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HEINRICH RICKERT
Psychophysische Kausalität und
psychophysischer Parallelismus

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"Wir müssen vielmehr daran festhalten, daß Körperwissenschaft und Psychologie  Spezialwissenschaften  sind, die nur durch eine Trennung der Qualitäten von den Quantitäten zustande kommen, daß diese Trennung ferner lediglich stets miteinander verbunden sind und daß daher die im Interesse der Spezialforschung notwendig einseitigen physikalischen und psychologischen Begriffsbildungen ihre Geltung verlieren müssen, sobald der Versuch gemacht wird, die begriffliche Isolierung von Elementen bedeutet, die faktisch stets miteinander verbunden sind und daß daher die im Interesse der Spezialforschung notwendig einseitigen physikalischen und psychologischen Begriffsbildungen ihre Geltung verlieren müssen, sobald der Versuch gemacht wird, die begriffliche Isolierung aufzuheben und die Gesamtwirklichkeit als ein einheitliches Ganzes zu verstehen. Haben wir durch unsere Definitionen Rätsel in die Welt gebracht, so können wir sie nur dadurch lösen, daß wir die Produkte dieser Definitionen als das erkennen, was sie sind, nämlich als von uns zu  besonderen  Erkenntniszwecken geschaffene Begriffe und daß wir diese Begriffe auf  die  Gebiete beschränken, für die allein sie gebildet sind. Mit dem Quantifizierten wieder zusammendenken, was als Rest ausgeschieden werden mußte, um den Begriff des Quantitativen bilden zu können, das Kunststück wird keine Theorie der Welt fertig bringen, gleichviel ob sie dabei den Begriff der Kausalität oder des Parallelismus zu Hilfe nimmt."

III.

Gibt es denn nun aber überhaupt keine Möglichkeit, den Zusammenhang von Körper und Geist zu begreifen und muß hier etwa die Wissenschaft ein "Welträtsel" konstatieren ähnlich dem, das du BOIS-REYMOND für unser Verständnis des Verhältnisses von Atombewegung und Empfindung behauptet hat? Falls die Annahmen, von denen wir ausgegangen sind, nämlich die einer totalen Unvergleichbarkeit des Physischen und des Psychischen mit Rücksicht auf Inhalt und Seinsart, sowie die Auffassung des Kausalverhältnisses als einer Kausalgleichung, in jedem Sinn richtig sein sollten, wären wir in der Tat mit unserem Denken am Ende. Aber ebenso wie das Welträtsel von du BOIS-REYMOND durch eine erkenntnistheoretische Erwägung beseitigt werden kann, die sich bereits in der ersten Auflage von KANTs Vernunftkritik findet (1), so brauchen wir uns auch hier nur erkenntnistheoretischen Überlegungen zuzuwenden, um zu sehen, daß nicht ein unlösbares Problem vorliegt, sondern daß die Voraussetzungen, die zu diesem Problem führen, unhaltbar sind und das ganze Rätsel lediglich auf einer falschen Fragestellung beruth.

Wir sind vor die Aufgabe gestellt, die physische und die psychische Welt in einem einheitlichen Begriff zu denken. Hat es einen Sinn, dabei von  dem  Begriff des Physischen auszugehen, zu dem die mechanische Naturauffassung gekommen ist? Machen wir uns das Erkenntnisprinzip dieser Auffassung klar. Die Naturwissenschaft muß sich die Aufgabe stellen, die unübersehbare empirische Mannigfaltigkeit der Welt als Ganzes in ein übersehbares System von Begriffen zu bringen und wenn sie sich dabei auf die Totalität der Körperwelt, insofern diese in den Raum erfüllendes Objekt ist, beschränkt, so gelingt das am vollkommensten durch ein Begriffssystem, in dem alle qualitative und unübersehbare Vielheit in eine quantitative und daher übersehbare aufgelöst wird und es entsteht infolgedessen die Vorstellung einfacher Dinge, aus denen alle Körper bestehen und deren einzige Veränderung Ortsveränderung oder Bewegung ist. Durch diesen wissenschaftlichen Prozeß bleibt alle qualitative Mannigfaltigkeit als der im mechanischen Sinne unbegreifliche  Rest  der Wirklichkeit zurück. Dieser Rest kann dann selbst wieder einer begrifflichen Bearbeitung unterzogen werden, die ihn in ein übersehbares System zu bringen hat, die aber natürlich in anderer als quantifizierender Richtung vorgenommen werden muß und man kann hierin die Aufgabe der Psychologie erblicken.

Unter dieser Voraussetzung muß es von vornherein als ein vollkommen sinnloses Unternehmen erscheinen, mit dem körperlichen Sein und Geschehen als einer Begriffswelt, welche der Tendenz zur Quantifizierung und der damit notwendig verbundenen Ausscheidung alles Quantitativen ihr Dasein verdankt,  das  wieder in einen einheitlichen begrifflichen Zusammenhang zu bringen, was man im Gegensatz zum Quantitativen als das Qualitative  definiert  hat, nämlich das Psychische. Die im Interesse der mechanischen Auffassung notwendige Quantifizierung muß vielmehr ebenso notwendig die Welt in zwei einander begrifflich ausschließende Gebiete spalten, in die quantitative Mannigfaltigkeit auf der einen, die qualitative auf der anderen Seite und hat man diese logische Notwendigkeit verstanden, so ist klar, daß das Problem der psychophysischen Kausalität lediglich den Begriffen entspringt, die wir selbst gebildet haben und daß seine Unlösbarkeit nichts als das von vornherein in der mechanischen Körperauffassung angelegte Ergebnis unseres Denkens ist.

Soll das aber etwa heißen, daß die mechanische Auffassung falsch sei? Gewiß nicht. Die Bedeutung dieser Begriffsbildung als Begriffsbildung kann gar nicht in Frage gestellt werden. Im Gegenteil, der Tendenz zur Quantifizierung verdankt die Naturwissenschaft ihre größten Erfolge und ein rein quantitativ bestimmter Körperbegriff läßt sich als Ideal für eine allgmeine naturwissenschaftliche Theorie der Körperwelt sogar logisch begründen. Man hat auch unbedingt das Recht, für die quantifizierbaren Elemente der Wirklichkeit den Namen des Physischen und für den nicht quantifizierbaren Rest den Namen des Psychischen zu verwenden und diese beiden Gebiete zu besonderer Behandlung an zwei verschiedene Wissenschaften zu verteilen. Aber eine ganz andere Frage ist die, ob man die Produkte der Begriffsbildungen auch als für sich bestehende Realitäten ansehen und sie mit dem identifizieren darf, was wir als Körper und Geist unmittelbar erleben. Diese Frage ist schon aus dem Grund zu verneinen, weil wir dadurch die Welt als Ganzes unbegreiflich machen.

Wir müssen vielmehr daran festhalten, daß Körperwissenschaft und Psychologie  Spezialwissenschaften  sind, die nur durch eine Trennung der Qualitäten von den Quantitäten zustande kommen, daß diese Trennung ferner lediglich stets miteinander verbunden sind und daß daher die im Interesse der Spezialforschung notwendig einseitigen physikalischen und psychologischen Begriffsbildungen ihre Geltung verlieren müssen, sobald der Versuch gemacht wird, die begriffliche Isolierung von Elementen bedeutet, die faktisch stets miteinander verbunden sind und daß daher die im Interesse der Spezialforschung notwendig einseitigen physikalischen und psychologischen Begriffsbildungen ihre Geltung verlieren müssen, sobald der Versuch gemacht wird, die begriffliche Isolierung aufzuheben und die Gesamtwirklichkeit als ein einheitliches Ganzes zu verstehen. Haben wir durch unsere Definitionen Rätsel in die Welt gebracht, so können wir sie nur dadurch lösen, daß wir die Produkte dieser Definitionen als das erkennen, was sie sind, nämlich als von uns zu  besonderen  Erkenntniszwecken geschaffene Begriffe und daß wir diese Begriffe auf  die  Gebiete beschränken, für die allein sie gebildet sind. Mit dem Quantifizierten wieder zusammendenken, was als Rest ausgeschieden werden mußte, um den Begriff des Quantitativen bilden zu können, das Kunststück wird keine Theorie der Welt fertig bringen, gleichviel ob sie dabei den Begriff der Kausalität oder des Parallelismus zu Hilfe nimmt. Wir stoßen hier auf eine im Wesen unseres Denkens begründete prinzipielle  Grenze der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung  und nicht auf ein Welträtsel. Weil die Naturwissenschaft die unmittelbare Wirklichkeit in zwei verschiedene Richtungen, als Körperwissenschaft und als Psychologie, bearbeiten muß, kann sie aus den sich daraus ergebenden einander ausschließenden Denkprodukten nicht wieder eine Einheit herstellen wollen.


IV.

Aus dieser Überlegung geht nun jedenfalls hervor, daß, wenn wir zu einer befriedigenden Auffassung des Verhältnisses der physischen und der psychischen Vorgänge zueinander kommen wollen, ein anderer  Ausgangspunkt  als die mechanische Theorie der Körperwelt gewählt werden muß, und dieser Ausgangspunkt kann zunächst nichts anderes als eine Besinnung auf das unmittelbar Erfahrende, Erlebte, Gegebene oder wie man sich sonst ausdrücken mag, sein, denn vom Standpunkt der Erfahrung, mit der ja auch nach Kant alle unsere Erkenntnis anhebt, sind wenigstens die Hindernisse hinwegzuräumen, die einer durchführbaren Theorie im Weg stehen. Es sollte von vornherein klar sein, daß wenn man das unmittelbar erfahrene Seelenleben mit  der  Körperwelt vergleicht, wie sie sich erst als Produkt einer begrifflichen Bearbeitung darstellt, man sich selbst die Möglichkeit einer Lösung des psychophysischen Problems abgeschnitten hat.

Freilich begegnet uns nun gerade auf dem Standpunkt des unmittelbaren Erlebens eine Schwierigkeit, die uns sofort wieder zur Annahme völliger Unvergleichbarkeit von Körperlichem und Geistigem zu führen scheint. Als Resultat der Besinnung auf das unmittelbar Gegebene wird nämlich vielfach der Satz angesehen, daß alle empirische Wirklichkeit "Bewußtseinsinhalt" und daher psychisch sei und dieses Ergebnis scheint wieder die Lehre von der unmittelbaren Realität des Seelischen und der Phänomenalität der Körperwelt einzuschließen. Einer näheren Untersuchung jedoch hält diese spiritualistische Deutung des erkenntnistheoretischen Satzes der Immanenz nicht Stand. Die Welt ist nicht Inhalt des Bewußtseins, wenn "Bewußtsein" so viel wie das individuelle Seelenleben bedeutet, sondern Bewußtsein ist ein rein erkenntnistheoretischer Begriff, für den wir besser immanentes, unmittelbares Sein setzen. Das Wort  psychisch  verliert ja seinen Sinn, den es nur im Gegensatz zum Physischen hat, sobald es zur Bezeichnung  aller  empirischen Wirklichkeit werden soll. Die bloße Bezeichnung ist für sich natürlich weder wahr noch falsch, aber es wird durch sie lediglich der Name, nichts an der Sache geändert und diese Umbildung der Terminologie ist wenig zweckmäßig. Man behält nach wie vor in der empirischen Wirklichkeit jenen Unterschied ihrer Bestandteile, der zu einer Teilung in die zwei üblicherweies Körper und Geist genannten Gebiete führt, und dieser sachliche Unterschied kann durch keine erkenntnistheoretische Besinnung, so wichtig diese auch für andere Probleme sein mag, aufgehoben werden. Daher erscheint es zweckmäßiger, auch den Namen der Körperwelt für  den  Teil des immanenten Seins beizubehalten, den jeder Körper nennt und zu dem Farbe, Härte, Temperatur, wenigstens auf dem Standpunkt der unmittelbaren Erfahrung, ebenso gehört, wie Gestalt und Bewegung. Die Annahme, daß Physisches und Psychisches von vornherein als phänomenales und reales Sein unterschieden werden müßten, ist ein Dogma, das durch den erkenntnistheoretischen Satz des Bewußtseins so wenig begründet werden kann, daß es vielmehr durch ihn beseitigt wird.

Es würde dieses Dogma nicht so weit verbreitet sein, wenn es nicht durch die quantifizierende Theorie der Naturwissenschaft seine Bestätigung zu erhalten schiene und ferner hiermit die Ergebnisse der Physiologie der Sinnesorgane sich nicht scheinbar in Harmonie befänden. Das Licht, der Schall, die Wärme, so meint man, sei nicht nur nach den Lehren der Physik im Grunde Atombewegung, sondern auch die Physiologie zeige, daß erst durch die Sinnesorgane und ihre "spezifische Energie" Licht, Ton, Wärme entstehe und hiermit stimme also die philosophische Besinnung, daß alles unmittelbar reale Körperliche nur "meine Vorstellung" ist, genau überein.

Zunächst ist dem gegenüber zu bemerken, daß für den philosophischen Standpunkt der Immanenz Bewegung und Licht, also Quantitatives und Qualitatives vollkommen gleich phänomenal oder eventuell real ist und daß also die mechanische Körperauffassung und die Lehre von der spezifischen Energie der Sinnesorgane, aus dem man sogar ein "Gesetz" gemacht hat, mit der erkenntnistheoretischen Idealismus gar nicht zusammenfallen. Sodann aber ist der physiologische Idealismus, der die Welt der Qualitäten erst durch die Sinnesorgane entstehen läßt, wieder eine in der Spezialwissenschaft unschädliche, ja relativ berechtigte Interpretation der Tatsachen, als allgemeines ontologisches Prinzip dagegen eine völlig undurchführbare Annahme. Die Physiologie kann wohl zeigen, daß ohne Vermittlung der Sinnesorgane und ihrer spezifischen Struktur die äußeren Reize nicht bis zum Gehirn des Menschen gelangen und dort Zustände hervorrufen würden, die man als notwendige Bedingungen für die Wahrnehmung der betreffenden besonderen Sinnesqualitäten hält, aber diese Sinnesorgane setzt man dabei immer bereits voraus als  quantitativ  bestimmte Körper, wie sie nur in der Erfahrung gegeben sind. Als qualitätslose Atomkomplexe besitzen sie keine der Eigenschaften, aus denen ihre Fähigkeit und Unentbehrlichkeit zur Vermittlung der äußeren Reize einleuchtete und sie würden erst anderer Sinnesorgane bedürfen, um durch die Wirkung auf diese zum dem zu werden, als was wir sie kennen. Das gäber aber einen sinnlosen regressus in infinitum [Teufelskreis - wp], der wieder nur vermieden werden kann, wenn wir uns davor hüten, naturwissenschaftliche Begriffsbildungen zu metaphysischen Realitäten zu hypostasieren [einem Gedanken gegenständliche Realität unterschieben - wp] und dadurch die Welt als Ganzes mit lauter Rätseln zu bevölkern. Wir lassen also alle diese Theorien beiseite und reflektieren zunächst nur auf die gegebene Körperwelt, ebenso wie wir das Psychische in seiner Unmittelbarkeit nehmen, und sofort ist mit dieser notwendigen erkenntnistheoretischen Koordination der beiden Teile der Wirklichkeit auch die totale Unvergleichbarkeit mit Rücksicht auf ihren Inhalt verschwunden. Ja, das Körperlich und das Geistige sind jetzt zum Teil einander inhaltlich so wenig unvergleichbar, daß es uns vielmehr schwer wird, die Grenze zwischen den beiden Gebieten scharf zu ziehen. Gewisse Teile des Vorgefundenen, wie Bewegung und Gestalt, rechnen wir allein der Körperwelt zu. Andere wie Gefühle, Leidenschaften, Willensakte betrachten wir ausschließlich als seelisch. Eine dritte Klasse von Objekten dagegen können wir sowohl dem einen als auch dem anderen Gebiet zurechnen, d. h. sie sind dadurch charakterisiert, daß genau derselben Inhalt nicht nur als physisch, sondern auch als psychisch anzusehen ist. Wir gewinnen also den Begriff einer ursprünglich  einheitlich psychophysischen Welt  und dieses unmittelbare Erlebnis bleibt als empirische Wirklichkeit unangetastet bestehen, welche Theorien auch immer wir bilden mögen, durch die wir die Welt in zwei prinzipiell unvergleichbare Teile spalten.

Damit sind die in den Begriffen des Physischen und Psychischen steckenden Voraussetzungen, welche nicht nur die psychophysische Kausalität, sondern auch den psychophysischen Parallelismus ausschlossen, für den Standpunkt der unmittelbaren Erfahrung aufgehoben. Freilich wäre damit wenig gewonnen, wenn nun  jede  wissenschaftliche Theorie von dieser Einheit des Qualitativen und Quantitativen immer absehen und die beiden Bestandteile stets prinzipiell von einander trennen müßte, um zu brauchbaren wissenschaftlichen Abstraktionen zu kommen. Das ist jedoch so wenig der Fall, daß sogar viele Zweige der Naturwissenschaft von der Körperwelt, wie Chemie und Biologie, mit Begriffen arbeiten, die zum großen Teil aus qualitativen Elementen bestehen. Auch dieses Wissenschaften halten somit an einem Körperbegriff fest, wie er sich aus der Reflexion auf das unmittelbar Vorgefundene ergibt, d. h. am Begriff von etwas, das weder mit Rücksicht auf seine Seinsart, noch seinen Inhalt dem Psychischen unvergleichbar ist. Auch ist es nicht etwa möglich, diese Begriffsbildungen nur als vorläufige anzusehen, die mit dem Fortschritt der Wissenschaft verschwinden und durch rein quantitativ bestimmte Produkte ersetzt werden könnten. Solange es vielmehr Biologie und Chemie gibt, werden diese Wissenschaften es auch mit Qualitäten zu tun haben und keine denkbare Vollendung der allgemeinsten Körpertheorie kann diese qualitativen Begriffe aufheben. (2) Wenn also nicht einmal eine jede naturwissenschaftliche Bearbeitung der Körperwelt zu einer prinzipiellen Ausscheidung des Qualitativen führt, so schließt der Begriff des Psychischen als solcher bloß wegen seines qualitativen Charakters gewiß eine Verbindung mit der Körperwelt nicht aus.

Ob diese Verbindung nun auch eine  kausale  sein kann, ist damit allerdings noch nicht entschieden, sondern das wird erst eine Prüfung des Kausalitätsbegriffs uns sagen und wir suchen nun daher auch das, was sich für den Begriff des Wirkens auf dem Standpunkt der unmittelbaren Erfahrung ergibt, wenigstens soweit festzustellen, als nötig ist, um über die Richtigkeit der früher gemachten Voraussetzung ein Urteil zu gewinnen. Die Notwendigkeit des Kausalzusammenhangs wird, wie wir sahen, mit der des Naturgesetzes identifiziert. Ist es möglich, den sich daraus ergebenden Begriff der Kausalität als den allein gültigen zu betrachten? Gesetzesbegriffe sind, wie alle Begriffe der Naturwissenschaft,  allgemein,  und da wir niemals Allgemeines, sondern immer nur Besonderes und Individuelles unmittelbar erleben, so muß sich auch das ursprüngliche Erlebnis, das wir Wirken nennen, vom Inhalt eines Kausalgesetzes ebenso unterscheiden, wie irgend ein anderes individuelles Erlebnis vom Inhalt des Allgemeinbegriffs, unter den es gebracht wird. Sowohl das allgemeine Kausal prinzip,  d. h. der Satz, daß  alles  Geschehen seine Ursache hat, als auch jedes allgemeine Kausalgesetz, ein Begriff, den wir sorgfältig von dem des allgemeinen Kausalprinzips unterscheiden müssen (3), setzt  individuelles Wirken  voraus, das, was es auch sein mag, mehr als bloße Sukzession sein muß, denn es wäre sonst erstens der Zusammenhang eines individuellen körperlichen mit einem individuellen geistigen Vorgang wieder kein Problem und ferner wäre auch nicht recht einzusehen, wie sonst die Begriffe des allgemeinen Kausalprinzips und irgendeines Kausalgesetzes mehr als Sukzession enthalten sollten: das eine dehnt ja nur den Begriff der individuellen Kausalität über alle Wirklichkeit aus und im andern wird das einer Vielheit von individuellen Kausalitätsverhältnissen Gemeinsame zusammengefaßt. Beide Begriffe würden also ohne die Voraussetzung individueller Kausalverbindungen, die mehr als Sukzession bedeuten, nicht gedacht werden können.

Halten wir nun an diesen Unterschieden, insbesondere an dem von allgemeinem Naturgesetz und individueller Kausalität fest, so ergibt sich sogleich, daß, weil das Besondere immer mehr enthält, als das Allgemeine, auch jede Wirklichkeit, die wir Wirken nennen, mehr enthalten muß, als das Gesetz, unter das sie fällt. Daraus aber folgt, daß die Existenz eines kausalen Einflusses eines individuellen Dings auf ein anderes individuelles Ding niemals allein deswegen bestritten werden kann, weil der betreffende Vorgang in einen durch eine Kausalgleichung ausgedrückten allgemeinen Gesetzesbegriff nicht eingehen will. Der metaphysische "Begriffsrealismus", der freilich häufig gerade dort zu einer unvertilgbaren Denkgewohnheit geworden ist, wo man sich von metaphysischen Ideen am meisten frei glaubt, nämlich in der Naturwissenschaft, sollte auf die Dauer doch nicht die Tatsache verkennen lassen, daß alle Wirklichkeit in ihrer Besonderheit und Individualität unendlich viel reicher ist, als der Inhalt der naturwissenschaftlichen Allgemeinbegriffe, in denen wir sie denken und daß dies daher auch von jedem wirklichen individuellen Wirken gelten muß.

Für uns kommt nun hier vor allem das Verhältnis des individuellen Wirkens zu  dem  Kausalitätsbegriff in Betracht, der vom Begriff einer Kausalgleichung abstrahiert ist und sobald wir fragen, wie der Gedanke einer Gleichheit von Ursache und Wirkung sich zur Wirklichkeit verhält, die wir erleben, zeigt es sich sofort, daß in der Erfahrungswelt der Ursache genannte Vorgang stets etwas hervorbringt, was sich von ihm unterscheidet, ja vorher überhaupt noch nicht da war. Von Äquivalenz ist also hier nichts zu finden und das gilt nicht etwa nur, wenn wir einen physischen mit einem psychischen Vorgang kausal verbunden denken, sondern ebenso, wenn wir zwei empirisch gegebene physische oder zwei psychische Ereignisse als Ursache und Wirkung miteinander verknüpfen. Soll nun etwa die Vorstellung einer solchen Ungleichheit, die uns jeder besondere individuelle Vorgang des Wirkens zeigt, gänzlich durch  den  Kausalbegriff verdrängt werden, der die Möglichkeit einer Kausalgleichung voraussetzt? Von der Beantwortung dieser Frage hängt es offenbar ab, ob die psychophysische Kausalität von vornherein abzulehnen ist oder nicht.

Vergegenwärtigen wir uns zunächst die Bedingungen, die erfüllt sind, wo der Begriff der Kausalgleichung anstelle des Kausalverhältnisses tritt und die wir in der Welt des reinen Mechanismus vorfinden. Allem Geschehen kann hier ein Komplex von Atomen substituiert werden, dessen Veränderungen sich durchweg in den Begriffen von quantitativ bestimmten und somit meßbaren Relationen ausdrücken lassen und das  Maß  ist dann auf beiden Seiten des Kausalverhältnisses gleich zu setzen. Das ist deswegen möglich, weil alle Wirkung hier zur Bewegungsübertragung wird und deshalb der Effekt eigentlich nichts anderes darstellt, als die in der Ursache vorhandene Bewegung an einem anderen Ort. Ursache und Effekt gleichen also hier einander in der Tat vollkommen und der Satz causa aequat effectum [Ursache gleich Wirkung - wp] gilt für diese Welt absolut. Aber zugleich entsteht in dieser Welt auch niemals etwas Neues. Die Atome sind ewig dieselben und lediglich die potentielle oder aktuelle Bewegung geht von dem einen ihrer Komplexe auf den anderen über. Wenn Wirkung Veränderung voraussetzt, so wirken die Dinge selbst hier nicht mehr, sondern alles Wirken ist in die Relationsveränderungen der Dinge verlegt.

Ist nun dieser Begriff der Kausalität auch für eine andere als die rein quantitative Welt der mechanischen Naturauffassung anwendbar, d. h. kann man von einer Kausalgleichung zwischen zwei qualitativen Vorgängen reden? Der Gedanke der Gleichheit hat einen Sinn, wenn er entweder soviel bedeutet, wie vollkommene, bzw. teilweise Identität oder wenn er der Ausdruck für ein gemeinsames Maß in zwei Vorgängen ist. Eine dritte Bedeutung aber kann man dem Wort Gleichheit nicht beilegen. So nennen wir erstens z. B. zwei aufeinander folgende Töne gleich, wenn sie mit Rücksicht auf die Tonhöhe oder die Klangfarbe oder die Dauer oder auch in jeder Hinsicht, mit Ausnahme ihrer Stelle in der Zeit, nicht zu unterscheiden, also inhaltlich identisch sind und ferner ist z. B. die Winkelsumme in einem Dreieck als gleich zwei rechten Winkeln zu bezeichnen, weil ein bestimmtes Quantum im einen so oft vorkommt, wie im anderen. Diese zweite Art der Gleichheit, die keine inhaltliche Identität voraussetzt, gibt es aber  nur  für rein quantitativ zu bestimmende Gebilde, denn verschiedene Qualitäten lassen sich durch ein gemeinsames Maß nicht direkt messen und daraus folgt, daß überall, wo Ursache und Wirkung weder als inhaltlich identisch, noch als rein quantitativ bestimmbare Größen dargestellt werden können, es auch keinen Sinn hat, von einer Gleichheit der Ursache mit dem Effekt zu sprechen. Sollte der Begriff der Kausalität nur dort zulässig sein, wo sich ein Zusammenhang im Prinzip durch eine Kausalgleichung ausdrücken läßt, so würde das bedeuten, daß der Begriff des Wirkens auf eine andere als eine in rein quantitativ bestimmten Begriffen darstellbare Welt überhaupt nicht angewendet werden kann.

Hieraus aber ergibt sich, daß die Forderung einer Äquivalenz von Ursache und Effekt nicht durchzuführen ist, ohne den Begriff des Wirkens aus allen Wissenschaften, mit Ausnahme der rein mechanischen, zu streichen. Denn alle diese Wissenschaften arbeiten, wie wir gesehen haben, mit qualitativer Veränderung und diese dürfte dann in keiner Hinsicht als Ursache oder als Effekt gelten. Das aber kann niemand im Ernst sagen wollen. Es ließe sich viel eher,  wenn  die Wahl zwischen dem Kausalbegriff als einer Gleichung oder einer Ungleichung getroffen werden sollte, der Begriff der Kausalgleichung verwerfen und dem rein mechanischen Geschehen, auf das er allein angewendet werden kann, das Wirken absprechen, weil es hier keine wirkenden Dinge sondern nur eine Ortsveränderung begrifflicher Abstraktionen gibt. Wollen wir das nicht, so müssen wir zwischen zwei verschiedenen Arten von Kausalität unterscheiden, d. h. neben dem mechanischen Begriff an dem einer Ursache festhalten, die mit ihrem Effekt weder identisch ist, noch ihm quantitativ gleichgesetzt werden kann, sondern etwas Neues hervorbringt und dieser Begriff des Wirkens kommt dann für den Zusammenhang physischer und psychischer Vorgänge in Frage.

Kurz: causa aequat effectum gilt nur für eine begriffliche Welt und zwar nicht einmal für das Begriffssystem, in welches das Psychische einzugehen vermag, sondern ganz ausschließlich für die rein quantitative Begriffswelt der Mechanik. Wo Seelenleben auf Seelenleben wirken soll und wo wir überhaupt irgendwelche empirischen, also qualitativen Wirklichkeiten miteinander kausal verbinden, da gibt es nur Kausalungleichungen. Wir können diesen Begriff also nicht beseitigen, solange wir Qualitäten als Wirklichkeiten betrachten, die ihre Ursache haben und wirken können. Die Alleinherrschaft des mechanischen Kausalbegriffs wäre nur mit der Metaphysik des Materialismus vereinbar. Damit ist aber auch die zweite, dem Begriff der Kausalität entnommene Voraussetzung beseitigt, welche zur Verwerfung der psychophysischen Kausalität geführt hatte und die Gründe, welche zum universellen metaphysischen Parallelismus zu zwingen schienen, sind alle hinfällig geworden.


V.

Nur bis zu diesem negativen Resultat wollte ich den Gedankengang entwickeln. In positiver Hinsicht ist das Ergebnis gering und um Mißverständnissen vorzubeugen, sei ausdrücklich hervorgehoben, daß der Begriff des Wirkens, den wir benutzt haben, um wenigstens die Möglichkeit psychophysischer Kausalität aufzuzeigen, in hohem Maße unbestimmt ist und uns nicht gestattet, mit seiner Hilfe in wissenschaftlicher Weise einen Vorgang als Ursache und einen anderen als Effekt aus der unübersehbaren Mannigfaltigkeit der empirischen Wirklichkeit eindeutig herauszuheben, wie das durch die Aufstellung von Kausalgleichungen geschieht. Wir haben nur versucht, von der naturwissenschaftlichen Begriffswelt wieder zum unmittelbaren Leben zurückzukehren und wir wollten damit lediglich das Feld frei machen für eine andere als mechanische Auffassung des Kausalverhältnisses. Es genügt, wenn sich ergeben hat, daß der kausalen Verknüpfung eines qualitativ bestimmten Körpers mit einem psychischen Sein nicht prinzipiell andere Schwierigkeiten entgegenstehen, als der kausalen Verknüpfung zweier qualitativ bestimmter Körper oder zweier psychischer Prozesse miteinander. Die Entstehung einer farbigen aus zwei farblosen Flüssigkeiten oder das durch eine Vorstellung bewirkte Auftauchen einer anderen nach den sogenannten Assoziationsgesetzen bietet dann nichts dar, das weniger unbegreiflich wäre als die Bewegung des Arms durch den Willen oder die Entstehung des Schrecks durch einen Schuß. Die Frage ist nur die, ob wir ein logisches Interesse daran haben, nicht nur die Kausalverhältnisse in den beiden ersten Fällen, sondern auch in den beiden letzten begrifflich zu fixieren und wenn ja, wie dies zu geschehen hat.

Diese Frage hier zu beantworten, liegt jedoch nicht mehr in meiner Absicht und nur ein kurzer Hinweis auf die allgemeine Tendenz dieser Ausführungen sei noch versucht, um über die Richtung keinen Zweifel zu lassen, in welcher die Ergänzung der aufgezeigten Einseitigkeiten liegen muß. Erfreulicherweise nimmt ja die Einsicht, wie völlig unzureichend die Produkte der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung für eine allseitige philosophische Weltauffassung sind, immer mehr zu. Aber nicht immer scheinen die Bemühungen zur Überwindung der Einseitigkeiten den richtigen Punkt zu treffen. Man klagt die unmittelbar gegebene Wirklichkeit als unbefriedigend an und strebt zur vollen Realität als einem Transzendenten, das nur dem Denken erreichbar ist. Über die Berechtigung solcher Versuche zu entscheiden, ist hier nicht der Ort, sondern das allein sei hier bemerkt, daß die Philosophie, ehe sie nach dem Transzendenten strebt, vor allem erst einmal den vollen Wirklichkeitsgehalt der unmittelbar gegebenen Erfahrung wieder zur Geltung bringen sollte, den sie nur deswegen der Dürftigkeit anklagen kann, weil sie ihn vielfach mit dem zu besonderen Erkenntniszwecken gebildeten dünnen Netz von begrifflichen Abstraktionen der Naturwissenschaft verwechselt und darüber das vergißt, was uns jeder Augenblick des Lebens an unbezweifelbarer Realität aufdrängt. In einer solchen Lage tut uns, wenigstens zunächst, ein Empirismus und Positivismus not, der freilich mit dem, was die "naturwissenschaftliche Weltanschauung" darunter versteht, nichts zu tun hat, sondern der uns vielmehr zu Bewußtsein bringen soll, wie unendlich die Wirklichkeit an Reichtum alle naturwissenschaftlichen Theorien überragt.

Allerdings: wir können niemals beim Gegebenen bleiben und die volle Realität der Erfahrung auch in keine Erkenntnis aufnehmen, sondern wir müssen sie stets durch unser Denken umformen und bearbeiten, so daß auch der umfassendste Empirismus nur eine Vorstufe bedeutet. Aber wir sollten in der Philosophie nicht nur nach allgemeinen Weltbegriffen streben, sondern auch für die Gesichtspunkte Verständnis gewinnen, mit denen die Erfahrungswissenschaften und vor allem die eigentliche  Wirklichklichkeitswissenschaft,  d. h. die Geschichte, an die Welt herantreten. Es ist dies gerade auch für unser Problem von entscheidender Bedeutung, insofern sich vom Standpunkt der Geschichtswissenschaft die  Möglichkeit  einer anderen als der mechanischen Kausalauffassung und einer psychophysischen Kausalität in eine  Notwendigkeit  verwandelt.

Was zunächst den Kausalbegriff im Allgemeinen betrifft, so kann es zwar niemald die Aufgabe der Geschichte sein, Kausal gesetze  zu suchen, weil sie es, so sehr auch geschichtsfremde, naturalistische Modetheorien das Gegenteil behaupten, mit der einmaligen besonderen Entwicklung der Dinge und nicht mit allgemeinen unveränderlichen Abstraktionen zu tun hat, aber das allgemeine Kausalitäts prinzip,  d. h. der Gedanke des kausalen Zusammenhangs aller individuellen Ereignisse, bleibt gerade für die Wirklichkeitswissenschaft unentbehrlich. Wie jedoch sollte sie ihre einmaligen Entwicklungsreihen in Kausalgleichungen bringen, da Entwicklung doch immer das Entstehen von etwas neuem bedeutet? Es ist klar: Die Entwicklungsgeschichte, die eine kausale Bestimmtheit allen Geschehens voraussetzt, hat es notwendig überall mit Kausalungleichungen zu tun.

Ferner kommt für die historischen Wissenschaften in erster Linie der Kulturmensch in Betracht, der sich Zwecke setzt und in der Welt wirken will und deshalb ist auch der Begriff eines psychophysischen Zusammenhangs so wenig wie der einer Kausalungleichung zu entbehren. In der geistigen Welt wirken wir ja nur durch Vermittlung von Körpern, die daher  auch  Objekt der Geschichte sind, insofern sie in ihrer Eigenart als Mittel bedeutsam werden und es ist sogar ein körperlicher Effekt immer das nächste Ziel unseres Strebens. Die Geschichtswissenschaft muß daher nicht nur überhaupt einen notwendigen Zusammenhang zwischen dem individuellen Willensentschluß und dem individuellen körperlichen Resultat annehmen, weil ohne ihn alles Handeln seinen Sinn verlieren würde, sondern dieses psychophysische Zusammenhang kann auch nur ein direkt kausaler sein, weil, selbst wenn der Parallelismus im Allgemeinen begrifflich durchführbar wäre, er die besondere, historische psychophysische Kausalität niemals ersetzen könnte. Für die Geschichte kommt sowohl die Ursache als auch die Wirkung nur in ihrer besonderen und individuellen Gestalt in Betracht und der Parallelismus wandelt immer entweder die Ursache oder den Effekt in ein, seiner individuellen Gestaltung nach, völlig unbekanntes und somit nur in begrifflicher Abstraktion schematisch zu denkendes Gebilde um, für das die Geschichte sich gar nicht mehr interessiert.

Aus alledem ergibt sich nicht nur die Trennung des individuellen historischen Wirkens von der mechanischen Kausalität, sondern auch die begriffliche Fixierung psychophysischer Kausalverhältnisse als unvermeidliche Aufgabe einer Wissenschaftslehre, die sich nicht auf die mechanische Naturwissenschaft beschränkt.
LITERATUR - Heinrich Rickert, Psychophysische Kausalität und psychophysischer Parallelismus, Festschrift für Christoph Sigwart, Tübingen 1900
    Anmerkungen
    1) Vgl. dazu ALOIS RIEHL, Der philosophische Kritizismus II, 2, Seite 184f
    2) Die logischen Gründe hierfür habe ich in meinen "Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung", Seite 118 und Seite 264f anzugeben versucht.
    3) Diese Unterscheidung wird vielfach nicht gemacht und dann entsteht die Identifizierung des Gedankens, daß alles Geschehen seine Ursache habe, mit dem, daß  alles  gesetzmäßig sei, eine Verwechslung zweier Begriff, die zu folgenschweren Irrtümern Veranlassung geben kann. Das Kausalprinzip ist auch nicht etwa das  allgemeinste  Kausalgesetz - worin dieses besteht, wissen wir bis jetzt wenigstens nicht - und es sollte daher auch nicht "das Kausalgesetz" genannt werden.