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HEINRICH RICKERT
Zur Theorie der
naturwissenschaftlichen Begriffsbildung

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"Die Wortbedeutung, so wie sie im natürlichen Verlauf entstanden ist, kann nur in wenigen Fällen vollkommen den logischen Zweck des Begriffes erfüllen. Da ihr Inhalt bei dem Versuch, ihn zu vergegenwärtigen, stets eine anschauliche Mannigfaltigkeit sein wird und aus dieser der Inhalt des Begriffs nicht mit der nötigen Bestimmtheit hervortritt, wir also nicht genau wissen, was wir aus der unendlichen Fülle in unsere Erkenntnis aufzunehmen haben, so muß das Bedürfnis entstehen, auch diese anschauliche Mannigfaltigkeit zu vereinfachen, d. h. aus ihr die wesentlichen Bestandteile des Begriffes ausdrücklich herauszuheben."

"Der logische Begriff erweist sich als eine besondere Art des Urteils. Schon in seiner primitivsten Form, als Bestandteil des einfachsten ausdrücklich vollzogenen Urteils, gibt er die zum Urteilen überhaupt notwendige Klassifikation. Da auch die Klassifikation der Mannigfaltigkeit, die wir bei einer sogenannten Beschreibung vornehmen, fast immer schon eine Theorie voraussetzt, so enthält der Begriff neben dem ausdrücklichen Urteilsakt, dessen Bestandteil er bildet, selbst implizit wenigstens  ein  zweites Urteil und allerdings durchaus nicht immer bemerkt. Das bloße Faktum, so meint man, soll er vertreten, aber das einzelne Faktum geht als solches in die Urteile, welche Tatsachen konstatieren, nicht ein. Für die Naturwissenschaft jedenfalls gilt also das Wort Goethes:  Das Höchste wäre zu begreifen, daß alles Faktische schon Theorie ist." 

"Vorstellungen  sind,  Urteile  gelten.  Wir kennen keine allgemeinen Dinge mehr neben oder in den einzelnen. Das Allgemeine  ist  daher für uns nicht, wohl aber  gilt  es, das heißt, wir wollen, wenn wir uns recht verstehen, nicht Dinge erkennen, sondern jene unbedingt allgemeinen Urteile vollziehen, in denen wir das auffassen, was wir die die r beherrschenden Gesetze nennen. Für uns ist das Ding nur ein bestimmtes Stadium eines gesetzmäßigen Vorganges, die Einzeldinge interessieren uns in der Naturwissenschaft nur insofern, als sie Ausdruck eines allgemeinen, immer gültigen Verhaltens sind."

"Der Auflösung des Dings in die notwendigen Beziehungen, in denen seine Eigenschaften zueinander stehen, entspricht die Auflösung des Begriffs in Urteile."

IV.

Das Ergebnis der bisherigen Untersuchung können wir so zusammenfassen. Wir haben den Begriff als das Mittel betrachtet, mit dem der endliche Geist die unendliche Mannigfaltigkeit der Körperwelt zu überwinden und damit die Wirklichkeit in seine Urteile aufzunehmen vermag. Nicht in der Allgemeinheit, auch nicht in der Bestimmtheit, sondern hierin sehen wir das logische Wesen wenigstens des naturwissenschaftlichen Begriffs. Die Bestimmmungen, welche ihm sonst noch zukommen, sind nur als notwendige Mittel zur Erreichung dieses Zwecks zu verstehen.

Drei verschiedene Stadien können wir unterscheiden, in denen die Begriffe in immer höherem Maße ihrer Aufgabe gerecht werden. Das erste Stadium des Begriffes fällt, als psychologisches Gebilde betrachtet, vollkommen mit der im natürlichen Verlauf unseres Geisteslebens entstandenen Wortbedeutung zusammen. Was an dieser Wortbedeutung für uns in Frage kommt, ist ihre (empirische)  Allgemeinheit,  aber einen logischen Wert und damit ein Recht auf den Namen "Begriff" erhält sie erst durch den wissenschaftlichen Zusammenhang, in den sie gebracht wird.

Wir sahen sodann, daß die Wortbedeutung nur in wenigen Fällen, so wie sie im natürlichen Verlauf entstanden ist, vollkommen den logischen Zweck des Begriffes erfüllen kann. Da ihr Inhalt bei dem Versuch, ihn zu vergegenwärtigen, stets eine anschauliche Mannigfaltigkeit sein wird und aus dieser der Inhalt des Begriffs nicht mit der nötigen Bestimmtheit hervortritt, wir also nicht genau wissen, was wir aus der unendlichen Fülle in unsere Erkenntnis aufzunehmen haben, so muß das Bedürfnis entstehen, auch diese anschauliche Mannigfaltigkeit zu vereinfachen, d. h. aus ihr die wesentlichen Bestandteile des Begriffes ausdrücklich herauszuheben. Die so geforderte  Bestimmtheit,  die im zweiten Stadium des Begriffs neben die Allgemeinheit als zweite Eigenschaft hinzutritt, kann nur durch eine Anzahl von Aussagen zustande kommen. Es ensteht dadurch ein Gebilde, das sich psychologisch zwar von der natürlichen Wortbedeutung unterscheidet, das aber unter logischen Gesichtspunkten ebenso wie die zu wissenschaftlichen Zwecken verwendete unbestimmte Wortbedeutung den Namen "Begriff" führen muß, weil, auf seine Leistung hin angesehen, es nur eine höhere Stufe der ersten Leistung des Begriffes darstellt. Können wir nämlich mit den logisch unbearbeiteten Wortbedeutungen nur die Glieder einer Mannigfaltigkeit sicher zusammenfassen, die untereinander eine weitgehende anschauliche Ähnlichkeit besitzen, so ermöglichen die Begriffe der zweiten Stufe eine Ordnung und Vereinfachung jeder übersehbaren anschaulichen Mannigfaltigkeit.

Das dritte Stadium des Begriffes endlich vollendet die in den beiden vorangegangenen begonnene Arbeit. Die Begriffsbestimmung faßt hier eine Anzahl  zusammengehöriger  Elemente zusammen und bahnt damit eine Art der Begriffsbildung an, die schließlich zu Begriffen führen vermag, welche unbedingt allgemeine Urteile oder Naturgesetze enthalten. Dadurch wird es möglich, nicht nur eine übersehbare Mannigfaltigkeit zu vereinfachen, sondern eine Ordnung der Welt zu schaffen, welche die unendliche Fülle der Gestaltungen umfaßt und damit die Überwindung der unendlichen Mannigfaltigkeit vollendet. Der vollkommene Begriff muß nicht nur das einer übersehbaren Anzahl von Anschauungen Gemeinsame und dieses Gemeinsame bestimmt enthalten, sondern er muß außerdem auch unbedingt allgemeine Geltung besitzen.

Insofern, als das Wissen von unbedingt allgemeinen Urteilen als letztes Ziel aller naturwissenschaftlichen Forschung zugrunde liegt und ihr die Richtung gibt, sind die beiden ersten Stadien der Begriffsbildung nur als Vorstufen zur dritten zu betrachten. Die drei Stadien sind daher auch nicht prinzipiell, sondern nur graduell voneinander verschieden, d. h. es enthalten auch die beiden ersten, wenn sie wissenschaftlichen Wert haben, wenigstens im ersten Ansatz schon das, was sich im dritten Stadium ausdrücklich entfaltet. Wir haben bereits gesehen, daß jede klassifikatorische Begriffsbildung unbedingt allgemeine Urteile vorbereitet und daß auch der Begriff im ersten Stadium nicht prinzipiell vom vollkommenen Begriff verschieden ist, kann man sich ebenfalls leicht klar machen. Schon den unwillkürlich entstandenen Wortbedeutungen kommt, wenn sie logisch verwertet werden, eine gewisse Bestimmtheit zu, denn wir nennen ja die Wortbedeutungen nur dann Begriffe, wenn eine logische Verwendung möglich ist. Diese würde aber nirgends möglich sein, wenn die Unbestimmtheit der Wortbedeutung grenzenlos wäre. Sodann wird man finden, daß beider Verwendung der bloßen Wortbedeutungen auch schon die Tendenz vorhanden sein sollte, Zusammengehöriges zu umfassen. Man wird daher sagen dürfen, daß auch in  den  Begriffen schon der Ansatz zu einem Urteil steckt, in denen es noch nicht einmal zu einer ausdrücklichen prädikativen Zerlegung ihres Inhalts gekommen ist, die also noch nicht einmal die Form eines Urteils gewonnen haben.

Daß alles logische Denken Urteilen sei, ist eine uns längst geläufige Ansicht. Auch der logische Begriff erweist sich uns hier als eine besondere Art des Urteils. Schon in seiner primitivsten Form, als Bestandteil des einfachsten ausdrücklich vollzogenen Urteils, gibt er die zum Urteilen überhaupt notwendige Klassifikation. Da auch die Klassifikation der Mannigfaltigkeit, die wir bei einer sogenannten Beschreibung vornehmen, fast immer schon eine Theorie voraussetzt, so enthält der Begriff neben dem ausdrücklichen Urteilsakt, dessen Bestandteil er bildet, selbst implizit wenigstens  ein  zweites Urteil und allerdings durchaus nicht immer bemerkt. Das bloße Faktum, so meint man, soll er vertreten, aber das einzelne Faktum geht als solches, wie wir gesehen haben, auch in die Urteile, welche Tatsachen konstatieren, nicht ein. Für die Naturwissenschaft jedenfalls gilt also das Wort GOETHEs: "Das Höchste wäre zu begreifen, daß alles Faktische schon Theorie ist."

Wenn die Wissenschaftslehre so im Gegensatz zur traditionalen Auffassung, die im Begriff eine Vorstellung sieht, Urteilsakt als sein eigentliches Wesen betrachtet, so tut sie damit im Grunde nichts anderes, als daß sie die Auffassung der modernen Wissenschaft zum Ausdruck bringt, im Gegensatz zur antiken Auffassung, auf deren Boden die traditionelle Logik erwachsen ist. Wie die Begriffslehre beschaffen war, die SOKRATES vortrug, werden wir mit absoluter Sicherheit schwerlich feststellen könen. Für die Zukunft entscheidend war die Wendung, die PLATOs Ideenlehre dem Nachdenken über logische Fragen gab. ARISTOTELES ist in dieser Hinsicht von PLATO durchaus abhängig. (17) Die absolute Wirklichkeit als Gegenstand der Erkenntnis war für PLATO eine Welt von allgemeinen und zugleich anschaulichen Gestaltungen; die Ideen waren  allgemeine Dinge.  Mochte man nun diese Dinge mehr transzendent oder mehr immanent auffassen, das Ziel des Erkennens konnte nur darin bestehen, die Urbilder in anschaulichen Vorstellungen zu reproduzieren. Auch für ARISTOTELES ist der Gegenstand der Erkenntnis ein Ding. Die Begriffe mußten dementsprechen, um ihren Zweck zu erfüllen, bildartige, anschauliche, jedenfalls vorstellungsmäßige Gebilde sein. Ganz gewiß ist es daher unrichtig, wenn LOTZE in einem der tiefsinnigsten Kapitel seiner Logik die Platonische Idee als das interpretiert, was im Gegensatz zu dem gilt, was ist. Gerade dieser Gedanke ist vielmehr völlig unplatonisch. Die Ideen sind die Wirklichkeit.

Umso wertvoller dagegen ist die LOTZEsche Unterscheidung zwischen Sein und Gelten für eine Wissenschaftslehre, in der die Tendenzen der modernen Naturwissenschaft, wie sie sich seit den Zeiten der Renaissance entwickelt hat, zum Ausdruck kommen sollen. Vorstellungen  sind,  Urteile  gelten.  Wir kennen keine allgemeinen Dinge mehr neben oder in den einzelnen. Das Allgemeine  ist  daher für uns nicht, wohl aber  gilt  es, das heißt, wir wollen, wenn wir uns recht verstehen, nicht Dinge erkennen, sondern jene unbedingt allgemeinen Urteile vollziehen, in denen wir das auffassen, was wir die die Natur beherrschenden Gesetze nennen. Für uns ist das Ding nur ein bestimmtes Stadium eines gesetzmäßigen Vorganges, die Einzeldinge interessieren uns in der Naturwissenschaft nur insofern, als sie Ausdruck eines allgemeinen, immer gültigen Verhaltens sind. Unsere naturwissenschaftlichen Begriffe müssen dementsprechend etwas anderes sein, als die antiken. Sie können nicht mehr vorstellungsmäßige Abbilder von Dingen, sondern nur das Wissen von Gesetzen oder wenigstens die Vorstufen zu einem solchen Wissen enthalten. Jedes Wissen aber ist ein Urteil. Nur so kommt dem Begriff eine wesentliche Bedeutung im modernen naturwissenschaftlichen Erkenntnisprozeß zu.

Und nicht nur die Tendenz der modernen Naturwissenschaft, Gesetze zu erkennen, rechtfertigt unsere Umbidlung der herkömmlichen Begriffstheorie, sondern sie steht auch im Zusammenhang mit den Gedanken, die, von KANT ausgehend, unseren modernen erkenntnistheoretischen oder metaphysischen Bestrebungen, trotz manches Widerspruchs im Einzelnen, im Ganzen doch das charakteristische Gepräge verleihen. Es ist bekannt, daß in der zweiten Auflage seiner Vernunftkritik KANT den Satz geschrieben hat, die Logik hat seit ARISTOTELES keinen Schritt rückwärts tun dürfen. Es ist ebenso bekannt, daß durch das Werk, in dem dieser Satz steht, eine Bewegung eingeleitet wurde, welche die Logik des ARISTOTELES in ihren wesentlichen Grundlagen erschütterte. Die von KANT angebahnte Zerstörung des Dingbegriffs, wie er im naiven Bewußtsein herrscht und herrschen wird, ist es, die hier für uns in Frage kommt. Ein Ding, das für die naive Metaphysik eine Eigenschaft tragende Substanz ist, wurde für KANT zu einer Regel der Vorstellungsverbindungen. (18) Die Regeln der Vorstellungsverbindung sind dementsprechen der Gegenstand unserer Erkenntnis. Es ist von vornherein klar, daß wir uns diese Regeln niemals durch abbildende anschauliche Vorstellungen, sondern nur durch Urteile zu Bewußtsein bringen können, die angeben, wie die Vorstellungen zusammengehören. Der Auflösung des Dings in die notwendigen Beziehungen, in denen seine Eigenschaften zueinander stehen, entspricht die Auflösung des Begriffs in Urteile. Erkenntniswert können diese Urteil natürlich nur haben, wenn sie wirklich Urteile, d. h. wenn sie wahr sind. So gliedert sich unsere Begriffstheorie leicht in einen größeren Zusammenhang ein.

Immer noch besteht aber für unsere Auffassung eine bisher fast unbeachtete Schwierigkeit. SIGWART hat sie gegenüber unserer schon früher unter anderen Gesichtspunkten vertretenen Anschauung, daß der Begriff aus Urteilen bestehe, hervorgehoben. (19) Soviel Richtiges darin liege, daß der Begriff als Vereinigungspunkt von Urteilen zu fassen sei, so gehe doch die Theorie zu weit. Was sollen, wenn jeder Begriff nur ein Komplex von Urteilen ist, die Subjekte und Prädikate dieser Urteile sein? Mögen auch für die wissenschaftliche Bearbeitung anstelle der Merkmale der unmittelbaren Anschauung Kausalgesetze treten, so müssen diese Gesetze doch von irgendetwas gelten. Zugegeben, daß der Begriff der Gravitation z. B. identisch ist mit dem Gravitationsgesetz, so ist er es nur darum, weil er ein Relationsbegriff ist, kein Dingbegriff. Unsere Theorie würde danach nur für die Relationsbegriffe gelten. Die Dingbegriffe können niemals zu logisch vollkommenen Begriffen in unserem Sinn gemacht werden.

Daß dieser Entwurf berechtigt ist, muß zugegeben werden. Wir haben ihn bereits gestreift, als wir darauf hinwiesen, daß jede Begriffsbestimmung immer nur mit unbestimmten Elementen vorgenommen werden kann, daß also jeder Begriff aus Elementen besteht, die nicht selbst wieder logisch vollkommene Begriffe sind. Schon aus dem damals Ausgeführten können wir sehen, daß eine vollständige Auflösung der Anschauung auch nur in die Form von Urteilen unmöglich erscheint. Jetzt, wo es sich nicht nur um die Form, sondern auch um den logischen Gehalt der Begriffe handelt, tritt diese Schwierigkeit von Neuem auf. Wir können im Anschluß an das früher Gesagte dem Einwurf SIGWARTs noch eine allgemeinere Formulierung geben. Die Schwierigkeit, auf die wir stoßen, läuft der bei der bloß formalen Bestimmung sich ergebenden vollkommen parallel. Dinge sind anschaulich. Die Begriffe von ihnen sind daher die im ersten Stadium des Begriffs durch Anschauungen vertretenen Wortbedeutungen. Lösen wir nun die anschaulichen Dinge in die Beziehungen auf, in denen ihre Teile zueinander stehen und verwandeln dementsprechend die Wortbedeutungen in Urteile, die die Elemente des Begriffs angeben, so brauchen wir dazu wiederum Begriffe von anschaulichen Dingen und so scheinen wir auch in diesem Zusammenhang vor die Aufgabe gestellt, eine unendliche Reihe von immer neuen Begriffsbildungen zu vollziehen. Wir werden die Dinge nicht los und mit ihnen auch die empirische Anschauung nicht, die wir überwinden wollen.

Indem wir jedoch den Einwand so formulieren, sin dwir aufgrund unserer früheren Ausführungen bereits auf dem Weg, ihn zu widerlegen oder ihm wenigsten eine Bedeutung für unsere Theorie abzusprechen. Gewiß ist der Begriff des Dinges für die Wissenschaft unentbehrlich. Wir müssen die gegebene Mannigfaltigkeit in Dinge mit ihren Eigenschaften gliedern oder genauer, wir würden an eine wissenschaftliche Bearbeitung der Welt gar nicht gehen können, wenn sie sich uns nicht in dieser Gliederung darböte. Andererseits aber hat gerade die Naturwissenschaft die Tendenz, die starren, festen Dinge immer mehr aufzulösen und sie als nach Gesetzen entstehende und vergehende Vorgänge zu begreifen und das heißt nichts anderes, als die Dingbegriffe immer mehr in Relationsbegriffe umzuwandeln. Eine solche Umwandlung ist zwar auf sehr vielen Wissenschaftsgebieten heute noch vollkommen unmöglich. Alle Wissenschaften z. B., die es mit Organismen zu tun haben, bleiben bei einer Fülle von Dingbegriffen als dem Letzten stehen, aber die Logik hat keinen Grund, diesen Zustand als einen endgültigen anzusehen. Er wird vielmehr zweifellos als eine Unvollkommenheit empfunden, ja man kann geradezu sagen, je mehr Dingbegriffe eine Wissenschaft benutzen muß, desto weiter ist sie von dem Ziel entfernt, dem jede Naturwissenschaft zustrebt: der Einsicht in den kausalen Zusammenhang. Die Naturwissenschaft drängt, wie wir auch sagen können, die Dingbegriffe soweit wie möglich zurück. Es ist daher kein Einwand gegen unsere Begriffstheorie, daß nach ihr der logische Begriff ein Relationsbegriff sein oder einen solchen vorbereiten müsse.

Erinnern wir uns wieder jener Anordnung der einzelnen Zweige der Naturwissenschaft, bei der wir von Wissenschaften, die hauptsächlich mit unbestimmten Wortbedeutungen arbeiten, zu solchen aufsteigen, bei denen die unbestimmten Wortbedeutungen immer mehr zurücktreten und, wie wir jetzt sagen können, durch Relationsbegriffe ersetzt werden. Die Dingbegriffe der einen Wissenschaft übernimmt eine andere, um sie in Relationsbegriffe umzuwandeln. Denken wir z. B. an die heute vorhandene Tendenz, das gesamte körperliche Sein und Geschehen als Mechanismus zu begreifen. Wäre dieses Ziel erreicht, so würde die Wissenschaft fast nur noch mit Relationsbegriffen arbeiten. In der Tat, Gesetzesbegriffe müssen immer Relationsbegriffe sein, aber Relationsbegriffe sich auch die vollkommensten Begriffe und wir behalten daher das Recht, alle naturwissenschaftliche Begriffsbildung unter dem Gesichtspunkt zu betrachten, daß sie die Bildung von Relationsbegriffen zumindest vorbereitet. Was in ihr noch an Dingbegriffen übrig bleibt, das hängt mit jenem vielleicht niemals ganz zu überwindenden Rest empirischer Anschauung zusammen, der uns schon einmal begegnete, als es sich um die Bestimmtheit der Begriffe handelte. Dingbegriffe, so können wir auch sagen, sin in den meisten Fällen naturwissenschaftliche Probleme. Relationsbegriffe bahnen die Lösung dieser Probleme an und wenn sie Gesetze enthalten, so sind sie Problemlösungen. Daß auch die letzten Begriffe immer ein Etwas brauchen, von dem sie gelten, ist richtig und ob dieses Etwas jemals ein Relationsbegriff werden kann, mag zweifelhaft sein. Aber es ist auch hier wieder nur ein Grenzfall, um den es sich handelt. Unsere Theorie der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung bleibt, wie es sich mit jenem letzten Etwas auch verhalten möge, im Allgemeinen dadurch unberührt.
LITERATUR - Heinrich Rickert, Zur Theorie der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd XVIII, Heft 3, Leipzig 1894
    Anmerkungen
    17) Vgl. WINDELBAND, Geschichte der alten Philosophie, 2. Auflage, München 1894, Seite 149
    18) Die außerordentlich große Tragweite gerade dieses KANTschen Gedankens hat niemand überzeugender dargestellt als WINDELBAND. Vgl. besonders seine "Präludien", Seite 112f
    19) Vgl. Göttingische gelehrte Anzeigen 1890, Nr. 2, Seite 54f