ra-2Friedrich MuckleDie Arbeiterfrage    
 
ADOLF HELD
Zur sozialen Geschichte Englands
von 1760 - 1832

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    Einleitung
§ 1. Die Grundbesitzer
§ 2. Handelspolitik
§ 3. Die unteren Klassen
§ 4. Arbeitergesetze
§ 5. Armen- und Heimatgesetze
§ 6. Stocken der Gesetzgebung
Vorbemerkung über die neuen politischen Ideen

"Im Recht der persönlichen Freiheit lagen keineswegs alle diejenigen Rechte, die wir heute in den Worten  Freizügigkeit und Gewerbefreiheit  zusammenzufassen pflegen. Die Freizügigkeit war vielmehr zunächst durch das mit dem Armenwesen zusammenhängende Niederlassungsrecht beschränkt, dann aber durch den Zwang zur Arbeit der gegen unbeschäftigte Vermögenslose ausgeübt wurde. Dieser Arbeitszwang war nicht etwa nur ein indirekter durch Versagung von Armenunterstützung, kann auch nicht als exzeptionelle Polizeimaßregel gegen gefährliche Vagabunden aufgefaßt werden - er war eine prinzipielle Freiheitsbeschränkung im Interesse der allgemeinen Ordnung und der Produktion."

"Blackstone unterscheidet vier Arten von Arbeitern, die er noch servants (Diener) nennt - ein Ausdruck, der erst durch die neueste Gesetzgebung (employers and workmen act von 1875) aus der offiziellen Terminologie verschwunden ist."

Einleitung

§ 3. Die unteren Klassen

Was die Gesetzgebung über das Verhältnis gewerblicher Arbeiter zu ihren Arbeitgebern angeht, so war an derselben die regierende Gentry wenigstens in Anbetracht der landwirtschaftlichen Arbeiter direkt interessiert, indirekt aber durch den Zusammenhang des gewerblichen und des Arbeiterrechts mit dem Armenrecht. Wir werden sehen, daß die regierende Gentry diese wichtigsten Teile der sozialen Gesetzgebung und Verwaltung durch Nachlässigkeit verkommen und auf dem Gebiet des Armenrechts sich speziell schwere Fehler zuschulden kommen ließ.

Das Gewerbe- und Arbeiterrecht beruhte zu unserer Zeit noch auf der Gesetzgebung von Königin ELISABETH. Diese Gesetzgebung war zumeist eine Kodifzierung älterer Gesetze und Statuten und strebte im Geiste des die Staatseinheit vertretenden Königtums allen Ständen und Parteien gerecht zu werden; doch ist nicht zu verkennen, daß vom Geist des älteren Rechts, das in Erinnerung an die alte Unfreiheit den vermögenslosen Arbeiter als ein im allgemeinen Interesse zum Arbeiten verpflichtetes Wesen behandelte, noch deutliche Spuren in der Gesetzgebung von ELISABETH übrig geblieben sind, wenn auch einseitige Härte gegen das Proletariat erst im Laufe der Zeit schärfer hervortrat.

BLACKSTONE, wenngleich englisch konservativ, war doch von den Ideen des Individualismus und des Staatsvertrags wesentlich beeinflußt. So sagt er Buch I, Cap. 1:
    "Die absoluten Rechte jedes Engländers, die man im politischen und weiteren Sinn des Wortes gewöhnlich Freiheiten nennt, beruhen auf Natur und Vernunft und sind von gleichem Alter mit unserer Verfassung ... Die durch verschiedene Gesetze definierten Rechte bestehen aus einer Reihe persönlicher Freiheiten, die in der Tat nichts anderes sind, als entweder jener Rest natürlicher Freiheit, den die Gesetze der Gesellschaft dem allgemeinen Interesse nicht zu opfern brauchen, oder aber solche bürgerliche Privilegien, welche die Gesellschaft anstelle der von den Individuen aufgegebenen natürlichen Freiheit begründet hat. Sie waren einst durch Erbschaft oder Kauf die Rechte aller Menschen. In den meisten anderen Ländern aber wurden sie mehr oder weniger beschränkt und zerstört, so daß sie jetzt als die eigentümlichen Rechte des englischen Volks betrachtet werden können. Man kann sie in drei prinzipielle Hauptpunkte zusammenfassen: Das Recht der persönlichen Sicherheit, der persönlichen Freiheit und des Privateigentums."
In dieser BLACKSTONEschen Zusammenfassung ist der Begriff der "persönlichen Freiheit" sehr der Erklärung bedürftig. Es stellt sich bei dieser Erklärung heraus, daß die persönliche Freiheit sehr beschränkt werden kann - nur nicht durch Willkür. Ihr wesentlicher Inhalt ist der, daß niemand, außer  aufgrund eines Gesetzes,  verhaftet und außer Landes verwiesen werden kann und daß in England keine Art von Sklaverei geduldet ist (Buch I, Cap. 14). Keineswegs aber liegen in diesem Recht der persönlichen Freiheit alle diejenigen Rechte, die wir heute in den Worten "Freizügigkeit und Gewerbefreiheit" zusammenzufassen pflegen.

Die Freizügigkeit war vielmehr zunächst durch das mit dem Armenwesen zusammenhängende Niederlassungsrecht beschränkt, dann aber durch den Zwang zur Arbeit der gegen unbeschäftigte Vermögenslose ausgeübt wurde.

Dieser Arbeitszwang war nicht etwa nur ein indirekter durch Versagung von Armenunterstützung, kann auch nicht als exzeptionelle Polizeimaßregel gegen gefährliche Vagabunden aufgefaßt werden - er war eine prinzipielle Freiheitsbeschränkung im Interesse der allgemeinen Ordnung und der Produktion.

BLACKSTONE unterscheidet Buch I, Cap. 14 vier Arten von Arbeitern, die er noch servants (Diener) nennt - ein Ausdruck, der erst durch die neueste Gesetzgebung (employers and workmen act von 1875) aus der offiziellen Terminologie verschwunden ist. Die vier Arten von Arbeitern, respektive "Angehörigen der dienenden Klasse" sind:
    1) Hausgesinde (menial servants),

    2) Lehrlinge (apprentices)

    3) Arbeiter, die auf Tage oder Wochen gedungen sind und nicht im Haus des Dienstherrn wohnen,

    4) höhere Arbeiter als Aufseher, Faktoren, Verwalter
Es können nur unverheiratete zwischen 12 und 60, verheiratete Männer unter 30 Jahren, Frauen zwischen 12 und 40 Jahren, wenn ohne sichtliche Unterhaltsmittel, zum Gesindedienst in der Landwirtschaft oder gewissen Gewerben gezwungen, Armenkinder können zwangsweise als Lehrlinge untergebracht, alle Personen ohne Mittel können zur Arbeit gegen obrigkeitlich festgestellten Tagelohn gezwungen werden und trotz des entgegenstehenden Common Law haben nur Personen, die eine 7-jährige Lehrzeit durchgemacht haben, das Recht zu selbständigem Betrieb der betreffenden Gewerbe.

Das Armenrecht beruhte auf dem Grundsatz, daß jeder Arbeitsfähige zur Arbeit angehalten, jeder Arbeitsunfähige aus Gemeindemitteln unterstützt werden solle. Das Armenwesen ist in England mehr als in irgendeinem anderen Land eine Frage von höchster politischer und sozialer Bedeutung. Während in Frankreich noch heute die Armenunterstützung der Hauptsache nach milden Stiftungen der verschiedensten Art obliegt und die öffentliche Armenpflege der Gemeinde dem Nationalgeist widerstrebt - während in Deutschland die Armenpflege in ländlichen Gemeinden noch vielfach höchst patriarchalisch, in einzelnen Städten (Elberfeld, Krefeld) aber in mustergültiger Weise durch Kombinatioin freiwilliger Kräfte und öffentlicher Mittel geregelt ist - ist in England die Armenfrage seit der Säkularisation des Kirchenguts unter HEINRICH VIII. bei der geringen Zahl ländlicher Besitzer und der Masse des industriellen Proletariats der wichtigste Zweig der lokalen, d. h. überhaupt der inneren Verwaltung des Landes und hängt mit dem Arbeiterrecht in der maßgebendsten Weise zusammen. (1)

Der Arbeitszwang und die Armenunterstützung wurden nach alleiniger Maßgabe des allgemeinen Staatsgesetzes durch die Organe der lokalen Selbstverwaltung, aus Gemeindemitteln geleistet. Die Last fällt auf die Haus- und Grundbesitzer der Gemeinden, die Verteilung der Last unter verschiedenen Gemeinden wird durch das Niederlassungsrecht reguliert, welches in einer Unmasse von Fällen zwangsweisen Rücktransport des Armen in die Heimatgemeinde gestattete, bzw. vorschrieb; also schon dadurch, dann aber auch durch die Furcht eines solchen Transportes die Freizügigkeit aufs stärkste beschränkte.

Die Lehrlingsgesetzgebung und die Lohnregulierungen waren eine Kodifizierung des Geistes der älteren, vielfach in zünftischen Statuten verkörperten Gesetze. Die gewerbliche Ordnung wurde in England frühzeitig auf Staatsgesetzen basiert und ihre Durchführung der Hauptsache nach staatlichen Organen anvertraut. (2)

Nach dieser kurzen Schilderung des allgemeinen Charakters der gewerblichen Zustände, des Armen- und Niederlassungsrechts mag es gestattet sein, die wichtigsten darauf bezüglichen Gesetze teilweise im Auszug anzuführen.


§ 4. Arbeitergesetze

Die allgemeine polizeiliche Gesetzgebung für freie Arbeiter, die mehr und mehr anstelle der Leibeigenen getreten waren, beginnt mit dem Statute of Labourers von 1350, das 1360 vom Parlament bestätigt wurde und dem bald viele andere Regulierungen in ähnlichem Geist folgten. Das Statu war gegen die Trägheit und die hohen Lohnforderungen der durch die Pest von 1349 stark dezimierten freien Arbeiter gerichtet, gebot den Arbeitern, jedem Arbeitgeber zu dem vor der Pest üblichen Lohn zu dienen und suchte zugleich eine dauernde richtige Verteilung der Arbeiterbevölkerung im Lande zu sichern. 1360 wurden auf Übertretung des Statuts Strafen von 14 Tagen Gefängnis und Brandmarkung gesetzt und Kombinationen der Maurer und Zimmerleute für nicht erklärt. Es folgten Arbeiterluxusgesetze und 1388 ein neues zusammenfassendes Arbeitergesetz (RICHARD II.), das die alten Statuten bestätigte und einschärfte und zugleich starke direkte Beschränkungen der Freizügigkeit und der Freiheit des Übergangs von der Landwirtschaft zum Gewerbe brachte, indem Arbeiter ihren Wohnort nur mit friedensrichterlichem Erlaubnisschein verlassen durften und niemand mehr gewerblicher Lehrling werden durfte, der bis zu seinem 12. Lebensjahr in der Landwirtschaft gedient hatte - eine Bestimmung, die nachmals, weil ländliche Arbeiter ihre Kinder massenhaft vor dem 12. Jahr in die Städte schickten, noch verschärft wurde.

Daraus und aus der Bestimmung, daß Lehrlinge in den Gewerben zur Erntearbeit gezwungen werden können, ist deutlich zu erkennen, daß diese ältere Gesetzgebung noch keineswegs von der vorherrschenden Tendenz die Schwachen zu schützen erfüllt war, sondern vor allem den Interessen des ritterlichen Grundbesitzes diente - nicht unbegreiflich in einer Zeit, in der die Aufhebung der Leibeigenschaft ein undiszipliniertes Proletariat erzeugt hatte.

Bei HENRY IV. (1405) tritt nun die Tendenz, dem Grundbesitz Arbeiter zu sichern, noch schärfer hervor, indem allen Leuten, die nicht Land oder Rente von mindestens 20 Schilling Jahreswert haben, verboten wird, ihre Kinder als Lehrlinge in ein städtisches Gewerbe zu geben, was 1429 für London aufgehoben wurde und 1495 für Norwich.

Im Gesetz von 1388 wurden die Löhne der ländlichen Arbeiter neuerdings festgesetzt. Auf das Geben und Nehmen eines die gesetzlichen Bestimmungen übersteigenden Lohnes waren hohe Geldstrafen gesetzt. Im folgenden Jahr 1389 trat an die Stelle der gesetzlich fixierten Löhne die Regulierung durch die Friedensrichter zu Ostern und Michaeli; dabei wurden 1416 und 1427 die Strafen auf das  Geben  eines höheren Lohnes aufgehoben, nur die auf das Nehmen beibehalten, so daß der Arbeitgeber, der den höheren Lohn selbst gab, gegen seine Arbeiter einseitig einschreiten konnte. Im 15. und 16. Jahrhundert wurden aber doch die Löhne noch mehrmals durch Gesetz bestimmt, so 1444, 1496, zuletzt 1514. (3) Seit 1562 ist die Lohnregulierung durch die Friedensrichter als alleinige Regel festgestellt. Mit der obrigkeitlichen und gesetzlichen Feststellung der Löhne gingen Taxen für die Preise der Lebensmittel Hand in Hand - eine Einrichtung, welche die Tendenz dem Volk billige Nahrung zu sichern, anzeigt. Wir haben gesehen, wie diese Tendenz auf dem Gebiet des auswärtigen Handels mit Korn allmählich dem Grundbesitzerinteresse weichen mußte.

Was den inländischen Handel mit Lebensmitteln betrifft, so entwickelte sich die obrigkeitliche Tarifierung derselben namentlich von Brot und Bier nach GNEIST seit dem 14. Jahrhundert. Diese Tarifierungen waren ein notwendiges Korrelat der Lohnfestsetzungen. Es ist charakteristisch, daß schon EDWARD III. zugleich mit den Löhnen die Viktualienpreise [Lebensmittelpreise - wp] gesetzlich feststellte und daß 1389 bestimmt wurde, "daß Lebensmittelverkäufer einen billigen (reasonable) Gewinn haben sollen nach der Bestimmung und Beschränkung durch die genannten Richter und nicht  mehr,  bei schwerer Strafe."

Verschiedene Gesetze über Lebensmittelpreise erließ HEINRICH VIII. (1532 und 1534).

Außerdem bezweckten Billigkeit der Viktualien die Strafgesetze gegen das Vorkaufen der Waren, ehe sich zum Markt kommen (forestalling) seit EDWARD IV., gegen den Wiederverkauf von Korn etc. auf demselben Markt oder 4 Meilen im Umkreis und gegen das Aufkaufen großer Getreidequantitäten zum Zweck der Beherrschung des Marktes (engrossing). (4)

Die gesamten älteren Gesetze über Gewerbe- und Arbeiterverhältnisse faßte dann das berühmte sogenannte Lehrlingsgesetz, nach GNEIST richtiger Arbeits- und Gesindegesetz, von 1562 zusammen.

Dieses Gesetz der großen Königin zeugt wahrhaft vom Geist des erstarkten Königtums, das über allen Ständen und ihren Interessen stehend, auch die Schwachen stützt. Die Einleitungsworte sind ein ernst gemeintes Programm:
    "Obgleich gegenwärtig noch eine große Menge von Gesetzen und Statuten bestehen und in Kraft sind, die sich auf das Dingen und Entlassen, die Löhnung und Behandlung von Lehrlingen, Dienern und Arbeitern, sowohl in der Landwirtschschaft als in verschiedenen anderen Künsten, Gewerben und Beschäftigungen beziehen; so können die besagten Gesetze doch - teils wegen ihrer Unvollständigkeit und des Widerspruchs, in dem einzelne derselben offenbar miteinander stehen und wegen ihrer Vielfältigkeit und großen Menge, teils aber und hauptsächlich deshalb, weil die in vielen dieser Statuten in Maximo zugelassenen oder festgesetzten Löhne und Saläre an verschiedenen Orten zu gering und der Gegenwart in Anbetracht der Preissteigerung aller von den besagten Dienern und Arbeitern gebrauchten Waren nicht entsprechend sind -  nicht ohne große Leiden und Belastung des armen Arbeiters und Dienstmannes richtig und gebührend ausgeführt werden:  Und da die erwähnten Gesetze und Statuten zur Zeit, da sie erlassen wurden, für sehr gut und dem öffentlichen Wohl dieses Reichs sehr förderlich gehalten wurden - was in der Tat viele sind - kann man, wenn so der Inhalt aller Gesetze, die zur Erhaltung geeignet sind, geordnet, in ein einziges Gesetz und Statut zusammengefaßt und so eine einzige gleichmäßige Ordnung in Bezug auf Löhne und sonstige Anordnungen für Lehrlinge, Diener und Arbeiter festgestellt und bestimmt wird, mit Recht hoffen, daß dieses Gesetz, wohl ausgeführt,  den Müßiggang verbannen, die Landwirtschaft ermutigen und den Lohnarbeitern sowohl in Zeiten der Teuerung als der Fülle ein geziemendes Maß des Lohnes gewähren wird." 
Das Gesetz der ELISABETH besteht aus 48 Artikeln. Der 3. Artikel führt eine Reihe von 30 verschiedenen Gewerben auf, in denen Dienstverträge mindestens auf ein Jahr geschlossen werden müssen. Unverheiratete und gewisse unter 30-jährige verheiratete Personen, die in einem jener Gewerbe aufgezogen sind oder 3 Jahre gedient haben, können auf Verlangen eines Meisters durch 2 Friedensrichter oder den Major und 2 Aldermen zum Dienst gezwungen werden, wenn sie nicht eine sichere Jahresrente von 40 Schilling oder ein Vermögen von 10 Pfund Sterling haben, nicht in einem anderen gesetzlichen Dienst stehen oder eine sie beschäftigende Pachtung haben. Artikel 4: Dienstkontrakte können nur durch Friedensrichter oder städtische Obrigkeit nach Billigkeit aufgelöst werden; eigenmächtiger Kontraktbruch ist straffällig. Artikel 6: Selbst nach Ablauf der Dienstzeit kann das Dienstverhältnis nur durch vierteljährige Kündigung aufgelöst werden. Nach Artikel 7 können alle Personen zwischen 12 - 60 Jahren, die ohne Vermögen (was ähnlich wie Artikel 3 normiert ist) und in keinem der einzeln aufgezählten Gewerbe legaliter beschäftigt sind, zum Dienst in der Landwirtschaft gezwungen werden.

Kontraktbrüchige Arbeiter verfallen einer Geldstrafe (Artikel 8). Kontraktbrüchige Arbeiter und solche, welche die Dienstleistungen, zu denen sie nach dem Gesetz gezwungen werden können, versagen, können durch Haft zur Arbeit gezwungen werden (Artikel 9). Kein Arbeiter darf seinen bisherigen Wohnort ohne obrigkeitliches Zeugnis der Berechtigung verlassen. Kein Arbeitgeber darf ohne so ein Zeugnis einen Arbeiter annehmen - der neue Arbeitgeber unterliegt im Übertretungsfall der Geldstrafe, der Arbeiter wird, wenn er das Zeugnis nicht nachträglich schaffen kann, als Vagabund behandelt. (Artikel 10 und 11). Die tägliche Arbeitszeit von Mitte März bis Mitte September wird von 5 Uhr Morgens (oder früher) bis zwischen 6 - 8 Uhr Abends mit höchstens in Summa 2 ½ stündigen Pausen für Essen, Trinken und Schlaf, in den anderen Monaten auf Tagesanbruch bis Nacht festgesetzt - bei Strafe von 1 Penny Lohnabzug pro Stunde (Art. 12) . Arbeiter, die beim Hausbau und anderen größeren Werken gedungen sind, dürfen die Arbeit vor Vollendung des Werkes nicht verlassen bei Strafe von Haft und Schadensersatz (Art. 13). Nach Artikel 15 sollen die Löhne für alle Arten von Arbeitern durch die Friedensrichter in Verbindung mit dem Sheriff und den Stadtobrigkeiten in einer Versammlung unter Zuziehung von Sachverständigen alljährlich festgesetzt werden. Diese Festsetzungen mit Motiven sollen dem Court of Chancery zugesendet und dann in den einzelnen Bezirken veröffentlicht werden. Die Obrigkeiten, die das unterlassen, werden mit Geldstrafe belegt. (Art. 15 - 17). Das Geben höherer Löhne wird mit Haft und Geldstrafe geahndet, das Nehmen derselben mit (längerer) Haft. Aller Verträge über höhere Löhne sind nichtig, Gewalttat und Mißhandlung des Arbeitgebers oder Aufsehers wird ebenfalls durch Friedensrichter oder Stadtobrigkeit mit langer Haft bestraft (Artikel 18 - 21). Alle Arten von Arbeitern können, wenn sie tauglich sind, von den Friedensrichtern zur Arbeit bei der Heu- und Getreideernte gezwungen werden. Zu diesem Zweck ist auch Wandern der Arbeiter gestattet (22 und 23). Artikel 24 gestattet Arbeitszwang gegen unverheiratete weibliche Personen zwischen 12 und 40 Jahren. Artikel 25 und 26 bestimmen, daß jeder Hausbesitzer, der eine gewisse Menge Landes unter dem Pflug hat, einen Lehrling aus den Personen über 8 und unter 18 Jahren bis zum 21. bzw. 24. Jahr annehmen darf; jeder selbständige Gewerbetreibende in einer City oder Town corporate, der 24 Jahre alt und Hausbesitzer ist, den Sohn eines Freien, der in einer solchen Stadt wohnt und nicht Landwirtschaft treibt, als Lehrling auf mindestens 7 Jahre und wenigstens bis zu seinem 24. Jahr annehmen darf und soll.

Nach Artikel 27 und 29 dürfen Kaufleute, Goldschmiede etc. nur ihre Söhne oder Kinder von Eltern mit einem gewissen Vermögen als Lehrlinge annehmen, gleichviel in welcher Art von Städten sie wohnen. Gewerbsmeister in nicht inkorporierten Marktstädten sollen nur Kinder von Gewerbetreibenden aus gleichartigen Städten als Lehrlinge annehmen (Artikel 28). Eine Reihe besonders namhaft gemachter Gewerbemeister (Schmiede, Zimmerleute, Leineweber, gemeine Wollweber etc.) können nach Artikel 30, wo sie auch wohnen, jedermanns Sohn als Lehrling annehmen.

Niemand, der nicht eine 7-jährige Lehrlingszeit in einem Gewerbe durchgemacht hat, kann in demselben Gewerbe sich als selbständiger Unternehmer auftun oder als Geselle angenommen werden (Artikel 31).

Für Tuchweber, mit Ausnahme derjenigen, die in gewissen Grafschaften nur grobe Tuche machen, gelten (Art. 32) in Bezug auf Annahme von Lehrlingen noch stärkere Beschränkungen als für die Kaufleute etc. nach Artikel 27 und 29.

Alle Gewerbemeister müssen auf 3 Lehrlinge einen Gesellen und auf jeden Lehrling über 3 einen Gesellen mehr halten (Art. 33). Artikel 34 enthält Privilegien der Kammgarnmacher in Norwich.

Nach Art. 35 können unter 21-jährige Personen, die zur Lehrlingsschaft geeignet sind, auf Verlangen von solchen, die Lehrlingen zu halten berechtigt sind, dazu gezwungen werden. Bei Streitigkeiten zwischen Lehrling und Lehrherrn vermitteln die Magistrate nach Billigkeit, eventuell wird der Lehrvertrag aufgelöst oder der Lehrling bestraft.

Die Friedensrichter und Stadtmagistrate sind verpflichtet, die Ausführung des Gesetzes zu überwachen und bekommen Diäten. Weiter ist die Verwendung der Strafgelder, die Kompetenz der städtischen Obrigkeiten geregelt, die Privilegien einzelner Städte und Grafschaften werden erhalten etc., schließlich wird noch das Recht der Verhaftung entlaufener Lehrlinge und Arbeiter angeordnet.

Ich habe das ganze Gesetz ausführlich exzerpiert, da dasselbe zwar im Laufe der Zeit immer lässiger ausgeführt, aber erst unter GEORGE III. der Hauptsache nach formell abgeschafft wurde.

Unverkennbar ist in diesem Gesetz die Tendenz, in allen Gewerben inklusive der Landwirtschaft einen regelmäßigen Fortgang der Produktion zu sichern, den Interessen der Arbeiter wie der Arbeitgeber gerecht zu werden, in allen Gewerben Mangel wie Überfluß der Kräfte zu verhüten und  gelernte dauernd  engagierte Kräfte zu sichern. Das ganze Volk, mit Ausnahme der vermögenden Familien, soll zwangsweise zur Arbeit erzogen werden, der Ausgelernte aber sein Gewerbe überall betreiben dürfen. Das Gesetz ist eine Organisation der Arbeit im Allgemeinen und im Interesse aller Beteiligten, das gleichmäßig Anarchie und exklusiven Monopolgeist bekämpft und die gewerblichen Verhältnisse durchweg unter die Jurisdiction und Aufsicht der Friedensrichter und Stadtmagistrate, d. h. der Organe der selfgovernmentalen Staatsverwaltungsorgane stellt. Mögen die Zwangsrechte gegen Arbeiter und Lehrlinge uns heutzutage zu hart erscheinen, so entsprachen sie damals dem Geist der Zeit und unzweifelhaft litt der Arbeiterstand eben durch die allmählich einreißenden Nachlässigkeit in der Ausführung des Gesetzes, welche dadurch leicht gemacht war, daß verschiedene Vorschriften für bestimmte ausdrücklich benannte Gewerbe gegeben waren, also auf andere nicht angewendet werden konnten und daß das Gewerbewesen in inkorporierten Städten und Marktstädten besonders geregelt war, welche Anordnungen für das platte Land nicht galten. Das in diesem Gesetz nicht erwähnte aber gleichzeitig bestehende seit EDWARD III. und VI. eingeführte Verbot von Arbeiterkoalitionen verstand sich bei den Strafen auf das Nehmen eines höheren als des gesetzlichen Lohnes von selbst und wurde, so lange billige Löhne wirklich festgesetzt wurden, nicht als ungerecht empfunden.
LITERATUR Adolf Held, Zwei Bücher zur sozialen Geschichte Englands von 1760 - 1832, Leipzig 1881
    Anmerkungen
    1) Siehe hierzu KRIES, Die englische Armenpflege, Berlin 1863; KLEINSCHROD, Pauperism in England, Regensburg 1845; GNEIST, Selfgovernment in England, Berlin 1871. EMMINGHAUS, Armenwesen und Armengesetzgebung in europäischen Staaten, Berlin 1870; Das Hauptwerk für die Geschichte des Armenrechts ist Sir FREDERIC EDEN, The State of the Poor, London 1797
    2) Die Zunftstatuten bedürfen nach HENRY VII. obrigkeitlicher Genehmigung und sind nichtig, "wenn sie den Landesgesetzen widersprechen".
    3) Es wurden aber nur Maxima festgestellt; wer weniger verdient, soll weniger bekommen und wo nach Ortsgebrauch weniger üblich ist, soll es dabei bleiben.
    4) EDWARD VI. bestrafte alle Verkäufer von Lebensmitteln, die nicht mit mäßigem Gewinn zufrieden waren.