cr-2 WindelbandH.MaierB.ErdmannRiehlCohenDrobischDrieschLotze     
 
WILHELM WUNDT
L o g i k
[7/12]
    Einleitung
Von der Entwicklung des Denkens
Die logischen Verbindungen der Vorstellungen
Die Entwicklung des Gedankenverlaufs
Die Entwicklung der logischen Normen
Von den Begriffen
Die Arten der Begriffe
Die Verhältnisse der Begriffe
Die Beziehungsformen der Begriffe
Von den Urteilen
Die Formen der Urteile
Die Relationsform des Urteils

"Während daher das Gebiet der Gegenstandsbegriffe, wie wir wohl vermuten dürfen, in den Anfängen des Denkens auf eine verhältnismäßig kleine Zahl von Objekten der sinnlichen Anschauung beschränkt war, hat es sich allmählich die ganze Welt der Begriffe unterworfen."

"Die  Schlacht  ist ein abstrakterer Begriff, als das  Schlagen,  die  Gabe  als das  Geben,  das  Grün  als Gegenstandsbegriff gedacht ist abstrakter, als die Eigenschaft  grün,  die wir einem Gegenstand zuschreiben. Die Hauptbedeutung dieser Umwandlung besteht aber darin, daß die Begriffe durch die Überführung in die gleiche Kategorie  miteinander vergleichbar  werden. Aus der allgemeineren Form des  beziehenden  entwickelt sich so die des  vergleichenden  Denkens, um sich immer mehr über Begriffsbeziehungen auszudehnen, die ihm ursprünglich unerreichbar waren."

Z w e i t e r   A b s c h n i t t
V o n   d e n   B e g r i f f e n

Zweites Kapitel
Die Arten der Begriffe

1. Die logischen Kategorien

Von den Entwicklungsformen der Begriffe unterscheiden wir die  logischen Kategorien  als diejenigen Begriffsklassen, in die sich, weil sie für die Funktionen des beziehenden Denkens unerlässlich sind, auf jeder Entwicklungsstufe des letzteren die Begriffe einordnen lassen. Der erste Versuch einer solchen Einteilung liegt uns in den Aristotelischen Kategorien vor, ein Versuch, den KANT als einen mißlungenen verurteilte, weil in ihm die Begriffe nicht systematisch abgeleitet, sondern zufällig zusammengerafft seien. (1) Mit einer Anzahl weiterer Unterscheidungen, von denen sich dies wohl mit größerem Recht sagen läßt, hat die scholastische Logik die Lehre vom Begriff bereichert. Wir können daher hier von ihnen absehen, ebenso wie von manch anderen Unterscheidungen, die aus philosophischen Systemen in die Logik verpflanzt wurden und die aus dem eigenen Bedürnis der letzteren nicht entsprungen sind. Hierher gehören die Gegensätze von klar und dunkel, geordnet und verworren, in denen die LEIBNIZsche Metaphysik nachwirkt, sowie die KANTschen Kategorien der Quantität, Qualität, Relation und Modalität, die man auch zur logischen Ordnung der Begriffe benützte, obgleich sie sich von den aristotelischen Kategorien gerade dadurch unterscheiden, daß sie nicht logische Begriffsformen sind, sondern, aus den Urteilsformen abgeleitet, die Bedeutung von Grundbegriffen der Erkenntnis besitzen sollen. (2) Alle diese Unterscheidungen traten übrigens in der überlieferten Logik vor der Rücksicht auf den Grad der  Allgemeinheit  der Begriffe zurück. Indem man dieselben als Glieder einer einzigen mannigfach verzweigten Reihe von Gattungs- und Artbegriffen betrachtete, entstand die Anschauung, daß  ein  allgemeinster Begriff alle anderen umfassen müsse: er sollte der generellste und der abstrakteste zugleich sein. Schon die Stoiker haben das Seienden, das "ens" nach dem scholastischen Ausdruck als diesen höchsten der Begriffe bezeichnet und in ähnlichem Sinn meint KANT, das Etwas müsse der abstrakteste Begriff sein, weil das einzige von ihm verschiedene das Nichts sei. (3) Aber das Nichts ist doch selbst ein Begriff, der die nämliche abstrakte Allgemeinheit besitzt und der offenbar nur übersehen wird, weil man bei dieser Nachforschung nach einer allgemeinsten Kategorie wiederum nur die Objektbegriffe im Auge hat. Wollte man, diese Lücke ergänzend, einen Begriff bilden, der alle Beziehungen umfaßte, die in unserem Denken eine begriffliche Form finden, so ließe sich dazu höchstens, wie LOTZE bemerkt hat, der Begriff des "Denkbaren" gebrauchen. (4) Das Denkbare im logischen Sinn ist aber nur ein anderer Ausdruck für den Begriff selber, so daß als die allumfassende Kategorie nichts stehen bleibt, als der Begriff des Begriffs, ein selbstverständliches und nichtssagendes Ergebnis, welches höchstens den Nutzen hat, daß es die Nutzlosigkeit all dieser Nachforschungen nach einem obersten Gattungsbegriff ins Licht setzt.

Dem gegenüber hat die aristotelische Kategorienlehr immerhin den Vorzug, daß sie die logische Verschiedenheit gewisser Begriffsklassen hervorhebt. In der Tat erkennt man bei näherem Zusehen, daß die zehn aristotelischen Kategorien durchaus nicht so zufällig zusammengesucht sind, wie es KANT behauptet hat, sondern daß sie sich an die Unterscheidung der sprachlichen Formen des Denkens anlehnen. Auf diese Beziehung weist schon der Name Kategorie (praedicamentum, Art der Aussage) hin. Den Aussageformen müssen die Begriffsformen entsprechen, wenn irgendwie eine Korrespondenz zwischen Sprechen und Denken stattfindet. Damit ist nicht gesagt, daß diese Begriffsformen die Bedeutung grammatischer Kategorien besitzen. (5) ARISTOTELES konnte und wollte ohne Zweifel mit ihnen nur logische Unterschiede bezeichnen, wie sie sich vor jeder eingehenden Kenntnis der Grammatik schon dem natürlichen Sprachgefühl aufdrängen mußten. Nun wird zwar jeder bedeutsame logische Unterschied irgendwie in der Grammatik seinen Ausdruck finden, doch muß nicht umgekehrt jeder grammatische Unterschied von logischem Wert sein. Dies ist aber, wie mir scheint, der richtige Griff, den die aristotelische Kategorienlehre getan hat, daß sie aus den sprachlichen Ausdrucksformen die logischen Begriffsformen zu abstrahieren suchte, wobei es ihr freilich mehrfach widerfährt, daß sie Zusammengehöriges trennt.

Die zehn aristotelischen Kategorien sind: die Substanz, Qualität, Quantität, Beziehung, das Liegen, Haben, Tun, Leiden, das Wo und Wann. Unter ihnen entspricht die Substanz grammtisch dem Substantivum, dem in logischer Hinsicht das persönliche Fürwort gleichzustellen ist, die Qualität und Quantität dem Adjektivum und Numerale, sowie den aus Adjektiven und Zahlwörter gebildeten Adverbien; durch das Liegen, Haben, Tun, Leiden wird der Verbalbegriff nach seinen verschiedenen Richtungen ausgedrückt; endlich in den Kategorien der Beziehung sowie des Wo und Wann sind Bestimmungen zusammengefaßt, welche in der Sprache teils durch Orts- und Zeitadverbien, Präpositionen und Konjunktionen, teils durch Kasus-Suffixe dargestellt werden. Auf diese Weise lassen sich die zehn Kategorien in  vier  Gruppen ordnen. Das Substantivum oder die Substanz, wie es ARISTOTELES in seiner das Logische und Metaphysische vermengenden Weise ausdrückt, bezeichnet den  Gegenstandsbegriff.  Das Adjektivum und Numerale gehören logisch wie grammatisch in  eine  Klasse: sie bedeuten den  Eigenschaftsbegriff  im weiteren Sinn des Wortes. Die verschiedenen Arten des Verbalbegriffes aber lassen sich nicht minder  einem  allgemeinen Begriff unterordnen. Am besten dürfte der Begriff des  Zustandes  die oft weit divergierenden Bedeutungen des Verbums zusammenfassen. Denn während die Eigenschaft ein mehr oder weniger Bleibendes bezeichnet, setzen wir bei dem Zustand voraus, daß er wechseln könne. Durch das Werden, die Bewegung oder Veränderung wird immer nur eine einzelne Seite des Verbalbegriffs ausgedrückt. Das Liegen, Haben, Tun und Leiden verbinden sich aber im Begriff des Zustandes. Endlich Orts- und Zeitadverbien, Präpositionen, Kasus-Endigungen, Tempora und Modi des Verbums können allenfalls auf die  eine  Kategorie der  Beziehung  zurückgeführt werden, wenn man dieser eine erweiterte Bedeutung gibt, so daß sie die lokale und temporale mit der logischen Beziehung (also das Wo, Wann und die Beziehung des ARISTOTELES gleichzeitig umfaßt. (6)

Man sieht sofort, daß die vier logischen Kategorien, auf die sich so die zehn aristotelischen zurückführen lassen, sich nur zum Teil mit den Wortformen decken, welche die Grammatik unterscheidet. Zwar dem Substantivum, Adjektivum und Verbum entsprechen im allgemeinen wohl umschriebene Begriffsarten; die Partikeln aber zerfallen wieder in verschiedene Klassen, ohne daß dieser Einteilung logische Unterschiede parallel gehen. Das nämliche, was im einen Fall die Präposition, leistet in einem anderen das  Kasus-Suffix.  Das Adverbium hat sich in seinen direkt aus dem Adjektiv abgeleiteten Formen ganz die logische Natur des Eigenschaftsbegriffs bewahrt; in anderen Fällen kann es durch eine Präposition mit einem obliquen Kasus des Substantivs oder durch den letzteren und sein Kasus-Suffix allein ersetzt werden, wo es dann augenscheinlich einem Gegenstandsbegriff nebst einer zwischen diesem und dem Verbalbegriff gedachten Beziehung entspricht. Auch an den Präpositionen und Konjunktionen läßt sich zwar zuweilen noch ein nominaler oder adverbialer Ursprung nachweisen. Doch ist hier die ursprüngliche Bedeutung vollständig verwischt und die räumliche, zeitliche oder logische Beziehung allein übrig geblieben. Was die Präposition für die Verbindung der Begriffe im einfachen Satz, das leistet die Konjunktion für die Verbindung der Sätze selbst. In beiden Fällen erscheinen aber die zeitlichen und räumlichen Beziehungen als die früheren, welche erst durch eine weitere Begriffsverschiebung auf die Verhältnisse der Bedingung, der Ursache und des Zweckes übertragen wurden. So ist es im allgemeinen der Begriff der  Beziehung,  der diese abstrakteren Partikel beherrscht, wobei aber zwischen den einzelnen grammatischen Formen dieser Klasse fortwährende Verschiebungen stattfinden können, bei denen bald die logische Bedeutung ungeändert bleibt, bald ebenfalls wechseln kann. Überall sehen wir demnach, daß sich grammatische und logische Kategorien nicht decken. Die ersteren wechseln nach mannigfachen psychologischen Motiven; die letzteren bleiben konstant, so langen die wechselnden Sprachformen den nämlichen logischen Inhalt bewahren. Schon in der Ausbildung der Wortformen kann daher die Sprache bald einen Reichtum und eine Beweglichkeit entwickeln, durch die innerhalb der fest begrenzten logischen kategorien mannigfache Unterscheidungen und Übergänge möglich werden, bald in ihrer Entwicklung weit hinter den logisch unerläßlichen Unterscheidungen zurückbleiben. So hat in zahlreichen unentwickelten Sprachen eine der logisch bedeutsamsten Wortformen, das Verbum, keine sichere Gestaltung gewonnen; in anderen, logisch hochausgebildeten, bleibt es mehr oder minder der Wortvorstellung überlassen, die logische Kategorie anzuzeigen, der das einzelne Wort zugehört. Gerade in diesem Fall, wo die grammatischen Kategorien im gewöhnlichen Sinn fehlen, arbeiten sich um so sicherer geschieden die logischen heraus. So sind die logischen Kategorien das Bleibende, die grammatischen das Wechselnde. Gegenstände, Eigenschaften und Zustände unterscheidet überall das sprechende Denken und diese dreierlei Begriffe können außerdem in mannigfache Beziehungen zueinander gebracht werden. Die Hilfsmittel aber, durch welche die Begriffs- und Beziehungsformen unterschieden werden, sind nicht überall die nämlichen. Zugleich können daneben noch manche andere Unterscheidungen einhergehen, die von veränderlichen psychologischen Bedingungen abhängen und gleichwohl von der Sprache mit den allgemeingültigen logischen Unterschieden verment werden.

Dasjenige Gebiet, welches zu einer Vermischung der sonst auch grammatisch strenger geschiedenen logischen Begriffsformen am meisten Veranlassung bietet, ist nun das oben durch den allgemeinen Begriff der  Beziehung  bezeichnete. Man erkennt sofort, daß diese, mit ihren von ARISTOTELES unterschiedenen drei Formen der Orts-, der Zeitbeziehung und der Bedingung, nicht auf  einer  Linie mit den eigentlichen Kategorien steht, da solche Beziehungen immer nur in unmittelbarer Anlehnung an irgendwelche Gegenstands-, Eigenschafts- oder Zustandsbegriffe gedacht werden können. Wie sehr die Sprache diese Abhängigkeit empfindet, zeigt sich vor allem an den Kasus-Suffixen und Adverbien, bei denen das die Beziehung ausdrückende Wortelement völlig mit einem nominalen Bestandteil verschmolzen ist, der logisch entweder zu den Gegenstands- oder zu den Eigenschaftsbegriffen gehört. Ihren verhältnismäßig reinsten Ausdruck haben dagegen die Beziehungen der Begriffe in den Präpositionen und Konjunktionen gefunden. Beide bezeichnen nichts weiter, als eine räumliche, zeitliche oder logische Beziehung, die sich mit den verschiedensten Begriffen oder zusammengesetzten Denkakten verbinden kann. An diesen abstraktesten grammatischen Formen, welche sich stets an inhaltsvollere Begriffe anlehnen müssen, sieht man aber zugleich, daß die Beziehungsformen mit den Begriffskategorien nicht auf gleicher Linie stehen. Das findet auch darin seinen Ausdruck, daß auf sie das allgemeine Gesetz der Zweigliederung des Denkens keine unmittelbare Anwendung findet. (7) Während unser Denken Gegenstände, Eigenschaften und Zustände miteinander verbindet, gibt der Beziehungsausdruck nur die nähere Form dieser Verbindung an. Er selbst setzt daher stets  zwei  andere Begriffe voraus, zwischen denen er die Verbindung herstellt. Die Präpositionen sowie die Kasus-Suffixe des Substantivs und die in den Adverbien verborgenen Beziehungsformen verbinden zwei Begriffe, die Konjunktionen zwei Urteile miteinander. Indem so alle Beziehungsausdrücke eine Verbindung zwischen zwei Gliedern herstellen, ist aber diese Regel eine  Folge  des Gesetzes der Zweigliederung. Demnach ist es offenbar angemessener, diese an die eigentlichen Begriffe sich anlehnenden Elemente des Denkens den Kategorien oder  Begriffsformen  als  Beziehungs-  oder  Verbindungsformen der Begriffe  gegenüberzustellen. Mit ihnen stehen die Beziehungsformen der Urteile (die Konjunktionen) in engstem Zusammenhang; die Besprechung derselben wird aber er im folgenden Abschnitt, in der Lehre vom Urteil, am Platz sein. Wollten wir die Begriffe, wie in der Algebra die Größen, durch Buchstabensymbole ausdrücken, so würden sich solche immer nur für die Gegenstands-, Eigenschafts- und Zustandsbegriffe aufstellen lassen, alle Denkakte dagegen, die unter die Beziehungsformen gehören, würden durch Symbole von ähnlicher Geltung wie die algebraischen Operationszeichen  +, -, :, x  und dgl. darzustellen sein.

Versteht man unter den Kategorien die allgemeinsten Klassen selbständiger Begriffe, so bilden demnach die Beziehungsformen keine Kategorie, ebensowenig wie die arithmetischen Operationsverfahren sich in eine Größenklasse einordnen lassen. Sie verhalten sich in dieser Hinsicht ähnlich wie die Kopula, die ebenfalls keinen Begriff, sondern eine Verbindung gegebener Begriffe vermittelnde Operation unseres Denkens bedeutet. Da jedoch durch die prädikative Verknüpfung, die in der Kopula ihren allgemeinsten Ausdruck findet, eine völlig neue Funktion unseres Denken, die Urteilsfunktion entsteht, so würde es schon aus diesem Grund nicht angemessen sein, dieselbe mit jenen logisch von ihr verschiedenen Verbindungen zu vermengen, durch welche aus zwei gegebenen Begriffen ein neuer Begriff oder (bei den durch die Konjunktionien vermittelten Verbindungen) aus zwei gegebenen Urteilen ein neues Urteil sich bildet. Subjekt und Prädikat des Urteils sind selbständig gedachte Begriffe. Solche können zwar in Bezug auf das Verhältnis in dem sie stehen, untersucht werden; sie bilden aber nicht Glieder eines Ganzen, welche durch eine zwischen ihnen stattfindende Verbindung sich wechselseitig determinieren. Den Ausdruck  Verhältnis  (relatio) wollen wir daher anwenden, wo es sich um die Vergleichung unabhängig gedachter Begriffe handelt, den Ausdruck  Beziehung  oder  Verbindung  (connexio), wo aus je zwei aufeinander bezogenen Begriffen oder Denkakten ein neuer Begriff oder Denkakt hervorgeht. Der wesentliche Unterschiede besteht darin, daß ein Begriffs verhältnis  nur von der Beschaffenheit der Begriffe selbst, eine Begriffbeziehung  aber außer von der Beschaffenheit der Begriffe auch von den zwischen ihnen stattfindenden  Beziehungs-  oder  Verbindungsform  abhängt. Die durch eine solche Beziehungsform vermittelte Verbindung zwischen zwei Begriffen stellt sich daher immer zugleich als eine nähere  Bestimmung  (determinatio) des einen dieser Begriffe, des Hauptbegriffs, durch den anderen, den Nebenbegriff dar. So können wir die Begriffe "Vogel" und "Säugetier" in ein Verhältnis zueinander bringen, indem wir z. B. beide als  koordinierte  Begriffe auffassen, die unter dem allgemeinen Begriff des Organismus enthaltensind. Im Ausdruck "der Vogel auf dem Baum" dagegen sind diese Begriffe in eine Beziehung gesetzt, deren Beschaffenheit durch die lokale Präposition näher bestimmt wird; zugleich ist  Vogel  der Hauptbegriff,  Baum  der Nebenbegriff, der mit Hilfe der hinzutretenden lokalen Beziehungsform den ersteren determiniert. (8)

Die wesentliche Verschiedenheit der Begriffe und ihrer Beziehungsformen findet nun auch darin ihren Ausdruck, daß die drei Begriffsformen in weitem Umfang ineinander umwandlungsfähig sind und daß sich ebenso auf ihrem Gebiet verschiedene Beziehungsformen sich wechselseitig vertreten können, während niemals ein Begriff in eine Beziehung oder umgekehrt diese in jenen übergehen kann. Unter diesen Prozessen bedarf die Überführung der Begriffe aus einer Kategorie in eine andere hier einer näheren Betrachtung, während die Untersuchung der Beziehungsformen und ihrer Veränderungen einem späteren Kapitel vorbehalten bleibt.


2. Die kategoriale Verschiebung der Begriffe

Die Umwandlung verschiedener Begriffsformen ineinander oder, wie wir sie kurz bezeichnen wollen, die  kategoriale  Verschiebung ist ein wichtiges Hilfsmittel für die freie Beweglichkeit des Denkens, obgleich andrerseits unverkennbar die logische Biegsamkeit der Begriffe dazu beigetragen hat, die Grenzen der einzelnen Begriffsformen zu verwischen, so daß es bei abstrakten Begriffen schwer werden kann zu entscheiden, welches ihre ursprüngliche Form ist. Am klarsten liegt die Sache bei Begriffen, die sich zunächst auf Objekte der Wahrnehmung beziehen. So werden wir nicht bezweifeln, daß der Mensch ursprünglich als Gegenstandsbegriff gedacht wurde und daß sich erst spät daraus der Eigenschaftsbegriff der Menschlichkeit entwickelt hat oder daß Begriffe wie haben, gehen, liegen als Zustandsbegriffe existiert haben, ehe man aus ihnen Gegenstandsbegriffe gebildet hat, wie wir sie unter Umständen durch die Substantiva  Habe, Gang, Lage  ausdrücken. Übrigens muß man sich hüten zu meinen, daß der Wechsel der grammatischen Kategorie sofort auch den der logischen nach sich ziehe, da der Begriff des Gegenstandes nicht unveräußerlich an das Substantiv, der der Eigenschaft und des Zustandes an Adjectivum und Verbumm gebunden sind. Menschlichkeit ist zunächst so gut ein Eigenschaftsbegriff, wie  menschlich  und Wörter wie  Lage, Gang, Stellung  bezeichnen nicht mindern einen Zustand wie die Verba  liegen, gehen, stehen.  Die logische Kategorie empfängt der Begriff teils durch seinen eigenen Inhalt, teils durch die logischen Verbindungen, in die er gebracht wird. Eine wichtige äußere Hilfe, die dabei die Sprache dem Denken leistet, besteht aber allerdings darin, daß sie durch den Wechsel der grammatischen Form die logische Umwandlung vorbereitet. Ist auch die Menschlichkeit zunächst nur eine Eigenschaft, so macht es doch die substantivische Form leichter möglich, diese Eigenschaft nun im Denken als einen Gegenstand zu behandeln, mit dem andere Gegenstände, Eigenschaften oder Zustände in Beziehung gesetzt werden.

Hierbei ist nun die Tätigkeit unseres Denkens sichtlich auf eine  allmähliche Vermehrung der Gegenstandsbegriffe  gerichtet. Fortwährend werden, namentlich zum abstrakteren Denkgebrauch, aus Eigenschaften und Zuständen Gegenstandsbegriffe gebildet oder diese werden mit anderen Begriffen verschiedener Art in Verbindung gebracht und das Resultat solcher Verbindung wird dann wieder, damit es als Anknüpfungspunkt neuer Beziehungen dienen könne, in einen Gegenstandsbegriff verwandelt. Während daher das Gebiet des letzteren, wie wir wohl vermuten dürfen, in den Anfängen des Denkens auf eine verhältnismäßig kleine Zahl von Objekten der sinnlichen Anschauung beschränkt war, hat es sich allmählich die ganze Welt der Begriffe unterworfen. Denn nichts, was überhaupt als selbständiger Begriff aufgefaßt werden kann, ist zu finden, dem nicht die Form eines gegenständlichen Begriffes gelegentlich gegeben würde. Im Vergleich damit ist die umgekehrte Umwandlung von geringerer Bedeutung. Am meisten noch werden Gegenstandts- in Eigenschaftsbegriffe übergeführt, viel seltener entwickeln sich aus diesen beiden solche Begriffe, die einen Zustand bezeichnen und demnach in verbaler Form angewandt werden können. Ausdrücke wie "menscheln, vertieren" und ähnlich sind schon sprachlich ungewohnte Bildungen, ein Zeichen, daß es dem Denken widerstrebt, was als Gegenstand oder selbst was als dauernde Eigenschaft gedacht ist, in ein Geschehen oder einen vorübergehenden Zustand zu verflüssigen. Viel eher ist es möglich, daß sich der Zustand zur Eigenschaft befestigt und daß hinwiederum nach einer hervortretenden Eigenschaft der Gegenstand genannt wird.

Mit dieser Tatsache steht sichtlich eine von den Sprachforschern vielfach geteilte Ansicht in nahem Zusammenhang, die Ansicht nämlich, daß alle  prädikativen  Wurzeln der Sprache, d. h. alle diejenigen, die einen bestimmt unterschiedenen Begriffsinhalt bezeichnen, ursprünglich verbale Bedeutung besaßen. (9) Da nun eine einzelne Nennwurzel ebensowohl in ein Nomen wie in ein Verbum eingehen kann oder, falls wir etwa eine dereinstige Wurzelperiode der Sprache voraussetzen, in dieser schon bald in nominaler bald in verbaler Bedeutung gebraucht werden mußte, so kann von einer Priorität einer dieser Wortformen nicht die Rede sein. Die verbale Bedeutung der ursprünglichen Nennwurzeln kann also auch nur den Sinn haben, daß schon in der Bildungsperiode der Sprache der Trieb nach einer Umwandlung der Zustands- und Tätigkeits- in Gegenstandsbegriff wirksam gewesen ist. Dagegen würde es ebensowohl den Gesetzen des Denkens wie der Tatsache, daß in zahlreichen Sprachen das Nomen eine festere und wahrscheinlich frühere Ausbildung als das Verbum gefunden hat, zuwiderlaufen, wollte man annehmen, die Kategorie der Gegenstandsbegriffe habe irgend einmal überhaupt gefehlt. Schon die Annahme, daß alles Sprechen mit sogenannten subjektlosen Urteilen, wie "es blitzt, es glänzt" und dgl., begonnen habe, steht in der Luft, - die Annahme, daß das  Denken  damit angefangen habe (10), ist widersprechend in sich, weil das subjektlose Urteil in logischem, wie ja auch streng genommen in grammatischem Sinn des Subjekts gar nicht entbehrt, indem ein unbestimmter Gegenstand gedacht wird, auf den sich das verbale Prädikat bezieht. Ohne daß wir uns Gegenstände denken, kann kein Urteil zustande kommen, ebenso wie wir andrerseits Eigenschaften oder Zustände notwendig von diesen Gegenständen aussagen müssen. Auch hier gilt also wieder, daß das sprachliche Verhältnis nicht sofort auf das entsprechende logische hinweist. Wäre irgendeine Sprache anfänglich sogar imstande gewesen, ein Geschehen, ein Gehen, Stehen, Liegen, Tönen, usw. auszudrücken, was wie gesagt auch aus Gründen der Sprachgeschichte ganz unwahrscheinlich ist, so hätten immerhin die Gegenstände, an denen all dieses Geschehen wahrgenommen wurde, stillschweigend vom Sprechenden hinzugedacht werden müssen.

Die kategoriale Verschiebung der Begriffe in der vorwiegenden Richtung der Gegenstandsbegriffe bildet ein wichtiges Moment in der Entwicklung des Denkens. Indem Eigenschafts- und Zustandsbegriffe objektiviert werden, verdichten sich zugleich die Resultate zusammengesetzter Geistestätigkeiten in der Form gegenständlicher Begriffe.  Substanz, Kausalität, Realität  sind ebensowenig ursprüngliche Gegenstände des Denkens wie  Handlung, Güte  usw. Darin besteht aber eines der mächtigsten Hilfsmittel des abstrakten Denkens, daß es beliebige Ergebnisse einer verwickelten Reflexion wie einfache Objekte behandeln kann, an welche sich dann weitere Gedankenverbindungen anknüpfen lassen. Eine Rückwirkung dieser Dienste, die dem abstrakten Denken die Gegenstandsbegriffe leisten, besteht darin, daß schon durch die Überführung in diese die Begriffe einen abstrakteren Charakter gewinnen. So ist die  Schlacht  ein abstrakterer Begriff, als das  Schlagen,  die  Gabe  als das  Geben,  das  Grün  als Gegenstandsbegriff gedacht ist abstrakter, als die Eigenschaft  grün,  die wir einem Gegenstand zuschreiben. Die Hauptbedeutung dieser Umwandlung besteht aber darin, daß die Begriffe durch die Überführung in die gleiche Kategorie  miteinander vergleichbar  werden. Aus der allgemeineren Form des  beziehenden  entwickelt sich so die des  vergleichenden  Denkens, um sich immer mehr über Begriffsbeziehungen auszudehnen, die ihm ursprünglich unerreichbar waren.

LITERATUR: Wilhelm Wundt, Logik [Eine Untersuchung der Prinzipien der Erkenntnis und der Methoden wissenschaftlicher Forschung], Bd. I (Erkenntnislehre), Stuttgart 1893
    Anmerkungen
    1) KANT, Kritik der reinen Vernunft, 2. Auflage, Seite 107
    2) Vgl. FRIES, Logik, Seite 110; KIESEWETTER, Logik, Seite 20f; KANT selbst hat übrigens von dieser logischen Anwendung seiner Kategorien keinen Gebrauch gemacht. (Vgl. Kant Logik, Seite 269f, Ausgabe ROSENKRANZ)
    3) KANT, Logik, Werke, Ausgabe ROSENKRANZ, Bd. III., Seite 274; Vgl. auch ÜBERWEG, Logik, 4. Auflage, Seite 117
    4) LOTZE, Logik, Seite 53
    5) Vgl. in dieser Frage TRENDELENBURG, Historische Beiträge I, Seite 23f, der den Kategorien eine durchaus grammatische Bedeutung gibt und die hiergegen gerichteten Bemerkungen von ZELLER, Philosophie der Griechen, 3. Auflage II.2, Seite 264
    6) Übereinstimmend mit dieser Unterscheidung bezeichnen auch SIGWART (Logik I, Seite 28f) und LOTZE (Logik, Seite 17) Dinge, Eigenschaften, Tätigkeiten und Relationen als die vier Hauptformen der Vorstellungen oder der Begriffe.
    7) Vgl. Abschnitt I, Kapitel II
    8) Die Ausdrücke  Verhältnis  und  Beziehung  werden allerdings in unserer Sprache meistens synonym gebraucht. Da sich aber hier das Bedürfnis einer Unterscheidung in der angegebenen Richtung herausstellt, so mag es gestattet sine, sich bei den Benützung jener Wörter auf das Sprachgefühl zu berufen. Ein Verhältnis denken wir uns im allgemeinen nur abhängig von den Gliedern, aus denen es sich zusammensetzt, eine Beziehung nicht bloß von diesen, sondern auch von der Art,  wie  sie aufeinander bezogen werden. Darum eben erzeugt bei der obigen Anwendung der Ausdrücke das Verhältnis zweier Begriffe keinen neuen Begriff, bei der Beziehung aber determiniert der eine Begriff den anderen.
    9) Wir folgen hier der ziemlich allgemein angenommenen Voraussetzung, daß  prädikative  und  demonstrative  Wurzeln oder, wie es CURTIUS bezeichnet,  Nenn-  und Deutewurzeln einander ursprünglich geschieden gegenüberstehen. Vgl. CURTIUS, Zur Chronologie der indogermanischen Sprachforschung, 2. Auflage, Seite 21f. Über die verbale Bedeutung der Wurzeln vergleiche außerdem JAKOB GRIMM, Über den Ursprung der Sprache, 3. Auflage, Seite 44
    10) TRENDELENBURG, Logische Untersuchungen, 2. Auflage, II, Seite 213