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URSA KRATTIGER
im Gespräch mit
SENTA TRÖMEL-PLÖTZ

Anders reden: aber wie?
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"Unsere Sprache tut uns Gewalt an, weil sie die männlichen Formen bevorteilt. Damit wird eine Weltsicht geschaffen, in der Frauen nicht präsent sind."

KRATTIGER: Heute morgen habe ich in der Tram zwei jungen Frauen zugehört, die sich offenbar nach langer Zeit wieder begegnet sind, und ich habe gehört, wie sie sich erzählen von ihrer Arbeit und von ihren privaten Verhältnissen. Da mußte die eine aussteigen und sagte zur anderen: "Du, ruf mich doch mal an, ich arbeite dort und dort, Telefon so und so, du kannst mich intern verlangen", und bei der anderen trat eine kurze Pause ein, und dann hat sie ihrer Bekannten nachgerufen: "Du, ich weiß ja überhaupt nicht, wie du jetzt heißt, ich kenn deinen verheirateten Namen nicht", und die andere hat schon auf der Treppe der Straßenbahn dann zurückgerufen und gesagt: "Du kannst mich unter meinem ledigen Namen verlangen." Und ich hab eigentlich in dieser Art, in diesem kurzen Tramgespräch, gemerkt, wie typisch diese Art von Unterhaltung für Frauen ist, denn nur Frauen verlieren ja bei der Heirat ihren eigenen Familiennamen, werden neu benannt, müssen den Familiennamen des Mannes annehmen, und da hab ich gemerkt: Die Ungleichbehandlung von Frauen und Männern, die wir in der Gesellschaft feststellen können - in diesem Fall im Recht -, schlägt sich auch nieder in unserem Reden.

SENTA TRÖMEL-PLÖTZ, Professorin an der Universität Konstanz im Fachbereich Sprachwissenschaft, wir haben jetzt zwei Sendungen zusammen gemacht über Frauen, Männer und Sprache und versuchen, uns jetzt in der dritten Sendung Gedanken darüber zu machen, wie können wir anders reden, anders reden: aber wie?

In der Geschichte, die ich heute morgen erlebt habe, würde Andersreden voraussetzen, daß das Eherecht revidiert wird, in der Hinsicht beispielsweise, daß auch Männer die Namen ihrer Frauen annehmen können oder beide Ehegatten bei ihrem Namen bleiben. Wenn wir anders reden wollen, heißt das also, daß wir uns auf eine komplizierte vielschichtige Sache einlassen. Bevor wir uns nun aber weiter Gedanken machen über unser Thema: Anders reden: aber wie?, möchte ich doch noch einmal die Frage aufwerfen, die dem allen ja zugrunde liegt: Warum denn überhaupt anders reden, warum, wozu ist das nötig?

TRÖMEL-PLÖTZ: Ja, ich denken, daß man dazu sagen kann, daß die Sprache nicht neutral ist, sie ist ja gewachsen über sehr lange Zeit und zeigt etwas von unseren Einstellungen. Wenn wir z.B. in unserer Sprache sehr viele Ausdrücke für Italienerinnen und Italiener haben, negative Ausdrücke, Schimpfwörter, dann sagt es etwas über unsere Einstellung zu Italienerinnen und Italienern, sagt, daß sie abweichend sind, sagt, daß die Norm die Schweizer sind, Schweizerinnen und Schweizer.

Und ähnlich schaut es aus, wenn wir die Sprache ansehen im Hinblick darauf, was sie über unsere Einstellung zu Frauen aussagt. Auch da können wir sehen, daß die Sprache nicht neutral ist, unfair ist, diskriminierend ist, und wir haben in der ersten Sendung über solche Asymmetrien in der Sprache gesprochen. Unsere Sprache hat z.B. folgende Einteilung für Frauen, d.h. weibliche Wesen, es gibt Mädchen, es gibt die Hausfrau und Mutter, und es gibt die berufstätige Frau, dann gibt es eventuell noch die alten Frauen.

KRATTIGER: Die alleinstehenden Frauen.

TRÖMEL-PLÖTZ: Die alleinstehenden Frauen. Wenn wir uns diese Ausdrücke einmal ansehen, dann sehen wir, daß es zu manchen gar keine Parallelen, symmetrische Ausdrücke für Männer gibt, z.B. sprechen wir eben nicht vom Hausmann und Vater, ein Mann wird nicht primär als Hausmann und Vater definiert, wir sprechen auch nicht vom berufstätigen Mann, es gibt nur die berufstätige Frau, das ist der feststehende Ausdruck. Eine solche Definition oder Einteilung der weiblichen Wesen in der Sprache hat schwerwiegende Konsequenzen für Frauen im Berufsleben.

Wenn dieser Terminus  berufstätige Frau  vorgegeben ist in unserer Sprache, dann heißt es, daß es etwas Besonderes ist für eine Frau, berufstätig zu sein, ihre primäre Rolle ist eben, Hausfrau und Mutter zu sein. Daraus ergibt sich dann, daß sie im Berufsleben anders behandelt werden kann, weniger gut behandelt werden kann, z.B. daß sie nur Halbtagsarbeit bekommt, daß sie nicht studieren darf oder nur kürzer Zeit studieren darf als die Jungen, daß sie im Berufsleben nicht so gute Aufstiegschancen hat, daß ihr Männer vorgezogen werden, wenn es männliche Bewerber gibt, weil eigentlich der Beruf nicht ihre Aufgabe ist, ihre erste Verpflichtung, sondern ihre erste Verpflichtung ist eben, zu Hause zu sein, Hausfrau und Mutter zu sein. Das gibt ein ganz bestimmtes Bild von der Wirklichkeit, das uns dann wieder verpflichtet, dem wir uns dann z.T. wieder anpassen müssen; also, wenn die Sprache bestimmte Unterscheidungen zur Verfügung stellt, dann konstruiert sie damit auch Wirklichkeit bzw. wir konstruieren dann unsere Wirklichkeit nach diesen vorgegebenen Kategorien.

KRATTIGER: Ist es nicht auch so, daß wir dadurch, wie Frauen und Männer beschrieben werden, auch unsere Erwartungen an die Gesellschaft und an das Verhalten von Frauen und Männern prägen, also wir übernehmen aus der Sprache die Bilder, wie es eigentlich sein soll und sein müßte, und verhalten uns dann teilweise nach diesen Erwartungen?

TRÖMEL-PLÖTZ: Ja, das ist ganz wichtig, daß durch diese Begriffe eben auch Erwartungen vorgezeichnet werden: wenn ich z.B. nur davon spreche, daß ich zum Arzt gehe oder zum Rechtsanwalt, nur von Ärzten spreche, von Wissenschaftlern und Dozenten, dann konstruiere ich ein Bild der Medizin und der Wissenschaft, in dem Frauen nicht vorkommen oder in dem Frauen, wenn sie vorkommen, Ausnahmen sind, in dem Leistung von Frauen dann nicht so wichtig ist, nicht so relevant, nicht so sehr zählt, und damit lenke ich dann auch die Aufmerksamkeit auf die Männer, auf die Leistung der Männer, auf ihre Kompetenz.

KRATTIGER: Und das erinnert mich jetzt an eine Studie über amerikanische Kinderbücher, wo einmal - als Gegensatz zu den normalen Kinderbüchern, wo, wie bei uns, Frauen sehr oft nur als Frauen und Mütter oder ausschließlich als Hausfrauen und Mütter vorkommen - eine Frau gezeigt wurde, die Berufsreiterin war, eine andere, die Berufsfeuerwehrfrau war, eine andere, die Rabbinerin war, um zu zeigen, das gibt es, Kinder, es ist nicht so, wie eben diese z.T. überkommene Kinderbuchwelt es euch zeigen will, es gibt nicht nur die Frau am Herd, es gibt beispielsweise Frauen und Mütter, die geschieden sind, die berufstätig sind; die Wirklichkeit von Frauen ist schon viel vielfältiger, als die Sprache andeutet.

TRÖMEL-PLÖTZ: Unsere Sprache ist ein bißchen konservativ...

KRATTIGER: konservativer als die Realität?

TRÖMEL-PLÖTZ: ist ein bißchen konservativer als die Realität. Zum Beispiel hat sich gezeigt bei ganz neuen Untersuchungen über Lehrbücher in der DDR, daß, obwohl gesellschaftlich schon sehr viele Änderungen, was das Berufsleben anbelangt, eingesetzt haben und die Frauen in den verschiedensten Berufen auftreten, die Schulbücher, die Lehrbücher die Frauen immer noch in den alten, stereotypen Rollen bringen, also gar nicht die ganze Vielfalt der konkreten Wirklichkeit in der DDR zeigen.

KRATTIGER: Wir haben in der Sprache also eigentlich ein seltsames Nebeneinander, wir haben eine Realität, die gemischt ist, neue Rollen von Frauen, neues Verhalten von Frauen und alte Sprachwendungen. Auch wenin ich in die Zeitung schaue, dann sehe ich dieses Nebeneinander. Ich habe beispielsweise in der Zeitung in den letzten Tagen gefunden, daß da ein Stelleninserat ist für junge Bankkaufleute, und ich habe ein anderes gefunden, wo die Rede war, daß ein Reisebüro einen Fachmann oder eine Fachfrau sucht.

Mich interessiert: Ist es nicht für Frauen unheimlich wichtig, daß sie erleben: Sie sind angesprochen, sie sind gemeint, sie sind aufgefordert, sie sind ausdrücklich angesprochen, sich beispielsweise auf ein solches Zeitungsinserat zu bewerben. Ich erinnere mich auch an eine Situation im Freundeskreis, wo unter lauter Buben der Vater seiner Tochter Pippi Langstrumpf vorlas und das Mädchen mir dann plötzlich ganz stolz erzählt hat: Du, Pippi Langstrumpf, das ist der stärkste Mensch. Als da hat sie sich plötzlich identifizieren können: Ein Mädchen ist der stärkste Mensch. Brauchen Frauen das denn, dieses Gemeintsein?

TRÖMEL-PLÖTZ: Ja, das brauchen wir sehr, denn wir haben das Problem bei den normalen Pluralbezeichnungen und auch Berufsbezeichnungen, daß wir immer aus dem Kontext heraus entscheiden müssen, ob wir denn gemeint sind oder nicht. Wenn also z.B. von Bürgern die Rede ist oder von den Lehrern, Arbeitern, Schweizern, Studenten, dann müssen Frauen jedenfalls aus dem Kontext heraus entscheiden, ob sie auch mitgemeint sind. Bei Anzeigen in der Zeitung wird es nun besonders akut, dieses Problem. Sehr oft stellt sich heraus, daß, wenn Frauen sich auf bestimmte Stellen bewerben, weil sie angenommen haben, daß sie mitgemeint waren, daß sie's gar nicht sind: Ihre Bewerbung ist nicht erwünscht. Und ich glaube, daß wir deshalb in den Stellenanzeigen mehr und mehr ein expliziteres Nennen von Frauen sehen werden, daß in dem Fall, wo Frauen wirklich erwünscht sind, wir die entsprechende weibliche Form finden.

KRATTIGER: Es ist mir aufgefallen, daß beispielsweise in holländischen Zeitungen das gang und gäbe ist, etwas völlig Alltägliches und Normales ist, während es beispielsweise in Schweizer Zeitungen noch eher die Ausnahme ist, und ich kenne auch aus Diskussionen das Argument, daß es eigentlich schrecklich lächerlich ist, wenn Frauen auf solchen Dingen beharren; es sei doch schließlich nicht wichtig, die Hauptsache sei, daß Frauen beispielsweise konkret dieselben Rechte hätten wie die Männer. Was ist von diesem Argument zu halten?

TRÖMEL-PLÖTZ: Also das ist einfach ein Argument, das den patriarchalen Rahmen anzeigt, in dem heute eben die Männer bestimmen, was wichtig ist, in dem die Männer definieren und nicht die Frauen. In einem solchen Rahmen ist dann natürlich, was Frauen wollen, auch wenn sehr viele Frauen das wollen, leicht lächerlich oder trivial zu nennen. Wir wollen solche Definitionen nicht mehr einfach hinnehmen, Definitionen, die uns vorschreiben, was wir wichtig zu nehmen haben, was für uns wichtig ist.

Nun kommt aber dazu, daß Frauen eben die Erfahrung gemacht haben, daß sie sehr oft nicht angesprochen waren, und das ist ein zweites Argument, warum es überhaupt nicht lächerlich ist, darauf zu bestehen, daß man explizit genannt wird, daß frau explizit genannt wird. Unsere Erfahrung ist eben in sehr vielen Kontexten die, daß, wenn wir hinsehen, wer nun gemeint ist unter den Schweizern oder bei den Bürgern, daß es dann eben nur männliche Schweizer und männliche Bürger sind.

KRATTIGER: Ich möchte dazu gerne ein Beispiel bringen aus der neuesten Schweizer Geschichte, das mich selber unglaublich erstaunt hat, und zwar im Zusammenhang mit dem Frauenstimmrecht, das wir jetzt zehn Jahre haben. Bis 1971 galt nämlich in der Schweizerischen Eidgenossenschaft: "Stimmberechtig bei Wahlen und Abstimmung ist jeder Schweizer, der...", und dann kommen die Alterslimite. Frauen haben zeitweilig versucht, das Frauenstimmrecht einzuführen durch eine Neuinterpretation dieses Satzes, indem sie sagten, unter diesem  jeder Schweizer  sind heute doch einfach Frau und Mann gemeint, und diese Argumentation wurde dann in den 50er Jahren von führenden Juristen bestritten, die sagten, Frauen können nur dann in diesem Verfassungstext mitgemeint sein, wenn sie ausdrücklich genannt werden; und vor zehn Jahren wurde dann das Frauenstimmrecht eingeführt durch Zustimmung zu einer Verfassungsbestimmung, die sagt: "Bei eidgnössischen Abstimmungen und Wahlen haben Schweizer und Schweizerinnen die gleichen politischen Rechte und Pflichten; stimm- und wahlberechtigt bei solchen Abstimmungen sind alle Schweizer und Schweizerinnen, die..."

Und das Interessanteste ist, daß jetzt im Entwurf für eine neue Bundesverfassung, wo man sagt: Frauenstimmrecht ist so selbstverständlich, Frauen sind natürlich mitgemeint, eine sprachliche Wendung vorgeschlagen wird, wo es wieder nur  alle Schweizer  heißt. Also, da haben wir den ganzen Wandel: Frauen sind nicht gemeint in der männlichen Pluralform, sie müssen ausdrücklich genannt werden. Wenn das einmal akzeptiert ist, dann soll wieder die männliche Form genügen.

TRÖMEL-PLÖTZ: Ja, es ist akzeptabel, wenn das wirklich unser Verständnis ist. Es zeigt sehr schön, dieses Beispiel, daß eben die Realität unseres täglichen Lebens zum großen Teil eine sprachliche Realität ist, nicht? Daß durch die Sprache die Realität gemacht wird. Gerade hier bei den Gesetzestexten ist es ja sehr, sehr wichtig. Die Sprache ist ein Instrument, um Realität zu konstruieren, z.B. hier die Realität, welche Schweizer, weiblichen oder männlichen Geschlechts, dürfen nun zur Wahlurne gehen.

KRATTIGER: Dann haben wir es doch zu tun mit einer doppelten Funktion der Sprache: Einmal spiegelt sie bestehende Verhältnisse, Machtverhältnisse, soziale Verhältnisse, spiegelt sie und hält sie aufrecht, zum zweiten kann sie dazu beitragen, daß wir uns andere Vorstellungen, andere Bilder machen und von daher auch die Reälität verändern. Also anders reden würde heißen: Wir tragen dazu bei, daß sich die Realität mindestens ein Stück weit verändert, stimmt das?

TRÖMEL-PLÖTZ: Ja, Sprache hat durchaus diese beiden Funktionen: Wir arbeiten immer mit einem Sprachsystem, wir werden sozusagen hineingeboren und hineingetaucht in dieses System, aber wir können dieses System auch ändern, wir benutzen es ja, wir können es deshalb auch unseren Bedürfnissen und Wünschen entsprechend ändern, d.h. bis zu einem bestimmten Grad; und Sprache ändert sich ständig; ob wir's wollen oder nicht, ändert sie sich. Also Sprache ist sowohl konservativ als auch flexibel, anpassungsfähig auf Änderungen hin.

KRATTIGER: Und es ist eigentlich unsere Sache, was wir damit tun.

TRÖMEL-PLÖTZ: Ja, natürlich ist es unsere Sache, wie wir sie benutzen. Zum Beispiel die Werbefachleute benutzen die Sprache als kreatives Instrument. Sie entwerfen neue Termini für neue Waren. Sie sind kreativ.

KRATTIGER: Es fällt mir gerade in diesem Zusammenhang eine Bankwerbung ein, wo eine Bankfrau offenbar anderen Frauen ein Bankkonto schmackhaft machen will, und da wird dann gesagt: "Jedermann" hat heute ein Konto, aber  jedermann  steht in Anführungszeichen. Also da wird gespielt mit dem Wort, und vielleicht weil Werbeleute so flexibel sind, machen sie eigentlich den Begriff  jedermann  da lächerlich und sagen: Natürlich hat heute auch "jedefrau" ein Konto. Also, bitte, Frauen, macht das!

TRÖMEL-PLÖTZ: Ja, das ist ein sehr gutes Beispiel, denn es zeigt gerade, daß  jedermann  nicht mehr so aufgefaßt wird, also jetzt schon eine andere Bedeutung angenommen hat als die Bedeutung, die es gemeinhin haben sollte, nicht? Also, daß es alle betrifft. Wenn das jetzt schon ironisiert wird, dann zeigt es, daß es schon spezifisch auf Männer hin verstanden wurde - also schon eine Veränderung, und das ist ganz interessant. Daß zunächst die Veränderungen schon da sind in unserer Gesellschaft, also: Frauen haben andere Bedürfnisse, neue Wünsche, die Frauenbewegung zeigt das, Frauenliteratur zeigt das. Es gibt viele Anzeichen in unserer Gesellschaft, daß sich schon sehr vieles geändert hat, und die Sprache, unsere sprachlichen Änderungen, sind eine Reaktion darauf.

KRATTIGER: Umgekehrt ist die Frage, können wir - und da erinnere ich mich, daß auch im Zusammenhang mit unseren Sendungen dieser Vorwurf gemacht worden ist -, können wir denn wirklich glauben: Wenn wir die Sprache ändern, tun wir etwas, das beispielsweise die sozialen, rechtlichen, wirtschaftlichen Veränderungen beschleunigt? Hat es wirklich einen Sinn zu sagen: Wir müssen anders reden, und wir tragen damit effektiv, wirksam, etwas dazu bei, daß sich die gesellschaftlichen Realitäten verändern?

TRÖMEL-PLÖTZ: Ja, und zwar, weil die Sprache so ein wichtiges Instrument ist, eigentlich die Basis für unser gesellschaftliches Zusammenleben, und unsere Beziehungen, unser ganzes individuelles Leben daran hängen, durch die Sprache hergestellt werden. Wie gut oder wie schlecht eine Beziehung ist z.B., ist sehr oft eine Sache der verbalen Kommunikation - auch der nichtverbalen -, aber der Kommunikation zwischen den betreffenden Individuen.

Also die Sprache ist ein ganz wichtiges Instrument in unserer Gesellschaft, sie gehört mit zu den gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen wir leben. Deshalb ist, die Sprache zu verändern, natürlich zur gleichen Zeit eine ganz wichtige gesellschaftliche Veränderung. Denn Sprechen ist eben nichtnur irgendwelche Gedanken wiedergeben oder Informationsaustausch, es wird dadurch nicht nur etwas widergespiegelt, sondern es wird in einem ganz wichtigen Sinn gehandelt: Ich tu' etwas, indem ich zu dir du sage oder indem ich zu die Sie sage. Es ist etwas anderes, eine andere Handlung, ich definiere unsere Beziehung anders, ja?

Es wird etwas getan, wenn irgendeine Frau, die man überhaupt nicht kennt, mit Fräulein angeredet wird. Es ist eine Handlung, es ist eine beleidigende Handlung, eine diskriminierende Handlung, die zunächst sagt: Du bist für mich ein Fräulein, ein Objekt, jemand, den ich nicht ernst nehmen muß, jemand, die ich nicht ernst nehmen muß, du bist für mich unerwachsen, du bist für mich keine reife Frau, ich trau' dir auch nicht zu, daß du verheiratet bist und Kinder hast und etwas Vernünftiges und Ernsthaftes machst in deinem Leben.

All das kommt mit herein, wenn ich nur jemanden mit  Fräulein  begrüße, ohne weiter irgendwelche Information zu haben. Und ich würde sagen, daß es eben einen Unterschied macht, ob ich jemanden mit einem Gruß Mißachtung oder Achtung gebe, z.B. einem Mann, zu dem ich  grüezi  sage, wenn ich nichts über ihn als Person weiß. Meine Beziehung zu ihm, wie ich ihn einschätze, ist also neutral; wenn ich  grüezi  sage, zeige ich ihm Achtung oder Neutralität. Aber der Frau, zu der gesagt wird,  grüezi Fräulein,  wird alles mögliche andere gegeben, nur nicht Achtung.
LITERATUR - Senta Trömel-Plötz, Anders reden: aber wie?, Ursa Krattiger im Gespräch mit Senta Trömel-Plötz, in Senta Trömel-Plötz (Hrsg): Gewalt durch Sprache - Die Vergewaltigung von Frauen in Gesprächen, Frankfurt/Main 1984