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HORST SCHWINN
Linguistisch begründete Sprachkritik

"Die Vertreter der linguistisch begründeten Sprachkritik differenzieren für die sprachkritische Analyse in der Auswahl der Kommunikationskonflikte nicht."

Als die Hauptvertreter dieser Form der Sprachkritik betrachte ich die Schüler von PETER von POLENZ, RAINER WIMMER und HANS-JÜRGEN HERINGER. Erste Publikationen zur Sprachkritik, ohne daß allerdings darin der Begriff der  Sprachkritik  erwähnt würde, sind in dem gemeinsamen Band "Einführung in die praktische Semantik" abgedruckt.

Inspiriert durch die aufgekommene Pragmatik, die Ideen der Sprechakttheorie und deren Weiterentwicklung, der Handlungstheorie in Verbindung mit Reflexionen über Vorstellungen einer falsch verstandenen Sprachkritik der 70er Jahre, war die Publikation ein Versuch, eine neue Form der sprachwissenschaftlichen Arbeit zu finden. Gesellschaftliche Veränderungen - auch im universitären Bereich - hatten es auch für die Linguistik nötig gemacht, über eine reine Strukturbetrachtung (für die Linguistik der Sprache) hinauszugehen. Die Zeichenbenutzer - und zwar nicht nur der rein abstrakte Zeichenproduzent und Zeichenrezipient im Sinne MORRIS - wurden für wissenschaftliche Untersuchungen relevant. Situationen, ganze Welten wurden beschrieben, um das Phänomen der Kommunikation besser in den Griff bekommen zu können. Die letzten Geheimnisse unserer kommunikativen Handlungen blieben jedoch auch den Sprachwissenschaftlern verborgen.

Sprachwissenschaft sollte bei aller Analyse objektiv bleiben, ohne jedoch rein sprachimmanente Textanalyse zu betreiben. Selbst bei der Analyse politischer Kommunikation wollten sich die Sprachwissenschaftler nicht vor einen parteipolitischen Karren spannen lassen. Jede Kritik an unserer Sprache oder deren Verwendung sollte wissenschaftlich begründet sein und nicht durch irgendwelche Kriterien (irr-)geleitet sein. Die oben erwähnten parteipolitischen Interessen waren für eine linguistisch fundierte Sprachkritik ebenso tabu wie es globale ideologische Strömungen sein sollten.

Sprachkritik sollte nicht Ideologiekritik bedeuten. Sprachkritik sollte weder philosophisch noch sollte sie normierend sein. Sprachkritik sollte weder journalistisch noch sollte sie moralisierend sein; sie sollte auch nicht schulmeisterliche Stilkritik sein. Sprachkritik soll sich auf sprachwissenschaftliche Erkenntnisse berufen können. Sprachwissenschaftliche Theorien über Syntax, Semantik und Pragmatik sollen in ihrer Gewichtung je nach Analyseobjekt für die sprachkritische Analyse herangezogen werden. Dieser Rückgriff auf sprachwissenschaftliche Theorie, ihre linguistische Fundierung, grenzt die linguistisch begründete von anderen Formen der Sprachkritik ab. Sprachkritik wird sprachwissenschaftlich fundiert, dadurch daß sie sich linguistischer Theorien bedient.

Diese Form der Sprachkritik wird von ihren Vertretern als "linguistisch begründete" Sprachkritik bezeichnet. Was ist nun das Neue, das Andere dieser besonderen Form der Sprachkritik? Linguisten haben sich als Sprachkritiker auf ihr linguistisches Handwerkzeug besonnen, nachdem sie feststellen mußten, daß es um eine linguistische Sprachkritik schlecht bestellt ist.

"Die germanistisch-linguistische Sprachkritik ist in keinem guten Zustand, weder theoretisch noch praktisch."
"Sprachkritik ist etwas für alle." Dieser Aussage HERINGERs nach sollte man die verschiedenen Formen der Sprachkritik zu den verschiedenen Zeiten nicht dahingehend falsch verstehen, daß jeder einzelne Wissenschaftler, sei er Philosoph, Politologe oder Linguist oder aber auch Journalist, nach Maßgabe seiner Forschungsbereiche oder seiner Interessen frei zwischen den einzelnen erwähnten Formen der Sprachkritik wählen sollte oder könnte. "Sprachkritik ist etwas für alle" soll so verstanden werden, daß jeder einzelne unserer Gesellschaft nach Maßgabe seiner sprachlichen Kompetenz Sprachkritik betreiben sollte. Nämlich dann, wenn er reflektiert mit seinem eigenen Sprachgebrauch umgehen kann.

Die sprachreflexive Kompetenz des einzelnen ist in seiner normalen Sprachkompetenz angelegt. Jeder kann in (seiner) Sprache über (seine) Sprache sprechen. Das Heraustreten aus der eigenen Sprache ermöglicht es, quasi mit Distanz, aber dennoch mit Sprache, das eigene sprachliche Verhalten zu kontrollieren. Wenn dem so ist, dann betreiben wir tatsächlich täglich Sprachkritik. Wer kennt nicht die alltägliche Situation, in der wir uns Gedanken darüber machen, was wir gerade gesagt haben, was wir vielleicht als nächstes sagen sollen und vor allem, wie wir es sagen sollen. Wir wollen ja schließlich verstanden werden.

Dieses reflektierende Betrachten des eigenen Sprachgebrauchs wäre eine "gemeine" Form der Sprachkritik, von welcher HERINGER sagt, sie sei etwas für alle. Damit ist jedoch immer noch nicht geklärt, was das Spezifische an einer linguistisch begründeten Sprachkritik ist. Denn, wenn wir von einer linguistisch begründeten Sprachkritik reden, meinen wir offensichtlich etwas anderes. Wenn Sprachkritik linguistisch begründet sein soll, dann sind wir Sprachwissenschaftler gefragt. Wir sollen unsere spezielle sprachwissenschaftliche Kompetenz einbringen, um kritisch etwas zu unserem und dem Sprachgebrauch der anderen sagen zu können.

Betreiben wir linguistisch begründete Sprachkritik nur für uns alleine, ist der Wissenschaft gedient. Betreiben wir linguistisch begründete Sprachkritik mit didaktischem Interesse als Lehrende, dann sind so hehre Ziele mit ihr verbunden, wie, zu der Freiheit des Lernenden beizutragen. Freiheit durch Aufklärung! Um durch Aufklärung die Freiheit des einzelnen zu fördern, müssen wir (als "linguistisch begründete Sprachkritiker") über die "gemeine" Sprachkritik hinausgehen, wir müssen - je nach Analyseobjekt - die verschiedensten linguistischen Theorien anwenden, um unsere Kritik an der Sprache wissenschaftlich belegen zu können.

Voraussetzung für eine linguistisch begründete Sprachkritik ist unsere normalsprachliche Kompetenz, mit Sprache über Sprache zu reden. Der Anspruch der linguistisch begründeten Sprachkritik ist es, durch reflektierten Sprachgebrauch den einzelnen im aufklärerischen Sinne zur Freiheit im Umgang mit Sprache zu erziehen. Eine größtmögliche Freiheit des einzelnen ist erreicht, wenn dessen Kommunikationsfähigkeit so weit verbessert ist, daß er in der Lage ist, selbst manipulativen Sprachgebrauch zu erkennen und analytisch zu durchdringen.

Aus diesem Grunde beschäftigt sich die linguistisch begründete Sprachkritik im wesentlichen mit politischem Sprachgebrauch. Diesem Teilbereich der menschlichen Kommunikation wird wohl allgemein am häufigsten manipulativer Sprachgebrauch zugesprochen. Von der selbstdeklarierten Legitimation der linguistisch begründeten Sprachkritik war schon die Rede: Nicht intuitive Vorstellungen über Sprachrichtigkeit oder ästhetische Ideale sind die mit der Kritik verbundenen Ansprüche der linguistisch begründeten Sprachkritik; ihre Ansprüche sind edel und gut: Sie will zum reflektierten Sprachgebrauch des Individuums anleiten.


Die Methodik der linguistisch begründeten Sprachkritik

Zunächst sind bisher grob der Anspruch und die Ziele der linguistisch begründeten Sprachkritik dargestellt. Darüber hinaus benötigt die linguistisch begründete Sprachkritik einen  Anlaß,  um wirksam werden zu können. Anlaß und Ausgangspunkt der linguistisch begründeten Sprachkritik ist der Normenkonflikt, welcher zum Kommunikationskonflikt geworden ist. Ein Normenkonflikt setzt Normen voraus (vorausgesetzt, daß es Normen gibt), womöglich unterschiedliche Normen, deren je eigener Versuch, sie durchzusetzen, zu einem Normenkonflikt werden kann.

Was haben nun Normen mit der Sprache, bzw. dem Sprechhandeln zu tun und darüber hinaus mit Sprachkritik? Spätestens seit LYONS wissen wir, daß die Sprachwissenschaft eine beschreibende und keine vorschreibende Wissenschaft ist. Trotzdem können wir nicht umhin, in der Sprache Gesetzmäßigkeiten festzustellen, Regeln, welche z.B. den Sprachgebrauch regeln, vorgeben, nach welchen Wortbildungsmustern einzelne Wörter in der jeweiligen Sprache gebildet werden können. Es existieren Regeln, die angeben, wie grammatikalisch korrekte Sätze einer jeweiligen Sprache gebildet werden müssen.

Halten wir also fest: Die Wissenschaft, die Sprache erforscht, die Sprachwissenschaft, will keine vorschreibende sein, sie formuliert die existierenden Regeln unserer Sprache. In unserem täglichen Sprechen und Schreiben wenden wir die unserer Sprache zugrundeliegenden Regeln permanent an. Das heißt aber nicht, daß uns alle diese Regeln auch immer bewußt sind. Nur im Zweifelsfall, d.h. bei einer Regelunsicherheit, reflektieren wir darüber und ziehen unter Umständen eine Grammatik oder ein Rechtschreibwörterbuch zu Rate. Die darin enthaltenen Regelformulierungen sollten uns Gewißheit geben. Im Normalfall aber befolgen wir die meisten Regeln unserer Sprache blind. D.h. wir sprachhandeln nach Regeln, welche uns im Moment des Handelns nicht bewußt sind. Nur in einem reflexiven Akt können wir sie unter Umständen benennen. Der größte Teil der "nicht-linguistischen" Sprachverwender wird die Regelformulierung der "blind" befolgten Regeln nicht reproduzieren können.


Regeln und Norm

Sprachliche Regeln sind alleine durch die Existenz unserer Sprache vorhanden. Sprache muß geregelt sein, damit wir eine ausreichend gemeinsame Basis für unsere Kommunikation besitzen. Regeln haben sich im Laufe der Zeit entwickelt und durch den regelrechten Gebrauch der Sprache (d.h. durch das Einhalten der Regeln) haben sie sich gefestigt. Regeln, auch Gebrauchsregeln, sind in einem hohen Maße konventionalisiert.

Stete Änderungen der Regeln schlagen sich im kontinuierlichen Sprachwandel nieder. Sprachwandel entsteht nicht intentional durch die einzelnen Sprecher und nicht evolutionär, sondern durch das unbewußte, aber letztlich kollektive Mißachten von alten und durch das Aufstellen von neuen Sprachregeln. Durch Sprachwandel entsteht das nicht ungewöhnliche Phänomen, daß verschiedene Varianten einzelner Sprachformen nebeneinander existieren, ohne daß man behaupten könnte, eine Variante sei regelrecht, die andere sei es nicht. Beide Varianten unterliegen je eigenen Regeln, die sich aus unterschiedlichen Voraussetzungen herausgebildet haben.

Anscheinend besteht jedoch innerhalb der Gruppe der Sprachverwender ein großes Bedürfnis nach Bewertungen unserer Sprache gemäß den Endpunkten einer richtig-falsch-Skala. Solch eine Beurteilung der Sprache entspricht einer Bewertung unter dem Gesichtspunkt der zweiwertigen Logik (tertium non datur). Entweder ist eine konkrete Sprachverwendung richtig, das sie normengerecht ist, oder sie ist falsch.

Wenn man nun dem Zwang einer Einteilung in richtig/falsch unterliegt, eine von verschiedenen (freien) Varianten favorisieren will, ist man dazu prädestiniert, Verfechter von Normen zu werden. Mit dem Setzen von Normen wählt man aus verschiedenen (Sprach-)Handlungsmöglichkeiten aus und legt fest, welche der Handlungsalternativen die künftig richtige sein soll. Dabei wird deutlich, daß man bei Normierungshandlungen auf Regelformulierungen zurückgreifen muß. Normen stützen sich auf Regelformulierungen. Mit Regelformulierungen kann man versuchen, Normen durchzusetzen, sie sind Grundlage für Normen.

In Regelformulierungen werden Regeln beschrieben, welche wiederum Handlungen regeln. Für verschiedene Handlungsmöglichkeiten muß es folglich verschiedene Regeln und auch deren Formulierungen geben. Regeln beschreiben das, was sein  kann,  Normen sind die Auswahl je einer alternativen Regel und sagen, was sein  soll.  Normen sind also immer gleichzeitig auch Regeln. Das Umgekehrte muß jedoch nicht der Fall sein: Nicht jede Regel ist auch eine Norm.

Wenn wir nun den Bogen zur linguistisch begründeten Sprachkritik schlagen wollen und uns erinnern, daß diese einen Beitrag zur Verbesserung der Freiheit des einzelnen leisten möchte und gleichzeitig mit von POLENZ argumentieren wollen, daß Sprachnormen ein "Mittel der Herrschaft von Menschen über Menschen" bedeuten, dann dürfte klarer werden, warum Sprachnormenkonflikte Anlaß für eine linguistisch begründete Sprachkritik sein können.


Normen und Normenkonflikte

Auch wenn Sprachnormen existieren, besteht noch keine Notwendigkeit dafür, daß auch Sprachnormenkonflikte existieren. In unserer Gesellschaft bestehen neben verschiedenerlei Regeln (nicht nur auf sprachlicher Ebene) unterschiedliche Normen, die sich auf unterschiedliche Regeln berufen, ohne daß es dadurch auch zu Normenkonflikten kommt. Eine Diskussion darüber, ob innerhalb unserer Gesellschaft für reibungslose Handlungsabläufe Normen und weitere Normierungen notwendig sind oder nicht, möchte ich an dieser Stelle nicht führen. Gehen wir davon aus, daß bestimmte (Sprach-)Handlungsabläufe Normen unterworfen sind. Hierbei können wir feststellen, daß uns bei einem Teil der Normen nicht bewußt ist, wer derjenige war, welcher die Norm gesetzt hat, daß wir diesen Normen oft ähnlich wie bestimmten Regeln, nämlich "blind" folgen.

"Nebensätze dürfen nicht mit  trotzdem , sie müssen mit  obwohl  eingeleitet werden."
Über diese Art von Normen werden in den seltensten Fällen Normenkonflikt entstehen. Und wenn sie entstehen, wird derjenige, welcher sich gegen die Normierung zur Wehr setzt, kaum eine Chance besitzen, Gehör zu finden. Eine solche Situation kann man sich in der Schule zwischen Lehrern und Schülern vorstellen. Diesem eher seltenen Fall eines Normenkonflikts gilt auch nicht das vordergründige Interesse der linguistisch begründeten Sprachkritik. Interessanter für die linguistisch begründete Sprachkritik sind Normenkonflikte, die aus unterschiedlichen Gebrauchsregeln / Verwendungsregeln einzelner Wörter und Wortverbindungen resultieren.

Gebrauchsregeln einzelner Wörter sind konventionell festgelegt. Sie sind teilweise in Wörterbüchern der Gegenwartssprache durch Gebrauchsbeispiele kodifiziert. Sie werden für die verschiedenen Sprachbeispiele festgelegt und regeln die jeweiligen Sprachspiele. Da die einzelnen Sprachspiele an je verschiedene Lebensformen gebunden sind, können, - bedingt durch unterschiedliche Lebensformen - die Gebrauchsweisen einzelner Wörter variieren. Sprich: Die Gebrauchsweisen einzelner Wörter unterscheiden sich, da die Lebensformen der einzelnen Sprachverwender mit annähernd gleicher Lebensform dazu veranlassen, zu versuchen,  ihre  Gebrauchsweise gegenüber anderen Sprechern durchzusetzen.

Damit ist der Grundstein für Normierungshandlungen gelegt. Von Normierungshandlungen im eben erwähnten zweiten Sinne kann also gesprochen werden, wenn verschiedene Gebrauchsregeln eines Wortes konkurrierend existieren. Man könnte sich als Sprachwissenschaftler, welcher mit diesem Problem konfrontiert wird, auf den Standpunkt zurückziehen, dies sei ein rein semantisches Problem, welches dadurch gelöst werden kann, daß man die Wörterbuchschreibung verbessert. Dieses Vorgehen sei dann relevant, wenn wir zu einem bestimmten Zeitpunkt feststellen, daß Bedeutungsalternativen zu einem Wort auftreten. Die lexikographische Dokumentation verschiedener Gebrauchsweisen als das alltägliche Geschäft des Lexikographen ist durchaus im Sinne einer linguistisch begründeten Sprachkritik. Dies aber erst dann, wenn die kritische Arbeit geleistet ist. Linguistisch begründete Sprachkritik setzt mit ihrer Analysearbeit schon früher an.

Linguistisch begründete Sprachkritik setzt dann an, wenn sich neue Gebrauchsregeln zu etablieren beginnen. Dann, wenn eine Verwendungsweise eines Ausdrucks favorisiert wird, wenn versucht wird, eine Verwendungsweise innerhalb unserer gesellschaftlichen Kommunikation gegenüber einer anderen Verwendungsweise durchzusetzen. Versuchen unterschiedliche Sprecher oder Sprechergruppen, jeweils ihre Gebrauchsregeln gegenüber dem anderen Sprecher, respektive der anderen Gruppe durchzusetzen, können Sprachnormenkonfliktler zwischen diesen beiden Parteien auftreten. Sprachnormenkonflikte äußern sich in der öffentlichen Kommunikation darin, daß die Auseinandersetzung um Sprachnormen so geführt werden, daß sie mittels der Medien die nicht direkt am Konflikt Beteiligten erreichen soll.

Die linguistisch begründete Sprachkritik versteht sich als Sprachnormenkritik und will konfliktlösend in Normenkonflikte eingreifen. Und zwar will sie dies insofern, als sie die Normenkonflikte sichtbar machen will. Sprachnormen einer Gruppe sollen innerhalb einer jeweils zu beschreibenden Kommunikation nicht zum Nachteil einer anderen Gruppe durchsetzbar sein.


Normenkonflikt und Kommunikationskonflikt

Sobald der Normenkonflikt den einzelnen Sprechern bewußt wird, wird er normalerweise zu keinem Kommunikationskonflikt führen. Normenkonflikte führen dann zu Kommunikationskonflikten, wenn unterschiedliche Gebrauchsregeln von Ausdrücken aufeinander stoßen und die einzelnen Konfliktparteien ihren Alleinvertretungsanspruch auf die Gebrauchsregeln nicht aufgeben wollen. Dies wäre ein Fall für die beabsichtigte Vertretung einer Regel mit dem Versuch, die eigene Regel durchzusetzen und zur Norm zu erheben. Der Kommunikationskonflikt wird hierbei billigend in Kauf genommen.

Unabsichtlich kann es zu Kommunikationskonflikten kommen, wenn den einzelnen Parteien der unterschiedliche Gebrauch von Ausdrücken nicht bewußt wird. Dann geht es nicht um die Propagierung der eigenen Gebrauchsregeln, der Kommunikationskonflikt basiert auf Verständigungsproblemen. In der konkreten Kommunikation findet meistens eine Vermischung dieser beiden voraussetzenden Formen für das Zustandekommen von Kommunikationskonflikten statt. Wie die Gewichtung der jeweiligen Form im konkreten Kommunikationsereignis aussieht, hängt davon ab, welchen Kommunikationsbereich bzw. Textsorte wir hinsichtlich der Betrachtung von Kommunikationskonflikten angehen wollen.

Die Vertreter der linguistisch begründeten Sprachkritik differenzieren für die sprach- kritische Analyse in der Auswahl der Kommunikationskonflikte nicht. Das bedeutet nicht, daß die Auswahl beliebig sein sollte, "relevante Situationen" sind das Auswahlkriterium. Nicht jede Kommunikationsform ist gleichermaßen konflikt- trächtig. Je größer die Konkurrenz der Kommunikationspartner ist, desto stärker wird der Versuch sein, eigene (Gebrauchs-) Regeln gegenüber dem anderen durch- zusetzen. Je kleiner die Konkurrenz und größer die Notwendigkeit der Kooperation, desto geringer wird der Versuch sein, eigene (Gebrauchs-) Regeln durchzu- setzen; und desto stärker ist die Bereitschaft, Normendiskussionen zu führen, um Kommunikationskonflikte zu vermeiden.

Durch Normenkonflikte hervorgerufene Kommunikationskonflikte sind eher ein kleineres Phänomen innerhalb unserer alltäglichen Kommunikation. Kommunikationskonflikte entstehen, ohne daß es zuvor zu Normenkonflikten gekommen sein muß. Freilich wird man Kommunikationskonflikte meistens auf unterschiedliche Gebrauchsweisen sprachlicher Einheiten zurückführen können (es sei denn, es handelt sich um ein "Rauschen" im Kommunikationskanal, welches allerdings ein akustisches Problem darstellt, oder es handelt sich um Mißverständnisse aufgrund von Privatsprachen). Kommunikationskonflikte, die auf Normenkonflikte zurückgehen, stellen eine Teilmenge aller möglichen Kommunikationskonflikte dar und sind gleichzeitig Teilmenge der Kommunikationskonflikte, die auf unterschiedlichen Gebrauchsregeln beruhen, ohne daß es zu einem Normenkonflikt gekommen ist oder gar zwangsweise kommen muß.

Kurzum: Die linguistisch begründete Sprachkritik will nur bei der kleinsten Teilmenge der Kommunikationskonflikte aktiv werden, nämlich dann, wenn ein Sprachnormenkonflikt zu einem Kommunikationskonflikt geworden ist.

Der öffentliche, durch Medien vermittelte Sprachgebrauch der Politik ist derjenige, bei welchem am häufigsten in "relevanten Situationen" (die öffentliche Politik ist immer relevant) mit auf Sprachnormenkonflikten beruhenden Kommunikationskonflikten gerechnet werden dürfte. Gesellschaftliche Konflikte und parteipolitische Kontroversen müssen in der Öffentlichkeit ausgetragen werden. Nicht zuletzt darum, weil Parteienpolitik Zustimmung in der öffentlichen Diskussion benötigt.

Es ist für die einzelnen politischen Parteien überlebenswichtig, Zustimmung für ihre parteispezifische Verwendungsform von brisanten Ausdrücken zu erhalten. Ob sich die Gebrauchsregeln für z.B. das Wort "Asylant" der CDU, der SPD oder der GRÜNEN in der Alltagskommunikation der Bevölkerung durchsetzt, ist zu einer machtpolitischen Frage geworden. Daß es über die unterschiedlichen Gebrauchsregeln Kommunikationskonflikte gibt, hat die politische Diskussion der letzten Zeit eindringlich gezeigt. Wegen der erhöhten Relevanz der Kommunikationskonflikte im Bereich des Politischen hat sich die linguistisch begründete Sprachkritik besonders dem Kommunikationsbereich der öffentlichen politischen Rede angenommen.


Vorgehensweise der linguistisch begründeten Sprachkritik

Methodisch schlägt WIMMER folgende Vorgehensweise vor:

  1. Kennzeichnung der auftretenden bzw. zum Ausdruck kommenden Kommunikationsschwierigkeiten oder Kommunikationskonflikte;

  2. Bestimmung der Ziele der Relevanz einer sprachkritischen Analyse;

  3. Kennzeichnung der im Hinblick auf (i) sprachlich wichtigen Punkte, die dementsprechend im Zentrum der linguistischen Analyse stehen müssen;

  4. linguistische, meist semantische bzw. praktisch-semantische Analyse der nach (iii) herausgehobenen sprachlichen Phänomene;

  5. linguistisch-sprachkritische Bewertung der Kommunikationskonflikte bzw. Texte auf der Grundlage der nach (iv) gelieferten Analyse und im Hinblick auf die gemäß (i) kommunikativ relevanten Erscheinungen.
Kommentiert wird diese sprachkritische Methodik von WIMMER kaum. Er erwähnt, daß die Punkte (i) und (ii) zur "Klärung des Ansatzpunktes bzw. des Anlasses für eine sprachkritische Betrachtung bezüglich bestimmter kommunikativer Ereignisse" dienen. Sie sind die Begründung für die "sprachkritischen Eingriffe". Mit den Punkten (iii) und (iv) schafft sich WIMMER die Legitimationsbasis für eine linguistisch begründete Sprachkritik und grenzt sich damit von anderen Formen der Sprachkritik ab.
LITERATUR - Horst Schwinn, Linguistische Sprachkritik, Heidelberg 1997
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