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JOHANNES REHMKE
Lehrbuch der
Allgemeinen Psychologie

[ 9/9 ]
    Vorwort
§ 1. Psychologie als Wissenschaft überhaupt
§ 2. Die Psychologie als Fachwissenschaft überhaupt
§ 3. Die Psychologie als besondere Fachwissenschaft
§ 4. Der Ausgangspunkt
§ 5. Geschichte des Seelenbegriffs
§ 6. Der altmaterialistische Seelenbegriff
§ 7. Der spiritualistische Seelenbegriff
§ 8. Der neumaterialistische Seelenbegriff
§ 9. Der spinozistische Seelenbegriff
§ 10. Die zwei Arten von Konkretem
§ 11. Das Konkretum "Seele"
§ 12. Die Fehlerquelle der geschichtlichen Seelenbegriffe
§ 13. Die Behauptung von unbewußtem Seelischen
§ 14. Das konkrete Bewußtsein als das Seelengegebene überhaupt
§ 15. Die Bedingung des Bewußtseins im unmittelbar Gegebenen
§ 16. Die Wechselwirkung zwischen Seele und Dingwirklichem
§ 17. Das Zusammen von Seele und Leib

"Bemerkungen wie:  die Seele verliert das Bewußtsein und an die Stelle der Bewußtheit tritt das Fehlen der Bewußtheit, die Unbewußtheit,  leisten gar nichts; denn auch das bloße Nichtmehrsein einer Bestimmtheit ist gar nicht faßbar, es sei denn eine andere Bestimmtheit gleicher Gattung an ihrer Stelle da. Und inwiefern die  Unbewußtheit gleicher  Gattung sei mit der  Bewußtheit  ist eben eine Frage, die sich ins Leere richtet und darum keine Antwort erhalten kann. Man kommt auch aus dieser Leere durch eine die verneinende Form vermeidenden elegante Umschreibung "ein dem Bewußtsein äquivalenter Prozeß" nicht heraus: unfassbar bleibt dieses wie jenes Wort."

Erster Teil
Das Seelenwesen

§ 17.
Das Zusammen von Seele und Leib

Wechselwirkung zwischen Seele und Dingwirklichem besteht tatsächlich nur zwischen der Seele und einem einzelnen Ding, dem "Leib"; das Bedingtsein der Seele durch anderes Dingwirkliches und umgekehrt ist stets ein mittelbares, vermittelt durch den Leib, welcher mit dem anderen Dingwirklichen in Wechselwirkung steht.

Diese Wechselwirkung zwischen Seele und Leib begründet das eigenartige Zusammen von Seele und Leib, das zwar ebensowenig, wie das Zusammen zweier in Wechselwirkung stehender Dinge, eine begriffliche Einheit bildet, aber doch ein engeres Zusammen als jenes ist, insofern einerseits der bestimmte Leib die notwendige Bedingung für die bestimmte Seele in ihrem Gegebensein überhaupt bedeutet und andererseits die Seele mit anderem Wirklichen nur durch den bestimmten Leib in Verkehr steht: was die Seele so zum Ausdruck bringt, daß sie dieses Ding "ihren" Leib nennt, indem sie es dadurch aus dem übrigen Dingwirklichen heraushebt und ihr eigenartiges Zusammen mit ihm kennzeichnet.

Weil aber nicht auch die Seele die notwendige Bedingung für das Gegebensein überhaupt des Leibes ist, indem dieser zu bestimmten Zeiten (Ohnmacht, traumloser Schlaf) auch ohne die Seele sein kann, so ist dieses Zusammen schon deshalb keine begriffliche Einheit, sondern ein nur einseitig bedingtes Zusammen, das aber, wenn es besteht, eben in der Wechselwirkung der beiden Konkreten besteht; räumliches Aneinander von Seele und Leib ist jedoch für diese Wechselwirkung, etwa nach Maßgabe derjenigen von Ding zu Ding, nicht annehmbar, weil es dem Begriff der Seele als Bewußtsein, also als unräumlichem Konkreten widerspricht.

Das eigenartige Zusammen von Seele und Leib, demzufolge die Seele diesen Leibt vom anderen, ihr bewußten [2] Dingwirklichen als ein noch in besonderer Weise "zu ihr Gehöriges" unterscheidet, bringt es mit sich, daß sich im Sprachgebrauch das Wort "ich" in einem doppelten Sinne findet [1] = Seele oder konkretes Bewußtsein [2] = Seele und Leib; im letzteren Sinne sprechen wir dann auch nicht nur von "unserem Leib, sondern auch von "unserer" Seele.

Dieser Doppelsinn des "ich" hat der materialistischen Verirrung Vorschub geleistet, daß Bestimmungen, welche zwar für das ich" - das Zusammen von Seele und Leib gelten, aber den Rechtsgrund ihrer Geltung nur im Konkreten, Leib genannt, finden können, schlechtweg auf das "ich" = Seele oder Bewußtsein bezogen werden, so bestonders die Ortsbestimmtheit, sowie der Gegensatz "in mir - außer mir", "Innenwelt - Außenwelt".



Jede Wechselwirkung setzt das  zugleich  Gegebensein zweier Konkreten voraus: diese Voraussetzung voraus: diese Voraussetzung erfüllen Seele und wirkliches Ding; damit ist aber nur die allgemeine Möglichkeit ihrer Wechselwirkung ausgesprochen. Tatsächlich steht nicht jede Seele zu jeglichem zugleich gegebenen wirklichen Ding in diesem Verhältnis, sondern immer nur die Seele zu dem einen Ding, einem bestimmten Leib oder, genauer, zu einem bestimmten Ding-Individuum "Gehirn". Daß dieses wiederum aus dielen Ding-Individuen "Zellen" als seinen Teildingen besteht und daß die Seele zu  mehreren  dieser Teildinge zugleich in jenem Verhältnis stehen  kann,  soll hier gleich hervorgehoben werden: doch streitet dies nicht gegen den Satz, daß eine bestimmte Seele nur zu einem bestimmten Gehirn in Wechselwirkung steht, nicht aber auch zu einem anderen Gehirn oder Leib.

Das Wechselwirken ist ein besonderer Fall des  Bedingungseins  von Konkretem für die eintretende Veränderung eines anderen überhaupt; keineswegs alles sogenannte Wirken ist an das Zugleichgegebensein des Wirkenden und des sich verändernden anderen Konkreten verknüpft. Die von einem entfernten Stern ausgehende Ätherbewegung trifft heute unser Auge und wir haben eine Lichtempfindung, während der Stern selber schon aufgehört haben kann zu bestehen, die Lichtempfindung aber heißt seine "Wirkung", ist von ihm bedingt.

Wir unterscheiden eben zwischen mittelbarer und unmittelbarer Bedingung, zwischen mittelbarem und unmittelbarem Wirken. Das Konkrete nun, sofern es  unmittelbar wirkt  wird auch seinerseits vom Konkreten, an dem die unmittelbare WIrkung auftritt, wiederum  unmittelbar  bedingt," es findet in diesem Fall eben stets  Wechselwirkung  statt. So steht es auch bei Seele und Leib: ein gegenseitiges sich Bedingen zeigen die zugleich gegebenen Konkretenin Betreff gewisser Veränderungen und bilden so ein bestimmtes, in dieser Wechselwirkung sich darstellendes und begründetes Zusammen, dessen Eigenartigkeit bemerkenswert ist.

Denn dieses Zusammen ist nicht das der begrifflichen Einheit, wie es z. B. Farbe und Gestalt in der Augenblickseinheit des Dinges bieten, die sich gegensetig in ihrem Gegenbesein überhaupt, sodaß die eine nicht ohne die andere gegeben sein kann, ein Bedingen, das nicht ein Wirken (Bedingung einer  Veränderung  sein) ist, und eine Gegenseitigkeit, die sich nur bei allgemeinem Abstrakten findet, daher das zusammen auch eben  begriffliche  Einheit heißt." Weil das Zusammen von Seele und Leib ein Zusammen von besonderem Konkreten ist, so kann von einer Notwendigkeit, die nur allgemeines Abstraktes verbindet, nicht die Rede sein; die Möglichkeit, daß dieser Leib auch ohne diese Seele und andererseits diese Seele auch ohne diesen Leib gegeben sei, muß, sobald wir sie nur als die zwei in Wechselwirkung stehenden begreifen, daher aufrecht erhalten bleiben. Ebenso wie wir das Zusammen zweier in Wechselwirkung stehender Dingkonkrteen nicht als  begriffliche  Einheit fassen können und die Möglichkeit, daß das eine auch ohne das andere gegeben sei, zugestehen müssen.

Die  Spinozisten  freilich, denen Seele und Leib  Abstraktes  sind, machen aus dem Zusammen eine  begriffliche Einheit  und stellen die Grundformel auf:  ohne  Seele kein Leib und ohne Leib keine Seele. Die unentbehrliche Stütze dieser Formel ist das Wort "unbewußte [1] Seele"; da uns dieses Wort ein leeres ist, so fällt für uns auch die Formel außer Betracht, dies aber nicht in dem Sinne, daß wir etwa nun die gegensätzliche Formel: "es gibt Leib ohne Seele und Seele ohne Leib" an die Stelle setzten, sondern unser Widerspruch richtet sich nur gegen die  erste  Hälfte jener Formel: "ohne Seele kein Leib."

Denn den Satz "ohne Leib keine Seele" unterschreiben wir, weil er die treue Darstellung des tatsächlich Gegebenen ist, weil wir, da wir ja allein mit demselben als unmittelbar Gegebenen arbeiten können und das Gegebensein der Seele überhaupt ohne das des Leibes gar nicht zu fassen wissen. Aber die Tatsache, daß das Gegebensein des Leibes die  voraufgehende  Bedingung für das Gegebensein des Seelischen überhaupt ist, da er ist, bevor eine Seele oder konkretes Bewußtsein ist, da er ist, auch wenn dieses nicht ist, läßt den Satz "ohne Seele kein Leib" nicht zu; wir können, ohne dem Gegebenen Gewalt anzutun, nicht behaupten, daß die Seele die Bedingung des Gegebenseins des Leibes überhaupt sei: eben deswegen ist auch nicht die Rede davon, daß das Zusammen von Leib und Seele eine begriffliche Einheit bildet.

Allerdings bildet das Zusammen der Seele und des Leibes - und darin unterscheidet es sich von dem zweier Dingkonkreten - ein notwendiges Zusammen, aber es ist nicht, wie in der begrifflichen Einheit, ein gegenseitig, sondern nur ein  einseitig  bedingtes, insofern der bestimmte Leib das Gegebensein der Seele, nicht aber diese das Gegebensein des Leibes überhaupt bedingt.

Dieser Unterschied gegenüber dem Zusammen zweier Dingkonkreten, die selbst in ihrem Gegebensein überhaupt nicht einmal jene einseitige Abhängigkeit aufweisen, macht sich in der Wechselwirkung derartig geltend, daß, während sie zwischen Dingkonkreten als  gleichzeitiges  gegenseitiges Wirken besteht, Seele und Leib gegenseitiges Wirken im  Nacheinander  bieten. Wollte man das Wort "Wechselwirkung" auf das  gegenseitige  Wirken beschränken, so müßte für die  eigenartige Gegenseitigkeit  des Wirkens von Seele und Leib ein anderes Wort gewählt werden; indessen ist die Notwendigkeit dieser Beschränkung nicht ersichtlich, weshalb wir das Wort "Wechselwirkung" für das  wechselnde  Wirken von Leib und Seele aufeinander beibehalten.

Die Möglichkeit dieser Wechselwirkung setzt aber immer jenes Wirken des Leibes, welche die  notwendige Bedingung für das Gegebensein der Seele überhaupt  bleibt, schon voraus; Zusammen von Seele und Leib, das sich  einzig in dieser Wechselwirkung  darstellt, ist also  nur aufgrund dieses Leibes überhaupt  da.

Die Folge dieses Zusammens andererseits ist, daß die Seele, wann immer sie wirkende ist,  unmittelbar  dieses nur für den bestimmten Leib sein kann und nur mittelbar für anderes Wirkliches, nämlich mittels seines Wirkens auf den Leib, der als veränderter dann unmittelbar das andere Wirkliche bedingt; und daß ferner anderes Wirkliches auch seinerseits nur mittelbar auf die Seele wirken kann, nämlich mittels seines Wirkens auf den Leib, der als veränderter wiederum unmittelbar das Seelische bedingt. Auch in  diesem  Sinne findet sich also die Seele "an den Leib gebunden", wie es in Ansehung ihres Gegebenseins überhaupt ja schon festgestellt wurde.

So geschieht es, daß sich die Seele immer mit dem bestimmten Leib  zusammen  findet, als auch diesen Leib als das unentbehrliche  "Werkzeug"  ihres Wirkens auf das übrige Wirkliche und als den unentbehrlichen  "Mittler"  zwischen der wirkenden übrigen Welt und sich erfährt: das hat zur Folge, daß die Seele diesen Leib  "ihren"  Leib nennt, der noch in anderer Weise zu ihr gehört als das andere Wirkliche, dessen sie sich bewußt ist und daß sie ihn klar unterscheidet als dieses besondere wertvolle Individuum von den übrigen der Dingwirklichkeit.

Das Zusammen von Seele und Leib, sagten wir, sei ein eigenartiges, vom Zusammen zweier aufeinander wirkenden Dinge verschiedenes: das zeigt sich auch darin, daß jenem die Bedingung, welche diesem nötig ist, fehlt, nämlich das  Aneinander im Raum.  Seele und Leib können ein solches Aneinander nicht aufweisen, weil erstere eben Bewußtsein ist, also nicht Räumliches, nicht im Raum gegeben sein kann. An Stelle jener Bedingung tritt hier der wirkende bestimmte  Leib,  insofern er die  Bedingung für das Gegebensein der Seele überhaupt  ist; auf dieser Bedingung, auf  ihr aber auch allein,  steht das  Zusammen  von Seele und Leib, welches selber  nichts anderes  ist, als die  Wechselwirkung im Nacheinander  von den zugleich gegebenen Konkreten Seele und Leib.

Das ist der Unterschied zwischen der Wechselwirkung von Dingen untereinander sowie ihrem Zusammen und derjenigen von Leib und Seele und deren Zusammen: die Dinge stehen zueinander in Wechselwirkung,  weil  sie  zusammen  sind (sich berühren), Leib und Seele aber sind zusammen,  weil  sie in  Wechselwirkung  zueinander stehen. Diesen Unterschied haben diejenigen nicht erkannt, welche nach Maßgabe der Wechselwirkung in der Dingwirklichkeit die Wechselwirkung von Leib und Seel verstehen wollen und daher das Zusammen von Leib und Seele meinen vorher schon klar machen zu können, ohne erst den Begriff der Wechselwirkung hereinzunehmen, wie ein Zusammen der wechselwirkenden Dinge ohne diesen Begriff ja allerdings schon durch den Begriff "Berührung" zu verstehen ist. Sie sehen sich damit aber ins materialistische Fahrwasser gezogen und fassen nun auch das Zusammen von Leib und Seele als  Berührung  und diese Berührung eben als die notwendige  Voraussetzung  auch dieser Wechselwirkung: man sehe nur auf die Herbartianer und wird es bestätigt finden. Wollen wir alle materialistische Dichtung auch in dieser Sache fernhalten, so bleiben wir dabei:  das Zusammen von Leib und Seele ist nur zu verstehen und ist nichts anderes, als die Wechselwirkung von Leib und Seele

Due anfangs noch gesetzte Möglichkeit, daß Seele ohne Leib ein Gegebenes sei, mußte wegfallen, weil wir im Gegebenen überhaupt, das uns allein Aufschluß bringen kann, den Leib als Bedingung für das Gegebensein der Seele antreffen. Das ist jedoch nicht im spinozistischen Sinne zu fassen, weshalb auch der Satz "kein Leib ohne Seele" von uns verworfen ist, für den wir vielmehr den anderen einsetzen "Leib kann mit Seele zusammen sein"; bald ist der Leib  allein,  bald  mit der Seele zusammen,  aber Seele oder Bewußtsein ist immer nur mit Leib zusammen da.

Die Tatsachen bieten uns den Leib als eine  ununterbrochene  Zeitreihe von Augenblickseinheiten; er ist von Anfang seines Daseins an bis zu dessen Ende in jedem denkbaren Augenblick dieses so begrenzten Zeitraums da, er erfüllt somit als Dingkonkretes "das Gesetz der Kontinuität". Nicht das Gleiche lehren uns die Tatsachen vom konkreten Bewußtsein; es tritt auf, verschwindet, tritt wieder auf usf., sein Dasein ist ein  vielfach unterbrochenes.  Diese Tatsache ist es gewesen, welche vielfach Psychologen bewogen hat, entweder das Bewußtsein als Konkretes fahren zu lassen, weil sie nach Maßgabe des Dings in den Begriff des konkreten Individuums überhaupt "das Gesetz der Kontinuität" als unentbehrliches Merkmal hineinlegen oder aber "Bewußtsein" als eigentliches Wesen alles Seelengegebenen fahren zu lassen, um auf  diese  Weise dem Seelengegebenen selber "das Gesetz der Kontinuität" zu retten.

So halten die  Neumaterialisten  dafür, Seele sei allerdings Bewußtsein, aber doch, weil eben letzteres keine "Kontinuität" zeigt, nicht  Konkretes,  sondern eine auftretende und verschwindende und wieder auftretende Bestimmtheit des Hirns, vergleichbar dem Leuchten einer Lampe, die angezündet und ausgelösht und wieder angezündet wird. Die  Spiritualisten  fassen Bewußtsein selber ebenfalls nicht als Konkretes, sondern als eine kommende und gehende  Bestimmtheit,  aber freilich nicht des Gehirns, sondern eines erdichteten Seelen dings,  d. h. eines Konkreten, welches eben als Ding dem "Gesetz der Kontinuität" Genüge tut, welches auch da ist, wenn gleich "Bewußtsein", die angebliche und bloß zufällige Bestimmtheit der Seele, nicht da ist.

Die  Spinozisten  endlich beugen sich gleichfalls vor dem Gesetz der Kontinuität und flicken in die Lücken des Bewußtseins unbewußtes [1] Seelenleben. Sie unterscheiden sich zwar vorteilhaft von den anderen beiden dadurch, daß sie das Bewußtsein nicht an ein wirkliches Ding oder an ein als Ding gedachtes Konkretes (Seelending) anhängen wie einen zeitweiligen Schmuck; aber, wie jene, sehen sie doch ebenfalls das "diskontinuierliche" Bewußtsein für eine Bestimmtheit, im Besonderen für einen bestimmten Intensitätsgrad von "Seelischem", das bei geringerem Intensitätsgrad unbewußtes [1] Seelische sei, an.

Wir haben andererseits zu zeigen gesucht, daß Seele nur Bewußtsein und daß Bewußtsein besonderes Konkretes sei. Bevor wir uns angesichts der Tatsache, welche man "Unterbrechung des Bewußtseins" nennt, mit dem Gesetz der Kontinuität auseinandersetzen, sei darauf aufmerksam gemacht, daß die genannten drei Gegner schon mit unüberwindlichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, um nur ihre Behauptung, Bewußtsein sei die Bestimmtheit eines zugrunde liegenden Veränderlichen, die bald ihm eigen sei und bald ihm fehle, unter der Voraussetzung des  "Gesetzes  der Kontinuität" zu begreifen.

Dieses Gesetz ist im Dinggegebenen entdeckt und gilt zweifelsohne für das Dinggegebene überhaupt; aber es enthält mehr, als man gemeinhin herausstellt; es legt dem Ding nicht nur "Kontinuität"  zeitlicher  und  räumlicher,  sondern auch  qualitativer  Art bei. Diese letzte "Kontinuität" des Veränderlichen "Ding" wird vielfach unbeachtet gelassen, wenn man jenes Gesetz ausspricht; sie gehört aber notwendig dazu und sagt: "in allen qualitativen Veränderungen des Dings ist das Gattungsmoment der Qualität das Stetige und die Besonderheit der Qualität nur das Wechselnde, eine "Unterbrechung der Qualität" ihrer  Gattung  nach ist unmöglich, wenn anders dasselbe Ding noch fortbestehen soll". Das Ding kann aus einem grünen ein rotes und weiter ein schwarzes werden, das Gattungsmoment ("Farbe") ist dabei aber stets dasselbe und niemals kann aus einem  grünen  Ding ein  süßes  oder  hartes  werden; dies wäre eine  "Unterbrechung  der Qualitätsgattung", die für kein Ding möglich ist, denn es steht auch in dieser Hinsicht unter dem "Gesetz der Kontinuität". Das Verschwinden und Wiederauftreten einer  besonderen  Qualität eines Dinges ist mithin  notwendig  entsprechen  gebunden  an das Auftreten und Verschwinden einer anderen Besonderheit der  selbigen  Qualitätsgattung.

Wenn nun das Bewußtsein für eine "Bestimmtheit" von Veränderlichem, das ausgesprochenermaßen unter dem Gesetz der "Kontinuität" stehen soll, ausgegeben wird, so können wir unter Voraussetzung dieses Gesetzes das Auftreten oder Verschwinden des Bewußtseins nur dann begreifen, wenn jenem Veränderlichen eine andere Bestimmtheit entsprechend verloren geht oder zuteil wird, welche mit "Bewußtsein" doch den Gattungsbegriff gemein hätte. Der  Spiritualist  und der  Spinozist  haben auch folgerichtig nach einem solchen gemeinsamen Begriff gesucht und ihn im "Seelischen" zu finden gemeint, das sie in seinen beiden angeblichen Arten, "bewußtes" [1] und "unbewußtes [1] Seelisches", zu begreifen suchten. Wir hören dann wohl von ihnen, das unbewußte sei dem bewußten Seelischen  "verwandt",  wobei offenbar auf einen gemeinsamen Gattungsbegriff hingedeutet werden soll, aber diese Hindeutung bleibt für uns und tatsächlich auch für sie, inhaltlos: denn, was soll "Seelisches" heißen, wenn nicht Bewußtsein, was soll "unbewußtes [1] Seelisches" bedeuten? Und ohne daß uns dieser Gattungsbegriff "Seelisches" sowie wenigstens  eine  andere, neben der angeblichen Besondernheit "Bewußtsein" noch anzunehmende, Besonderheit desselben denkbar gemacht wird - was eben nicht möglich ist -, läßt sich das Auftreten und Verschwinden einer Bestimmtheit "Bewußtsein" an einem Veränderlichen gar nicht fassen. Bemerkungen wie: "die Seele verliert das Bewußtsein und an die Stelle der Bewußtheit tritt das Fehlen der Bewußtheit, die "Unbewußtheit", leisten gar nichts; denn auch das bloße Nichtmehrsein einer Bestimmtheit ist gar nicht faßbar, es sei denn eine andere Bestimmtheit gleicher Gattung an ihrer Stelle da. Und inwiefern die "Unbewußtheit"  gleicher  Gattung sei mit der "Bewußtheit" ist eben eine Frage, die sich ins Leere richtet und darum keine Antwort erhalten kann. Man kommt auch aus dieser Leere durch eine die verneinende Form vermeidenden elegante Umschreibung "ein dem Bewußtsein äquivalenter Prozeß" nicht heraus: unfassbar bleibt dieses wie jenes Wort.

Nicht besser geht es dem  Neumaterialisten,  der ebenfalls Bewußtsein als eine Bestimmtheit faßt, welche am veränderlichen Gehirn auftritt und wieder verschwindet; ja die Hilflosigkeit tritt hier ganz deutlich hervor, indem er es sogar verschmäht, zum "unbewußten Seelischen" zu greifen, sodaß ihm nun Bewußtsein und Seele gleichbedeutende Worte sind. Eine andere Bestimmtheit, die mit dem "Bewußtsein" einen gemeinsamen Gattungsbegriff hätte, gibt es für ihn nicht. So steht auch er ratlos da und kann die "Bewußtseinserscheinung" nicht mit dem "Gesetz der Kontinuität" in Einklang bringen: und doch, ein Ausweg scheint sich anzubieten!

Der Neumaterialist könnte erklären: Bewußtsein ist die Schöpfung des Gehirns, die bei bestimmten Hirnvorgängen eintritt, bei anderen wiederum fehlt. Auf diese schöpferische Leistung des Gehirns, welches sich eine  ganz  neue Bestimmtheit "Bewußtsein" zulegt, läuft in der Tat auch der Neumaterialismus hinaus.

Wir stehen nun zu der Auffassung des Bewußtseins, wie sie vom Neumaterialismus vertreten wird, insoweit, als er am scheinbaren "Mangel" oder der Lücke, welche gegenüber dem Dingdasein das Bewußtsein mit seiner  unterbrochenen  Zeitlinie zeigt, keinen Anstoß nimmt und keinen Anlaß findet, dem Bewußtsein ein unbewußtes Seelenleben als Lückenbüßer beizugeben: aber wir widersprechen der Ansicht, daß Bewußtsein  Bestimmtheit  eines Konkreten sei und als solche widerspruchslos gedacht werden kann.

Wir stehen ferner auch zur Meinung, welche das der neumaterialistischen Schöpfungstheorie zugrunde liegende Tatsächliche wiedergibt, daß bestimmte Hirnzustände die Bedingung oder notwendige Voraussetzung für das Eintreten bestimmter "Bewußtseinszustände" seien, aber wir finden im Gegebenen "Bewußtsein" mehr als diese Zustände, nämlich die Bewußtseinseinheit, welche in der Schöpfungstheorie des Neumaterialismus gar nicht berührt wird. Diese  konkrete  Bewußtseinseinheit oder das  veränderliche  Bewußtsein, von dem ja auch sogar die Neumaterialisten reden, läßt sich nun einmal nicht leugnen; sie steht aber  nicht  unter dem "Gesetz der Kontinuität", denn sie weist  kein  ununterbrochenes Nacheinander ihrer Augenblickseinheiten auf. Und doch ist sie konkrete Einheit, dessen Zeitglieder festzustellen sind; freilich keine konkrete  Ding einheit, diese hat ja zu ihrer Bedingung das  ununterbrochene  Nacheinander ihrer Zeitglieder. Die  konkrete  Bewußtseins einheit  aber gründet sich auch schon hinreichend auf das unmittelbar gegebene  Subjektsmoment  ihrer Glieder; dasselbige  Bewußtseinssubjekt  ist das einheitsstiftenden Moment des  konkreten  Bewußtseins und es bedarf dazu  nicht  der  "Kontinuität"  seiner Augenblickseinheiten; ob diese da ist oder nicht, bleibt für die Einheit dieses Konkreten  gleichgültig. 

Die Wichtigkeit des Subjektsmoments für das Wesen des Konkreten "Seele oder Bewußtsein" tritt auch hier wieder deutlich vor Augen; wer es übersieht, wird den Begriff des veränderlichen Bewußtseins, das jetzt ist und später nicht ist, um noch später wiederum zu sein, gar nicht widerspruchslos fassen können. In dem in den verschiedenen Augenblickseinheiten  selbigen  Bewußtseinssubjekt aber haben wir alles, was wir brauchen, um die konkrete Einheit des Bewußtseins auch trotz der "Unterbrechung des Bewußtseins" klar zu machen, denn die  Selbigkeit  des Bewußtseinssubjekts als Moments der  verschiedenen  (gleichviel ob zeitlich aneinander gegeben oder nicht) Bewußtseinsaugenblicke führt das  Bewußtsein dieser Selbigkeit  mit sich;  die konkrete Einheit "Bewußtsein ist also eine uns unmittelbar gegebene und als solche allem Zweifel von vornherein entzogen.

Die unbestreitbare, einem jeden vorliegende Tatsache der Selbigkeit des Bewußtseinssubjektes macht es uns möglich, das Bewußtsein, obwohl es sich offenbar nicht dem Gesetz der Kontinuität fügt, doch als ein  Konkretes,  als veränderliches Bewußtseinsindividuum zu begreifen. "Undenkbar" wird dieses Bewußtseinskonkrete nur dem scheinen, welcher das Subjektsmoment als notwendiges "Stück" des Bewußtseins überhaupt einfach beiseite liegen läßt und nunmehr freilich konkrete Einheit, wann immer sie sich bietet, als  ununterbrochene  Reihe von Augenblicken fordern muß, d. h. als  Dingeinheit.  Bewußtsein ohne Unterbrechung kennen wir im Gegebenen nicht; ist also nur diejenige Summe von Augenblickseinheiten, welche keine Unterbrechung zeigt, konkrete Einheit, so kann allerdings nur das Ding für ein Konkretes und muß "Bewußtsein" für ein  Abstraktes  angesehen werden.

Obwohl das Gesetz der Kontinuität aber auf das Bewußtseinskonkrete keine Anwendung hat, so ist damit doch nicht gesagt, daß es im  Begriff  dieses Konkreten liegt, völlige "Kontinuität" unter keinen Umständen zeigen zu können; vielmehr darf die Möglichkeit eines Bewußtseins, welches im ununterbrochenen Nacheinander alle seine Augenblickseinheiten bietet, nicht geleugnet werden. Andererseits dürfen wir behaupten, daß die Seele, welche Gegenstand unserer Psychologie ist, die ununterbrochene Reihe ihrer Augenblickseinheiten  nicht  aufweist. Steht nun diese Seele als konkrete Einheit außer dem Gesetz der Kontinuität, so können wir keinen Anstoß daran nehmen, daß dieselbe, die in einem bestimmten Augenblick ist, nun im nächsten Augenblick nicht nur nicht so, sondern  überhaupt nicht ist,  und ebenso im vorhergehenden Augenblick nicht nur nicht so, sondern  überhaupt nicht war;  denn nur das "Gesetz der Kontinuität" zwingt uns, für jeden Augenblick des unter ihm stehenden Konkreten einen vorhergehenden und einen folgenden zu setzen, welche ihrem Inhalt nach mit jenem zwar nicht gleich, aber doch nur in der  Besonderheit  der räumlichen und qualitativen Bestimmtheit verschieden, in der  Gattung  jedoch dasselbe sind. Doch müssen wir dabei in Bezug auf das Bewußtseinskonkrete bemerken, daß, obwohl die Seele dem Gesetz der Kontinuität nicht untersteht, darum nicht etwa ausgeschlossen ist, daß ihre einzelnen Augenblicke nicht nur im Subjektsmoment, sondern auch in allen Gattungsmomenten der Bewußtseinsbestimmtheit dasselbe und nur in deren Besonderheit verschieden sein  müssen. 



Das unmittelbar gegebene konkrete Bewußtsein nennen wir "ich"; dessen Bewußtseinsbestimmtheit ist  nur  von "meinem" Leib  unmittelbar  bedingt und dessen Wirken geht  unmittelbar  auch nur auf "meinen" Leib.

Dieser Leib ist es, welcher seinerseits alles Bedingtsein des Bewußtseins durch das die Umgebung des Leibes bildende übrige Dingwirkliche, sowie alles Wirken des Bewußtseins auf das übrige Dingwirkliche  vermittelt.  Diese doppelte Rolle des Vermittlers, welche dem Leib zukommt, läßt umso mehr das innige Zusammen der beiden Konkreten Seele und Leib hervortreten.

Das in Wechselwirkung innige Zusammen von Seele und Leib, durch welches dieser in besonderer Weise gegenüber allem anderen Dingwirklichen für die Seele als "zu ihr gehörig" herausgestellt ist und Wert hat, ist der Anlaß, daß dasselbe Wort, "ich", mit dem das unmittelbar gegebene konkrete Bewußtsein bezeichnet wird, auch für jenes Zusammen gebraucht wird.

Gegen diesen Sprachgebrauch soll nichts gesagt werden, wenn der Doppelsinn des Wortes "ich"
    1) = Seele oder konkretes Bewußtsein

    2) = Seele und Leib

    3) = Mensch,
stets beachtet wird und im einzelnen Fall keine Verwechslung, die vielfach Verwirrung stiftet, geschieht.

Zuvor sei darauf hingewiesen, daß das Wort "ich", weil ich = Seele,  ein  Konkretes ist, leicht dazu verführt, ich = Mensch als  ein  Konkretes aufzufassen und Seele und Leib für die Teilstücke anzusehen, ähnlich wie  ein  Dingkonkretes, das in der Tat aus Teildingen besteht. Die Rede "der Mensch besteht aus Leib und Seele" hat allerdings ihren guten Sinn, aber sie ist doch falsch verstanden, wenn sie nach Maßgabe des aus zwei Teildingen bestehenden Dinges gefaßt wird. Denn die beiden Konkreten (Seele und Leib) des ich-Menschen haben nicht, wie die Teildinge, ein Gemeinsames aufzuweisen und im Besonderen nicht ein und dasselbe Gesetz ihrer Veränderlichkeit; da sie gänzlich Verschiedenartiges sind, muß eben auch das Gesetz ihrer Veränderlichkeit gänzlich verschieden sein. Man darf also niemals vergessen, daß die beiden Konkreten, aus denen ich-Mensch besteht, in des Wortes strengster Bedeutung  besondere  Konkrete sind, die deshalb nicht  ein  Konkretes zusammen bilden können.

Vor allem ist es nun wichtig, sich klar zu machen, wie weit die Aussagen von ich-Mensch und ich-Seele sich decken können.

Ohne weiteres leuchtet ein, daß alle Urteile, welche von der ich-Seele gelten, natürlich auch vom ich-Mensch ausgesagt werden dürfen; so sprechen wir mit Recht vom Menschen, welcher denkt, fühlt und will, aber wir wissen auch, daß diese Aussagen allein im Konkretum "Seele" begründet sind, welches zum eigenartigen Zusammen "ich-Mensch" gehört und daß hierbei das andere Konkrete "Leib" gar nicht mit in Frage kommt. Wenn der Sprachgebrauch das  Auge  sehen, das  Ohr  hören läßt, so muß das Bedenken erwecken, denn obwohl Auge und Ohr zum Menschen gehören und als Sinnesorgane das Sehen und Hören des Menschen oder, genauer gesprochen, der  Seele  bedingen, so kann doch diesen  Leibesvteilen (Dinglichen) selber nicht  Bewußtseins bestimmtheit, wie es Sehen und Hören eben sind, zugelegt werden.

Andererseits lassen sich aber nicht alle Aussagen vom ich-Mensch auf die ich-Seele übertragen; denn diejenigen, welche vom ich-Mensch gelten, insofern im eigentlichen Sinn der Leib gemeint wird und der eigentliche Grund der Aussagen ist, dürfen wir nicht auf das vom Leibe gänzlich verschiedene Bewußtsein oder die Seele anwenden. Zwar läßt sich, anstatt "die Nase blutet, die Haut schwitzt" sagen "ich blute, ich schwitze", wobei aber doch immer der ich-Mensch, nicht die ich-Seele zu verstehen ist. Es wird auch wohl niemand behaupten, daß die Seele schwitzt oder dgl.; aber was in Bezug auf die Bestimmungen des Leibes als selbstverständlich gilt, nämlich daß sie von der Seele fernzuhalten seien, das wird in Bezug auf andere Bestimmungen, die ebenso zweifelsohne gleichfalls nur dem Leib zukommen können, vielfach vergessen und auf die Seele angewandt.

Wie viele gibt es, welche die Ortsbestimmtheit, die dem ich-Menschen, kraft seines  Leibes,  zukommt, ohne Scheu auch der Seele beilegen! Wie viele gibt es, welche in voller Überzeugung aussprechen: "Wenn eine Seele ist, so muß sie auch  irgendwo  sein." Wollen sie nicht Materialisten sein, so wissen sie eben nicht, was sie tun, wenn sie der Seele einen Ort ihres Seins abverlangen.

Ist Seele Bewußtsein, also kein Ding, also kein Räumliches oder Bestimmtheit des raumgebenden Konkreten, so kann sie auch keinen Ort haben; wer Ernst macht mit seinem Immaterialismus in der Psychologie, der muß zu dem Satz stehen:  die Seele ist, aber sie ist nirgends.  Ich (Mensch) bin zwar hier, an diesem Ort, den jetzt mein Leib einnimmt, ich(Seele) aber bin nicht hier, freilich auch nicht dort oder anderswo, denn  ich (Seele)  bin Bewußtsein und daher nirgends.  Gegen diese Ortslosigkeit braucht allerdings noch gar nicht gesündigt zu sein, wenn z. B. gesagt wird: "ich denke jetzt hier am Pult"; wenn das "ich" eben auch das Zusammen von Seele und Leib bedeutet, dann heißt jenes Wort eben: "dieser Mensch ist dem Leib nach hier und die Seele, welche mit diesem Leib zusammen ist, denkt,  nicht  aber kann damit gesagt sein dürfen, daß das  Denken der Seele hier am Pult  ist.

Indem wir die Ortslosigkeit der Seele betonen, heben wir natürlich weder die Wechselwirkung noch das in ihr eben bestehende Zusammen von Seele und Leib auf. Wir haben uns nur zu hüten, in dieses Zusammen den Begriff des räumlichen Aneinander hinein- und denselben Begriff wiederum der Wechselwirkung als Bedingung ihrer Möglichkeit unterzulegen, weil wir damit die ich-Seele materialisieren. Endlich wird durch die Ortslosigkeit der Seele nicht an der Tatsache gerührt, daß der bestimmte, an einem besonderen Ort befindliche Leib, die Bedingung für das Gegebensein dieser Seele überhaupt ist und nur das soll festgehalten werden, daß das so bedingte Seelenwesen selber  nicht  irgendwo, daher auch  nicht in diesem Leib  ist.

Worte wie "die Seele ist  im  Leib" und dgl. sind daher zu verurteilen und auch solche, die von der "Seele  im Menschen"  reden, sind nicht unbedenklich, weil auch sei gar leicht die Seele wiederum  im menschlichen  Leib suchen lassen. Beide sind ja sehr gebräuchlich und unterstützen ein anderes irreführendes Wort, welches von dem, was  in mir-Seele ist, im Gegensatz zu dem was  außer mir-Seele ist, redet und bei welchem der Doppelsinn des "ich" wieder die verführerische Rolle spielt.

Das "in mir" hat guten Sinn, wenn es bedeutet "in mir-Mensch", genauer, "in meinem Leib"; hier wird das "in mir" eingeschlossen von der Haut des Leibes, welche die Grenzscheide bildet, da jenseits ihrer der "außer mir-Mensch" liegt; jenes ist "mein Inneres" oder das zu meinem Leib Gehörige, dieses das fremde "Äußere" oder das außer meinem Leib Gegebene der Dingwirklichkeit. Diesem "in mir" tritt aber unter Beihilfe des "Seele  im  Leib", welches der Vorstellung des "Dinges im Ding" ruft, ein anderes "in mir" zur Seite, indem nun die "ich-Seele" nach Maßgabe des "ich-Mensch" behandelt wird. Jetzt heißt das "in mir" so viel als "zu dieser Seele gehörig" und das ihm entgegenstehende "außer mir" heißt "nicht zu dieser Seele gehörig". Diesen Doppelsinn des "in mir" sowie des "außer mir" wird man trotz alledem auch noch bestehen lassen können, wenn man nur vor den Verwechslungen sicher ist.

Nun aber pflegt es zu geschehen, daß man von den zwei verschiedenen Gegensätzen je ein Glied nimmt und diese beiden wieder in angeblicen Gegensatz stellt: "in mir" (-Seele) - außer mir (- Mensch)" oder "Innenwelt - Außenwelt oder "mein Inneres - die Außenwelt";  dieser Gegensatz  aber ist ein durchaus  irriger,  denn wir haben gefunden, daß die "Außenwelt" d. h. das  außer dem Leib gegebene  Dingwirkliche auch  zugleich "Innenwelt", d. h. zur Seele Gehöriges  sein kann, indem es von ihr gewußt ist, so daß der angebliche Gegensatz also tatsächlich nicht besteht. Man kann ihn, wie wir wissen, nur aufrecht halten, indem die Seele nach Maßgabe eines Dinges begriffen, also materialisiert wird. In diesem Fall hat man sich dann aber die Möglichkeit, zu begreifen, daß die Seele die andere Dingwirklichkeit hat, d. h. weiß, gründlichst versperrt. In merkwürdig verschobener Weise sehen wir diesen Gegensatz bei den Spinozisten auftreten, wenn sie von der Seele und dem Leib als der  inneren  und  äußeren Einheit  des Menschen reden; Seele sei der Mensch  von Innen  gesehen, Leib sei er  von Außen  gesehen; auch der zurechtgerückte Gegensatz wurzelt augenscheinlich in der materialistischen Auffassung; dazu aber behauptet er, daß  ein und dasselbe  Konkrete, also  ein und dieselbe  Einheit (Mensch) doch zugleich zwei  Einheiten,  die sogenannte äußere und die innere, sei, was nicht zu fassen ist, weil es  ein Widerspruch in sich  selbst bleibt.

Um jenes sich leicht einschleichenden irrigen Gegensatzes willen halten wir es für zweckmäßig, den  psychologischen  Gegensatz des "in mir" und "außer mir" in anderen, nicht irreführenden Worten auszudrücken und jene Redewendungen beiseite zu lassen, damit man der Gefahr, in die materialistische Auffassung der Seele zu verfallen, um so eher entgeht. Unsere Sprache ist reich genug, um dieser Vorsicht genügen zu können.
LITERATUR - Johannes Rehmke, Lehrbuch der Allgemeinen Psychologie, Hamburg und Leipzig 1894