ra-2W. HasbachH. MoellerH. DietzelR. SchüllerG. CohnL. Brentano    
 
EUGEN von PHILIPPOVICH
Über die Aufgabe und Methode
der politischen Ökonomie


"Wir beobachten die Erscheinungen, wie sie uns in der Wirklichkeit entgegentreten z. B. die Kreditzustände einer bestimmten Zeit, eines bestimmten Ortes unter Erfassung aller Seiten derselben, so daß wir ein möglichst vollständiges Bild des konkreten Objekts erhalten. Dies ist die Richtung der beschreibenden Wissenschaft, des statistischen Verfahrens im besonderen Sinn des Wortes, wie er der Auffassung der Statistik als Staatenkunde zugrunde lag, dies ist schließlich das Wesen der historischen Methode, indem die Geschichte den Zustand und die Entwicklung bestimmter, konkreter Menschheitserscheinungen schildert, bestrebt die Tatsachen aus ihrem eigenen Zusammenhang zu erklären. Niemals aber gelangen wir durch eine solche Betrachtung der Tatsachen zur Erfassung wirklicher Kausalgesetze."

"Ein empirisches Gesetz weist stets auf funktionelle Beziehungen zwischen zwei Vorgängen hin, ohne aber die Ursache derselben zu enthüllen oder zumindest ohne den inneren Zusammenhang der beobachteten Gleichförmigkeiten nachweisen zu können."

"Auch in einer von uns gestalteten, auf wirtschaftlichem bzw. eigennützigem Handeln der Menschen beruhenden Gesellschaft, wären Raub und Totschlag der beste Verteilungsmodus, da ja die individuellen Interessen in ihrer Steigerung zur Aufhebung jeder Ordnung und Gesetzmäßigkeit führen müssen."

So kurz der Zeitraum ist, welchen die Geschichte der politischen Ökonomie seit ihrer Ausbildung zu einer systematischen Wissenschaft umspannt, so groß ist doch der Reichtum an Spaltungen und Differenzierungen der Meinungen nicht bloß über einzelne Gebiete und Detailfragen, sondern über die Grundfrage einer jeden Wissenschaft: über ihre Aufgabe und Methode. Es ist erklärlich, daß die Vertreter der Wirtschaftswissenschaften sich stets aus diesen gegensätzlichen Anschauungen herauszubringen trachteten, damit der einheitliche Ausbau der Wissenschaft nach Kräften gefördert werden könne. So hatten seit der Mitte unseres Jahrhunderts deutsche Gelehrte in bewußter Absicht die Methode der älteren britischen Nationalökonomie verlassen, um eine vollkommenere Auffassung der wirtschaftlichen Erscheinungen zum Ausdruck zu bringen. Der abstrakten Richtung jener trat die realistische Richtung der historischen Schule entgegen. Die individualistische Erklärung der Phänomene mußte einer erweiterten, das ethische Moment auch im wirtschaftenden Menschen berücksichtigenden Analyse weichen. Es schien in der Tat, als ob mit diesem Umschwung die gemeinsame Grundlage für jede wirtschaftswissenschaftliche Arbeit gewonnen worden wäre und Umfang, wie Interessentenkreis der politischen Ökonomie wuchsen sichtlich heran. Allein in demselben Maß wurde der sichere Gang der Untersuchung, welcher der Wissenschaft exakte Sätze als dauernden Gewinn zuführt, verloren und als man schließlich bis zum bewußten Verzicht auf die Gewinnung derartiger Sätze, auf die Auffindung von "Gesetzen" der wirtschaftlichen Erscheinungen gehen zu müssen meinte, war der Charakter unserer Wissenschaft ernstlich gefährdet, wie dies bereits DÜHRING in scharfer, wenn auch nicht immer konsequenter Weise vorgewiesen hat (1). Neuerdings sind wir nun durch DIETZELs Arbeiten (2) und MENGERs hervorragende "Untersuchungen über die Methode der Sozialwissenschaften und der politischen Ökonomie insbesondere" (3) wieder vor die Notwendigkeit gestellt, die Bedeutung der historisch-ethischen Schule zu prüfen, die Frage nach der Aufgabe und Methode der politischen Ökonomie zu beantworten.

Angesichts der mannigfachen Änderungen in den Anschauungen der Nationalökonomen über Aufgabe und Methode ihrer Wissenschaft ist die Frage nicht unberechtigt, ob es denn überhaupt in das Gebiet einer Einzelwissenschaft fällt, diese Probleme für sich zu lösen, ob nicht vielmehr die Philosophie und insbesondere die erkenntnis-theoretischen Untersuchungen die Klassifikation der Wissenschaften nach der Verschiedenartigkeit ihrer Erkenntnisziele und die Feststellung ihrer Methoden vorzunehmen hätten. Es hat ja auch in der Tat von ARISTOTELES bis BACON, von BACON bis auf COMTE, JOHN STUART MILL und SPENCER nicht an solchen Versuchen gefehlt. Erst die neueste Zeit scheint jedoch, zumindest in Bezug auf das eine Problem, Klassifikation der Wissenschaften zu befriedigenden Ergebnissen zu führen, wie COMTEs Trennung der abstrakten und konkreten Wissenschaften, und die auf HEGEL zurückzuführende Scheidung der Natur- und Geisteswissenschaften dartun, während die Feststellung der Methoden der einzelnen Wissenschaften immer mehr als außerhalb der Aufgabe der Philosophie angesehen wird. Wenn die jüngste Methodenlehre von WUNDT den konstruierenden Standpunkt einer älteren philosophischen Richtung verläßt und ihr Wert damit begründet wird, daß sie "so viel wie möglich unmittelbar aus den Quellen der Einzelforschung zu schöpfen sucht" (4), dann haben wir hier wohl das Eingeständnis der Philosophie vor uns, daß sie aus sich heraus die Aufgaben der Methoden nicht zu lösen vermag und es erscheint gerechtfertigt, daß die Einzelwissenschaften selbst daran gehen, das Material zu einer Erkenntnistheorie zu beschaffen, indem sie sich bemühen, die speziellen Erkenntnisziele der ihnen eigentümlichen Gebiete der Forschung einer Untersuchung zu unterwerfen. An der Berechtigung der politischen Ökonomie, sich ihre Aufgaben und Methoden selbständig abzugrenzen, kann daher nicht gezweifelt werden. Dieses Recht der Wissenschaft wird aber zur Pflicht für ihre Vertreter, den methodologischen Fragen gegenüber Stellung zu nehmen, wenn dieselben so dringend eine Beantwortung erfordern, wie dies gegenwärtig der Fall ist und je eifriger die Grundsätze der Forschung diskutiert werden, desto bestimmter muß der Einzelne die seinigen bekennen. Ein klares Bekenntnis hat eine klare Erkenntnis zumindest der subjektiven Anschauungen zur Voraussetzung und aus diesen erwächst der Fortschritt der Wissenschaft.

Nichts hat bisher bisher eine klare Erkenntnis des Wesens unserer Wissenschaft so sehr verhindert, wie die verbreitete Meinung, die politische Ökonomie oder Nationalökonomie in jedem weiteren Sinn des Wortes, in welchem sie die ganze wirtschaftswissenschaftliche Forschung umfaßt, hat es entsprechend dem einheitlichen Begriff auch nur mit  einer  Aufgabe und  einer  Methode zu tun. Es ist mit Recht betont worden, daß diese Ansicht so wenig für sich hat, wie etwa eine auf dem Gebiet der Naturwissenschaften entstandene, welche von  der  Aufgabe und  der  Methode der Physik, der Chemie usw. als einer einzigen und einheitlichen Forschungsrichtung ausgeht (5). Die politische Ökonomie umfaßt eine Reihe von Wissenschaften, die verschiedene Erkenntnisziele, verschiedene Erkenntniswege und in ihren Resultaten eine verschiedene Strenge aufweisen. Das Bedürfnis der Lehre drängt allerdings zu einem Zusammenfassen der Ergebnisse dieser verschiedenen Richtungen der Forschung in der Darstellung und dies mag es mit verursacht haben, daß das Bewußtsein ihres vorhandenen Unterschiedes verloren gegangen ist. Jedenfalls wurden dadurch Unklarheiten erzeugt, auf welche ein wesentlicher Teil der bestehenden Divergenzen zurückgeführt werden kann. Die politische Ökonomie befindet sich in der eigentümliche Lage einer mehrere Wissenschaften umfassenden Disziplin, in welcher die Grenzlinien verwischt wurden und während im Grunde niemand an den spezifischen Aufgaben der einzelnen Wissenschaften zweifelt, sobald er sie überhaupt anzuerkennen vermag, besteht eben darüber Streit, wie jene Sonderung in einzelne Disziplinen möglich, wie weit ihr Umfang zu begrenzen ist. Mit einer Lösung dieses Grenzstreites der Wirtschaftswissenschaften wäre einer der wichtisten strittigen Punkte in der Methodologie unserer Wissenschaft überhaupt hinfällig geworden und es ist daher wohl am Platz, wenn wir die Gründe, welche zur Annahme einer Verschiedenartigkeit der Wirtschaftswissenschaften drängten, hervorheben.

Die durchgreifendste Scheidung in der wissenschaftlichen Auffassung, welcher alle Phänomene, insbesondere auch die Menschheitserscheinungen und daher auch die Tatsachen des Wirtschaftslebens unterworfen sind, beruth auf dem Gegensatz der Betrachtung der  einzelnen konkreten  Phänomene in ihrer individuellen Gestalt und es in der Vielheit der Letzteren zum Ausdruck kommenden  Gattungsmäßigen.  Wir beobachten die Erscheinungen, wie sie uns in der Wirklichkeit entgegentreten z. B. die Kreditzustände einer bestimmten Zeit, eines bestimmten Ortes unter Erfassung aller Seiten derselben, so daß wir ein möglichst vollständiges Bild des konkreten Objekts erhalten. Dies ist die Richtung der beschreibenden Wissenschaft, des statistischen Verfahrens im besonderen Sinn des Wortes, wie er der Auffassung der Statistik als Staatenkunde zugrunde lag, dies ist schließlich das Wesen der historischen Methode, indem die Geschichte den Zustand und die Entwicklung bestimmter, konkreter Menschheitserscheinungen schildert, bestrebt die Tatsachen aus ihrem eigenen Zusammenhang zu erklären. Niemals aber gelangen wir durch eine solche Betrachtung der Tatsachen zur Erfassung wirklicher Kausalgesetze. Das Wesen der Erscheinungen, die Gesetze ihrer Beziehungen zueinander bleiben uns verborgen, wenn wir nicht zu Erklärungsgründen greifen, welche uns erst eine andere Richtung der Forschung zu bieten vermag. (6) Wenn die historische Forschung uns die Entwicklung alles Menschlichen lehrt und die Entfaltung des Mannigfachen aus dem Einfachen, eine stete Veränderung alles Bestehenden in erkennbarer Richtung vorweist, immer liefert sie nur Tatsachen für unsere Beobachtung und in dem Moment, wo wir aus dem Nach- und Nebeneinander  bestimmter  Zustände auf einen inneren Zusammenhang schließen, greifen wir bereits zu einer theoretischen Erklärung, welche außerhalb der geschichtlichen Forschung wurzelt. Fassen wir nach dem Voranschreiten MENGERs die statistische und historische Untersuchung zusammen und bezeichnen wir sie beide in der weiteren Fassung des Begriffs, in welcher er jede Darstellung des Geschehenen umfaßt, als das Gebiet der  historischen  Forschung, so haben wir damit die eine Richtung der Wirtschaftswissenschaften gekennzeichnet.

Daß der Charakter der beschreibenden und geschichtlich entwickelnden Wissenschaft in der angeführten Weise richtig wiedergegeben ist, daran zweifelt niemand. Daß aber die bloße Sammlung und Gruppierung noch so gut gesichteten Tatsachenmaterials nicht das einzige Ziel der Wirtschaftswissenschaft sein kann, das wird ebenfalls von niemandem bestritten, wenn es auch nicht an Bestrebungen gefehlt hat, welche der historischen Betrachtung gerade in unserer Wissenschaft eine solche Bedeutung beigemessen haben. Daß jede anders geartete Forschung erdrückt zu werden drohte. Und der Mahnruf, daß man die logischen Schranken nicht verrücken, der Arbeit der Wirtschaftsgeschichte nicht den ganzen Platz der Wissenschaft der Wirtschaft einräumen soll (7), der nun auch von einer Seite ausgestoßen wird, welche sich selbst große Verdienste durch historisch-statistische Arbeiten erworben hat, enthält daher sicherlich nicht den Ausdruck einer Geringschätzung, der von mir noch zu betonenden hohen Bedeutung geschichtlicher Forschung, vielmehr die Forderung, daß auf dem Gebiet der Volkswirtschaft schließlich auch die zweite Seite menschlichen Erkenntnisstrebens zur Geltung gelangt, welche dazu bestimmt ist, uns das kausale Verständnis der betrachteten Menschheitserscheinungen zu vermitteln.

Neben der Betrachtung der individuellen Phänomene, bemerkte ich früher, gibt es auch eine solche, welche abstrahiert von nur einzelnen individuellen Erscheinungen eigentümlichen Merkmalen und bemüht ist, das Gattungsmäßige, über dem Wandel der Zeiten und der Vergänglichkeit der konkreten Objekte Stehende, also das  Gleichbleibende  in den bunt verschiedenen realen Erscheinungen zu erfassen. Über die Bedeutung dieser Abstraktion brauche ich mich wohl hier nicht des Näheren auszulassen. Nicht bloß die Wissenschaft, auch die Sprache des gewöhnlichen Lebens geht von Abstraktionen aus, ja die Bildung der Sprache beruth darauf, daß wir statt der Beschreibung der einzelnen konkreten Objekte Zeichen wählen, welche uns den allgemeinen Inhalt der individuell verschiedenen Objekte der realen Erscheinungswelt vergegenständlichen. Wenn wir von Volk, Staat, Recht, Sitte, Wirtschaft sprechen, abstrahieren wir, indem wir die individuellen mannigfaltigen Verschiedenheiten der Völker, Staaten usw. übersehen. Wenn wir vom Einfluß staatlichen Lebens auf das Volksleben sprechen, abstrahieren wir wieder, da niemals im Lauf der Geschichte ein Volk nur den Einflüssen staatlicher Institutionen unterworfen war, wir daher nicht aus unmittelbarer oder geschichtlicher Erfahrung urteilen können, wie sich diese beiden Elemente des Lebens der Menschheit in ihren Beziehungen zueinander  allein  erfaßt, verhalten. Indem wir auf diese Weise abstrahieren, fällen wir Urteile, welche nur unter bestimmten Voraussetzungen gelten. Auf solchen Abstraktionen beruth der geistige Verkehr des gewöhnlichen Lebens, beruth die Bildung von Wissenschaften, inbesondere jener Wissenschaften, welche die Aufgabe haben, uns den kausalen Zusammenhang der Erscheinungen auseinanderzusetzen. Wir gelangen dadurch zu einem typischen Bild der Erscheinung, welches als solches vielleicht niemals existiert hat und nie existieren wird, das aber all jene Eigenschaften in sich vereinigt, die dem entsprechenden konkreten Objekt wesentlich sind, wenn ihr Hervortreten auch vielleicht durch andere nicht zum Wesen gehörige Eigenschaften beeinflußt, ja im Einzelnen selbst verdeckt wird. Wenn wir von  Hypothekarkredit  sprechen, haben wir eine ganz bestimmte Beziehung zwischen zwei Persönlichkeiten im Sinn, die in der realen Welt ungemein mannigfach gestaltet sein kann, immer aber die Eigentümlichkeit aufweist, daß der Grund und Boden des Einen, so verschieden er im einzelnen Fall in Bezug auf Fruchtbarkeit, Größe, Bewirtschaftungsweise usw. geartet sein mag, als Pfand für ein Darlehen des anderen haftet. Wenn wir sagen, daß nur ein langfristiger Hypothekarkredit im Interesse des Landwirts liegt, so stellen wir eine Beziehung zwischen den Wirtschaftsverhältnissen des Landwirts und seinen Kreditzuständen her, welche auf der in der hier entscheidenden Rücksicht unveränderlichen Natur des Bodenbaus beruth, die dem Landwirt nur in langen Perioden Gewinn und dadurch die Möglichkeit einer Rückzahlung des Darlehens aus dem Ertrag des Bodens gewährt. Wir haben kein bestimmtes Darlehen, kein bestimmtes Landgut ins Auge gefaßt. Von allen anderen Umständen abstrahierend, von Umständen, welche in anderer Rücksicht vielleicht geradezu maßgebend sein können, haben wir aus der Natur des landwirtschaftlichen Betriebes auf eine im wirtschaftlichen Interesse des Landwirtes notwendige Gestaltung seines Kredites geschlossen, die typisch ist, für alle Zeiten, Völker und Länder Geltung besitzt, sofern es sich um eine zweckmäßige Realisierung wirtschaftlicher Interessen handelt. Wo immer wir einen langfristigen Hypothekarkredit finden, erscheint er uns nun als ein Spezialfall des allgemein gültigen Satzes, den wir früher aufgestellt haben. Eine solche Erklärung des Geschehens, welche die Regelmäßigkeiten desselben auf typische Erscheinungen zurückführt, ist eine theoretische. Jene zweite Richtung wirtschaftswissenschaftlicher Forschung, welche die im Vorhergehenden gekennzeichnete Aufgabe zu erfüllen hat, ist die  theoretische  Wirtschaftswissenschaft. Sie tritt mit dem Endzweck neben die historischen Wirtschaftswissenschaften, die inneren Zusammenhänge, welche in den von der Letzteren zutage geförderten realen Tatsachen bestehen, aufzudecken und auf typische Erkenntnisse zu reduzieren.

Hiermit ist jedoch der Kreis der Wirtschaftswissenschaften nicht abgeschlossen. Beide, sowohl die historischen, wie die theoretischen Wissenschaften sollen uns schildern und erkläaren was  ist in der Beschreibung des Zustandes und der Entwicklung gegebener Tatsachen sowie in der Aufdeckung ihres kausalen Zusammenhangs erfüllen sie ihre Aufgabe. Sobald wir aber Wesen und Ordnung der Dinge erkannt haben, finden wir nicht mehr allein in dem möglichst durchdringenden Verständnis der Welt der Erscheinungen unsere Befriedigung. Es ist uns gegeben, über die bloße Beobachtung des Tatsächlichen hinaus uns die Vorstellung eines anderen unseren Bestrebungen besser dienenden Zustandes zu machen, und wir vermögen im Sinne dieser Vorstellung auf das Gegebene einzuwirken, dasselbe zu gestalten, die Verhältnisse unseren Zwecken anzupassen. Neben die Betrachtung der Erscheinungen als eines Gewordenen und Seienden tritt daher eine solche, welche dieselben als Werdende, unter dem Einfluß des menschlichen Willens Werdende erfaßt. Wir fragen nun nicht mehr, was ist, sondern was  sein soll  und stellen Grundsätze für zweckmäßiges Handeln auf den einzelnen Gebieten menschlicher Lebensbetätigung auf. So treten neben die historischen und theoretischen Wissenschaften solche praktischer Natur neben die historischen und theoretischen Wissenschaften von menschlicher Wirtschaft die praktischen Wirtschaftswissenschaften. Auch diese bilden wieder nicht eine Einheit, können nicht  eine  Aufgabe,  eine  Methode verfolgen. Soweit auseinandergehend die einzelnen Formen der  Privatwirtschaften,  der Komplikation von Wirtschaften auch sind, welche wir  Volkswirtschaft  nennen, und schließlich jener bedeutungsvollen Singularwirtschaft welche durch den  Staat  gebildet wird, soweit gehen auch die drei Richtungen der praktischen Wirtschaftswissenschaften auseinander, welche wir mit dem Namen  Privathaushaltungskunde, Volkswirtschaftspolitik  und  Staatswirtschaftslehre  oder  Finanzwissenschaft  bezeichnen. Gleichwie die Technologie, die Therapie, die Chirurgie usw. uns lehren, wie, nach welchen Grundsätzen und Vorgangsweisen wir in den Lauf der Natur einzugreifen vermögen, wenn wir ein bestimmtes, in unserer Vorstellung erfaßtes, als Motiv wirkendes Ziel erreichen wollen, so lehren uns die praktischen Wirtschaftswissenschaften, wie wir das in verschiedener Richtung, im einzelnen privaten Haushalt, im Staat, in der Durchkreuzung mannigfacher Interessen auf dem Gesamtgebiet der Volkswirtschaft vorleuchtende Ziel, die Versorgung der Menschen mit Gütern zum Zweck der Bedürfnisbefriedigung zum allseitigen Wohl erreichen zu könenn. Die praktischen Wissenschaften haben die beste Realisierung eines bestimmten Zweckstrebens vorzubereiten, und ich glaube nicht, daß irgendjemand am hohen Wert derselben zu zweifeln vermag, der sich darüber klar ist, daß hier in letzter Linie der menschliche Geist über die zerstörenden Naturgewalten, das sittliche Bewußtsein über unmoralische Triebe den Sieg davon trägt.

Die Bedeutung der historischen Wissenschaften von der Volkswirtschaft, welche uns eine unmittelbare Anschauung des Zustandes und des Entwicklungsganges bestehender oder vergangener Einrichtungen gewähren, sowie der praktischen Wissenschaften, welche im Anschluß an die von jenen vermittelten Erkenntnisse Wegweiser in die Zukunft für unsere praktische Tätigkeit bilden, ist auch dem gewöhnlichen Verstand so einleuchtend und so danach angetan, die Interessen aller Kreise der Gesellschaft mit ihrer Entwicklung zu verschmelzen, daß unumwunden zugestanden werden muß, daß es die Pflege dieser Seite der Wissenschaft ist, welche die wachsende Teilnahme des Volkes an derselben wachgerufen hat. Und ich möchte es nicht beklagen, daß unsere Wissenschaft in Deutschland bislang fast ganz in der Verfolgung historischer und praktischer Ziele aufgegangen ist. Sie hat auf diesem Weg die träge Masse des Volkes mit sich fortgerissen und zum Nachdenken über unsere wirtschaftlichen Zustände gebracht, so daß heute ein anderer FRIEDRICH LIST nicht mehr kühle Teilnahmslosigkeit für die mächtigsten Lebensinteressen fände. Eine spätere Geschichtsschreibung der politischen Ökonomie wird diese Selbstbeschränkung auf nationalhistorische und nationalpoligische Ziele in Zusammenhang bringen mit der Erstarkung des Nationalgefühls und jene Arbeiten zu den Taten der Selbsterziehung unseres Volkes rechnen. Ich kann diesen Gedanken hier nicht weiter verfolgen. Ich glaube aber mit demselben einer Ansicht Ausdurck gegeben zu haben, die mich von keiner Seite Widerspruch befürchten läßt.

Es besteht also auch darüber kein Zweifel, welches die Bedeutung jener Forschungsrichtung ist, die wir als die praktische bezeichnen, und wenn ich daher im Früheren vom Zwiespalt der Meinungen gesprochen habe, so kann ich nunmehr den Umfang des Gebietes, auf welchem es noch nicht gelungen ist, die Gegensätze aufzuheben, begrenzen. Er betrifft nicht die Frage nach dem spezifischen Inhalt und Wert der historischen und praktischen Richtung unserer Wissenschaft, sondern deren Verhältnis zur Theorie der Wirtschaftswissenschaften, die Aufgabe und Methode der theoretischen Untersuchung wirtschaftlicher Erscheinungen. Hier aber besteht allerdings der schroffste Gegensatz der Meinungen, indem nicht bloß Aufgabe und Methode einer theoretischen Wirtschaftswissenschaft, sondern selbst die Möglichkeit einer solchen bestritten und die Trennung der Wissenschaft in eine solche, welche das Sein und die Gesetze desselben, sowie eine solche, welche die Erscheinungen unter dem Gesichtspunkt des Sollens zu erforschen hat, als eine "Unklare" ja "Unmögliche" bezeichnet wird (8). Die wirtschaftlichen Erscheinungen stünden im Fluß der Zeiten, was heute ist, ist das Soll von gestern und verschwindet morgen, um einer neuen Entwickung Platz zu machen. So wenig man ein strömendes Gewässer zerlegen kann, kann man die Tatsachen unter diesem Gesichtspunkt scheiden. Die Bildung einer selbständigen Theorie in dem von mir früher gekennzeichneten Sinn ist damit ausgeschlossen.

Es kann niemandem zweifelhaft sein, daß nicht an einen Stillstand irgendeiner realen wirtschaftlichen Erscheinung gedacht wird, wenn wir von einer Beobachtung und dem Gesichtspunkt des Seins im Gegensatz zu einem Sein-Sollen sprechen. In dieser Beziehung ist also das Bild von der Teilung des strömenden Gewässers zumindest unglücklich gewählt. Es wird ferner ebensowenig für irgendjemanden zweifelhaft sein, daß eine Darstellung irgendwelcher gegebener Verhältnisse z. B. des bäuerlichen Grundbesitzes in Verbindung gebracht werden kann mit irgendwelchen Forderungen und Vorschlägen zur Fortbildung dieser Verhältnisse z. B. aus dem Zustand der Freiheit in den der Gebundenheit, daß also beide Gesichtspunkte in der Darstellung vereinigt werden können. Aber ich bin der Meinung, daß man nicht zugeben kann, daß diese Verbindung historischer und praktischer Untersuchungen vor sich geht ohne Rücksichtnahme auf jene dritte Richtung der Forschung, welche wir die theoretische genannt haben, und daß daher noch so weit gehende historisch-praktische Untersuchungen nicht den Inhalt der politisch-ökonomischen Forschung erschöpfen.

Eine Untersuchung der Lage des kleinen Grundbesitzes seit Einführung der Freiteilbarkeit hat ergeben: die Zersplitterung in kleine einer rationalen Bewirtschaftung nicht zugängliche Parzellen, die Bildung von Latifundien [Großgrundbesitz - wp] anstelle der Zwergwirtschaften, also die Vernichtung des mittleren Grundbesitzes, Verschuldung, Zurückdrängung der bäuerlichen Bevölkerung. Um diese Übelstände zu beheben, werden Reformvorschläge gemacht: Beschränkung des Erbrechts (sei es durch Gesetz oder durch die Stärkung einer besseren Sitte), des Pfandrechts und Exekutionsrechts. Warum taucht mit solchen Vorschlägen aber zugleich immer ein Vorschlag zur Ordnung des Kreditwesens auf? Nicht bloß wegen der bestehenden Verschuldung des Bauernstandes, sondern wegen des durch die Bindung der Grundbesitze, die Hemmung des Verkehrs notwendig eintretenden Umschwungs im Grundkreditwesen. So gelangt man zur Forderung, daß an die Stelle des Einzelkredites ein genossenschaftlicher Kredit mit der ausgedehnten Haftung der ganzen Genossenschaft tritt (9). Es ist für unsere Untersuchung ganz gleichgültig, ob die vorgeschlagenen Maßregeln zweckdienlich sind oder nicht, nur ihr innerer Zusammenhang hat für uns Bedeutung. Es wird für niemanden, der sich mit dieser Frage beschäftigt, auffällig sein, daß Vorschläge zur Bindung des Grundbesitzes zu Vorschlägen bezüglich einer Änderung des Kreditwesens führen und da freier Kredit nur bei freiem Verkehr möglich ist, so erscheint genossenschaftlicher Kredit unter bestimmten Bedingungen als ein ganz taugliches Mittel, um auch bei gebundenem Verkehr den landwirtschaftlichen Kredit aufrechtzuerhalten. Diese Erwägungen scheinen ganz selbstverständlich, wir überspringen sie wohl ganz bei der Besprechung derart praktischer Fragen. Allein Axiome sind sie deshalb doch nicht und der Inhalt des Satzes, Bindung des Grundbesitzes hemmt den Kredit, muß von uns auf irgendeine Weise durch eine wissenschaftliche Untersuchung gewonnen worden oder doch zu gewinnen ist.

Ein anderes Beispiel: Es ist für jedermann einleuchtend, daß in der Geschäftsführung einer Notenbank eine Änderung eintreten muß, wenn sie Grundkredit gewähren soll, ja es gilt als eine wohlbegründete Forderung der Wirtschaftspolitik, daß eine Notenbank als solche keinen Grundkredit gewähren soll, da sie dann ihren stets fälligen Verpflichtungen nur langsam zu realisierende Forderungen entgegenstellen könnte. Dieser Zusammenhang zwischen aktiven und passiven Kreditgeschäften einer Bank wird jedem Praktiker und jeder praktischen Untersuchung selbstverständlich sein. Allein die Kenntnis desselben ist eine Erkenntnis, welche uns irgendeine Wissenschaft zu gewähren imstande sein muß. Die Geschichte! Denn sie zeigt, daß Banken, welche nicht bestimmte Beziehungen zwischen ihren beiderseitigen Kreditgeschäften gewahrt haben, zugrunde gingen. Allein sie zeigt uns ebenso, daß auch andere Banken zugrunde gegangen sind, und erste Notenbanken, wie die Bank von England, haben wiederholt ihre Kreditgeschäfte in einer jener Forderung nicht entsprechenden Weise geordnet, ohne bankrott zu gehen. Wenn daher der Zusammenbruch jener ersterwähnten Banken tatsächlich auf die mangelhafte Verbindung ihrer Kreditgeschäfte zurückzuführen ist, so muß dies auf andere Art nachgewiesen werden (10). Aufgabe der praktischen Wirtschaftswissenschaften kann dies noch weniger sein, denn diese sollen ja jene Erkenntnis bereits verwerten. Es ist daher hier in der Tat noch Raum für eine besondere Richtung der Forschung, welche weder erzählt, wie das Gegenwärtige geworden ist, noch wie es im Wechsel der Zeiten unter dem Einfluß der Sitten und des Rechts werden mag, sondern wie es sich unserem ursachenbedürftigen Geist in seinen inneren Zusammenhängen vorweist (11).

Außer jenen, welche die Möglichkeit einer besonderen theoretischen Forschungsrichtung bestreiten, gibt es noch solche, welche zwar nicht die Theorie, aber den exakten Charakter der Theorie in Zweifel ziehen, welche leugnen, daß wir zu einer Erkenntnis des Wesens und der Beziehungen der Erscheinungen gelangen können, welche uns gestattet, allgemein gültige Gesetzmäßigkeiten festzustellen. Insbesondere seitens der Naturforschung pflegt man mit Geringschätzung auf die diesbezüglichen Bestrebungen der Geisteswissenschaften zu sehen und das Urteil, das ein Forscher wie HELMHOLTZ fällt, indem er ausspricht, daß auf dem Gebiet der Geisteswissenschaften nur ein "psychologisches Taktgefühl" oder wie er an anderer Stelle in einer den Mangel mit gleichzeitigem Lob bedeckenden Wendung sich ausdrückt, nur eine "künstlerische Induktion" (12) möglich ist, kommt einer Verurteilung gleich. Die Komplikationen, welche das geistige Leben aufweist, scheinen so bedeutend, daß es vergebliche Mühe wäre, hier nach Gesetzen zu suchen, die das wirre Durcheinander lösen und in das Gebiet der Menschheitserscheinungen Maß und Ordnung brächten. Es ist augenscheinlich, daß diese von einem so bedeutenden Forscher betonte Schwierigkeit ihren Grund darin hat, daß die Vorgänge im Menschenleben als der Ausfluß von Millionen empfindender, fühlender, denkender Wesen hervortreten, von welchen jedes von unendlich mannigfaltigen Motiven in seinen Handlungen bestimmt zu werden vermag. Keineswegs aber liegt die Schwierigkeit, wie einige meinen, darin, daß auf dem Gebiet der Menschheitserscheinungen etwa eine strenge Kausalität nicht angenommen werden darf oder gar ein bewußtes Durchbrechen derselben seitens der Menschen möglich wäre (13). HELMHOLTZ bemerkt an derselben Stelle, an welcher er die Geisteswissenschaften aus dem Gebiet der exakten Wissenschaft hinausweist, daß es unter Umständen nicht gerade unmöglich wäre, den allgemeinen Entwicklungsgang der Menschheit in Bezug auf Staat, Kirche, Kunst, Sprache usw. aus einem genauen Verständnis des menschlichen Geistes a priori vorzuzeichnen (14), also so, wie etwa der bekannte von DUBOIS-REYMOND heraufbeschworene LAPLACE'sche Geist Zukunft und Vergangenheit des Seins sich durch eine Weltformel zu vergegenwärtigen vermag (15). Müssen wir aber aus dem Grund, weil uns ein ursächliches Verständnis der Welt des Geistigen in seiner ganzen Ausdehnung verschlossen ist, überhaupt auf eine Auffindung kausaler Gesetze verzichten? Stehen nicht die Naturwissenschaften vor derselben Grenze? Hat es doch jede Wissenschaft nur mit einem Teilinhalt der Natur- oder Menschheitserscheinungen zu tun und wir würden uns einer weitgehenden Erkenntnis rühmen können, wenn wir diese Aufgabe der isolierten Forschung im einzelnen Fall zu einem gedeihlichen Ende zu führen vermöchten. So wenig wir es der Naturforschung zum Vorwurf machen können, daß sie die Weltformel noch nicht gefunden hat und die Gesamtheit der Naturvorgänge nicht auf eine Mechanik der Atome zurückzuführen vermag, so wenig darf es als ein Mangel der Geisteswissenschaften gelten, daß sie uns noch keine exakte Analyse und Synthese menschlicher Handlungsweisen zu geben imstande ist. Innerhalb des begrenzten Untersuchungsgebietes der  einzelnen  Geisteswissenschaften, speziell auf dem Gebiet der Wirtschaftswissenschaften dagegen sind Sätze von derselben Strenge, wie die Naturgesetze, möglich.
    "Das Forschungsgebiet der Nationalökonomie ist das wirtschaftliche Gemeinschaftsleben der Menschen, also  einer  jener Interessenbereiche und Tätigkeitskreise, die in ihrer Gesamtheit das ganze Leben der wirtschaftlichen Persönlichkeit darstellen."
So begrenzt KNIES (16) das Untersuchungsobjekt der Wirtschaftswissenschaften unter ausdrücklicher Betonung der Notwendigkeit einer Auslösung des wirtschaftlichen Interessenkreises von allen anderen, so daß die prinzipielle Berechtigung des Abstraktionsverfahrens damit zugestanden wird. Der allgemeine Inhalt der wirtschaftlichen Seite des Lebens ist durch die Gesamtheit jener Erscheinungen gegeben, welche im Bestreben der Menschen nach Deckung ihres Güterbedarfes, nach Sicherstellung der Befriedigungsmittel ihrer unmittelbaren Bedürfnisse ihren Grund haben, sofern dasselbe gebunden ist an die Verfügung über Teile der stofflichen Welt. Die Aufgabe der Theorie wird darin bestehen, das  Wesen  dieser Erscheinungen zu erfassen, das Typische in ihnen darzustellen, ihre Funktionen zu erklären und schließlich die Gesetzmäßigkeit derselben zu erforschen.

Der nächstliegende in der Entwicklung unserer Wissenschaft am häufigsten betretene Weg zur Herstellung einer Theorie ist der, die konkreten Tatsachen der realen Welt zu untersuchen, in ihnen den verborgenen Ursachen nachzuspüren und deren Wirkung festzustellen. Es bedarf auch in der Tat nicht einmal eines sehr geübten Beobachters, um hier gewisse Regelmäßigkeiten in der Aufeinanderfolge der Erscheinungen zu erfassen. So hat man schon verhältnismäßig früh eine Beziehung zwischen der Menge des umlaufenden Geldes und der Höhe der Preise zu konstatieren vermocht, indem BODINUS die allgemeine Teuerung zu Beginn des 16. Jahrhunderts auf die Vermehrung des aus Amerika gewonnenen und auf die europäischen Märkte geworfenen Goldes und Silbers zurückführte. Und schon im 17. Jahrhundert treten so allgemein verbreitete Anschauungen über den Zusammenhang gewisser wirtschaftlicher Erscheinungen auf, daß man dieselben als ein erstes wirtschaftliches System in der Geschichte der Volkswirtschaft bezeichnen zu können meinte, als das Merkantilsystem, das sich unter anderem z. B. den industriellen Schutzzoll mit seinen eigentümlichen Wirkungen, Erhöhung der Preise, Förderung der inländischen Produktion zu eigen gemacht hatte. Mit diesem sogenannten System erschöpft sich aber die wirtschaftliche Betrachtung jener Zeit keineswegs, wir besitzen vielmehr ganz vortreffliche Beobachtungen, die wieder in anderen Richtung den Zusammenhang wirtschaftlicher Erscheinungen konstatieren. So wurden namentlich die Engländer durch eine eifrige Untersuchung der Ursachen des Wohlstandes der Holländer auf Beziehungen aufmerksam zwischen der Menge des Kapitals, der Höhe des Zinsfußes und der allgemeinen wirtschaftlichen Wohlfahrt des Landes. Haben die Schriftsteller jener Zeit Gesetze des Wirtschaftslebens gefunden? Sie behaupteten, wenn wir ihre an konkrete Verhältnisse gebundenen Sätze verallgemeiner, daß die Preise steigen, wenn sich der Geldumlauf vermehrt, wenn die Produktion der Waren durch einen Zoll geschützt ist, daß ein niedriger Zinsfuß ein Sporn für die Produktion und dadurch die wesentlichste Ursache des Reichtums ist. Es ist überflüssig, nachzuweisen, daß diese Sätze auch für die Zeit, welche sie aufstellte, nicht allgemeine Gültigkeit hatten. Vielleicht waren ihre Beobachtungen nicht umfangreich genug, so daß die Induktion nicht die nötige Basis besaß? Gegenwärtig haben wir nun eine Beobachtungsmethode, welche es sich zur speziellen Aufgabe macht,
    "das relativ stetige Tun und Leiden der Individuen in ihrer mannigfaltigen Gruppierung, das in seinen einzelnen Momenten nicht festgehalten werden kann, aber charakteristische, der wissenschaftlichen Beobachtung zugängliche  Massenerscheinungen  erzeugt" (17),
eben in diesen Massenerscheinungen zu erfassen. Hat uns die Statistik zu Gesetzen der Erscheinungen, spezielle zu wirtschaftlichen Gesetzen geführt? Darüber besteht vollkommene Einigkeit, daß die Beobachtung der konkreten Erscheinungen vom Standpunkt der statistischen Methode häufig Regelmäßigkeiten in der Aufeinanderfolge wirtschaftlicher Vorgänge aufdeckt und daß die Kenntnis derselben von hohem Wert ist, nicht bloß für alle praktischen Wissenschaften, sondern auch als Stütz- und Richtpunkte theoretischer Forschung. Nach RÜMELINs Voranschreiten hat man den so enthüllten Beziehungen aber den Charakter eines Gesetzes abgesprochen, bis in neuester Zeit in Anlehnung an die von der Naturwissenschaft für ähnliche Vorgänge nach Art der Entdeckung gewählte Bezeichnung der Ausdruck  "empirische Gesetze"  auf dieselben Anwendung fand. Ein empirisches Gesetz weist stets auf funktionelle Beziehungen zwischen zwei Vorgängen hin, ohne aber die Ursache derselben zu enthüllen oder zumindest ohne den inneren Zusammenhang der beobachteten Gleichförmigkeiten nachweisen zu können. Soviel muß aber zugegeben werden, daß die Aufgabe einer theoretischen Forschung: die Feststellung typischer Erscheinungsformen und typischer Beziehungen der Phänomene auch durch jene empirischen Beobachtungen erfüllt ist und uns eine Erkenntnis gewährt, welche in vielen Beziehungen unseren - namentlich praktischen - Bedürfnissen genügt (18). Was jenen empirischen Sätzen zum Ausdruck der  vollkommensten  Erkenntnis fehlt, ist der Nachweis der  Allgemeingültigkeit  ihres Inhaltes. Zu einer solchen Auffassung werden wir erst dann gelangen, wenn wir die wirtschaftlichen Vorgänge, welche sich nicht außer und  ohne  uns, gleich den Naturvorgängen, sondern außer uns aber  durch  uns vollziehen, als Resultate menschlichen Wollens ins Auge fassen. Als solche sind sie in ihrem Verlauf bestimmt durch alles, was menschliches Streben beeinflussen kann. Kaum eine Tatsache des Menschenlebens wird nur durch ein und nicht durch die verschiedenartigsten Motive veranlaßt. Sind wir also zur Erklärung der wirtschaftlichen Vorgänge dem ganzen wenig gekannten und unbeherrschten Gebiet menschlichen Seelenlebens gegenübergestellt? Fast scheint es so, wenn wir auch nur eine der einfachsten volkswirtschaftlichen Erscheinungen ins Auge fassen, z. B. den Preis, eine Erscheinung, welche jeder tagtäglich in ihrem Auftreten beobachten kann. Wieviele Elemente vermögen nicht den Preis einer Ware zu bestimmen! Drücken nicht schon die Worte: Monopolpreise, Liebhaberpreise, Kostenpreise, Wucherpreise, Detailpreise, Tarife, Taxen usw. aus, daß hier eine Mannigfaltigkeit der Preisbildung herrscht, welche schwer zu überblicken ist? Können wir einen allgemeinen Satz aufstellen, der als Preisgesetz alle möglichen Fälle in sich aufzunehmen vermöchte?

Bekannt ist der erste große Versuch, aus der Motivierung der menschlichen Handlungen heraus die Gesetzmäßigkeit der wirtschaftlichen Erscheinungen zu erweisen und sie zurückzuführen auf die mächtigste Triebfeder - den menschlichen Egoismus. Wenn die Erfahrung Störungen dieses auf dem Selbstinteresse der Einzelnen beruhenden Gleichgewichts der Interessen Aller lehrte, so sollten Hemmnisse des Verkehrs und der Mangel einer freien Bewegung daran Schuld tragen, so daß aus dem Verständnis des Wesens der wirtschaftlichen Gesetzmäßigkeit zugleich eine klare Forderung an die Gesetzgebung zu folgen schien:  laissez faire, laissez aller  [machen lassen, laufen lassen - wp].

Gegen diese verkehrte Anwendung einer auf einseitiger Beobachtung ruhenden Theorie waren die ersten Angriffe der historisch-ethischen Schule gerichtet und mit Erfolg wurden sowohl die unrichtige Voraussetzung eines das wirtschaftliche Leben allseitig beherrschenden Egoismus, wie die sich daran knüpfenden praktischen Forderungen zurückgewiesen. Eine eindringliche Untersuchung des realen Lebens ergab die Mannigfaltigkeit der Motivierung menschlichen Handelns und mit Recht wurde darauf hingewiesen, daß erst unter Erfassung aller Faktoren, welche im konkreten Fall bestimmend gewesen sind, eine volkswirtschaftliche Erscheinung in ihren Ursachen erkannt ist. Allein indem man die Möglichkeit zugab, daß in jedem Fall alle möglichen Motive und Einflüsse Geltung haben können, mußte man sich außer Stand erklären, allgemeine Sätze zu gewinnen, aus welchen sich Verlauf oder Zusammenhang irgendwelcher wirtschaftlicher Erscheinungen vorherbestimmen läßt. Damit war der Verzicht auf eine selbständige Theorie gegeben. Das Verständnis, das wir von den wirtschaftlichen Erscheinungen gewinnen können, haftet danach stets an den konkreten Fällen. Erst wenn wir möglichst viele konkrete Fälle in den Bereich unserer Kenntnis gezogen, wenn wir die geschichtliche Entwicklung derselben verfolgt haben, können wir die voraussichtliche Weitergestaltung mit einiger Sicherheit vorhersagen. Die Nationalökonomie darf daher nicht mehr kosmopolitisch ihre Probleme überall in der Welt suchen, sie muß vielmehr trachten, die Volkswirtschaft eines bestimmten Landes aus seiner Geschichte heraus zu verstehen und im Hinblick auf die Lehren dieser Geschichte weiter zu entwickeln. Anstelle theoretischer Forschung traten daher das Streben nach Entwicklungsgesetzen, die ihre Geltung nur im Rahmen einer bestimmten nationalen Volkswirtschaft besitzen, und Versuche, Gesetze auf dem Weg eines Induktionsverfahrens zu gewinnen, das in seiner glänzendsten Leistung (BUCKLE) zugleich sein Unvermögen bekundet hat, wirklich der selbstgesteckten Aufgabe gerecht zu werden. (19) Auf dem gekennzeichneten Weg wurde eine von der Geschichtsforschung und der praktischen Beurteilung unabhängige Theorie des menschlichen Wirtschaftslebens eliminiert. Wenn daher neuestens die historisch-ethische Schule Gegenstand der Kritik geworden ist, so ist dies nicht einem Zweifel an ihrem Wert überhaupt zuzuschreiben, sondern nur einem Zweifel an ihrer Aufgabe, eine exakte theoretische Forschung zu ersetzen (20).

Auf welchem Weg soll nun aber die letztere ihr Ziel: die Feststellung des ursächlichen Zusammenhangs und einen Nachweis seiner Gesetzmäßigkeit für die Wirtschaftsphänomene erreichen?

Für die bisher erwähnten Versuche ist die Beobachtung der empirisch gegebenen Verhältnisse das Gemeinsame, die Prüfung ihrer Methode an der Realität der Erscheinungen das Wesentliche. Allein die Annahme der einen erwies sich der realen Welt gegenüber als unwahr, die wahren Voraussetzungen der anderen aber führten zur Herstellung eines Untersuchungsobjektes, dessen Komplikation einer Ordnung durch Maß und Zahl spottete. Lassen sich diese Gegensätze nicht heben? Können wir nicht den Schwierigkeiten, welche durch eine Mannigfaltigkeit der Verursachung gegeben sind, dadurch entgegentreten, daß wir die verursachenden Elemente vereinzelt betrachten? So verfährt doch der Naturforscher, wenn er eine komplizierte Erscheinung, z. B. die Wachstumsgesetze der Pflanzen erkennen will. Er prüft nicht die Wirkung der Faktoren, wie Wärme, Sonnenlicht, Lage der Wurzeln gegen das Erdinnere, den stofflichen Gehalt der Erde usw. an der empirisch gegebenen Wirklichkeit. Er isoliert und stellt die Einflüsse jedes einzelnen Faktors für sich fest. Können nicht auch wir die die Wirtschaftserscheinungen konstituierenden Elemente isolieren und isoliert betrachten? Dies ist die Frage, welche der Methode unserer Wissenschaft durch MENGERs  "Untersuchungen"  neuerdings gestellt wurde und welche wir meiner Überzeugung nach bejahend beantworten müssen (21).

Wir können die Lebenserscheinungen allerdings nicht in ihre Elemente zerlegen, wie der elektrische Strom Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff scheidet, aber wir können diese Scheidung in unserem Geist vornehmen durch eine Abstraktion von allen Einflüssen der menschlichen Willensbestimmung, welche wir nicht beobachten wollen, also durch eine isolierte Betrachtung jenes Einflusses, dessen Wirkungsweise wir erkennen wollen. Dieser Vorgang entspricht nicht nur dem der Isolation und Variation der Elemente, wie er den Naturwissenschaften geläufig ist, es ist dies ein Verfahren, das auch in den Geisteswissenschaften tatsächlich ausgeübt wird, dessen Bedeutung schon durch die früher hervorgehobene Isolierung des Untersuchungsobjekts im allgemeinen - wenn auch oft unbewußt - anerkannt ist.

Sollen wir demnach alle jene Einflüsse, welche das Zustandekommen der konkreten wirtschaftlichen Erscheinungen bewirken, einer solchen isolierten Untersuchung unterwerfen? Ist es Aufgabe der exakten Wirtschaftstheorie, den Einfluß des Selbstinteresses, zugleich aber auch jenen des Gemeinsinns, der Liebe, des Rechts, des Zufalls, des Irrtums isoliert festzustellen und daraus eine Komposition zu machen, welche das Bild des Wirtschaftslebens aufgrund solcher Einzeluntersuchungen liefert? Man hat der Abstraktionstheorie vorgeworfen, daß sie zu diesen Konsequenzen führt. Ich vermag dies nicht anzuerkennen. Ein vollkommen Unbefangener würde es kaum für möglich halten, eine  Wirtschaftstheorie  auf die Idee des Rechts, auf Sitte und Gewohnheit, auf ethische Grundlagen usw. aufzubauen. So sehr er damit übereinstimmen wird, daß diese Triebkräfte die ganze menschliche Gesellschaft gestalten, daß sie das ganze Leben der Menschen umspannen und daher auch jedes einzelne Zweckstreben derselben, so schwer wir man ihn doch zu überzeugen vermögen, daß eine Theorie des Rechts oder der Moral uns das Wesen einer wirtschaftlichen Erscheinung z. B. der Märkte, Börsen, einer Unternehmung usw. zu erklären vermöchte. Denn es gibt zwar ein durch rechtliche, sittliche und andere Faktoren  beeinflußtes  Wirtschaftsleben, aber die Idee des Rechts, das Ethos usw. können doch nicht die Aufgaben des Wirtschaftslebens, die Herbeischaffung unseres Bedarfs an Sachgütern erfüllen, sich an die Stelle desselben setzen. Die Idee des Rechts, das Ethos werden zu Bedingungen eines Handelns, das zu bestimmter Zeit, an einem bestimmten Ort vor sich geht, sie sind also von Einfluß auf dessen konkrete Gestaltung, allein sie vermögen uns nicht einmal die Ursache der Wirtschaft zu enthüllen, geschweige denn deren Zusammenhänge, z. B. des Steigens der Preise mit der Vermehrung des Geldumlaufs zu erklären. Durch die Betrachtung der erwähnten Einflüsse wird ein Moment nicht berührt, welches allein den Handlungen der Menschen einen bestimmten Inhalt gewährt, vermöge dessen sie uns als wirtschaftliche erscheinen: das durch unsere körperlichen und geistigen Bedürfnisse mit Notwendigkeit in jedem Einzelnen gegebene Streben nach Stoffgütern. Alle inneren, unserem eigentümlichen Seelenleben entspringenden Faktoren, wie Irrtum, Gemeinsinn, Wohlwollen und dgl. wie alle äußeren Einflüsse, welche nicht unmittelbar durch unsere Natur gegeben sind, wie Rechtssatzungen, Regeln der Sitte, des Anstandes usw. vermögen durch den menschlichen Willen jenes Streben zu beeinflussen. Allein wenn auch alle charakterisierten Momente in mannigfachster Kombination zu Motiven unserer Willensbestrebungen werden können, so vermögen sie doch stets nur die  Form  unseres Handelns, unsere Handlungs weise  zu verändern, keineswegs aber können sie den allgemeinen Inhalt jeder wirtschaftlichen Handlung, das Streben nach Stoffgütern aufheben. Sie können bewirken, daß ich meinen Erwerb mit den Armen teile, daß ich aus Wohlwollen einen geringeren Gewinn nehme, daß ich durch Irrtum mir einen Gewinn entgehen lasse usw., allein sie können nicht die menschliche Natur aufheben, welche der sachlichen Güter bedarf und dem beschränkten Maß der äußeren Natur gegenüber zu bestimmten Handlungen genötigt wird, deren Richtung nach Außen wir durch den Ausdruck des Strebens nach Stoffgütern bezeichnet haben (22).

Wir müssen aber die Grenzen dieses Letzteren noch enger ziehen, um in demselben das Wesen einer wirtschaftlichen Handlungsweise erkennen zu können. Nicht jedes Streben nach Stoffgütern ruft eine Handlung hervor, welche wir als wirtschaftliche bezeichnen. Das Spiel, die Bitte, Gewalt und heimliche Besitzentziehung vermögen jenen Interessentrieb zum Ausdruck zu bringen, ohne daß wir in ihnen wirtschaftliche Tatsachen vor uns zu haben meinen. Wirtschaftliche Handlungen müssen auch technisch einen bestimmten Charakter haben. Sie müssen eine vorsorgliche Tätigkeit gegenüber der Außenwelt in der isolierten Wirtschaft enthalten, im wirtschaftlichen Gemeinschaftsleben aber auf eine solche Tätigkeit gegründete  Verkehrs beziehungen darstellen. Spielgewinne, das  vi clam precario  [heimlich Schwierigkeiten bereiten - wp] Erworbene bilden daher kein Untersuchungsobjekt der Wirtschaftswissenschaft. Sie stellen objektive Veränderungen in der Güterwelt dar, welche durch eine  nicht wirtschaftliche  Tätigkeit hervorgerufen werden. Dies führt uns zu einer anderen Gruppe von Veränderungen in der wirtschaftlichen Güterwelt, welche sich von der eben Erwähnten dadurch unterscheidet, daß sie nicht auf dem Streben nach Stoffgütern beruth. Es sind dies jene sehr einflußreichen, das Leben des Einzelnen bald günstig, bald ungünstig beeinflussenden Güterbewegungen, welche in freiwilliger Güterhingabe wurzeln, im Zufall, in einer absichtlichen oder unabsichtlichen Wertzerstörung. Sind Handlungen und Tatsachen der angegebenen Art: vergeltungslose Leistung, ein glücklicher Fund, Hagelschlag, Zerstörungen infolge eines Krieges als wirtschaftliche anzusehen? Sie sind wirtschaftlich relevant. Das wird niemand leugnen. Wirtschaftlich relevant sind aber auch die durch Raub oder Diebstahl hervorgerufenen Einkommensverschiebungen, und doch müssen wir die sie begründenden Handlungen als unwirtschaftliche bezeichnen. Es genügt eben nicht, daß ein Tun irgendeine Wirkung auf die menschliche Wirtschaft ausübt, damit es selbst ein wirtschaftliches genannt werden kann.  Nicht der objektive Erfolg, sondern der Zweck und die Richtung unserer Handlungen sind maßgebend für ihr Wesen.  Eine Theorie, welche nur die Aufgabe hat, das wirtschaftliche Handeln des Menschen zu erklären, nicht aber jede Tätigkeit, welche Einfluß nimmt auf die menschliche Wirtschaft, wird daher ebensowenig die zweiterwähnte Gruppe von Handlungen und Tatsachen zu analysieren haben, wie die ersterwähnte, welche zwar dem Streben nach Stoffgütern, aber in unwirtschaftlicher Form entsprang.

Das wirtschaftliche Gemeinschaftsleben der Menschen weist in seiner Realität, wie die erwähnten Gruppen wirtschaftlich relevanter Handlungen und Tatsachen bezeugen, eine mannigfaltiges Erfassen der Güterwelt, eine vielfältige Veränderung derselben und eine reiche Beeinflussung des Wirtschaftslebens auf, welche keineswegs immer auf einem  wirtschaftlichen  Handeln der Menschen beruhen oder häufig doch nur aus seinem solchen wirtschaftlichen Handeln hervorgehen, welches von seiner ursprünglichen Richtung: Realisierung des Strebens nach Stoffgütern abgedrängt wurde und daher nicht mehr den reinen Ausdruck wirtschaftlichen Strebens enthält, wie er dort erfaßt werden kann, wo von Irrtum, anderen Interessen, sittlichen Mächten und rechtlichen Schranken abgesehen wird. Die Bedeutung dieser letzteren Momente für das menschliche Leben zu untersuchen, kann nicht Aufgabe der Wirtschaftstheorie sein. Die Letztere hat naturgemäß aus den konstituierenden einfachsten Elementen menschlicher Handlungen nur jenes herauszugreifen, welches sich als wirtschaftliches charakterisieren läßt. Das in planmäßiger Fürsorge für die Deckung des menschlichen Güterbedarfs in isolierter Tätigkeit oder im Verkehr hervortretende Streben nach Sachgütern bildet daher den Ausgangspunkt einer Wirtschaftstheorie, welche sodann zu untersuchen hat, wie sich die wirtschaftlichen Erscheinungen und Beziehungen gestalten würden, wenn sie nur aus jenem Streben resultierten. Läßt sich eine Gesetzmäßigkeit der solcher Art auf einen einzigen Interessenstrieb basierten Handlungen beobachten? Ist durch jenes Streben bereits eine bestimmte Richtung des Handelns gegeben?

Es werden in der Wirklichkeit nicht zwei Menschen, welche sich ihren äußeren Verhältnissen nach in derselben Lage befinden, vollkommen genau dieselben Handlungen vollziehen. Welcher Schluß ist aus dieser Tatsache gestattet? Der, daß ein unberechenbares Moment der freien Selbstbestimmung aus gleichen Ursachen ungleiche Wirkungen zustande zu bringen vermag oder der, daß auf die Willensrichtung der Handelnden verschiedenartige, aus den äußeren Verhältnissen nicht erkennbare Motive Einfluß genommen haben? Die Wissenschaft muß sich für den letzteren Schluß entscheiden, den planlose Willkür duldet keine wissenschaftliche Würdigung (23). Wenn die Erfahrung uns daher häufig Handelnde vorweist, welche scheinbar nur ihr wirtschaftliches Interesse verfolgen und von gleichen Voraussetzungen ausgehend zu verschiedenen Resultaten gelangen, so ist hiermit noch nicht der Beweis erbracht, daß Handlungen als Ausflüsse des reinen Wirtschaftstriebes erfaßt keine Gesetzmäßigkeit besitzen. Denn die Voraussetzungen sind für die Handelnden erst dann gleichartig, wenn sich nicht bloß ihr Ausgangspunkt, ihre verfügbare Gütermenge, und ihr Endziel, die durch Natur und äußere Verhältnisse gegebenen Bedürfnisse vollkommen decken, sondern auch die  Erkenntnis  ihrer wirtschaftlichen Lage dieselbe ist.

Unter  dieser  Voraussetzung ist es geradezu unmöglich, eine Verschiedenartigkeit des Handelns anzunehmen, da der Ausgangspunkt, das Endziel, die Richtung des Handelns (als eines rein wirtschaftlichen) und der einzuschlagende Weg (durch die als gleichartig angenommenene Erkenntnis) gegeben sind. Da wir die Handlungen von Menschen prüfen wollen, welche unter dem Einfluß nur eines Strebens stehen, also die Wirkungsart dieser  einen  Triebkraft erkennen wollen,  müssen  wir aber eine Gleichartigkeit der Erkenntnis der handelnden Menschen annehmen, da wir sonst ein fremdartiges Element (Irrtum, Täuschung usw.) in unseren Versuch bringen. Der Charakter dieser Erkenntnis ist durch die besonderen Umstände gegeben. Die Realisierung wirtschaftlicher Interessen setzt wirtschaftliche Erkenntnis voraus. Wir haben nur dann die reine Wirkung des unserer Prüfung unterliegenden Interessentriebes vor uns, wenn nicht bloß wirtschaftliche Ziele verfolgt, sondern auch auf dem wirtschaftlichsten Weg angestrebt werden. "Wirtschaftlichster Weg" ist aber gleichbedeutend mit: ein solcher Weg, der von jemandem eingeschlagen würde, der nur seine wirtschaftlichen Interessen verfolgt. Es ist also schon mit unserer Voraussetzung eine ganz bestimmte Richtung des Handelns gegeben, welche uns umso sicherer den in jedem einzelnen möglichen Fall einzuschlagenden Weg erkennen läßt, als zweifellos zur Erreichung eines bestimmten wirtschaftlichen Zieles von einem bestimmten Ausgangspunkt aus nur  ein  Weg als der wirtschaftlichste führt. Unter der Voraussetzung rein wirtschaftlichen Handelns vermögen wir daher Handlungsweise und Erfolg genau vorauszubestimmen. Wir vermögen aber auf diese Weise nicht nur das (rein) wirtschaftliche Verhalten des Einzelnen gegenüber der Außenwelt zu erklären, wir vermögen auch die (rein) wirtschaftlichen Verkehrsbeziehungen der Menschen als gesetzmäßige nachzuweisen. Wir erkennen dadurch die Tendenz, welche der wirtschaftlichen Triebkraft im Menschen inne wohnt. Jene Gesetze, welche wir aus der Beobachtung des allein wirkenden wirtschaftlichen Interesses ableiten, sind Gesetze des Wirtschaftslebens, allein nicht solche der realen menschlichen Wirtschaft, sondern solche der  Wirtschaftlichkeit,  welche nur dann auch in der Wirklichkeit zum Ausdruck kommen, wenn ihre Wirkung nicht durch entgegenstehende Hindernisse abgeschwächt, oder etwa gar ihre Voraussetzung, die rein wirtschaftliche Verursachung der Handlung aufgehoben wird. Jene Erkenntnis, daß die Richtung und der Erfolg rein wirtschaftlichen Handelns in jedem gegebenen Fall genau bestimmbar ist, gestattet uns, die kompliziertesten Phänomene, zu welchen die wirtschaftlichen Verkehrsbeziehungen der Menschen führen, in relativ einfache Elementarerscheinungen aufzulösen, demnach die Gesetzmäßigkeit der Organisation und der Funktion des wirtschaftlichen Lebens festzustellen. Gegenüber dem beschränkten Maß, in welchem die Natur uns ihre Gaben zur Verfügung stellt, ist auch der einzelne Mensch im verkehrslosen Staat und im Zustand der Isoliertheit zu  wirtschaften  genötigt, auch seine Handlungen zeigen, insofern nur ein wirtschaftliches Verhalten auf seiner Seite ins Auge gefaßt wird, das Bild strenger Gesetzmäßigkeit. Wir erhalten dadurch ein typisches Bild der einfachsten wirtschaftlichen Phänomene, des Wertes, der Arbeit usw., das wir erweitern zu einem ebenfalls typischen Bild der durch die Verkehrsbeziehungen entstehenden Komplikation der Arbeitsteilung, des Marktes, der Organisatoin des Verkehrs usw., so daß sich vor unseren Blicken ein streng geordnetes Gefüge sozialen Lebens entwickelt, das als Abstraktion sich zwar nicht mit der empirischen Wirtschaftswelt decken kann, allein verwandte Züge gleichartigen Geschehens aufweist.

Wenn ir aber auch durch diese Theorie nicht ein vollkommenes Verständnis der empirischen Wirtschaftswelt erlangen, so vermögen wir doch das Bild, das sie uns entwirft, durch andere Forschungseinrichtungen in mehr oder weniger genauer Weise zu ergänzen. Wir können Bedingungen einfügen, welche zwar nicht das wirtschaftliche Handeln, aber die  Voraussetzungen  desselben ändern. Insofern sind jene früher berührten, auf nicht wirtschaftlicher Tätigkeit beruhenden Veränderungen in der Güterwelt, wie in den wirtschaftlich relevanten Beziehungen des Menschen keineswegs gleichgültig. Die Wirtschaftstheorie wird diese Geschehnisse nicht zu analysieren, etwa ihre Gesetzmäßigkeit oder überhaupt nur ihre Verursachung zu prüfen haben, allein sie kann sicherlich feststellen, welches wirtschaftliche Tun oder Lassen ihr Eintritt zur Folge haben wird. So ist dies z. B. unleugbar der Fall bei den Güterzerstörungen, welche nicht durch Konsumtion verursacht wurden, indem dieselben den Ausgangspunkt für das Versicherungswesen ergeben (24). Ebenso wird die Wirtschaftstheorie gewiß feststellen können, welches die wirtschaftliche Folge der durch bestimmte karitative Handlungen und Organisationen hervorgerufenen Güterverschiebungen sein wird; ferner vermag sie zweifellos anzugeben, wie sich die Ordnung des Wirtschaftslebens unter dem Einfluß bestimmter Rechtssatzungen, bestimmter Sitten, Gebräuche und Gewohnheiten bilden würde (25). Bei gegebener Kenntnis dieser Voraussetzungen, welche nur eine Modifikation des jeweiligen Ausgangspunktes wirtschaftlicher Tätigkeit oder eine genau gekannte Variation der Bedingungen darstellen, unter welchen dasselbe gedacht ist, vermag man daher das abstrakte Bild des Wirtschaftens der Wirklichkeit in hohem Grad zu nähern.  Dies ist der Punkt, wo historisch-statistische Arbeit in Verbindung mit einer rein theoretischen Untersuchung zu fruchtbarster Wirkung gebracht werden kann,  indem sie die Theorie zu Resultaten führt, deren Fehlergrenze gegenüber der Wirklichkeit nur mehr liegen wird in der Differenz zwischen den Wirkungen rein wirtschaftlichen Handelns, welches die Einflüsse anderer psychologischer Motive aufweist und durch dieselben von der Richtung der Wirtschaftlichkeit abgedrängt wird. Diese Einflüsse anderer psychologischer Motive aufweist und durch dieselben von der Richtung der Wirtschaftlichkeit abgedrängt wird. Diese Einflüsse: Irrtum, Täuschung, Wohlwollen in seinen mannigfachen Abstufungen usw. sind a priori unbestimmbar, zumindest muß es zweifelhaft bleiben, ob wir zu einer Erkenntnis ihrer Wirkungsweise und -stärke gelangen werden. Hier liegt eine Kluft zwischen abstrakter Theorie und Realität vor, welche uns gegenwärtig unüberbrückbar erscheint.

Durch die Einführung Einführung jener realen Voraussetzungen bleibt der Charakter der Theorie unverändert, nur die Probleme derselben sind verschieden gestellt. Wenn wir untersuchen, wie sich der landwirtschaftliche Kredit gestaltet, falls ein staatliches Gesetz eine Bindung des Grundbesitzes, Beschränkung des Pfand- und Exekutionsrechts herbeiführt, gehen wir noch immer von der Voraussetzung aus, daß innerhalb der so gestellten Bedingungen rein wirtschaftlich gehandelt wird, die gefolgerten Sätze behaupten daher allgemeine Geltung, wo und wann immer jene Bedingung eintritt. Es folgt dies naturgemäß daraus, daß wir nur eine bestimmte, den realen Verhältnissen soweit entsprechende Variation angebracht haben, als uns dieselben genau bekannt waren und die Abänderung in ihrer Wirkung fixierbar erschien. Es ist daher unrichtig, daß die Theorie die Volkswirtschaft  ohne den Staat  betrachten muß, bzw. daß die Einführung des Letzteren mit seinen konkreten Machtelementen die Theorie sogleich aufhebt.  Die  Variationen der abstrakten Wirtschaftstheorie, welche durch Einfügung dieser Elemente bewirkt werden, lassen sich ganz genau bestimmen. Allein die so gefundenen, den konkreten Verhältnissen näher angepaßten Sätze, werden sich mit der Wirklichkeit aus den früher schon hervorgehobenen Gründen dennoch nicht vollkommen decken. Hier erlangen nun die  empirischen Gesetze  eine erhöhte Bedeutung. Diese enthalten den Ausdruck der Wirkungsweise auch jener unwirtschaftlichen Elemente und zeigen uns daher verglichen mit den Sätzen der abstrakten Theorie genau an,  wie groß die Fehlergrenze der Letzteren ist,  d. h. welches die Wirkung der nicht meßbaren unwirtschaftlichen Kräfte im beobachteten Komplex wirtschaftlicher Tatsachen ist. (26)

Ich habe bisher über die Bedeutung des wirtschaftlichen Strebens gesprochen, ohne dasselbe anders denn als einen technischen Prozeß zu betrachten, der sich in einer genau bestimmbaren gesetzmäßigen Weise abspielt. Welchen Zusammenhang bietet derselbe mit unseren psychologischen Zuständen? Das wirtschaftliche Zweckstreben kann nicht absolut, sondern nur als das Streben irgendeines Menschen gedacht werden. Das Interesse an der Versorgung mit materiellen Gütern kann auch in unserer Abstraktion nicht etwas schemenhaftes sein, es muß das Interesse von Menschen sein, von Menschen, die durch die Natur der Verhältnisse zu einer Vergesellschaftung gezwungen sind, deren Interessenkreise sich also berühren müssen. Tritt dadurch das Wirtschaftsleben aus seiner bisherigen Objektivität heraus? Wird es nun als das Streben von in gesellschaftlichen Beziehungen stehenden Menschen nicht auch ethisch bedeutsam? Werden nicht auch in unserer abstrakten Verkehrsgesellschaft die wirtschaftlichen Interessen, deren Verfolgung wir beobachten, bald als die wirtschaflichen Interessen der Handelnden allein, bald als solche anderer Personen erscheinen, für welche jene handeln? Wird nicht der Gegensatz des egoistischen, des Handelns für sich und des altruistischen, des Handelns für andere zum Vorschein kommen?

Einer solchen Meinung liegt die falsche Ansicht zugrunde, als ob die Wirtschaftslehre sich um das  Wesen der Ursachen  zu kümmern hat, welche die Menschen zu wirtschaftlichen Handlungen bewegen. Sowenig sich die Naturforschung um das Wesen der Kräfte zu kümmern hat, deren Wirkungen sie verfolgt, sowenig die Wirtschaftstheorie um das Wesen von Haß und Liebe, Egoismus und Altruismus und ihren Einfluß auf den menschlichen Willen. Sie geht von der Tatsache aus, daß Menschen wirtschaftliche Ziele auf wirtschaftlichem Weg verfolgen und ihre Aufgabe erschöpft sich in der Beobachtung der dadurch hervorgerufenen Erscheinungen. Welche Motive hinter jenen wirtschaftlichen Handlungen stehen, ist gleichgültig. DIETZEL hat dies sehr gut nachgewiesen. Allein eines dürfen wir nicht übersehen. In die  Erscheinung  tritt stets eine Handlung, deren Erfolg wir zurückbeziehen können und zurückbeziehen müssen auf den Handelnden. Was immer mich - Gewinnsucht oder die Absicht, für eine fromme Stiftung Vermögen zu erwerben - zu wirtschaftlicher, erwerbender Tätigkeit treibt, der Erfolg gehört mir, ich strebe ihn an, auf mich fällt er zurück. In Erscheinung tritt daher mein Interessen, wie wenig auch vom Resultat meiner Wirtschaftstätigkeit mir zugute kommen mag. Was wir vom Handelnden sehen, ist, daß er als wirtschaftlicher Mensch verfährt, Handlungen vollbringt, welche dem Interesse der Güterversorgung dienen, bei diesen Handlungen auf die zweckmäßigste Weise vorgeht. Wenn wir diese Handlungsweise vom psychologischen (nicht vom ethischen!) Standpunkt aus betrachten, erscheint sie uns als eine  eigennützige,  als die Verfolgung der Selbstinteressen des Handelnden. Und ist nicht in der Tat der Gewinn, den ich anstrebe, um ihn den Armen zu geben im Moment der Spekulation, der Erwerbstätigkeit  mein  Interesse? Würde ich anders handeln, wenn ich den Gewinn für mich behalten wollte? Wir scheuen uns mit Unrecht für die wirtschaftlichen Handlungen den Ausdruck der Eigennützigkeit anzuwenden. Wir sind durch die angeführten Gründe dazu berechtigt und wo sich immer in der Darstellung das Bedürfnis ergibt, die wirtschaftliche Handlungsweise psychologisch zu charakterisieren, werden wir sie eine eigennützige nennen können. Dies vermag ich als den berechtigten Inhalt der vielgeschmähten Hypothese vom menschlichen Egoismus in der Volkswirtschaft anzuerkennen (27).

Man wird mir zweierlei einwenden. Zunächst, daß, wie SCHMOLLER dies der älteren individualistischen Schule gegenüber hervorhob, auch in einer von uns gestalteten auf wirtschaftlichem bzw. eigennützigem Handeln der Menschen beruhenden Gesellschaft  Raub und Totschlag der beste Verteilungsmodus  sind, da die individuellen Interessen in ihrer Steigerung zur Aufhebung jeder Ordnung und Gesetzmäßigkeit führen müssen. Dem ist aber doch entgegenzuhalten, daß wir nur  wirtschaftliche Handlungen  in ihrer Wirkungsweise verfolgen. Ob Gesetz und Sitte in der von uns angenommenen Gesellschaft die Anwendung von Gewalt ausgeschlossen haben, ist gleichgültig. Der wirtschaftliche Interessenverkehr, den wir im Auge haben, ist nur auf wirtschaftliche Handlungen basiert. Gewichtiger scheint ein zweiter von DARGUN erhobener Einwand, "daß auch eine Gesellschaft fingiert werden kann, welche durch das Wirken speziell altruistischer Wirtschaftsfaktoren gebildet wird", daß also unser Vorgehen einseitig nicht alle wirtschaftlichen Handlungen umfaßt und einer Ergänzung bedarf. (28)

Auch DARGUN geht von der Ansicht aus, daß die Ursachen wirtschaftlichen Handelns nicht in das Untersuchungsgebiet der Wirtschaftswissenschaften falen, allein er nimmt an, daß die wirtschaftlichen Handlungen psychologisch charakterisiert, ihrer Erscheinung nach nicht bloß eigennützige, sondern auch als altruistische bestimmt werden können, da sich die ganze Nationalökonomie aus zwei Erscheinungsreihen zusammensetzt,
    "deren eine auf dem Streben des Menschen nach Beschaffung der materialen Mittel zur eigenen Bedürfnisbefriedigung, deren andere auf seinem Streben nach der Beschaffung dieser Mittel zur Bedürfnisbefriedigung anderer Personen beruth." (29)
Unter die letztere Erscheinungsreihe fällt die Teilnahme an Wohltätigkeitsbällen, Bazaren, die Spende, die aus einem warmfühlenden Herzen kommt, wie die berechnende Wohltätigkeit des Ordensjägers. Sind dies wirlich wirtschaftliche Handlungen? Ich habe ihrer oben gedacht. Die Hingabe meines Vermögens zur Gründung einer Stiftung ist unwirtschaftlich. Insofern sie eine Veränderung in der Güterverteilung hervorbringt, ist sie wirtschaftlich relevant, bewirkt sie eine Variation im Ausgangspunkt meiner oder der wirtschaftlichen Handlungen anderer, aber ansich fällt ihre Prüfung nicht in das Gebiet der Wirtschaftslehre. Wenn DARGUN weiter behauptet,
    "Herrschaft des Altruismus ist nur insofern denkbar, als kein freier Verkehr besteht, Produktion und Konsumtion vielmehr von Organen einer Gemeinschaft geleitet werden, welche Organe den Mitgliedern der Gemeinschaft den größten wirtschaftlichen Vorteil mit dem geringsten wirtschaftlichen Opfer zuzuwenden haben",
so ist - ganz abgesehen von der Frage, ob eine solche Utopie denkbar ist - dagegen zweierlei zu bemerken. Entweder ist der Verteilungsmaßstab jener Gemeinschaft, die Ordnung der Produktion und Konsumtion willkürlich gedacht, dann hört die Tätigkeit wissenschaftlicher Untersuchung überhaupt auf, oder die Leiter der Gemeinschaft handeln zweckmäßig, dann ist nicht einzusehen, welche Abänderung der wirtschaftlichen Handlung vorgenommen werden soll, deshalb, weil ihr Resultat z. B. das Einkommen in bestimmter, freier Bildung entzogener Weise verteilt wird. In jedem Fall müssen wir, wie DIETZEL gezeigt hat (30), darauf verzichten, in einem solchen Sozialstaat Gesetze wirtschaftlichen Verkehrs finden. Eine Scheinbare (auf egoistischen Motiven beruhende) oder wirkliche (ethische) altruistische Handlung fällt daher nicht in das Gebiet der Wirtschaftswissenschaften.

Somit würde die Untersuchung der Wirtschaftserscheinungen unter Abstraktion von allen nicht wirtschaftlichen Elementen zu einer Theorie führen, welche uns die Bewegungen des menschlichen Interesses in wirtschaftlichen Dingen zeigte und JEVONS hat der Wirtschaftstheorie daher nicht mit Unrecht den Namen einer  Mechanik der Interessen  gegeben. Wir erfahren durch dieselbe, wie die Menschen in ihren jeweiligen Situationen handeln würden, wenn sie hierbei nur von wirtschaftlichen Interessen geleitet, ihre Ziele auf einem ökonomischen Weg erreichen wollten. Die Erkenntnisse, zu welchen wir gelangen, haben daher Geltung nur unter einer bestimmten Voraussetzung, sie sind eben theoretische. Wir haben Gesetze einer abstrakten Wirtschaftswelt gefunden. Daraus ergibt sich eine wichtige Folgerung. Wir können sie nur unvollkommen in der Praxis des Wirtschaftslebens wiedererkennen, da ihre Wirkung zum Teil durch die anderer Einflüsse verwischt ist, zum Teil die Bedingungen für eine Geltendmachung der Interessen reiner Wirtschaftlichkeit überhaupt nicht gegeben sind.

Eines der bestfundierten wirtschaftlichen Gesetze ist das nach dem Kaufmann aus Königin ELISABETHs Zeit THOMAS GRESHAM benannte, welches besagt, daß das schlechte, minderwertige, stets das gute vollwertige Geld verdrängt. Jedes Urteil, das über Bimetallismus oder Goldwährung gefällt wird, basiert in letzter Linie auf der Anerkennung dieses Gesetzes. Sehen wir seine Wirkung aber auch stets in der Wirklichkeit? Warum zirkulieren im Deutschen Reich nicht bloß Silber- oder gar nur Nickel- und Kupfermünzen? Wie kann es dann vorkommen, wie uns jüngst aus Süddeutschland berichtet wurde, daß sogar ein Agio [Aufschlag - wp] für  kleine  Münze bezahlt werden mußte? Das Beispiel ist sehr lehrreich. Es beweist gegen jene, welche die Möglichkeit der Gewinnung exakter Gesetze der wirtschaftlichen Erscheinungen leugnen und gegen jene Manchesterschule, welche diesen Gesetzen eine Macht zuschreibt, an der die Wirksamkeit staatlicher Eingriffe zerschellen muß.

Das GRESHAM'sche Gesetz behält trotz des Widerspruchs der unmittelbaren Erfahrung seine ganze Bedeutung. Es gilt für einen Verkehr, der keinen anderen Einflüssen, als jenen des wirtschaftlichen Handelns ausgesetzt ist. Die wirtschaftlichen Bestrebungen der Menschen, auf welchen es beruth, sind aber im Deutschen Reich durch die Bestimmungen des Münzgesetzes unterbunden, welches verfügt, daß niemand mehr als 20 Mark in Reichssilbermünzen und 1 Mark in Kupfer- und Nickemünzen anzunehmen genötigt ist, sowie daß der Gesamtbetrag der Reichssilbermünzen auf 10 Mark, der Nickel- und Kupfermünzuen auf 2½ Mark pro Kopf der Bevölkerung beschränkt wird. (31) Rechtssatzungen verändern also - nicht das wirtschaftliche Interesse der in Deutschland Wirtschaftenden - sondern die Voraussetzungen ihres wirtschaftlichen Handelns, die Bedingungen desselben, so daß das Interesse, welches darin bestünde, mit Silbermünze im Inland zu zahlen und Goldauszuführen, seine Wirkung nicht äußern kann; ja die Beschränkung in der Ausprägung kleiner Münze kann zu einem Mangel derselben führen, der es im wirtschaftlichen Interesse des Einzelnen erscheinen läßt, für kleine Münze des täglichen Verkehrs ein Agio zu bezahlen. Gilt deshalb jenes Gesetz nicht? Verliert das Gesetz der Schwerkraft seine Wirkung, weil wir einen Luftballon zu konstruieren vermögen, der es aufzuheben scheint? Die durchschlangende Wirksamkeit der staatlichen Bestimmungen beweist vielmehr nur, wie wir durch die Kenntnis der wirtschaftlichen Gesetze die  Bedingungen  wirtschaftlichen Handelns so zu ändern vermögen, daß das wirtschaftliche Interesse sich nicht in einer das Gemeinwohl schädigenden Weise zu äußern vermag, sie beweist aber auch,  wie verkehrt es ist, sich dem Eingreifen des Staates in den Wirtschaftsverkehr gegenüber auf "Naturgesetze" zu berufen,  die sich mit elementarer Gewalt durchsetzen würden, wenn der Staat ihre Wirksamkeit unterdrückt.

Welches ist nun das Verhältnis der theoretischen Richtung der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung zur historischen und praktischen? Die Grundlage auch der abstrakten Wirtschaftswisenschaft ist, so widerspruchsvoll dies klingen mag, die Erfahrung (32). Aufgabe der theoretischen Wirtschaftswissenschaft ist es, uns ein Verständnis der wirtschaftlichen Seite aller Menschheitserscheinungen zu gewähren. Die ganze durch die Erfahrung uns gebotene Menge der realen Wirtschaftserscheinungen ist daher das Objekt einer theoretischen Wissenschaft, welche entweder im Anschluß an die empirisch beobachteten Regelmäßigkeiten,  empirische Gesetze  aufstellt oder unter Aussonderung aller nicht wirtschaftlichen Elemente in denselben uns zeigt, wie sie sich unter dem reinen Einfluß des Interesses der Wirtschaftlichkeit gestalten würden, welches also das  exakte Gesetz der Wirtschaftlichkeit  ist, dessen Richtung in der Realität mehr oder weniger deutlich zum Ausdruck kommt. Ich habe oben gezeigt, bis zu welchem Grad sich die Theorie durch Variation der Voraussetzungen der Wirklichkeit zu nähern vermag. Während die Geschichte also, wie MENGER dies treffend ausdrückt, uns  alle  Seiten  bestimmter  Erscheinungen zur Anschauung zu bringen hat, haben die exakten Theorien uns nur  bestimmte  Seiten  aller  Erscheinungen, die theoretische Wirtschaftswissenschaft speziell die wirtschaftliche Seite der Erscheinungen zum Verständnis zu bringen (33). Durch die Geschichte werden der exakten Theorie daher stets neue Probleme zur Untersuchung gestellt.

Die eben erwähnte Beschränkung der Aufgabe der Theorie zeigt uns zugleich deutlich die Unrichtigkeit des Satzes, daß die Theorie, wenn sie vollkommen wäre, einfach in die Praxis übersetzt werden könnte. Das Verhältnis der theoretischen und praktischen Wirtschaftswissenschaften ist nicht ein solches, daß die Letzteren etwa die Lehren der ersteren in den einzelnen Lebensverhältnissen zu betätigen hätten.  Die praktischen Wirtschaftswissenschaften, Finanzwissenschaft, Volkswirtschaftspolitik usw. haben die Umgestaltung konkreter Wirtschaftsverhältnisse unter den mannigfachsten rechtlichen, sittlichen und technischen Gesichtspunkten zu erwägen  und können sich daher niemals nur auf die noch so vollkommene und exakte Erklärung  einer  Seite der realen Wirtschaftserscheinungen, also in unserem Fall der wirtschaftlichen beschränken. Es ist nicht die Aufgabe der Wirtschaftstheorie,  Forderungen  aufzustellen, die in der Praxis realisiert werden sollen. Eine Verbreitung ihrer Sätze als "Glaubensformeln" wäre daher allerdings verkehrt und ich bin vollkommen der Meinung SCHMOLLERs,
    "daß die konkrete Erfassung der realen Zustände, einschließlich der psychologischen, geografischen, sozialen, technischen Vorbedingungen jeder sozialen und politischen Erscheinung die Brücke ist, auf welcher allgemeine Sätze der Theorie allein zu fruchtbarer  Wirksamkeit  geführt werden,"
ohne mich jedoch auch der weiteren Ansicht anschließen zu können,
    "daß ohne dieses Bindeglied zwischen Theorie und Leben die allgemeinen Formeln der Nationalökonomie ebenso oft Irrlichtern gleichen als Leuchten, die den wahren Weg zeigen." (34)
Die Sätze der Theorie sind weder Irrlichter noch Leuchten, sie sind farblos. Die Theorie gibt keine Maxime des Handels; sie konstatiert Regelmäßigkeiten und Zusammenänge. (35)

Aus dem dargelegten Verhältnis der Wirtschaftstheorie zu den historischen und praktischen Wirtschaftswissenschaften ergibt sich die Begrenzung der Aufgabe derselben. Und so wie wir gesehen haben, daß die historischen und praktischen Wissenschaften in einer Verkennung ihrer Ziele das gesamte Wissensgebiet der politischen Ökonomie für sich in Anspruch nahmen, so muß auch die Gefahr ins Auge gefaßt werden, der die Wirtschafts theorie  ausgesetzt ist. Sie betrachtet nur ein isoliertes Element und muß daher verzichten auf einen Überblick über die Gesamtheit des Wirtschaftslebens, wie sich ein solches in der realen Welt zeigt. Im Bewußtsein dieses Verzichts muß sie stets eingedenk sein, daß außerhalb ihres theoretischen Problems noch ein komplexes Ganzes seiner Untersuchung harrt, daß das geschichtliche Leben nicht warten kann, bis wir mit unseren isolierten Theorien fertig geworden sind. Eine zweite Gefahr, welche von mancher Seite sogar als ein immanenter Fehler der abstrakten Wirtschaftstheorie angesehen wird, besteht darin, daß jene abstrakte Untersuchung sich leicht in eine philosophische Konstruktion verlieren könnte. Ich habe bereits früher betont, daß die Grundlage unserer Abstraktion die reale Welt ist und eine bloße Begriffsanalyse nicht in der Aufgabe der theoretischen Nationalökonomie liegt. Die dritte Gefahr besteht schließlich in einer oberflächlichen Übertragung der gefundenen, nur unter bestimmten Voraussetzungen gültigen Gesetze in die Praxis des Wirtschaftslebens. Darum hat DÜHRING, der sich sonst mit vollem Recht gegen die Übertreibungen der historischen Schule wendet, seinerseits doch wieder Unrecht, wenn er bemerkt:
    "Die Engländer und Franzosen werden erst dann die deutsche Theorie achten lernen, wenn sie nicht bloß Geschichte schreibt, sondern auch Geschichte macht." (36)
Ich habe mich bemüht, die verschiedenen Richtungen wirtschaftswissenschaftlicher Forschung klarzulegen. Wenn hierbei meine Aufmerksamkeit fast ausschließlich der Darstellung der Aufgabe und Methode einer theoretischen Wirtschaftswissenschaft gewidmet war, so liegt dies in den Verhältnissen begründet. Historische und praktische Forschung auf dem Gebiet des Wirtschaftslebens haben sich in den letzten Dezennien ihre Stellung im Kreis der Wissenschaft erobert. Ihre Ziele sind klar, ihre Methoden unbestritten, ihr Wert ist allgemein anerkannt. Heute gilt es, der  Theorie  wieder zu einem gebührenden Ansehen zu verhelfen, das durch den Glanz der Erfolge jener Disziplinen verdunkelt wurde. Nur in der Verbindung und Förderung  aller  Wirtschaftswissenschaften aber liegt die Aufgabe der Zukunft. Denn wir streben nicht nach einer Erkenntnis des mächtigsten Elementes in der Bildung und Entwicklung der menschlichen Gesellschaft, um den gehobenen Schatz besseren Wissens für uns zu pflegen und zu hegen, sondern um ihn in den Dienst der gestaltungsfähigen Ideen zu stellen, welche das Leben unseres Volkes versittlichen und veredeln.
LITERATUR Eugen von Philippovich, Über die Aufgabe und Methode der politischen Ökonomie, Freiburg i. Br. 1886
    Anmerkungen
    1) EUGEN DÜHRING, Kritische Grundlegung der Volkswirtschaftslehre, Berlin 1866, Seite 47, 175f und öfter. Erwähnung verdient ferner MAURICE BLOCK, Die Quintessenz des Kathedersozialismus, Berlin 1878, welche Schrift sich ebenfalls bereits gegen den Historismus in der deutschen Nationalökonomie wendet.
    2) HEINRICH DIETZEL, "Über das Verhältnis der Volkswirtschaftslehre zur Sozialwirtschaftslehre, Berlin 1882" und "Der Ausgangspunkt der Sozialwirtschaftslehre und ihr Grundbegriff" in der  Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft,  1883.
    3) Leipzig 1883. Im engen Anschluß hieran folgen die gedankenreiche Arbeit von SAX, Das Wesen und die Aufgaben der Nationalökonomie, Wien 1884 und DIETZELs "Beiträge zur Methodik der Wirtschaftswissenschaft" in CONRADs  Jahrbuch für Nationalökonomie und Statistik,  Neue Folge, Bd. IX. Ich kann mich SAX nicht anschließen. Es war mir aber auch nicht möglich in dem engen Rahmen einer öffentlichen Antrittsrede, bei der ich von meinen Zuhörern keine eingehende Bekanntschaft mit unserer Wissenschaft erwarten durfte, in der ich daher die methodologische Streitfrage nur in ihrer einfachsten Form behandeln konnte, die entgegenstehenden Gründe anzuführen. Meines Erachtens ist der Beweis nicht erbracht, daß der Kollektivismus in ökonomischer Beziehung andere Gesetze aufweist, als der Individualismus. Es können durch denselben nur neue wirtschaftliche Probleme gebildet werden, deren Auflösung nach denselben Gesetzen geschehen muß, wie die der individualistischen Erscheinungen. Daß die Trennung der menschlichen Handlungen in egoistische, mutualistische und altruistische ebenfalls nicht zu verschiedenen Gesetzen der Wirtschaftlichkeit führen kann, hat DIETZEL im letzterwähnten Aufsatz meiner Ansicht nach sehr schön nachgewiesen. SAX' Untersuchung hat große Bedeutung für die Betrachtung der Sozialphänomene vom politischen, namentlich aber ethischen Standpunkt, doch dürfte er nicht die sozial ökonomischen  Grundverhältnisse klar gelegt haben.
    4) WUNDT, Logik II, Methodenlehre, Stuttgart 1883.
    5) Da doch zwischen experimenteller und theoretischer oder mathematischer Physik, physikalischer und theoretischer Chemie usw. geschieden werden muß. HASBACH in SCHMOLLERs Jahrbuch, 1885, Bd. 2, Seite 180 hat wohl den Bestand dieser verschiedenartigen Methoden der einzelnen Naturwissenschaften übersehen, sonst hätte er nicht MENGERs Scheidung einer empirisch-realistischen und einer exakten Theorie die Frage entgegengehalten: "Gibt es eine empirisch-realistische Physik und eine exakte Physik?", wobei diese Frage von der irrigen Voraussetzung ausgeht, daß jene Scheidung nicht besteht.
    6) Vgl. WUNDT, Seite 541f. MENGER, Seite 68f. GUSTAV COHN, System der Nationalökonomie, Bd. 1, Grundlegung, 1885, Seite 35
    7) GUSTAV COHN, a. a. O., Seite 56
    8) GUSTAV COHN, a. a. O., Seite 76 und 77. Während COHN die Übertreibungen einzelner Historiker mit Erfolg zurückweist, steht er doch vollständig im Bann jener Meinung, welche die Nationalökonomie als eine ethische Wissenschaft betrachtet. Allerdings ist ihm die Ethik "nichts anderes als die Darstellung der handelnden Vernunft". Diese in der Sprache einzelner Philosophen begründete Anschauung führt zu mannigfachen Mißverständnissen und Unklarheiten. So wird das Handeln nach dem Prinzip der Wirtschaftlichkeit als vernünftig, mithin das ökonomische Handeln als ein Teil der Ethik erkannt (Seite 73). Alles Ethische heißt es im Späteren (Seite 75) ist ein Seiendes und Sein-Sollendes zugleich. Aus diesem ganz unbestrittenen Satz wird die überraschende Folgerung gezogen, daß eine Betrachtung unter nur einem dieser Gesichtspunkte untunlich ist, da nur eine abstrakte Scheidelinie, aber keine konkrete Grenze hier zweierlei Gebiete bilden kann. Warum hat COHN die Möglichkeit einer solchen Abstraktion und ihrer weiteren Konsequenzen nicht beachtet oder doch mit Gründen bekämpft? Wenn er im Späteren sagt, "daß in allem Ethischen der Abstand gegeben ist zwischen dem zum Seienden gewordenen Sollen und dem über das Seiende hinausgehenden Sollen" (Seite 200), so scheint es doch, daß man diesen Abstand zu einer getrennten Untersuchung benutzen kann?
    9) LORENZ von STEIN, Bauerngut und Hufenrecht, Stuttgart 1882, Seite 32f.
    10) Es ist unschwer zu erweisen, daß eine weitergehende Spezialisierung der in eine geschichtliche Betrachtung gezogenen Fälle sich nur quantitativ vom angeführten Beispiel unterscheidet und daher ebensowenig die gleichförmigen Beziehungen zwischen aktiven und passiven Kreditgeschäften einer Bank klarzulegen vermag. Der  individuelle  Charakter jeder durch die Geschichte bloßgelegten Erscheinung ist es, welcher verhindert, daß die Geschichte ansich zur Erkenntnis  allgemeiner  Beziehungen der Erscheinungen führen könnte. Sie führt zu speziellen Erkenntnissen (Spezialgesetzen nach WUNDTs Ausdruck), "welche für den der Interpretation unterworfenen Zusammenhang  allein  gültig sind." - WUNDT a. a. O. Seite 453.
    11) Wenn HASBACH, a. a. O. Seite 185 bemerkt: "Was bis jetzt an historischen und statistischen Arbeiten vorliegt, ist meistens aus individuellen Impulsen geschaffen worden. Es sind Inseln im Meer unserer Unwissenheit. Um feste Kontinente enstehen zu lassen, wäre es nötig, daß nach einem  bis ins Einzelne festgestellten Plan  die  realistischen  Forscher Material sammelten und es verglichen", so vermißt man die Erkenntnis, daß ein solcher Plan nur infolge der bisher gewonnenen  theoretischen  Kenntnis aufgestellt werden könnte. - Die bewußte Verschmelzung der drei Forschungsrichtungen, welche SCHEEL in  Schönbergs Handbuch der politischen Ökonomie,  zweite Auflage, Bd. 1, Seite 71 vornimmt, indem er sagt, daß Geschichte, Theorie und Kunstlehre der Volkswirtschaft ein unzertrennliches Ganzes bilden, ist insoweit gerechtfertigt, als man auch von Natur-, Geisteswissenschaften usw. als einer Einheit sprechen kann. Da SCHEEL aber die  Unzertrennbarkeit  betont, so hätte er auch einen Beweis für dieselbe liefern müssen. Der Zweifel, der ihm bezüglich der Möglichkeit einer  Universalhistorie  gekommen ist, hätte ihn doch weit eher bei obiger Behauptung anwandeln sollen.
    12) HERMANN von HELMHOLTZ, Vorträge und Reden, Braunschweig 1884, Bd. 1, Seite 125. Mit Recht wendet sich WUNDT, a. a. O., Seite 518 gegen diese Auffassung.
    13) COHN, a. a. O. Seite 30
    14) a. a. O. Seite 123
    15) EMILE DUBOIS-REYMOND, Über die Grenzen des Naturerkennens, Reden, erste Folge, Leipzig 1886, Seite 107
    16) Das Geld, zweite Auflage, 1885, Seite 40
    17) WILHELM LEXIS, Theorie der Massenerscheinungen, Freiburg i. Br., 1877, Seite 1. Bezüglich der Auffassung der Statistik als einer besonderen Methode der Beobachtung, vgl. LEXIS, a. a. O., INAMA-STERNEGG in "Österr. Statistische Monatsschrift, Bd. 11, Seminarbericht; MISCHLER, Alte und neue Universitätsstatistik, Prag, 1885, Seite 12; RÜMELIN in  Schönbergs Handbuch,  zweite Auflage, Seite 705; G. COHN, a. a. O., Seite 57
    18) Vgl. MENGER a. a. O., Kap. 4 und 5 und WUNDT, a. a. O., Seite 577
    19) Dies hat sehr schön WUNDT Seite 540f im Abschnitt über die historische Interpretation nachgewiesen.
    20) Auch außerhalb Deutschlands ist in letzterer Zeit die Kritik der historischen Methode wieder angeregt worden. Vgl. SCHWIELAND, L'Historisme économique allemand, Paris 1885 und SIDGWICK, The scope and method of economic science, London 1885. Hingegen tritt unter Zurückweisung der neueren deutschen Kritik für die historische Methode ein: COGNETTI de MARTUS, L'Economia come scienza autonoma, Torino, 1886. Mit großer Wärme, aber kaum mit Erfolg verteidigt Letzterer die Auffassung der Wirtschaftswissenschaft als Teil einer die Entwicklungsgeschichte der Menschheit im Anschluß an biologische Theorien umfassenden Sozialwissenschaft.
    21) Es entspricht nur einer gerechten Würdigung der systematischen Reformarbeit MENGERs, wenn ich ihn hier in den Vordergrund stelle. Tatsächlich haben ja DIETZEL in den Anmerkung 2 erwähnten Arbeiten und auch WAGNER bei der Besprechung von  Schönbergs Handbuch der politischen Ökonomie  in der Tübinger Zeitschrift 1883, Seite 258 Reformforderungen in einem ähnlichen Sinn, wie MENGER, zum Teil unmittelbar vor demselben erhoben. Über das in Frage stehende Problem spricht WAGNER a. a. O., Seite 268 und 269 mit den Worten: "Diese Methode ... ist eine echt wissenschaftliche, auch in der Naturwissenschaft ähnlich gehandhabte Methode, welche auf eine  Isolierung der Ursachen  hinausläuft" in vollkommen analoger Weise aus, wie jene  Antikritik  überhaußt durch die klare und scharfe Formulierung entgegenstehender methodologischer Anschauungen hervorragt. Sie hätte vermutlich den Ausgangspunkt einer methodologischen Diskussion gebildet, wenn nicht MENGERs Werke inzwischen die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hätte. WAGNERs Aufsatz über "Systematische Nationalökonomie in CONRADs Jahrbuch für Nationalökonomie und Statistik, Neue Folge, Bd. XII, Seite 197 kam mir zu spät zu, als daß ich auf die durch Unterstützung der Auffassung der Nationalökonomie als  ethischer  Wissenschaft gegebenen Angriffspunkte gegen die von mir angenommene Lehre MENGERs hätte eingehen können. In Bezug auf den Historismus besteht nach dieser neuesten Erklärung WAGNERs keine Verschiedenheit der Auffassung zwischen ihm und MENGER.
    22) Der Ausdruck  Streben nach stofflichen Gütern  könnte die Meinung hervorrufen, als ob ich mit DIETZEL das Wesen der wirtschaftlichen Handlung in der  Unterwerfung eines begrenzten Teils des Stoffes unter die Willensherrschaft einer Person  (Tübinger Zeitschrift, 1883, Seite 65) erblicken würde. Die Verwendung stofflicher Güter zur Erlangung von Dienstleistungen, wie z. B. der Hilfe eines Arztes, wäre demnach keine wirtschaftliche Handlung. Dies scheint mir eine zu enge Begrenzung des Begriffes der Letzteren. Ich habe den erwähnten Ausdruck der Kürze wegen gewählt, da das  Streben  nach Gütern nicht bloß das Verlangen nach neuen Gütern ausdrückt, sondern auch die Wertschätzung der Besessenen in sich schließt.
    23) Es läßt sich wohl auch von den Geisteswissenschaften sagen, daß dieselben von der Voraussetzung ausgehen müssen, daß die Welt des Geistigen  begreiflich sein muß,  wie dies HELMHOLTZ von den Naturwissenschaften sagte: "Ob nun wirklich alle Vorgänge auf solche (letzte Ursachen) zurückzuführen sind, ob also die Natur vollständig begreiflich sein muß oder ob es Veränderungen in ihr gibt, die sich dem Gesetz einer notwendigen Kausalität entziehen, ist hier nicht der Ort zu entscheiden; jedenfalls ist es klar, daß die Wissenschaft, deren Zweck es ist, die Natur zu begreifen, von der Voraussetzung ihrer Begreiflichkeit ausgehen und dieser Voraussetzung gemäß schließen und untersuchen muß, bis sie vielleicht durch unwiderlegliche Fakta zur Anerkenntnis ihrer Schranken genötigt sein sollte". (Über die Erhaltung der Kraft, Berlin 1847, Seite 2 und 3)
    24) Es düfrte wohl auch die  eigentliche  Konsumtion nur dadurch richtig erfaßt werden, daß man sie als die Grundlage einer Variation der Bedingungen wirtschaftlichen Handelns erkennt, als "die Funktion, welche die Produktion und somit den volkswirtschaftlichen Prozeß überhaupt in Gang hält." (LEXIS in SCHÖNBERGs Handbuch, zweite Auflage, Bd. 1, Seite 698). Der Konsumtionsakt ist keine wirtschaftliche Handlung und doch ist er von allergrößter Bedeutung für das Wirtschaftsleben. Diese Doppelstellung der Konsumtion am Ein- und Ausgang des Wirtschaftsprozesses erhellt die Ursache des unklaren Standpunkte, welchen die Systeme häufig der Lehre von der Konsumtino gegenüber einnehmen.
    25) Einer ähnlichen Meinung gibt LEXIS bei der Besprechung von MENGERs Buch in der  Deutschen Literaturzeitung,  Jahrgang 1883, Seite 1481, Ausdruck und dahin geht wohl auch die Ansicht BÖHM-BAWERKs, wenn er von der Wirtschaftstheorie fordert, daß sie uns auch die wirtschaftlichen  Wirkungen der altruistischen  Antriebe, wenn auch nicht deren  Auftreten,  darlegen soll. (in Grünhuts Zeitschrift für Privat- und öffentliches Recht der Gegenwart, Bd. XI 1883, Seite 216)
    26) Es ist selbstverständlich, daß hierbei die empirischen Beobachtungen, z. B. die statistischen Exemplifikationen nicht zu einer  Korrektur  des exakten Satzes dienen, daß wir hierdurch nicht eine Kontrolle über letzteren in seiner theoretischen Bedeutung üben. Wir erlangen dadurch nur ein Maß für die Abweichung der realen, von der unserer Theorie zugrunde liegenden Erscheinung. Vgl. hierzu SAX, a. a. O., Seite 48.
    27) Ich glaube, DIETZEL irrt, wenn er annimmt, daß den Bedürfnissen der Darstellung mit der farblosen Annahme  wirtschaftlichen  Handelns Genüge geschehen ist. Daß die Hervorkehrung des  egoistischen  oder  eigennützigen  Handelns in MENGERs Darlegungen nur die von mir hervorgehobene Bedeutung einer psychologischen, der objektiven Erscheinung entsprechenden und nicht ethischen Charakterisierung besitzt, scheint mir deutlich aus Anhang VI. der  Untersuchungen  hervorzugehen, so daß ich in der Sache eine vollkommene Übereinstimmung zwischen DIETZEL und MENGER erblicke.
    28) LOTHAR DARGUN, Egoismus und Altruismus in der Nationalökonomie, Leipzig 1885, Seite 41. Diese Annahme scheint auch bei WUNDT Seite 591 vorzuliegen.
    29) a. a. O., Seite 13
    30) in CONRADs Jahrbüchern, Bd. IX, 1884, Seite 239.
    31) Daß durch die Ausnahmebestimmungen für die einer Neuausprägung nicht unterliegener Taler, welche in jeder Höhe angenommen werden müssen, keine  wesentliche  Änderung hervorgerufen wir, ist klar.
    32) "Die Wirtschaftsgeschichte und Beschreibung liefern das Material zwecks Erweiterung der generellen Erscheinungen und Erscheinungsformen." SCHANZ in der Österr. Stat. Monatsschrift Jahrg. 1884, Seite 110 (Literaturbericht). Dieser Ausspruch soll aber doch wohl keinen Gegensatz zu MENGER statuieren? Vgl. des Letzteren "Untersuchungen", Seite 116, 117.
    33) a. a. O., Seite 67
    34) SCHMOLLERs Jahrbuch für Gesetzgebung etc., Bd. X, 1. Heft, Seite 310.
    35) Dies muß auch gegen WUNDT, Seite 591 aufrechterhalten werden, indem es a. a. O. heißt: "Diese Theorie will nur zum Teil das  Sein  der Vorgänge erklären; sie bezieht sich zu einem nicht minder wesentlichen Teil auf das  Sollen Ist dagegen mit  diese Theorie  die abstrakte Theorie der  Manchesterschule  gemeint, so ist gegen den Satz nichts einzuwenden.
    36) a. a. O. Seite 50