ra-4Geschmeidige GeisterDie Russen und der Westen
 Die Gleichheit von Mann und Frau
ALEXANDER HERZEN

 
Man mag sagen und reden was man will, aber das Sprichwort  inter pares amicitia [Freundschaft ist unter Gleichen] und jede  mésalliance [ungleiche Ehe, ungeeignete Verbindung] bedeutet ein im Voraus ausgesätes Unheil. Viel Dummes, Hochmütiges und Bourgeoises ist unter diesem Wort verstanden worden, aber seine Grundwahrheit trifft zu. Im schlimmsten Fall aller Ungleichheiten - in der Ungleichheit der geistigen Entwicklung - gibt es auch nur die eine Rettung: die Erziehung der einen Person durch die andere; aber dazu gehören zwei seltene Gaben: es ist notwendig, daß die eine versteht zu erziehen, die andere aber sich erziehen zu lassen, daß die eine führt und die andere mitgeht. Viel häufiger siegt die unentwickelte Persönlichkeit, die ohne andere, die Seele fesselnde Interessen, im Kleinkram des Alltagslebens stehengeblieben ist; Betäubung, Ermüdung überwältigen dann den anderen Menschen, unmerklich verkümmert er, er zieht sich zusammen; zwar fühlt er sich nicht recht wohl dabei, aber er beruhigt sich trotzdem, eingeschnürt von Fädchen und Bändchen. Es passiert auch, daß weder die eine noch die andere Seite kapituliert, und dann verwandelt sich das Zusammenleben in einen langfristigen Krieg, in einen ewigen Zweikampf, bei dem die Personen erstarken und in alle Ewigkeit in fruchtlosen Anstrengungen verharren, einerseits zu heben, andererseits herabzuziehen, das heißt ihre Positionen zu behaupten. Bei gleicher Kraft auf beiden Seiten verschlingt dieser Kampf das ganze Leben, und selbst die stärksten Naturen erschöpfen dabei allmählich ihre Kräfte und sinken auf halbem Weg vor Schwäche zu Boden. Zuallererst kommt die höher entwickelte Natur zu Fall, die Zweigleisigkeit beleidigt zutiefst ihr ästhetisches Gefühl: die besten Augenblicke, in denen alles klingt und leuchtet, sind ihr vergiftet ... Expansive Menschen fordern leidenschaftlich, daß alles, was ihnen nahesteht, auch ihrem Denken, ihrer Religion nahe sei. Dies wird für Unduldsamkeit gehalten. Aber in ihren Augen ist das häusliche Bekehrungswerk nur die Fortführung des Apostolats, Fortsetzung der Propaganda; ihr Glück endet dort, wo man sie nicht versteht ... und meistens will man sie nicht verstehen.

Die späte Erziehung einer erwachsenen Frau ist eine sehr schwierige Sache, besonders schwierig da, wo die nahen Beziehungen des Zusammenlebens zu Ende gehen und nicht anfangen. Bindungen, die leicht und unüberlegt eingegangen wurden, erheben sich selten über das Schlafzimmer und die Küche. Das gemeinsame Dach deckt sie zu spät, um darunter lernen zu können, es sei denn, daß ein furchtbares Unglück die schlafende Seele weckt, doch muß sie überhaupt fähig sein zum Aufwachen. La petite femme [die kleine Frau] wird größtenteils niemals zu einer großen Frau, sie wird niemals Frau und Schwester zugleich sein. Sie bleibt entweder Geliebte oder galante Dame, oder sie wird zur Köchin und Geliebten.

Das Zusammenleben unter einem Dach ist an und für sich eine schreckliche Sache, an der die Hälfte der Ehen zugrunde gegangen ist. Wenn Menschen eng zusammenleben, kommen sie einander allzu nahe, sie sehen einander zu genau, allzusehr aufgeknöpft, und unmerklich wird einzeln jedes Blütenblättchen des Blumenkranzes abgerissen, der die Persönlichkeit mit Poesie und Grazie umgibt. Jedoch die *Gleichheit der Entwicklungsstufe macht vieles wieder glatt. Ist diese aber nicht vorhanden, stattdessen aber unausgefüllte Muße, dann kann man nicht ewig Unsinn schwatzen, über den Haushalt reden oder den Liebenswürdigen spielen; und was soll man denn mit einer Frau anfangen, wenn sie ein Zwischending zwischen Odaliske [Konkubine - wp] und Dienerin ist, ein Geschöpf, das einem körperlich nahe steht und geistig weit entfernt ist? Am Tag braucht man sie nicht, doch sie ist unaufhörlich da; der Mann kann seine Interessen mit ihr nicht teilen, sie jedoch kann nicht anders als ihre Klatschereien mit ihm zu teilen.

Jede geistig unentwickelte Frau, die mit einem geistig entwickelten Ehemann zusammenlebt, erinnert mich an  Delilah und  Samson: sie schneidet ihm seine Kraft weg, und er kann sich auf keine Weise schützen. Zwischen dem Mittagessen, auch einem sehr späten, und dem Bett, sogar dann, wenn man sich um zehn Uhr niederlegt, bleibt noch eine Unmenge Zeit, in der man nicht mehr arbeiten und noch nicht schlafen möchte, in der die Wäsche gezählt und die Ausgaben kontrolliert sind. Das sind die Stunden, in denen die Frau ihren Mann in die Enge des Gezänks hinabzieht, in die Welt gereizter Empfindlichkeit, übler Nachrede und boshafter Anzüglichkeiten. Das hinterläßt seine Spuren.

Es gibt dauerhafte Verhältnisse des Zusammenlebens von Mann und Frau ohne eine besondere Gleichheit der Entwicklung, die begründet sind auf Bequemlichkeit, auf der Wirtschaft und, ich möchte beinahe sagen, auf Hygiene. Manchmal ist das eine Arbeitsgemeinschaft, eine gegenseitige Hilfe, verbunden mit gegenseitigem Vergnügen; größtenteils wird eine Gattin als Pflegerin, als gute Hausfrau genommen, "pour avoir un bon pot-a-feu" [um ein gutes Essen zu haben], wie PROUDHON zu mir sagte. Die Formel der alten Jurisprudenz ist sehr klug:  a mensa et toro [von Tisch und Bett] hebt den gemeinsamen Tisch und das gemeinsame Bett auf, und sie werden mit ruhigem Gewissen auseinandergehen.

Diese Verstandesehen sind beinahe die besten. Der Mann ist ständig mit seinem Beruf beschäftigt, ob es nun ein gelehrter oder ein kaufmännischer ist, er sitzt in seiner Kanzlei, seinem Kontor, seinem Laden; die Frau hat ständig mit der Wäsche und den Vorräten zu tun. Kommt der Mann müde nach Hause ist alles fertig für ihn, und alles geht im Schritt oder leichten Trab denselben Friedhofstoren zu, bei denen auch schon die Eltern einmal angelangt waren.


LITERATUR, Alexander Herzen, Mein Leben, Bd. 1, Berlin 1962