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HEINRICH RICKERT
Vom Anfang der Philosophie
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"Wir suchen nach dem denkbar umfassendsten Begriff des unmittelbar Gegebenen und wissen, daß dieses Wort seinen Sinn verliert, wenn nicht ein Ich oder Subjekt vorausgesetzt wird, dem das Unmittelbare gegeben ist. Das vorausgesetzte Ich darf aber nicht die eigene Person oder das Selbst sein, weil alles, was zu ihm in der Beziehung des Gegebenseins steht, einen zu partikularen Charakter trägt, um als universales Minimum zu gelten. Es kommt also darauf an, den Begriff des Subjekts oder Ich als der unentbehrlichen Voraussetzung so zu fassen, daß wir dabei von der eigenen Person oder dem Selbstbewußtsein loskommen. Wir suchen mit anderen Worten nach einem  allgemeinen  Ich, da nur dieses als Bezugspunkt für eine umfassende Welt des unmittelbar Gegebenen brauchbar ist."

"Goethe selbst wußte genau:  Für Philosophie im eigentlichen Sinn hatte ich kein Organ.  Der Philosoph im  eigentlichen,  d. h. wissenschaftlichen Sinn, wird es ohne ein solches Organ nicht  weit bringen.  Er muß gerade über das Denken denken, damit er versteht, was im wissenschaftlichen Denken auf Anschauung beruth, und was nur gedacht, also nicht angeschaut wird. Dann wird er den Unterschied von Schauen und Denken auch so fassen: das Schauen läßt sich nicht schauen, aber das Denken läßt sich denken, weil man  darüber  denken kann. Insofern reicht in der Wissenschaft das Denken weiter als das Schauen. Es ist dem Schauen  übergeordnet,  und damit erweist sich die Lehre von der grundlegenden Bedeutung der  Anschauung  entweder als zweideutig, solange man die Doppelseitigkeit dieses Begriffs nicht ausdrücklich hervorhebt, oder falls man damit Ernst macht, alles nur schauen zu wollen, kommt man zu einem in sich widersinnigen Gedanken."

IV.
Gemeinschaftsbewußtsein und Inhaltsbewußtsein

Welchen Weg aber werden wir dann einschlagen, um zu  dem  Ich zu kommen, das wir zur Bestimmung einer neuen Ich-Welt brauchen, die so weit ist, daß in ihr auch das unmittelbar gewisse Du Platz findet?

Fassen wir das Resultat noch einmal zusammen. Der Solipsismus ist ein Unbegriff, d. h. ein logisch unvollziehbarer Gedanke. Ein "einziges" Selbst als Ganzes ist eine  contradictio in adjecto  [Widerspruch in sich - wp]. Das Selbstbewußtsein kann lediglich ein  Teil  des Ganzen sein, das wir suchen, denn das individuelle Ich oder die eigene Person ist nur als  sozialer  Begriff denkbar. Das Selbstbewußtsein muß daher zum  Gemeinschaftsbewußtsein  erweitert werden, falls wir nicht bei ihm als einem Gedankenfragment stehen bleiben wollen, und das kann nicht unsere Absicht sein, wo der Anfang des Systems in Frage steht. Wir dürfen nie vergessen: nicht ein Stück, sondern ein Ganzes brauchen wir. Daraus scheint sich zu ergeben, daß falls wir überhaupt das Ich als Ausgangspunkt beibehalten wollen, wir das System mit dem Gemeinschaftsbewußtsein zu beginnen haben. Was notwendig zu ihm gehört, wäre dann als das unmittelbar Gewisse zu bezeichnen, und die ganze übrige Welt bliebe problematisch. Kommen wir damit zu einem brauchbaren ersten Glied des Systems?

Die Frage, ob auf diese Weise die kritische Forderung erfüllt wird, brauchen wir nicht zu stellen, d. h. es kann unerörtert bleiben, ob der Inhalt der Ich-Du-Korrelation das Gebiet des unmittelbar Gegebenen nicht transzendiert. Uns interessiert jetzt die universale Forderung, d. h. die Frage, ob das Gemeinschaftsbewußtsein in Wahrheit das Ganze des unmittelbar Gegebenen zu umfassen vermag. Dabei nehmen wir dieses Bewußtsein so weit wie möglich, denken also das eigene Ich im Zusammenhang mit allen Wesen, die ihm als Du-Persönlichkeiten gegenübertreten können. Das bedeutet im Prinzip keinen neuen Schritt über das bisher Gesagte hinaus, und unter den so gewonnenen Begriff fällt dann gewiß ein sehr großer Teil der unmittelbar gewissen Welt. Ja, es läßt sich nicht leugnen, daß ein solches Gemeinschaftsbewußtsein für einige Gebiete der Philosophie den Rahmen abgeben kann, über den hinauszugehen keine Veranlassung besteht. Es umschließt die soziale Welt der Persönlichkeiten, in der wir selbst als Persönlichkeit leben, und auf die sich weitaus das meiste in unserem Wollen und Handeln bezieht. Die "praktische Philosophie" könnte damit also vielleicht beginnen.

Auch die Philosophie überhaupt, die von vornherein daran denkt, daß sie universale Wissenschaft im weitesten Sinne ist? Die Antwort darauf ist einfach. Wir haben eine Fülle von unmittelbar gegebenen Bewußtseinsinhalten, die sich nicht auf Personen und ihr Verhältnis zueinander beziehen, und damit sinkt auch der Inhalt des zum Gemeinschaftsbewußtsein erweiterten Selbstbewußtseins zu einem  partikularen  Gebilde im Umkreis des unmittelbar Gegebenen herab. Wir würden uns noch immer auf einen zu engen Kreis beschränken, wenn wir versuchten, die Welt des Unmittelbaren in ihrer Totalität vom Gemeinschaftsbewußtsein her begrifflich zu bestimmen. Dazu eignet es sich im Prinzip nicht besser als das Bewußtsein des Selbst. Für eine wahrhaft umfassende Philosophie wird die Ich-Du-Relation auch in der denkbar weitesten Form zu einer  speziellen  Angelegenheit.

Dieser Umstand muß uns daran zweifeln lassen, ob das Ich als Selbst im Anfang der Philosophie noch eine maßgebende Rolle spielen darf. Schon jetzt sollte einleuchten: in der scheinbar so selbstverständlichen Bevorzugung des individuellen Ich am Anfang einer Theorie des Weltganzen steckt eine philosophische Gefahr. Wir dürfen nie hoffen, von einem bloßen Stück des unmittelbar Gewissen zum  universalen  Minimum vorzudringen. Wir verbauen uns, sobald wir dem eigenen Ich eine theoretische Ausnahmestellung einräumen, von vornherein den Blick auf die Fülle der unmittelbar gegebenen Welt. Dafür wären noch andere Gründe als die genannten anzuführen, aber schon das, was wir an der Ich-Du-Korrelation zeigen konnten, berechtigt uns, zu sagen: es ist einfach nicht wahr, daß ich meiner selbst gewisser bin als der übrigen Welt. Ist einmal der Widersinn des Solipsismus durchschaut, dann ergibt sich eine Erweiterung des Bewußtseinsbegriffs, die den Bezugspunkt für das Unmittelbar über die eigene Person oder das Selbst hinausverlegt, als kritisch ebenso gerechtfertigt, wie sie im Interess der universalen Forderung notwendig ist.

Werden wir nun aber darum das Ich als Ausgangspunkt für die Bestimmung der Welt des Unmittelbaren ganz aufgeben? Auch das ist unmöglich, solange wir sagen, daß das Unmittelbare das unmittelbar Gegebene ist, und daran müssen wir festhalten, damit der Begriff des Unmittelbaren im Zusammenhang mit dem des unmittelbar Gewissen bleibt und nicht völlig leer wird. Dann aber brauchen wir auch ein Ich oder Subjekt, für welches das Unmittelbare als gegeben besteht. Kommen wir also jetzt zu einer unlösbaren Schwierigkeit?

Wir konnten bisher nur zeigen, daß das  individuelle  Ich oder die eigene Person sich zur Bestimmung der Totalität des Unmittelbaren nicht eignet. Läßt sich das Wort Ich nicht auch noch anders verstehen als so, daß es das Selbstbewußtsein bedeutet? Schon die vorher angestellte Überlegung, nach welcher das eigene Ich dem Du und dann beide zusammen der unpersönlichen und asozialen Welt der Sachen, soweit sie unmittelbar gewiß sind, logisch koordiniert werden müssen, weist, falls man diese Totalität in ihrer Gegebenheit nehmen will, auf ein Bewußtsein hin, für welches auch das eigene Selbst sich von vornherein als ein Bewußtseins inhalt  neben anderen Bewußtseinsinhalten darstellt. Darf  dieses  Bewußtsein nicht als Bezugspunkt für jeden beliebigen Bewußtseinsinhalt gelten, so daß es sich dazu eignet, die Totalität des Unmittelbaren in sich aufzunehmen? Dann ließe sich immer noch als die eine Seite des Anfangs ein Bewußtsein denken, und ihm wäre die Totalität der unmittelbar gegebenen Bewußtseinsinhalte als die andere Seite der Ich-Welt zuzuordnen. Damit könnten wir das Begriffspaar Ich und immanentes Nicht-Ich anders bestimmen als vorher. An die Stelle des Selbstbewußtsein hätten wir ein  Inhaltsbewußtsein überhaupt  zu setzen, und das unmittelbar Gegebene wäre das, was diesem Bewußtsein als sein Inhalt gegeben ist.

Doch darin haben wir selbstverständlich nur den Hinweis auf ein Problem. was ist unter einem solchen "Bewußtsein überhaupt" oder unter einem Subjekt zu verstehen, für welches auch das Ich, soweit es eine individuelle Person ist, ebenso wie seine Gemeinschaft mit anderen Personen, nur noch ein Objekt unter anderen Objekten wird, also einen bloßen Teil des umfassenderen, unmittelbar gegebenen Weltinhaltes darstellt? Hat dieses Bewußtsein, das wir jedem unmittelbar Gegebenen hinzuordnen, noch etwas mit jenem Ich gemein, von dem wir zuerst versuchsweise im Anschluß an die Tradition ausgingen, weil es das einzige unmittelbar Gewisse zu sein schien? Auf diese Frage brauchen wir eine unzweideutige Antwort. Durch sie erst wird der Begriff des universalen Minimus unzweideutig bestimmt. Wir haben genau anzugeben, welchen Begriff wir bilden, wenn wir ein Ich als "Inhaltsbewußtsein überhaupt" im Unterschied vom Selbst- und Gemeinschaftsbewußtsein zum Ausgangspunkt nehmen, um dann die Totalität des Unmittelbaren als Korrelation eines solchen Ich und des ihm unmittelbar gegebenen Inhalts an den Anfang der Philosophie zu bringen.


V.
Generalisierend und isolierende Abstraktion

Wir kommen damit zu dem schwierigesten Problem, das unser Versuch uns stellt, und es empfiehlt sich, daß wir unsere Gedanken nicht nur positiv entwickeln, sondern, um jedem Mißverständnis nach Möglichkeit vorzubeugen, auch ausdrücklich sagen, was wir mit dem jetzt zu bestimmenden Ich-Begriff nicht meinen.

Fassen wir das Ziel, dem wir zustreben, noch einmal ins Auge. Wir suchen nach dem denkbar umfassendsten Begriff des unmittelbar Gegebenen und wissen, daß dieses Wort seinen Sinn verliert, wenn nicht ein Ich oder Subjekt vorausgesetzt wird, dem das Unmittelbare gegeben ist. Das vorausgesetzte Ich daraf aber nicht die eigene Person oder das Selbst sein, weil alles, was zu ihm in der Beziehung des Gegebenseins steht, einen zu partikularen Charakter trägt, um als universales Minimum zu gelten. Es kommt also darauf an, den Begriff des Subjekts oder Ich als der unentbehrlichen Voraussetzung so zu fassen, daß wir dabei von der eigenen Person oder dem Selbstbewußtsein loskommen. Wir suchen mit anderen Worten nach einem  allgemeinen  Ich, da nur dieses als Bezugspunkt für eine umfassende Welt des unmittelbar Gegebenen brauchbar ist.

Nun kann man glauben, es sei leicht, die Individualiät des Ich auszuschalten, ja wir hätten das von vornherein schon getan, also ein allgemeines Ich an die Stelle des individuellen gesetzt. Eine neue Begriffsbildung sei daher nicht mehr nötig. Man brauche nur das implizit bereits Vorhandene ausdrücklich klarzustellen. Das Wort Ich - kann man dann sagen - bedeute in einer philosophischen Darlegung niemals nur die einmalige Person des Philosophen, wie etwa in einer Selbstbiographie, sondern müsse stets so verstanden werden, daß jeder beliebige Mensch, soweit er ein Ich ist, dafür eintreten kann. Vom Ich, das einen Eigennamen trägt und unvertauschbar ist, spreche der Philosoph sogar dann nicht, wenn er als Solipsist ein Buch schreibt, denn er erwarte, daß jeder Hörer oder Leser sein eigenes Ich an die Stelle des Ich des Solipsismus nur als etwas Allgemeines in Betracht. Allerdings wird man zugeben, daß der Solipsist damit eine Inkonsequenz begeht, denn er erkennt implizit andere Personen als mit sich selbst koordiniert an und hebt so das behauptet  solus  [allein - wp]-sein des  ipse  [selbst - wp] wieder auf. Aber gerade das, wird man meinen, zeige: bei jeder  philosophischen  Ich-Betrachtung kommen wir mit Notwendigkeit zu einem allgemeinen Ich.

Was ist dazu zu sagen? In dem angegebenen Sinn mögen in der Tat die Gedanken meist gemeint sein, wo man mit dem Ich die Philosophie beginnt. Sehr charakteristisch wird vielfach dabei das Wort "wir" so gebraucht, daß es für "ich" steht, und schon das weist auf die Ersetzbarkeit des Selbst durch jedes beliebige Ich hin. Das "mir" Gegebene ist das "uns" Gegebene. Doch sind wir in Wahrheit gefördert, wenn wir an die Stelle der besonderen Person ein Ich überhaupt als ein "Wir" bringen? Wir vertauschen damit doch nur das einmal vorhandene Ich-Exemplar mit seinem allgemeinen  Gattungs begriff. Genügt es, daß wir in dieser Weise den Anfang der Philosophie in die Sphäre der Allgemeinheit heben?

Der Gattungsbegriff würde uns über das, was wir bisher erreicht hatten, in der Tat nicht hinausführen, aber die Schwierigkeiten, die wir aufzeigen konnten, auch in keienr Weise beseitigen. Er bleibt ein Begriff  für  individuelle Gebilde, die unter ihn als Exemplare fallen, und er kann deshalb nicht mehr leisten als das, was uns jedes Exemplar bei der Bestimmung des Anfangs gibt. Ja das beliebte "wir", das im übrigen als Form der Darstellung durchaus berechtigt ist, wirkt geradezu irreführend, wenn es darüber hinwegtäuscht, daß das "uns" Gegebene nur das einem beliebigen Individuum Gegebene bedeutet. Mit dem allgemeinen Gattungsbegriff des Ich als Voraussetzung des Unmittelbaren bleiben wir nachwievor auf einen Teil beschränkt. Wir müssen, falls wir zum Ganzen oder zu einem vollen Anfang kommen und dabei trotzdem von Ich ausgehen wollen, unter dem allgemeinen Ich als dem Inhaltsbewußtsein überhaupt an eine Art der Allgemeinheit denken, die gerade der Gattungsbegriff des Ich nicht besitzt. Gibt es eine solche Art, und worin besteht sie?

Bei der Beantwortung dieser Frage empfiehlt es sich, zunächst auf zwei verschiedene Arten der Begriffsbildung zu reflektieren, von denen wir die eine die generalisierend, die andere die isolierende Abstraktion nennen wollen. Jeder Begriff ist der Begriff  von etwas,  und der durch generalisierende Abstraktion gewonnene allgemeine Begriff bleibt  schließlich  der Begriff  von  etwas Besonderem, d. h. er ist als Gattungsbegriff zwar allgemein, aber es fallen unter ihn entweder andere Gattungsbegriffe oder, wenn das nicht mehr der Fall ist, deren besondere und insofern individuelle Exemplare. Dabei können wir nicht stehen bleiben. Wir haben nicht nur einen allgemeinen Begriff eines Individuellen, sondern einen allgemeinen Begriff eines Allgemeinen zu bilden, also die Möglichkeit einer anderen Art der Abstraktion zu erwägen, bei deren Erörterung jedoch zunächst eine terminologische Schwierigkeit entsteht. Es herrscht nämlich die Gewohnheit, alles "Begriff" zu nennen, was nicht eine besondere und individuelle oder eventuelle auch "metaphysische" Realität ist, von der wir jedoch ganz absehen. So wird man auch bei einem allgemeinen Ich immer nur an einen "Begriff"  Ich  denken. Halten wir daran fest, dann sich jedoch die Begriffe und die Begriffe von diesen Begriffen zu trennen, d. h. wenn wir das gesuchte allgemeine Ich ebenfalls als Begriff bezeichnen, dürfen wir es nicht mit dem Begriff dieses begrifflichen Gebildes verwechseln. Doch weil ein solcher Sprachgebrauch leicht zu Mißverständnissen führt, ziehen wir es vor, nicht alles, was wir durch Abstraktion in einer "Reinheit" als ein Allgemeines denken, Begriff zu nennen, sondern sprechen von Begriffen stets im Unterschied von dem, was unter sie fällt. Das durch begriffliche Abstraktion erfaßte Etwas, das allgemein sein kann wie sein Begriff, bezeichnen wir dann als ein allgemeines  Moment. 

Machen wir diesen Unterschied, dann versteht sich von selbst, inwiefern die Allgemeinheit eines Ich-Moments nicht die Allgemeinheit des Gattungsbegriffs vom Ich zu sein braucht. Wir haben dann vielmehr nicht weniger als vier Ich-Gebilde auseinanderzuhalten: erstens das individuelle Ich oder das Selbst, von dem wir zuerst ausgingen; zweitens den allgemeinen Gattungsbegriff davon, der uns jetzt nicht weiter interessiert, drittens das allgemeine Ich-Moment, das wir suchen, und viertens seinen Begriff, der nich in dem Sinne allgemein ist, daß mehrere individuelle Exemplare unter ihn fallen, sondern der nur insofern allgemein heißen darf, als er der Begriff  von  etwas Allgemeinem ist. Die Hauptsache bleibt dabei die Unterscheidung der zwei Arten der Allgemeinheit, die wir als Allgemeinheit des Ich-Gattungsbegriffs und als Allgemeinheit des Ich-Momentes voneinander trennen.

Im Anschluß daran läßt sich auch der Unterschied von zwei Arten der Abstraktion leicht verstehen. Während die generalisierende Abstraktion zum allgemeinen Gattungsbegriff kommt, unter den individuelle Exemplare fallen, löst die Abstraktion, die wir meinen, aus dem individuellen Ich das allgemeine Ich-Moment heraus und denkt es dann für sich allein. Sie mag die  isolierende  Abstraktion heißen. Näher brauchen wir auf den Unterschied im allgemeinen nicht einzugehen, da es nur darauf ankommt, eine Allgemeinheit aufzuzeigen, welche nicht die des Gattungsbegriffs ist, und vollends kann unerörtert bleiben, ob es noch andere Arten als die generalisierende und die isolierende Abstraktion gibt. Es genügt, wenn wir wissen: im Begriff des Ich, den wir zur Bestimmung der Totalität des unmittelbar Gegebenen als Voraussetzung brauchen, sind nicht die gemeinsamen "Merkmale" der individuellen Ich-Realitäten zusammengefaßt, zu denen auch das Merkmal der Individualität gehören würde, sondern wir isolieren im individuellen Ich das, was man die allgemeine "Ichheit" nennen kann, um damit auf ihren abstrakten Charakter hinzuweisen. Sie fassen wir als ein "Moment" des individuellen Ich für sich ins Auge.


VI.
Die Welt des Anfangs

Doch haben wir zunächst nur den Weg, der uns zum Ziel führen soll, gekennzeichnet. Jetzt kommt es darauf an, das Prinzip anzugeben, aufgrund dessen durch isolierende Abstraktion das Ich-Moment in seiner Reinheit aus dem individuellen Ich herausgelöst wird und so der Begriff eines  reinen Ich  entsteht, mit Hilfe dessen wir die Ich-Welt des Anfangs universal bestimmen können.

Wir verfahren dabei möglichst elementar, wie es am Anfang wünschenswert und daher auch berechtigt ist. Das individuelle Ich, von dem wir ausgingen, ist seinem Begriff nach gekennzeichnet sowohl durch Ichheit als auch durch Individualität. Wir müssen diese beiden Momente in ihm zusammendenken, aber zugleich auch begrifflich voneinander scheiden, denn es gibt andere Gebilde, die zwar Individualität besitzen, aber darum kein Ich zu sein brauchen. Wollen wir feststellen, worin das Wesen der Ichheit für sich besteht, so bilden wir zuerst heterothetisch [übersinnlich - wp] den Begriff des Nicht-Ich lösen dann die Ichheit aus dem individuellen Ich in ihrer Reinheit als das heraus, was niemals als Nicht-Ich verstanden werden kann. Nicht-Ich ist alles, was sich objektivieren läßt. Dazu gehört auch die Individualität des Ich. Das fremde Ich wird, soweit es Individuum ist, sogar faktisch zum Nicht-Ich, wenn es uns als Du gegenübertritt, und es unterliegt keinem Zweifel: wir können nicht nur ein fremdes Ich in dieser Weise objektivieren, sondern bis zu einem gewissen Grad auch "uns selbst" zum Nicht-Ich machen, d. h. zwar nicht unser ganzes Ich, wohl aber unsere Individualität, um sie wie ein Du als Glied in die Welt der übrigen Objekte einzuordnen. Dabei kommt es in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob eine solche "Selbstobjektivierung" faktisch  vollständig  gelingt, sondern nur um das Prinzip handelt es sich, und jedenfalls steht nichts dem Versuch im Weg, die Selbstobjektivierung als zu Ende geführt zu  denken.  Das aber genügt, denn damit ist schon der Begriff des reinen Ich oder des begrifflich isolierten Ich-Momentes als Begriff dessen gegeben, was nie als Nicht-Ich betrachtet werden kann, also Ich bleibt und doch zugleich frei gedacht werden muß von jeder individuellen Bestimmung. Ein solches allgemeines Ich steckt in jedem individuellen Ich als ein überall  identisches  Moment. Es ist als das zu verstehen, wodurch jedes Ich sich von allen Gebilden, die Nicht-Ich sind, unterscheidet. Wir stellen es daher mit Recht als reines Ich allem, was auch als Nicht-Ich aufgefaßt werden kann, heterothetisch gegenüber und gewinnen so von ihm einen Begriff, den niemand mit dem Gattungsbegriff des individuellen Ich verwechseln verwechseln wird.

Statt Ich können wir auch Subjekt oder Bewußtsein und statt Nicht-Ich Objekt oder Bewußtseins inhalt  sagen. Das reine Ich mag dann reines Subjekt im Gegensatz zu allen Objekten oder überall identisches Bewußtsein im Gegensatz zu allen möglichen Bewußtseinsinhalten heißen. Dabei dürfen wir nur nie vergessen, daß ein solches "Bewußtsein überhaupt" sich lediglich begrifflich isolieren und daher allein durch  Konstruktion  als gesondertes Moment ins wissenschaftliche Bewußtsein heben läßt. Es wird erst durch Vermittlung in seiner Eigenart theoretisch klar. Aber das ändert an seiner Brauchbarkeit für die Bestimmung der universalen Welt des unmittelbar Gegebenen nicht das Geringste. Das reine Subjekt stellt sich als unentbehrliche  Voraussetzung  für jedes unmittelbar gegebene Objekt dar.

Kehren wir mit ihm noch einmal zur Ich-Welt zurück, von der wir ausgegangen sind. Wie muß sie neu bestimmt werden? Auch jetzt werden wir ein immanentes und ein transzendentes Nich-Ich auseinanderhalten, aber die Grenzen zwischen den Gebieten sind in ganz anderer Weise als früher zu ziehen, und zwar gilt das besonders für die Bestimmung des Verhältnisses von Ich und immanentem Nicht-Ich als den beiden Gliedern der Ich-Welt, die an den Anfang des Systems kommen soll. So gewiß das allgemeine oder reine Ich etwas anderes ist als das individuelle und objektivierbare, so gewiß muß auch sein Gegenglied, das immanente Nicht-Ich, etwas anderes sein als vorher. Es fällt alles fort, was ihm ein individuelles Gepräge verleiht und es zu etwas Partikularem stempelt. Die notwendige Ergänzung des Ich durch sein Nicht-Ich besteht jetzt lediglich darin, daß dem Ich-Bewußtsein als unmittelbar gegeben alles gegenübertritt, dessen es sich unmittelbar bewußt werden kann. So bilden das reine Ich und das ihm immanente Nicht-Ich zusammen eine "Welt", die als umfassende Welt des Unmittelbaren bezeichnet werden darf, und die durch ihren Begriff daher die kritische Forderung in demselben Maße wie die universale erfüllt.  Nur  unmittelbar Gegebenes hat in dieser Ich-Welt Platz, und für  alles  unmittelbar Gegebene ist diese Ich-Welt groß genug.

Doch wird man vielleicht noch immer gegen unsere Begriffsbildung Bedenken erheben, und wenigstens zwei von ihnen seien ausdrücklich erörtert, soweit sie für den Begriff der Ich-Welt des Anfangs von prinzipieller Bedeutung sind.

Das Allgemeine oder reine Ich war von vornherein als ein nur begrifflich isoliertes Moment bestimmt. Bekommt es, kann man fragen, im ganzen unserer Ich-Welt nicht als  Voraussetzung  alles Gegebenen eine Selbständigkeit, die seinem Wesen widerspricht? Die Frage ist vielleicht am besten zu beantworten, wenn man noch eine andere Bestimmung zur Gliederung der Ich-Welt heranzieht. Auf ihrer subjektiven Seite steht etwas, das unter keinen Umständen  Inhalt  für ein Ich werden kann und daher heterothetisch auch  Form  des Ich heißen darf. Erst auf der anderen, objektiven Seite haben wir den Inbegriff aller Inhalte, die in die Ich-Form eingehen. So wird die Unselbständigkeit beider Seiten in jeder Hinsicht klar. Ich-Form und Ich-Inhalt oder Bewußtsein überhaupt und der gegebene Bewußtseinsinhalt sind erst in ihrer Vereinigung ein selbständiges  Ganzes,  das wir nur deshalb begrifflich in seine beiden Seiten zerlegen, um genau anzugeben, was wir als die "Welt" des Unmittelbaren an den Anfang des Systems setzen.

Doch noch ein anderes Bedenken kann erhoben werden. Wenn  wir  die Zweiheit von Ich und Nicht-Ich  setzen,  wird dadurch nicht der ganze Anfang zum Objekt gemacht, und verliert so das eine seiner Glieder nicht sein Wesen, reines Ich zu sein? Wir scheinen die Ich-Welt nicht voraussetzen oder überhaupt setzen zu können, ohne sie damit auf die Seite des Bewußtseins inhaltes  zu bringen. Dann abertritt sie zugleich von neuem einem Subjekt gegenüber, und dieses Subjekt darf im vollen Anfang doch ebenfalls nicht fehlen. Haben wir also nicht nachwievor nur einen Teil des Anfangs, und ist es nicht zugleich unmöglich, diesen Teil jemals zu vervollständigen? Es würde offenbar nichts helfen, wenn wir auch das neue Subjekt, dem die ganze Ich-Welt als Objekt gegenüberzutreten scheint, zum Anfang hinzunähmen, denn die so ergänzte Ich-Welt wäre dadurch wieder objektiviert und einem dritten Subjekt oder Ich gegenübergestellt. Jeder Schritt, den wir auf diesem Weg weitergehen, müßte uns immer von neuem vor dieselbe Schwierigkeit führen; und daraus scheint zu folgen, daß wir nie wirklich anfangen können, falls der Anfang bereits  alle  Voraussetzungen des Unmittelbaren enthalten soll. Wir scheinen vor eine unendliche Reihe und damit vor eine unlösbare Aufgabe gestellt. Schließt man die Reihe der Voraussetzungen an irgendeiner Stelle ab, so macht man damit die Ich-Welt, die Korrelation von Ich und Nicht-Ich oder von Subjekt und Objekt sein soll, zum bloßen Objekt oder zum Nicht-Ich und zerstört sie damit zum Teil in ihrem Wesen.

Auch dieser Einwand ist, sobald wir genauer zusehen, in keiner Weise überzeugend; ja gerade die Formulierung, die auf eine unendliche Reihe hinweist, zeigt, daß es sich hier um eine Schwierigkeit handelt, die im Grunde genommen sprachlich, nicht sachlich ist. Nur scheinbar wird mit dem Subjekt, dem die Subjekt-Objekt-Relation als Anfang gegenübertreten soll, etwas Neues zur Ich-Welt des Anfangs hinzugefügt. In Wahrheit sind wir mit dem Gedanken an ein zweites Subjekt, das die Subjekt-Objekt-Relation als Anfang im Bewußtsein hat, nicht den kleinsten Schritt über das hinausgekommen, was wir von vornherein als vollen Anfang bestimmten. Die Reihe der Subjekte ist schon damit, daß wir das Selbst als Objekt denken und zum immanenten Nicht-Ich rechnen, so zu Ende geführt, daß sie ihrem Begriff nach nicht mehr fortgesetzt werden  kann.  Ließe sich die Ich-Welt noch einem Subjekt als Objekt gegenüberstellen, dann wäre ihr eines Glied noch kein reines Ich, denn dieses wurde ja als das definiert, was nicht mehr objektivierbar oder als Nicht-Ich denkbar ist. Schon dieser Umstand macht es unmöglich, die ganze Ich-Welt, wie wir sie als Zusammen von reinem Ich und ihm immanenten Nicht-Ich verstehen, als Objekt für ein Subjekt zu betrachten. Ihren  Begriff  machen wir freilich zum Bewußtseins inhalt,  indem wir ihn denken, aber dadurch wird er nicht zu einem Begriff, unter den nur Inhalte des Bewußtseins oder Objekte fallen. Sonst könnten wir den Begriff des Subjekts im Gegensatz zu dem des Objekts überhaupt nicht bilden.

Noch anders läßt sich der angedeutete Einwand zurückweisen. Das Ich, dem die ganze Subjekt-Objekt-Relation als Objekt gegenübertreten soll, darf schon deshalb nicht ein neues oder zweites reines Ich genannt werden, weil es zwei abstrakte Ich-Momente nicht gibt. Wir kennen nur das eine, d. h. identische reine Ich. Lediglich sprachlich kann man es noch einmal  nennen.  Sachlich ist mit seiner Verdoppelung nichts gesagt. Damit haben wir den Gedanken an eine Objektivierung des ganzen Anfangs sogleich abgeschnitten. Es gehört zu seinem Wesen, daß er nicht als bloßes Objekt, sondern nur als das Zusammen von Subjekt und Objekt zu denken ist. Um jedem Mißverständnis sprachlich vorzubeugen, könnte man die Ich-Welt auch als das Ich des Ich und Nicht-Ich bezeichnen. Damit wäre von vornherein darauf hingewiesen, daß diese Welt niemals nur als Objekt für ein Subjekt denkbar sein kann. Die Verdoppelung des Ausdrucks Ich müßte sofort klar machen, weshalb die Reihe der Objektivierungen sachlich ihr Ende erreicht hat.

Aber eine solche Terminologie würde eventuell Mißverständnisse in anderer Richtung hervorrufen. Man könnte nämlich meinen, das reine Ich mache im Anfang "sich selbst" zum Objekt, und es sei also  dasselbe  Ich, das in der Ich-Welt einmal als Ich und zugleich als Nicht-Ich auftrete. Gerade davon darf jedoch keine Rede sein. Das Selbst, d. h. das Individuum, ist in der Ich-Welt des Anfangs  nur  noch als Nicht-Ich zu denken, und das in jedem Ich identische Ich-Moment, das wir durch eine isolierende Abstraktion herauslösen, ist kein Selbst mehr, das "sich selbst" noch zu objektivieren vermöchte. Jedes denkbare Selbst ist vielmehr bereits als objektiviert gedacht, indem der Begriff des reinen Ich in den Anfang aufgenommen wird. Gerade als identisches Ich-Moment, das in jedem Ich-Selbst steckt, muß das reine Ich von jedem Selbst begrifflich verschieden sein. Man darf also, falls man von einer Selbstobjektivierung reden will, nur sagen: das reine Ich objektiviert das Selbst, ohne dabei ein Selbst zu sein. Wo man glaubt, das Ich könne "sich selbst" in dem Sinne objektivieren, daß es dabei dasselbe Ich bleibt, das objektiviert wird, verwechselt man das identische Ich-Moment, das überall  dasselbe  ist, mit dem Selbst, das als eines von vielen Individuen dem identischen Ich-Moment als Objekt gegenübertritt. Die deutsche Sprache, die für "dasselbe" und "das Selbst" beinahe das gleiche Wort gebraucht gibt zu einer solchen Verwechslung Anlaß. Im Lateinischen wird man leichter  idem  (das gleiche - wp] und ipse [dasselbe - wp] unterscheiden, und begrifflich sollte das unter allen Umständen geschehen.

Die Sache ist deshalb nicht unwesentlich, weil jeder Anschein vermieden werden muß, als stecke im Begriff der "Selbstobjektivierung" ein "Widerspruch", d. h. der Gedanke an etwas, das aus Spruch und Widerspruch oder aus Bejahung und Verneinung desselben Begriffs besteht, und dessen Bestimmungen sich also gegenseitig aufheben. Das wäre in der Tat der Fall, wenn das reine Subjekt "sich selbst", d. h. das reine Subjekt zum Objekt machte. Dann läge der Versuch vor, etwas, das als Ich bejaht ist, zugleich als Ich zu verneinen. Jeden Gedanken daran aber haben wir auszuschließen. Das Selbst, d. h. das Individuum im Ich, wird Objekt für das reine Ich, das überall dasselbe, also gerade deswegen kein Selbst ist. Darin steckt nicht der geringste Widerspruch, und das ist gut, denn mit einem in sich widerspruchsvollen Gedanken dürften wir das System unter keinen Umständen beginnen. Wir stellen der Philosophie vielmehr die Aufgabe, die Welt ohne Widerspruch zu denken, da das sich Widersprechend das ist, was sich entweder gar nicht oder nur in dem Sinn denken läßt, daß darin ein Gedanke den anderen im eigentlichen Sinne "vernichtet", also kein denkbares "Etwas" mehr übrig bleibt. Den Widerspruch kann man als Spruch und Widerspruch gewiß denken, aber Etwas denken, das in sich voll Widerspruch ist, d. h. zwei einander aufhebende Bestimmungen enthält, heißt nicht  Etwas,  sondern  Nicht- etwas oder Nichts denken.


VII.
Das Ich als Voraussetzung

Doch auch wenn man den Begriff des isolierten Ich-Momentes oder des reinen Ich richtig verstanden hat, kann man zweifeln, ob mit seiner Aufnahme in den Anfang etwas Wesentliches für die Philosophie geleistet sei. Dieses Ich bleibt doch "leer", ja ist nichts anderes als die Form des unmittelbar Gegebenen. Was haben wir damit für den Anfang gewonnen?

In der Tat, es kam nur darauf an, mit Hilfe des reinen Ich den Begriff des Anfangs als des unmittelbar Gegebenen vollständig, d. h. nach Inhalt  und  Form zu bestimmen. Trotzdem darf man diese Charakterisierung in ihrer Tragweite nicht unterschätzen. Es soll durch sie klargestellt werden, daß wir das System mit einer  Zweiheit  beginnen müssen, weil es nicht möglich ist, etwas als unmittelbar gegeben zu denken, ohne es dadurch auf ein nicht gegebenes Ich oder Subjekt zu beziehen. Es beruht auf Gedankenlosigkeit oder Selbsttäuschung, wenn man glaubt, das nicht gegebene Ich sei weniger ursprünglich und unableitbar als der ihm unmittelbar gegebene Inhalt. Die Aufdeckung dieses Irrtums aber ist von prinzipieller Wichtigkeit, und zwar nicht nur für den ersten Schritt des Weltdenkens, bei dem das Ich noch leer bleibt, sondern für das  ganze  System, das allein vom subjektiven Ansatzpunkt des Anfangs aus den Begriff des Subjekts inhaltlich zu erfüllen vermag.

Doch beschränken wir uns auf das, was schon jetzt feststeht. Ist die Unentbehrlichkeit der nicht gegebenen subjektiven Seite des Anfangs und ihre Eigenart erkannt, so sind damit von vornherein alle die Bestrebungen als undurchführbar abgewiesen, die wie der Intuitionismus und verwandte Richtungen versuchen, die unmittelbar oder intuitiv gegebenen Bewußtseins inhalte  zur einzigen Basis der Philosophie zu machen und alles weitere auf ihnen aufzubauen. Diese angebliche Basis hat sich in ein Problem verwandelt. Man kann ihren Begriff nicht bilden, ohne etwas hinzunehmen, was nicht unmittelbar gegeben ist. Das reine Ich läßt sich nur durch Vermittlung oder  Konstruktion  in seinem Wesen zu wissenschaftlichem Bewußtsein bringen und muß trotzdem dem unmittelbar Gegebenen logisch  vorausgesetzt  werden. Tun wir das nicht, so können wir auch nichts als unmittelbar gegeben "voraussetzen". So erweist sich das reine Ich als das "a priori" schon des ersten Schrittes einer Lehre von den Grundlagen der Philosophie.

Wo man das verkennt, beginnt man unsere Wissenschaft spezifisch  unphilosophisch,  d. h. nicht allseitig und universal, sondern einseitig und partikular. Man beschränkt sich auf die objektive Seite der Welt, wie es die Spezialwissenschaften tun, welche die subjekte Seite als Voraussetzung ignorieren. Daraus ist auch zu verstehen, weshalb die philosophischen Richtungen, die allein auf das achten wollen, was unmittelbar  vor  Augen steht, bei denen Beifall finden, die  spezialistisch  zu denken gewohnt sind. Die Spezialwissenschaften brauchen sich um ihre Voraussetzungen nicht zu kümmern. Die Philosophie dagegen verfehlt ihre eigentliche Aufgabe, wenn sie im Interesse einer falsch verstandenen "Wissenschaftlichkeit" oder aus Scheu vor Konstruktionen dieses Verfahren nachahmt. Sie kann dann nie zur Universalwissenschaft werden und ein System überhaupt nicht zustande bringen. Sie bleibt notwendig bei fragmentarischen Einzeluntersuchungen stehen. Sie bekommt Teile in die Hand, aber nie ein Ganzes oder gar das Ganze.

Um zu zeigen, wie unzureichend die Bestrebungen sind, die einseitig das Schauen des unmittelbar Gegebenen preisen, ja nur das anerkennen wollen, was sich schauen läßt, um es dann zu "beschreiben", kann man unser Ergebnis noch in anderer Weise formulieren. Gewiß hat es einen guten Sinn, zu sagen, daß ohne "Anschauung" kein inhaltlich erfüllter Begriff zustande komme, und die Anschauung insofern die Grundlage allen wissenschaftlichen Denkens mit Einschluß des Philosophierens sei. Damit ist aber nichts  Bestimmtes  gesagt, denn im Ausdruck  Anschauung  steckt eine Zweideutigkeit, wie fast in allen Worten mit der Endsilbe "ung". Es ist darunter nicht nur das Angeschaute zu verstehen, das angeschaut wird, sondern auch das Anschauen, zu dem notwendig ein anschauendes Ich gehört. Sagt man daher, die Philosophie müsse die "Anschauung" zum Anfang oder zur Basis machen, so ist das nur dann berechtigt, wenn man die  beiden  Begriffe, die wir mit dem Wort verbinden, gleichmäßig berücksichtigt, also nicht nur das angeschaute Nicht-Ich, sondern auch das anschauende Ich in den Begriff der Anschauung aufnimmt. Dann aber ist man im Prinzip zu demselben Resultat gekommen wie wir, und dann sollte man sich sofort darüber klar sein, daß das  Ganze  der "Anschauung" sich nicht mehr anschauen läßt. Nur das angeschaute  Objekt  kann man anschauen, und mit dem Schauen dieses Angeschauten setzt man implizit etwas voraus, das sich jedem Anschauen entzieht. Zum Sehen brauchen wir ein Auge, aber das Auge selbst sehen wir nicht. Das ist gewiß nur ein Bild, weist aber auf die Sache hin. In der Ich-Welt des Anfangs, wie wir sie verstehen, wird das immanente Nicht-Ich angeschaut, während das anschauende Ich, da es die Voraussetzung des Anschauens ist, gerade  als  Voraussetzung alles Angeschaulichen unanschaulich bleiben muß.

Das bedeutet noch anders ausgedrückt: das vorausgesetzte Ich des Anschauens kann man nicht anschauen, sondern nur  denken,  und um über diesen Unterschied zur Klarheit zu kommen, ist wieder das Bild vom Auge zu gebrauchen. Das Auge läßt sich erst mit Hilfe eines Spiegels sehen, der es reflektiert. Auch wir müssen auf das anschauende Ich "reflektieren", d. h. darüber denken, um es ins wissenschaftliche Bewußtsein zu erheben. Lehnt man alle Ergebnisse einer solchen Reflexion deshalb ab, weil sie unanschaulich sind, so hat man noch nie mit vollem Bewußtsein "gedacht", d. h. nicht über das Denken gedacht, das den Begriff der Anschauung zur Grundlage auch allen Denkens machen möchte. Denkt man über dieses Denken, so wird man den Irrtum, den es begeht, leicht "durchschauen".

Bei solchen Worten mögen freilich manchem die oft zitierten Verse von GOETHE einfallen:
    "Wie hast Du's denn so weit gebracht?
    Sie sagen, Du habest es gut vollbracht!"
    Mein Kind, ich habe es klug gemacht:
    Ich habe nie über das Denken gedacht.
Ist das nicht eine Warnung? In der Tat: dem Augenmenschen mag ein Denken, wie wir es hier versuchen, unsympathisch sein, weil es zu Unanschaulichem führt; aber auf Sympathien kommt es in diesem Fall nicht an. GOETHE selbst wußte genau: "Für Philosophie im eigentlichen Sinn hatte ich kein Organ." Der Philosoph im "eigentlichen", d. h. wissenschaftlichen Sinn, wird es ohne ein solches Organ nicht "weit bringen". Er muß gerade über das Denken denken, damit er versteht, was im wissenschaftlichen Denken auf Anschauung beruth, und was nur gedacht, also nicht angeschaut wird. Dann wird er den Unterschied von Schauen und Denken auch so fassen: das Schauen läßt sich nicht schauen, aber das Denken läßt sich denken, weil man  darüber  denken kann. Insofern reicht in der Wissenschaft das Denken weiter als das Schauen. Es ist dem Schauen "übergeordnet", und damit erweist sich die Lehre von der grundlegenden Bedeutung der "Anschauung" entweder als zweideutig, solange man die Doppelseitigkeit dieses Begriffs nicht ausdrücklich hervorhebt, oder falls man damit Ernst macht, alles nur schauen zu wollen, kommt man zu einem in sich widersinnigen Gedanken. Man leugnet dann die Voraussetzung, ohne die es kein Anschauen gibt, und bringt so die angebliche "Grundlage" des anschaulichen Philosophierens logisch ins Wanken. Zugunsten des  vor  Augen stehenden leugnet man das Auge.

Wir beschränken uns absichtlich auf das, was das Ich-Moment für den Anfang bedeutet, und sehen davon ab, welche Rolle es im weiteren Aufbau des Systems spielt. Nur einen Gedanken für wir noch hinzu, der darauf hinweist, was das reine Subjekt als logische Voraussetzung des unmittelbar Gegebenen trotz seiner Leerheit leistet, sobald man seine weitere Bestimmung heterothetisch versucht. Wir kommen damit zugleich an die Grenze der subjektiven Seite des Anfangs, an der die weitere Ausgestaltung des Subjektbegriffes beginnt. Aber auch die Grenzbestimmung zeigt, was wir an dem dargelegten Anfang haben.

Bisher konnten wir das vorausgesetzte Ich dadurch charakterisieren, daß wir es im Gegensatz zum individuellen Ich brachten. Dieses wird stets als Person gedacht, die mit anderen Personen in Gemeinschaft sich befindet, als ein soziales Gepräge trägt. Im Gegensatz dazu, d. h. als Heterothesis, was das Ich des Anfangs asozial und unpersönlich zu nennen. Welche  positive  Andere solche Negationen bedeuten, lassen wir am Anfang dahingestellt. Doch einen anderen Unterschied des individuellen vom allgemeinen Ich fassen wir noch etwas näher ins Auge. Das soziale und persönliche Ich zeigt im sozialen Zusammenhang irgendeine Tätigkeit oder  Aktivität.  Auch sie muß dem reinen Ich abgesprochen werden; und wenn wir dabei von der negativen Bestimmung zur positiven übergehen, können wir die Alternative von Aktivität und Kontemplation heranziehen, also heterothetisch sagen, daß das Ich des Anfangs sich als ein rein  kontemplatives  Ich darstellt.

Auf diesen Begriff wurden wir soeben schon von anderer Seite geführt, als wir uns gegen den Intuitionismus wendeten. Jetzt suchen wir die Tendenz des Intuitionismus so zu verstehen, daß wir zugleich seine relative Berechtigung anerkennen. Das Ich kann zwar nie angeschaut werden, ist aber im Anfang des Systems möglichst voraussetzungslos in der Tat als ein rein  anschauendes  Ich zu denken. So wird es zur Voraussetzung der ganzen unmittelbaren "Weltanschauung", wobei dieser Ausdruck im ursprünglichen Sinn, d. h. als  contemplatio mundi  zu verstehen ist. Den Begriff der Kontemplation haben wir dabei so weit zu nehmen wie möglich, also nicht schon an eine seiner Arten, vor allem nicht an die theoretische oder ästhetische Kontemplation zu denken. Deshalb ist nur von "reiner" Kontemplation zu reden, d. h. ihr Begriff stellt sich ebenso wie der des reinen Ich als Produkt einer begrifflichen Konstruktion dar. Soweit das Subjekt bereits theoretisch oder ästhetisch kontemplativ ist, sind im Unterschied von rein kontemplativen Ich seine spezifisch theoretischen oder ästhetischen Elemente auch als Bewußtseins inhalte  denkbar. Sie können also als Objekte aufgefaßt und so wissenschaftlich erforscht werden. Nur das im weitesten Sinn kontemplative Ich bleibt ein unobjektivierbares reines Ich, und dieser Umstand weist der Lehre vom Anfang der Philosophie zugleich ihren Platz im System an. Sie steht an der Spitze einer Philosophie des  kontemplativen  Lebens. Wie weit wir mit einem solchen Anfang in einer Lehre vom  tätigen  Leben kommen, lassen wir dahingestellt. Sie braucht wohl das Ich des Gemeinschaftsbewußtseins und hat keine Veranlassung, das reine Ich voranzustellen.

Für das Ganze einer Philosophie der Kontemplation ist aus unserem Gedankenzusammenhang noch ein Punkt von Interesse. Wir können die verschiedenen Arten des kontemplativen Ich als theoretisches, ästhetisches und religiöses Subjekt bestimmen, und die Beziehung unseres Anfangs zum religiösen Gebiet tritt sogleich zutage, wenn wir an die  mystische  Kontemplation denken. Das reine Ich scheint nämlich, theoretisch betrachtet, dem mystischen am nächsten zu stehen, wie weit es auch unter religiösen Gesichtspunkten von ihm abliegen mag. Ja manche Versuche der Mystik, das Verhalten des Ich, das sich restlos in die mystische Gottheit versenkt und dabei seine Individualität vernichtet,  theoretisch  zu fassen, kommen auf denselben Begriff hinaus, den wir als den der rein kontemplativen Welt-Anschauung an den Anfang des Systems setzen. Dieser Umstand weist darauf hin, wie ein philosophisches Denken möglich wird, das, soweit es sich um die rein theoretischen Begriffe dreht, unseren Anfang zugleich zum Ende, unser  A  zum  O  zu machen geneigt sein muß. Wem es schwer wird, den Begriff des reinen Ich logisch zu verstehen, der kann vielleicht aus manchen Teilen mystischer Schriften lernen, was mit einer ebenso unmittelbaren wie universalen Weltanschauung gemeint ist, muß aber freilich imstande sein, den theoretischen Begriffsapparat von allen religiösen Bestimmungen abzusondern.

Doch verfolgen wir diesen Gedanken nicht näher. Er sollte nur andeuten, wie  weit  sich das Gebiet der Ich-Welt als das der reinen Kontemplation des unmittelbar Gegebenen erstreckt. Die Hauptsache bleibt die Unentbehrlichkeit des Subjekt-Begriffs schon für den ersten Schritt des systematischen Welt-Denkens. Mag das Ich als reine Kontemplation noch leer sein, so steht trotzdem fest: wer ohne diese Konstruktion das System beginnt, wird auch später kein Ich erreichen, denn aus dem unmittelbar gegebenen oder anschaulichen Bewußtseins inhalt  läßt sich ein Ich nie ableiten.


VIII.
Die Wendung zum Objekt

Der Nachdruck, mit dem wir dies hervorheben, ist zum Teil durch weitverbreitete Tendenzen unserer Zeit veranlaßt, welche so tun, als dürfe man die durch KANT und seine großen Jünger gemachten Errungenschaften in der Philosophie ohne Schaden für die Wissenschaft ignorieren. Scheint doch noch immer FICHTEs Satz zu gelten: "Die meisten Menschen würden leichter dahin zu bringen sein, sich für ein Stück Lava auf dem Mond als für ein  Ich  zu halten." Deshalb war  zuerst  von dem zu reden, was niemand für ein "Stück" der Objekt-Welt halten kann. Doch wäre es andererseits nicht minder verfehlt, wenn man den hier vertretenen Standpunkt darum als "Subjektivismus" kennzeichnen wollte. Wir hätten auch die objektive Seite des Anfangs zum  zeitlich  Ersten machen und dann den vollen Anfang durch Reflexion darauf erreichen können, daß jeder Inhalt, der unmittelbar gegeben ist, Inhalt eines Ich-Bewußtseins oder Objekt für ein Subjekt sein muß. Die Reihenfolge der Gedankenentwicklung ist zufällig. Notwendig bleibt allein das Festhalten an der  Zweiheit  des ganzen Anfangs; und nachdem wir seine subjektive Seite kennen, müssen wir jetzt die Bedeutung seiner objektiven Seite ebenfalls genau feststellen. Das aber kann wiederum nur gelingen, wenn wir auch ihren Begriff "rein" fassen, d. h. von allem frei halten, was zur subjektiven Seite gehört. Wie vorher mit dem reinen Ich, haben wir es also jetzt mit dem "reinen Nicht-Ich" zu tun. Durch seinen Begriff erst wird deutlich, was "unmittelbar gegebenes Objekt" heißt, und damit erst ist dann der Anfang in jeder Hinsicht bestimmt.

Zunächst betonen wir ganz im allgemeinen die Unentbehrlichkeit der objektiven Seite für jede Ausgestaltung des Systems, die über den Begriff des reinen Ich hinauskommen will. So gewiß wir eine Konstruktion brauchen, um die logische Voraussetzung einer Objekt-Welt überhaupt zu formulieren, ebenso gewiß sind wir andererseits auf Intuitionen oder Anschauungen angewiesen, wo es gilt, zu erkennen,  was  die Objekt-Welt ist. Darin besteht das relative Recht des Intuitionismus, auch abgesehen davon, daß das reine Ich sich als rein anschauend verstehen läßt. Ja, es steckt im Gedanken an die Unentbehrlichkeit des anschaulichen Weltinhaltes außerdem noch das Recht einer anderen, heute ebenfalls weit verbreiteten Tendenz. Oft kann man hören, die Philosophie solle durch eine  Wendung zum Objekt  endlich vom Subjektivismus loskommen. Eine solche Wendung haben in der Tat auch wir zu vollziehen, nachdem das Subjekt als Voraussetzung des Objekts klargestellt ist. Dann wird sich am besten zeigen,  wie  wenig die Schlagworte Subjektivismus und Objektivismus bedeuten. Sie passen nur auf einseitige Denkweisen. Das Ganze schon des Anfangs darf weder nur Subjekt noch nur Objekt sein, und weil der Begriff des reinen Subjekts leer blieb, wird die Wendung zum Objekt als dem Bewußtseins inhalt  für alles folgende von entscheidender Bedeutung.

Es ist jedoch nicht nötig, daß wir darüber noch Genaueres sagen, ja das wäre an dieser Stelle gar nicht möglich. Wir kämen damit zu Problemen, die über den Anfang hinausführen. Hier genügt ein ausdrücklicher Hinweise auf das, was sich im Grunde von selbst versteht, sobald man das reine Ich verstanden hat, und nur um auch das deutlich zu machen, was für manchen trotzdem vielleicht nicht selbstverständlich ist, heben wir einen Punkt gesondert hervor. Nicht allein bei der Erkenntnis der Objekt-Welt ist der Inhalt des unmittelbar Gegebenen zu berücksichtigen, sondern auch bei der weiteren Behandlung der  Subjekt-probleme kommen wir ohne eine Wendung zum Objekt nicht den kleinsten Schritt über das reine Ich hinaus. Jede Differenzierung des identischen Ich-Bewußtseins nämlich wird allein dadurch möglich, daß wir den Inhalt heranziehen, der dem Ich auch als unmittelbar gegebenes Objekt gegenübertreten kann, also begrifflich auf die objektive Seite der Ich-Welt des Anfangs gehört, so eng er faktisch auch mit dem Subjekt verbunden sein mag.

Ein Beispiel, das für uns, wie sich zeigen wird, zugleich mehr als ein bloßes Beispiel bedeutet, kann wenigstens das Problem klären. Wir brauchen objektivierbaren Bewußtseinsinhalt schon dann, wenn wir versuchen, das kontemplative Ich in seiner Besonderheit als Subjekt der theoretischen oder ästhetischen Kontemplation zu verstehen. Die allgemeinste Ich-Voraussetzung jedes gegebenen Bewußtseinsinahltes darf noch nicht als  erkennendes  oder gar als wissenschaftliches Ich gelten, und ebensowenig haben wir in ihr schon ein künstlerisch anschauendes Subjekt. Der Grund dafür liegt nahe. Das theoretische Ich ist vom ästhetischen verschieden, und diese Verschiedenheit läßt sich aus dem reinen Ich nicht ableiten. Sie kann also nur aus einem besonderen Inhalt stammen, der für das reine Ich Objekt zu werden vermag. Auf welchem  Weg  mit seiner Hilfe der Begriff eines theoretischen oder eines ästhetischen Ich zu bilden ist, steht hier nicht in Frage. Aber darauf ist schon am Anfang hinzuweisen, daß ohne inhaltlich belastete, an der gegebenen Objekt-Seite der Ich-Welt orientierte Subjekt-Begriffe eine Philosophie des kontemplativen Lebens in seiner  Mannigfaltigkeit  nicht möglich wird.

So entschieden wir also jede intuitionistische Tendenz abzulehnen, die alles in Schauen auflösen will, so entschieden wenden wir uns auch gegen jede rein konstruierende Philosophie, welche ohne Rücksicht auf lediglich zu schauende Inhalte die verschiedenen Arten des Ich zu "deduzieren" versucht. Ein solches Verfahren beruth immer auch Selbsttäuschung, d. h. auf Ignorierung eines unbemerkt aufgenommenen, in letzter Hinsicht nur gegebenen, nicht weiter ableitbaren Bewußtseinsinhaltes. Das gilt auch, ja vor allem für das Subjekt, wenn man es als den Inbegriff einer  Mehrheit  von Voraussetzungen zu verstehen sucht. Wo man sich nicht auf das allgemeinste a priori des reinen Ich beschränkt, sondern die Mannigfaltigkeit der Formen des Subjekts aufzeigen will, hat man Rücksicht auf den anschaulich gegebenen Bewußtseinsinhalt zu nehmen. Daß es ohne ihn überhaupt keine  Mannigfaltigkeit  von Formen geben kann, muß zutage treten, sobald man die Scheidung der beiden Seiten der Ich-Welt nach Form und Inhalt konsequent durchführt.

Doch das alles betrifft die Ausgestaltung des Systems, nicht mehr seinen Anfang. Hier war nur die Richtung zu bestimmen, die man einzuschlagen hat, um über das reine Ich hinauszukommen. Die Frage, die, ehe man das versucht, noch innerhalb des Anfangs gestellt werden muß, lautet: was ist dem rein kontemplativen Ich in Wahrheit  unmittelbar  gegeben, oder was läßt sich ohne jede weitere Vermittlung lediglich durch  reine  Anschauung erfassen, um dann in den Gehalt unserer Begriffe einzugehen? Sobald wir hierauf die Aufmerksamkeit lenken, wird sich zeigen: in der scheinbar so selbstverständlichen Wendung zum Objekt, deren Notwendigkeit gerade am Anfang nicht bestritten werden soll, steckt ein schwieriges Problem, und erst wenn dies wenigstens als Problem erkannt ist, besitzt man einen vollständigen Begriff vom ganzen Anfang der Philosophie, der dann freilich wie jeder echte System-Anfang zugleich über sich hinaus, zum Aufbau des Systems weitertreibt.

Wir können bei der Wendung zum Objekt vom reinen Ich, gerade weil es die Voraussetzung von  allem  Gegebenen ist, ganz abgesehen, ja ein Subjekt interessiert uns  jetzt  überhaupt nur noch insofern, als es darauf ankommt, in der objektiven Seite des Anfangs jedes subjektive Moment auszuschalten. Das muß geschehen, weil mit dem Subjekt Umbildungen des unmittelbar Gegebenen verbunden sein können, die als Vermittlungen aufzufassen sind. Wir wollen jetzt ausdrücklich und endgültig das feststellen, was das unmittelbar Gegebene als das kritische Minimum der  objektiven  Seite des Anfangs in seiner  Reinheit  ist. Erst so wird der Sinn der kritischen Forderung klar, daß die Philosophie mit dem "Unmittelbaren" zu beginnen habe. Was ist dem reinen Ich ohne jede Vermittlung  gegeben? 

Bei der Antwort auf diese Frage ist zunächst zu sagen, welcher Weg uns nicht zum Ziel führen kann. Im Grunde genommen handelt es sich dabei zum Teil um Selbstverständlichkeiten. Aber über den Begriff des unmittelbar Gegebenen herrscht noch soviel Unklarheit, daß man gut tut, hier nichts als selbstverständlich vorauszusetzen. Daher sei zuerst ausdrücklich gesagt: wir dürfen, wenn wir von einem dem reinen Ich unmittelbar gegebenen Bewußtseinsinhalt sprechen, dabei nicht an das Gebilde denken, welches man die "empirische Wirklichkeit" nennt, und von dem die Spezialwissenschaften glauben können, daß sie es unmittelbar "vorfinden". Weshalb von sich hier aus keine weitere Bestimmung des Systemanfangs finden läßt, soll wenigstens angedeutet werden.

Die sogenannte empirische Wirklichkeit wird auch als "psychophysische Realität" bezeichnet, d. h. sie zerfällt, wie man allgemein annimmt, in körperliche und seelische Vorgänge. An jedem Körper, den wir sinnlich wahrnehmen, ist gewiß manches unmittelbar gegeben. Aber der  ganze  Körper ist es ebenso gewiß nicht, und auch das unmittelbar Gegebene  am  Körper sollte noch nicht "körperlich" genannt werden, denn im Begriff des Körpers stecken viele Vermittlungen, ohne welche er jeden Sinn verliert. Das unmittelbar Gegebene ist noch nicht körperlich. Das wird heute wohl auch allgemein zugestanden.

Aber genau dasselbe, was wir von der Körperwelt sagen dürfen, gilt vom Seelenleben, und da beginnen dann Schwierigkeiten der Verständigung. Es herrscht vielfach noch das alte, von KANT widerlegte "spiritualistische" Dogma, wonach das Psychische unmittelbarer "erfahren" wird als das Physische. Demgegenüber ist zu konstatieren: ein seelischer Vorgang gehört in seiner Totalität sowenig zum unmittelbar Gegebenen wie ein körperlicher, und auch das unmittelbar Gegebene am Seelischen darf nicht schon seelisch heißen. Das Psychische fällt wie das Physische unter einen Begriff, der ohne Vermittlungen jeden Bestand verliert. Freilich kann man eine andere  Terminologie  wählen. Wir haben von Bewußtseinsinhalten gesprochen, und dieses Wort wird vielfach so verstanden, daß man es dem Seelischen gleichsetzt. Danach würde dann das unmittelbar Gegebene durchweg psychisch sein. So mag man, wenn man will, selbstverständlich sagen. Aber daß diese Ausdrucksweise zweckmäßig ist, wird sich nicht begründen lassen. Der Gegensatz zum Physischen fiele dann für das Psychische fort, und wir stünden, wenn wir angeben sollen, was das Psychische unter dieser Voraussetzung ist, genau vor derselben Schwierigkeit wie dann, wenn wir uns die Aufgabe stellen, das Wesen des unmittelbar gegebenen Bewußtseinsinhaltes zu kennzeichnen. Wird das Wort psychisch für alles unmittelbar Gegebene gebraucht, so hat es damit jede prägnante Bedeutung verloren. Nur im Unterschied vom Physischen läßt sich vom Seelischen ein bestimmter Begriff bilden, der sich dann nur auf einen Teil der empirischen Wirklichkeit bezieht. Wir kommen als in der Bestimmung des unmittelbar gegebenen Bewußtseinsinhaltes nicht einen Schritt weiter, solange wir irgendwelche  besonderen  Objekte herausgreifen, aus denen sich die psychophysische Realität zusammensetzt, und dann versuchen, den Charakter, der ihnen anhaftet, der Totalität des unmittelbar Gegebenen zuzuschreiben.

Dieses Ergebnis läßt sich leicht verallgemeinern. Begriffe von Objekten, die sich untereinander wesentlich unterscheiden, sind zur Kennzeichnung des unmittelbar Gegebenen in seiner Totalität stets zu speziell und zu partikular. Auch falls es noch andere als physische und psychische Objekte gibt, woran nicht zu zweifeln ist, können wir die Begriffe von ihnen nicht für unseren Zweck verwenden. Sie beruhen notwendig darauf, daß ein Teil des unmittelbar Gegebenen gegen andere Teile abgegrenzt wird und dabei Umbildungen des Gegebenen entstehen, die ohne Vermittlungen undenkbar sind. Deshalb haben wir in unserem Zusammenhang von  allen  besonderen Objekten abzusehen. Wir wollen ja jede Umbildung des Inhalts der Ich-Welt von unserem Begriff des Anfangs im Interesse einer möglichst großen Voraussetzungslosigkeit und Universalität fernhalten.

Führen wir das aber konsequent durch und denken dabei zugleich an das, was wir früher zeigent konnten, dann taucht notwendig die Frage auf: läßt sich die objektive Seite der Ich-Welt überhaupt noch in anderer Weise bestimmen, als wir es schon früher getan haben, nämlich so, daß wir sie den von jeder Form, mit Ausnahme der reinen Ich-Form, freien Bewußtseinsinhalt überhaupt nennen? Wie sollte das geschehen, da jede Besonderung als zu partikular und jede Vermittlung als zu voraussetzungsvoll ausscheidet? Gewiß können wir nachwievor sagen: das unmittelbar Gegebene ist das rein Anschauliche, aber das bedeutet in diesem Zusammenhang wenig, denn das rein Anschauliche läßt sich, wie wir wissen, nur anschauen und nicht  denken;  genauer, es läßt sich allein so denken, daß man es als das Anschauliche denkt, das noch von jeder begrifflichen Umbildung frei ist. Weiter als bis zu diesem Begriff kommen wir mit unserem Denken ohne Vermittlungen nicht. Gewiß haben wir eine geradezu unübersehbare Fülle von anschaulichem Inhalt unmittelbar im Bewußtsein, und es sind viele weitere Bestimmungen möglich, die das Wesen der anschaulichen Mannigfaltigkeit inhaltlich kennzeichnen. Aber das alles bezieht sich nicht auf das Anschauliche überhaupt, sondern auf besondere Teile von ihm, und ohne Formen, die den rein anschaulichen Bewußtseinsinhalt irgendwie gestalten oder gliedern, werden wir über den Begriff der reinen Anschauung nicht den kleinsten Schritt hinaus tun. Alle diese Formen gehören nicht mehr zum unmittelbar Gegebenen, wie wir es verstehen, und daher können wir nur feststellen: der reine Inhalt des Ich-Bewußtseins ist in seiner Allgemeinheit überhaupt nicht  positiv  zu charakterisieren. Wir müssen darauf verzichten, noch etwas anderes über ihn auszusagen, als daß er der unmittelbar gegebene, rein anschauliche Inhalt ist.

Aber gerade dadurch fällt auf die objektive Seite des Systemanfangs das hellste Licht;

Aber gerade dadurch fällt auf die objektive Seite des Systemanfangs das hellste Licht; und damit das in jeder Hinsicht klar wird, erinnern wir noch einmal an das theoretische Ich, das wir als Beispiel schon erwähnt haben, als wir sagten, wie das reine Ich  nicht  zu denken ist. Dieser Unterschied bekommt jetzt für uns eine Bedeutung, die ihn zu mehr als einem bloßen Beispiel macht. Darf das reine Ich des Anfangs noch kein theoretisches oder erkennendes Ich sein, so folgt daraus: der Bewußtseinsinhalt kann in seiner Reinheit nicht als  erkannter  Inhalt gedacht werden. Das ist im Grunde wieder selbstverständlich, und doch bedarf es noch der Erörterung, denn man wird vielleicht sagen: falls wir darin die Konsequenz unserer Darlegungen haben, zeigt sich nur, daß unser Begriff des Anfangs noch der Korrektur bedarf. Der Kreis der Voraussetzungen wurde dann bisher offenbar zu eng gezogen, d. h. es ist ein Teil dessen ignoriert, was vorausgesetzt werden muß, falls man zu philosophieren auch nur beginnen will. Der Grund dafür liegt auf der Hand: ohne ein theoretisches Ich konnten wir faktisch keinen Schritt bei der Bestimmung des Systemanfangs tun. Nur ein theoretisches Ich vermochte den Begriff einer Ich-Welt, die eine objektive und eine subjektive Seite hat, denkend zu bilden.

Das ist selbstverständlich richtig. Aber vermag dieser Umstand an unserem Begriff des  universalen  Systemanfangs etwas zu ändern? Wir dürfen eine solche Art der "Voraussetzung" nicht mit dem a priori verwechseln, das in den möglichst voraussetzungslosen Anfang gehört. Gewiß muß  faktisch  ein theoretisches Ich beim Philosophieren vorhanden sein. Doch bei den  notwendigen  Voraussetzungen des Anfangs steht nicht das wirkliche Ich beim Philosophieren vorhanden sein. Doch bei den  notwendigen  Voraussetzungen des Anfangs steht nicht das wirkliche Ich, das stets individuell ist und auch "wir" heißt, in Frage, sondern allein der  Gehalt  des Begriffs, den "wir" denken, wenn wir den Anfang denken, und in diesem Gehalt braucht das theoretische Ich, das ihn denkt, nicht vorzukommen. Es bleibt vielmehr vielmehr dabei: ein theoretisches Ich darf für den Begriff des Anfangs nicht bestimmend sein, denn dann bestünde der ganze Anfang nur noch aus dem theoretischen Ich und seinem theoretischen Inhalt und erhielte damit von vornherein ein so spezielles Gepräge, daß die universale Forderung, die wir an ihn stellen müssen, unerfüllt bliebe. Wir hätten als Anfang nicht mehr den Begriff einer Ich-Welt des Unmittelbaren überhaupt, wie der theoretische Philosoph sie möglichst voraussetzungslos denkt, sondern den Begriff einer bereits theoretisch  vermittelten  Welt, und gerade sie ist vom universalen und kritischen Anfang auszuschließen. Die Erkenntnistheorie als besonderer  Teil  der Philosophie mag mit dem theoretischen Ich beginnen, ja sie muß das tun, um zu einer theoretischen Welt zu kommen. Der Anfang der Philosophie überhaupt würde dagegen dadurch einerseits unkritisch mit Vermittlungen besonderer Art belastet, und andererseits wäre in ihm für die atheoretischen Formen der Kontemplation, also für die ästhetische und religiöse Anschauung oder gar für ein aktives Ich, bei der späteren Ausgestaltung des Systems kein Platz. Wir wären einem einseitigen Theoretizismus verfallen. Wir hätten den Rahmen, den wir für eine universale Philosophie brauchen, zu eng gespannt, das Fundament zu schmal gelegt.

Das, worauf es ankommt, kann man auch so zum Ausdruck bringen: gewiß bilden wir schon am Anfang der Philosophie theoretische Begriffe, denn  alle  Begriffe sind theoretisch, und nur als  theoretische  Subjekte sind wir zur Begriffsbildung fähig. Aber wir wollen am Anfang theoretische Begriffe mit  universalem  Gehalt, nicht theoretische Begriffe mit einseitig  theoretischem  Gehalt bilden, und weil gerade dem Theoretiker das spezifisch Theoretische so selbstverständlich ist, daß er es leicht in seiner Eigenart verkennt und dann übersieht, müssen wir das  Ausschalten  des spezifisch Theoretischen geradezu als die wichtigste Aufgabe bezeichnen, vor die wir gestellt sind, wo es gilt, die objektive Seite des universalen Anfangs, d. h. das unmittelbar Gegebene in seiner  Reinheit  zu erfassen.

Dementsprechend ist zu sagen: so gewiß das reine Ich noch nicht das theoretische Ich ist, so gewiß darf der unmittelbar gegebene Inhalt nicht ein schon mit spezifisch theoretischen Formen durchsetzter Inhalt sein. Deshalb haben wir bei seiner begrifflichen Bestimmung jetzt nicht nach  neuen  Kennzeichen zu suchen, sondern vielmehr zu prüfen, ob nicht vielleicht in den Inhalt des Anfangs unwillkürlich schon  mehr  aufgenommen ist, als sich mit seinem Wesen, reiner Inhalt zu sein, verträgt. Insofern entspricht die letzte Aufgabe, vor die wir gestellt sind, genau der, vor der wir standen, als es galt, die subjektive Seite des Anfangs, d. h. das Ich-Moment in seiner Reinheit aus dem individuellen Ich herauszulösen.

Damit kommen wir nun freilich zu eigentümlichen Schwierigkeiten, aber sie sind weniger sachlich als sprachlich. Wir befinden uns in der Tat auch bei größter kritischer Vorsicht in Gefahr, zur begrifflichen Bestimmung des unmittelbar gegebenen Bewußtseinsinhaltes  Ausdrücke  zu verwenden, mit denen wir spezifisch theoretische Bedeutungen und Voraussetzungen verknüpfen, und eine solche Gefahr lag bereits dort vor, wo wir den reinen Inhalt "Objekt" nannten, um ihn damit dem reinen Ich als dem Subjekt gegenüberzustellen. Wir mußten das tun, weil ein anderer  positiver  Ausdruck für alles, weas nicht Subjekt ist, fehlt. Aber das Wort Objekt bedarf jetzt in der Tat noch einer Erläuterung: der Begriff, den wir damit verbinden, muß am Anfang so verstanden werden, daß unter ihn nur der Inhalt des Bewußtseins in seiner reinen Anschaulichkeit fällt. Es läßt sich nicht leugnen, daß eine solche Terminologie mißverständlich ist. In seiner üblichen Bedeutung bezeichnet das Wort  Objekt  etwas, das durchaus nicht als nur anschaulich gegeben gedeutet werden darf. Das wird besonders klar, wenn wir statt Objekt "Gegenstand" sagen, oder gar, wie es üblich ist, an den Gegenstand der Erkenntnis denken. Das müßte den Begriff unseres Anfangs völlig verwirren. Den Gegenstand der Erkenntnis dürfen wir am Anfang der Philosophie auf keinen Fall mit dem Bewußtseinsinhalt überhaupt identifizieren. Das erste Glied des Systems ist vielmehr so zu bestimmen, daß später in seiner objektiven Seite  jeder  Inhalt, also auch  der  Inhalt Platz findet, der Inhalt der ästhetischen oder religiösen "Gegenstände" werden könnte. Wir denken bei Gegenstand immer schon entweder an irgendeinen besonderen Gegenstand oder an den allgemeinen Gattungsbegriff des Gegenstandes, unter den besondere Gegenstände als Exemplare fallen. Deswegen haben wir den Terminus  Gegenstand  bei der Bestimmung des Anfangs absichtlich vermieden.

Darüber noch ein letztes Wort. Zwar ist der Ausdruck zur Bezeichnung der objektiven Gegenseite des reinen Ich geeigneter als etwa das Wort Gegen satz,  denn dies könnte zu der Meinung veranlassen, es solle das Andere des Subjekts oder das Nicht-Ich als das vom Subjekt  Gesetzte  gedacht werden, und das wäre für den Anfang wieder viel zu voraussetzungsvoll. Vom theoretischen Ich mag man sagen, daß es sich etwas entgegensetzt, und in der Erkenntnistheorie ist der Begriff eines setzenden, d. h. urteilenden Ich nicht zu entbehren. Das reine Ich aber dürfen wir, als ein im weitesten Sinne kontemplatives Ich, gerade nicht als ein aktiv setzenden Ich denken. Trotzdem genügt die Ausschaltung des Gedankens an ein Gesetztes für die Bestimmung der objektiven Seite des Anfangs noch nicht, sondern wir müssen auch den Ausdruck Gegenstand meiden, wenn wir ihm seine prägnante Bedeutung bewahren wollen. Er bezeichnet immer schon ein  Zusammen  von Form und Inhalt. Der  ganze  Anfang, d. h. das Zusammen von reinem Ich und ihm gegebenem Nicht-Ich, ist daher ein Gegenstand zu nennen. Jede seiner beiden Seiten für sich darf dafür noch nicht gelten. Es kann sich bei ihnen nur um "Momente"  an  einem Gegenstand handeln.

Warum wir auf diese Terminologie Wert legen, wird besonders deutlich, wenn wir vom Singular "Gegenstand" zu einem Plural übergehen und dann das Ganze des unmittelbar gegebenen Bewußtseinsinhaltes eine Welt von Gegenständen nennen. In diesem Begriff stecken bereits Voraussetzungen, die gewiß nicht mehr zu dem kritischen Minimum gehören. Eine solche Welt ist notwendig als eine  gegliederte  Welt zu denken und fällt daher auf keinen Fall mit dem zusammen, was dem rein kontemplativen Ich unmittelbar als etwas rein Anschauliches gegenübertritt. Jede Gliederung setzt vielmehr besondere Formen voraus, und die können wir weder unmittelbar anschauen, noch wie das reine Ich als Voraussetzung des unmittelbar Angeschauten überhaupt denken. Eine gegliederte Welt von Gegenständen läßt sich nur als ein Zusammen von Form und Inhalt verstehen, und zwar nicht als ein Zusammen von reiner Ich-Form und reinem Inhalt, sondern von besonderen Formen und besonderen Inhalten. Damit hätten wir also den Anfang weit überschritten. So wird in jeder Hinsicht klar: wir müssen dabei stehen bleiben, den Anfang des Systems als ein Zusammen von reiner Ich-Form und rein anschaulich gegebenem Inhalt zu denken, und auf jede weitere Bestimmung des kritischen Minimums verzichten. So allein haben wir in seiner objektiven Seite das, was den Namen des unmittelbar Gegebenen verdient, und so allein wird der Begriff des unmittelbar Gegebenen zu einem eindeutig bestimmten Begriff.

Der ganze Systemanfang, zu dem wir schließlich kommen, muß denen, die anschaulich philosophieren möchten, wieder als eine völlig "leere" und daher nichtssagende Konstruktion erscheinen. Aber falls man unter Leerheit das versteht, was mit der Freiheit von allen entbehrlichen Voraussetzungen und mit der universalen Weite der Begriffe notwendig verbunden ist, läßt sich eine solche Leerheit am Anfang des Systems nicht vermeiden. Ja gerade darauf kam es an, zu zeigen, wie  wenig  übrig bleibt, sobald man mit der Forderung, am Anfang solle nur das unmittelbar vor Augen stehende Anschauliche gelten, wirklich  Ernst  macht. Wir  können,  solange wir beim unmittelbar Gegebenen bleiben, darin noch nicht viel von dem haben, was wir zum Aufbau einer Lehre vom Weltganzen brauchen. Wir besitzen im Begriff der Ich-Welt, wie wir sie verstehen,  nur  den Anfang des Systems, und mehr haben wir damit auch nicht erreichen wollen.

Trotzdem gibt uns schon der leere Anfang in wissenschaftlicher Hinsicht sehr viel; denn wir wissen jetzt, wie wir verfahren müssen, falls wir vom universalen Minimum aus auf den Weg kommen wollen, der allmählich zum universalen Maximum hinführt. Was sich als Anfang des Systems darstellt, ist in seiner  Doppelheit  bei  jedem  Schritt zu berücksichtigen, von dem wir hoffen dürfen, daß er uns dem Ziel der Philosophie, der Erkenntnis des Weltganzen, näher bringt. Beschränken wir uns in irgendeinem Stadium des Weges auf die eine Seite, so denken wir nicht mehr universal. Stets haben wir das  Zusammen  von Ich und Nicht-Ich, Form und Inhalt, Subjekt und Objekt zu beachten, wo es gilt, ein Systemn von Gedanken zu entwickeln, das der Totalität der Welt irgendwie entspricht. Von der anfangs formlosen und daher unsagbaren Mannigfaltigkeit des unmittelbar Gegebenen aus ist in einer Weise, die hier nicht einmal angedeutete werden kann (1), Schritt für Schritt die leere Ich-Form so mit Inhalt zu füllen, daß eine Mehrheit von verschiedenen Subjekten entsteht, denen verschiedene gegliederte Objekt-Welten gegenübertreten; und erst wenn wir damit das Weltganze in seiner Mannigfaltigkeit begriffen haben, können wir die Frage nach seiner "Einheit" stellen. Verfährt man in dieser Art, dann braucht man nicht zu fürchten, daß das Ende der Philosophie so "leer" bleibt, wie ihr Anfang es sein muß, um der kritischen wie der universalen Forderung zu genügen.
LITERATUR - Heinrich Rickert, Vom Anfang der Philosophie, Logos, Bd. 14, Tübingen 1925
    Anmerkungen
    1) Wie der  erste  Schritt zu tun ist, der das unmittelbar Gegebene in seine beiden Hauptarten, das Sinnliche und das Unsinnliche oder das Wahrnehmbare und das Verstehbare, gliedert, habe ich in meiner Abhandlung über die Methode der Philosophie und das Unmittelbare (Logos XII, Seite 235f) zu zeigen versucht. Insofern können die dort entwickelten Gedanken als direkte Fortsetzung der vorliegenden Arbeit angesehen werden.