H. CorneliusE. FränkelW. MackensenF. MauthnerW. Wundt | ||||
Unvollkommenheiten der Abstraktionen (1)
Zwar verkündigte der berühmte KANT schon im Jahre 1796, in der Berlinischen Monatsschrift: "den nahen ewigen Frieden in der Philosophie" (2). Er gründete diesen ewigen Frieden auf die Gewißheit der nahen allgemeinen Annahme seiner kritischen Philosophie, und besonders auch des von ihr ausgesprochenen moralischen kategorischen Imperativs, welche er sich damals mit ihrer Notwendigkeit dachte, und folglich a priori unwidersprechlich zu sein glaubte. Er setzte freilich die ausdrückliche Bedingung hinzu: "wenn man sich einander versteht." (3) Dieses Verstehen hielt er damals für sehr leicht, da ihm in seiner Philosophie alles, a priori und in seinem Gemüt, als völlig fest und evident vorkam. Aber leider! die in der kritischen Philosophie so sehr herabgesetzte Erfahrung hat seitdem bewiesen, daß diese Philosophie, und der darauf gebaute transzendentale Idealismus nur noch von sehr Wenigen in ihrer Reinheit angenommen wird, daß vieles davon gar nicht mehr gilt, daß sogar über den eigentlichen Sinn der wichtigsten Lehren dieser Philosophie, sowohl unter ihren Gegnern als auch unter ihren Verteidigern, im eigentlichen Verstand, beinahe so viele Köpfe wie Sinne sind. Wer diese Unfälle der neuen und neuesten apriorischen Philosophien aufmerksam und unparteiisch betrachtet, wird kaum leugnen können, daß die tiefsinnigen Köpfe uns deswegen so viel versprachen, und so wenig hielten, weil sie sich in ihre Abstraktionen verwickelten. Um sich aus den Labyrinthen der abgezogenen Begriffe herauszufinden, womit sich ihre transzendentale Philosophie allein beschäftigt, ist der leitende Faden abgerissen und bis jetzt noch nicht wieder geknüpft. Niemand, der sich einigermaßen mit Philosophie beschäftigt hat, wird leugnen, daß um zu bestimmten philosophischen Begriffen zu gelangen, es nötig ist, sowohl in den Wahrnehmungen wie auch in den Reflexionen und Urteilen genau zu unterscheiden, was unterschieden werden muß. Ferner wird auch niemand leugnen, daß man diese Verschiedenheiten, sie mögen nun durch die Sinne, oder durch die Denkkraft gefunden worden sein, voneinander absondern, und jeden bemerkten Teil des Ganzen, oder jede gefundene einzelne Beschaffenheit eines philosophischen Objekts, einzeln vor sich und abstrahiert von allen übrigen, betrachten muß, damit man jedes genauer erforschen kann. Nicht nur jede Philosophie ist voll von Abstraktionen, sondern auch selbst im gemeinen Leben macht der Nichtphilosoph mehr Abstraktionen, als er vielleicht denkt. Daß also abstrakte Begriffe teils notwendig, teils unvermeidlich sind, wird nicht bestritten. Nun wäre zu fragen: Wie vielerlei Begriffe in abstracto gibt es? Wie entstehen sie? Gibt es nur eine erlaubte Art, sie zu formieren, oder sind die Arten, wie sie sich im Gemüt bilden können, sehr vielfältig? Die theoretischen Philosophen haben von jeher die Arten der Abstraktion verschieden eingeteilt, und von Abstraktionen neue Abstraktionen abstrahiert. Da formierten die alten Logiker eine abstractio realis und eine abstractio rationis, eine abstractio ultimata, eine formalis und objektiva, eine pura und impura, usw. In unserer Zeit haben nicht nur die kritischen, sondern auch mehrere der von ihnen abweichenden Philosophen den größten Vorzug ihrer Philosopheme in immer neu vermehrte Abstraktionen gesucht (4), ja Herr MACKENSEN, ein nun verstorbener kritischer Philosoph, ist so weit gegangen, zu bemerken, daß diese neue Philosophie, ansich, ohne das was er Abstraktion nennt, - nichts mehr als ein Spiel mit Begriffen ist (5). Um nun das, was er für ein Herz und Geist verzehrendes Spiel hält, evident und seelenerhebend zu machen, behauptet er, da "nur in der Abstraktion Wahrheit ist" (6), und glaubte im menschlichen Gemüt sogar ein ganz neues besonderes Abstraktionsvermögen entdeckt zu haben, vermöge dessen er meinte, das Innerste des Wesens der Dinge unmittelbar, und ohne Worte und Begriffe dergestalt zu ergründen, daß "das Wesen der Vorstellung, das Wesen des Gegenstandes ist." (7) Es würde ebenso unnütz sein, Bedeutung und Wert oder Unwert der oben erwähnten scholastischen Einteilungen der Abstraktionen auseinander zu setzen, als die Nichtigkeit der Erschaffung eines besonderen Abstraktionsvermögens ohne Worte und Begriffe zu zeigen, eines eingebildeten Vermögens, welches ungefähr ebensoviel ist, als ein ursprüngliches Vorstellen, oder eine intellektuelle Anschauung, d. h. als ein inneres Licht, das nur dem leuchtet, der es trägt. Dergleichen philosophische Erdichtungen sind nichts als leere Notbehelfe, die uns nicht um einen Schritt weiter bringen. Ebenso unfruchtbar scheinen mir die verschiedenen Streitigkeiten der Philosophen, wie Abstraktion zuerst entstanden ist; denn es sucht nur jeder den Ursprung der Abstraktion so herzuleiten, wie es seinem abstrakten System am zuträglichsten ist. LOCKE fand es zuträglich, in seinem berühmten "Versuch über den menschlichen Verstand", anzunehmen, daß die allgemeinen Begriffe durch Abstraktion vom Einzelnen entstanden sind, da man nämlich durch ein Auffassen desjenigen, was mehreren Individuen gemein ist, und eine Weglassung desjenigen, was an ihnen verschieden ist, den Begriff der Art gebildet hat, und dann aus der Ähnlichkeit der Arten auf eben die Weise den Begriff der Gattung. Diesem widersetzte sich LEIBNIZ (8) und behauptete das Gegenteil: so wie auch Herr MACKENSEN (9), weil beide es ihren sonst so sehr verschiedenen Systemen bequemer fanden, die allgemeinen Begriffe als schon vor den einzelnen vorhanden anzunehmen, und KANT hat auf ähnliche Art seine Kategorien, welche im Grunde nichts sind als allgemeine Begriffe, a priori in den menschlichen Verstand gelegt, weil dieses mit der Vorstellungsart seiner Kritik der reinen Vernunft am besten übereinstimmte. Wenn man aber die Sache unparteiisch erwägt, so findet man, daß allgemeine Begriffe auf mehrerlei Art entstehen und abgeleitet werden können; daß der Ausdruck allgemeiner Begriff, selbst schon eine Abstraktion ist, nämlich anzeigt, daß der Begriff in sich begreifen soll, was mehreren einzelnen Begriffen gemein ist; ja, daß z. B. bei Kindern und unkultivierten Menschen, einige allgemeine Vorstellungen sehr wohl durch sinnliche Anschauungen dunkel vorhanden sind, und dennoch erst durch die nähere Beobachtung und Unterscheidung der an den Individuen wahrgenommenen Merkmale, und also durch Abstraktion, deutlich entwickelt werden können. Die Abstraktionen der allgemeinen Beschaffenheiten sinnlicher Objekte, z. B. Größe, Kleinheit, Beharrlichkeit, Dauer, Folge, Ordnung sind wohl nichts anderes als durch Beobachtung und Gegeneinanderstellung mehrerer individueller Objekte entstanden, von denen wir erkannten, daß ihnen diese Eigenschaften zukommen. Umgekehrt aber lassen sich unstreitig auch die Beschaffenheiten ohne die Objekte in abstracto denken, und überhaupt ist ansich keine Art zu verwerfen, wie jedes Objekt oder jeder Teil eines Objekts oder Begriffs kann in Gedanken getrennt, d. h. in abstracto gedacht werden. Es lassen sich die einzelnen Objekte, durch Abstraktion von den Verschiedenheiten, unter einen allgemeinen Begriff fassen, und man kann wieder aus dem allgemeinen Begriff, wenn er einmal gefaßt ist, durch Absonderung der einzelnen Teile desselben, wieder auf einzelne Abstraktionen kommen. Es zeigt immer eine Einseitigkeit an, und ist ein Mißbrauch der Dialektik, wenn ein Philosoph, seinem System zuliebe, irgendeine Art einschränken oder gar ganz verwerfen will. Ich verehre den berühmten KANT wegen seines weitumfassenden Scharfsinns, obgleich ich ihm nicht, gegen meine Überzeugung bestimmen oder wie seine eifrigen Anhänger tun, meine Vernunft in einem Glauben an ihn gefangen nehmen mag. Auch er hat, meines Erachtens, bei seiner Herleitung des Ursprungs und der Unterscheidung der Arten der Abstraktionen, ein sonderbares Beispiel der eben erwähnten Einseitigkeit gegeben. Um einen beschwerlichen Einwurf gegen seine Behauptung, daß Raum und Zeit nichts als die Formen der Sinnlichkeit sind, zu begegnen, gibt er vor, bloß der Chemiker könne etwas abstrahieren, der Philosoph aber abstrahiert von demjenigen, worauf er nicht Rücksicht nehmen will. Ich muß schon die ganze Stelle anführen. Er sagt (10):
"Die Unterschiede von abstrakt und konkret, gehen nur den Gebrauch der Begriffe, nicht die Begriffe selbst an. Die Vernachlässigung dieser scholastischen Pünktlichkeit verfälscht öfters das Urteil über einen Gegenstand. Wenn ich sage, die abstrakte Zeit oder der abstrakte Raum habe diese oder jene Eigenschaften, so läßt es, als ob Zeit und Raum an den Gegenständen der Sinne, so wie die rote Farbe an Rosen, dem Zinnober usw. zuerst gegeben, und nur logisch daraus extrahiert würden. Sage ich aber: an Zeit und Raum in abstracto betrachtet, d. h. vor allen empirischen Bedingungen, sind diese oder jene Eigenschaften zu bemerken, so behalte ich es mir wenigstens noch offen, diese auch als unabhängig von der Erfahrung (a priori) erkennbar anzusehen, welches mir, wenn ich die Zeit als einen von dieser bloß abstrahierten Begriff ansehe, nicht freisteht. Ich kann im ersten Fall von der reinen Zeit und dem reinen Raum, zum Unterschied zu einer empirisch-bestimmten, durch Grundsätze a priori urteilen, zumindest zu urteilen versuchen, indem ich von allem Empirischen abstrahiere, was mir im zweiten Fall, wenn ich diese Begriffe selber (wie man sagt) nur von der Erfahrung abstrahiert habe, (wie im obigen Beispiel von der roten Farbe) verwehrt ist." Worin sollte denn wohl der Grund liegen, daß der Philosoph nicht gemeinsame Merkmale absondern, sondern nur von Verschiedenheiten abstrahieren könnte? Sondert denn nicht KANT selbst, die Begriffe von den allen Menschen zukommenden gemeinsamen Merkmalen, Sinnlichkeit, Vernunft, Urteilskraft? Mußte er sie nicht notwendig absondern? Und welche seltsame Entgegensetzung des Chemikers gegen den Philosophen! Wenn der Chemiker von einer Materie Flüssigkeiten aushebt, wenn er durch Destillierung die flüchtigen und flüssigen Teile trennt, um jede besonders zu haben, sondert er denn da nicht Verschiedenheiten, und läßt die weg, die er nicht haben will? Ist es denn nicht ein ebenso wesentliches gemeinsames Merkmal aller Körper, daß sie zugleich in Zeit und Raum existieren, als daß alle Körper den äußeren Sinnen irgendeine Gestalt darbieten? und ist es nicht hingegen ein ebenso gemeinsames Merkmal aller Gedanken und inneren Empfindungen, daß sie zwar nicht im Raum, aber doch notwendig in der Zeit existieren, und daß sie nicht durch äußere Sinne angeschaut werden können? Wenn die Begriffe von Raum und Zeit schwerer dialektisch zu entwickeln sind, als etwa der Begriff von der Farbe oder von der Gestalt, so hindert dies nicht, daß jene Begriffe, ebenso wie diese, an den Gegenständen durch innere und äußere Sinne zuerst gegeben, und nachher durch die Denkkraft abstrahiert worden sind, wenngleich KANT dies zum Zweck seines Systems gern verdunkeln möchte. Die Philosophen sonderten am Menschen, die allen Menschen gemeinsamen Merkmale, Körper und Denkkraft, sonst auch Leib und Seele genannt, um jedes besonders zu haben, d. h. um jedes gesondert zu betrachten. Hingegen sondert der Chemiker gewiß das caput mortuum [wertloses Überbleibsel - wp], das in der Retorte zurückbleibt, deshalb, um darauf beim Gebrauch nicht Rücksicht zu nehmen. Es ist also KANTs obige Behauptung, soviel ich einsehen kann, ebenso willkürlich und falsch, wie das Beispiel unglücklich gewählt ist. Wenn es wahr wäre, wie es KANT behauptet: "daß der Unterschied von abstrakt und konkret den Gebrauch der Begriffe, nicht aber die Begriffe selbst angeht;" so müßten wir ja gar keine abstrakten Begriffe haben können. Hätten wir die nicht, könnten wir an einem Objekt, oder an mehreren Individuen, nicht gemeinsame Merkmale, nachdem wir sie wahrgenommen haben, vom Objekt und von den Individuen abstrahieren, d. h. jedes für sich allein abgesondert betrachten, wie könnte man dann diese Merkmale logisch bestimmen? Behauptete aber dieser berühmte Philosoph, was er kaum im Ernst behaupten kann, daß wir wirklich gar keine abstrakten Begriffe formieren können, welches wären dann wohl die Begriffe, welche wir in abstracto zu gebrauchen hätten? Wollte KANT wirklich von uns verlangen, daß wir nicht-abstrakte Begriffe dennoch im Gebrauch als abstrakt behandeln, so scheint mir dies ebenso widersinnig zu sein, als wenn er uns in der Moral einen kategorischen Imperativ aufdrängen will, von dem er versichert, daß er ein unbedingtes Gebot der Vernunft sei, aber dennoch unbegreiflich ist, und wenn er hernach, in seiner Religionslehre, von uns verlangt, um diesem von ihm für so unbegreiflich wie auch unbedingt ausgegebenen Gebot der Vernunft mehr Kraft zu geben, soll demselben die Einbildung hinzugefügt werden, daß es ad instar [gleichwie - wp] eines Gebotes Gottes angesehen würde, wobei Gott, nach eben dieser Philosophie, nichts ist als eine unbewiesene Idee, von der Vernunft postuliert, weil sie sich sonst aus dem neuen System der Moral nicht herauszufinden weiß. Kann wohl ein Begriff weniger logisch-richtig, oder, um mit Herrn KANT zu reden, weniger scholastisch-pünktlich erdacht sein, als das Gebot einer bloß postulierten Idee, deren Existenz nicht erwiesen werden kann? Zwar ist nach KANTs eigenem Ausspruch jedes Postulat freilich "ein a priori gegebener, keiner Erklärung seiner Möglichkeit fähiger Imperativ." (11) Welch logische Pünktlichkeit! KANT sagt sehr unrichtig: Der Philosoph kann nicht ein gemeinsames Merkmal abstrahieren, er kann nur von Verschiedenheiten abstrahieren. Die Begriffe: gemeinsame Merkmale und Verschiedenheiten, sind ja relativ. Mehrere gemeinsame Merkmals an ein und demselben Objekt, sobald man jedes derselben besonders bestimmt und von allen übrigen unterscheidet, und sodann jedes für sich, ohne die übrigen, d. h. in abstracto betrachtet, werden eben dadurch Verschiedenheiten. Wenn ich an den Gegenständen AD und BD die Begriffe der Merkmale ABD als Erkenntnisgründe festsetze, um jetzt die Übereinstimmung beider Gegenstände (12) zu betrachten, so abstrahiere ich zum einem jetzigen Gebrauch den Begriff des gemeinsamen Merkmals D, und beweise, daß es in beiden Gegenständen identisch ist; denn ich will jetzt nicht davon handeln, daß dieses gemeinsame Merkmal D von den Merkmalen A und B, jedes in abstracto betrachtet, verschieden ist. Will aber der Philosoph von Verschiedenheiten handeln, so kann er allerdings auch sowohl A als auch B, jedes abgesondert vom anderen noch betrachten und zeigen, wie A von B und beide von D verschieden sind. Nur muß vor allen Dingen die Bestimmung der Verschiedenheit recht deutlich und genau sein. Ist sie es nicht, kann sie vielleicht der Natur der Sache nach nicht deutlich und genau gefunden werden; so ist auch jeder der abstrahierten Begriffe nicht genau bestimmt, und eben daraus entstehen die vielen unnatürlichen spekulativen Behauptungen und Systeme, welche eins nach dem andern vergehen, so gelehrt oder so genial sie auch anfänglich ausgestattet scheinen. Sie können nicht Bestand haben, sobald entdeckt wird, daß die abstrakten Begriffe, welche als genau bestimmt ausgegeben wurden, unbestimmt und willkürlich sind. Hieraus entsteht der erste große, und bei den meisten philosophischen Systemen fast unvermeidliche Mißbrauch der Abstraktionen. Als die Philosophen zuerste den Körper von der nicht in die äußeren Sinne fallenden Denkkraft und Lebenskraft unterschieden, und jenen Leib, diese beide aber Seele benannten, so glaubten sie genau unterschieden zu haben; und gleichwohl fällt Körper und Lebenskraft, so wie Lebenskraft und Denkkraft beständig ineinander. Man glaubte noch genauer zu unterscheiden, wenn man die Einteilung dreifach, in Geist, Seele und Leib machte. Sehr bald aber wurde man gewahr, daß auch diese Einteilung so unbestimmt wie unbrauchbar ist; und wenn man in neueren Zeiten beinahe eine ähnliche Einteilung von Intelligenz, Lebenskraft und Organismus machte, und durch eine Häufung unbestimmter und willkürlicher abstrakter Begriffe, wie Kraft, Reiz, Erregung, Erregbarkeit, Potenz, vikarierende [die Funktion eines ausgefallenen Organs übernehmend - wp] Tätigkeit, und dgl. mehr das Dunkle durch noch größere Dunkelheit zu erleuchten vermeinte, so hat sich nur allzusehr gezeigt, daß obgleich gewiß in neueren Zeiten unsere Wahrnehmungen und Beobachtungen viel mannigfaltiger und lehrreicher geworden sind, dennoch die Mannigfaltigkeit der neueren Abstraktionen eben nicht lehrreicher hat werden wollen, und am wenigsten, wenn man wegen dieser Abstraktionen die Erfahrung für überflüssig ausgeben und durch sophistische Spielwerke der Natur a priori Gesetze geben zu können, sich einbildete. Die Ursache dieser demütigenden Erscheinung mag wohl unter anderm auch darin liegen, daß sich der Philosoph beim Formieren abstrakter Begriffe nur ein einen Gesichtspunkt stellen kann, oder will, und daß doch der allergrößte TEil der Gegenstände der Philosophie von mehreren Seiten betrachtet werden kann, und betrachtet werden muß. Hierin liegt, soviel ich einsehen kann, der hauptsächlichste Grund der absoluten Gewißheit der mathematischen Wahrheiten, im Gegensatz der meistenteils sehr bedingten Wahrheit philosophischer Begriffe; welche bei der größten Pünktlichkeit und Sorge für die Folgerichtigkeit, kaum bis zum Fürwahrhalten wird gebracht werden können. Die Mathematik hat nur mit Größen und Quantitäten zu tun. Dies sind auch bloße Abstraktionen, aber sie können ihrer Natur nach in keiner anderen Hinsicht, aus keinem anderen Gesichtspunkt betrachtet werden, als daß sie bestimmt Quantitäten und Größen sind. Ist einmal ihr Verhältnis zueinander bestimmt gefunden und richtig bewiesen, so bleiben diese Bestimmungen ewig unverändert; daher sind auch die mathematischen Wahrheiten absolut gewiß. Die Philosophie hingegen hat hauptsächlich mit Begriffen von Beschaffenheiten zu tun. Diese sind, so wie alle Abstraktionen, von den Dingen wovon sie abstrahiert sind nicht wirklich, sondern nur in der Idee getrennt. Die Qualitäten sind gar sehr mannigfaltig und sind größtenteils nicht so absolut und ansich zu bestimmen, wie die Quantitäten, am wenigsten durch eine einzige Ansicht: sondern müssen und können sehr oft in gar verschiedenen Verknüpfungen, und gar verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet werden. Daher gestatten die Vorstellungen, die Voraussetzungen, die Behauptungen der Philosophen sehr unterschiedene Rücksichten; daher sind auch nur diejenigen philosophischen Sätze absolut gewiß, welche in sich genau bestimmt sind, und unter keiner anderen Verknüpfung gedacht werden können, als die wir vor uns haben. Die Wahrheit des Satzes des Widerspruchs kann von niemandem in Zweifel gezogen werden, er müßte schon ein SCHELLING sein, welcher bis dahin gestiegen ist, daß ihm das Nichts zu Etwas wird! Der Satz des zureichenden Grundes, der Satz, daß zwei Dinge, welche einem dritten gleiche sind, auch untereinander gleich sind, worauf die ganze Logik beruth, bleiben unstreitig wahr, in welchen Verknüpfungen und Verhältnissen man sie auch denkt. Nicht so ist es mit dem größten Teil anderer philosophischer Sätze! Meistenteils wird die Beschaffenheit der Gegenstände und der allgemeinen Begriffe, welche sich der Philosophe davon abstrahiert, nicht erlauben, auf alle verschiedenen Verhältnisse Rücksicht zu nehmen, in denen sie gedacht werden können. Aber es ist auch nicht zu leugnen, daß der Philosoph nicht selten auf alle diese verschiedenen Gesichtspunkte Rücksicht zu nehmen, gar nicht die Absicht hat. Jeder Philosoph will ein Lehrgebäude durchsetzen, und gewöhnlich macht er es leider! so wie KANT, der - beinahe etwas zu offenherzig, - vorgibt, daß es jeder Philosoph zu machen habe, nämlich: "Der Philosoph", sagt er, "abstrahiert von demjenigen, worauf er, in einem gewissen Gebrauch des Begriffs, nicht Rücksicht nehmen will." Aber gerade das, wovon der Philosoph oft unzulässig abstrahiert, worauf er nicht Rücksicht nimmt, oder wohl gar nicht Rücksicht nehmen will, weil er schon vorher einen gewissen Gebrauch im Sinn hat, bringt die dürftige Einseitigkeit der meisten philosophischen Systeme hervor, welche, gleich einem künstlichen perspektiven Gemälde, alsdann nur einen Schein von Wahrheit haben, wenn man sie in einen einzigen angewiesenen Gesichtspunkt stellt, aber als unordentlich und verwirrt erscheinen, sobald man sie von verschiedenen anderen Seiten betrachtet. Auch hier geben die neue und neueste deutsche Philosophie merkwürdige Beispiele, wie eine gänzlich abstrakte, d. h. einseitige Ansicht, entweder bis zur unphilosophischen Inkonsequenz, oder zu einer Verwirrung der Begriffe führen muß, die nahe ans Abenteuerliche grenzt. Der berühmte KANT versprach rein a priori, abstrahierend von aller Erfahrung, zu philosophieren, in der Absicht, die Kräfte der menschlichen Vernunft kritisch zu prüfen. Der Begriff Vernunft ist selbst ein abstrahierter Begriff, als ein bemerkter Teil vom allgemeinen abstrahierten Begriff Denkvermögen. Der Philosoph mag berechtigt sein, weil er es nicht ändern kann, zu trennen, was die Natur vereinigte, sinnliche Empfindung und Denkvermögen. Aber, wenn er unterläßt, beide jeweils vereinigt zu betrachten, so können aus einer solchen einseitigen Ansicht wohl nicht Resultate folgen, der wirklichen menschlichen Natur gemäß, worin Sinnlichkeit und Denkvermögen so unzertrennbar und innig vereint sind. Doch mag dies hier noch dahin gestellt bleiben. Wäre nur KANT in seinem Philosophieren zumindest konsequent geblieben. Man gab ihm wohl nicht ganz mit Unrecht Schuld, seine Philosophie, sowohl in der "Kritik der reinen Vernunft", als auch in der "Kritik der (von ihm durch eine neue, vielleicht übermäßig subtile und willkürliche Abstraktion angenommenen) praktischen Vernunft", schiele sehr oft unvermerkt ins Empirische, und er suche nur mit dialektischer Feinheit das Ansehen, als habe er rein a priori gefunden, was er doch eigentlich nur durch eine Verbindung der Erfahrung mit seiner scharfsinnigen Denkkraft fand. Gesetzt, es wäre so, so hätte das Einlenken, welches man sonderlich in der "Grundlegung der Metaphysik der Sitten" dieses berühmten Mannes, und sowohl in dessen Tugendlehre, als auch in dessen Rechtslehre ziemlich deutlich merken kann, wohl nur zum Zweck haben können, Resultate zu vermeiden, welche dem gesunden Menschenverstand entgegen sind. Sonach hätte er lieber einigermaßen inkonsequent sein, lieber seine Inkonsequenzen durch seine dialektischen Wendungen, (worunter auch vorzüglich die Postulate der reinen Vernunft gehören) wo nicht minder, so doch wenigstens verdecken wollen, als Folgerungen Raum geben, die auf Widersprüche oder gar auf Ungereimtheiten führen würden. Er philosophierte daher, wenn auch nicht immer nach einem kategorischen, doch mit öfterer Rücksicht auf einen pragmatischen Imperativ, um mich seiner Terminologie gemäß auszudrücken. So behutsam waren FICHTE und SCHELLING nicht, welche auf KANTs Schultern stiegen, um weiter zu sehen als er. Sie wollten dessen Philosophie weiter führen, sie von aller Inkonsequenz reinigen, in KANTs wahren Geist dringen, welcher, ihrer Meinung nach, vom Buchstaben seiner Schriften weit unterschieden sein wollte. Sie wappneten sich zuerst mit der Kühnheit, vor keiner Paradoxie zu erschrecken, und auch vor keiner, wenn auch noch so unmittelbaren, Folgerung aus ihren Philosophemen, durch die sie ad absurdum gebracht wurden. Nun abstrahierten sie aufs Strengste von allem Sinnlichen, woraus natürlich folgte, daß sie von der ganzen Sinnenwelt außerhalb von ihnen ebensowenig sahen und hörten, wie von allem Übersinnlichen. Da ihnen nun beides gleich war, so zogen sie vor, nur im Übersinnlichen zu philosophieren. Sie glaubten hierdurch aufs Sicherste das innere Wesen der Dinge zu erforschen, da man ihnen zugeben muß, daß es aus den Eindrücken der Sinne nicht erkannt wird. Sie wollten sogar von ihrem Sein abstrahieren, wollten selbst das Sein philosophisch deduzieren, und setzten fest, daß wer das Sein erst entstehen lassen will, es aus etwas entstehen lassen muß, das noch kein Sein ist, weil sonst das Sein schon vorausgesetzt sein würde. Anstatt zu fühlen, daß sodann ihre Angabe über alle menschliche Kräfte geht, und aufs Absurde und Widersprechende führen muß, verachteten diese kühnen Philosophen die Warnung des gesunden Menschenverstandes, und verhießen zuletzt geradezu, eine Philosophie zu liefern, die nicht nur dem gesunden Menschenverstand widerspricht, sondern auch von Abstraktion zu Abstraktion steigend, sie bis zum Absoluten führt, worin alles Widersprechende zusammen stehen kann. Sie bemerkten, allerdings sehr richtig, daß KANT seine Kritik der reinen Vernunft mit einem Faktum des Bewußtseins, und folglich, wenn man den Sinn der Worte deutlich denkt, gegen sein Versprechen mit etwas Empirischem anhob. Dies wollten sie vermeiden, und meinten es leicht zu können, denn die Außenwelt war ihnen ja verschlossen, weil sei, insofern sie philosophieren, ohne alle Hilfe der Sinne zu sein sich erklärt hatten. Sie suchten also die Außenwelt nur bloß aus ihrem Inneren der Sinne ermangelnden Selbst zu erschaffen. Sie setzten als ersten Grundsatz fest: - freilich ohne allen Beweis - Alle Eindrücke von Außen, welche sie von Zeit zu Zeit zu empfangen nicht leugnen konnten, kämen keineswegs von Außen her, sondern wären nichts als Modifikationen ihrer Intelligenz, welche, rein abstrahiert von allen ihren fünf Sinnen, sich selbst modifiziert. Da sie aber dennoch inne wurden, daß "ihr eigenes von aller Erfahrung unabhängiges Wesen" - so nannte FICHTE auch sein sogenanntes reines Ich - ein empirisches Substrat hat, und als ein Teil der Außenwelt existiert, so daß sie ihre eigenen Nasen und Hände, ebensogut wie ihren Tisch oder ihre Haustür, durch die Sinne erkennen müßten, so erdichteten sie, in reiner Abstraktion:
Auch hat uns Herr FICHTE noch nicht sagen können, wie das reine Ich, ohne Substrat, - die abstrakteste aller Abstraktionen, - wieder "das eigene von aller Erfahrung unabhängige Wesen" dieses Philosophen werden kann. Dadurch erhält aber doch das reine Ich zumindest unstreitig ein Substrat, indem es nun zum Wesen irgendeines Individuums gehört; obgleich auch von der anderen Seite ein offenbarer Widerspruch ist, sich das Wesen dieser Herren unabhängig von aller Erfahrung zu denken, da sie, so sehr sie behaupten bloß im Übersinnlichen leben zu wollen, doch wirklich in dieser Sinnenwelt leben, fünf Sinne haben, und ohne Sinne und sinnliche Eindrücke keine Intelligenz haben würden, die sich nur bis auf die ersten durch Denken zu erlangenden Erkenntnis erstreckt. Wenn nun dies der Fall ist, was soll man von der Philosophie dieser Herren denken, die uns mit dürren Worten sagt: "daß die Welt der Erscheinungen unabhängig von unseren Vorstellungen gar nicht existiert" da sie doch, wenn sie sich nicht geradezu lächerlich machen wollen, zugeben müssen, daß ihr eigenes Wesen und das Wesen des Gegners mit dem sie streiten, gewiß außerhalb ihrer Vorstellung existiert. Was soll man von der Philosophie sagen, welche so ernsthaft als lächerlicher Weise, ausdrücklich festsetzt: daß "weder Herr Fichte und Schelling selbst, noch ihre Gegner, Glieder einer Kette eines unabhängig von ihnen wirklich existierenden Systems wären," (13) daß sich der Ausspruch ihres Gewissens ihrem sinnlichen Auge in eine Körperwelt verwandelt, (14) und daß sie daher bloß des Gewissens wegen" annehmen müßten, daß, außer ihnen, vernünftige Wesen und Mäuse, Elephanten und Erdbeeren, Rheinwein und Opium existieren! Bei einer solchen Philosophie müssen wir an uns selbst verzweifeln, indem wir nicht einsehen können, wie es zugeht, daß wir beständig unsere eigenen bloßen Vorstellungen mit dem wirklichen Sein der Dinge außerhalb von uns vertauschen müssen; da uns diese Philosophie keinen Grund angeben kann, warum wir, ohne unseren Willen, uns Vorstellungen von Dingen außerhalb von uns mit so mancherlei uns vorher unbekannten Eigenschaften machen müssen. Und wenn wir auch beim konsequenten Gebrauch unserer Vernunft nicht deutlich einsehen, daß diese vermeintliche Philosophie nichts ist, als ein leeres Spiel mit verwirrten Abstraktionen, keineswegs aber das, wofür es ausgegeben wird, reines Wissen a priori: so wäre der Mangel des wahren Wissens auch schon daraus zu erkennen, daß diese alleinwissenden Philosophen an sich selbst wechselweise irre werden, und, je länger sie bloß rein aus ihrer Intelligenz heraus philosophieren, über ihr Wissen immer mehr verschiedener Meinung werden, daß SCHELLING und WAGNER, welche mit FICHTEs Philosophie anfänglich völlig eins waren, ihn jetzt verachten, und ihre Philosophie des Absoluten an ihre Stelle setzen, die jene an Abenteuerlichkeit noch übertrifft. Die Verwirrung nimmt zu, wenn die spekulativen Philosophen, Abstraktionen auf Abstraktionen häufen, bis sie sich schließlich, so wie die eben erwähnten Philosophen tun, in lauter leeren Begriffen herumtummeln. Das tun sie, um sich das Ansehen zu geben, als ob sie in einer Höhe oder Tiefe philosophierten, welche nur von wenigen Auserwählten erreicht werden kann. Im 17. Jahrhundert lebte ein gutmeinender Pedant, namens JOHANN BUNO, Professor in Lüneburg; dieser wollte zum Besten der lieben Jugend derselben alles in Bildern vorstellen, und gab auf diese Art eine lateinische Grammatik, ein Corpus juris civilis, und eine Idea historiae universalis, mit vielen in Kupfer gestochenen Bildern heraus, um den Kindern das zu Erlernende anschaulich zu machen. Zum Beispiel in der allgemeinen Geschichte zeichnete er einen Damm, mit einem lateinischen A darauf, das sollte Adam bedeuten. Sem, Ham und Japhet wurde durch eine geschmierte Semmel bezeichnet, denn sagte BUNO, Die Semmel ist ja fett. Julius Cäsar wird durch eine Eule (auf plattdeutsch Uhle) vorgestellt, die auf einem Käse sitzt und was dergleichen Torheiten mehr waren. Un sot trouve toujours un plus sot qui l'admire. [Selbst ein Narr findet noch einen noch größeren Narren, der ihn bewundert. - wp] So fand auch BUNO gar bald einen Bewunderer und Nachahmer an einem gewissen JOHANN JUST WINCKELMANN, welcher unter dem erdichteten Namen Stanislaus Mink von Weinsheim im Jahre 1652 eine Logica memorativa peripatetica herausgab (15), ebenfalls durch in Kupfer gestochene Bilder vorgestellt. In diesem Buch wird unter anderem (Tab. I. fig. III, 10) ein Begriff in concreto durch einen Fuß mit einem Stiefel bekleidet vorgestellt, und ein Begriff in abstracto durch den bloßen Fuß. Dies scheint sich auf den jetzt wieder hervorgesuchten alten Glauben zu gründen, daß durch abstrakte Begriffe das Wesen der Dinge erkannt werden kann. Wenn ein abstrakter Begriff durch einen leeren Stiefel wäre angezeigt worden, so wäre dies ein ganz gutes Bild für viele Abstraktionen. Die Heicceitas, die Alietas, die Alteritas, die Perfectihabia, die Rectihabia der alten Scholastiker ist von dieser Art, und ich bekenne gern, daß mir die Kunstwörter der neuesten Philosophien: "eine reine Handlung ohne irgendein Substrat und noch vor dem Sein; eine Organisation, die überhaupt die in ihrem Lauf gehemmte und gleichsam erstarrte Sukzession, und zugleich auch, nur die reine intellektuelle Anschauung in der zweiten Potenz ist; ein Denken, als Denken, ohne etwas Gedachtes; ein Gedachtes ohne ein Denkendes; eine reine, eine absolute Handlung ohne eine Handelndes; das Innere, das Absolute als durchaus reine und ungetrübte Identität; die Differenz in der Indifferenz, usw." ebenso wenig an Sinn zu enthalten scheinen, wie ein leerer Stiefel vom Fuß, von dem er abgezogen ist. Hierzu kommt, daß die subtilen spekulativen Philosophen, im Eifer ihr System interessant zu machen, ihre Abstraktion unvermerkt als etwas vorstellen, das auch außerhalb der Abstraktion gilt oder existiert. Der Natur aller Sprachen nach läßt es sich nicht ändern, daß die Benennungen aller Abstraktionen durch Substantive ausgedrückt werden. Dies gab vermutlich zuerst Anlaß, ihnen unvermerkt eine Art von Substantialität beizulegen, und dies führte zu einer Menge von Mißverständnissen und zu ungeheuren Irrtümern. Sehr oft begegnet es unseren neuen Philosophen, die abstrakten Begriffe beinahe zu personifizieren, und als für sich bestehende Wesen handeln zu lassen. Sie bilden eine besondere philosophierende Vernunft, und dieses abstractum abstracti hat bei ihnen ein Interesse, es gebietet. Auch die Pflicht, ein anderes Abstraktum, schlägt alle Verwandtschaft mit Neigungen stolz aus. Der homo noumenon, ein abstrakter Begriff, welchen KANT selbst für nichts als für einen problematischen Begriff ausgibt, ist doch der Tugendlehre dieses Philosophen zufolge, dazu ausersehen, für den homo phaenomenon zu sorgen, - (wobei dieser homo phaemenon soviel an ihm auch problematisch sein mag, bekanntlich dennoch nicht bloß ein Begriff ist! -) Imd vollends das FICHTEsche nicht wirkliche, nicht mögliche Ich, dieses abstractissimum kat exochen [schlechthin - wp], setzt sich selbst, dieses Ich handelt auf sich selbst, die Intelligenz reproduziert sich und dgl. mehr. Durch diese unvermeidlich falsche Anwendung solcher Substanzialisierungen bloßer Abstraktionen, welche man zu gelinde charakterisieren würde, wenn man sie bloß metaphorische Ausdrücke nennen würde; muß in subtilen Spekulationen über lauter durch Abstraktion gefundene Begriffe, notwendig so mancher leere Begriff, so manches nihil negativum [Abwesenheit des Nichts - wp] für mehr gehalten werden, als ihm gebührt hätte. Die spekulativen Philosophen setzen ferner gemeinhin die ganze Stärker ihrer Philosophie in Abstraktionen, und vergessen, daß es bloß die Schwäche des menschlichen Geistes ist, welche uns nötigt, die Merkmale und Begriffe, welche wir uns im Ganzen nicht deutlich genug vorzustellen imstande sind, einzeln und eins nach dem andern zu betrachten, um uns deutlich darüber zu verständigen. Da es uns nun fast niemals möglich ist, die abstrakten Begriffe, die sich auf einzeln bemerkte Beschaffenheiten beziehen, nach der einzelnen Auseinandersetzung eines jeden Merkmals, auc wenn diese noch so deutlich und bestimmt wäre, wieder auf einmal und im Allgemeinen ebenso deutlich und bestimmt zu überschauen; so bleiben uns bis jetzt in unserem philosophischen Wissen von allen Seiten, die größten Lücken übrig. Die Abstraktionen, wenn auch noch so subtil, werden gemeinhin die allerschwächste Seite derjenigen philosophischen Systeme, welche ihre größte Stärke darin setzen; denn wenn das System auch noch so konsequent ist, so ist es doch immer nur einseitig, kann nur infolge der Ideen in abstracto folgerichtig sein, welche der Philosoph willkürlich abstrahiert, und sich gewöhnlich vorher annahm, (wie es KANT in der oben angeführten Stelle selbst gesteht) auf dasjenige, was außerhalb der von ihm festgesetzten Abstraktion liegt, nicht Rücksicht zu nehmen. Es kann also durch Abstraktionen immer nur eine unvollständige und einseitige Wahrheit gefunden werden; denn alle Sätze und Folgerungen beziehen sich ja nur auf die hypothetisch vorgenommene Abstraktion, und sind nur innerhalb derselben gültig. Wenn das erlangt werden sollte, was jetzt die spekulative Philosophie zu suchen vorgibt, müßte auf alles andere, worauf der Philosoph, als er zu abstrahieren anfing, selbst bekannte, nicht Rücksicht nehmen zu wollen, auch Rücksicht genommen werden, und zwar nicht nur bloß nach einzelnen Abstraktionen, sondern in einem wahren objektiven Zusammenhang. Aber eben deswegen, weil der menschliche Geist zu schwach ist, diesen objektiven Zusammenhang einzusehen, entstanden die vielen Abstraktionen, nur als Notbehelfe. Da nun bis jetzt alle Systeme nur bloß auf diesen, obgleich nicht zu vermeidenden, doch in der objektiven Natur der Dinge keineswegs gegründeten Zerspaltungen beruhen, so haben wir die objektive Natur der Gegenstände und den ersten Grund des Wissens davon, noch nicht gefunden; denn es gilt wahrlich nicht nur vom Poeten, sondern auch vom Philosophen: Infelix operis summe, quia ponere totum nescit. [Unglücklich aber wird das Ganze des Werks, weil er nicht versteht, ein Ganzes daraus zu machen. - wp]. Wir haben uns z. B. von dem sinnlich vernünftigen Wesen, Mensch genannt, durch eine Sonderung der Beobachtungen unseres Selbst, ein abstraktes Etwas abstrahiert: die Seele, das Gemüt, das Denkvermögen, die Intelligenz, - denn so mannigfaltig und im Grunde wenig bestimmt, wird es bezeichnet. - Wir abstrahierten nun wieder von diesem in abstracto gedachten Vermögen, welches wir in uns wahrnahmen, alle einzeln beobachtete Merkmale desselben, verschiedene Handlungen, Kräfte, oder wie wir es sonst nennen möchten. Wir formierten uns sodann daraus in abstracto die verschiedenen Merkmale: Begriff, Vorstellung, Sinn, Vernunft, Verstand, Gedächtnis, Einbildungskraft, Willen usw. Können wir aber, selbst auch durch einen den verschiedenen Begriffen es sei nun zusammengesetzten oder abstrahierten allgemeinen deutlichen Begriff, das Ganze wieder zusammensetzen? Keineswegs! Handeln denn etwa die verschiedenen Kräfte, welche wir in unserer Intelligenz unterscheiden, und in allen philosophischen Systemen nur einzeln betrachten, ein einem einzigen Fall einzeln und für sich? Gibt es einen einzigen Aktus unseres inneren Menschen, welcher bloß ein sinnliches Gefühl, bloß Vernunft, bloß Gedächtnis, bloß Einbildungskraft, bloß Willen wäre? Kann es eine einzige durch die Sinne erhaltene Vorstellung geben, wobei nicht auch der Verstand beschäftigt wäre? Findet sich im menschlichen Gemüt wirklich eine so gänzliche Abteilung zwischen Eindrücken der Sinne und Verstandesbegriffen, wie die Systeme machen, und leider! machen müssen, um jedes bemerkte Vermögen einzeln abzuhandeln? Jede Vorstellung, jeder Gedanke, jeder Entschluß, selbst eines rohen unkultivierten Menschen, ist ein zusammengesetztes unbegreifliches Etwas, dessen eigentliche Beschaffenheit noch keine Philosophie in einen allgemeinen, deutlichen, völlig evidenten Überblick hat bringen können, der die Beschaffenheit eines solchen unbegreiflichen Etwas dergestalt erschöpft, daß das Ganze objektiv eingesehen würde. Durch die Abstrahierung und Bestimmung der einzelnen Kräfte der Intelligenz, wenn sie mit der Aufmerksamkeit auf richtige psychologische Beobachtungen verbunden sind, werden unsere Ideen davon allerdings klarer und fruchtbarer, aber keineswegs völlig bestimmt, deutlich, allumfassend, und am dürftigsten werden sie, wenn die psychologischen Wahrnehmungen verächtlich hintangesetzt werden, wie in unseren neuesten Philosophien geschieht. Selbst mit den Abstraktionen der einzelnen, seit Jahrtausenden wahrgenommenen und allgemein, (als in der Intelligenz vorhanden) angenommenen Seelenvermögen sind wir viel weniger im Reinen, als man dem ersten Anschein nach glauben möchte. Von jeher sind diese abgesonderten Begriffe höchstschwankend gewesen. Man überlege nur die von den griechischen Philosophen angenommene so schwankenden Abstraktionen, wo mit dem Begriff des Verstandes oder der Vernunft (16) der Begriff der Klugheit oder der Beurteilungskraft zusammenfließt und das so vieldeutige logos. Diese Unbestimmtheit der griechischen Wörter, womit diese Abstraktionen bezeichnet wurden, welche selbst schon von den alten Philosophen nicht in völlig gleicher Bedeutung gebraucht wurden, macht es uns sehr schwer, den wahren Sinn derselben zu erraten und es macht hingegen einem JOHANN JAKOB WAGNER, sehr leicht (in seinem "Wörterbuch der platonischen Philosophie", 1799) das ganze FICHTEsche System zu finden, und anderen Schriftstellern ihre eigene geliebte neumodische herzlose Mystik in den PLATON zu legen. So ist es auch bei den lateinischen Wörtern intelligentia, mens, ratio usw. bei denen, die dadurch bezeichneten Begriffe keineswegs genau bestimmt sind, sondern die beim Gebrauch immer bald der einen bald der andern Bestimmung dienen müssen. Ebenso unterscheidet noch jetzt jeder Philosoph die verschiedene, in jedem Menschen wahrgenommene Vermögen, bestimmt, im Ganzen zwar auf ähnliche Weise, welche von den abstrakten Begriffe Seele aufs Neue abstrahiert werden, aber, wenn man es recht genau untersucht, so hat doch jeder einzelne Philosoph sich nicht jede der Abstraktionen Verstand, Vernunft, Sinn, Einbildungskraft genannt, völlig aber eben die Weise gedacht, und sie weder ebenso hergeleitet, noch ebenso bestimmt und unterschieden, als der andere. Jeder denkt sich also bei den allgemein bekannten Wörtern nicht ganz völlig eben dasselbe wie sein Nichtphilosoph oder sein Gegner. Wenn nun, wie es nicht anders sein kann, die abstrahierten Begriffe in der genaueren Untersuchung noch feiner zerspaltet werden, so werden sich die Mißverständnisse, und folglich die philosophischen Wortstreitigkeiten sicherlich um so viel mehr vervielfältigen, je weniger man sich bei diesen Spekulationen über das Denkvermögen und über die Seelenkräfte durch Beobachtung und Erfahrung orientieren will, aber vielleicht, vermöge der Beschaffenheit der sogenannten reinen Spekulation a priori, orientieren kann. Da geschieht es dann, daß die Philosophen durch all ihr Bestreben mittels mannigfaltiger Abstraktionen die Begriffe deutlicher zu machen, sehr oft nichts weiter erhalten, als abstrakte, sehr unbestimmte, und folglich undeutliche Begriffe, und durch die Wörter, womit ihre Abstraktionen bezeichnet werden, wenig mehr als Wörter. Ja oft, wenn man nach und nach die Unbestimmtheit und Unzulänglichkeit einer Abstraktion zu bemerken anfängt, sucht man den abstrakten Begriff auf andere Art zu bestimmen, bezeichnet ihn mit einem andern Wort oder schiebt einem schon gebrauchten Wort unvermerkt einen anderen Begriff unter. Damit hat man dann aber nichts gewonnen, und sehr oft, wenn die Begriffe deutlich entwickelt wurden, wird sich finden, daß alles fein im Zirkel herumgegangen ist, und aß man immer in neuen Schwierigkeiten geriet, je mehr man, im Eifer das Dunkle durch Abstraktionen deutlicher zu machen, von einem abstrakten Begriff zum andern, von einer willürlichen Wortbezeichnung zur andern, fortschritt und endlich, mit viel Mühe und Scharfsinn der Abstraktion, wieder in die erste Dunkelheit fiel, eben da man meinte, recht hell zu sehen. Als die Philosophen zuerst im Wesen des Menschen, durch Abstraktion, die Denkkraft vom Körper sonderten, weil die Beschaffenheiten und Wirkungen beider so disparater Natur schienen, daß man sie nicht unter einen Gesichtspunkt zu bringen wußte: so dachten sie sich jene als einfach, diesen als zusammengesetzt, diesen im Raum, jene als unräumlich, diesen als den Sinnen erkennbar, jene als unsinnlich. All das sind nichts als Abstraktionen, die in gewisser Hinsicht richtig sein mögen, bei welchen sich aber, je genauer der Gegenstand untersucht wird, zeigt, daß sie weder genau bestimmt, noch zureichend sind. Gleichwohl hielt man den durch die Abstraktionen gefundenen Unterschied für so genau bestimmt, daß man, wie es bei Abstraktionen fast immer geschieht, sich beide als abgesondert existierende Wesen dachte, umso mehr, da man sich die Seele nach dem Tod nicht anders als einzeln oder mit einem anderen, allenfalls sehr feinen unsinnlichen Körper vereinigt fortexistierend, zu denken wußte. Nun häuften sich die Schwierigkeiten über den abstrakten Begriff des Einfachen, und die Philosophen gaben sich lange viel vergebliche Mühe zu erklären, wie in influxus physicus [Wechselwirkung von Leib und Seele - wp]eines einfachen Wesens auf einen Körper oder überhaupt auf die zusammengesetzte Materie statt haben möchte. Sie hätten sich allenfalls aus ihren alten Logiken erinnern können, daß der Begriff einfach, nichts als ein Begriff in abstracto, und zwar ein abstractum rationis ist, und also bedenken mögen, daß die Frage: ob und wie ein abstractum rationis auf das Physische wirken kann, eine logische Verkehrtheit enthält. Darauf achtete man aber nicht. Der berühmte LEIBNIZ schnitt endlich den Knoten durch, setzte die ganze Körperwelt aus einfachen Wesen, aus Monaden, zusammen, und um dem physischen Einfluß zwischen Seele und Leib aus dem Weg zu gehen, erdachte er, sehr konsequent mit seinem System, eine prästabilierte [vorherbestimmte - wp] Harmonie zwischen beiden. Diese wollte jedoch nicht lange Beifall finden, und die folgenden Philosophen konnten sich auch nicht erklären, wie aus einem Aggregat von Monaden, welche weder Ausdehnung noch Teile hätten, dennoch ausgedehnte Körper entständen. Man fand es nun für sicherer, die Körpern zukommende abstrakte Begriffe, Ausdehung und Teilbarkeit, bis zu Atomen zu verfolgen, uranfänglich so wenig ausgedehnt, daß keine Teilbarkeit mehr stattfände. Ohne daran zu denken, daß diese Atome, als abstrakt rationis, mit den Monaden einerlei Geschlechts wären, setzte man nun die ausgedehnten Körper mit bewunderungswürdiger Leichtigkeit mit BUFFON aus molécules zusammen, und der scharfsinnige CRUSIUS (wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt) zeigte gar deutlich, daß die Atome der flüssigen Körper rund und die der flüssigen Körper wohl dreieckig sein würden (17); weil sich Körperchen von dieser Figur am festesten ineinander stauen ließen. Diese körperliche Entstehung der ganzen Natur fand allzuviel Beifall, als daß sie nicht auf die ehemals so apodiktisch bewiesene Einfachheit und Unmaterialität der Seele einen nachteiligen Einfluß hätte haben sollen. Nach und nach fand man keinen inneren Widerspruch darin, daß auch die Materie denken kann. Das wurde ziemlich deutlich zu verstehen gegeben, und würde mit ebenso vielen Worten behauptet worden sein, wenn nicht der Tod und die Unsterblichkeit der Seele nach dem Tod, wegen der Theologen, einige Behutsamkeit in der Absicht der Worte veranlaßt hätte. Denn, man getraut sich nicht der Unsterblichkeit zu entsagen, wußte aber doch sie nicht zu erklären, sobald angenommen würde, daß aus einer körperlichen Zusammensetzung Gedanken und Vernunft entstehen könnten. Indessen kamen hierdurch die Nerven zu großen Ehren; man gab hin und wieder nicht undeutlich zu verstehen, ihre Knoten möchten wohl nicht nur in Absicht auf sinnliche Empfindungen wichtig sein, sondern auch vielleicht gar zur Beurteilungskraft leiten; der Nervensaft fing an, stark zu zirkulieren, und ein berühmter Anatom wollte uns das Seelenorgan in gewissen Stirnhöhlen beinahe sichtlich in einem dort befindlichen Wässerchen zeigen, das er für organisiert hielt. Auf diese Art schien sowohl das einfache wie auch das unsinnliche Wesen der Seele nach und nach ganz aus der Philosophie verbannt; wer hätte aber denken sollen, daß sogar die Körper noch als unsinnlich betrachtet werden würden? Doch geschah dies wirklich vom berühmten KANT in seinen "Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft". Er behauptet, da die Körper in Absicht auf uns nichts als Erscheinungen sind, daß wir auch von ihnen nichts weiter als Kräfte erkennen, worunter er (obgleich wir von Ausdehnung und Widerstand der Körper bloß durch Erfahrung etwas wissen) aus eigener Machtvollkommenheit festsetzt, daß a priori, die Ausdehnungskraft und Repulsionskraft allen Körpern wesentlich ist. Dies hat nun hervorgebracht, was man jetzt die dynamische Ansicht nennt, und damit seit vierzig oder fünfzig Monaten in der Physik und sogar in der Arzneikunst alles unbeschreiblich deutlich sieht. Man erdenkt jetzt zu jeder wahrgenommenen Wirkung eine neue Kraft; so hat man ein neues Wort, womit unsere neuesten dynamischen Physiker und Physiologen alles a priori mit bewunderungswürdiger Leichtigkeit erklären. Ich will hier nur den Zirkelgang bemerken, daß die Unsinnlichkeit und Einfachheit des Denkvermögens, welche ehemals den Philosophen so unerklärbar war, nun auf die ganze Körperwelt ausgedehnt wird; denn was kann unsinnlicher, und zugleich dunkler und unerklärbarer sein, als der Begriff Kraft? Da sind wir nach vielen verschwendeten subtilen Abstraktionen, beinahe wo wir vorher waren, und das Unerklärbare ist ebensowenig erklärt. Wenn uns nach der so hochgelobten dynamischen Ansicht alle Körper bloß als Aggregate von Kräften erscheinen, so erblicken wir nach dieser Ansicht anstatt der ganzen unseren Sinnen erscheinenden Körperwelt nichts als unsinnliche Kräfte, nichts als leere abstracta rationis. Ist denn ein Aggregat von Kräften etwa deutlicher oder vorzüglich als ein Aggregat von Monaden, das ehemals so verwerflich schien? - Ich begreife sehr wohl, daß der abstrakte Begriff Kraft, dem berühmten KANT in seinem System, welches allenthalben darauf gerichtet ist, mit zweischneidiger Dialektik unvermerkt aus dem Reinen ins Empirische, und aus dem Empirischen ins Reine überzuspringen, ebenso zuträglich war, als dem berühmten LEIBNIZ der abstrakte Begriff prästabilierte Harmonie. Aber ich kann mich nicht überreden, daß nun einer von beiden Begriffen außerhalb des Systems mehr wert wäre, als der andere, oder daß dadurch etwas wirklich erklärt wäre, was vorher dunkel war. Ich lasse dem dialektischen Scharfsinn, wodurch KANT darauf gebracht wurde, so fein zu abstrahieren, gern Gerechtigkeit widerfahren; nur leugne ich, daß so ein feines Abstraktionsspiel fruchtbar für die Wissenschaft ist. Wenn man nicht begreift, wie und warum ein Körper dem Druck widersteht, und man sagt nun mit ernsthafter dialektischer Miene: Wir erkennen an ihm eine Repulsivkraft; ist dies nun im Grunde eine bessere Philosophie als die, vermöge deren MOLIEREs eingebildeter Kranker, um selbst Doktor zu werden, seinem Examinator antwortete: "Der Rhabarber purgiert, weil eine Purgirkraft drinnen ist?" Wir erhalten in beiden Fällen, statt einer wirklichen Erklärung, das leere Wort Kraft, um dasjenige zu bezeichnen, was wir auf keine Weise kennen. Auch der Begriff Wort ist durch Mißbrauch in der Philosophie so wichtig geworden, daß die Philosophen sehr wohl tun würden, dessen eigentliche Bedeutung, welche ihnen im Grunde gar nicht unbekannt ist, recht tief zu Herzen zu nehmen und sie recht angelegentlich zu bedenken, wenn der böse Geist der dialektischen Spitzfindigkeit die Herren in Versuchung führt, einen schief zerspalteten mit einem neuen Wort bezeichneten Begriff für eine neue spekulative Wahrheit zu halten; wenn dieser böse Geist ihnen von der Höhe der intellektuellen Anschauung das ganze Reich der transzendentalen Verstandeswelt in all ihrer Herrlich keit zeigt, und verspricht, sie ihnen zu geben, sofern sie, vom gesunden Menschenverstand und der Erfahrung nicht mehr gestützt, niedersinken und die Noumena und abstracta rationis anbeten wollen! Möchte doch jeder von ihnen in sich gehen, und reiflich überlegen, was ihre Gedankendinge eigentlich sind, wie selten sie wohl mehr als Wörter sein mögen, und wie selten noch dazu der Sinn solcher problematischer Wörter - sofern etwas der Sinn darin ist. - völlig bestimmt gedacht wird! Zudem machen die Sprache und die Worte in jeder Sprache, wodurch doch die Begriffe ausgedrückt werden müssen, auch unvermeidliche Schwierigkeiten bei der genauen Bestimmung abstrakter Begriffe. Diese Schwierigkeiten werden vermutlich nie ganz überwunden werden; denn Worte sind in der Philosophie, ebenso wie auf andere Art in der Poesie, fast immer unzulänglich, dasjenige völlig deutlich zu bezeichnen, was wir uns sehr lebhaft vorstellen, und ohne Worte können wir doch weder uns selbst noch Anderen von unseren inneren Vorstellungen Rechenschaft geben. Zu einer Anschauung des inneren Wesens der Dinge, die, nach MACKENSENs Vorschlag, ohne Worte bestimmt wäre, können wir nie gelangen, oder es müßte alles trügen, was wir vom menschlichen Verstand bisher erkannt haben. KANT selbst hat der menschlichen Vernunft abgesprochen, daß sie ins Wesen der Dinge dringen kann. FICHTE und SCHELLING freilich, verzweifeln nicht daran, das objektive Wissen zu erlangen! Aber die intellektuelle Anschauung, wodurch diese Philosophen, obgleich auf zweierlei sehr verschiedene Art, ins Innere des Wesens der Dinge zu dringen versichern, wodurch Herr SCHELLING schon vor einigen Jahren, sogar "sich selbst unbedingt gebot, durch kein fremdes Gesetz bestimmbar, aufzuhören, selbst eine Erscheinung zu sein, und ein Wesen ansich werden zu wollen" (18), sind, bei genauer Untersuchung, wenn auch noch so subtile und zuweilen scharfsinnige, doch im Ganzen sehr armselige Spiele mit Worten und Begriffen. Wollen wir über alle Begriffe hinaus, so schwindeln wir natürlich ins Unbegreifliche hinein und sehen die Gespenster unserer Phantasie nebst unseren spitzfindig-abstrakten Vorstellungen von leeren Gedankendingen als intellektuelle Anschauung an. Erträumen wir uns mit Herrn MACKENSEN ein besonderes Abstraktionsvermögen, wodurch wir philosophische Begriffe zu erhalten wähnen, ohne sie mit Worten bezeichnen zu dürfen, so geraten wir in mystische Schwärmereien, und glauben auf diese Art durch einen eingebildeten von innen erleuchtenden Blitz eine reine ursprüngliche Anschauung erlangt zu haben, die kein Anderer sieht, als wer ebenso exaltiert ist, und so verwirrt redet, wie wir. Daraus entstehen dann Philosophen wie FICHTE, welcher sich rühmt, daß seine Anschauung "alle Gegenstände des menschlichen Wissens bis in den Mittelpunkt verfolgt, so daß "gar kein Irrtum mehr möglich ist", indem - wie er versichert - "die Anschauung nie irrt", oder wie SCHELLING, welcher schon vor mehreren Jahren versicherte, seine Philosophie, ganz vervollkommnet, wird nicht mehr mitteilbar sein, oder wie ein Schüler von beiden, welcher behauptete, weit gefehlt, daß der Satz des Widerspruchs in der höheren Philosophie gelten sollte, so sei vielmehr im Transzendentalen nichts wahr, als was sich widerspricht. (19) Wem diese Art der Philosophie behagt, der weihe sich ihr! Er mag auch immer sagen, man verstehe ihn nicht; denn die Philosopheme eines Fieberkranken sind auch gewöhnlich ebensowenig zu verstehen, wie sie zu widerlegen sind. Und wenn wir ferner in unendlicher Folge immerfort abstrahieren, und ununterbrochen in abstracto und vermeintlich rein a priori, Begriffe spalten, so werden wir doch, wenn wir noch so lange Subtilitäten auf Subtilitäten häufen, nie zum Unendlichen, zum Unbedingten, zum Absoluten, zum Ursprünglichen gelangen, welches jene exaltierten Philosophen erlangt zu haben sich einbilden, indem sie sogar in bewußtloser Unendlichkeit zu philosophieren wähnen. Wir werden durch alle abstrakten Spitzfindigkeiten zuletzt gewiß weniger Befriedigung erhalten, als wenn wir beständig deutliche Vernunftbegriffe mit geprüfter Beobachtung zusammenstellen, und sie durch eine wechselseitige Aufmerksamkeit auf beide immer bestimmter und deutlicher zu machen suchen. Wir möchten freilich auch dadurch noch nicht zum objektiven Wissen gelangen. Könnten wir aber dadurch zumindest nach und nach so weit kommen, daß wir einsehen, was wir nicht wissen können, so hätten wir schon viel gewonnen. Wir würden uns dann, in vielen spekulativen Gegenständen, mit einer hypothetischen Gewißheit, mit einer überwiegenden subjektiven Wahrscheinlichkeit begnügen, und zumindest so weise werden, die objektive Wahrheit nicht auf einem Weg suchen zu wollen, wo gar nichts zu finden ist, auf dem Weg spitzfindiger und leerer abstrakter Begriffe. Die kritische Philosophie hat versprochen, genau zu bestimmen, was wir nicht wissen können. Sie würde diese Verheißung viel besser erfüllen, sie würde viel sicherer den Schein von der Wahrheit unterschieden haben, wenn sie nicht so oft ihre individuellen Vorstellungsarten und willkürlichen Ideenverknüpfungen, dergleichen z. B. ihre Tafel der sogenannten Stammbegriffe des menschlichen Verstandes ist, erdacht und sie für notwendige Wahrheiten a priori ausgegeben hätte, oder uns nicht zumuten wollte, wir müßten ihre praktischen Postulate, als Imperative, ohne Beweis annehmen; da diese Postulate bloß zum Zweck des Zusammenhangs des kritischen Systems erdacht, keineswegs a priori in den Gesetzen unseres Denkvermögens, gegründet sind. Durch das unphilosophische Verfahren, Postulate als notwendige Gebote a priori anzunehmen, muß man dahin kommen, sich einzubilden, man wisse viel, ohne daß man wirklich etwas weiß. Man sehe nur die Schriften unserer neuesten Philosophen an! Es ist kaum zu leugnen, daß, nachdem durch die kritische Philosophie sehr scharfsinnig und kritisch gezeigt worden ist, daß in den vorigen philosophischen Systemen vieles willkürlich und inkonsequent angenommen worden ist, nun auch in dieser Philosophie unvermerkt, durch subtile Zerspaltungen der Begriffe und unweisen Gebrauch der Begriffe in abstracto, nicht wenig neue Willkürlichkeiten und Inkonsequenzen an die Stelle der alten gesetzt worden sind. Aber wenn dies auch der Fall sein mag, so wird doch jedes Streben nach Gewißheit, welches eigentlich der höchste Zweck allen Philosophierens sein sollte, auch dann noch verdienstlich bleiben, wenn es nicht den gehofften Erfolg haben könnte. Und dieses Streben wird an allen Philosophien desto eher erkannt werden, je mehr sie sich bemühen, ihre Sätze deutlich auszudrücken und folgerecht zu verbinden. Insofern ihnen aber beides fehlt, können weder ursprüngliche Anschauung noch Abstraktionen, noch sonst irgendeine Subtilität den Mangel deutlicher Erkenntnis ersetzen. Vernunftbegriffe mit Erfahrungsbegriffen verbunden, und wechselweise die Einen durch die Anderen aufgeklärt, werden uns allerdings noch bei weitem nicht über alle Gegenstände des menschlichen Wissens unumstößliche Gewißheit geben können; aber, um uns selbst und die Natur außer uns nach und nach genauer kennenzulernen, werden sie uns sicherer leiten, als die bloßen Spitzfindigkeiten der dialektischen Abstraktionen, verbunden mit einer vermeintlich ebenso bewußtlosen wie regellosen Unendlichkeit des Wissens.
1) Vorgelesen in der Königlichen Akademie der Wissenschaften, am 11. November 1802, zuerst gedruckt, in den Schriften derselben vom selben Jahr. 2) Verkündigung des nahen Abschlusses eines Traktats zum ewigen Frieden in der Philosophie. In der Berlinischen Monatsschrift, Dezember 1796, Nr. 1, wieder gedruckt im dritten Teil von KANTs vermischten Schriften, Halle, Seite 339. 3) KANTs vermischte Schriften, dritter Teil, Seite 355 4) Einer der schätzenswürdigsten Männer unter den neuen Philosophen, Herr Professor BARDILI, sagt im ersten Heft seiner philosophischen Elementarlehre (Landshut 1802, Seite 8) § 40: "Wenn die Abstraktion bis zu einem Objekt überhaupt, bis zum Etwas aufgestiegen ist: so hat sie - die Dinge an ihrer Wurzel angefaßt, und wie sie in der Natur selbst Grundverfassungsmäßig werden und entstehen, läßt dieselbe, aus dieser Wurzel heraus, über welche sie jetzt durch die Abstraktion Macht erhalten hat, auch bei sich werden und entstehen." Ich bekenne mich nicht überzeugen zu können, daß durch eine so weit getriebene Abstraktion diese Macht zu erhalten ist, wie selbst dieses scharfsinnigen Philosophen, System des Denkens, als eines reinen Denkens bezeugt. 5) Grundzüge zu einer Theorie des Abstraktionsvermögens, entworfen von WILHELM MACKENSEN, Halle 1799, Seite 1: "Die Abstraktion ist die Seele aller Philosophie. Die kritische Philosophie wird ohne sie ein peinigendes, Herz und Geist verzehrendes Spiel mit Begriffen; aber durch Abstraktion aufgefaßt, ist sie leicht, evident, erfreulich und seelenerhebend." 6) MACKENSEN, a. a. O., Seite 5 7) MACKENSEN, Seite 112, 123. 8) LEIBNIZ, Nouveaux Essais sur l'entendement humain, Seite 246 9) LEIBNIZ, a. a. O., Seite 70f. 10) KANT, Über eine neue Entdeckung, Seite 26. Ich weiß wohl, daß Herr KANT sich etwas hinter seinem abstrakten Begriff eines transzendentalen Schemas eines Verstandesbegriffs hat verschanzen wollen; mich aber, der auf dergleichen Subtilitäten einzulassen, ist hier nicht der Ort. Ich halte sie für nichts, als für sehr willkürliche, nur dem System zu Gefallen erfundene Zerspaltungen von Begriffen. Ich bleibe bloß bei dem, was KANT in der angeführten Stelle über die Art zu abstrahieren deutlich und ohne Einschränkung sagt, (was doch sein Ernst sein muß, da er einen Gegner dadurch widerlegen will) und was er hätte notwendig beweisen müsen, wenn er nicht hätte zu verstehen geben wollen, es wäre für sich klar. Herr MELLIN hat obigen ganz willkürlichen Ausspruch KANTs in sein Wörterbuch, im Artikel "Absondern", wörtlich aufgenommen, gerade als enthielte die wesentlichen Bedingungen des Abstrahierens. 11) Berlinische Monatsschrift, Dezember 1796, Seite 497. Desgleichen KANTs "Vermischte Schriften", dritter Band, Seite 350. 12) KANT sagt in seiner Logik (Königsberg 1800, Seite 85): "Der äußere Gebrauch der Merkmale, als Erkenntnisgründe betrachtet, besteht in der Vergleichung, sofern wir durch Merkmale ein Ding mit andern nach den Regeln der Identität oder Diversität vergleichen können." 13) Man siehe FICHTEs "Bestimmung des Menschen", Seite 162 14) Man siehe desselben "Appellation an das Publikum über die durch ein kurfürstlich-sächsisches Konfiskationsreskript ihm beigemessenen atheistischen Äußerungen", Seite 45. 15) Sie wurde noch 1725 zu Nürnberg mit neugestochenen Kupfern wieder gedruckt. 16) LUTHER braucht in seinem Neuen Testament um 12 griechische Wörter zu übersetzen, das einzige Wort Vernunft, zu 24 griechischen Wörtern vernünftig, 23 griechische Wörter gibt er durch Verstand, und 22 Wörter durch verständig. Es versteht sich, daß er zum Teil eben dieselben Wörter durch Vernunft oder Verstand übersetzt. In der "Großen Konkordanz zur Lutherbibel" kann man die verwendeten griechischen Wörter finden, sowie auch die hebräischen Wörter, welche LUTHER durch die Wörter Vernunft und Verstand deutsch gegeben hat. 17) Wenigstens wußte er, daß nicht nur die Körper, sondern auch die Elemente Pori haben - ich darf nicht Schweißlöcher übersetzen) - und er hielt es für wahrscheinlich: "daß der Kern der Körperchen des Öls sphärisch oder sphärodisch sein und doch darin hin und wieder kleine Strahlen von Äther hervorragen könnten." Man siehe CRUSIUS' "Anleitung über natürliche Begebenheiten nachzudenken", 1774, erster Teil, Seite 399 und 466. PLATON, der in seinem träumevollen Gespräch Timäus, alle Elemente aus Triangeln entstehen läßt, gibt dem Wasser eine aus sehr soliden - freilich unendlich kleinen - gleichseitigen Dreiecken bestehende Gestalt (siehe Platonis Opera, Biponti, Teil IX, Seite 354f) 18) Man siehe NIETHAMMERs "Philosophisches Journal" des zweiten Jahrgangs, viertes Heft, Seite 278f. 19) Es verdient hier folgende Stelle aus FICHTEs und NIETHAMMERs "Philosophischem Journal" von 1797, Seite 110 angeführt zu werden: "Kant symbolisierte den übersinnlichen Grund alles Sinnlichen durch den Ausdruck: Dinge ansich; ein Ausdruck, der, wie alle symbolischen Ausdrücke, einen Widerspruch in sich schließt, weil er das Unbedingte durch ein Bedingtes darzustellen, das Unendliche endlich zu machen sucht. Solche widersprechenden, ungereimten Ausdrücke sind aber die einzigen, wodurch wir überhaupt Ideen darzustellen vermögen." So hieß es schon ihm Jahre 1797, aber seit 1802 sind die Ausdrücke der neuesten deutschen Philosophen noch kühner, d. h. nach ihrer eigenen Beschreibung noch ungereimter geworden; denn sie bemühen sich ja immer noch, ihre Ideen durch widersprechende Ausdrücke darzustellen, und es schließlich so weit zu bringen, daß ihre Philosophie nicht mehr mitteilbar wird. |