ra-2H. GossenW. LexisJevonsH. Moeller    
 
ENRICO LEONE
Leon Walras

"Der Preis setzt die Ware voraus, oder die Verwandlung des Gutes in Ware, setzt also eine geschichtlich gegebene Gesellschaft voraus, in der die berufsmäßige Erwerbung des Reichtums der Tendenz weicht, Güter als soziale Macht zu besitzen, also die Macht, über die Arbeit anderer zu verfügen durch die Befriedigung fremder Bedürfnisse. Der Preis setzt den Markt voraus. Der Markt setzt voraus, daß der Träger des Wirtschaftslebens seine Tätigkeit nicht in der Weise lenkt, daß er den Reichtum als Mittel zur Befriedigung seiner eigenen Bedürfnisse ansieht, sondern vielmehr als Zweck, durch den er die Vergrößerung seiner Macht in der Gesellschaft verwirklicht, was sein Streben nach Besitz ins Grenzenlose gehen läßt."

In LÉON WALRAS ist das anerkannte Oberhaupt der hedonistisch-mathematischen Schule der Nationalökonomie von der Bühne des Lebens abgetreten. Seiner Schule, die man als die Schule von Lausanne bezeichnet hat, wird ein wichtiger Platz in der Geschichte der volkswirtschaftlichen Lehren bleiben. Auf den von ihr errichteten theoretischen Grundlagen sind klassische Werke von hohem Wert entstanden, wie das Lehrbuch von PARETO, das Handbuch von PANTALEONI und andere mehr.

In ihren Epigonen hat die Schule von Lausanne eine Entwicklung genommen, durch die sie sich auf dem Gebiet der angewandten Ökonomie in schroffsten Gegensatz zur historischen Schule der SCHÖNBERG, ROSCHER, BRENTANO, HILDEBRAND, KNIES und zum sogenannten Kathedersozialismus setzte. Aber in WALRAS selbst hatte dieser Antagonismus noch nicht jene Schärfe erreicht, die ihm die späteren Autoren seiner Schule und seine Schüler verleihen sollten.

Das streng klassische Prinzip der SMITH-RICARDO'schen Ökonomie erlitt in der Auffassung von WALRAS in Bezug auf die Nichteinmischung des Staates eine wesentliche Einschränkung. Schon in seiner Jugend hatte WALRAS über soziale Moral gelesen und sich als Anhänger eines "absoluten Ideals" bekannt, das für ihn die Geschicke der Menschen lenkt und sie der schrittweisen Verwirklichung des allgemeinen Wohls und der Gleichheit entgegengeführt.

Im Gegensatz zu MOLINARI, für den die Moral untrennbar mit dem utilitaristischen Verhalten verbunden ist, das der Mensch auf wirtschaftlichem Gebiet an den Tag legt, hat WALRAS die Unterscheidung zwischen den beiden Sphären des menschlichen Geistes, der des Nutzens und der der Gerechtigkeit, klar und deutlich hervorgehoben. Nach ihm sollte die Volkswirtschaft sich darauf beschränken, in das System der Gesetze einzudrinden, die jener Gruppe von Erscheinungen und Beziehungen zugrunde liegen, die die menschliche Energieentfaltung hervorbringt, indem sie der Verwirklichung des größten Nutzens zustrebt. Der Wettbewerb der Interessen ist daher für ihn nicht etwas historisch Gegebenes, eine beliebig gewählte Hypothese, um die störenden Faktoren der erwähnten Erscheinungen und Beziehungen auszuschalten: er ist vielmehr eine typische Folge, die sich unmittelbar aus den ökonomischen Prämissen ergibt.

Das soziale Ideal dagegen erstrebt eben die Umgestaltung dieser Beziehungen, um sie gerecht zu gestalten, das heißt ihre Wirkungen auf alle Menschen gleichmäßig zu verteilen, allen den gleichen Anteil von Mühsal im Produktionsprozeß aufzuerlegen. Das Problem liegt hier in der Verteilung des  Reichtums,  die sich für WALRAS auf Grund von Kräften vollzieht, die außerhalb des rein ökonomischen Wertes stehen (1). Aufgabe der reinen Ökonomie ist das Studium der wirtschaftlichen Tatsachen, wie sie sich aus den rein ökonomischen Gesetzen des Wertes ergeben; Aufgabe der sozialen Ökonomie ist es dagegen, die Verteilungsform des sozialen Reichtums zu studieren, um sie den Forderungen der Gerechtigkeit gemäß zu gestalten; der angewandten Ökonomie (2) obliegt es, die geeignetsten Mittel und die passendsten Organisationssysteme darzutun, durch die die Ergebnisse der ersten und zweiten Art erzielt werden. Und unter diesen Mitteln verschmähte er es nicht, im Gegensatz zu den Manchestermännern und zu seinen eigenen Anhängern, das Dazwischentreten des Staates anzurufen.

Bei dieser wissenschaftlichen Stellungnahme hört die reine Ökonomie auf, die Apologie der bürgerlichen Ordnung zu sein. Sie stellt nicht mehr die Voraussetzung der gegenwärtigen Produktionsordnung zur Diskussion. Die Art, wie der Besitz verteilt ist, das Vorhandensein oder Fehlen monopolisierender Klassen, sind nicht Studienobjekte der reinen Ökonomie: sie fallen der Soziologie zu, der Geschichte der Institutionen, der Sitten oder des Rechts, der sozialen Psychologie usw. Die Ökonomie in der Auffassung von WALRAS übernimmt die Verhältnisse der sozialen Verfassung so wie sie sind, will sagen, als einen gegebenen Ausgangspunkt, von dem aus die Beziehungen zu studieren sind, die der Wert im Austausch und in seinem Gleichgewicht, in der Produktion und in ihrem Gleichgewicht, im Reinertrag und folglich in den Preisen der produzierenden Kapitalien verwirklicht. Ob diese produzierenden Kapitalien verwirklicht. Ob diese produzierenden Kapitalien gemeinschaftlich oder individuell besessen werden, das geht nur die Verteilungsform des gesellschaftlichen Besitzes an, von der eben die größere oder geringere Annäherung eines gegebenen Systems sozialer Ordnung an das soziale Ideal abhängt, die sich durch den Trieb zum Guten verwirklicht. Auf dieser wirtschaftlichen Grundlage hat die Ökonomie die Tendenz, zu einer "Soprastoria", einer Übergeschichte zu werden, um ein Wort von CROCE (3) zu gebrauchen, die sich nicht zur Aufgabe macht, den konkreten Menschen dieser oder jener Aera der menschlichen Ökonomie zu studieren, den Menschen, wie er etwa unter dem Regime des Kapitalismus oder der Sklavenwirtschaft handelt, oder im Handel des alten Assyrien oder des modernen chinesischen Reichs, sondern die den Menschen als solchen zum Studienobjekt macht, wie er gemäß subjektiven Gesetzen seines Vorteils handelt, also gemäß eines unveränderlichen Kriteriums seiner Psyche, das zusammenfällt mit der unbesiegbaren Tendenz, die seinen Organismus zerstörenden Ursachen (Schmerz) zu vermeiden, und die ihn stärkenden Ursachen (Lust) aufzusuchen. Die utlitaristische oder hedonistische Berechnung geht von diesen beiden Seelenzuständen und ihren Gleichgewichtsschwankungen aus. Die Ökonomie hört auf, ein Zweig der geschichtlichen und sozialen Wissenschaften - im strengen Sinn - zu werden, um sich in eine spezielle Mechanik der typischen Kräfte zu verwandeln, deren Gleichgewicht sie zum Gegenstand ihrer Studien macht (4) (heutiges Stadium), und deren Dynamik sie zu untersuchen unternimmt (Versuche von PARETO und PANTALEONI). Aufgabe der sozialen oder soziologischen Ökonomie ist es, den Menschen in der Gesamtheit seiner Lebensäußerungen als Aggregat gleichzeitiger materieller und moralischer Interessen zu betrachten: die reine Ökonomie arbeitet mit der Hypothese eines  homo oeconomicus,  den keine anderen Motive bewegen, als die utilitaristischen.

In dieser Auffassung von WALRAS muß man das neue Element suchen, das er in die vor ihm geltenden Methoden der Ökonomie eingeführt hat.

MARX hat deutlich die klassische Ökonomie von PETTY und RICARDO, die wissenschaftlich und unparteiisch die Erscheinungen des Reichtums untersuchte, von der orthodoxen Ökonomie getrennt, jener schamlosen Verherrlichung im Dienste der Polizei (5). Solange die Bourgeoisie ihren revolutionären und produktiven Charakter bewahrt hatte, war eine vorurteilsfreie Prüfung der Produktions- und Austauscherscheinungen möglich: später aber bedecken "die Furien des Privatinteresses" und die wachsenden Scharen der Unproduktiven in den freien Berufen und an den Staatskrippen die wirkliche Beziehung des ökonomischen Lebens wie mit einer Wolke, und es erstanden die besoldeten Verherrlicher der bürgerlichen Ordnung (6). Durch WALRAS kehrt die Volkswirtschaft zur Würde der klassischen Periode zurück. Wenn er, aus Gründen wissenschaftlicher Methodik, das Studium der Erscheinungen des ökonomischen Wertes von den juristischen Eigentumsverhältnissen und der Verteilung des sozialen Ertrages trennt, so versucht er, aus der reinen Ökonomie eine ebenso kalte und uninteressierte Wissenschaft zu machen, wie die Mechanik der Himmelskörper und die mathematische Physik. Und dieser Charakter der Objektivität wird noch verstärkt, indem das Theoretisieren der ökonomischen Gesetze - Aufgabe der reinen Ökonomie - von den Problemen der angewandten Ökonomie getrennt wird. Diese beiden Gebiete der Betrachtung waren noch zu den Zeiten SMITHs so wenig getrennt, daß dieser ein Kapitel des Reichtums der Nationen den Regeln für den Handelsverkehr und die gute Staatsverwaltung widmet und auch RICARDO in einem großen Teil seiner berühmten Prinzipien sich mit dem Rückschlag des Abgabensystems beschäftigt, zu dem offenbaren praktischen Zweck, den Staaten Kriterien zu einer gesunden Finanzverwaltungen zu liefern.

WALRAS war als Sohn jenes AUGUST WALRAS (7), der sich schon durch seine ökonomischen Studien einen Namen erworben hatte, gleichsam von Geburt Ökonomist: schon früh hat er sich in den schwierigsten Fragen der wirtschaftlichen Analysis geübt. Unter dem Einfluß seines Vaters war seine Aufmerksamkeit auf die quantitative Beschaffenheit der wirtschaftlichen Erscheinungen gelenkt worden; er hatte sich dem Studium der Mathematik mit noch größerer Begeisterung zugewendet, als BACON und DESCARTES für ihre quantitativen Konstruktionen. Ob er es in dieser Disziplin weit gebracht hat, steht nicht fest; man weiß nicht, ob die Mitarbeit von PAUL PICCARD und HERMANN AMSTEIN für die mathematische Bearbeitung nur durch seine Gewissenhaftigkeit und Bescheidenheit oder durch seine mangelnde Vertrautheit mit mathematischen Methoden bedingt war. Jedenfalls ist der Gebrauch, den WALRAS von der Mathematik und Geometrie macht, im Gegensatz zu dem von COURNOT, dem PARETO verschiedene Irrtümer nachweisen konnte, völlig einwandfrei. Gegenüber der klassischen Ökonomie, auf die WALRAS durch den objektiven Geist seiner Forschung zurückgreift, liegen die Neuerungen seiner Auffassung im folgenden:
    1. In der Verwendung der Mathematik für die Formulierung der ökonomischen Theorie. Diese Verwendung bezeichnet keine Trennung zwischen der klassischen und der neuen Schule, weil die erste auch mathematisch war in den rein ökonomischen Teilen, obwohl sie sich nicht der mathematischen Sprache bediente.

    2. In der Aufstelung eines ersten subjektiven Prinzips zur Erklärung aller wirtschaftlichen Handlungen: des Prinzips der Seltenheit.

    3. Durch das Studium der Funktionen dieser Seltenheit oder subjektiven Nützlichkeit und in der Entdeckung der Gleichung der Kurve, die sie analytisch ausdrückt.

    4. In der Zurückführung der wirtschaftlichen Studien auf die der hedonistischen Kräfte - in Analogie zu denen der Mechanik - und der entsprechenden Warenmengen und produktiven Dienstleistungen, indem von ihrem Gleichgewichtsverhältnis ausgegangen wird, um den notwendigen Preis dieser Waren und Dienstleistungen zu erschließen.

    5. In der klaren Gruppierung aller Teile des wirtschaftlichen Gleichgewichts um das einzige Bewegungsprinzip des Tauschwerts, also in der Aufstellung einer führenden Idee der ökonomischen Wissenschaft, von der alle anderen abhängen. Nur aufgrund dieser Klassifizierung kann man sich eine klare Vorstellung der allgemeinen Grundlinien der reinen Ökonomie machen.
Wir wollen nun einzeln und mit der größtmöglichen Kürze diese wissenschaftlichen Beiträge von WALRAS betrachten, um ihre Tragweite und ihren Erkenntniswert zu prüfen.


a) Anwendung der Mathematik auf die Ökonomie

Auf diesem Gebiet hat WALRAS zahlreiche Vorgänger, wie FUOCO, CANARD THÜNEN, COURNOT, GOSSEN und viele andere. Wenn aber die Bedeutung einer Entdeckung in der Erkenntnis ihrer Tragweite liegt, so war die der Vorgänger gering, da ihnen diese Erkenntnis völlig gebrach. Erst mit WALRAS und JEVONS setzt die mathematische Ökonomie im eigentlichen Sinn ein.

In "The Character and logical Methods of political economics" behandelt CAIRNES die Unmöglichkeit der ökonomischen und sozialen Wissenschaften, sich der quantitativen Methoden zu bedienen. Aber er begeht hier den Fehler, die Mathematik in ihrer ganzen Ausdehnung auszuschließen. In der ökonomischen Theorie handelt es sich nun nicht darum, konkrete Phänomene zu zählen, zu wiegen, zu messen und zu vervielfältigen, sondern sich der Mathematik mit nicht "zahlenhaften Quantitäten" (EDGEWORTH) zu bedienen als einer abstrakten Funktion der wirtschaftlichen Bewegung. Die "zahlenhaften Quantitäten" kommen der Statistik zu, der angewandten Finanz, der alten politischen Arithmetik, aber man bedarf ihrer zur Darlegung der ökonomischen Theoreme nicht und noch weniger zur Darstellung des wirtschaftlichen Gleichgewichts. Zu diesen Zwecken genügt es, abstrakte Quantitäten in Beziehung zu setzen. Wie die Anwendung dieser abstrakten Quantitäten in der Geodäsie, in der Physik und in der Mechanik Zweigwissenschaften der angewandten Mathematik bildet, so bildet sie sie auch im Studium der Ökonomie. Nur in diesem beschränkten Sinn bedient sich die Schule von Lausanne der Mathematik (8).

Selbst MARX im "Kapital" verschmäht es nicht, sich einigen Formeln der elementaren Mathematik zu nähern (9): seine Notizen über die Infinitesimalrechnung sind trotz ihrer zahlreichen Irrtümer Zeugnis dafür, daß er sich entweder der mathematischen Ökonomie nähern, oder sich eine klare Meinung über die Verwendbarkeit der Mathematik zu ökonomischen Studien bilden wollte. Wie die Widerlegung einer philosophischen These es notwendig mit sich bringt, daß man philosophiert, ebenso muß man Mathematik treiben, um kritisch den Gebrauch der Mathematik bei ökonomischen Forschungen verwerfen zu können. Sonst könnte es dem Kritiker gehen wie jenem Fuchs, der als König seinen Untertanen empfahl, den Schwanz abzuschaffen: seine Mittiere versicherten sich zunächst, wie es um die Schwanzverhältnisse des Königs stand und verwarfen höhnend den Rat, als sie den Schwanz des Ratgebers gestutzt fanden.

Einige Autoren halten dafür, daß man die Anwendung der Mathematik auf die Ökonomie, ohne auf theoretische Einzelheiten einzugehen, aufgrund allgemeiner philosophischer Leitsätze verwerfen könnte. Gerade mit dieser Art von Gegnern hatten WALRAS und seine Schule am meisten zu tun. Man behauptete und behauptet noch heute, daß auf dem Gebiet aller Disziplinen, die den moralischen und den sozialen Menschen zum Gegenstand haben, das Reich der Notwendigkeit aufhört, um den des freien Willens Platz zu machen (10). "Das Reich der Notwendigkeit", bemerkt der Philosoph des Marxismus, FRIEDRICH ENGELS, "ist ein Stadium, das vom Sozialismus überwunden werden soll (11), aber bis zu dieser Verwirklichung behält die Notwendigkeit in den ökonomischen Dingen das Szepter und drückt ihnen den Charakter von Gesetzen auf, die sich mit eherner Notwendigkeit verwirklichen". Unter den reinen Marxisten, also denen, die an der objektiven Auffassung der Ökonomie festhalten, kann dieser Einspruch keinen Widerhall finden. Die Schule von WALRAS selbst antwortet jenen Kritikern, die die Anwendung der Mathematik auf die Ökonomie ablehnen, in einem ähnlichen Sinn, wenn sie sich auf das subjektive Gebiet stellt und sagt: der Mensch ist wohl frei, dieses oder jenes zu wollen, oder nicht zu wollen, sich einer wirtschaftlichen Handlung zu enthalten oder nicht, aber diesem initialen freiwilligen Akt folgt das Reich der notwendigen Ursache, die sich eben aus der Natur selbst der Nützlichkeit und ihrer Beziehung zur Quantität der nützlichen Dinge ergibt. Der ökonomisch Handelnde hat Freiheit, diese oder jene Quantität eines gegebenen Gutes zu produzieren, aber sowie er sie einmal auf den Markt geworfen hat, ist der Einfluß des von ihm aufgewendeten Willens außerstande den Preis zu bestimmen, der sich aus dem allgemeinen Gleichgewicht des Marktes ergibt.

Wir halten dafür, daß die Schule von Lausanne zuviel zugesteht. Das charakteristische Moment des Wirtschaftlichen, das zur Abgrenzung seiner Wesenheit genügt, ist die Nützlichkeit: der Willen ist dagegen die Aktion, der Antrieb zur wirtschaftlichen Tat, aber er charakterisiert das Gebiet der Moral. Die ökonomische Mathematik maßt sich nicht an, die Abstufungen der Intensität des Willens zu messen, denn ein solcher Versuch setzt die Möglichkeit einer quantitativen Ethik (12) voraus, oder negiert den Begriff einer unbedingten Verpflichtung, was bedeutete, daß keine autonome Moral existiert. HUTCHINSON in seinen Studien über den Ursprung unserer Ideen von Schönheit und Tugend nimmt zu algebraischen Formeln Zuflucht, um die Beweggründe des Geistes darzustellen, ohne sich aber Anhang oder Ansehen zu verschaffen. Was die Deterministen der positivistischen Schule betrifft, so können sie die Nützlichkeit als ein Motiv des Willens, soweit er sich auf wirtschaftlichem Gebiet entfaltet, ansehen, und die ökonomische Mathematik bedeutet für sie die Einschätzung der Intensität der Motive bei wirtschaftlichen Handlungen. Aber dies steht im Widerspruch zur Auffassung der reinen Ökonomie: für diese besteht die wirtschaftliche Handlung im Einschätzen, im Werten; und Werten ist nichts anderes als ein Verkörpern der notwendigen Manifestation der Nützlichkeit im wertenden Geist des Menschen. Die Nützlichkeit ist also nicht ein wirtschaftliches Ziel, sondern sie ist das Objekt, die Materie des Wertungsaktes. Indem man diesen Teil der systematischen Idee, die die Grundlage der reinen Ökonomie bildet, philosophisch entwickelt, setzt man sich daher in Widerspruch zu den Auffassungen des Positivismus; hier nähert sich die reine Ökonomie dem Gebiet des Marxismus, der den Ausbau und die dialektische Fortführung der klassischen Ökonomie darstellt, weil beide zu einer allgemeinen Auffassung der Welt und des Lebens führen, die unvereinbar ist mit dem bürgerlichen Positivismus. Man vergesse nicht, daß die reine Ökonomie in ihren Induktionen und Resultaten eine Vervollkommnung der klassischen darstellt. Die historische Schule kehrt, indem sie die Tatsachen des juristischen Bewußtseins gegenüber den wirtschaftlichen in die erste Reihe stellt (woraus sich auch ihr nationaler Charakter erklärt), die Auffassung des Verhältnisses, wie sie im Marxismus besteht, geradezu um. Die Schule von Lausanne dagegen sieht von den juristischen Tatsachen als von Elementen historischer und nicht ökonomischer Betrachtung ab und kommt so dahin, dem wirtschaftlichen Geschehen den internationalen, nämlich räumlich homogenen Charakter zu bewahren, worin sie mit dem Marxismus übereinstimmt; aber durch einen weiteren Generalisationsprozeß dehnt sie die Gleichartigkeit der wesentlichen ökonomischen Erscheinungen auch zeitlich aus, d. h. sie nimmt im Gegensatz zum Marxismus nicht historische, sondern nur absolute Wirtschaftsgesetzte an. Hieraus würde ein unheilbarer Widerspruch zwischen den beiden Auffassungen folgen, wenn nicht die reine Ökonomie von den rein hedonistischen Prämissen ihres  homo oeconomicus  herabsteigen würde und anerkennt, daß der Mensch der verschiedenen geschichtlichen Epochen durch seine Art zu handeln von den Schlüssen der reinen Ökonomie abweicht. Ob die reine Ökonomie sich wirklich von den geschichtlichen Beiläufigkeiten zu befreien und eine von jedem besonderen sozialen Milieu unabhängige Theorie aufzustellen vermag, werden wir in der Folge sehen.


b) Die Entdeckung der Gleichung
der Seltenheitskurve

Die Verlegung des erklärenden Prinzips des Wertes aus einem objektiven Kriterium, wie die Produktionskosten, die allgemeinen Kosten, die Arbeitskosten usw. in ein subjektives Prinzip, das des Nutzens, das gleichsam das Wesen der ökonomischen Dinge ist, auf die der Mensch einwirkt, um sie durch Produktion und Austausch umzugestalten - das ist die große Umwälzung, die die Schule von Lausanne vollbracht hat. Die früheren Studien von GOSSEN und JENNINGS auf dem Gebiet der Hedonometrie (Berechnung des Nützlichkeitsgrades) und die von JEVONS auf dem Gebiet der Volkswirtschaft waren ohne Widerhall geblieben und fanden diesen erst durch unsere Schule, die mit Eifer und Vertrauen die Problemstellung der hedonistisch-mathematischen Ökonomie vertrat. Die österreichische Schule der MENGER, BÖHM-BAWERK, SAX und ihrer italienischen Vertreter GRAZIANI, RICCA-SALERNO, de VITI de MARCO kann trotz der von MENGER in Anspruch genommenen Präzendenz [Voranschreiten - wp] in Sachen Grenznutzenwerttheorie als eine Übertragung der mathematischen Theorien der Schule von WALRAS in qualitative Begriffe angesehen werden. Sie verläßt das Gebiet der mathematischen Analyse, um sich graphischer Darstellungen und numerischer Indizes zu bedienen, bleibt aber im Grunde eine Popularisierung und literarische Erweiterung der Schule von Lausanne, als der eigentlichen Begründerin der neuen Richtung.

WALRAS hat bis zum Mai 1874 in der Überzeugung gelebt, daß er zuerst den mathematischen Ausdruck für das Prinzip gefunden hätte, nach dem die Nützlichkeit einer Ware mit dem Wachsen ihrer Quantität abnimmt, und daß er auf mathematischem Weg festgestellt hat, daß der Nutzen des letzten konsumierten Teils den Wert der ganzen Quantität der Ware regelt. Am 12. Mai erhielt er nun von JEVONS einen Brief aus Manchester, in dem es unter anderem hieß:
    "Schon aus dem  Journal des Economistes  habe ich von Ihrer bedeutsamen Theorie erfahren. Das Thema interessiert mich umso mehr, als meine eigenen Studien micht seit mehr als 10 Jahren in dieselbe Richtung geführt haben. Es gereicht mir zur Genugtuung, zu erfahren, daß meine Theorie des Austausches, die zur Zeit ihres Erscheinens in England teils totgeschwiegen, teils bestritten wurde, durch Ihre Arbeiten eine Bestätigung findet. Ich weiß nicht, ob Sie meine Schriften über diese Frage kennen. Alle wesentlichen Punkte meiner mathematischen Theorie standen mir seit dem Jahr 1862 klar vor Augen, und ich legte sie damals auf dem Kongreß des Britischen Verbandes in Cambridge dar, wie Sie aus dem Kongreßbericht ersehen können. Im Jahr 1871 veröffentlichte ich schließlich bei MacMillan das Buch  Die Theorie der Nationalökonomie,  das eine vollständige Darlegung der Theorie unter Zuhilfenahme mathematischer Symbole gab."
War es schmerzlich für WALRAS zu erfahren, daß ganz unabhängig von ihm ein anderer zu derselben Auffassung gekommen war, die er sich über die wissenschaftliche Grundlage des Tauschwertes gebildet hatte? Wir wissen nicht, ob das menschliche Eigentumsgefühl der eigenen Arbeit gegenüber und des Anrechts auf die aus ihr quellenden Genugtuungen stärker war als die Liebe zur Erkenntnis, für die es ein Grund zum Stolz sein mußte, daß ein anderer Forscher zu WALRAS eigenen Ergebnissen gelangt war. Vielleicht hat die Präzedenzfrage für ihn keine solche Bedeutung gehabt, daß sie die Freude über die Bestätigung seiner Auffassung unterdrückt hätte. Jedenfalls schrieb WALRAS an JEVONS voll Genugtuung über die Übereinstimmung ihrer beiderseitigen Theorien.

Die Gleichung der Nützlichkeitskurve, deren negative Richtung gegenüber der Zunahme der Quantität der Güter schon DUPUIT und GOSSEN bekannt war, finden wir bei WALRAS und JEVONS in wesentlich gleicher Weise entwickelt und analytisch auf den Austausch angewandt. Aber schon italienische Ökonomisten vor SMITH, wie GALIANI, GENOVESI, ORTES, BRIGANTI usw. hatten die Grundlage der Werterscheinungen in der Nützlichkeit gesehen. Vor WALRAS finden wir schon bei COURNOT den Versuch, das Gleichgewicht des Marktes in Gleichungen auszudrücken. Seine Kurven der Nachfrage mit Preisfunktion waren aber nur ein objektiver Ausdruck, losgelöst von jeder wertenden Eigenschaft des Menschen. WALRAS nähert diese Kurve den wertenden Funktionen des menschlichen Geistes an, indem er das wirtschaftlichen Problem tiefer auffaßt und die Volkswirtschaft der Philosophie annähert.

Er leitet die Nachfragekurven der zur Verfügung stehenden Waren von den Nützlichkeitskurven oder denen des Bedürfnisses ab. Der eigentliche Vorläufer der hedonistisch-mathematischen Schule ist der Deutsche GOSSEN, dessen Werke lange Zeit unbekannt blieben, und dem WALRAS in einer ausführlichen Biographie gerecht wird.

Diese Theorie der Nützlichkeit bedeutet in ihrer Anwendung auf den Tausch, daß für ein gegebenes Subjekt nach dem Tausch eine andere kleine Menge des Gutes dieselbe Lustempfindung auslöst, wie ihr Preis. Wenn das Subjekt 10 Teile eines Gutes konsumiert hat, so wird sein Wohlsein von dem durch die zehnte Gabe verschafften Wohlseins gemessen werden, das gleich dem Wohlsein ist, das ihm der Preis dieser zehnten Gabe zu schaffen vermöchte.

Wenn man diese These prüft, so stellt sich sofort heraus, daß sie gleichzeitig ein Irrtum und eine Auslassung enthält. Der Irrtum besteht darin, daß ein Gebrauchswert zu einem Tauschwert in Beziehung gesetzt wird: die zehnte Gabe des Gutes mit ihrer im Preis ausgedrückten Kaufkraft. Da die Kaufkraft noch nicht in der Ware vergegenständlicht ist, zu deren Erwerb der Preis bestimmt wird, so findet die Gegenüberstellung zwischen zwei heterogenen Dingen statt, zwischen einem tatsächlichen Nutzen und dem Symbol des Nutzens. Dadurch wird der subjektive utilitarische Charakter der Theorie wesentlich beeinträchtigt. Man könnte antworten, daß die hedonistisch-mathematische Schule im Tauschwert die Durchgangsform des Nutzwertes sieht. Aber dadurch würde die theoretische Lage der These nur noch verschlechtert, denn es würde das Element der Zeit eingeführt. Die Nützlichkeit des letzten kleinen Teils eines Gutes der Nützlichkeit seines Preises gegenüberstellen, bedeutet, diese Nützlichkeit dem kleinen Rest irgendeines noch nicht bestimmten Gutes gegenüberstellen, das man mit dem Preis  in einem anderen Moment  erwerben kann, als in dem, wo der Austausch stattfindet. Die Kategorie des Preises ist daher derartig, daß sie eine Verminderung des höchsten Wohlseins des Individuums voraussetzt, weil sie eine bestimmte Sache mit einer anderen möglichen und zukünftigen gleichstellt, welche andere noch Risiko und Kraftaufwand fordert, und die noch nicht der Beurteilung des ökonomischen Subjekts vorliegt. Hier ist der Irrtum. Die Auslassung liegt in der Vernachlässigung des geschichtlichen Charakters des Preises: der Preis setzt die Ware voraus, oder die Verwandlung des Gutes in Ware, setzt also eine geschichtlich gegebene Gesellschaft voraus, in der die chrematistische [berufsmäßige - wp] Erwerbung des Reichtums der Tendenz weicht, Güter zu besitzen als soziale Macht, also die Macht, über die Arbeit anderer zu verfügen durch die Befriedigung fremder Bedürfnisse. Der Preis setzt den Markt voraus. Der Markt setzt voraus, daß der Träger des Wirtschaftslebens seine Tätigkeit nicht in der Weise lenkt, daß er den Reichtum als Mittel zur Befriedigung seiner eigenen Bedürfnisse ansieht, sondern vielmehr als Zweck, durch den er die Vergrößerung seiner Macht in der Gesellschaft verwirklicht, was sein Streben nach Besitz ins Grenzenlose gehen läßt.

Will man dagegen unter Preis nicht die Kaufkraft der letzten Gaben des verkauften Gutes verstehen, sondern wirklich die letzte Gabe der mit ihr gekauften Sache ohne Vermittlung des Geldes, dann trifft es durchaus nicht zu, daß bei jedem Austausch eine derartige Gleichheit eintritt. Wenn sie einträte, so wäre der Begriff des Preises im merkantilen Sinne niemals entstanden, denn dann wäre für alle Beteiligten der Austausch durch die Gleichheit der Nützlichkeit der letzten Gaben (Grenznutzen oder finale Seltenheit des WALRAS) geregelt und es existierte kein einziger und einförmiger Preis, der allen Austausch auf einem gegebenen Markt und zu einer gegebenen Zeit regelt. Man hätte also nicht einen gegebenen Sonderpreis für jede Art von Ware, sondern einen verschiedenen Preis für jedes Quantum und jede Art Ware, der für jeden der Austauschenden wechseln würde. Ein derartiger ideeller Markt würde die Existenz eines einheitlichen Maßes der Dinge ausschließen und die unbegrenzte Teilbarkeit der Tauschobjekte voraussetzen. Ein solcher Markt existiert nicht. Somit erkennt die Schule von Lausanne, die mathematisch dargetan hat, daß die Preise nicht gleich der Nützlichkeit der letzten ausgetauschten Gaben sind, sondern nur die Verhältnisse dieser Nützlichkeit einander proportional, implizit an, daß der Begriff des Preises sich in der besonderen geschichtlichen Gesellschaft bildet, in der eine soziale Kraft besteht, die derart auf die Waren wirkt, daß sie aufgrund eines einzigen und allgemeinen Tauschprinzips ausgetauscht werden, welches Prinzip von der subjektiven Einschätzung der Austauschenden unabhängig ist. Der Fehler der Schule liegt also darin, daß sie sich anmaßt, die reine Ökonomie zu konstruieren, indem sie vom Tauschwert ausgeht, der für sie, trotzdem sie ihn subjektiv erklärt, der Erzeuger des Begriffes des Preises ist, ohne zu verstehen, daß diese Prämisse die rein geschichtliche Bedingung der Existenz des Marktes einschließt, das heißt eines ökonomischen Subjekts, das nicht ausschließlich hedonistischen Trieben folgt, sondern nach Reichtum verlangt, als dem objektiven Mittel der Herrschaft und sozialen Macht.

Diesen inneren Schwierigkeiten ihres Vorgehens hat die Schule zu entrinnen geglaubt durch die Erklärung, daß sie sich nicht mit der Nützlichkeit in allen ihren Abstufungen beschäftigt, sondern nur mit deren letzter Stufe. Einige, wie FISHER und PARETO, behaupten geradezu, daß das ökonomische Subjekt in seiner Vergleichung und Bewertung der Dinge nur von der letzten Stufe ein Bewußtsein hat. Wie kann aber diese letzte Stufe bestimmen, wenn man nicht die Serie der vorherigen Stufen kennt? Kein Subjekt kann den Nutzen, den es aus einer gegebenen Quantität Ware erzielt, abschätzen, keines kann sagen, daß sie z. B.  6  wert ist, wenn es ihre Entfernung von Null nicht kennt, also die Nützlichkeit von Quantitäten, die das Subjekt nicht besitzt, und die vielleicht gar nicht existieren. Viel leichter ist es ihm dagegen, den Nützlichkeitsgrad der früher von ihm besessenen Quantitäten zu bestimmen.

Die Schule von Lausanne begeht den Fehler, erst die Nützlichkeit zur Grundlage der ganzen ökonomischen Theorie zu machen und dann ihre Bedeutung einzuschränken. In gewissem Sinne wendet sie sich gegen ihre eigenen Prämissen. Nachdem sie sich für hedonistischer erklärt hat, beschränkt sie sich darauf, es mit vielen Einschränkungen und Zögern zu sein. Und dies nicht aus Besorgnis, in das Gebiet der Psychologie überzugehen, - welche Gefahr, wie wir in der Folge sehen werden, nicht vorliegt - sondern um eine Theorie des Tausches zu erzielen, die nicht auf eine Kritik des Tausches und seiner das hedonistische Maximum für alle wirtschaftlichen Subjekte beeinträchtigenden Wirkungen hinausläuft. Eine weitere und vollständigere Anwendung der Hedonometrie verwandelt die politischen Ökonomie in eine Kritik der politischen Ökonomie nach Art von MARX, der den vorübergehenden und geschichtlichen Charakter ihrer Kategorie darlegte (13), ohne nach Art der Utopisten Absurdes zu proklamieren und naive Bannflüche zu schleudern.

I. Die Schule von Lausanne will beweisen, daß die Gleichung des Tausches zweier Waren auch die Bedingung der  höchsten Befriedigung  der beiden Austauschenden darstellt. Das ist richtig, aber nur unter gewissen Bedingungen, daß nämlich jeder der Austauschenden den höchsten Preis vom anderen erzielt. Die Befriedigung ist relativ maximal und verteilt die Waren zwischen den beiden Austauschenden nach einem Streit um den Preis. Nur wenn man die beiden Austauschenden als gleich stark voraussetzt, entrinnen beide der Gefahr, geschädigt zu werden. Das heißt, daß nur außerwirtschaftliche Bedingungen dieses relative Maximum sichern.

II. Die eben behandelte Annahme stetzt die Möglichkeit voraus, Gleichungen zwischen den Empfindungen verschiedener ökonomischer Subjekte aufzustellen. In Wirklichkeit aber kann es geschehen und geschieht es, daß die höchste Befriedigung des einen von der des anderen abweicht, oder daß für den einen der höchste Preis, den er zu zahlen gewillt ist,  10  sei, während für den anderen der geringste, mit dem er sich zufrieden geben würde,  5  sein könnte, denn  Hinz  vergleicht die Nützlichkeitsgrade der Waren, die er verkauft, mit denen der Ware, die er erwirbt, beides in Beziehung auf sich selbst, während  Kunz  seinerseits die Nützlichkeit auch nur für sich selbst erwägt. Da alle zwischen  5  und  10  liegenden Preise den Kontrahenten konvenieren [zusagen - wp] und von ihnen angenommen werden, so "entscheiden nur anti-ökonomische Faktoren über den gezahlten Preis". (14) Daraus geht hervor, daß der Preis, also das Ergebnis des Tausches, nicht feststehend ist. Und in der Tat ist der Preis objektiv in einer Gleichung zwischen zwei Dingen gegeben, während subjektiv jeder der beiden Tauschenden zwei getrennte Gleichungen zwischen der gegebenen und der empfangenen Nützlichkeit vor sich hat.

III. Da der Preis in hedonistischer Hinsicht unbestimmt ist, so suchte ihn WALRAS' Ökonomie aus dem Spiel von Angebot und Nachfrage zu gewinnen. Bestimmt wird er durch den Mechanismus der freien Konkurrenz, also durch das Wirken außerpersönlicher und allgemeiner Kräfte. Dann besteht aber der Hedonismus der neuen Schule nicht mehr, wie man nach der Prämisse des hedonistischen Prinzips der Nützlichkeit erwarten mußte, in der Gewinnung der wirtschaftlichen Theoreme aus diesem Prinzip, sondern in der Gegenüberstellung von Preisen zur Nützlichkeit, unter Feststellung der hierbei entstehenden Verhältnisse. Und hierin liegt eben das Zugeständnis, daß der Begriff des Preises eine gegebene geschichtliche Phase voraussetzt, eben den Tauschmarkt, der eine der möglichen Weisen darstellt, auf die der Produzent seine Werte umsetzt, aber nicht die einzige und nicht die zweckmäßigste. Sagt man, daß der Preis nicht hedonistisch festzustellen ist, so erkennt man damit an, daß die Eigenschaft des Austauschenden nicht die hedonistische Eigenschaft der ökonomischen Subjekte ist. Es handelt sich nicht mehr um den  homo oeconomicus,  sondern um eine seiner Unterarten, den Menschen der merkantilen Aera.

IV. Die ganze reine Ökonomie wird von WALRAS definiert als die Bestimmung der Preise der Dinge und der Dienstleistungen im Regime der freien Konkurrenz. ALso löst die Schule von Lausanne ihr Versprechen nicht ein, eine Theorie zu formulieren, die von den juristischen Verhältnissen absieht, denn sie setzt voraus:
    a) den privaten Besitz,
    b) die merkantile Form des Besitzes.
Das tut der wissenschaftlichen Bedeutung dieser Auffassung keinen Abbruch. Sie bringt uns einer wirklich reinen Ökonomie nahe, als einer solchen, die auf induktivem Weg aus dem hedonistischen Prinzip des ökonomischen Verhaltens gewonnen wird, und die uns als  terminus comparationis  [Vergleichsbegriff - wp] der heutigen geschichtlichen Ökonomie dient.
LITERATUR Enrico Leone, Leon Walras und die hedonistisch-mathematische "Schule von Lausanne", Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Bd. 32, Tübingen 1911
    Anmerkungen
    1) Diese Auffassung steht nicht in Widerspruch zu den Versuchen des Amerikaners CLARK und des Italieners BARONE, eine mathematische Theorie der Güterverteilung auf den Begriff der marginalen Produktivität aufzubauen, welcher Begriff eine Ausdehnung des Grenznutzens darstellt. Man muß unterscheiden zwischen der Verteilung des Reichtums unter den verschiedenen Besitzern von Kapitalien und der Verteilung der Dividenden, die nach erfolgter Verteilung des Kapitals sich nach den Wertgesetzen der reinen Ökonomie vollzieht.
    2) Bei JEVONS ist diese Unterscheidung wesentlich undeutlicher als bei WALRAS. Schließt doch JEVONS seine  Theorie der politischen Ökonomie  (Biblioteca dell' Economista, Seite 307), indem er die Volkswirtschaft als "eine Wissenschaft, die direkt das materielle Wohlsein des Menschengeschlechts zum Gegenstand hat", bezeichnet.
    3) BENEDETTO CROCE in den "Saggi d'interpretazione del materialismo storico".
    4) Die Theorie der reinen Ökonomie stellt sich in strenger Analogie mit der statischen Mechanik dar, und die Gesetze des Austausches erscheinen nach Analogie des Gleichgewichtsgesetzes des Hebels, die sich aus dem Prinzip der potentiellen Schnelligkeit ergeben. Vgl. JEVONS in der Vorrede zu seinen Theorien der reinen Ökonomie.
    5) KARL MARX, Das Kapital, Bd. 1, Anhang.
    6) Vergleiche auch Theorien über den Mehrwert, Bd. 1, hrsg. von KARL KAUTSKY.
    7) Verfasser des bekannten Werkes "La nature de la richesse et l'origine de la valeur".
    8) Für JEVONS (Theory of political economy, Kap. 1) besteht die (ökonomische) Theorie in der Anwendung der Differenzialrechnung auf die Begriffe des Reichtums, Nutzens, Wertes, Angebots, Nachfrage, Kapital, Zinsen, Arbeit usw. und alle Begriffe, die zu den täglichen Verrichtungen der Industrie eine Beziehung haben.
    9) Es ist einleuchtend, daß beim Gebrauch der Mathematik "leicht die Schwierigkeiten der bloßen Rechnung sich von den prinzipiellen und doktrinären unterscheiden lassen". (WHEWELL in der mathematischen Darlegung einiger volkswirtschaftlicher Lehren, 1. Denkschrift)
    10) Mit diesen Worten charakterisiert BOCCARDO in der "Applicazione dei metodi quantitativi alle scienze economiche, statisticche e sociali" (Seite 8) diese prinzipielle Gegnerschaft.
    11) FRIEDRICH ENGELS, Anti-Dühring, III. Abschnitt
    12) Es wäre ein Irrtum, anzunehmen, daß SPINOZA, indem er auf geometrische Weise die Ethik behandelt, beabsichtigt hat, die betreffenden Willensakte meßbar zu machen. Ganz im Gegenteil. CROCE fällt auch in den Fehler, zu glauben, daß die Quantifikation in der Ökonomie auch eigentliche Willensinhalte einbegreift, und dieser Irrtum führt ihn dahin, die Bedeutung der Ökonomie als Wissenschaft allzusehr zu verringern und zu verkleinern (Etica, Seite 264).
    13) In dieser Hinsicht war WALRAS durchaus nicht orthdox, sondern ein ausgesprochener Gegner jeder politischen Ökonomie, die "aufgrund der verschiedensten oft widerspruchsvollen, oft fehlerhaften Gedankengänge uns das heutige soziale Regime als das  non plus ultra  darstellen wollen, das der Menschheit bis in alle Ewigkeit genügen soll2. (WALRAS, Autobiografia im "Giornale degli Economisti", II. Serie, Bd. 37)
    14) PANTALEONI, Principi die Economia pura, II. Teil