etwas Positives kommen mag, und daher leer an allem eigentlichen Inhalt. Sie ist das Kriterium für das Urteil über die rechtliche Zulässigkeit der gegebenen oder zu gebenden Gesetze, nicht aber das Element, aus welchem sich der Inhalt irgendeiner Gesetzgebung entwickeln könnte. Sie bezeichnet die Grenze, innerhalb welcher sich der Gesetzgeber bewegen darf, steckt den Boden ab, den er durch Anstalten und Gesetze anzubauen und zu befruchten hat; aber ein bloßer Grenzstein ist selbst weder Gebäude, noch Samen, noch Frucht des durch ihn begrenzten Landes. Prinzipien welche die bloße Spekulation ersinnt, haben ansich ihren Wert; doch sie allein machen nicht reich. Zwischen den Ideen der Vernunft und den Dingen der Wirklichkeit dehnt sich eine ungeheure Kluft, über welche nur Reflexionen, Erfahrung, Beobachtung eine haltbare Brücke baut. Ideen sind ein helles unvergängliches Gestirn, das den Weg bezeichnet, nach welchem der Lauf zu richten ist; aber ohne Schiff und Steuerruder, und ohne Kenntnis des Meeres, seiner Tiefen und Untiefen gelangt man nie von der Stelle und noch weniger zum Ziel. Auch in dieser Beziehung komme ich wieder auf das notwendige Studium der Verfassungen, Gesetze und Einrichtungen, einer Universal-Jurisprudenz, als der reichsten Quelle einer wahren, umfassenden, und für das Leben brauchbaren Gesetzesphilosophie zurück, - einer Gesetzphilosophie, wie sie MONTESQUIEU gedacht, aber nach ihm kaum der eine oder andere begriffen hat. Aber MONTESQUIEU? Wie manchen unserer Philosophen und philosophischen Rechtsgelehrten galt er nur als ein im Empirismus verkommener Witzling während der gedehnte seichte Rhetor FILANGIERI fast als kanonisches Buch galt und als das höchste aller Meisterstücke gepriesen wurde! HUGO verließ zuerst die gemeine Heerstraße, und wagte den Versuch einer Rechtsphilosophie in einem andern, als dem bloß metaphysischen Sinn. Sein Werk ist freilich nur ein Versuch, der überdies die Aufgabe wider auf dem entgegengesetzten Punkt einseitig faßt, indem er alles in das Gebiet des gemeinen Nutzens herabzieht. Es ist dies das gewöhnliche Schicksal des menschlichen Geistes, sich erst von den entgegengesetzten Extremen des Irrtums auf der rechten Straße der Wahrheit einzufinden. Konstruierten sonst die metaphysischen Staatsrechtslehrer ihr System bloß aus Recht und Vertrag, so sucht uns jetzt von HALLER zu überreden, nur öffentliche Gewalt sei öffentliches Recht. Wie dem aber auch sei, HUGOs Werk verdiente Aufmerksamkeit, Achtung und Dank; wir haben es in Deutschland entweder mit gleichgültigem Achselzucken, oder auch mit spöttischem Lächeln aufgenommen.

Es ist wahr, die Wissenschaften wirken auf den Geist der Zeit; aber noch weit stärker wirkt die Zeit auf die Wissenschaften. Meistens ist es diese, die ihnen ihren Gang, ihre Richtung und ihr Ziel bestimmt. Und so finde ich auch einen großen Teil jener Erscheinungen der philosophischen und juridischen Welt aus der Lage und dem Geist der äußeren politischen Welt erklärt. Deutschland ruhte mit dem größten Teil von Europa in sicherer Gemächlichkeit unter dem Schatten seiner durch Altertümlichkeit geheiligten Verfassungen, Gesetze und Gebräuche. Die ererbten Besitztümer wurden bewahrt, gebraucht, genossen, und man behalf sich mit ihnen, selbst als sie gebrechlich und unbrauchbar zu werden anfingen, so gut man konnte. Der Mangel wird immer weit eher erkannt, als das Bedürfnis der Besserung, sobald die Besserung zugleich eine Neuerung ist, die das Gemächliche der Gewohnheit stört. Die Stürme, welche späterhin die Gebrechlichkeit des längst untergrabenen Gebäudes mit deen Umsturz zeigten, waren noch nicht gekommen; selbst als sie schon in der Ferne drohten, wurde ihr Drohen nicht gehört oder nicht verstanden. So gingen die Staaten und ihre Regenten stets gemächlich anhand des Herkommens fort, den Blick nur auf das gerichtet, was man hatte, unbekümmert, wie lang man es noch besitzen kann. Reform klang ihnen wie Revolution und Besserung hieß gefährliche Neuerung. Fast überall lag daher die Gesetzgebung in einem tiefen Schlaf; der Praxis und der Wissenschaft war es überlassen, die Lücken, wo es sein mußte, auszufüllen, und die Mängel, so weit es geschehen konnte, zu verbessern. Selbst wo sich hin und wieder die Gesetzgebung selbst ermannte, war sie mehr sammelnd und ordnend, als selbsttätig schaffend und bessernd. Was ist der Preußische bürgerliche Gesetzbuch anderes, als das Alte mit fast allen seinen Gebrechen unter einer neuen, bequemeren Form? Und selbst dieses wagte man aus Schonung des Altherkömmlichen nicht als unmittelbares Landesgesetz, sondern nur als ein Hilfsgesetz einzuführen, das durch besondere Statuten und Provinzialgesetze ausgeschlossen wird. So war die Wissenschaft, zumal die Philosophie der Gesetzgebung, nirgends vom wirklichen Leben kräftig angeregt. Dieses bedurfte ihrer nicht und daher war es ganz natürlich, daß sie, die zur bloßen Dienerin des Herkömmlichen nicht herabsinken mochte, ihre höhere Bestimmung erkennend, sich vom Leben selbst zurückzog und sich in der bloßen Spekulation ihre eigene Welt erbaute. Wo man außerhalb der Welt zu denken anfängt, hört man auch bald auf, für sie zu denken; wo man handelt ohne zu denken, da wird man bald auch denken, ohne danach handeln zu können, und wo man bloß denkt, um zu denken, da wird man auch leicht statt zu denken - träumen.

Aber zu einem solchen Träumen ist jetzt nicht mehr die Zeit. Eine neue große Epoche hat begonnen. Das Alte liegt zertrümmert da. Die Gräber des Herkommens sind gesprengt und auf die gemächlichen Tage der Ruhe ist die Zeit der Taten gefolgt. Wo vieles zerstört ist, da ist auch vieles zu bauen, und wo eine neue Schöpfung lebt, da regt sich ermuntert selbst die trägere Kraft. Verfassung! Organisation! Gesetzgebung! das sind die großen Losungsworte unserer Tage, welche, den einen schreckend, den anderen erfreuend, alle Gemüter ergreifen. Der Geist der neuesten Zeit ist ein regsamer, zerstörender, wirkender, schaffender Geist, ein Geist der Kraft und Tat, der gebieterisch eine allgemeine Teilnahme fordert, teilnehmendes Denken und teilnehmendes Handeln. In einer solche Epoche müssen auch die Wissenschaften, zumal die unmittelbar praktischen, neue Gestalt und Richtung annehmen; haben sie sich vorher eigensinnig von der Erfahrung losgesagt, so werden sie nun unwiderstehlich von ihr wieder angezogen, um in ihr und für sie zu wirken, und mit neuen Ansichten von ihr bereichert, zu frischem Leben zu erwachen. Die einzige Gefahr hierbei, vor welcher sie sich aber selbst bewahren können, ist, daß sie, ihre höhere Abkunft vergessend, vom Tumult betäubt und vom Schimmer geblendet, in der Gemeinheit versinken. Alsdann wäre ihr neues Leben nur der Anfang von einem neuen, schmählicheren Tod.

Für die Jurisprudenz und Gesetzgebungswissenschaft insbesondere hat sich eine neue Welt gestaltet. Manche Schranken, die die freiere Aussicht hemmten, sind niedergefallen; manche Hindernisse des besseren Wirkens sind verschwunden; über manche Fehler, die uns die vergangene Zeit aufgedrängt hat, hat uns der Erfolg warnend belehrt. Das aus den ungleichartigsten Bestandteilen übel zusammengefügt groteske Gebäude deutscher Jurisprudenz ist zum Teil zusammengestürzt; und was daran zusammengestürzt ist oder dem nahen Sturz geweiht, (der Feudalismus, die deutschen Reichsgesetze, das kanonische Gesetzbuch als integrierender Teil des bürgerlichen Privatrechts) war, ähnlich den Glockentürmen auf dem ewigen Pantheon, nur ein fremdartiger Anbau an einem antiken Prachttempel, der ihm das Licht verdunkelte und dessen hohe Symmetrie zerstörte. Stattdessen verbreitet NAPOLEONs Gesetzbuch immer weiter seinen mächtigen Einfluß: - eines der schönsten Ehrendenkmäler des französischen Namens, das Resultat einer großen, zum Teil aus politischen und rechtlichen Ideen hervorgegangenen Revolution, das gemeinsame Werk der gelehrtesten und zugleich welterfahrensten Männer eines geistreichen Volkes. Aus dem römischen Recht selbst größtenteils hervorgegangen, zugleich aber mit den Erfahrungen späterer Zeiten bereichert, und auf den Zustand der Sitten und Verhältnisse der neueren europäischen Welt berechnet, schließt es sich einerseits unmittelbar an das römische Recht, andererseits an die Bedürfnisse der Gegenwart an und bildet dadurch ein schönes verbindendes Mittelglied zwischen jenem und dieser. Hatte sich bisher unsere deutsche Jurisprudenz, ähnlich einem literarischen Niphon [Japan - wp], für den Verkehr mit dem Ausland größtenteils verschlossen, so wird sich jetzt mit NAPOLEONs Gesetzbuch, welches als gemeinschaftliches Gesetzbuch des ansehnlichen Teils von Europa, bald vielleicht des ganzen zivilisierten Europa, so viele Völker vereinigt, zugleich eine allgemeine Gemeinschaft des Denkens und Wirkens, ein allgemeiner wechselseitiger Austausch der Erfahrungen, Entdeckungen und Meinungen auf dem Gebiet der juristischen Welt eröffnen. Mehr als irgendeine andere der bisher bekannten Gesetzgebungen, ist uns NAPOLEONs Gesetzgebung zugleich eine höchst lehrreiche Schule der Politik und Gesetzgebungskunst. Das römische Recht ist eigentlich nur durch Jurisprudenz das geworden, was alle Denkenden an ihm bewundern. Sein Hauptvorzug ist in der  Analysis  (Entwicklung und Anwendung) der Rechtssätze und Rechtsbegriffe, während es  synthetische  Sätze, welche den eigentlichen Gegenstand der Gesetzgebung ausmachen, verhältnismäßig nur wenige enthält. Bei jener hat nicht die gesetzgebende Weisheit, sondern die Logik das Hauptgeschäft, welche durch ihre Konsequenz und Strenge, die einer Demonstration nahe kommt, leicht auch einen denkenden Mann zu dem Irrtum verleiten kann, daß das so Entwickelte aus allgemeiner reiner Vernunft hervorgeganen ist, während zuletzt der erste Ring in der langen Kette immer nur ein zugleich in der Erfahrung ruhender, durch Politik und Gerechtigkeit gemeinschaftlich bestimmter, synthetischer Satz der Gesetzgebung ist. Denn selbst der Satz: Es soll Eigentum gelten, geht nur einerseits aus der Betrachtung von der rechtlichen Zulässigkeit des Eigentums, andererseits aber aus den Gründen für die politische Notwendigkeit oder Ratsamkeit desselben hervor. Die französische Gesetzgebung sonderte das analytische, welches sie der Jurisprudenz überließ, wenigstens größtenteils von ihrem Umfang aus, setzte sich das Allgemeine, die Prinzipien und Regeln, die eigentliche Synthesis der Rechtsgesetzgebung, wo sich Recht und Politik notwendig vereinigen, zum Hauptziel des Unternehmens, und ist dadurch für uns ein Muster der Gesetzgebung geworden, so wie uns das große Römerwerk das Muster einer in sich selbst vollendeten Jurisprudenz war und bleiben wird. Der Gewinn ist dadurch vervielfacht, daß die Geschichte der französischen Gesetzgebung sich nicht in die Geheimnisse des Kabinetts verliert, sondern daß wir sie gleichsam vor unseren Augen entstehen und sich entwickeln sahen, daß wir alle ihre Gründe kennen, alle Einwendungen, Zweifel und entscheidenden Moment des sich selbst beratenden Gesetzgebers noch jetzt vornehmen.

Ob die Zukunft für unsere Literatur werden soll, was uns die Gegenwart von ihr verspricht? das ist allein in  unsere  Hand gelegt. Aber eben darum übernimmt jeder Schriftsteller, der in dieser Zeit auftritt, eine doppelte Pflicht. Am Anfang einer neuen Epoche hat alles noch eine unbestimmte Gestalt, die jedem Eindruck weicht. Noch hat sich kein fester Geist gebildet; der Weg kann, je nachdem die Richtung genommen wird, entweder zum Besseren oder zum Schlechteren führen. Das Wirken eines Schriftstellers greift daher in einer solchen Epoche weit tiefer ein und ist von ausgebreiteteren Folgen. Er bestimmt selbst mit die wissenschaftliche Richtung seiner und der folgenden Zeit. Es ist der Tag der Saat, aus der, je nachdem gesät wurde, Unkraut aufgeht oder der Segen der Frucht.

Dies sind die Betrachtungen, zu welchen mich der Auftrag, das erste Werk eines meiner ehemaligen Schüler, mit einer Vorrede in das Publikum zu begleiten, ganz natürlich veranlaßt hat. Denn vorwärts und rückwärts zu sehen, ziemt dem, der sicheren Weges sein Ziel erreichen will, und hieran zu mahnen, ist, was dem Freund geziemt. Des Verfassers Bescheidenheit erwartet hier keinen Lobspruch auf seine Talente und Einsichten, auf die Verdienste seines Werks, und die Hoffnungen, die es für die Zukunft von ihm erweckt.
LITERATUR Paul Johann Anselm von Feuerbach, Blick auf die deutsche Rechtswissenschaft [aus Unterholzners juristischen Abhandlungen besonders abgedruckt] München 1810
    Anmerkungen
    1) FRIEDRICH AUGUST WOLF, Museum der Altertumswissenschaft, Bd. 1, Nr. 1
    2) JOHANNES von MÜLLER, Briefe eines jungen Gelehrten an seinen Freund, Tübingen 1801, Seite 290