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PAUL STERN
Das Problem der Gegebenheit
- zugleich eine Kritik des Psychologismus in der heutigen Philosophie -
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"Jenem großen und verbreiteten Irrtum, der die Tatsachen - die physischen wie die psychischen, Gedanken und Dinge, Vorstellungen und Empfindungen in gleicher Weise - zu letzten Gegebenheiten für das wissenschaftliche Denken stempelt, gilt es endlich zu steuern: schon sind, wie wir bereits betonten, die Psychologen und Erkenntniskritiker selbst in solche Irrlehre verstrickt. Es ist, als wollten sie nicht sehen, daß zur wissenschaftlichen Fixierung auch der psychischen  Tatbestände  stets bereits ein ganzes System von Gesichtspunkten erforderlich ist, ein Koordinatensystem sozusagen, ohne welches der jedesmalige Tatbestand für die einfachste Schilderung unzugänglich, ja, überhaupt kein Tatbestand, sondern ein Chaos wäre."

"Man müßte sagen, für mich ist der Satz von der Gesetzmäßigkeit des äußeren Geschehens dank meiner inneren Erfahrung mit einem Gefühl der Notwendigkeit, einem Bewußtsein der Überzeugung verbunden."

"Auch die praktische Betätigung des Einzelnen, seine Handlungen im Guten wie im Bösen, wären Gegebenheiten der inneren Erfahrung. Es ist ein psychologischer Fatalismus, der dabei herauskommt ... aber es wäre nicht der rühmenswerte Fatalismus der Starken, die sich vor der Gewalt des äußeren Schicksals beugen, das gerade ihnen, in den Rückstößen auf ihre eigene Aktivität, besonders übermächtig und fühlbar entgegentritt, sondern jener feige Fatalismus der Geschwächten, die ängstlich nach stets neuen Mitteln trachten, um sich der Verantwortung für ihr eigenes Tun und mehr noch für ihr eigenes Wollen zu entheben."

"Man kann folgendes den klassischen Fehlschluß des Sensualismus nennen: da Allgemeinvorstellungen und Begriffe nicht hörbar, sichtbar, tastbar sind, so schließt er, daß es dergleichen streng genommen in der Seele überhaupt nicht gebe; während er schließen sollte: da es dergleichen gibt, so sind Sichtbarkeit, Hörbarkeit, Tastbarkeit keine Kriterien für Bestand und Eigenart psychischer Komplikationen."

"Die empiristische Naturwissenschaft hatte in ihren Rüstkammern keine Waffen, die geeignet gewesen wären, den Begriff der  Erklärung  gegen jenes Übermaß von Forderungen abzugrenzen; und so wußte sie sich keinen anderen Rat, als den Machtspruch von der  Beschreibung." 

"Die Beschreibung setzt eine logische Bearbeitung des gegebenen Materials voraus. Der Glorienschein absoluter Objektivität geht ihr damit allerdings verloren."

"Der  psychische Tatbestand  wird, obwohl er doch selbst  psychisch  sein soll, dem Vorstellungsablauf als etwas an sich Existentes entgegengesetzt: er macht eine  bestimmte  Art des Vorstellungsablaufs notwendig und es wird nun dieser Bestimmtheit gegenüber zur Nebensache, ob ein positives oder negatives Urteil dabei herauskommt. So wird das eigentlich logische Problem einfach beiseite geschoben und in seiner Wichtigkeit diskreditiert: es soll die Einsicht genügen, daß ein bestimmter Vorstellungsablauf verschiedenen Urteilsformen zugrunde liegen  kann." 

"Die Ähnlichkeit ist keine unmittelbare Gegebenheit, kein Bestandteil des vorgefundenen Materials, sondern eine von der Erkenntnis an diesem Material vollzogene Bestimmung. Allerdings muß diese Bestimmung durch irgendeine Art gewissermaßen gegebenen psychischen  Erlebens  angeregt sein, das wir dann später als Erleben eines Ähnlichkeitsbewußtseins deuten und aus allen übrigen Arten des Erlebens als eine besondere herausheben können. Aber gerade deshalb kann man nicht sagen, daß wir die Ähnlichkeit "vorfänden", unmittelbar wahrnähmen, noch auch, daß die Erkenntnis der Ähnlichkeit unmittelbar gegeben sei. Denn in jenem Erleben stecken wir selber und zwar als die Vorfindenden, als die, denen gegeben wird. Oder will man sagen, daß man auch sich selbst nur gegeben wird, sich selbst nur vorfindet; und zwar sich als Vorfindenden vorfindet - und sich als den den Vorfindenden Vorfindenden vorfindet usf.?"

"Lichteindrücke wirken auf der Netzhaut  nach;  unsere  Wahrnehmung  hat Zeit, sie in Gegenstände zu übersetzen und in den einzelnen Zeitmomenten dieser Übersetzung werden sich in schnellem Wechsel bald diese, bald jene optischen Eindrücke als Teile des Bildes für das wahrnehmende Bewußtsein vorzugsweise geltend machen. Wenn es hier nicht beim Wechsel bleibt und die Folge alsbald einen Zusammenhang aufweist, indem das Frühere mit dem Späteren in bestimmten, sinnvollen Beziehungen steht - wie sie etwa von den Ausdrücken der Identität oder der kontinuierlichen Veränderung bezeichnet werden -, so ist das eine im Bewußtsein vor sich gehende psychische Nachwirkung und niemals allein aus der physiologischen Nachwirkung der Lichteindrücke auf der Netzhaut, so unentbehrlich sie sein mag, zu erklären."


E r s t e r   T e i l
Kritik falscher Gegebenheits-Annahmen
und ihre Konsequenzen


Kapitel I
Der absolute Empirismus und
seine Bedeutung für die Weltanschauung

Jenem großen und verbreiteten Irrtum, der die Tatsachen - die physischen wie die psychischen, Gedanken und Dinge, Vorstellungen und Empfindungen in gleicher Weise - zu letzten Gegebenheiten für das wissenschaftliche Denken stempelt, gilt es endlich zu steuern: schon sind, wie wir bereits betonten, die Psychologen und Erkenntniskritiker selbst in solche Irrlehre verstrickt. Es ist, als wollten sie nicht sehen, daß zur wissenschaftlichen Fixierung auch der psychischen "Tatbestände" stets bereits ein ganzes System von Gesichtspunkten erforderlich ist, ein Koordinatensystem sozusagen, ohne welches der jedesmalige Tatbestand für die einfachste Schilderung unzugänglich, ja, überhaupt kein Tatbestand, sondern ein Chaos wäre.

Vielmehr wollen unsere Empiristen dieses System von Gesichtspunkten den psychischen "Tatbeständen" selbst entnehmen, ein unmögliches Beginnen! Schon, weil der mit psychischen Tatbeständen beschäftigte Psychologe schließlich doch immer von physischen Tatbeständen ausgeht, um sich über die psychischen zu orientieren und dieselben überhaupt nur voneinander zu unterscheiden und zu ihrer Einheit zusammenzufassen; denn die Einheit der Vorstellungen unterscheidet er nach der Einheit der Dinge oder Gedanken, die in ihnen vorgestellt werden. Daß aber bereits die Einheit der Dinge, jener physischen Tatbestände ein Problem bildet, das wegen der willkürlichen Veränderlichkeit dieser Einheit nicht mit dem Schlagwort "Gegebenheit" abzutun ist, fällt ihm nicht ein.

Und insbesondere den Begriff der Vorstellung selbst, respektive die "Vorstellung" der Vorstellung findet er nicht etwa, versunken in das chaotische Fluktuieren unbestimmter Vorstellungsphänomene; sondern durch reflexionsmäßige Anwendung von Unterscheidungsmerkmalen - so vor allem denen der Gegenwärtigkeit und Wirklichkeit -, deren wissenschaftliche Bedeutung sich wiederum nicht durch die Beteuerung klarstellen läßt, daß man sie vorfinde; noch durch einen noch so geistreichen Nachweis, daß man auf irgendeiner Stufe der geistigen Entwicklung zu ihrer Anwendung genötigt sei - denn es gibt auch psychologisch notwendige  Irrtümer -,  sondern die nur dadurch zu legitimieren sind, daß man ihre systematische Unentbehrlichkeit für die Wissenschaft überhaupt und für das Verständnis ihres Aufbaus erweist.

Schon die bekannte "empirische Tatsache",daß die Einsichten der Wissenschaft für die Anschauung der Gegenstände selber die größten Veränderungen veranlassen können und im Laufe der Zeiten veranlaßt haben, sollte jene Empiristen stutzig machen und ihnen zeigen, daß Gegenstände und Tatsachen für die Erkenntnis keine Gegebenheiten sind. Aber es scheint, als ob gerade dieser Umstand den Empirismus noch tiefer in seine eigenen Konsequenzen verstrickt, indem er ihn zu der Behauptung von der Gegebenheit der Gedanken selber hindrängt. Ist die Gegebenheit der Tatsachen bedroht durch die Rückwirkung des Gedankens, so muß man sie preisgeben oder den Gedanken selbst und seine Rückwirkungen für Gegebenheiten erklären. So hat es der Empirismus in der Psychologie zu jener Überspannung seiner Grundmotive gebracht: die einzelnen Gedanken selbst lediglich als gegebene Tatsachen der inneren Erfahrung zu betrachten. Aufgabe der Wissenschaft sei es nur  den  oder  einen  Zusammenhang - die Beschaffenheit desselben wird verschiedenartig gedeutet - zwischen dem so Vorgefundenen festzustellen. Konsequent dürfte man aber nicht sagen, wir stellen einen solchen Zusammenhang fest, sondern nur, wir finden ihn einige Zeit nach den ersten Gegebenheiten als eine neue "Tatsache" in uns vor.

Gerade in dieser letzten Konsequenz tritt die Unhaltbarkeit des Empirismus unverhüllt zutage. Eine derartige Anschauung kann uns den Eigentümlichkeiten unserer geistigen Funktionen niemals näher bringen. Denn alles, was wir zu ihrer Erklärung herbeizögen, läge selbst völlig im Bereich des lediglich Vorgefundenen. Man muß sich klar machen, was das bedeutet. Wir finden da vielleicht den Gedanken vor, wir hätten etwas soeben Vorgefundenes erklärt oder beschrieben; aber ob wir es auch wirklich erklärt oder beschrieben haben, können wir dabei nie wissen. Die Ergänzung kann falsch sein, obgleich wir den Gedanken vorfinden, sie sei richtig. Ja selbst wenn wir über diese Richtigkeit und ihre Kriterien Gedanken in uns vorfinden und womöglich hierauf noch den weiteren Gedanken,  jene  Gedanken seien richtig: wer bürgt uns armen Betrachtern dieser Wandeldekoration des wissenschaftlichen Bewußtseins dafür, daß wir nicht im nächsten Moment den unangenehmen Gedanken in uns antreffen, alles unmittelbar vorher Gedachte sei völlig belanglos und töricht?

Und wo böte sich uns ein Mittel, uns dieses Gedankens zu erwehren? Wären wir wirklich in solcher Weise nur bloße Zuschauer alles äußern und inneren Geschehens, so verlöre damit der Gedanke der Notwendigkeit selbst und mit ihm die Wissenschaft allen Halt und Sinn. Alle Grundsätze der Wissenschaft blieben durch die später auftretenden inneren Erfahrungen korrigierbar. Man müßte sagen, für mich ist der Satz von der Gesetzmäßigkeit des äußeren Geschehens dank meiner inneren Erfahrung mit einem Gefühl der Notwendigkeit, einem Bewußtsein der Überzeugung verbunden. Vielleicht aber werden spätere Menschen die Verfehltheit dieses Satzes einsehen; ja vielleicht wird eine andere innere Erfahrung bereits die Mitlebenden, ja mich selbst in nächsten Augenblick daran zweifeln lassen. Zwar sehe ich jetzt noch nicht, wie er widerlegt werden sollte, aber schließlich, wer bürgt mir für den weiteren Verlauf meiner inneren Erfahrung? Beweisgründe und Deduktionen gewiß nicht! Denn die leuchten mir im günstigsten Fall für den gegenwärtigen Augenblick ein und bedeuten nichts für den kommenden. Und nicht besser stünde es mit dem Satz von der Gesetzmäßigkeit des Geistes oder des Vorstellungsablaufs, worin man geneigt sein könnte, für den weiteren Fortgang der inneren Erfahrung eine Bürgschaft zu suchen.

Alles, was man bisher als Errungenschaft des Geistes bewunderte, um dessentwillen der Forscher verehrt und gepriesen ward, käme hier auf die Gegebenheiten seiner inneren Erfahrung. Er hätte eben das Glück, jene Errungenschaften in ihr vorzufinden. Und auch die praktische Betätigung des Einzelnen, seine Handlungen im Guten wie im Bösen, wären Gegebenheiten der inneren Erfahrung. Es ist ein psychologischer Fatalismus, der dabei herauskommt und der sich von den übrigen Nuancen desselben nur durch die Begründung des Unabwendbaren unterscheidet: hier die innere Erfahrung als letzte Instanz - anderwärts die Kausalität des materiellen Geschehens oder die Vorherbestimmung von seiten eines, wie auch immer interessierten Weltenlenkers. Aber es wäre nicht der rühmenswerte Fatalismus der Starken, die sich vor der Gewalt des äußeren Schicksals beugen, das gerade ihnen, in den Rückstößen auf ihre eigene Aktivität, besonders übermächtig und fühlbar entgegentritt, sondern jener feige Fatalismus der Geschwächten, die ängstlich nach stets neuen Mitteln trachten, um sich der Verantwortung für ihr eigenes Tun und mehr noch für ihr eigenes Wollen zu entheben.

Unser Geist wäre durch solchen Fatalismus zur Rolle eines müßigen Zuschauers verurteilt, der sich allen und jeden Inhalt lediglich geben läßt. Er hätte nur abzuwarten und zu betrachten, was weiter kommt. Durch welche Eigentümlichkeiten er das vermag, danach ist dann leider nicht mehr die Frage. Es wäre naiver Realismus, angewandt auf psychische Inhalte, auf psychische "Realitäten".

Für einen Menschen, der sich in solcher Weise den Gegebenheiten seiner inneren Erfahrung preisgegeben vermeinte, wäre keine Überzeugung mehr möglich, ja, dem alten Kreterschluß gemäß, im Grunde nicht einmal die von der Richtigkeit seines Glaubens an jene Variabilität aller wissenschaftlichen Grundsätze, seine eigenen eingerechnet usf. So bliebe für ihn alles sonst Objektive, sei es Wirklichkeitsanschauung, sei es Wahrheitserkenntnis, rein subjektives Erlebnis und die Variabilität alles Bestandes machte jedes Ziel und jedes Urteil, jede wissenschaftliche, künstlerische, ethische Bestrebung zur momentanen Marotte.

Wir können nicht sagen, ob eine derartige Welteinrichtung möglich oder unmöglich wäre, die unsrige ist es jedenfalls nicht. Unsere inneren Erlebnisse sind anderer Art. Auch können wir nicht wissen, ob nicht irgendeine metaphysische und außerhalb des Bereiches aller Voraussicht liegende Katastrophe eintritt, die jedem inneren Erlebnis in unserem Sinne ein Ende macht, die eine Welt ohne Objektivität und Kausalität zur inneren Erfahrung bringt und den Wert aller Formen, in denen bisher Objektives geschaut und gedacht wurde, auslöscht; indes  unsere  Welt wäre das dann nicht mehr. Der Inhalt einer solchen Welt würde in keiner wie auch immer gearteten Beziehung mehr zu dem der unsrigen stehen können, ja, nicht einmal mehr in einer zeitlichen; denn die Zukunft, von der wir sprechen, gehört zu dieser, wie die Zeit selbst. Mit dem Eintritt eines solchen Wandels wäre - um kantisch zu reden - die Einheit der "transzendentalen Apperzeption" entzwei gerissen und alles Denken versagt für einen Zustand, dessen erste Bedingung darin bestünde, dem Gefüge der uns umspannenden Zusammenhänge, der anschaulichen, wie der gedanklichen, enthoben zu sein.

So steht es mit den Konsequenzen einer Denkrichtung, die, um ja recht sicher zu gehen, in der Berufung auf die Tatsache die einzige Instanz allen Wissens sucht. Und die philosophische Frage daraus: was Empirie gegeben hat, das kann sie auch nehmen; was aber keine Empirie nehmen kann, das kann auch nicht in Empirie seinen Ursprung haben.


Kapitel II
Der Empirismus der Sensualisten

Gegen die Gefahren, die sich an der extrem empiristischen Denkart so leicht aufzeigen lassen, pflegt aller Empirismus blind zu sein - und es gibt dessen viele Varianten. Wohl gelten Begriffe und Gedanken nur selten als gegeben. Als Korrektur dagegen dient aber weniger jenes philosophische Bedenken, daß dadurch die Sicherheit und der Sinn der Erkenntnis untergraben werde, als vielmehr ein gewissermaßen in Psychologische übersetzter Materialismus. Denn es ist die gleiche prinzipielle Verirrung und Beschränktheit, die auf der einen Seite einzig das Materielle, als das mit den Sinnen Erfaßbare, für wirklich ansieht, den Geist aber zur Begleiterscheinung oder Funktion der Materie macht und die auf der anderen in sensualistischer Tendenz psychische Gebilde nur dann als solche gelten läßt, wenn sie von Sinnesempfindungen - nicht etwa nur angeregt oder beglaubigt, sondern - konstituiert werden. Wir kommen damit zum Empirismus der Sensualisten.

Man kann folgendes den klassischen Fehlschluß des Sensualismus nennen: da Allgemeinvorstellungen und Begriffe nicht hörbar, sichtbar, tastbar sind, so schließt er, daß es dergleichen streng genommen in der Seele überhaupt nicht gebe; während er schließen sollte: da es dergleichen gibt, so sind Sichtbarkeit, Hörbarkeit, Tastbarkeit keine Kriterien für Bestand und Eigenart psychischer Komplikationen.

Durch diesen falschen Schluß entgeht der Sensualismus zwar bis zu einem gewissen Grad den Verwirrungen hinsichtlich des Problems der Gegebenheit, auf deren unhaltbare Konsequenzen wir im Vorhergehenden hinzuweisen suchten; denn als gegeben kann ihm nur das sinnlich Wahrnehmbare gelten. In der genaueren Bestimmung desselben aber bleibt ihm noch immer eine Reihe von irreführenden Möglichkeiten offen. Mancher wird Vorstellungen ganzer Gegenstände - mitsamt den sie verknüpfenden Beziehungen - als Vorstellungen der Sinne ansprechen und gelten lassen; so jeder, der in der üblichen Weise Tatsachen als in der Wahrnehmung gegeben ansieht. Man kann aber auch Wert darauf legen, daß von den Gegenständen streng genommen nur ihre jedesmaligen Erscheinungsweisen wirklich durch die Sinne gegeben seien und daß die Beziehung von der sinnlich gegebenen Erscheinungsweise auf erscheinende Gegenstände, sowie die Beziehungen zwischen diesen, erst im Bewußtsein erzeugt werden müsse.

Und schließlich dürfte auch die Annahme, daß solche sinnlichen Erscheinungsweise bestimmter Gegenstände als letzte Daten zu gelten haben, einer tiefer dringenden Kritik nicht standhalten. Vielmehr steht es derselben frei, bei ihrer Analyse bis auf das rein momentane und in jedem Moment wechselnde Bewußtsein bestimmter Empfindungsqualitäten zurückzugehen, welche auch ihrerseits zu Erscheinungsweise von Gegenständen durch eine komplizierte Art der Sonderung und Gruppierung im Bewußtsein erst werden müssen. Die letzte Ansicht blickt jedenfalls tiefer.

In allen diesen Wendungen gerät der Sensualismus zugleich in Berührung mit einer Aufgabe, die von alters her einen wichtigen Teil philosophischen Denkens in Anspruch nimmt. Indem er den Bereich des Gegebenen, wenn auch von verfehlten Gesichtspunkten aus, kritisch beschränkt, muß er Sorge tragen, die aus diesem Bereich ausgeschalteten Bewußtseinsinhalte in ihrer Abhängigkeit von den ihm zugehörigen, darzustellen oder zu entwickeln. Denn was nicht selber zu den letzten Gegebenheiten gehört, muß sich als Komplikation oder Derivat von solchen begreifen lassen.

Das Problem der Gegebenheit gerät dadurch in eine eigentümliche Wechselbeziehung zu dem der Entwicklung: je weiter man den Titel der empirischen Gegebenheit auf immer einfachere Bewußtseinsgebilde zurückdrängt, umsomehr wächst und verwickelt sich die Aufgabe, aus den anerkannten Gegebenheiten die übrigen höheren abzuleiten. So hat sich auf der gemeinsamen Grundlage des Empirismus eine Reihe von unter sich höchst verschiedenartigen Richtungen herausgebildet: wer nur die Sinneseindrücke als gegeben gelten läßt, muß klarlegen, wie sich aus ihnen alle höheren Bewußtseinsinhalte zu ihrer Einheit entwickeln; wer Vorstellungen ganzer Gegenstände als gegeben ansieht, muß dartun, wie sich aus diesen Begriffe und Gedanken und in ihnen die Wissenschaft überhaupt entwickelt; oder wenigstens zeigen, welche systematische Stellung derselben gegenüber jenen anerkannten Gegebenheiten zukommt.


Kapitel III
Die Gegebenheit der Tatsachen
und die Wissenschaft als Beschreibung

Beim Zutrauen, das der Satz von der Gegebenheit der Gegenstandsvorstellungen und Tatsachen allseitig genießt, stehen dann auch diese letzten Fragen heutzutage im Mittelpunkt des Interesses; und zwar in der Diskussion einer Behauptung, die in der Philosophie so gut wie in der Naturwissenschaft, ja selbst in der Mathematik, Bürgerrecht gewonnen zu haben scheint und die besagt: alle Wissenschaft sei nichts, als Beschreibung gegebener Tatbestände.

Daß diese Behauptung auf der Gegebenheit von Tatbeständen fußt, würde allein genügen, ihre Haltlosigkeit aufzudecken; denn, was wir oben leicht nachweisen konnten als Konsequenz einer Ansicht, die sogar die Gedanken zu Gegebenheiten degradierte, das gleiche folgt auch aus der Annahme gegebener Tatsächlichkeiten: die Gesetzmäßigkeit des Geschehens, welche die populäre Anschauung überall voraussetzt, wird durch die bezeichnete Annahme ihrer Garantien beraubt und an die Stelle klaren Wissens um Gesetzmäßigkeit und Notwendigkeit des Geschehens - wonach auch die Zukunft unter Annahme bestimmter Voraussetzungen bestimmbar wird -, tritt der Glaube, das "believe", daß die Gegebenheiten sich auch in Zukunft den in den Grundsätzen der Wissenschaft formulierten Regeln fügen werden.

Der Begriff der Erklärung wäre durch solche Annahme offenbar allen Wertes beraubt; denn Erklärung erscheint ihrem Begriff nach ohne Einsicht in die Notwendigkeit des Geschehens ausgeschlossen. Indes es ist nicht anzunehmen, daß ein Vertreter des Beschreibungs-Gedankens auf diesen Hinweis hin kapitulieren würde. Er würde vielmehr entgegnen, daß es eine völlig unberechtigte Forderung sei, mehr als jenes "believe" zu verlange, daß ihm dieses  believe  völlig genüge; und daß er seinen Begriff der Beschreibung in bewußtem Gegensatz zu all denen aufrecht erhalte, die von der Wissenschaft Erklärung oder Einsicht in unbedingte, auch für die Zukunft gültige Notwendigkeiten verlangten. Statt den Beschreibungsgedanken in seinen Voraussetzungen zu widerlegen, müssen wir deshalb versuchen, ihn auf dem Wege einer immanenten, auf seine Konsequenzen abzielenden Kritik zu entwaffnen, wenn wir uns bei seinen Vertretern Gehör verschaffen wollen.

Der Begriff der Beschreibung ist zu seiner erkenntnistheoretischen Würde von Vertretern der Naturwissenschaft erhoben worden. Für diese lag der Beweggrund zu der scheinbaren Bescheidenheit, ihre eigenen Resultate als bloße Beschreibungen zu kennzeichnen, zum guten Teil in der sachlich nicht unberechtigten Tendenz, die Forderungen einer übertriebenen Wißbegier abzulehnen, nach denen die Wissenschaft an allem alles, sein  Wie, Warum, Wann und Wo  in seiner Notwendigkeit erklären und außer seiner Beschaffenheit womöglich noch die Gründe des Daseins solcher Beschaffenheiten überhaupt rechtfertigen sollte. Was Kraft ist, z. B., diese Frage läßt sich in so populär-metaphysischer Fassung allerdings nicht beantworten; und noch weniger läßt sich irgendwoher die Notwendigkeit ableiten, wieso es überhaupt dergleichen geben muß. Nur hat man zu untersuchen, warum das nicht angeht; und dabei hätte die richtige Abwehr solcher Forderungen in einer Diskussion und Reinigung jenes metaphysisch überspannten Begriffs der Erklärung bestehen müssen. Aber die empiristische Naturwissenschaft hatte in ihren Rüstkammern keine Waffen, die geeignet gewesen wären, den Begriff der  Erklärung  gegen jenes Übermaß von Forderungen abzugrenzen; und so wußte sie sich keinen anderen Rat, als den Machtspruch von der  Beschreibung.  Außerstande in der Form und Methode der wissenschaftlichen Betrachtung Garantien für deren Sicherheit nachzweisen, setzte sie das Objekt der Erkenntnis in materialistisch-sensualistischer Weise als gegeben voraus, um es dann allein für die Sicherheit der Erkenntnis verantwortlich machen zu können; statt den Begriff der Erklärung gegen übertriebene Anforderungen systematisch sicherzustellen, gab man ihn preis und ersetzte ihn durch einen terminus, dessen Doppelsinn auf der Hand liegt.

Wenn ich einen Wasserfall in seiner landschaftlichen Eigenart beschreibe, so ist das etwas anderes, als wenn ich ihn mittels der Gesetze von Wurf und Fall "beschreibe". Im ersten Fall ist der Sinn des Wortes "beschreiben" der althergebrachte, im zweiten entspricht er genau dem alten wissenschaftlichen Sinn des "Erklärens". Der Unterschied zwischen beiden Arten bleibt bestehen und verlangt nach Aufklärung und Bestimmung. Allerdings hat man dieselbe zu geben versucht, indem man sagte: als Wissenschaft solle diejenige Art der Beschreibung gelten, dei vom Gesichtspunkt der Ökonomie des Vorstellens geleitet sei. Diese Scheidung hat etwas Bestechendes, da in der Tat die Resultate der Wissenschaft und damit des Denkens solchem Zweck in gewisser Weise zu entsprechen scheinen; - wiewohl sofort der Einwand naheliegt, daß es für den Haushalt der Seele - zumal für den Einzelnen - viel ökonomischer wäre, überhaupt nicht zu denken; und daß man im Denken auch gar nicht etwa die vielen Fälle, die man sonst einzeln vorstellte, wie behauptet, nun auf einmal vorstellt (AVENARIUS). Man müßte vielmehr sagen, daß man überhaupt keine einzelnen Fälle mehr vorstellt, sondern ganz etwas anderes und zwar nicht vorstellt, sondern eben denkt. (1)

Ferner könnte man auch zuweilen in der unwissenschaftlichen Art der Beschreibung sehr ökonomisch verfahren, ohne daß man dabei in die wissenschaftliche hineinzugeraten brauchte; und umgekehrt pflegen wissenschaftliche Beschreibungen trotz der Ökonomie, die sie als gedankliche Leistungen ihrer Natur nach besitzen sollen, häufig genug recht breit und unökonomisch auszufallen. Bei alledem aber bleibt doch das Mehr oder Weniger dieser Ökonomie belanglos für die Frage, ob man es mit einer wissenschaftlichen Beschreibung zu tun habe oder nicht. Und das ist, neben der fälschlich angenommenen Gegebenheit der "Tatsache", der entscheidende Mangel jener Lehre, die das Kriterium der wissenschaftlichen Beschreibung in ihrer Ökonomie sucht: daß dieses Kriterium nicht hinreichend ist, die wissenschaftliche Beschreibung von der unwissenschaftlichen, die wissenschaftliche Ökonomie von der unwissenschaftlichen zu unterscheiden. So aber steht es, weil durch den Hinweis auf die Ökonomie wohl gewisse Nebenerfolge, aber nicht die  Mittel  und Methoden des Denkens gekennzeichnet sind, kraft deren es zu der dem Gegebenen gegenüber "ökonomischen" Vorstellungsweise gelangt und überhaupt gelangen kann.

So ist mit der Behauptung von der Ökonomie des wissenschaftlichen Beschreibens wenig gewonnen, solange man die eigentümlichen Arten und Voraussetzungen der psychischen Umformung unerörtert läßt, an die jene Ökonomie gebunden ist. Wer sich aber näher mit dieser Umformung befaßt, wird zum Schluß schwerlich noch besonderes Gewicht auf die ganz äußerliche Analogie mit der Naturwissenschaft und ihrem Prinzip des kleinsten Kraftmaßes legen, in welche Erkenntnistheorie und Psychologie selber durch das Ökonomieprinzip gerückt werden sollen. Der Naturwissenschaftler durfte die Möglichkeit der Beschreibung als etwas Selbstverständliches voraussetzen; der Psychologe unterliegt der Verpflichtung, diese Möglichkeit aus dem Bereich seiner eigenen Kenntnis begreiflich zu machen.

Zu diesem Behuf steht ihm von alters her der Begriff der Repräsentation (2) oder Vertretung zur Verfügung. Man hat den Versuch gemacht, alle Probleme des Denkens und der Logik überhaupt auf dieselben zurückzuführen. Die Beschreibungslehre war damit in gewissem Sinne lange vor ihrem heutigen Populärwerden vorweggenommen; zumindest ist sie leicht mit jenen Begriffen zur Deckung zu bringen. Beschreibung eines Tatbestandes ist demnach, kurz gesagt, identisch mit dem Zusammenstellen von Worten, die geeignet sind, denselben zu vertreten; wissenschaftliche Beschreibung im Sinne des Ökonomieprinzips: Zusammenstellen solcher Worte, die für möglichst große Mengen von psychischen Tatbeständen repräsentierend oder wie man heute zu sagen liebt, symbolisch eintreten können. Die Beziehung des Wortes zum Begriff stellt sich dabei so, daß der Begriff als Bereich oder Inbegriff solcher Inhalte zu gelten hat, die von den gleichen Worten gleichzeitig vertreten werden können. Neben dieser symbolischen Beziehung des Wortes auf die dinglich bestimmten Vorstellungsinhalte kann ferner eventuelle noch die Beziehung dieses Inhalts auf seine mannigfaltigen sinnlichen Erscheinungsweisen hervorgehoben werden. Letzteres im Sinne der sensualistischen Tendenz. Denn im Sinne des Sensualismus ist die Beziehung des Dinges zu seiner Erscheinung um die es sich hier handelt, bereits die eines "vieldeutigen Symboles zu einer bestimmten seiner Bedeutungen" (HANS CORNELIUS, Psychologie als Erfahrungswissenschaft, 1897, Seite 252).

Diese Anschauung von der Vertretung oder Symbolisierung sinnlicher Gegebenheiten durch Dingvorstellungen und des ferneren durch Begriffe läßt sich nur leider ohne Schaden für den Sinn auf den Kopf stellen. Statt zu sagen Dingvorstellungen und Begriffe haben die Aufgabe, frühere Empfindungsdaten respektive sinnliche Erscheinungsweise zu symbolisieren, könnte man auch umgekehrt den Sinn der sinnlichen Erscheinungsweisen darin suchen, die Dingvorstellungen und die Begriffe zu symbolisieren, respektive dieselben provisorisch zu vertreten. Denn schließlich kommt es doch auf diese, zumal für die Wissenschaft, mehr an, als auf die ohne sie bedeutungslosen sinnlichen Erscheinungsweisen, in denen sie sich den einzelnen Subjekten in endloser Variabilität offenbaren. Ja, in der Losgelöstheit von den Zufälligkeiten vergangener subjektiver Erlebnisse beruth gerade erst die eigentümliche Bedeutung der Dingvorstellungen und Begriffe und der Wert, den sie für das menschliche Wissen, Sichverständigen und Handeln besitzen, - welches ohne sie unmöglich wäre.

Es ist keine Willkürlichkeit, wenn ich hier auf diese Wertfrage hinweise, denn die Behauptung, eine gewisse Spezies von Gebilden werde durch eine andere symbolisiert, involviert stets implizit ein Urteil über das Wertverhältnis der betreffenden Gebilde und zwar zugunsten der symbolisierten. Und so ist es offenbar ein bedenklicher Ausfluß empiristisch-sensualistischer Überschätzung des sinnlich Gegebenen in seiner Bedeutung für die Erkenntnis, wenn man Sinn und Wert der Dingvorstellungen und Begriffe in der Symbolisierung subjektiver Empfindungsdaten sucht.

Indessen man möge andererseits diesen Streit über die Wertpriorität von Empfindung und Begriff und über die Frage, was von beiden rechtmäßig als Symbol, was als Symbolisiertes zu gelten haben, in seiner Wichtigkeit nicht überschätzen: im Grunde verschleiern derlei Ausdrücke nur das recht beträchtliche Bündel von Problemen, die im begrifflichen Denken und seiner Bedeutung von Wirklichkeitsanschauung und Wissenschaft enthalten sind. Die Ausdrücke des Symbolisierens und Repräsentierens, so gut, wie der der Beschreibung, sind diesen Problemen gegenüber tatsächlich machtlos. Und erst im Hinblick auf diese, in der Komplikation mit den Problemen der Logik, werden die Schwierigkeiten, in die sich die sensualistische Psychologie durch Adoption des Prinzips der Beschreibung verstrickt, in ihrem ganzen Umfang und in ihrer ganzen Unüberwindlichkeit deutlich.

Beschreibung kann stets nur Beschreibung eines Gegebenen sein. Das Gegebene, das die Psychologie voraussetzt, - sobald sie überhaupt den Terminus der Beschreibung aufnimmt - war das Material sinnlich anschaulicher Vorstellungen, wie es in bestimmter Folge unser Bewußtsein erfüllt. Nun kann sie natürlich nicht blindlings irgendwelche Folgen von Bewußtseinsinhalten irgendwelcher Persönlichkeiten beschreiben wollen; nicht jede Inhaltsfolge interessiert sie. Vielmehr nur solche, die den  Typus  gewisser allgemeiner Bewußtseinsleistungen bilden. So interessieren sie Fragen nach den typischen Abwandlungen der Vorstellungen beim ästhetischen Schauen oder beim Auffinden der Mittel zur Ausführung bestimmter Zwecke. Ist dem aber so, so muß die Bestimmung und Disposition jener typischen Leistungen im Sinn ihrer  logischen  Sonderung und Gruppierung vorangegangen sein, ehe man an ihre Beschreibung herantreten kann: man muß wissen, was für eine Leistung gemeint ist, ehe man anfängt zu beschreiben. Kurz, die Beschreibung setzt eine logische Bearbeitung des gegebenen Materials voraus. Der Glorienschein absoluter Objektivität geht ihr damit allerdings verloren. Es ist ein immer wiederkehrender Anlaß psychologischer Streitigkeiten, daß man an ein Beschreiben psychischer Leistungen geht, ehe man sich über ihren Sinn verständigt hat; ja, daß man diesen Sinn statt durch Definitionen geradezu durch beschreibende Jllustrationen festzulegen sucht, die man dann für typisch ausgibt.

Solche dispositionelle Besinnung muß offenbar jeder wissenschaftlichen Beschreibung vorangehen, wenn man nicht den Begriff der wissenschaftlichen Beschreibung so erweitert, daß man jene Disposition der Erscheinungen ihm selbst zurechnet und dieselbe zum ersten Stadium der Beschreibung macht. Ein Vertreter der Beschreibungslehre könnte sagen, wenn ich die Beschreibung selbst beschreiben will, so finde ich als erstes Stadium derselben die Disposition des zu Beschreibenden vor. Es fragte sich für ihn nur, wo ihm die wirklich typische Beschreibung als Gegenstand seiner eigenen Beschreibung gebenen sei; und ob ihm nicht als wahrer Typ der wissenschaftlichen Beschreibung ein Fall psychischen Geschehens entgegengehalten werden könnte, der sich von dem ihm vorschwebenden erheblich unterschiede; so daß hier vom psychischen Akt der Beschreibung selber gilt, was vorhin von der Beschreibung psychischer Akte überhaupt zu sagen war: daß man nämlich erst festlegen muß, was mit dem Terminus "Beschreibung" gemeint sein soll, ehe man sich an die Beschreibung des psychischen Aktes der Beschreibung heranmachen darf.

So leuchtet ein, daß der Terminus der Beschreibung - auch abgesehen von seiner unlösbaren Verkettung mit dem Problem der Gegebenheit respektive mit der Annahme gegebener Tatsächlichkeiten - für das in ihm gemeinte Verhalten des menschlichen Geistes sich schwerlich halten läßt: da es nichts als eine petitio principii [es wird vorausgesetzt, was erst zu beweisen ist - wp]ist, wenn ein Psychologe oder Erkenntnistheoretiker die Forderung der Beschreibung von Anfang an zur Richtschnur seiner Untersuchungen machen wollte. (3) Daß vom Begriff der  Erklärung,  solange er nicht genauer bestimmt ist, dasselbe gilt, läßt sich aus einem analogen Schluß leicht folgern.

Indessen vielleicht könnte sich ein Verteidiger des Beschreibungsgedankens diesen Konsequenzen zu entziehen hoffen, indem er formell darauf verzichtete, die Forderung der Beschreibung axiomatisch seinen psychologischen Untersuchungen voranzustellen: Durch eine vorsichtige Definition könnte er dann immer noch den Begriff der Beschreibung für die Resultate seiner Untersuchungen passgerecht machen. Dieser entlegenen, dialektisch-formalen Möglichkeit mögen die folgenden Erwägungen abschließend begegnen.

Wer als Psychologe den Inhalt des Bewußtseins eines anderen - oder auch den seines eigenen in einem früheren Moment - "beschreibt", ist stets dem Mißverständnis ausgesetzt, daß die Worte, die er als Beschreibender verwendet, dem anderen als gedankliche Besinnung über den Inhalt seines Bewußtseins angerechnet werden.

Es ist die gleiche Schwierigkeit, die es streng genommen unmöglich macht, das Vorstellungsleben der Tiere zu beschreiben und die in der Psychologie des menschlichen Seelenlebens vielleicht am deutlichsten hervortritt, wenn man bestimmen will, was einem anderen  scheine.  Man weiß dabei nie, ob dem andern nur das von den Begriffen Bezeichnete oder auch diese selbst, als besondere Inhalte, oder vielleicht auch die sie ausdrückenden Worte gegenwärtig sein sollen. So stößt man etwa mit der Behauptung, "dem künstlerisch Betrachtenden scheine der Gegenstand seiner Betrachtung belebt", leicht auf den Einwand, daß derselbe im Augenblick künstlerischer Versunkenheit von Belebtheit oder Unbelebtheit nicht das Geringste wisse, und daß Gedanken über dergleichen seinem Zustand völlig fremd seien. Es liegt der Versuch nahe, diesem Einwand damit zu begegnen, daß man ihm recht gibt, insofern er sich gegen die Bewußtheit des Wortes "Belebtheit" in der Seele des ästhetischen Betrachters wendet. Das Wort, könnte man sagen, brauche nicht bewußt zu sein, wohl aber dasjenige, worauf es passe. Aber diese Wendung hebt die Schwierigkeit nur scheinbar; sie beruth auf der Voraussetzung, daß ein Bewußtseinsinhalt derselbe sein und bleiben könne, gleichviel, ob er zum Wort führe oder nicht; und gleichviel auch, zu welchem Wort er führe. Der Hinzutritt des Wortes zu einem Bewußtseinsinhalt soll, wie der jedes anderen sinnlichen Bestandteils des Vorgestellten, nur der Erfolg der Assoziation sein, die von jenem Inhalt, wie er ist, mobilisiert sei. Man vergißt dabei nur, daß bei weitem nicht jeder Bewußtseinsinhalt zu solcher assoziativen Herbeiziehung des Wortes sozusagen reif ist. Um das rechte Wort finden zu können, muß man zur rechten Anschauung von der Sache gedrungen sein; und schon das "unrechte" Wort verlangt eine bestimmte  Formung  der Anschauung, die nicht gegeben ist. Und nicht mehr um eine bloße Vermehrung oder um einen bloßen Wechsel des vorgestellten Materials handelt es sich hier, sondern um eine besondere Art der inneren Umgestaltung desselben.

Die Bewußtseinskomplexe, mit denen das Wort in assoziativer Verbindung steht, müssen sich erst im fluktuierenden Material des Bewußtseins isoliert und ihrer Umgebung gegenüber zu relativer Stärke und Dauer gefestigt haben, bevor überhaupt von einer Verbindung mit dem Wort die Rede sein kann. Diese Verbindung muß also vorbereitet sein durch einen Prozeß, in welchem sich nicht etwa nur bereits vorhandene Vorstellungskomplexe in ihrer Energie für das Bewußtsein ausbalanzierten, sondern in welchem sich diese für die Wortwahl bestimmenden Komplexe überhaupt erst zu  ihrer  Einheit (4) zusammenschlossen, in welchem sie  wurden.

Wer für die sogenannte "Phänomenologie" des Bewußtseins interessiert ist, wird die Notwendigkeit eines solchen Prozesses ungern zugestehen; denn es handelt sich dabei um ein Zugeständnis, das den Wert dieser Phänomenologie erheblich mindert. Muß die Wortwahl vorbereitet werden durch einen besonderen Prozeß der Umformung des Vorstellungsmaterials, so ist das Zugeständnis unabweislich, daß das Wort zur genaueren Bezeichnung des noch nicht so umgeformten Materials versagt. Denn es besagt dabei stets zuviel. Ich erinnere nochmals an die Beschreibung tierischer Bewußtseinsvorgänge; und leider hat man es auch beim Menschen zumeist mit einem im obigen Sinn noch ungeformten Material zu tun. Eben damit aber entfällt die Möglichkeit der Beschreibung im Sinn einer Phänomenologie des Bewußtseins und auch umgekehrt die einer Phänomenologie des Bewußtseins im Sinn einer  Beschreibung. 


Kapitel IV
Der Sensualismus
und das Problem des Denkens

Von der soeben erörterten methodologischen Schwierigkeit, aus der es im Grunde einen Ausweg nicht gibt, hat sich die Psychologie teilweise dadurch zu befreien gesucht, daß sie sich Theorien zuwandte, die die Notwendigkeit jener Umformung zurücktreten und ihre Bedeutung verschwinden ließen. (5) Dieselben laufen im letzten Grund darauf hinaus, das Denken in das anschauliche Vorstellen zu nivellieren, den eigentlichen Charakter des Wissens in eine bloße Richtigkeit des sinnlich anschaulichen Vorstellungsablaufs zu verlegen. Mochte dann "das Wort" zur präzisere Bestimmung versagen, so diente es eben - wenn auch in einem recht ärmlichen Sinn als Mittel zu mehr andeutender Bezeichnung der richtigen Vorstellung und erfüllte so die bescheidenen Dienste, die die Phänomenologie ihm zumutet.

Zur Jllustration für jene Nivellierung des Denkens mag etwa folgender Satz dienen, der sich als ein Hauptthema durch die Grundzüge der Logik (6) von LIPPS hindurchzieht: die Aufgabe des Denkens sei damit zu charakterisieren, daß es die durch die Wahrnehmungen gegebenen einzelnen Objekte des Vorstellens durch Hinzufügung anderer zu einem lückenlosen Zusammenhang zu ergänzen habe (Nr. 10, 24 und sonst oft). Soweit der Geist an der Herstellung dieses lückenlosen Zusammenhangs arbeitet, denke er. Sieht man einmal vom Grundfehler ab, daß auch hier Bestandteile des schließlich zu erzeugenden Zusammenhangs als "unmittelbar in der Wahrnehmung gegeben" gelten, so scheint der Satz zunächst ganz einleuchtend.

Indessen, was heißt hier lückenlos? Offenbar ist die Lückenlosigkeit einer Gedankenkette eine ganz andere, unterliegt ganz anderen Kriterien, als diejenige eines materiell erfüllten Raumes oder die einer ununterbrochenen Geschehensreihe; so ist der Begriff der Lückenlosigkeit sehr vieldeutig. Man könnte auf den Gedanken kommen, daß es nach LIPPS so viele Arten des Denkens geben solle, als sich Arten von Lückenlosigkeit - das heißt, mit anderen Worten, von Zusammenhängen des Vorstellens - namhaft machen ließen; wie ja in gewissem Sinn alle Logik nichts anderes ist, als die Klarstellung und Formulierung solcher immer wiederkehrender Arten von Zusammenhängen. LIPPS selbst bleibt in manchen seiner Ausführungen keineswegs beim raumzeitlichen Zusammenhang des Wahrnehmbaren stehen, auf den sich jene Ergänzung, der ersten Formulierung nach, beschränken zu sollen scheint; er kennt sehr wohl daneben die Lückenlosigkeit im Aufbau immer allgemeinerer Gesetze. (7)

Aber leider entzieht er solcher freieren Deutung stets selbst wieder den Boden: bei der Ergänzung der gegebenen Wahrnehmungen zu lückenlosem Zusammenhang handelt es sich ihm doch stets in engerem Sinn um den Zusammenhang des anschaulich Vorgestellten, d. h. um die Kontinuität in der Folge einander ablösender Vorstellungsbilder. So heißt es etwa von der "vorgestellten Welt" (als dem allgemeinsten Gegenstand des objektiv materialen Urteils (Nr. 148), daß sie sich aus den "räumlich und zeitlich geordneten und ausgedehnten, im übrigen qualitativ bestimmten Inhalten unserer Wahrnehmungen aufbaut"; und da nun alles Denken nichts sein soll, als der Aufbau dieser Welt (Nr. 10), so besteht für LIPPS die dazu erforderliche Ergänzung und damit das Denken selbst doch eben lediglich in der Einfügung von Vorstellungsobjekten zwischen die Gegebenheiten der Wahrnehmung; und das Denken nivelliert zu einem Vorstellen einzelner Objekte.

In dieser Wendung zeigt sich zugleich deutlich die eigentümliche Unterschätzung der Bedeutung des Begriffs für die Erkenntnis, wie sie der sensualistischen und dem Beschreibungsgedanken zugewandten Psychologie überhaupt zu eigen ist: ohne Aussicht bemüht, den Inhalt des Bewußtseins mit ihren Mitteln in jenem Stadium zu erkennen, wo ihn die zur Erkenntnis, d. h. zur Fixierung in Wort und Begriff erforderliche Umformung noch nicht betroffen hat (vgl. voriges Kapitel), ignoriert sie überhaupt Bestand und Gang dieser Umformung, schiebt für die Richtigkeit des Denkens die Richtigkeit des Vorstellens ein und verdächtigt so die Bedeutung und den selbständigen Wert der Begriffe. Aus dieser Tendenz stammen auch die vielfachen Versuche, alle Wissenschaft auf die Ungenauigkeit der Erinnerung und die anfängliche Verwechslung des Ähnlichen zu gründen; in der Meinung, auf solche Art die Subsumierbarkeit verschiedener Vorstellungen unter den gleichen Begriff aufs einleuchtendste aus dem Gegebenen heraus verständlich zu machen.

Als eine Stichprobe für die Konsequenzen jener phänomenologisch gestimmten Theorie, die aus dem Denken ein anschauliches Vorstellen zu machen sucht, sei hier noch kurz des Problems der Negation gedacht. Darüber heißt es bei LIPPS: Position und Negation bedeuten nur die "Bewußtwerdung verschiedener Seiten desselben psychischen Tatbestandes." (8) "Tatbestand" allein oder auch "physischer Tatbestand" würde sich allenfalls verstehen lassen, zumal es gleich darauf von jenem Tatbestand heißt: er bestehe in einer solchen Beziehung von Objekten, die eine bestimmte Art des Vorstellungsablaufs objektiv notwendig machte. Aber leider hat es mit diesem "psychischen Tatbestand" eine andere Bewandtnis; er wird, obwohl er doch selbst "psychisch" sein soll, dem Vorstellungsablauf als etwas an sich Existentes entgegengesetzt: er macht eine "bestimmte" Art des Vorstellungsablaufs notwendig und es wird nun dieser Bestimmtheit gegenüber zur Nebensache, ob ein positives oder negatives Urteil dabei herauskommt. So wird das eigentlich logische Problem einfach beiseite geschoben und in seiner Wichtigkeit diskreditiert: es soll die Einsicht genügen, daß ein bestimmter Vorstellungsablauf verschiedenen Urteilsformen zugrunde liegen  kann.  Für eine Richtung, die die Logik als Psychologie und das Denken als Vorstellen aufzufassen sucht, ist das natürlich eine sehr kurzsichtige Taktik. Denn eine psychologische Logik müßte gerade die scheinbar rein logischen Unterschiede als Unterschiede psychischer Tatbestände nachzweisen suchen. Indem sie das Gegenteil anstrebt, macht gerade sie die Logik zu etwas Außerpsychologischem; und wenn man es konsequent nimmt, das Denken zu etwas Außerpsychischem.

In jedem Fall läßt man solcherart das Denken lediglich als anerkennende und ordnende nicht aber als erzeugende und umbildende Potenz für die psychischen Phänomene in Betracht kommen; womit auch diese letzteren in ein falsches Licht geraten. Denn sie verlieren dadurch den ihnen eigentümlichen Charakter des inneren Wachstums mit seiner Veränderlichkeit und Bewegtheit und erstarren gleichsam zu - nach mechanischem Gesetz - einander ablösenden Bildern; zu eben jenen "gegebenen Tatbeständen", an denen nun - Ironie der Logik - das in ihnen vernachlässigte und ignorierte lebendige Denken der Wissenschaft doch unbeirrt seines Amtes waltet.

War in den angeführten Fällen wenigstens den empiristischen Konstruktionen eine gewisse Scheinbarkeit nicht abzusprechen, so tritt der Grundfehler derselben ganz unverhüllt und mit geradezu dogmatischer Härte zutage, wenn behauptet wird: daß wir sogar die Verschiedenheiten und Ähnlichkeiten der Inhalte unmittelbar an diesen "vorfänden"; und daß demnach die Prägung der Begriffe selbst, respektive die Gruppierung der Inhalte und ihre Zuordnung zu bestimmten Begriffssymbolen nichts anderes sei, als Anerkennung und Beschreibung gegebener Tatsächlichkeiten. (9) Man übersieht in solchen Annahmen schlankweg, daß man von Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten - und allgemein von Beziehungen -, die irgendwelchen Bewußtseinsinhalten an sich selbst derart anhafteten, daß sie sich an ihnen vorfinden ließen, gar nicht reden kann, ohne in hypostasierender [einem Gedanken gegenständliche Realität unterschieben - wp] Weise dem Bewußtseinsinhalt eine vom Bewußtsein selber abgelöste Existenz zu vindizieren[zuzusprechen - wp]. Entsprechend läßt man dann auch einen Inhalt "Ähnlichkeiten" aufweisen oder läßt psychische Inhalte "beurteilt" werden, als ob das Urteil nicht selbst ein Inhalt wäre. (10)

Mit diesem "unmittelbar Vorfinden" könnte es, wenn auch nicht beim Erlebenden, so doch wenigstens beim psychologischen Beobachter seine Richtigkeit zu haben - scheinen. Aber das Bewußtsein - auch das des psychologischen Beobachters - findet an seinen Inhalten nichts vor, was nicht, wie alle seine Inhalte überhaupt, als sein eigenstes Produkt zu betrachten wäre; - man müßte denn den Begriff des Bewußtseins zum Bereich des Sichbesinnes über anschauliche Vorstellungsinhalte verengen und seine Funktion lediglich in die reflektierende Erkenntnis verlegen wollen. Nur dann könnte allenfalls alle Vorstellung als vorgefundenes Material des Bewußtseins erscheinen.

Aber auch in dieser Wendung würde die Ähnlichkeit nicht mehr eine unmittelbare Gegebenheit, ein Bestandteil des vorgefundenen Materials sein, sondern eine von der Erkenntnis an diesem Material vollzogene Bestimmung. Allerdings muß diese Bestimmung durch irgendeine Art gewissermaßen gegebenen psychischen "Erlebens" angeregt sein, das wir dann später als Erleben eines Ähnlichkeitsbewußtseins deuten und aus allen übrigen Arten des Erlebens als eine besondere herausheben können. Aber gerade deshalb kann man nicht sagen, daß wir die Ähnlichkeit "vorfänden", unmittelbar wahrnähmen, noch auch, daß die Erkenntnis der Ähnlichkeit unmittelbar gegeben sei. (11) Denn in jenem Erleben stecken wir selber und zwar als die Vorfindenden, als die, denen gegeben wird. Oder will man sagen, daß man auch sich selbst nur gegeben wird, sich selbst nur vorfindet; und zwar sich als Vorfindenden vorfindet - und sich als den den Vorfindenden Vorfindenden vorfindet usf.?

Aber ich bitte diese Reihe zu integrieren und man wird nach der Integration mehr vorfinden, als das Vorfinden. Ich meine, man wird sehen, daß alles Vorfinden und somit auch das Vorfinden von Ähnlichkeiten, Eigentümlichkeiten unser selbst voraussetzt, die das Vorzufindende  mitbestimmen. Auf solche Eigentümlichkeiten unser selbst weist alles vermeintlich Vorgefundene oder Gegebene, alle Ähnlichkeit mitsamt ihren Kriterien (und somit auch des weiteren alle Prägung von Begriffen) zurück. "Ähnlichkeiten" dokumentieren eben nicht lediglich Eigentümlichkeiten des "Gegebenen"; vielmehr - um im Bilde zu bleiben - zugleich solche des Empfangenden; insofern nämlich überhaupt dieses Empfangende für das Gegebene von Belang ist, am "Gegebenen" sich von bestimmten Gesichtspunkte aus ordnend und gestaltend, sondernd und betonend manifestiert: insofern es selbst bereits etwas in jenem vermeintlich völlig Gegebenen ist. Denn nicht direkt läßt sich dieses "Empfangende" betrachten, sondern nur an dem, was für den oberflächlichen Blick als lediglich gegeben  erscheint.  Dieses aber ist stets bereits ein, wenn auch nur provisorisches, Werk des Bewußtseins.

Am scheinbar Gegebenen den Schein der Gegebenheit zu zerstören, damit beginnt in gewissem Sinn die Philosophie. Und hiermit stehen wir wieder vor dem Grundfehler, der für die ganze bekämpfte Anschauung typisch ist: die Annahme, daß Gegenstandsvorstellungen nebst den sie verknüpfenden Beziehungen gegeben seien, ist nicht zu halten. Was dem Bewußtsein gegeben ist, das ist an sich weder gegenständlich noch nicht-gegenständlich - das Bewußtsein macht es erst dazu. Und in jeglichem Inhalt, sofern er überhaupt zu einer Einheit zusammengefaßt ist, muß die Eigenmächtigkeit, wenn man will, die Spontaneität des Bewußtseins anerkannt werden; ein Anerkenntnis, durch das die Möglichkeit, jenen Inhalt als  gegeben  zu qualifizieren, dahinfällt.


Kapitel V
Die Gegebenheit der Empfindung
und das Problem des Aufbaus

Der Widersinn, den die eben erörterten Gegebenheitsannahmen enthalten, läßt sich so gut wie aus ihren Konsequenzen, so nicht minder aus ihren Voraussetzungen einsehen. Was wir die Wahrnehmung eines Gegenstandes nennen, enthält rein zeitlich bereits die Wahrnehmung einer unendlichen Reihe von Sinnesdaten, anders ausgedrückt: eine unendliche Reihe von Teilwahrnehmungen. Diese sind in der Tat "gegeben". Dabei ist aber die Reihenfolge, in welcher sich uns die Sinnesdaten wechselnd darbieten, durchaus nicht identisch mit irgendeiner Reihenfolge von Zuständen des Objektes, auf das wir die dargebotenen Sinneseindrücke beziehen. Trotzdem gelangen wir zur Anschauung ruhender Objekte, "sehen wir" statt des dargebotenen Veränderlichen des Sinnesdaten das Konstante des Gegenstandes.

Man suche das Wunderbare dieses Vorgangs nicht abzuschwächen durch den vielleicht naheliegenden Einwand, daß ein Wahrnehmungsakt eben stets einige, wenn auch nur kurze Zeit in Anspruch nehme und daß nun einmal das in dieser Zeit gewonnene Wahrnehmungsbild sinnvoll zusammenhänge. Denn für die schärfere Betrachtung löst sich eben die vorgeschützte Einheit dieses Wahrnehmungsaktes auf in die unendliche Vielheit seiner zeitlichen Teile. Und mag auch das in einer Sekunde etwa zu gewinnende Bewußtseinsbild bereits irgendwelchen sinnvollen inhaltlichen Zusammenhang aufweisen, gerade die sensualistisch-empiristische Psychologie darf sich nicht der Frage verschließen, wie es sich denn im tausendstel Bruchteil einer Sekunde mit dem darin gegebenen Zuwachs an Bewußtseinsinhalt verhalte; und was übrig bleibt als Gegebenheit der Wahrnehmung, wenn man immer kleinere Abschnitte derselben zum Gegenstand der Betrachtung macht. Man würde in solchen momentanen Wahrnehmungen schließlich nicht mehr an hinzukommendem Bewußtseinsinhalt übrig behalten, als gewissermaßen  punktuelle  Sinneseindrücke, die sich extensiv noch zu keiner Einheit begrenzen, sondern lediglich qualitativ bestimmen lassen.

Auch meine man nicht, diesen Satz zu entkräften durch den Hinweis auf "Tatsachen" wie die, daß während der kleinen Zeitspanne einer elektrischen Ladung der entstehende Eindruck des überspringenden Funkens sich trotz seiner Kürze zum zusammenhängenden Bild vertiefe. Denn die Möglichkeit solcher Vertiefung ist und bleibt ja eben das Problem. Zudem dauert der Akt der Wahrnehmung hier länger, als der der elektrischen Lichterscheinung. Die Lichteindrücke wirken  nach  auf der Netzhaut; unsere "Wahrnehmung" hat Zeit, sie in Gegenstände zu übersetzen und in den einzelnen Zeitmomenten dieser Übersetzung werden sich in schnellem Wechsel bald diese, bald jene optischen Eindrücke als Teile des Bildes für das wahrnehmende Bewußtsein vorzugsweise geltend machen. Wenn es hier nicht beim Wechsel bleibt und die Folge alsbald einen Zusammenhang aufweist, indem das Frühere mit dem Späteren in bestimmten, sinnvollen Beziehungen steht - wie sie etwa von den Ausdrücken der Identität oder der kontinuierlichen Veränderung bezeichnet werden -, so ist das eine im Bewußtsein vor sich gehende psychische Nachwirkung und niemals allein aus der physiologischen Nachwirkung der Lichteindrücke auf der Netzhaut, so unentbehrlich sie sein mag, zu erklären. Vielmehr läßt diese das Material, als welchem die psychische Nachwirkung ihre Einheiten formt, zunächst nur umso wirrer erscheinen.

Es gibt Zustände beginnender oder sich lösender Ohnmacht, in denen die sinnlichen Reize wie sonst eindringen und nachwirken; Klänge und Farben zeigen sich dem Bewußtsein und doch vermag es nicht, aus Klängen Worte, aus den Farben Bilder und Gegenstände zu gestalten: trotz der "Nachwirkung" in den Organen bleiben die Eindrücke ohne Zusammenhang - ein bunter sinnloser Wechsel von Farben und Tönen. Oft empfinden wir solcher chaotischen Sinnlosigkeit gegenüber ein starres Entsetzen; zuweilen, beim Erwachen aus der Ohnmacht, erzeugt das verzweifelte Bestreben, in das noch Sinnlose Sinn zu bringen, falsche und schauderhafte Deutungen der gegebenen Empfindungen.

Man kann an solchen Erlebnissen abmessen, was es mit der empirischen Gegebenheit von Tatsachen auf sich hat. Denn wie kommen wir überhaupt von dem Empfindungen aus zu Vorstellungen und Tatsachen, zu Anschauung und Behauptung einer einheitlichen, wirklichen Welt - die wir doch stets nur einzelnen und für einen jeden von uns in ihrer ganzen Folge anders gearteten Sinneseindrücken unterliegen? Wie entsteht aus jenem "Sandhaufen" von Sinnesdaten die Vorstellung auch nur eines einzigen dauernden Gegenstandes; wie aus dem Chaos des ewig Anderen, niemals gleich oder gar identisch Wiederkehrenden - denn Licht und Klang, Farbe und Ton wechseln mit Tages- und Jahreszeit, mit Wetter, Luftfeuchtigkeit und Beleuchtung, von den subjektiven Schwankungen in den aufnehmenden Organen und dem Einfluß der Bewegungen ganz zu schweigen; und man darf wohl sagen, daß sich die Wirkung eines Gegenstandes auf unsere Sinne niemals in völlig gleicher Art wiederhole, - wie entsteht aus diesem zunächst bestand- und sinnlosen Chaos der Sinnesdaten die Vorstellung eines Kosmos von unendlicher Ausdehnung in Zeit und Raum, darinnen es Dinge gibt, die Bestand und Geschehnisse, die einen Sinn haben?

Wer sich einmal dieser Frage genähert hat, - sie gehört zu den Kernfragen der Philosophie und ohne Stellung zu ihr ist alle begriffliche Spekulation nur müßige Dialektik - wer einmal den Sinn dieser Frage erfaßt hat, von dem sollte man meinen, daß er gegen die Irrwege des Empirismus für immer gefeit sei. Dem ist aber nicht so.
LITERATUR - Paul Stern, Grundprobleme der Philosophie I, Das Problem der Gegebenheit, Berlin 1903
    Anmerkungen
    1) Es sei mir gestattet, diesen Unterschied vorderhand undiskutiert beizubehalten; seine genauere Besprechung kann erst später erfolgen.
    2) GEORGE BERKELEY, Treatise on the Principles of Human Knowledge, Einleitung XII
    3) Wie z. B. CORNELIUS, Psychologie als Erfahrungswissenschaft, 1897, Seiten III und 3f
    4) Der Versuch, die Bildung dieser Einheiten auf Assoziation zurückzuführen, würde auch, wenn er gelänge, gegen den Unterschied nichts beweisen können, der hier zwischen den verschiedenen Stadien des Übergangs eines noch ungeordneten Inhalts zu Ordnung und Erkennbarkeit andeutungsweise gemacht ist. Daß der Begriff der Assoziation hier versagt, kann erst später erwiesen werden.
    5) Vgl. bereits BERKELEY, Treatise, Einleitung, besonders XXIV und XXV
    6) THEODOR LIPPS, Grundzüge der Logik, Hamburg und Leipzig, 1893
    7) Zum Beispiel Nr. 432 LIPPS, ebenda
    8) LIPPS, Grundzüge der Logik, Nr. 63
    9) HANS CORNELIUS, Psychologie als Erfahrungswissenschaft, Leipzig 1897, Seite 43
    10) Vgl. CORNELIUS' Aufsatz über Gestaltqualitäten, Ebbinghaussche Zeitschrift XXII, Seite 103 und 107 und ferner "Psychologie als Erfahrungswissenschaft", Seite 45, 46 "insofern nämlich Ähnlichkeiten nicht bloß zwischen einzelnen Teilinhalten, sondern ebenso auch zwischen Komplexen unmittelbar vorgefunden werden."
    11) Vgl. auch hier CORNELIUS, Psychologie als Erfahrungswissenschaft, Seite 66, wo von "unmittelbar wahrzunehmenden Ähnlichkeiten gegebener Inhalte" die Rede ist.
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