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KURT TUCHOLSKY
Sprache ist eine Waffe

Karl Kraus - Die Sprache
Die Sprachkritik von Karl Kraus
"Ich habe mich stets über die Liebhaber der Fachausdrücke lustig gemacht, jene Affen des Wortes..."

Vorbemerkung
Der am 9. Januar 1890 in Berlin geborene KURT TUCHOLSKY war einer der bedeutendsten deutschen Satiriker und Gesellschaftskritiker im ersten Drittel unseres Jahrhunderts. Nach dem Absturz Deutschlands in die Barbarei nahm er sich am 21. Dezember 1935 in seiner letzten Exilstation Hindas/Schweden das Leben. Sein Grab liegt auf dem Friedhof Mariefred-Gripsholm.

Der scharfsinnige Essayist und brillante Stilist KURT TUCHOLSKY gewann als radikaler Pazifist und geradezu bestürzend frühzeitiger, prophetischer Warner des militanten deutschen Nationalismus politische Bedeutung. Unter den Pseudonymen Peter Panter, Theobald Tiger, Ignaz Wrobel und Kaspar Hauser war er fünffacher Mitarbeiter der "Weltbühne", einer Wochenzeitschrift, die er gemeinsam mit SIEGFRIED JACOBSOHN und nach dessen Tod mit dem späteren Friedens- Nobelpreisträger CARL von OSSIETZKY zu einem der wirksamsten publizistischen Instrumente der Weimarer Republik machte.

Staatspathos
Wie kommt es eigentlich, daß die Reden, die unsere Staatsmänner bei allen möglichen und unmöglichen Gelegenheiten halten, so unsagbar töricht, leer und kindisch sind? Das muß doch nicht so sein. Die Leute, die das tun, stehen sehr oft über dem Niveau des Gesagten - was machen sie da nur -?

Sie greifen acht Töne zu hoch. Sie zwingen mich, in falschen Tonlagen zu singen, das rächt sich. Und warum tun sie das?

Weil sie mit aller Gewalt - bei Brückeneinweihungen, Anstaltseröffnungen, Fleischbeschau- Auststellungen und Amtsübernahmen - ihre Hörer für so dümmlich halten, wie die in dieser Minute zu sein vorgeben. In Wahrheit glaubens auch die Hörer nicht. Habt euch doch nicht so.

Der Staat ist längst nicht mehr der große Gott und der dicke Manitou. Der Staat hat nicht mehr die Allmacht in Händen - fragt nur bei den Banen, bei denen ihr euch das Geld borgt, damit ihr weiter machen könnt. Dieses Pathos glaubt euch kein vernünftiger Mensch.

Ihr wendets nur an, weil sich im Laufe der Zeit ein Epigonen-Stil für Festredner herausgebildet hat, die das Jubiläum eines Kegelklubs begehen, als begrüßten sie den Präsidenten HINDENBURG, und umgekehrt. Ist das nicht schrecklich? Es ist, als zögen diese im Alltagsleben wahrscheinlich ganz nüchtern denkenden Männer mit ihrem schwarzen Rock noch etwas anderes an - vage Erinnerungen an wilde Wagner-Opern, deutsches Trompetengeschmetter, den kollernden Baß ehrwürdiger Vereinsvorsitzender oder das überkippende Falsett junger Ministerialdirektoren. Laßt doch das sein.

Warum sprecht ihr nicht schön einfach? Denn dazu feiert ihr solcherlei Festivitäten viel zu oft, als daß jede einzelne noch ein Festtag sein könnte. Und dann will gehobene Sprachweise gelernt sein, sie steht nicht jedermann zur Verfügung - wenn aber einer so spricht, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, dann kanns gut gehen.

Da hat sich jedoch eine Amts-Terminologie entwickelt, die geradezu fürchterlich ist. Man lese einmal nach - wenn man das zu Ende bringt! - wie bei Rheinlandfeiern, bei Amtsantritt und Abschied, bei Begrüßungen fremder Souveräne den Beamten die Hefe aufgeht. Ich weiß sehr gut, daß eine gewisse offizielle Ausdrucksweise nötig ist - man soll ja nicht immer sprachschöpferisch wirken; es ist auch ungefährlicher, bei der Tradition zu bleiben. Gut und schön - aber was ist das für eine Tradition!

Wenn einer sein Amt übernimmt, dann betont er zunächst einmal emphatisch, daß er es gar nicht hat haben wollen. Er opfert sich, sozusagen. Es wird ein bißchen viel geopfert bei uns... Und wenn sie in den Reden brausend sind, dann sind sie viel zu brausend, und wenn sie schlicht sind, sind sie viel zu schlicht - sie sind immer alles hoch zwei und wissen nicht, daß eine Wahrheit, zum Quadrat erhoben, sehr oft eine Lüge ergibt. Wie markig hallt die Phrase! Wie zischen die vergilbten Vergleiche! Wie wimmelt es von aufgeschnappten und unerlebten Bildern, die so staubig sind, daß es einem trocken im Hals wird, wenn man das mitanhört! Es ist, als könnten sie gar nicht mehr vernünftig sprechen.

Aber viele Hörer wollens so. Die stehen dann da, mit einem Ausdruck im Gesicht, wie ein Hammel, der darüber nachdenkt, ob er nun mal strullen soll; das Kinn haben sie an den Kragen gepreßt, und während sie zuhören, ohne aufzupassen, glauben sie im Augenblick auch wirklich alles, was ihnen da zu einem Ohr hinein und zum, sagen wir, andern wieder herausgeht. Es ist wunderschön. Gehts denn nicht einfach? Doch, es geht auch einfach.

"Liebe Kinder! Ich wünsche euch vor allem Gesundheit. Der Mensch hat die Plicht, gesund zu sein, nur so kann er den andern helfen und wird ihnen nicht zur Last fallen. Erhaltet euren Körper und die Wohnungen sauber, Betreibt Sport unf fürchtet euch nicht vor Luft, Wasser und Sonne."

Das hat allerdings der Präsident MASARYK gesagt. Und vor Kindern. Denn vor Erwachsenen; - da ist das natürlich ganz etwas anderes.

"Meine Damen und Herren! Im Namen der Reichsregierung kann ich erklären: der heutige Tag ist ein Markstein in der Geschichte von Köln-Nippes. Die Anstalt für geprüfte Kreis-Hebammen, die wir heute dem öffentlichen Verkehr übergeben, ist so recht geeignet, Brücken zu schlagen..."

Mensch halt die Luft an. Und sprich vernünftig und sauber und ohne Pathos. Es ist besser für uns alle.

IGNAZ WROBEL (1930)


Ratschläge für einen schlechten Redner
Fang nie mit dem Anfang an, sondern immer drei Meilen  vor  dem Anfang! Etwa so:
"Meine Damen und meine Herren! Bevor ich zum Thema des heutigen Abends komme, lassen Sie mich Ihnen kurz..."
Hier hast du schon ziemlich alles, was einen schönen Anfang ausmacht: eine steife Anrede; der Anfang vor dem Anfang; die Ankündigung, daß und was du zu sprechen beabsichtigst, und das Wörtchen kurz. So gewinnst du im Nu die Herzen und Ohren der Zuhörer.

Denn das hat der Zuhörer gern: daß er deine Rede wie ein schweres Schulpensum aufbekommt; daß du mit dem drohst, was du sagen wirst, sagst und schon gesagt hast. Immer schön umständlich.

Sprich nicht frei - das mach einen so unruhigen Eindruck. Am besten ist es: du liest deine Rede ab. Das ist sicher, zuverlässig, auch freut es jedermann, wenn der lesende Redner nach jedem viertel Satz mißtrauisch hochblickt, ob auch noch alle da sind.

Wenn du gar nicht hören kannst, was man dir so freundlich rät, und du willst durchaus und durchum frei sprechen ... du Laie! Du lächerlicher Cicero! Nimm dir doch ein Beispiel an unsern professionellen Rednern, an den Reichstagsabgeordneten - hast du die schon mal frei sprechen hören? Die schreiben sich sicherlich zu Hause auf, wann sie "Hört! Hört" rufen ... ja, also wenn du denn frei sprechen mußt:

Sprich, wie du schreibst. Und ich weiß, wie du schreibst.

Sprich mit langen, langen Sätzen - solchen, bei denen du, der du dich zu Hause, wo du ja die Ruhe, deren du so sehr benötigst, deiner Kinder ungeachtet, hast, vorbereitest, genau weißt, wie das Ende ist, die Nebensätze schön ineinander geschachtelt, so daß der Hörer, ungeduldig auf seinem Sitz hin und her träumend, sich in einem Kolleg wähnend, in dem er früher so gern geschlummert hat, auf das Ende solcher Periode wartet ... nun, ich habe dir eben ein Beispiel gegegeben. So mußt du sprechen.

Fang immer bei den alten Römern an und gib stets, wovon du auch sprichst, die geschichtlichen Hintergründe der Sache. Das ist nicht nur deutsch - das tun alle Brillenmenschen. Ich habe einmal an der Sorbonne einen chinessischen Studenten sprechen hören, der sprach glatt und gut französisch, aber er begann zu allgemeiner Freude so:
"Lassen Sie mich in aller Kürze die Entwicklungsgeschichte meiner chinesischen Heimat seit dem Jahre 2000 vor Christi Geburt..."
Er blickte ganz erstaunt auf, weil die Leute so lachten.

So mußt du das auch machen. Du hast ganz recht: man versteht es ja sonst nicht, wer kann denn das alles verstehen, ohne die geschichtlichen Hintergründe ... sehr richtig! Die Leute sind doch nicht in deinen Vortrag gekommen, um lebendiges Leben zu hören, sondern das, was sie auch in Büchern nachschlagen können ... sehr richtig! Immer gib ihm Historie, immer gib ihm.

Kümmere dich nicht darum, ob die Wellen, die von dir ins Publikum laufen, auch zurückkommen - das sind Kinkerlitzchen. Sprich unbekümmert um die Wirkung, um die Leute, um die Luft im Saale; immer sprich, mein Guter. Gott wird es dir lohnen.

Du mußt alles in Nebensätze legen. Sag nie: "Die Steuern sind zu hoch." Das ist zu einfach. Sag: "Ich möchte zu dem, was ich soeben gesagt habe, noch kurz bemerken, daß mir die Steuern bei weitem..." So heißt das.

Trink den Leuten ab und zu ein Glas Wasser vor - man sieht das gern.

Wenn du einen Witz machst, lach vorher, damit man auch weiß, wo die Pointe ist.

Eine Rede ist, wie könnte es anders sein, ein Monolog. Weil doch nur einer spricht. Du brauchst auch nach vierzehn Jahren öffentlicher Rednerei noch nicht zu wissen, daß eine Rede nicht nur ein Dialog, sondern ein Orchesterstück ist; eine stumme Masse spricht nämlich ununterbrochen mit. Und das mußt du hören. Nein, das brauchst du nicht zu hören. Sprich nur, lies nur, donnere nur, geschichtele nur.

Zu dem, was ich soeben über die Technik der Rede gesagt habe, möchte ich noch kurz bemerken, daß viel Statistik eine Rede immer sehr hebt. Das beruhigt ungemein, und da jeder imstande ist, zehn verschiedene Zahlen mühelos zu behalten, so macht das viel Spaß.

Kündige den Schluß deiner Rede lange vorher an, damit die Hörer vor Freude nicht einen Schlaganfall bekommen. (PAUL LINDAU hat einmal einen dieser gefürchteten Hochzeitstoaste so angefangen: "Ich komme zum Schluß.") Kündige den Schluß an, und dann beginne deine Rede von vorn und rede noch eine halbe Stunde. Dies kann man mehrere Male wiederholen.

Du mußt dir nicht nur eine Disposition machen, du mußt sie den Leuten auch vortragen - das würzt die Rede.

Sprich nie unter anderthalb Stunden, sonst lohnt es sich gar nicht erst anzufangen.

Wenn einer spricht, müssen die andern zuhören - das ist deine Gelegenheit! Mißbrauche sie.

Ratschläge für einen guten Redner
Hauptsätze, Hauptsätze, Hauptsätze.

Klare Disposition im Kopf - möglichst wenig auf dem Papier.

Tatsachen, oder Apell an das Gefühl. Schleuder oder Harfe. Ein Redner sei kein Lexikon. Das haben die Leute zu Hause.

Der Ton einer einzelnen Sprechstimme ermüdet; sprich nie länger als vierzig Minuten. Suche keine Effekte zu erzielen, die nicht in deinem Wesen liegen. Ein Podium ist eine unbarmherzige Sache - das steht der Mensch nackter als im Sonnenbad.

OTTO BRAHMs Merkspruch: Wat jestrichen is, kann nich durchfalln.

PETER PANTER (1930)

Der Quatsch
Der politische Quatsch
"... und dann werd ich Ihnen überhaupt mal was sagen: Wenn wir nämlich mit England und Frankreich zusammengehn, dann kann Amerika sehn, wo es bleibt! COOLIDGE..." - "Meine Herren, vergessen Sie Indien nicht! In Indien geht was vor! CHAMBERLAIN..." - "Aber meine Herren, Sie müssen die Sache auch mal vom wirtschaftspolitischen Standpunkt aus betrachten! Vom wirtschaftlichen Standpunkt aus..."

Der Geschäftsquatsch
"... nun ich hab den Leuten erklärt: wenn ihr die Hypothek nicht an BRONNEMANN gebt, dann wird eben BRONNEMANN aus der Sache rausgehen! Mein Schwager in Frankfurt schreibt mir hier, er sieht die Lage ganz anders an ... es ist ja auch heute schwer! Ich meine, schon rein aus steuertechnischen Gründen können wir ja das gar nicht machen! Sehn Sie mal: wer hat denn heute Geld? Haben  Sie  Geld..."

Der Familienquatsch
"... und da hat LUCIE zu JENNY gesagt, sie hätte das nie zu OSKAR gesagt, daß ERWIN ihr nichts gesagt hat! Wie finnste das ...? Na, das ist doch ganz klar, woher soll sie denn das wissen! Nein? - Nein! Wenn du zu Mama nicht gesagt hättest, daß ich es dir gesagt hätte, dann hätte Tante EMMI auch nicht sagen können, daß MAX es JENNY gesagt hat! Na, hör doch mal zu, was ich dir sage ...! Laß mich doch mal zu Wort kommen ...!

Der Literaten-Quatsch
"...meine Einstellung ist einfach die, daß unsere Mentalität da irgendwie schon sehr gut ist!" - "Jedenfalls kann er mit dem Hemmungskomplex seine Reaktionen so überhaupt nicht abreagieren, das können Sie doch in jedem Roman von ihm sehen - erzählen Sie mir doch nichts von Expressionismus - der Expressionismus ist tot, na, nun kommen Sie mir noch mit SPENGLER - dann laufe ich aber raus -!"

Der erotische Quatsch
"... na ja, gnädige Frau, aber in der heutigen Zeit - ich meine, bei der neuen Sachlichkeit - wir haben eben nicht so viel Zeit für unsere Gefühle wie unsere Großeltern - sehns Sie mal, der Moment des Sportes - man muß ja auch bedenken, daß die Natur da mitspricht! Es ist eben ein neues Zeitalter, und ich könnte mir schon eine Frau denken, die eben, ja, die eben hemmungslos ihren Trieben folgt, weil das Blut in ihr schreit ..."

Der medizinische Quatsch
"... da werden Sie mir nichts erzählen! Ich habe einen Onkel, der kannte den Medizinalrat DR. PROPPKE vom Städtischen Krankenhaus sehr gut! Nein, meine Herren - in medizinischen Fragen bin ich nun also kompetent, sozusagen! Also, sehn Sie mal: die Lunge treibt das Blut durch die Aorta, oben fließt es rein, und unten fließt es wieder raus - da haben die Nieren überhaupt nichts damit zu tun, das können Sie mir glauben! Aber die Milz, die Milz, meine Herren, die hat ja nun mehr eine Funktion, und wenn die Milz sprechen könnte, da würde sie sagen - ..."


Die Sprache dient nur in seltenen Fällen dazu, die Gedanken zu verbergen - denn dies setzte voraus, daß jeder Sprechende auch Gedanken hat. Dem ist mitnichten so. Die Sprache hat vielmehr die Aufgabe, die Leere auszufüllen, Leben anzuzeigen; sie ist häufig um ihrer selbst willen da. Der Kern der Rede ist - in allen Sprachen - von Gequatsche umgeben.

Man sagt nicht: "Dem Schauspieler PINNEMANN ist ein kleines Unglück zugestoßen" - sondern man sagt so: "Sagen Sie mal - was ich sagen wollte - wissen Sie eigentlich, daß sich der ... wie heißt er doch gleich ... ja, daß sich der PINNEMANN, wissen Sie, der Schauspieler, den kennen Sie doch! Natürlich kennen Sie den! Also daß der PINNEMANN neulich von der Bühne runter in die Pauke gefallen ist? Ja, direkt in die Pauke! Haha -! Fällt da runter und setzt sich in die Pauke -" So heißt das.

Es gibt vielerlei Arten von Quatsch. Ich glaube nicht, daß die Menschen ohne diesen Quatsch überhaupt leben könnten - sie kommen ohne ihn nicht aus, sie brauchen ihn wie die Luft und das Wasser - er ist ein Lebenselement.

Mach die Ohren auf und lausche, was um dich gesagt wird: hätten diese gesprochenen Worte eine Taxe wie die Telegrammworte, so hörtest du viel weniger, aber die Worte sind gratis und franko, und daher braust um dich der Quatsch. Es gibt ja wortkarge Leute, so jenen Hamburger, der neben einem Schiffer am Elbufer stand und stundenlang ins Wasser sah. Alle halbe Stunde spuckten sie hinein. Nach anderthalb Stunden sagte der Hamburger zum Schiffer: "Schoines Wetter heute!" - Der Schiffer sah gar nicht auf: aber nach einer weiteren halben Stunde brummte er vor sich hin: "Dat seh ick auch, ohne to snacken -!"

So wortkarg sind leider nur wenige. - Vielmehr gleicht die Welt, was das Geräusch angeht, einem Hühnerhof: Welch ein Gekakel, welch ein Krähen, Gackern, Gluckern, Kikeriki -! Aber das muß wohl so sein, denn sonst wäre es nicht so.

Höre, wenn du dies gelesen hast, um dich und sage ehrlich, was du da zu hören bekommst. Wenn du es alles vernommen hast, dann wirst du jenen alten und weisen Mann verstehen, dem der Arzt den Schnaps verboten hatte, seines Gehörs wegen. Als der Patient wieder in die Sprechstunde kam, da war er stocktaub und hörte überhaupt nichts mehr. Der Arzt war entsetzt. "Sie haben getrunken!" schrieb er dem alten Mann auf einen Zettel. "Ich habe es Ihnen prophezeit und nun haben Sie ihr Gehör verloren...!" Da sprach der alte Mann: "Lieber Herr Doktor! Alles, was ich gehört habe, war nicht so gut wie der Schnaps."

Hatte er nicht recht?

PETER PANTER (1928)

Die hochtrabenden Fremdwörter
In der Redaktionspost lag neulich ein Brief.
    "Liebe Weltbühne!

    Wenn ich diese Zeilen an dich richte, so bitte ich in Betracht zu ziehen, daß ich nicht ein Zehntel so viel Bildung besitze wie deine Mitarbeiter. Ich gehöre vielleicht zu den primitivsten Anfängern deiner Zeitschrift und bin achtzehn Jahre alt. Dieses schreibe ich dir aber nur, damit du dich über meine folgenden Zeilen nicht allzu lustig machst.

    Aus deinen Aufsätzen habe ich ersehen, daß du trotz aller Erhabenheit über die politischen Parteien doch mit den Linksradikalen am meisten sympathisierst.

    Schreibst du auch für einen Proleten, der sich in einem Blatt orientieren will, daß er objektiv urteilt? Für den aber ist es, was für den Fuchs die Weintrauben. Also: much to high.

    Ich selbst bin auch nur ein Autodidakt und muß öfter das Lexikon zur Hand nehmen, wenn ich die Artikel verfolge. Wenn du darauf Wert legst, die Sympathie und das Interesse der revolutionären Jugend und der einfachen Arbeiterschaft zu erwerben, so sei gelegentlich sparsamer mit deinen hochtrabenden Fremdwörtern und deinen manchesmal unverdaulichen philosophischen Betrachtungen.

    Hochachtungsvoll Erna G."
Hm. Hör mal zu - die Sache ist so:

Etwa die gute Hälfte aller Fremdwörter kann man vermeiden; man solls auch tun - und daß du keine  Puristin  bist, keine Sprachreinigerin, keine von denen, die so lange an der Sprache herumreinigen, bis keine Flecke mehr, sondern bloß noch Löcher da sind, das weiß ich schon. Ich weiß auch, daß es wirklich so etwas wie  hochtrabende  Fremdwörter gibt; wenn einer in Deutschland  phänomenologisches Problem  schreibt, dann hat er es ganz gern, wenn das nicht alle verstehn. So wie sich ja auch manche Schriftsteller mit der katholischen Kirche einlassen, nur damit man bewundre, welch feinen Geistes sie seien ... Soweit hast du ganz recht. Aber nun sieh auch einmal die andere Seite.

Es gibt heute in Deutschland einen Snobismus der schwieligen Faust, das Fremdwort  Snobismus  wollen wir gleich heraus haben. Es gibt da also Leute, die, aus Unfähigkeit, aus Faulheit, aus Wichtigtuerei, sich plötzlich, weil sie glauben, da sei etwas zu holen, den Arbeitern zugesellen, Leute, die selber niemals mit ihrer Hände Arbeit Geld verdient haben, verkrachte Intellektuelle, entlaufene Volksschullehrer, Leute, die haltlos zwischen dem Proletariat der Arme und dem des Kopfes, zwischen Werkstatt und Büro hin- und herschwanken - und denen nun plötzlich nichts volkstümlich genug ist. Maskenball der Kleinbürger; Kostüm: Monteurjacke. Nein, du gehörst nicht dazu - ich erzähle dir nur davon. Und da hat nun eine Welle von  Arbeiterfreundlichkeit  eingesetzt, die verlogen ist bis ins Mark.

Man muß scharf unterscheiden:

Schreibt einer für die Arbeiter, für eine Leserschaft von Proletariern so schreibe er allgemeinverständlich. Das ist viel schwerer als dunkel und gelehrt zu schreiben - aber man kann vom Schriftsteller verlangen, daß er gefälligst für die schreibe, die sein Werk lesen sollen. Der Proletarier, der abends müde aus dem Betrieb nach Hause kommt, kann zunächst mit so einem Satz nichts anfangen:
"Die vier größten Banken besitzen nicht ein relatives sondern ein absolutes Monopol bei der Emission von Wertpapieren."
Dieser Satz aber ist von LENIN ( Der Imperialismus als jüngste Etappe des Kapitalismus),  und der Satz ist, bei aller Klarheit des Gedankens, nicht für die Straßenpropaganda geschrieben. Denn hier läuft die Grenzlinie:

Die einen betreiben den Klassenkampf, indem sie ihre Schriften verteilen lassen, sie wirken unmittelbar, sie wenden sich an jedermann - also müssen sie auch die Sprache sprechen, die jedermann versteht. Die andern arbeiten für den Klassenkampf, indem sie mit dem wissenschaftlichen Rüstzeug der Philosophie, der Geschichte, der Wirtschaft zunächst theoretisch abhandeln, wie es mit der Sache steht. LENIN hat beides getan; der Fall ist selten.

Die zweite Art Schriftstellerei kann nun nicht umhin, sich der Wörter und Ausdrücke zu bedienen, die bereits vorhanden sind. Ich habe mich stets über die Liebhaber der Fachausdrücke lustig gemacht, jene Affen des Wortes, die da herumgehen und glauben, wer weiß was getan zu haben, wenn sie "Akkumulation des Finanzkapitals" sagen, und denen das Maul schäumt, wenn sie von "Präponderanz der inneren Sekretion" sprechen. Über die wollen wir nur lachen. Vergiß aber nicht, daß Wörter Abkürzungen für alte Denkvorgänge sind; sie rufen Gedankenverbindungen hervor, die bereits in den Menschen gleicher Klasse und gleicher Vorbildung schlummern und auf Anruf anmarschiert kommen - daher sich denn auch Juristen oder Kleriker oder Kommunisten untereinander viel leichter und schneller verständigen können als Angehörige verschiedener Gruppen untereinander.

Es ist nun für einen Schriftsteller einfach unmöglich, alles, aber auch alles, was er schreibt, auf eine Formel zu bringen, die jedem, ohne Bildung oder mit nur wenig Bildung, verständlich ist. Man kann das tun. Dann aber sinkt das Durchschnittsmaß des Geschriebenen tief herunter; er erinnert das an den Stand der amerikanischen Tagesliteratur, die ihren Ehrgeiz daran setzt, auch in Bürgerfamilien gelesen werden zu können, bei denen kein Anstoß erregt werden darf. Und so sieht diese Literatur dann auch aus.

Will man aber verwickelte Gedanken, die auf bereits vorhandenen fußen, weil keiner von uns ganz von vorn anfangen kann, darstellen, so muß man sich, wenn nicht zwingende Gründe der Propaganda vorliegen, der Fachsprache bedienen. Keiner kommt darum herum. Auch LENIN hat es so gehalten. Oder glaubst du, daß seine Schrift  Materialismus und Empiriokritizismus  für jeden Proletarier ohne weiteres verständlich sei? Das ist sie nicht. Wer über Kirchengeschichte des zweiten Jahrhunderts schreibt, kommt ohne die lateinischen Ausdrücke der damaligen Zeit nicht aus.

Soll er eine Übersetzung beigeben? SCHOPENHAUER platzte vor Wut bei dem Gedanken, solches zu tun; er wurzelte aber - bei aller Größe - in dem Ideal der humanistischen Bildung seiner Zeit und seiner Klasse; er hatte recht und unrecht. Es gibt heute eine Menge Schriftsteller und Zeitschriften, die jedem fremdsprachigen Zitat die Übersetzung folgen lassen; es ist Geschmackssache.

Ich tue es selten; ich zitiere entweder gleich auf deutsch oder manchmal, wenns gar nicht anders geht, lasse ich die fremdsprachigen Sätze stehn - dann nämlich, wenn ich das, was in den fremden Wörtern schlummert, nicht übertragen kann. Man kann alles übersetzen - man kann nicht alles übertragen. Es gibt zum Beispiel gewisse französische Satzwendungen, Wörter ... die sind so durchtränkt von Französisch, daß sie auf dem Wege der Übersetzung grade das verlieren, worauf es ankommt: Klang, Melodie und Geist.

Nun kenne ich das Gefühl sehr wohl, das einen beseelt, der solches lieset und der nicht oder nicht genügend Französisch kann. Man kommt sich so ausgeschlossen vor. Man fühlt die eigne Schwäche; man wir böse, wütend ... und man wälzt diese Wut, die eigentlich der eigenen Unkenntnis (verschuldet oder nicht) gilt, auf den andern ab.

Ich spreche zum Beispiel miserabel Englisch und verstehe es kaum, und es hat jahrelang gedauert, bis ich mit dem Verstande dieses dumpfe Wutgefühl aus mir herausbekommen habe. Lese oder höre ich heute Englisch, so schmerzt es mich, es nicht gut zu verstehen - aber ich bin auf den Schreibenden oder Sprechenden nicht mehr böse. Er kann doch nichts dafür, daß ich es so schlecht gelernt habe.

Siehst du, so ist das.

Es ist kein Verdienst der Söhne, wenn ihre Väter so viel Geld hatten, daß sie die Söhne aufs Gymnasium schicken konnten, gewiß nicht. Und was in den meisten Fällen dabei herauskommt, wissen wir ja auch. Aber unterscheide gut, ERNA, zwischen den beiden Gattungen, die da Fremdwörter gebrauchen:
den Bildungsprotzen, die sich damit dicke tun wollen, und den Schriftstellern, die zwischen  induktiv  und  deduktiv  unterscheiden wollen und diesen Denkvorgang mit Worten bezeichnen, die geschichtlich stets dieser Bezeichnung gedient haben.
Die Intellektuellen eines Volkes sollen nicht auf dem Niveau von schnapsdumpfen Gutsknechten stehn - sondern der Arbeiter soll in Stand gesetzt werden, die intellektuellen Leistungen der Gemeinschaft zu verfolgen. Nicht: reinlich gewaschene Körper sind ein Abzeichen von Verrat am Klassenkampf - sondern: alle sollen in die Lage gesetzt werden, sich zu pflegen. Den Körper, ERNA, und den Geist.

IGNAZ WROBEL (1930)

LITERATUR - Kurt Tucholsky, Sprache ist eine Waffe, Reinbek 1989