p-4F. HillebrandH. SchmidTh. LippsWindelband    
 
ANTON von LECLAIR
Das kategoriale Gepräge
des Denkens

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"Kant gibt irgendwo zu bedenken, daß es eben nicht nötig sei, daß jedermann Metaphysik studiere. Ich muß hier hinzufügen, daß Begriffs- und Erkenntniskritik sogar zum Unheil gereicht, wenn man, bei mangelnder individueller Disposition durch deren Ergebnisse verwirrt und entmutigt, nur Negation und Zerstörung und keine Brücke mehr sieht, die aus dem Wogenschwall eines bodenlosen Ozeans auf das  leider  verlassene Festland mit seinen vertrauten Fluren und standhaltenden Gegenständen zurückführt. Nicht jedermann verträgt einen entgötterten Himmel, nicht jedermann eine erkenntnistheoretisch zerfaserte Begriffswelt."

Unser Denken bewegt sich nun einmal auch bei seinen elementarsten AKten in bestimmten stereotypen Formen; diese Kategorialformen kanne es ebenso wenig abstreifen, als es in seinen komplizierteren Betätigungen, in Gedankenketten, spezielle in Folgerungen und Beweisen sich jemals der speziellen Normen entschlagen kann, deren Kodifizierung die althergebracht "formale" Logik unternimmt, wenn anders es nämlich ein  wirkliches, d. h. richtiges  Denken (1) bleiben will. Man braucht diese "Gebundenheit" des Denkens ebensowenig zu beklagen, als es sich jemand beifallen läßt, über einen lästigen Zwang der Natur zu klagen, die allen Naturkörpern dieselben Gesetze der Schwere, des Gleichgewichts, der Festigkeit, der Elastizität usw. "aufgezwungen" habe. Wir müssen die Tatsache als solche erkennen und müssen sie auch nach allen ihren Konsequenzen zu würdigen verstehen. Je näher die verwendeten und bearbeiteten Begriffe ihrem Materialgehalt nach der schon erwähnten Wirklichkeitsbasis stehen, aus der sie hervorgegangen sind und durch welche sie jeden Augenblick beglaubigt werden können, desto leichter enthüllt sich ihr erborgter, ich möchte sagen: transistorischer Kategorialcharakter. Wir können keine Gebäude bauen, ohne sein Emporwachsen durch die störend Zutat der Gerüst zu verunstalten; ist aber der Bau vollendet, dann haben die Gerüste ihre Rolle ausgespielt und müssen verschwinden. Ebenso können wir nicht anders denken als in den "spanischen Stiefeln" der Kategorialbeziehungen, wir haben aber auch die Fähigkeit und die intellektuelle Pflicht, uns dessen klar bewußt zu werden und die unabweisbaren Folgerungen daraus zu ziehen. Wie schon oben angedeutet wurde, ist diese Pflicht für solche Spezialfähcer weniger dringend, deren unausgesetzt zu berücksichtigendes Objekt selbst schon die Remedur [Heilung - wp] gegen Mißdeutung und Überanspannung der verwendeten Begriffe mit sich bringt, indem sie eine abgegrenzte Provinz jener Data bearbeiten, in deren Umkreis sich die Kategorialbeziehungen  ursprünglich  offenbaren und nach denen sie auch bei anderweitiger Applikation stets wieder gravitieren.

Weniger günstig steht die Sache bei jenen Fächern, die wir als Geisteswissenschaften den Naturwissenschaften prinzipiell gegenüberzustellen gewohnt sind, zumal bei den "philosophischen" Disziplinen, von denen Erkenntnistheorie, Psychologie und Metaphysik hervorgehoben werden mögen. Der erstgenannten obliegt die Aufgabe, die Probleme und die Lösungsmethoden der beiden letzteren zu prüfen, sie selbst aber wird nur dadurch möglich, daß das Erkennen und Denken, wie ich in meinen "Beiträgen zu einer monistischen Erkenntnistheorie" ausgeführt habe, sich selbst zu seinem Gegenstand nehmen kann. Indem nun die Erkenntnistheorie dies tut, kommt sie zur Einsicht in das eigentümliche, stets wiederkehrende, unverwischbare Gepräge des Denkens, d. i. eben zum Bewußtsein von der kategorialen Natur desselben. Die erworbene Einsicht hat sie nun überall da zu verwerten, wo ein Erkennen vorgegeben wird und da können die großen Unterschiede der Begriffswerte, von denen oben gehandelt wurde, nicht verborgen bleiben.

Tendenz und Verfahren einer philosophischen Forschung, die demgemäß mit der erkenntnistheoretischen Selbstbesinnung anhebt und in dieser die ganze Energie des Denkens zusammendrängt, mag auf den ersten Blick destruktiv, ja in gewissem Sinne selbstmörderisch erscheinen, da sie, wie sich noch zeigen wird, sich nicht scheuen darf, mit der logischen Sonde auch im eigenen Fleisch zu wühlen, um die Stichhaltigkeit und Allgemeingültigkeit ihrer Resultate unwiderleglich zu erhärten;  unbesonnen  aber und  unwissenschaftlich  wird man ein derartiges Verfahren wohl kaum nennen können, es müßte denn sein, daß man sich einer Gemütsverfassung erfreut, welche die von Göttern, Halbgöttern, Dämonen und Kobolden bevölkerte, gelenkte und - genarrte Welt des Mythos dem "trockenen", auf Mathematik und Mechanik sich stützenden Atomismus der modernen Wissenschaft als in jeder Beziehung, intellektuell und moralisch, befriedigender vorzieht. KANT gibt irgendwo zu bedenken, "daß es eben nicht nötig sei, daß jedermann Metaphysik studiere". Ich muß hier hinzufügen, daß Begriffs- und Erkenntniskritik sogar zum Unheil gereicht, wenn man, bei mangelnder individueller Disposition durch deren Ergebnisse verwirrt und entmutigt, nur Negation und Zerstörung und keine Brücke mehr sieht, die aus dem Wogenschwall eines bodenlosen Ozeans auf das "leider" verlassene Festland mit seinen vertrauten Fluren und standhaltenden Gegenständen zurückführt.  Mytheis ageometretas eisito!  [Niemand ohne Kenntnis der Geometrie soll hier eintreten! - wp] Nicht jedermann verträgt einen entgötterten Himmel, nicht jedermann eine erkenntnistheoretisch zerfaserte Begriffswelt.

Wir hegen die Überzeugung, daß,  wenn es überhaupt  für die in den breiten Schichten der Gelehrtenwelt seit der HEGELschen Aera noch immer wenig akkreditierte "Philosophie" eine  restitutio in integrum  [Wiederherstellung bei Unversehrtheit - wp] gibt, diese nur auf dem bezeichneten Weg durchzusetzen ist. Auf diesem Weg wird die Philosophie, welche in Erkenntnistheorie und Begriffskritik, nicht aber in einer Metaphysik als der Wissenschaft von einem transzendent-realen Substrat des Weltphänomens und letzten Objekt des Erkennens gipfelt, zu unentbehrlichen "Prolegomena" jeglichen Spezialwissens werden; an ihr findet dann das letztere einen verläßlichen Halt, sie gewährleistet ihm eine zielbewußte Forschungsrichtung, für die es keine Irrwege gibt, sie zeigt ihm Ziele, die gegen das wenig erbauliche Schicksal gefeit sind, plötzlich als Phantome enlarvt zu werden und in Rauch und Nebel aufzugehen - ein Schauspiel, das uns die Geschichte der Wissenschaften nur zu häufig darbietet. -

Wir verließen oben die Analyse des zuerst gewählten Beispiels "Gesichtssinn" bei dem Satz, dieser bedeute "die Möglichkeit, daß Gesichtsphänomene gegeben sind", und nun schließen wir die Betrachtung mit Erwägung ab, daß im Begriff "Gesichtssinn", wenn die oben ausführlich erörterte Zutat des Denkens in Betracht gezogen wird, obige "Möglichkeit" unter dem Gesichtspunkt der Dingheit und zugleich unter dem der Eigenschaft, bzw. Fähigkeit gedacht und in dieser Amalgamierung zu mannigfaltigen haltlosen Behauptungen mißbrauch wird. Dies wird aber vornehmlich erst dadurch möglich, daß drittens auch noch die Kategorie der Kausalität in jene Verquickung miteingeht. Die Imprägnierung der obigen "Möglichkeit" durch den Dingbegriff ist nämlich erst dann ertragreich, wenn dieses Ding ein  wirkendes  ist. Es gehört zu seinem  Wesen,  ja dieses Wesen erschöpft sich geradezu darin, daß es das Auftreten  jener  Phänomene bewirkt oder ermöglicht, die wir Gesichtsphänomene nennen.

Ich muß hier ausdrücklich die Hereinziehung der beliebten "Affektion der Sinne" ablehnen, die von außen, d. h. durch die "leibhaftigen" Gegenstände der "Außenwelt" oder vorsichtiger ausgedrückt: durch deren tranzendent-reale Substrate, um die sich Metaphysik und Naturwissenschaft wetteifernd bemühen, stattfinden soll. "Affiziert" werden läßt man dann entweder nur das leibliche Organ, Auge, Nerv, Gehirn oder auch in letzter Linie - wie neuestens LOTZE in seiner "Metaphysik" (1879, Seite 491f) - die Seele selbst, zu deren Konstituenten wohl der oben behandelte "Gesichtssinn" gehört. In beiden Fällen würde nur ein neues, nicht minder bedenkliches Problem hereingezerrt werden und es bliebe auch dann nichts an der Annahme auszusetzen, daß der Gesichtssinn - sei es nun affiziert oder nicht - die Gesichtsphänomene "liefere", aus sich "hervortreten" lasse und dgl., analog wie aus dem Seelenwesen die seelischen Phänomene überhaupt als die "inneren Zustände" desselben hervorspringen sollen; er ist ihr Urquell, ohne ihn gibt es nichts Gesehenes oder Sehbares. Der wesentliche Anteil der Kausalitätskategorie liegt hier offen zutage. Diese ist es, die das "Ding" Gesichtssinn geradezu anthropomorphisch ausstattet und zum Spender, wenn nicht gar Schöpfer, der fraglichen Phänomene erhebt, nicht anders als wie CERES und POMONA den Segen des Feldes und Gartens spenden. Durch unsere Betrachtung finden wir uns selbst in den blühenden Garten der Mythologie versetzt. Diese Art von Mythologie ist jedoch, wie schon hervorgehoben wurde, gänzlich unschädlich, solange sie sozusagen nur dem  alltäglichen, vorübergehenden Hausbedarf  dient, wie man etwa ganz geläufig und ohne die geringste Gefahr, mißverstanden zu werden, von einem  scharfen  oder  geübten Ohr  spricht. Sie ist dann dem "Papiergeld" oder dem Wechsel vergleichbar, die, ohne selbst Geld zu sein, dennoch für solches in den Verkehr eintreten, denselben wesentlich erleichtern, aber auch jeden Augenblick gegen den Nennwert baren Geldes ausgetauscht werden können. Anders dagegen stellt sich die Sache, wenn derartige Positionen Aufklärungen im Rahmen der  theoretischen Wissenschaft  zu sein Anspruch erheben. Dann erwächst dem Vorsichtigen das Recht und die Pflicht, auf den täuschenden, relativ wertlosen Charakter des verwendeten Begriffs aufmerksam zu machen und vor dem lächerlichen Schauspiel zu warnen, eine Sache  A  aus  B  ableiten zu wollen, wo das  Beste,  der wahre  Kern  von  B  in  A  wurzelt, so daß  A aus sich selbst  abgeleitet wird. -

Liefert der Gesichtssinn die Gesichtsphänomene, so liefern mit Verallgemeinerung dieses Standpunktes die "Sinne" überhaupt alle jene Data, aus denen sich materiell unser Weltbild zusammensetzt. Man denke dabei an KANT, der neben dem beziehenden und gestaltenden Verstand als zweite Quelle der Erfahrung der  "Sinnlichkeit"  in Anspruch nimmt. Es sei uns gestattet, den obigen Gedankengang auch an dieses Beispiel zu applizieren.

Es kann kein Zweifel darüber herrschen, daß es KANT ernst war um die Lösung des Problems vom Ursprung der Erkenntnis und zwar nicht nur vom Ursprung einer ganz bestimmten  Spezies  der Erkenntnis, etwa gemäß seiner berühmten Hauptfrage der synthetischen Erkenntnis  a priori,  sondern vom Ursprung und den Bedingungen des Erkennens überhaupt. Im ersteren, beschränkteren Fall konnte die Untersuchung nach der von KANT begründeten neuen Methode ohne jeglichen  transcensus  [Übergang - wp] des Erfahrungsbereiches (im weitesten Sinne des Wortes = Bewußtseinsrahmens) durchgeführt werden; im zweiten Fall dagegen mußte die Untersuchung von ebenderselben Grundannahme ausgehen, die den Bemühungen der von KANT in Frage gestellten Metaphysik überhaupt erst einen Sinn und ein Objekt verschafft und ohne deren Beseitigung an eine definitive Überwindung transzendent-metaphysischer Konstruktionstendenzen nicht zu denken ist: das ist die Annahme, daß wir unbedenklich Dinge und Vorgänge in unser Denken einführen können, deren Realität  nach ihrem Begriff  außerhalb alles desjenigen fällt, was in einem Bewußtsein gegebene sein oder auftreten kann - deren Wirklichkeit zwar von der Wirklichkeit irgendeines Bewußtseinsdatum unabhängig sein, nichtsdestoweniger aber in einem begrifflichen "Abbild" als etwas wohl Verständliches in unser Denken soll eingeführt werden können. Wir bitten den Leser, falls ihm dieses Postulat in seiner hier gegebenen Präzisierung logische Beklemmungen verursacht, hierfür das Postulat selbst direkt verantwortlich zu machen.

Eben hierin ist aber auch die Achillesferse der Kantischen Erkenntnistheorie zu erblicken. Um das "Ding ansich" als transzendent-reales Korrelat und Erreger jener Empfindungsdata, deren Gegebensein erst die Tätigkeiten des Verstandes auslöst, ist mit aller Interpretationskunst nun einmal nicht herumzukommen und eben dieses Ding ansich zwingt, auch dasjenige, worauf es einwirken soll, d. i. das "Erkenntnisvermögen" mit seinen drei Komponenten Sinnlichkeit, Verstand und Vernunft  hinter  die Kulissen der Bewußtseinsbühne zu verlegen. Was kann nun aber Sinnlichkeit anderes bedeuten als die  hypostasierte [einem Gedanken gegenständliche Realität unterschieben - wp]  Möglichkeit  des Auftretens der Sinnesdata?

Ich will hier sofort einschalten, daß man von "Sinnesdaten" überhaupt nur reden kann unter der  Voraussetzung  jener Analyse des ursprünglich gegebenen Konkreten, welche die noch ungeschiedene Einheit des letzteren  abstrahendo  in die zwei Anteile oder Komponenten zerfallen läßt, die wir gattungsmäßig als  Denkform  und  Sinnesdatum  bezeichnen. Nie findet sich innerhalb des Rahmens des Bewußtseins als Objekt der erkenntnistheoretischen Betrachtung etwas vor, das icht - unbeschadet einer allenfalls noch so hohen Abstraktionsstufe - die oben erwähnte  Einheit  oder von der Seite des analytischen Resultates aus betrachtet:  Zusammensetzung  aufwiese; stets also ist es erst die Tat des analysierenden und abstrahierenden Denkens, welche uns einerseits von einem Sinnesdatum, andererseits von Denkgepräge oder Denkform reden läßt. Oft genug kommt auch bei KANT selbst diese Auffassung des Sachverhalts zum Durchbruch und zu unzweideutigem Ausdruck; nicht minder oft aber schwankt bei ihm die Betrachtungsweise wieder hinüber zu dem Standpunkt, der sich bei den Tatsachen, welche das Zifferblatt des Bewußtseins darbietet, nicht beruhigt, sondern sich vielmehr vermißt, zu diesem ein treibendes Uhrwerk und die dasselbe in Gang erhaltenden Kräfte kennen lernen zu wollen.

Sinnlichkeit ist also, wie schon oben gesagt wurde, sobald man auf nebulose Transzendenzgedanken verzichtet, nichts anderes als die hypostasierte Möglichkeit des Auftretens jener Dat, die wir Sinnesdata nennen, wobei wir uns wohl erinnern, daß diese in ihrem Fürsichsein nur die Geschöpfe unserer fundamentalen Analysen und Abstraktionen sind. Außer dem  dinglichen  Charakter aber bemerken wir an unserem Begriff auch jene Unselbständigkeit, jenes Bedürfnis der Anlehnung an ein anderes "Ding", das ihn zugleich unter den Gesichtspunkt der  Eigenschaft  stellen läßt. Sinnlichkeit bedeutet eine Disposition, eine Fähigkeit; aber wessen Fähigkeit? Am häufigsten verschleiert sich die "Substanz" für die fragliche "Akzidenz" bei KANT hinter dem Possesivpronomen [besitzanzeigendes Fürwort - wp] "unsere" Sinnlichkeit; oder es ist das "Gemüt" dasjenige, dem die "Rezeptivität" der Sinnlichkeit zukommt; auch das "Erkenntnisvermögen" oder die "Erkenntnisfähigkeit" darf nach KANTs Darstellung als Besitzer (Träger) der Sinnlichkeit betrachtet werden. Dem Pronomen "unsere" entnehmen wir ein "Wir" und somit auch ein "Ich". Was hat es nun aber für eine Bewandtnis mit diesem "Ich", mit dem "Gemüt", mit dem "Erkenntnisvermögen", mit der "Erkenntnisfähigkeit"? (2) Welche Aufklärung wird uns denn hierdurch zuteil? Es liegt auf der Hand, daß wir es hier gleichfalls nur mit Usurpatoren der Dinglichkeit zu tun haben, die uns vortäuschen möchten, daß sie zwar zunächst Begriffe, aber als Begriff doch nur das gedankliche Korrelat einer die Bewußtseins- und speziell  Erkenntnistatsachen  bewirkenden transzendent-realen Substanz seien. KANT geht den Ausdrücken "Seele", "Geist" und dergleichen vorsichtig aus dem Weg, übersieht aber dabei, daß er genau dieselben logischen Aporien [Widersprüche - wp], welche der Seelentheorie anhaften, in seine Begriff des Gemüts, des erkennende Ich, des Erkenntnisvermögens usw. hinübernimmt und - ungelöst läßt. Übrigens ist noch zu bemerken, daß insbesondere die Begriffe "Erkenntnisvermögen" und "Erkenntnisfähigkeit" an sich schon wieder über sich selbst hinausweise auf etwas, dem dieses Vermögen anhaftet, daß sie also schon aus diesem Grunde durchaus nicht eine Position ausmachen, bei der wir mit vollster logischer Befriedigung stehen bleiben können.

Der "Sinnlichkeit" haftet endlich auch wiederum  Kausalität  an, ja die Setzung derselben wird erst durch den Gedanken der Wirkungsfähigkeit theoretisch verwertbar. Zwar läßt KANT die Sinnlichkeit sich rezeptiv verhalten, er läßt sie Eindrücke von Seite der "Gegenstände" empfangen. Er will jedoch sicherlich nicht diese Eindrücke, worunter in aktivem Sinn eine Aktion, in passivem Sinn eine von "außen" erlittene Veränderung zu verstehen ist, mit den Empfindungsinhalten identisch setzen, die er auf die Sinnlichkeit als ihre Quelle zurückführt. Jene "Eindrücke" sind vielmehr als die Reaktion aufzufassen, welcher jener Aktion folgt und insofern die Sinnlichkeit oder das mit Sinnlichkeit ausgestattete "Gemüt" mit den "Gegenständen" zusammenbestehen und diese auf sich einwirken lassen soll, hat man auch das Recht, zwischen der (affizierten) Sinnlichkeit und den Sinnlichkeitsdaten (Empfindungsinhalten) das Verhältnis von Verursachendem und Bewirktem anzunehmen. Dieser Auffassungsweise entsprechen sodann auch zahlreiche Ausdrucksweise KANTs, die zum Teil wohl von ihm selbst als nur metaphorisch erkannt und gebraucht sein mögen, zum weitaus größten Teil aber als bare Münze zu nehmen sind. So kommt es, daß einerseits der Lehrende (der Autor) hier ein verständliches, fruchtbares Problem lösen zu können vermeint und einen Scharfsinn daransetzt, dem ein gesünderes Objekt zu wünschen wäre, daß andererseits der Lernende (der Leser) die oben gemeinten Ausdrucksweisen selbst dann, wenn sie von ihrem Urheber mit dem vollen Bewußtsein von ihrer trügerischen Natur nur als notwendiges Übel gebraucht werden, sehr leicht mißversteht und mißdeutet, falls er nicht etwa von vornherein nachdrücklich auf die unvermeidlichen Grundformen jeglichen Denkaktes aufmerksam gemacht wird.

Durch die obige Betrachtung sind wir demnach zu dem Ergebnis gelangt, daß im Begriff der Sinnlichkeit sich ebenso wie im früheren Beispiel die Kategorien der Substanz, der Akzidenz und der Kausalität vereinigt betätigen. Es wäre instruktiv, dieser Darlegung zur Verstärkung des beabsichtigten Eindruckes das erkenntnistheoretische Signalelement des nicht minder trügerischen Genossen der "Sinnlichkeit", nämlich des sie "affizierenden Gegenstandes" folgen zu lassen. Indessen wird dies besser einer späteren Besprechenung des Objektverhältnisses vorbehalten. -

Wir wenden uns nun zu einem dritten Beispiel, dem Begriff  Seele,  mit dem sich gleichzeitig auch die Begriffe Geist, Bewußtsein und dgl. erledigen,  insofern  dieselben nämlich genau dieselben Funktionen versehen wie der erstere. Wir haben hier auszugehen von den konkreten, individuellen Daten (Zuständen, Erlebnissen, Akten), die man als psychische bezeichnet, wobei es zunächst gleichgültig bleibt, ob man dem psychischen Sein nach der Seite seines Inhaltes noch einen konträren Gegensatz zur Seite setzt oder nicht. Diese beiden Möglichkeiten werden wir erst nachträglich aufgreifen und nach ihrer Bedeutung in Erwägung ziehen müssen. Wenn wir soeben sagten, daß von den  individuellen  psychischen Phänomenen auszugehen sei, so wollen wir hierbei nicht außer Acht lassen, daß dieser Plural "Phänomene" schon die analysierende, isolierende, generalisierende und klassifizierende Tätigkeit des Denkens voraussetzt, welche den einheitlichen Strom des gleichzeitig Gegebenen, das ein persönliches Bewußtsein ausmacht, zum Gegenstand hat. Die Phänomene also, welche -  cum grano salis  [mit einer Brise Salz / einfach gesagt - wp] - mein persönliches Bewußtsein "ausmachen", weisen jene eigentümliche Einheit und gegenseitige Bezogenheit oder Beziehbarkeit auf, zu der es durchaus kein Seitenstück gibt und die im Ichbegriff, neben anderen Bestimmungen desselben, ihren adäqaten Ausdruck findet.

Man tadle nicht den scheinbaren Zirkel, wenn ich  auf dem Weg  zu den Begriffen Seele, Bewußtsein, Person und dgl. schon von  meinen  psychischen Phänomenen rede und somit die Einheitsfunktionen eines persönlichen Bewußtseins bereits voraussetze und in die Erörterung miteingehen lasse. Ich bin eben hier im gleichen Fall, wie bei den Denkkategorien selbst, deren theoretische Betrachtung selber des Gerüstes oder Mediums dieser Kategorien nicht entraten kann. Wenn ich mir über die typischen Prägformen  jeglichen Denkens  Rechenschaft gebe und dies selbstverständlich nur  denkend  tun kann, so darf ich mich wohl nicht darüber verwundern, daß dieses zum Werkzeug dienende Denken selbst schon das gesuchte typische Gepräge trägt und tragen muß. Ebenso kann der Begriff meines Ich und meines persönlichen Bewußtseins mein Problem sein und nichtsdestoweniger kann dabei die Notwendigkeit bestehen, mich dabei fortwährend des zu untersuchenden Begriffes gleichwei einer allbekannten Münze praktisch zu bedienen. Ich kann eben nicht eine in dem Sinne absolute Philosophie treiben, daß sie sich nicht an ein das "Ich" natürlich schon voraussetzendes "Du" und "Er" wendete, um von ihnen aufgenommen und gewürdigt zu werden. Alles Denken ist gebunden an die Sprache, diese wiederum ist bedingt durch das Bedürfnis der Mitteilung und des Verkehrs mit den Nebenmenschen. So  setzt  denn jeder verkehrsfähige Denkakt vermöge seines eben nur Verkehrsmittel sein wollenden Sprachgewandes den Gegensatz von "Ich" und "Du" schlechterdings  voraus;  nichtsdestoweniger kann sich jedoch die wissenschaftliche Reflexion auf diese Voraussetzungen selbst richten und kann nach ihrer Entstehung, Berechtigung und Bedeutung forschen. So habe ich in meinen "Beiträgen zu einer monistischen Erkenntnistheorie" im V. Abschnitt das Verhältnis des fremden Bewußtseins zum eigenen genauer zu untersuchen unternommen.

Ebenso muß ich jetzt beim behandelten Beispiel, um mich überhaupt verständlich machen zu können, der Untersuchung vorgreifen und von "meinem" Bewußtsein oder dem einer anderen bestimmten Person sprechen. An der einzig möglichen Antwort, welche erteilt werden kann auf die Frage, was denn dieses "Ich" sei, das so unlegitimiert im Possesivpronomen eingeführt werde, zerschellt der puerile [kindische - wp] Vorwurf des  Solipsismus,  den die von mir vertretene Ontologie und Erkenntnistheorie ab und zu erfährt.

Einmal kann nämlich mit Ignoration der wahren Tendenz der Frage die  nur scheinbare  Antwort lauten, dieses "Ich" sei der kurze begriffliche Ausdruck für die unbeschreibbare und jeder Analogisierung spottende Tatsache der (jedermann wohlbekannten) Einheit und gegenseitigen Bezogenheit gegebener Bewußtseinsinhalte. In dieser Erklärung kann wohl keine Handhabe für den Anwurf des Solipsismus gefunen werden, da bei einer solchen Allgemeinheit der Bestimmungen noch gar nicht der Boden aufgewiesen und abgegrenzt ist, auf welchem jener drollige Begriff erst lebensfähig würde. An dieser lediglich zurückschiebenden Erklärung wird indessen auch schwerlich jemand, der die obige Frage aufwarf, sein Genügen finden, da er ja doch noch immer nicht weiß,  wessen  Bewußtseinsinhalte gemeint seien und was unter dem "Er" zu verstehen sei, dem die Bewußtseinsinhalte als die seinen angehören. Denn nach obiger Erklärung gehörten sie ihrer eigenen "Einheit" und "Bezogenheit" an!

Geben wir nun die einzige völlig passende Antwort durch Nennung des  Namens  des Bewußtseinsträgers und etwa auch durch Hinweis auf die  Leiblichkeit  desselben, so sind wir erst recht dem Solipsismus entronnen, da alle die Data, welche die bestimmte empirische Persönlichkeit ausmachen, in den Bereich  eben dessen hineinfallen,  dessen Provenienz man aufdecken und lächerlich machen will, während es in Wahrheit mit seiner wohl von niemandem geleugneten Realität die  gemeinsame Basis jeglicher Erkenntnistheorie bildet und der Stoff ist,  aus dem  sämtliche  empirischen Iche erst ausgestattet werden. Das  eigentliche  Problem ist indessen durch obige Antwort noch immer nicht getroffen, geschweige denn erledigt, da es sich nur in die Position des Bewußtseins trägers  zurückgezogen hat, den wir natürlich wieder  seinem Namen  und  seiner Leiblichkeit  entgegenstellen. Wer verkennt, daß wir es hier lediglich mit dem nie abzuschüttelnden Zwang des kategorialen Denkens zu tun haben, das den Begriff "Bewußtsein" nicht anders als im Schema der Doppelkategorie "Ding- Eigenschaft" ergreifen kann und uns auch hier einen  regressus in infinitum  aufnötigt? Nach alledem können wir in der gegnerischen Formulierung, es sei also das Ich (das Bewußtsein) des philosophierenden  M  mit seinen sämtlichen Zuständen und Aktionen das einzige von ihm anerkannte Existierende, nur ein monströses  Hysteronproteron  [das Spätere ist das Frühere - wp], ein wüstes Konvolut ungeprüfter Voraussetzungen erblicken. Eine weitere logische Erwägung mag dieses Urteil noch von einer anderen Seite aus begründen helfen.

Man übersieht nämlich vollständig, daß der Begriff "allein" oder "einzig" ein Relationsbegriff ist, indem von einem Ding  A  nur dann gesagt werden kann, daß es  allein  irgendetwas Bestimmtes (x) tue oder erleide, wenn es neben  A  logisch gleichwertige Dinge  B, C, D, E ...  oder doch mindestens  ein  solches gibt und von diesen konstatiert werden kann, daß sie jenes Bestimmte ingesamt  nicht  tun oder  nicht  erleiden. Dieses Urteil aber setzt wieder voraus, daß sie etwas anderes und zwar mit  x  Unverträgliches tun oder erleiden. Man versuche nun aber diese Erwägung auf den Satz anzuwenden, daß das empirische (persönliche) Bewußtsein  M  mit seinen sämtlichen Inhalten das einzige sei, was existiere. Er ist sinnlos, wenn nicht dabei doch schon an logisch gleichwertige (konträre) Gegensätze zu  M  gedacht wird mit der Bestimmung, daß sie  nicht  existieren. Was tun sie denn nun anderes, das mit dem Existieren unverträglich ist, wenn und weil sie eben  nicht  existieren? Wie komme ich überhaupt zur  Position  dieses grammatischen Subjektes, an welches das Prädikat der Nichtexistenz geknüpft wird, als ob von ihm trotz dieser negativen Prädizierung doch allerlei Positives ausgesagt werden könnte, wie etwa beim Urteil "Die Hyäne ist nicht zähmbar?"

Offenbar hat die Nebenbestimmung "allein" nur Sinn aufgrund einer derartigen  legitimierten  Beziehung und Vergleichung; wo jedoch diese wie bei dem Anwurf des Solipsismus begrifflich ausgeschlossen ist, hört die Anwendbarkeit jener Bestimmung von selbst auf, der Begriff des Solipsismus zerplatz somit nach kurzem Farbenschillern wie eine Seifenblase und sein Zweck, die bewußte erkenntnistheoretische Richtung durch  deductio ad absurdum  zu widerlegen oder wenigstens zu diskreditieren, ist völlig illusorisch. Aufrecht stehen bliebt vielmehr der Satz, daß das persönliche Bewußtsein  M  mit allen seinen wirklichen und möglichen Inhalten alle verständliche Existenz  in sich fasse und in sich erschöpfe:  durch diesen Fundamentalsatz werden, sofern er nur nach seiner ganzen Tragweite gewürdigt wird, auch die allerstrengsten Forderungen des eingefleischesten "Pluralisten" befriedigt werden können. Es ist eben nur das Eine stets festzuhalten, daß die Bestimmung "Bewußtseinsinhalte eines empirischen (persönlichen) Bewußtsein  M"  allerdings den Schein eines  Hysteronproteron  auf sich lädt und laden muß, daß aber in Wahrheit die Inhalte das Ursprüngliche und überhaupt Ursprünglichste sind, welches alle die Unterschiede und Gegensätze von Ich, Du, Er  dynamei  [der Möglichkeit nach - wp] in sich befaßt. Es heißt demnach, abgesehen vom oben entwickelten Bedenken bezüglich des Begriffes "allein", gesunder logik ins Gesicht schlagen, wenn man jene Inhalte zum empirischen Bewußtsein  M,  dem sie "angehören", in ontologischen Gegensatz und kausales Abhängigkeitsverhältnis bringt, wie dies mit mehr oder weniger klarem Bewußtsein von Seiten jener geschieht, die gegen unsere Richtung den Vorwurf des Solipsismus erheben. -

Kehren wir nun wieder zu unserem Beispiel zurück, das wir dem leidigen "Solipsismus" zu Liebe verlassen haben, so erinnern wir uns, daß wir bei der einheitlichen Zusammenfassung aller psychischen Daten im Ichgedanken stehen geblieben sind. Nennen wir diese Daten psychisch, so bezeichnen wir hiermit neben dem Gegensatz zu einer "anderen" Seinsspezies und neben dem Kausalgedanken, der sie an die eben zu erörternde "Psyche" knüpft, den gemeinsamen Zug, der sie zusammenhält; dieser kann bei der bekannten Zusammensetzung eines konkreten Bewußtseins nicht in einem (abstrakten)  Quale  liegen, sindern nur in der Zusammengehörigkeit, welche der Ichgedanke zum logischen Ausdruck bringt. Was stellt sich nun unter den auch schon früher angewendeten Gesichtspnkten als unsere eigentliche Meinung mit bloßgelegtem logischen Triebwerke heraus, wenn wir von unserer "Seele", unserem "Bewußtsein", unserem "Ich" sprechen und darunter nicht etwa nur die schon oben betonte, in ihrer Art einzige Einheitlichkeit und gegenseitige Bezogenheit (Beziehbarkeit) alles dessen verstehen, was als ein bunters Vielerleit ein konkretes Bewußtsein zusammensetzt? Nichts anderes können wir meinen, als die Möglichkeit, daß das bisher erlebte Strömen der konkreten Bewußtseinsdata fortdauern werde, daß es auch in Zukunft so bleiben werde. Diese Möglichkeit wird nun verdinglicht und mit Kausalität ausgestattet, und so entsteht das aktive Seelenwesen, das spiritualistische "Bewußtsein", der Geist, der im Leib lebt und webt. Als Substanz gilt nun die Seele als die Quelle allen psychischen Geschehens, die psychischen Tatsachen erscheinen als Akzidenzen dieser Substanz, als wechselnde Zustände derselben. Besonders beliebt ist namentlich bei monadistischen Nebenvorstellungen die Redensart von  inneren  Zuständen der Seelenmonade; sie fungiert als Subjekt, als Träger, als Substrat dieser Zustände. Es ist nicht zu verwundern, daß sich bei einer solchen Auffassungsweise, die sich nichts träumen läßt von irgendwelchen Bedenklichkeiten, ob man allen Ernstes über Realitäten und Tatsachen verhandeln könne, welche ihrem Begriff nach auf Geltung in einer - geträumten Transzendenz-Region Anspruch erheben, - daß, sage ich, bei solcher Auffassungsweise sich ein Heer von Fragen und Problemen herandrängt, an denen sich die "rationale" Psychologie im Bund mit metaphysischer Ontologie seit Jahrtausenden abmüht.
LITERATUR - Anton von Leclair, Das kategoriale Gepräge des Denkens [in seinem Einfluß auf die Probleme der Philosophie, insbesondere der Erkenntnistheorie], Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 7, Leipzig 1883
    Anmerkungen
    1) Vgl. WILHELM SCHUPPE, Erkenntnistheoretische Logik, Seite 644f über den Wahrheitsbegriff.
    2) Ein Beispiel für viele: Kritik der reinen Vernunft (Edition ERDMANN) Seite 51f. "Die Wirkung eines Gegenstandes auf die  Vorstellungs fähigkeit, sofern  wir  von demselben affiziert werden, ist Empfindung".