p-4 Zur Theorie der AbstraktionDie AbstraktionsleiterMauthner - Abstraktion    
 
HANS SCHMIDKUNZ
Über die Abstraktion
[2/2]

"Sowenig also die Gerechtigkeit gerecht ist, sowenig ist die Süßigkeit süß und die Weiße weiß; ebensowenig aber ist die Farbe des Schnees weiß, wenn auch der gewöhnliche Sprachgebrauch in dieser Form weiterbestehen mag, gleich dem Ausdruck des Wanderers:  Es kommt eine Steigung des Weges  oder selbst des Astronomen:  Die Sonne geht auf." 

Danach dürfte also einleuchten, daß jenes Absehen von etwas, sozusagen die psychische Schwächung, ein eigenartiges Hinsehen auf etwas anderes, eine psychische Verstärkung desselben, also die  aphairesis  [Reduktion - wp] eine  prosthesis  [Erweiterung - wp] voraussetzt. Wenden wir diese Erkenntnis auf einen der fraglichen Fälle an, z. B. auf den Unterschied des Abstraktums "Rot" vom Konkretum "rotes Ding", so dürfte die Erläuterung nicht mehr schwer werden.

Man versuche also, sich in jenes Rot ohne Störung durch etwas, worauf es sich konkret bezöge, vorstellend zu versenken. Bemüht man sich zu diesem Zweck, keinen Stein, der rot wäre, keinen Menschen, kein Gerät von dieser Farbe vorzustellen, so ist man gleich wieder völlig umschwirrt von derlei Gegenständen. Wie ganz anders aber löst sich die Aufgabe, wenn man sich anstrengt, das betreffende Attribut selbst möglichst nachdrücklich der Vorstellung einzuprägen! Da sind die Bilder, an denen es sonst haftet, zwar nicht verlöscht, aber doch zurückgedrängt, ohne daß wir gegen sie unmittelbar anzukämpfen brauchten.

Der Geist hat hier wie bei allen analogen Erscheinungen von etwas "abstrahiert", indem er auf etwas "reflektierte"; und so wäre diese Vermittlung wohl zur Genüge bewiesen. Eine eingehende Schilderung derselben bietet uns FECHNER (Das Büchlein vom Leben nach dem Tode, 2. Auflage, 1866, Seite 59f):
    "Die lebendige Kraft des Bewußtseins entsteht nie wahrhaft neu, geht niemals unter, sondern kann wie die des Körpers, worauf sie ruht, nur ihre Stelle, Form, Verbreitungsweise zeitlich und räumlich wechseln, heute oder hier nur sinken, um morgen oder anderswo zu steigen, heute oder hier nur steigen, um morgen oder anderswo zu sinken. Damit das Auge wache, du mit Bewußtsein sehest, muß du das Ohr in Schlaf versenken, damit die innere Gedankenwelt erwache, die äußeren Sinne schlafen lassen; ein Schmerz am kleinsten Punkt kann das Bewußtsein deiner Seele ganz erschöpfen. Je mehr sich das Licht der Aufmerksamkeit zerstreut, je schwächer wird das Einzelne davon erleuchtet, je heller es auf einen Punkt trifft, umso mehr ins Dunkel treten alle andern; auf etwas reflektieren, heißt von anderem abstrahieren."
Noch aus einer anderen Ursache, die aber eine Unterordnung unter den angeführten Gedanken FECHNERs verträgt, mißlingt die bare Verneinung ohne eine neue Art von Bejahung. Dem Vorstellen oder Urteilen legt die Wirklichkeit gewisse Objekte vor, ohne daß unsererseits eine andere Zutat hinzukommt, als etwa jene, welche überhaupt nach diesem oder jenem erkenntnistheoretischen Standpunkt zur Erfassung der Außenwelt nötig ist. Jetzt soll (und dazu mag jedes frühere Beispiel dienen) ein Bestandteil jener Vorlage wegfallen, sonst jedoch nichts geschehn. Dürfen wir uns der Aussicht hingeben, daß nun die Wirklichkeit eine solche veränderte Gruppe in unserer Vorstellung erzeugt, ohne daß, wie doch die Bedingung lautet, ein Zusatz von unserer Seite ausgeht? Es läßt sich kein Recht zu dieser Hoffnung angeben; die Außenwelt bleibt und wirkt wie bisher und leistet gegen unsere Mühen der Verminderung unüberwindlichen Widerstand; sie läßt sich nichts wegnehmen.

Völlig anders wird die Sache, wenn wir nun selbst die Besorgung des neuen, kleineren Vorstellungskreises übernehmen, wenn wir selbst aktiv werden und unsere subjektiven Bildungen hervorrufen. Anstelle der roten Dinge in der Natur schaffen wir unser Geistesprodukt - die abstrakte "Röte" - und sind durch nichts behindert, dasselbe gegen alle Einmischungen abzugrenzen. Wir haben anstelle des früheren von der Natur Abhängigen und uns gegenüber Unverletzlichen ein von uns unabhängiges und der Natur gegenüber unverletzlich Neues geschafffen. Das  aistheterion  [die Empfindung - wp], soweit es  passiv  ist, hat seine Rolle an die Vorstellungskraft oder an den  nous  [geistiges Vermögen - wp] abgetreten, soweit er  aktiv  ist.


Wir können die Sache so darstellen: die Außenwelt gibt uns eine bestimmte Vorstellungsgruppe, etwa  a + b + c,  deren Gesamtwert mit  d  bezeichnet wird.

 a + b + c = d. 

Nun soll von  b  und  c  zugunsten des  a  abstrahiert werden. Wäre das so glatt möglich, dann hätten wir die Gleichung:

 a = d - (b + c). 

Allein eine solche Verringerung des Gesamtinhalts erscheint nach dem obigen nicht denkbar. Ja noch mehr: es ist geradezu ein Gleichbleiben desselben wahrscheinlich. Müssen wir nun entweder die rechte Seite der Gleichung auf der Höhe von  d  erhalten oder wenigstens schreiben:

 d - (b + c) + x, 

so bekommt man links:

 a + x oder a1. 

Dieses  x,  welches  a zu a1,  den konkreten Teil eines Vorstellungsinhaltes zu einem abstrakten Vorstellungsinhalt macht, ist also die Frucht jener positiven Tätigkeit, jener logischen Verstärkung, ist der Ersatz des Weggelassenen.

Allenfalls könnte jemand noch behaupten, daß diese Verstärkung selbst wieder eine Verneinung, das  x  negativ sei, nach dem alten Satz:  omnis determinatio negatio  [Bestimmung ist Verneinung. - wp] der zuerst in der Philosophie ANAXIMANDERs lag und dann zumeist von MALEBRANCHE und SPINOZA, auch von HEGEL, vertreten wurde. Aber schon LEIBNIZ hat diese Meinung zurückgewiesen; sie ist nicht zu halten, solange der Nachweis fehlt, daß nur im Unendlichen, Absoluten das Positive zu suchen sei, ein Nachweis, nach welchem heute kaum mehr jemand begehrt.

Eine Frage steht noch aus: worin nämlich jene Position und Neubildung, die logische Verstärkung, besteht.

Man vergleiche dazu aus einem beliebigen unserer obigen Beispiele das Abstraktum mit seinem konkreten Korrelat. Dabei wird sich zeigen, daß diejenigen Elemente, welche die Vorstellung des Abstraktums ausmachen, bereits in der des Konkretums gelegen waren. Was den König, was die Röte, was den mathematischen Begriff, was das Ziel der spezialisierenden Reflexion ausmacht, das alles befand sich inhaltlich schon im einzelnen König, im einzelnen roten Ding, in der einzelnen Figur, in der einzelnen Gesamtheit, aus der die Abstraktion ihren Gegenstand herauslöste; oder wenigstens in den vielen einzelnen Dingen dieser Art. Allein es wohnte ihnen anders inne als den abstrakten Neubildungen; was dort nebensächlich, verborgen, implizit war, ist hier in den Vordergrund getreten, ist offen entwickelt, explizit geworden. Man halte beispielsweise den Allgemeinbegriff "Menschheit" (humanitas) mit dem Konkretum "Mensch" zusammen und man wird leicht sowohl die Glieder des ersteren im letzteren antreffen, als auch die neue Gestalt erkennen, welche sie dort im Gegensatz zu ihrer früheren Lagerung angenommen haben.

Das eigentümlich Phänomen der logischen Verstärkung, eine Erscheinung sui generis [einzigartig - wp], kann durch mannigfache Formen hindurch verfolgt werden; und wenn auch kaum eine allgemeine Definition für dasselbe zu geben ist, so dürfte doch sein Wesen dadurch genügend klar werden, daß wir auf seine jeweiligen Eigenarten hinweisen.

Im Allgemeinen sei nur soviel angedeutet, daß es nicht einfach der Aufmerksamkeit gleichzusetzen ist; es bedarf ihrer zwar oder kann ihrer bedürfen, ist aber selbst ein Mehr. Ferner, daß es keine bloße Intensitätssteigerung bedeutet. Und endlich daß die Frage, ob es in die Klasse des Vorstellens gehört, wie sich zunächst annehmen läßt oder in eine andere Klasse von Seelentätigkeiten, einer eigenen Erörterung vorbehalten werden müßte.

Im Besonderen sehen wir oft die Elemente, welche die abstrakte Vorstellung zusammensetzen, bloß anders gruppiert und zwar enger ineinander gegliedert als in der konkreten. So wenn wir aus den verschiedensten Erscheinungen eines Volksganzen die Abstraktion des Volksgeistes herausheben. Oder untersuchen wir, worin sich die Vorstellung beliebiger Gegenstände von der Vorstellung ihrer Anzahl, ihrer Lage oder anderer solcher Begriffe der mathematischen Abstraktion unterscheidet! Wir entdecken (nach den Ausführungen von EDMUND HUSSERL "Über den Begriff der Zahl", 1887), daß die letzteren Vorstellungen aus einem Hinblick auf unsere zusammenfassende Betrachtung der Gegenstände, aus einer Reflexion auf den dabei waltenden psychischen Akt gewonnen werden. Dieser Hinblick, diese Reflexion sind markante Formen jener psychischen Verstärkung.

Eine Abstraktion, die unserer Behauptung vom positiven Charakter dieses Vorgangs so sehr zu widersprechen scheint, daß dieselbe daran wohl eine hervorragende Probe ihrer Leistungsfähigkeit ablegen kann, ist der Begriff der Unendlichkeit. Wenn irgendein Begriff (so mag heute im Gegensatz zu jenen früheren Ansichten eingewendet werden) durch Negation, durch die entschiedenste Verneinung ohne irgendeine neue Position zustande kommt, so sei es dieser.

Allein versuchen wir nur einmal, irgendetwas Endliches bloß zu negieren, einiges oder alles daran aufzuheben, zu verneinen. Man wird auf diesem Weg überall hingelangen, nur nicht zur Unendlichkeit. Es muß vielmehr etwas ganz Spezielles negiert werden, soll Unendlichkeit hervorgehn: nämlich das Attribut "endlich" im fraglichen Ding oder auch dieses bloß als endliches. Nur unter Rücksicht auf diese besondere Bestimmung gelingt uns hier die Aufgabe, also unter Benützung eines wohl bereits abstrakten Gebildes. Das Hervorheben dieser Bestimmung aber, die sonst unbemerkt neben anderen Akzidenzen des Dinges verborgen lag, ist selbst wieder leicht als eine Position, als eine logische Verstärkung zu erkennen.

Ein angemessenerer Schritt zur Gewinnung des Begriffs vom Unendlichen ist vielleicht der, daß man irgendeine nach Zeit, Größe, Intensität oder Zahl ausgedehnte Erscheinung stetig anwachsen läßt. Bleibe ich einfach dabei, so bin ich bereits auf dem Weg zur Unendlichkeit; ich brauche nicht einmal erst das Fehlen von Schranken, von einem Einhalt zu betonen, und wenn, so fragt es sich noch sehr, ob das eine negative Bestimmung ist. Wohl aber habe ich an jenem Anwachsen eine positive, gleichgültig ob es nach der mathematischen Seite des Plus oder des Minus fortschreitet. (Vgl. DESCARTES bei ÜBERWEG III (1), Seite 54).

Soweit die Auslegung und der Nachweis des eingeführten Begriffs des Positiven in der Abstraktion, der logischen Verstärkung.

Hiermit haben wir anstelle der beiden bisherigen Abstraktionstheorien eine andere gesetzt und stehen dadurch in einem Gegensatz nicht nur zu LOTZE und früheren, sondern auch, wenn schon in geringerem Maße, zu jüngeren deutschen Logikern, namentlich SIGWART (Logik II, Die Methodenlehre, Tübingen 1878, § 75, § 76, Seite 190), welche die Abstraktion spalten, das Verallgemeinern wenigstens für die eine Art derselben als wesentlich fassen und kein rechtes gemeinsames Band für jede Abstraktion finden. Daß in der englischen Logik die Erklärung der Abstraktion überhaupt als Verallgemeinerung gefallen ist, zeigen uns die Worte von JEVONS (Elementary lessons in Logic, Seite 285); "We can abstract without generalizing" [Wir können abstrahieren ohne zu generalisieren. - wp]

In Deutschland findet sich bei einem Physiker, dem die Philosophie manche Unterstützung im Einzelnen verdankt, bei ERNST MACH in seinen "Beiträgen zur Analyse der Empfindungen" (1886) eine Lehre von der Abstraktion (Seite 149f), welche der hier entwickelten vielleicht am nächsten kommt und jede Abstraktion "auf das Hervortreten bestimmter sinnlicher Elemente" gründet. Und das gerade bewirkt die Macht und weiter Herrschaft des menschlichen Erkenntnisvermögens, daß es beliebig jedes sinnliche Element auch wirklich hervortreten lassen kann; was eben wieder unsere psychische Verstärkung ausmacht. In diesem Sinn führt MACH schon anfangs aus, bevor er noch zum Begriff der Abstraktion gelangt (Seite 5f): "Der Mensch hat vorzugsweise die Fähigkeit sich seinen Standpunkt willkürlich und bewußt zu bestimmen. Er kann jetzt von den imposantesten Einzelheiten absehen und sofort wieder die geringste Kleinigkeit beachten, jetzt die stationäre Strömung ohne Rücksicht auf den Inhalt betrachten, und dann die Breite einer FRAUNHOFERschen Linie im Spektrum schätzen, er kann nach Gutdünken zu den allgemeinsten Abstraktionen sich erheben oder sich ins Einzelne vertiefen".

Auch sonst finden wir diesen Gedankengang eingehalten. Ein schlagendes Beispiel zur speziellen Erläuterung besonders der physischen Hilfsmittel, welche sich die Forschung dafür, für diesen psychischen Zweck, zu verschaffen weiß, bringt der Physiologe FICK vor, in HERMANNs "Handbuch der Physiologie" (III. Bd., 1. Teil, Seite 168f), "die Lehre von der Lichtempfindung". Er will Klarheit darüber erwecken, "daß die Intensität verschiedener Farbenempfindungen ebensowohl quantitativ vergleichbar ist als die Intensität gleichartiger." "Wir legen neben ein weißes ein rotes Blatt Papier in gleiche mässige Schattenbeleuchtung; hier wird kein normal sehender Mensch im Zweifel sein, daß das Auge vom Licht des weißen Papiers stärker affiziert ist oder daß die Weißempfindung stärker ist als die Rotempfindung. Legt man jetzt das rote Papierblatt in den Sonnenschein während das weiße liegen bleibt, so wird ebensowenig ein Zweifel darüber aufkommen können, daß nunmehr die Rotempfindung stärker ist. Da aber vom zweiten stärkeren Intensitätsgrade der Rotempfindung zum ersteren schwächeren ein stetiger Übergang durch alle Zwischenwerte möglich ist, so muß es notwendig darunter einen Grad der Rotempfindung geben, welcher jenem Grad des Weißempfindens genau gleich ist. Wir haben demnach ganz entschieden die Berechtigung uns alle denkbaren Farbenempfindungen in gleicher Intensität vorzustellen und die Mannigfaltigkeit der Qualität ganz für sich ohne alle Einmischung der quantitativen Unterschiede zu betrachten."

In der Einleitung hatten wir auf die Kreise hingewiesen, welche die Frage nach dem Abstraktum auch über die engsten Probleme der Philosophie hinaus zieht, und uns dabei auf die Kunst berufen. Schließen wir nun diese Darlegung auch nicht eher, als bis wir wenigstens die eine Anwendung des Vorgetragenen durchgeführt haben: die auf die Welt des Schönen.

Nach ARISTOTELES hatte sich das Abstraktum zum Konkretum verhalten wie das Bildwerk zum rohen Stoff. Also kann umgekehrt die Gestaltung, welche der Künstler mit seinen Stoffen vornimmt, jener Tätigkeit gleich gehalten werden, durch welche der Logos aus dem ihm dargebotenen Vorstellungsstoff eine abstrakte Gestalt herausarbeitet. Und zwar ist leicht einzusehen, daß von jedem Künstler, nicht nur vom bildenden, das Nämliche ausgesagt werden kann.

Zur genaueren Rechtfertigung des Vergleichs achte man vor allem darauf, daß beide, Künstler wie abstrahierender Geist, unsere Aufmerksamkeit von all der Mannigfaltigkeit der gewöhnlichen Eindrücke ab und auf einige Seiten derselben, die gerade für den vorliegenden Zweck von vorzüglichem Wert sind, hin lenken. Dann merke man, wie diese beiderseitige  Isolierung  geschieht; hier wie dort nicht eine negative Bemühung um das, wovon abstrahiert, sondern eine positive Bemühung um das, zu dessen Gunsten abstrahier, worauf die Aufmerksamkeit gerichtet werden soll. Die Befreiung von ihren bisherigen Fesseln geschieht nicht durch ein Zerren an denselben, sondern durch andere, neue Fesseln, die uns das Abstraktum deutlich, das Kunstwerk lieb und fesselnd machen sollen. Was dort die psychische, im Näheren die logische Verstärkung war, ist hier ebenfalls eine, nur spezielle eine ästhetische. Insbesonders liegt hierin der Kern des künstlerischen Idealismus im guten und unerläßlichen Sinn. FRIEDRICH NIETZSCHE trifft den Nagel auf den Kopf, wenn er sagt (Götzendämmerung Seite 77): "Das Idealisieren besteht nicht, wie gemeinhein geglaubt wird, in einem Abziehen oder Abrechnen des Kleinen, des Nebensächlichen. Ein ungeheures  Heraustreiben  der Hauptzüge ist vielmmehr das Entscheidende, so daß die andern darüber verschwinden."

Soweit mag das Recht reichen, in der Kunsttätigkeit allgemein eine Abstraktion zu erblicken. Insbesondere war es das Idealisieren, welches dazu Anlaß gab; eine Hauptwirkung desselben, das Verwandeln des Individuellen ins Typische, mag die Verbindungskette auch am engsten zu schließen.

Allein gerade hier ist bekanntlich ein Wendepunkt vom Idealisieren im guten Sinn zum Idealisieren im schlechten Sinn. Des erkennenden Geistes Aufgabe ist es, zu immer höheren Abstraktionen vorzudringen, sein höchster Stolz die Mathematik; von der Kunst mag man dies nicht gern hören. Im Gegenteil wirft man ihr sehr bald un mit vielem Recht Abstraktheit vor, wo sie der konkreten Wirklichkeit treu bleiben soll. Gegenüber dem allzu Typischen, allzu isoliert Herausgebildeten verlangt ein berufener Naturalismus nach dem Individuellen der Wirklichkeit; das Weglassen des dem Künstler bisher Gleichgültigen sei ein Unrecht an der Natur, die ästhetische Verstärkung des von ihm Beliebten eine subjektive Verfälschung.

So ist die Abstraktion in dieser ihrer weiteren Anwendung nicht mehr das, was sie auf ihrem engeren Gebiet war; und sie wird zugleich zu einem unzweideutigen Kennzeichen dessen, worin sich Urteilskraft und Phantasie scheiden.


Zweiter Abschnitt
Die Grenzen von konkret und abstrakt

Das Verhältnis zwischen Konkretum und Abstraktum hatten wir bisher dadurch bestimmt, daß wir die Entstehung des einen aus dem andern nachwiesen. Indem wir nun dieses Werden aufgeklärt zu haben glauben, bleiben für unsere folgende Untersuchung noch die fertigen Ergebnisse.
Es fragt sich nun, ob wir beim Vergleich beider nicht wieder auf denselben Prozeß zurückkommen, der nach dem ersten Abschnitt die Abstraktion gebildet hatte; ob wir aus den mannigfaltigen Erklärungen, die man für den Unterschied abstrakter und konkreter Erscheinungen aufgestellt hat, nicht immer wieder denselben Vorgang der "logischen Verstärkung" bestätigt finden.

So verschiedene Begriffsbestimmungen der Abstraktion aufgezählt werden konnten, so verschieden sind auch die Bestimmungen jenes Unterschieds, es mag hier ebenfalls genügen, bezeichnende Fälle herauszugreifen.

Vor einer Erörterung der Objekte wie der subjektiven Projektionen derselben tut die Logik gut, sich über diejenigen Vermittlungen beider zu unterrichten, welche die Sprache darbietet. Inbesonders handelt es sich hierbei um die Namen.

In welcher Weise dieselben in konkrete und abstrakte zerfallen hat vorzüglich JOHN STUART MILL dargetan, nach einer Richtung freilich, die dem ersten Blick absonderlich erscheint. Im zweiten Kapitel des ersten Buchs seines "Systems der deduktiven und induktiven Logik" (übersetzt von THEODOR GOMPERZ, 2. Auflage, Leipzig 1884) behandelt § 4 die "zweite Haupteinteilung der Namen". "Ein konkreter Name ist ein Name, der einen Gegenstand bedeutet, ein abstrakter Name bedeutet das Attribut eines Gegenstandes".

Danach sind nicht nur Namen wie Tisch, Mensch usw. konkret, sondern auch weiß, alt und dgl.; denn sie sind alle auf Gegenstände (einschließlich Personen) gerichtet. Dagegen richten sich auf Attribute Namen wie Menschentum, Weiße, Alter usf.; diese sind abstrakt.

"Weiß" also wäre ein konkreter, "Weisse" ein abstrakter Name. Es scheint vorerst unerfindlich zu sein, welcher Unterschied hier bestehen soll; zumal wie eine so wichtige Verschiedenheit, die zwischen konkret und abstrakt, auf eine so äußerliche Weise ausgedrückt werden könne.

Noch sonderbarer wird diese Aufstellung, wenn man sieht, daß sie mit der Lehre desselben Verfassers von der Abstraktion, die er im zweiten Kapitel des vierten Buches gibt, nicht übereinstimmt, was MILL auch gar nicht leugnet, indem er an der ersteren Stelle (I, 2, 4) vielmehr gegen die neuere Übung streitet, abstrakt alle diejenigen Namen zu nennen, welche das Ergebnis der Abstraktion sind.

Betreffs letzterer steht MILL ganz in der Verallgemeinerungstheorie. Indem wir aber dieselbe bereits durch eine andere ersetzt zu haben glauben, erscheint es nicht unmöglich, daß wir noch MILLs Lehre von abstrakt und konkret unversehrt mit unserer Abstraktionstheorie vereinigen können.

Der nächstliegende Einwand nun ist wohl der, daß, wenn "Weisse" ein Attributsname ist, doch auch "weiß" einer sein muß. MILL sah den Einwand voraus und erledigte ihn mit Hilfe einer anderen Haupteinteilung der Namen, die er im Anschluß begründet. Er gibt nämlich zu, daß der Name "weiß" das Attribut in sich schließt, betont aber, daß er nicht in erster Linie darauf gerichtet ist; nur vom verwandten Abstraktum sei dies zu sagen. Denn es ist für einen Namen zweierlei: eine Bedeutung haben und eine Bedeutung einschließen. Ja dieser Unterschied erscheint so groß, daß er eine weit verbreitete Nameneinteilung begründet.

Ein Name kann sich entweder bloß im ersteren Fall oder in beiden Fällen befinden. Er kann eine Bedeutung (natürlich auch mehrere Bedeutungen) entweder nur schlechthin haben oder er aknn sie in einer solchen Weise haben, daß darin auf eine gewisse sekundäre Art noch eine andere eingeschlossen ist (beziehungsweise es mehrere sind). Dort spricht MILL von einem nicht-mitbezeichnenden oder nicht-konnotativen, hier von einem mitbezeichnenden oder konnotativen Namen. Ein nicht-mitbezeichnender Ausdruck ist ein solcher, der ein Subjekt allein oder ein Attribut allein bedeutet. Ein mitbezeichnender Ausdruck ist ein solcher, der ein Subjekt bezeichnet und ein Attribut in sich schließt. Unter Subjekt verstehen wir hier alles und jedes was ein Attribut besitzt."

So hat also "weiß" wie alle Eigenschaftsworte nicht die Bedeutung von Weiße usw., sondern bedeutet je einen Gegenstand (ein Subjekt) von dieser Eigenschaften und weist nur mittelbar auf dieselbe hin. Um unmittelbar auf sie hinzuweisen, dazu haben wir den Ausdruck "Weisse" oder dgl., der keinen solchen Einschluß besitzt und darum "nicht-mitbezeichnend" heißt.

So hat auch  Mensch  wie alle "konkreten allgemeinen Namen" nicht die Bedeutung von Menschentum usw., sondern bedeutet je ein Wesen von dieser Art, indem es mittelbar auf letztere hinweist, sie voraussetzt, sie in sich schließt, sie anzeigt, sie mitbezeichnet.

Das alles sind also mitbezeichnende oder konnotative oder denominative Namen. Nicht-mitbezeichnend sind dagegen vor allem diejenigen, welche direkt und einzig dasjenige zur Bedeutung haben oder bezeichnen, was bei jenen indirekt mitgemeint war. "Weisse" und "Menschentum" beziehen sich explizit auf diejenige Eigenschaft, welche in "weiß" und "Mensch" nur implizit getroffen war.

Nun sucht MILL nach einer Beziehung zur Einteilung in konkrete und abstrakte Namen. Er hat bereits gezeigt, daß "weiß" und "Weisse" sich nicht nur nach der einen, sondern auch nach der andern Haupteinteilung unterscheiden; so daß also ihr Auseinanderhalten doch schon weniger sinnlos erscheint. Jetzt verstehen wir wohl ganz gut, was MILL zu seiner Verteidigung vorbrachte: der Schnee ist weiß, aber keine Weiße; dagegen ist Weiße die Farbe des Schnees. Wir verstehen jetzt auch umgekehrt manche Sonderbarkeiten der auf die Bezeichnung gegründeten Haupteinteilung.

Es scheint nämlich, daß Ausdrücke, die nur  einen  Gegenstand, überhaupt nur  ein  Subjekt meinen, alle nicht-mitbezeichnend sind. Denn nur Gattungsnamen, nicht aber Einzelnamen scheinen Attribute in sich zu schließen. Das ist aber nicht der Fall. Eigennamen tun es als solche allerdings nicht, wenn sie auch ihren (geschichtlichen) Ursprung der Rücksicht auf ein Attribut verdanken mögen. Sie sind "bedeutungslos", d. h. mitbezeichnungslos.

Aber Eigennamen sind nicht die einzigen Ausdrücke für einen Gegenstand. Wir können demselben auch Namen geben, die nicht im letzterwähnten Sinn "bedeutungslose" sind. Es kann ein Philosoph die Buchstabengruppe ARISTOTELES als Bezeichnung tragen, welche gar keine Bedeutung mehr involviert, d. h. nicht mitbezeichnend ist. Aber er kann auch "der Verfasser der Nikomachischen Ethik" heißen; ein Ausdruck, der zweierlei bedeutet: erstens einen gewissen Menschen und zweitens etwas, was von ihm auszusagen ist. Den ersteren will der Ausdruck bezeichnen, das letztere will er mitbezeichnen.

So können wir einer Person oder einer Sache beliebig sowohl einen nicht-mitbezeichnenden als auch einen mitbezeichnenden Namen geben und sagen dann vom ersteren, er bedeute nichts oder sei nicht "bezeichnend", vom letzteren aber, er bedeute ganz wohl etwas und sei mehr minder bezeichnend; wobei wir freilich die strenge Terminologie mit einer leichteren vertausch haben. Besonders nahe treten sich die beiden Namensarten, wenn jemand neben seinen bürgerlichen Namen (Vor- und Familiennamen) noch einen sogenannten "nom de guerre" oder "Spitznamen" trägt. Der erstere ist dann nicht-mitbezeichnend, der letztere aber wohl. Ja, es kann unter Umständen auf ähnliche Weise sogar der bloße Eigenname an sich oder durch einen Zusatz aus einem nicht-mitbezeichnenden zu einem mitbezeichnenden gemacht werden.

Kehren wir zu MILLs eigenen Ausführungen zurück. Er kreuzt die beiden Einteilungen der Namen, so daß wir die vier daraus entstehenden Gruppen folgendermaßen kennzeichnen können:
    - Konkret und nicht-mitbezeichnend sind bloß die "bedeutungslosen" Einzelnamen, d. h. die Eigennamen;

    - Konkret und mitbezeichnend sin alle allgemeinen Gegenstandsnamen und "bedeutungsvollen", "bezeichnenden" Einzelnamen;

    - Abstrakt und nicht mitbezeichnend sind die Namen von Attributen kurzweg;

    - Abstrakt und mitbezeichnend sind diejenigen Namen, welche das eine Attribut meinen, aber zugleich noch ein anderes einschließen, als die "bedeutungsvollen", "bezeichnenden" Attributsnamen.
So viel aus dem und im Sinne dessen, was MILL selbst zur Klärung seines Unterschiedes zwischen abstrakt und konkret vorbringt. Noch das ganze übrige zweite Kapitel des ersten Buchs trägt Neues zu dieser Aufklärung bei.

Wenn wir nun seine Ansicht als eine Unterstützung und Bereicherung der unsrigen verwenden wollen so scheint es vorteilhaft, doch noch zu versuchen, ob jene Ansicht auch durchaus haltbar ist. Umso mehr, als mancher eine solche scheinbar haarspalterische Unterscheidung vielleicht demjenigen zugesteht, der bloß Sprachliches behandelt, wie eben an dieser Stelle MILL, nicht aber dem, der ins Wesen geistiger Tätigkeiten eindringen will, wie es bei unserer Aufgabe geschehen soll.

Vor allem müssen wir uns gegen einen Einwand wehren, dessen MILL selbst nicht geachtet hat. Es mag nämlich jemand darauf hinweisen, daß der Sprachgebrauch sowohl zu sagen erlaubt: "Der Schnee ist weiß", als auch: "Die Farbe des Schnees ist weiß!" Damit aber falle MILLs Behauptung, daß der Name "weiß" in gerader Richtung nur Gegenstände bezeichne, nur von Gegenständen ausgesagt werden könne, in sich zusammen; denn hier werde er doch ausdrücklich von einem Attribut, nämlich der Farbe des fraglichen Gegenstandes, prädiziert, bezeichne es direkt, nicht nebenbei in der Mitbezeichnung.

Sprachliche Gegeninstanzen sind nun wohl das Letzte, was einen Logiker erschüttern kann. Es ist hier nicht das erstemal, daß der Sprachgebrauch einfach etwas Unrichtiges sagt und daß die Logik Schritt für Schritt vor ihm auf der Hut sein, sich über ihn, nicht unter ihn stellen muß. Fragen wir also, ob jener Satz logisch berechtigt ist oder nur eine falsche Äquivokation [Mehrdeutigkeit - wp].

Suchen wir für diesen Zweck zu jener Aussage Analoga! So könnte man etwa sagen: "Der Geschmack des Zuckers ist süß"; "die Haupttugend des ARISTIDES war gerecht". Schon der letztere Fall dürfte stutzig machen und die Willkür der Sprache verraten.

Aber noch bedenklicher wird die Sache, wenn wir uns die Subjekte dieser Sätze näher ansehen. Daß wir statt "die Farbe des Schnees" einsetzen können "die Weiße" und zwar sowohl, indem wir die erstere von letzterer aussagen als auch umgekehrt, wird wohl der Einwandsteller nicht leugnen. Ebenso statt "der Geschmack des Zuckers": "die Süßigkeit" und statt "die Haupttugend des ARISTIDES": "die Gerechtigkeit".

Also wäre die Weiße weiß, dies Süßigkeit süß, die Gerechtigkeit gerecht. Nichts scheint einfacher, selbstverständlicher.

Es scheint aber sogar allzu selbstverständlich zu sein. Wenn es schon mit irgendeinem Recht gesagt werden könnte, so würde es eine Tautologie sein; denn eine Weiße, die nicht weiß, eine Süßigkeit, die nicht süß, eine Gerechtigkeit, die nicht gerecht wäre, das ist einfach keine Weiße, Süßigkeit, Gerechtigkeit mehr (im Sinne des Gegners gesprochen), sondern nur eine in äquivoker Bedeutung, wie falscher Freund kein Freund, Kartenkönig kein König ist. Nenne ich dagegen den Schnee weiß, den Zucker süß, den ARISTIDES gerecht, so ist es keine Tautologie mehr.

Aber wir dürfen nicht einmal so weit gehen. Denn jener Satz kann überhaupt mit keinem Recht ausgesagt werden. Sowenig als eine Tätigkeit sich selbst ausüben, also z. B. das Essen essen kann (worauf FRIEDRICH HARMs "Logik", herausgegeben von WIESE, Leipzig 1886, Anm. 179, Seite 294, aufmerksam macht), so wenig kann ein Attribut sich selbst zum Attribut haben.

Nicht als ob ein Attribut überhaupt kein Attribut haben könnte. Eine Gerechtigkeit kann stark oder schwach, austeilend oder ausgleichend usw. sein. Aber gerecht?

Unser Gegner wird zugeben, daß man Menschen und Handlungen jedenfalls, bei gegebener Gelegenheit, gerecht nennen darf. Und zwar deswegen, weil sie zu etwas hinführen oder von etwas ausgehen, was mit gutem Grund Gerechtigkeit heißt. Soll nun auch das Attribut "Gerechtigkeit" gerecht genannt werden, so könnte es dann doch nur aus demselben Anlaß sein: die Gerechtigkeit müßte zu etwas hinführen oder von etwas ausgehen, das Gerechtigkeit heißt. Allein wir nennen "Gerechtigkeit" doch das, wozu jene Subjekte hinführen oder worauf sie zurückzuführen sind; folglich kann der Sprachgebrauch kein einheitlicher sein, sondern muß im einen Fall als ein falsch äquivoker angesehen werden.

Man erwidere nicht, daß Identitätsurteile doch erlaubt seien. Das Urteil "Gerechtigkeit ist gerecht" ist kein solches; denn sonst könnte man auch sagen: "Gerecht ist Gerechtigkeit". Das wird aber kaum jemand sagen. Das fragliche Identitätsurteil lautet vielmehr: "Gerechtigkeit ist Gerechtigkeit". Ja überhaupt: daß beide Begriffe wirklich identisch seien, das wird gerade der Vertreter des Sprachgebrauchs nicht behaupten dürfen, denn sonst hätte ja die Sprache überhaupt nicht den Unterschied zwischen dem Adjektiv und einem substantivierten Adjektiv oder adjektivischen Substantiv gemacht. Genug wenn der Gegner nicht mit dem Satz kommt: "Der Gerechte ist (die) Gerechtigkeit". Denn falls "gerecht" und "Gerechtigkeit" identisch wären, so müßte er in dem Satz: "Der Gerechte ist gerecht" für gerecht ohne weiteres "Gerechtigkeit" einsetzen können. Das tut er aber nicht. Folglich ist auch jene Identität nicht vorhanden.

Sowenig also die Gerechtigkeit gerecht ist, sowenig ist die Süßigkeit süß und die Weiße weiß; ebensowenig aber ist die Farbe des Schnees weiß, wenn auch der gewöhnliche Sprachgebrauch in dieser Form weiterbestehen mag, gleich dem Ausdruck des Wanderers: "Es kommt eine Steigung des Weges" oder selbst des Astronomen: "Die Sonne geht auf".

Hatten wir uns gegen eine Sprachgewohnheit, die nicht folgerichtig auf alle ähnlichen Fälle ausgedehnt werden konnte, zu verteidigen, so wird eine folgerichtige Gewohnheit der Sprache wenigstens eine Wahrscheinlichkeit für uns erbringen. wir können uns nämlich auf die vorige Behauptung stützen, daß die Sprache doch gewiß keinen so allgemeinen Unterschied zwischen dem Eigenschaftswort und dem von ihm abgeleiteten Hauptwort gemacht hätte, wenn nicht auch eine logische Verschiedenheit dazwischen bestände.

Jene sprachliche Scheidung findet in einem ausgedehnten Maß statt.

Wer nicht schon die Fälle, in welchen das Adjektiv, und die, in welchen sein Hauptwort angewendet wird, geradezu herausfühlt, der fragte sich nur einmal, wenn er Notizen über den sowohl in "gerecht" als in "Gerechtigkeit" liegenden Begriff sammeln will, unter welchen Gesamttitel er sie wohl einreihen werde. Das Blatt, das er sich dazu anlegt, wird sicher nicht die Aufschrift tragen "Gerecht", sondern "Gerechtigkeit". Er wird aber dann sein Blatt mit "Gerecht" überschreiben, wenn er Menschen oder Taten zusammenstellen wir, die ein solches Prädikat verdienen.

Dringen wir noch tiefer in die alltägliche Redeweise ein, so werden wir beispielsweise finden, daß Personen oder Vereine ihren Wahlspruch, wenn er von Eigenschaften handeln soll, meist in der Form der konkreten, mitbezeichnenden Namen ausdrücken: "Beharrlich und gerecht"; "Frisch fromm fröhlich frei" und dgl. Sollte trotzdem irgendwo statt des Gegenstandsnahmens der Attributsname gewählt werden, so ist sicher anzunehmen, daß irgendein "höherer geistiger Zweck" dabei im Spiel ist: ein "philosophische", ein "abstrakter".

Genug Berufung auf den Sprachgebrauch! Der Streit läßt sich auch durch die Einsicht in die logischen Verhältnisse selbst lösen. Dazu ist es gut nachzuforschen, woraus denn die gegnerische Meinung entstehen mag, daß z. B. "weiß" und "Weiße" mit Unrecht so wesentlich auseinandergehalten werden.

Vor allem wird ein wichtiger Beweggrund darin liegen, daß wir gewöhnt sind, in der überwiegenden Zahl von Fällen ein Konkretum mit einem Konkretum oder ein Abstraktum mit einem Abstraktum zu vergleichen, insbesondere Konkreta unter sich. Wir bemühen uns z. B., Farbstufen zu sondern; und wenn uns die Unterscheidung eines reinen Weiß von einem gelblichen Weiß gelungen ist, so sind wir leicht verwundert über die Zumutung, auch noch Weiß mit Weiße in Beziehung zu setzen.

Weiter haben wir im gewöhnlichen Leben mit den Attributen "weiß" usw. nur insofern zu tun, als sie einem Körper angehören; dazu brauchen wir eben die Konkreta, nämlich die Eigenschaftswörter. Ja noch mehr: die Vorstellung des Körpers verläßt uns nie, wenn wir das Attribut selbst vorstellen wollen. Abstrakte Vorstellungen sind eben "supraponierte" und können sich ohne "Fundament" nicht halten. Haben sie aber wegen dieser psychologischen Unselbständigkeit keinen selbständigen logischen Wert? Oder noch näher gesprochen: Ist die Abstraktion, beziehungsweise der Gebrauch eines abstrakten Namens wegen der damit verbundenen Schwierigkeiten überhaupt nicht auszuführen?

Wir kämen bei weiterer Verfolgung dieses Problems tief in das ganz nah verwandte von Materie und Form hinein. Es mag hier genügen nur anzudeuten, daß in der Richtung der ersteren das Konkrete, in der Richtung der letzteren das Abstrakte zu suchen ist, um zu zeigen, daß sich eine wesentliche Unterscheidung abermals zwischen dem Konkretum und seinem zugehörigen Abstraktum auftut.

Ein anderer Anlass zum Irrtum der Gegner mag in folgender weit verbreiteter Täuschung des Denkens liegen, welche JOHN STUART MILL (Logik I, 3, 9) anführt: "die Neigung, überalle, wo wir zwei Namen antreffen, die nicht völlig gleichbedeutend sind, vorauszusetzen, daß sie die Namen zweier verschiedener Dinge sein müssen; während sie in Wahrheit Namen desselben Dings sein können, das von zwei verschiedenen Gesichtspunkten aus betrachtet wird, was so viel heißt wie unter verschiedenen Voraussetzungen in Bezug auf die es umgebenden Umstände" (wozu Gegenstücke in Logik I, 4, 1 gegen Ende und V, 7, 2, Seite 217 erscheinen). Sind also "weiß" und "Weiße" verschiedene Namen, so scheinen es auch, einerseits, die damit benannten Dinge zu sein, während doch der eine ein Ding, der andere etwas anderes als ein Ding meint; und andererseits scheinen die von ihnen gemeinten (dort sekundär hier primär gemeinten) Attribute verschiedene zu sein, sind aber doch in Wirklichkeit nur ein und dasselbe.

Wiederum steht mit diesem Denkfehler ein anderer die Abstraktionslehre verwirrender Umstand im Zusammenhang: die oft so beklagte Gewohnheit vieler Philosophen, den Produzenten der Abstraktion ein dingliches Dasein zuzuschreiben, sie zu personifizieren, sie als Prinzipien zu fassen (vgl. MILL, Anhang zum 5. Kap. des III. Buches; V, 3. § 4 und 7, siehe auch II, 2, 3, Anmerkung, Seite 205 Mitte). Finden wir nun heute kein für sich Seiendes, keine Substanz mehr, wenn wir nach dem suchen, was "Weiße" heißt, so sind wir leicht wieder entmutigt.

Am meisten aber verführt der Umstand, daß bei beiden der wichtigste Inhalt gleich ist. Zwar geht "weiß" in seiner Anwendung zuerst auf den bezeichneten Gegenstand und dann erst auf das mitbezeichnete Attribut; betrachten wir aber den Namen "weiß" nicht nach seiner sprachlichen Verwendung, sondern für sich, so sind uns die möglichen Gegenstände, welche ihm subsumiert werden können, gleichgültig, und die Mitbezeichnung die Hauptsache. Er näher sich unter solchen Umständen sogar dem Abstraktum. Die Aufmerksamkeit fällt hüben wie drüben auf die gleiche Bedeutung: dort auf die Mitbezeichnung, hier auf die Bezeichnung. Das zeigt sich besonders in der Möglichkeit Konkretum wie Abstraktum gleicherweise als differentia spezifica zu gebrauchen (MILL I, 7, 5). Und im ersten Abschnitt dieser Schrift selbst wurde "Rot" häufig gleichbedeutend mit Röte gebraucht.

Wenn wir also unseren Autor immer wieder darauf zurückkommen sehen, daß die Bedeutung oder Bezeichnung des abstrakten Namens einerseits und die Mitbzeichnung des konkreten Namens andererseits ein und dasselbe sind (besonders im 5. Kapitel des I. Buches, §§ 4, 5, 7); daß zumal die Definition eines konkreten Namens und des zugehörigen abstrakten auf das Nämliche hinausläuft (IV, 4, §§ 2 und 3): so wird man sich über die Verwunderung, was denn für ein Unterschied zwischen "weiß" und "Weiße" sein soll, nicht mehr wundern und schließlich auch nicht mehr über daraus folgende Mißverständnisse, wie z. B. MILL eines davon (in der Anmerkung zu § 5 des 5. Kap. im I. Buch) von HEGEL nachweist.

Aus all dem ist klar, daß "weiß" und "Weiße" sich gar wohl unterscheiden, wie überhaupt zwei Phänomene, die Gleiches unter verschiedenen Gesichtspunkten oder Formen darbieten, oder die gar nur  ein  Gemeinsames Haben, das aber inhaltlich das eine Phänomen ganz erschöpft. Wie eine Orgel ihre Register hat, mit welchen sie den Klangfarben vieler anderer Instrumente gleichkommt, ohne jedoch diese selbst zu sein, so hat das Konkretum seine Mitbezeichnung.

Nachdem so die Unterscheidung des englischen Logikers zwischen konkret und abstrakt (übrigens auch von JEVONS geteilt) hinlänglich gesichert erscheint, können wir untersuchen, in welcher Weise sie mit den Ergebnissen unseres ersten Abschnitts zusammentrifft.

Wie unterscheidet sich also danach das Konkretum vom entsprechenden Abstraktum? Beide haben eine Beziehung auf ein Attribut (eine Form) und zwar auf ein gleiches; nur ist diese Beziehung auf das nämliche Ziel verschieden gerichtet: beim Konkretum ist sie eine mittelbare, indirekte, sekundäre, beim Abstraktum eine unmittelbare, direkte, primäre; dort, um mit ARISTOTELES zu reden,  kata symbebekos  [per Zufall - wp], hier  kat auto  [von selbst - wp] Denn was dort nur Mitbezeichnung war, ist hier die Bezeichnung selbst.

Das Eine, Gleiche, was hier in unserer Auffassung ungeschwächt durch eine übergeordnete Beziehung, wenn auch vielleicht geschwächt durch eine untergeordnete Beziehung (Mitbezeichnung des Abstraktums) liegt, ruht dort zwar ebenfalls in unserer Auffassung, aber geschwächt durch eine übergeordnete Beziehung, d. h. durch das, was der konkrete Name direkt bezeichnet. Der Unterschied liegt im Rang, welchen das fragliche Attribut beim Konkretum und dem Rang, welchen es beim Abstraktum einnimmt: dort ist ein schwächerer, hier ein stärkerer Bestandteil unseres auf den Namen gerichteten Bewußtseins.

Von einem Rang zum andern führt also eine Wendung des Bewußtseins gegenüber seinem Objekt, die eine psychische ode logische Verstärkung genannt werden kann; und das war ja der Prozeß der Abstraktion. Ich erhebe die Mitbezeichnung zu einer Bezeichnung schlechthin, indem ich sie logisch verstärke.

Wie wir schon seinerzeit gesehen haben, daß diese logische Verstärkung nicht ohne eine gleichzeitige negierende Tätigkeit vor sich gehen kann, so erfahren wir es auch hier: die Kosten jener Verstärkung der Mitbezeichnung zur Bezeichnung muß die ursprüngliche unmittelbare Bezeichnung tragen, der Gegenstand des konkreten Namens weicht seinem Attribut. Die Seele hat extensiv verloren, was sie intensiv gewann.

Gehen wir nun, statt vom Konkretum zur Abstraktion, vielmehr vom Abstraktum zur Konkretion, so können wir leicht das umgekehrte Verhältnis beobachten. Wir mindern die Kraft, mit welcher wir das Attribut festhalten und mehren dafür das, was wir überhaupt festhalten wollen. Hatten wir dort extensiv etwas wegnehmen müssen, so legen wir hier etwas zu. Der  aphairesi s [Abstraktion - wp] des ersteren Weges entspricht im letzteren eine  prosthesis  [Hinzufügen oder Voranstellen einer Silbe oder eines Buchstaben - wp]. Zum Attribut wird eine Bezeichnung, eine unter vielen möglichen gesetzt (ARISTOTELES, Metaphysik III, 2,§ 26, Seite 1077 b, 10f).

ARISTOTELES hätte die hier stattfindende Relation zwischen dem Bereich des Konkretums und dem des Abstraktums nicht besser beleuchten können, als durch seine Entgegensetzung von  aphairesis  und  prosthesis;  nur daß er eben bloß den Bereich, nicht aber die Stärke der betreffenden Seelentätigkeit berücksichtigt hat, bloß das Negative der Abstraktion (und Positive der Konkretion), während unsere Erwägungen gezeigt haben, daß dasselbe nur eine Folgeerscheinung des Positiven in der Abstraktion (beziehungsweise des Negativen in der Konkretion) sein kann. Er lehrte die extensive  aphairesis  und  prosthesis  und seine Lehre bedarf der Ergänzung durch den Hinweis auf eine intensive  aphairesis  und  prosthesis. 

Wir würden dann bei Verfolgung dieser erweiterten Theorie einsehen, wie der Aufstieg von einer mehr konkreten zu einer mehr abstrakten Wissenschaft, z. B. von der Physik zur Mathematik, nicht nur durch Weglassung dessen geschieht, was die Begriffe und Sätze der ersteren bezeichnen, sondern auch, und zwar in erster Linie, durch eine Erhöhung dessen, was sie mitbezeichnen.

Mit dem Bisherigen waren wir über MILLs sprachliche Unterscheidungen hinaus bereits zu solchen über die Begriffe selbst vorgedrungen. Was an Aufstellungen der letzten Art noch bleibt, hat nicht mehr viel typischen Wert.

So läßt sich noch im Anschluß an die Erklärungen dieses Abschnitts auch ein Unterschied machen zwischen den sogenannten benannten und unbenannten Zahlen wie zwischen konkreten und abstrakten. Die unbenannte Zahl meint oder bezeichnet nur die betreffende Zahlgröße; die benannte dagegen zunächst die Gegenstände, welche sie angibt, schließt aber die Zahlgröße ein oder bezeichnet sie mit, so daß sie sich wie Eigenschaftswörter verhalten. Was bei diesen die Bezeichnung war, ist dort die Benennung; also wieder die  prosthesis. 

Wenn wir noch andere Arten aufsuchen, nach welchen die Umfänge der Begriffe "konkret" und "abstrakt" gegeneinander abgegrenzt werden, so fällt uns zunächst ein Gebrauch auf, welcher nicht mit der bezüglichen Lehre von MILL zusammentrifft, aber doch gerade auch von ihm angewendet wird. Am Schluß des sechsten Kapitels im fünften Buch spricht er von "jenen Fällen, in denen ein Grundsatz, der (wie man zu sagen pflegt) abstrakt, das heißt, von allen modifizierenden Ursachen abgesehen, wahr ist, so behandelt wird, als wäre er bedingungslos wahr und als könnte kein modifizierender Umstand jemals möglicherweise vorhanden."

Es scheint fast, als hätte der Verfasser seine eigene Theorie von "konkret" und "abstrakt" wieder vergessen. Er mag sich vielleicht auch mit vollem Wissen nur einmal der üblichen Redeweise ("wie man zu sagen pflegt") angeschlossen haben. Allein es bedarf unsererseits keiner langen Vergleichung, um auch das erklärt zu haben. Ein solcher Unterschied nämlich zwischen dem Konkretum, das alle modifizierenden Ursachen mitbegreift und dem Abstraktum, das von allen denselben absieht, fällt nur wieder mit einer Spezies von Abstraktion zusammen, die wir bereits im ersten im ersten Abschnitt kennen gelernt hatten: denn will ich mich von der konkreten Betrachtung irgendeines Phänomens einschließlich aller modifizierenden Ursachen erheben zu einem abstrakten Grundsatz, der das Phänomen ohne dieselben unter sich faßt, so wird mir das Absehen von ihnen, ihre  aphairesis,  nur durch ein verstärktes Hinsehen auf die hauptsächliche Beziehung, um welche es sich sowohl in der konkreten Betrachtung als auch im abstrakten Grundsatz handelt, möglich. Jene Ursachen sind gleichsam die Bezeichnung, welche fällt, sobald die Mitbezeichnung in der Abstraktion zur selbständigen Bezeichnung geworden ist. Damit wäre dann zugleich auch in einem Beispiel darauf hingedeutet, daß eine Erörterung der Grenzen von "konkret" und "abstrakt" bei Sätzen in denselben Geleisen bleiben dürfte, welche sie bei den Namen und Vorstellungen (Begriffen) eingeschlagen hat.

Endlich nach den Bestätigungen des im ersten Abschnitt Durchgeführten ein notwendiger Abschluß der Beschreibung und Erklärung dessen, was mit der "logischen Verstärkung" gemeint sein soll.

Es ist von vornherein anzunehmen, daß dieser Vorgang nicht etwa auf bestimmte Grade oder Höhen angewiesen sei, sondern sich in den verschiedensten Lagen bewegen, ja sogar eine seelische Erscheinung ergreifen könne, die selbst bereits das Produkt eines ebensolchen Vorgangs von früher her wäre. Wenn nun unser Prozeß sich in derselben Richtung mehrmals zu wiederholen vermag, so muß es Vorstellungen (oder Begriffe) geben, die heute abstrakt waren gegenüber einem Konkretum, aus welchem sie herausgehoben sind und morgen wieder konkret werden, indem man ihnen ein anderes Abstraktum entnimmt.

In der Tat gibt es solche Fälle. Wir hatten selbst z. B. in König KARL zuerst ein Konkretum gegenüber dem abstrakten König ansich und dann wieder ein Abstraktum gegenüber dem sitzenden, gehenden, reitenden König KARL.

Aber auch bei den landläufigen Bestimmungen beider Begriffe finden sich Anlässe zu diesem Wechsel der Beziehung. Insbesondere ist die Verallgemeinerungs-Theorie damit im Einklang. So sagt ROBERT ZIMMERMANN ("Philosophische Propädeutik", 2. Auflage, 1860, § 32): "Der übergeordnete Begriff, der im Inhalt der untergeorneten liegt und aus ihnen durch Heraushebung des Gemeinschaftlichen gewonnen ist, heißt insofern der abstrakte (allgemeine), die untergeordneten konkrete (besondere) Begriffe". "Der übergeordnete heißt insofern der Gattungs-, die untergeordneten dessen Artbegriffe; das Verfahren selbst Abstraktion": Hier wäre also die Relativität des Unterschieds, die wechselnde Höhe, in welcher die Abstraktion ("Heraushebung" = "logische Verstärkung"!) einsetzt, ohne weiteres ersichtlich.

Eine der bündigsten Zusammenfassungen dessen, was alles gewöhnlich unter Abstraktion gemeint ist, bringt ANTON MARTY ("Über den Ursprung der Sprache", Würzburg, 1875, Seite 149): "Ich verstehe ... unter konkreten und abstrakten" Vorstellungsinhalten "nicht bloß die Einzelvorstellungen gegenüber den allgemeinen oder den Begriffen, sondern auch solche, die ein Ganzes, wie es wirklich vorkommt, mit allen Eigenschaften zum Inhalt haben, gegenüber solchen, die sich nur auf irgendeine Seite oder Eigenschaft desselben beziehen, welche für sich allein nicht existieren kann".

Vom ersteren Fall ist die Relativität wohl ebenso deutlich wie vorhin bei ZIMMERMANN. Nur mit dem zweiten hat es seine Schwierigkeit. So, wie wir vom konkreten Ganzen eine Seite oder Eigenschaft (einen metaphysischen, auch logischen Teil) desselben abstrahieren können, so scheint es können wir die letztere nicht wieder zu einem konkreten Fundament einer supraponierten [überlagerten - wp] Abstraktion machen. Denn nur mit dem Zusatz der Unmöglichkeit, für sich allein zu existieren, war ein solcher Teil des Ganzen abstrakt genannt worden.

Aber wenn sich auch das vorige Abstraktum nicht neu in ein Konkretum verwandeln kann, so vermag es trotzdem neue Zweige de Abstraktion anzusetzen. Denn wir unterscheiden beispielsweise an der Haltung des Menschen als an einem neuen Ganzen wieder besondere Teile: ihre Anmut, ihre Ähnlichkeit mit anderen usw.

Das wäre ein eigenartiges Gegenstück zum vorigen Fall. Hatten wir dort eine Abstraktion (eine abstrahierende Veränderung) des früher abstrakt gewesenen Konkreten, so haben wir jetzt eine Abstraktion aus dem ein für allemal Abstrakten. Kann ja doch auch von den mitbezeichnenden abstrakten Namen MILLs die Mitbezeichnung abermals in eine direkte Bezeichung überführt werden!

Diese Fälle der mehrfachen Abstraktion sind so wichtig, daß sie dem höheren Geistesleben dasjenige erst zugänglich machen, was durch die einfache Abstraktion nur vorbereitet war. Schon früher hatten wir eine geringere Konkretheit und Abstraktheit bei Wissenschaften, die aufeinander folgen, angedeutet. Nun lassen sich aber alle Wissenschaften in eine solche Reihenfolge bringen, immer eine die andere an Abstraktheit überbietend, wobei freilich der zweite Fall, die Abstraktion aus dem Abstrakten, eher als der erste Fall, die Abstraktion aus dem Konkreten, das früher abstrakt war oder das in anderer Hinsicht abstrakt sein kann, anzurufen wäre. -

Dies ist die letzte Bereicherung unserer Lehre. Was noch aus der vergleichenden Psychologie über die Unterschiede und Entwicklungen in den menschlichen Fähigkeiten zum Prozeß der logischen Verstärkung beigebracht werden kann - worunter wohl die Psychogenesis (vgl. WILHELM PREYER, "Die Seele des Kindes", 2. Auflage, Leipzig 1884, Seite 318) das meiste leisten dürfte - wäre nicht nur eine Erweiterung, sondern wohl auch eine Bestätigung unserer Theorie im Einzelnen. Allein es mag genügen, die Aufmerksamkeit darauf gelenkt zu haben.
LITERATUR - Hans Schmidkunz, Über die Abstraktion, Halle/Saale 1889