cr-4ra-2E. HornefferM. BakuninR. SeligmannJ. VolkeltG. W. Campbell    
 
RICHARD MÜLLER-FREIENFELS
Der Begriff der Individualität
als fiktive Konstruktion

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"Von groben Verallgemeinerungen abgesehen, ist jede menschliche Handlung irrational, d. h. ihre kausale Bedingtheit ist niemals aus einer hypothetischen Monade abzuleiten. Es gibt prinzipiell kaum etwas, was nicht in den Umkreis einer Persönlichkeit eintreten könnte, es gibt auch keine Regung und kein Erlebnis, das prinzipiell innerhalb einer Individualität unmöglich wäre. Nicht nur vom einzelnen Menschen, auf den es gemünzt war, für jeden anderen gilt das Wort C. F. Meyers:  Ich bin kein ausgeklügeltes Buch; ich bin ein Mensch mit seinem Widerspruch.  Das eben ist das Irrationale der Individualität, daß der Satz des Widerspruchs auf sie nicht angewendet werden kann."

"Statt des starren Begriffsskeletts von der Wirklichkeit, das der Rationalismus allein festhält, suchen wir auch das bewegte, ewig wechselnde Leben in seiner Irrationalität als Tatsache anzuerkennen. Wir bilden uns nicht ein, mit unseren armseligen menschlichen Schöpfgefäßen den unendlichen Ozean der Welt restlos ergründen zu können, wir freuen uns nur, daß wir in unserem Denken ein Mittel haben, uns gleichsam in einem sicheren Kahn hindurchsteuern zu können, während wir uns das volle Bewußtsein zu bewahren suchen dafür, daß wir ringsum umgeben sind von einem Ozean irrationalen Seins."


Kapitel II.
Rationale Elemente der Individualität

1. Angesichts dieser unbestreitbaren, durch Selbstanalyse wie durch objektive Feststellungen erweisbaren Irrationalität des im Individualitätsbegriff bezeichneten Tatbestandes muß es fast wundernehmen, daß man trotzdem überall im Leben und auch in der Wissenschaft die Individualität wie eine umgrenzbare, konstante Größe behandelt. Man hat sie wohl als "Monade", als "Entelechie" oder ähnlich bezeichnet und durch oft seltsame dialektische Manöver die sich aufdrängenden Widersprüche zu beseitigen gesucht. Man ging dabei - bewußt oder unbewußt - von der Annahme aus, daß es innerhalb des Gesamtphänomens gleichsam einen festen Kern gäbe, der im Wechsel beharrte und neben dem alles sich Wandelnde nur "akzidentiell" wäre. In einem solchen hypothetischen "Kern" der Individualität glaubte man den inneren Grund für die Handlungen und die Denkweise eines jeden Menschen erfassen zu können. In diesem Sinne heißt es in SCHILLERs  Wallenstein  (Wallensteins Tod II, 3.):
    "Hab ich des Menschen Kern erst untersucht,
    So weiß ich auch sein Wollen und sein Handeln."
Letzten Endes steckt auch in diesem Einzelproblem die alte metaphysische Vorstellung der Substanz mit ihren Akzidentien, die von jeher gerade bei der Anwendung auf Singuläres ihre Widersprüchlichkeit offenbarte. Ohne dem hier nachzugehen, suchen wir nur die Anhaltsmomente zu ergründen, die den Glauben an einen solchen "Kern" der Individualitä psychologisch möglich machten. Und zwar scheinen drei Tatsachen hierbei zusammengewirkt zu haben. Erstens läßt sich innerhalb des mannigfachen Wechsels dennoch eine gewisse  Kontinuität  feststellen, die man irrtümlicherweies als "Identität" nahm. Zweitens gibt es innerhalb der sich wandelnden Tatbestände solche, die sich sehr langsam wandeln, so daß man immerhin von einer  relativen Konstanz  bei ihnen reden könnte. Und drittens besteht in der Seele ein  subjektives Bewußtsein  einer Identität der Persönlichkeit, das sich trotz aller es widerlegenden Tatsachen erhält. Auf diese drei Momente baut sich jeder Versuch auf, die Individualität zu rationalisieren, d. h. innerhalb der unumgrenzbaren, sich wandelnden Mannigfaltigkeit einen faßbaren, identischen Tatbestand herauszulösen und ihn als das  Wesen  der Individualität dem sich Wandelnden als dem Zufälligen und Nebensächlichen gegenüberzustellen.
    Zu Hilfe kommt solchen Versuchen als negativer Grund noch der Umstand, daß wir in der Praxis des Lebens den Wandlungen der Individualität wenig Beachtung schenken, ja, daß sie überhaupt schwer festzustellen sind. Das ist nicht nur gegenüber anderen der Fall, deren geistige Verhältnisse wir stets nur aufgrund sehr minimaler Anhalte erschließen, es gilt auch von uns selbst. Wir werden uns der eigenen Wandlungen in der Regel wenig bewußt, weil das frühere Stadium im späteren aufgeht, nicht ihm als Gegenwärtiges konfrontiert werden kann. Auch das Gedächtnis ist da eine zweifelhafte Hilfe; denn unsere Erinnerungen wandeln sich mit uns, bleiben nicht unverändert wie Akten im Schrank in den Ganglienzellen des Hirns verstaut, sondern nehmen Farbe und Form der späteren Lebensepochen an. Selbst wenn wir uns die größte Mühe geben, können wir als Vierzigjährige nicht denken und fühlen, wie wir als Fünfzehnjährige gedacht und gefühlt haben. Kommt uns einmal ein wirkliches Dokument aus unserer Vergangenheit, etwa ein Brief, den wir vor Jahren geschrieben haben, zur Hand, dann erst bemerken wir mit Erstaunen, wie sehr wir uns gewandelt haben. In der Regel sehen wir auch die eigene Vergangenheit durch die Brille der Gegenwart und legen, wenn wir uns eine Vorstellung von uns selbst, wie wir einstmals waren, machen, ganz unbewußt unsere jetzigen Gefühle und Denkweisen unter. Außerdem verstärkt ein periodisches Wiederkehren früherer Stimmungen und Gedanken in uns das Gefühl, daß sie - wenn auch zeitweilig ausgeschaltet - doch immer unverändert weiter dauerten. Trotzdem dürfen alle diese Momente nicht darüber täuschen, daß es in der Seele nichts  wirklich  Konstantes gibt; höchsten  relativ  konstante, d. h. langsam und kontinuierlich sich wandelnde Tatbestände gibt es in der Seele innerhalb des kaleidoskopartigen Durcheinanderrinnens der Gesamtheit des psychischen Lebens, und diese relativ konstanten und kontinuierlichen Dinge seien darum zunächst herausgearbeitet.
2. Als sichtbarer, äußerer Vertreter einer mit sich selbst identischen Persönlichkeit gilt in der Regel die  äußere Erscheinung,  d. h. der  Leib.  Handelt es sich dabei im Hinblick auf die Gesamtheit der Individualität nur um eine konkrete Repräsentation, so ist doch der Leib als lokalisierbares, physisch notwendiges Zentrum der mannigfach ausstrahlenden Persönlichkeitsbeziehungen immerhin wichtig genug, so daß MACHs oft angeführte scherzhafte "Zeichnung des Ich" nicht ganz sinnlos ist. (1)

Indessen ist auch der Leib keineswegs eine konstante Identität. Wie er nur durch Abstraktion isolierbar ist von seiner Umgebung, so ist er auch nur durch Abstraktion von sehr zahlreichen Wandlungen als Konstante anzusehen. In Wirklichkeit besteht sein Leben in einem ununterbrochenen Ersatz der sich verbrauchenden Baustoffe durch neue. Nach wenigen Jahren ist material von dem heute vorhandenen Leib nichts mehr vorhanden, obwohl äußerlich die Form einigermaßen geblieben ist. Sehr geistreich vergleicht LOTZE das Beharren des Leibes mit dem eines Wirbels, den ein besonders gestaltetes Hindernis im Flußbett eines Stromes erzeugt. "Solange die Form des Flußbetts dieselbe sein und solange die Wellen zuströmen werden, wird sich dieses Spiel der Bewegung unaufhörlich erneuern, in immer gleicher Gestalt, scheinbar unverändert, obwohl es doch von Augenblick zu Augenblick andere Fluten sind, die kommend es erzeugen und gehend es verlassen." (2) - Aber selbst die  Form  des Leibes ist nicht wirklich dauernd. Oft ändern sich die Menschen äußerlich in wenigen Jahren derart, daß sie von ihren besten Freunden nicht wiedererkannt werden, wenn diese die Wandlungen nicht allmählich miterlebt haben. Trotzdem nimmt man in der Praxis des Lebens die allmähliche, kontinuierliche Wandlung als relative Identität hin.

3. Ähnlich ist es mit der  geistigen  Persönlichkeit. Bei ihr gehen die Wandlungen sogar viel rascher und, wenn man bei ihr von Kontinuierlichkeit reden will, so muß man eine nur erschließbare Latenzzeit des Bestehens annehmen. Das tun wir dann auch in der Regel und nehmen an, daß die Vorstellungen, die wir als Dauerbestände der Seele ansehen, im Unterbewußtsein oder als Disposition ein kontinuierliches, wenn auch latentes Dasein führen und nur zuweilen, wie ein mitgewirbeltes Holz in stark bewegtem Strom, an die Oberfläche tauchen. (3) Höchstens in diesem Sinne wäre von einer materialen Identität der geistigen Persönlichkeit zu reden. Ihr Träger wäre vor allem das  Gedächtnis Indessen zeigt genaues Betrachten, daß das Gedächtnis ein sehr undichter Behälter ist, der nicht nur beständig beträchtliche Mengen seines Inhalts entweichen läßt, der auch diesen Inhalt selber keineswegs unverändert bewahrt. Der Bestand unserer Gedächtnisinhalte wechselt unablässig, wir lernen und erfahren Neues, vergessen Altes, und das, was bewahrt bleibt, ändert sich doch sehr wesentlich.

Das Gedächnis in seiner Gesamtheit kann also kaum als dauernden Kern der Seele angesehen werden. Dagegen scheint es innerhalb des Gedächtnisses einen Teilbestand zu geben, der sich als ruhender Pol in der Erscheinungen Flucht vielleicht bewahrt. Das wären vor allem die ganz  persönlichen Erinnerungen,  die wir einerseits nur für uns allein haben, die wir andererseits treu bis ins höchste Alter bewahren. Indessen sind auch diese Dinge keineswegs unveränderlich, vor allem aber machen sie in der Gesamtheit der Persönlichkeit doch nur einen so geringen Teilbestand aus, daß man sie vielleicht als einen Ariadnefaden ansehen kann, an dem man sich in die eigene Vergangenheit zurücktasten kann, der aber weit davon entfernt ist, die Gesamtheit dieser Vergangenheit selber zu  sein.  Was in uns als Erinnerung dauert, ist nur ein so geringer Bruchteil unseres Gesamterlebens, dazu so schematisiert und entstellt, daß er unmöglich als wirklicher Kern der Persönlichkeit gelten kann.

4. Wenn also auch ein kleiner Besitz relativ dauernden Gedächtnisinhalts in unserem Leben mitgleitet, wie ein paar Eisschollen in beständig sich erneuerndem und wachsendem Strom, so ist dieser Besitz doch nicht imstande, eine wirkliche Identität der Persönlichkeit begründen zu können. Da diese also nicht  material  ist, so versucht man, sie vielleicht in  funktionalen  Tatsachen zu sehen. Vielleicht, so meint man, daß zwar der Inhalt der Seele wechsle, daß jedoch jenseits dieses Inhalts das Gefäß, das ihn umschließt, der Träger, der ihn mit sich führt, beharrt.

Nun pflegt man seit alters in ethischen, religiösen und philosophischen Schriften innerhalb der mannigfachen Erscheinungsformen der Individualität ein Etwas auszusondern, das man als  "das wahre Ich"  des Menschen ansieht. Soweit es sich dabei nicht um ein geistiges Destillat, eine bewußte Aussonderung unter den Möglichkeiten der Individualität handelt (es wird davon später die Rede sein), meint man damit das Substrat der Persönlichkeit, den materiellen oder metaphysischen  Träger  der wechselnden Erscheinungsformen der Persönlichkeit. Manche Autoren sehen als diesen Träger oder dieses Substrat als den Leib an; das tun vor allem die Parallelisten. Andere nehmen eine Seelensubstanz an, die mit dem Leib nur in Wechselwirkung stehe. (4)

Wir gedenken uns nicht in eine Diskussion dieser Probleme einzulassen, da uns hier nur eine Teilfrage derselben interessiert, die nämlich: Ist die Individualität bereits mit diesem "Träger" oder diesem "Substrat" gegeben oder sind diese "Träger" der Individualitäten bei allen Menschen gleich? Da ich diese Fragen an anderer Stelle ausführlich behandelt habe, so verweise ich darauf (5), rekapituliere nur ganz kurz das Wichtigste, soweit es für unsere Fragestellung in Betracht kommt. - Gewiß ist es möglich, ein solches "funktionales Ich", ein "erkenntnistheoretisches Subjekt", das einen festen Kern jeder Individualität bildet, zu erschließen. Aber einerseits bleibt es ein in abstracto Erschlossenes, andererseits ist es als der allen menschlichen Seelen gemeinsame funktionale Kern gerade der  Ausschluß  jeder Individualität. Es kann sehr wertvoll sein, die  Funktion  des Empfindens dem Inhalt des Empfindens, also dem "Empfundenen" gegenüberzustellen und ebenso die Funktionen des Vorstellens, des Denkens usw. vom Vorgestellten, vom Gedachten zu unterscheiden. Aber man gerät dabei in ein Dilemma: Entweder nimmt man jenes funktionale Ich so allgemein, daß es bei allen Menschen gleich ist: dann sagt es nichts zu unserem Thema. Oder man nimmt auch innerhalb der Träger bereits Verschiedenheiten an: dann ist das Problem der Individualität etwas verschoben, ohne daß wir doch eine Lösung des gesamten Problems davon erwarten dürfen.

Wir stellen hier also fest, daß mit der Annahme eines Ichsubstrates ansich ein fester Kern innerhalb der Wandlungen der Individualität, der eine Identität derselben begründete und doch gestattete, die verschiedenen Individualitäten voneinander zu scheiden, nicht zu gewinnen ist, auch darum nicht, weil die Inhalte des Geistes ebenfalls sehr wesentlich für die Persönlichkeit sind.

5. Tiefer in dieses Problem führt uns die Methode der  differentiellen  Psychologie, die sich nicht mit der Ermittlung eines allgemeinen Ichsubstrats genügen läßt, sondern die  Struktur  der  konkreten  Individualitäten untersucht und miteinander vergleicht. Sie kommt dabei zu dem Ergebnis, daß die einzelnen seelischen Funktionen nicht bei allen Menschen im gleichen Verhältnis zueinander stehen. Auf diesen Unterschied der Funktionsverhältnisse baut sie ihre Sonderung der Individualitäten in Typengruppen auf. Dieses  Prävalenzverhältnis  der Funktionen nun, das als Unterscheidungsmerkmal zwischen den verschiedenen Individuen gilt, kann auch als durchgehendes Übereinstimmungsmerkmal für die einzelnen Phasen derselben Individualität herangezogen werden. Natürlich steht mit dem Hervor- bzw. Zurücktreten einzelner seelischer  Funktionen  auch ein Hervor- bzw. Zurücktreten einzelner Gebiete seelischer  Inhalte  in engem Zusammenhang. Ein absolutes, unwandelbares und unfehlbares Kennzeichen ist damit aber keineswegs gegeben. Denn jenes Prävalenzverhältnis kann sehr wechseln. Eine Dosis Alkohol bewirkt in jedem Menschen in kürzester Zeit eine radikale Verschiebung. Die Wahrnehmungs- und Urteilsfähigkeit wird stark herabgesetzt, die Hemmungen werden geringer, das Begehrungsleben entfesselt. Neuere Untersuchungen haben uns über die Wirkung verschiedenster Toxine nach dieser Richtung interessante Festellungen erbracht. (6) Auch andere äußere Einwirkungen können das Verhältnis verschieben. Ein Mensch, in dem jahrelang das erotische Leben zurücktrat, kann plötzlich durch ein erotisches Erlebnis auf Jahre hinaus völlig verwandelt werden, so daß er zum Erstaunen seiner Umgebung bisher heißt erstrebte Ziele fahren läßt, nur um in den Besitz der begehrten Frau zu kommen. Vor allem aber das oben besprochene typische Phänomen der "Reifung" bedingt in jedem Menschen typische, aber keineswegs bei allen Individuen ganz parallele Verschiebungen der seelischen Prävalenzverhältnisse, wofür wir oben bereits Beispiele erbracht haben. Kurz, ein  absolutes  Merkmal der Übereinstimmung zwischen verschiedenen Phasen der Individualität haben wir auch im Prävalenzverhältnis der Funktionen nicht.
    Die Differentielle Psychologie schlägt einen mittleren Weg zwischen der ganz schematischen allgemeinen Psychologie und einer ganz konkreten Individualpsychologie ein. (7) Ihre Typen sind ein Mittleres zwischen dem allgemeinen Ichsubstrat und der Buntbewegtheit der konkreten Einzelseele. Indem die differentielle Psychologie individuelle Verschiedenheiten berücksichtigt, ordnet sie dieselben doch in Gruppen. Schon darum können die Typen der differentiellen Psychologie nicht als wirklich individuelle Feststellungen gelten.
Immerhin gehören die Besonderheiten der seelischen Struktur, wozu auch die erlernten  Gewohnheiten  neben angeborenen  Anlagen  zu rechnen sind, zu den für die Rationalisierung der Individualitäten wichtigsten Anhalten. Sind sie auch nicht ein wirklich dauernder Kern der Seele von monadenhafter Isoliertheit und Konstanz, so ermöglichen sie doch eine gewisse Vorausberechnung aus der Vergangenheit für die Zukunft. Auf sie vor allem gründet sich der Glaube an einen festen, dauernden Charakter, und ihre Erforschung ist daher ohne Zweifel ein wertvolles Ziel der Wissenschaft.

6. Nun hat man darauf hingewiesen, daß man - da sich ein objektiver Anhalt für die Identität der Persönlichkeit nicht findet - doch im  spezifischen Lebensgefühl  jedes Menschen einen subjektiven Kitt für die Mannigfaltigkeit der seelischen Phänomene sehen dürfe. Dieses spezifische Lebensgefühl soll der gemeinsame Untergrund sein, über dem die einzelnen Gefühle und Affekte, wie sie die Berührung mit der Außenwelt in uns hervorruft, nur die wechselnden Wellen seien. Nun hat bereits OESTERREICH, der eine ausführliche Analyse dieses Gemeingefühls nur ein Zustand des Ich, nicht das Ich selber sei. (8) Für unsere Zwecke aber kommt vor allem der Umstand in Betracht, daß, selbst wenn man das Dasein und die repräsentative Bedeutung dieses Ichgefühls in weitestem Umfang zugibt, es doch für die Rationalisierung gar keinen Anhalt gibt. Als Gefühl ist es für die begriffliche Erfassung ziemlich inkommensurabel [unvergleichbar - wp]. Und dabei kann man seine reale Existenz noch in Zweifel setzen und sehr ernsthaft fragen, ob es nicht eine abstrakte Verallgemeinerung oder Verwaschung der Einzelzustände der Seele sei.
    7. Vielleicht könnte man geneigt sein, eine  dominierende Willensrichtung  als Identitätsmoment anzuführen. Man könnte darauf hinweisen, daß bei manchen Menschen das ganze Leben von einem einheitlichen Willensziel beherrscht gewesen sei. Man könnte auf ROBERT MAYER verweisen, dessen ganzes Dasein auf die Bezwingung des einen Problems der Erhaltung der Energie gerichtet scheint; man könnte an RICHARD WAGNER erinnern, dessen Leben, Schaffen und Denken ganz im Zentralgedanken des "Musikdramas" zu gipfeln scheint. Allerdings sage ich mit Absicht "scheint". Denn genaueres Hinsehen zeigt, daß selbst bei Monomanen eine derartige Einheit des Lebenswillens nur scheinbar ist, weil sie stark hervortretende Strömung im mannigfachen Fluten des individuellen Lebens, aber nie auch annähernd dessen ganzer Gehalt. Man darf überhaupt Einheit nicht mit Identität verwechseln. "Einheit" kann überhaupt verschiedenes bedeuten. Gewiß ist die Seele in jedem Augenblick eine Einheit in dem Sinne, daß sie sich nur auf  eine  Hauptaktion zur selben Zeit zu konzentrieren pflegt, aber von einer Dauer dieser Einheit kann keine Rede sein; im Gegenteil, Konzentration ist nur bei  wechselndem  Verhalten der Seele denkbar. Wir erwähnten schon an anderer Stelle, daß von Dauer nur im Sinne eines öfteren Wiederkehrens in der Seele die Rede sein kann. Zweitens kann aber mit "Einheit" auch das äußere Ziel, die dominierende Idee, gemeint sein. Aber diese ist in den von uns erwähnten Fällen höchstens eine Richtung, kein fertiges Objekt. Das soll sie ja durch die Tätigkeit des Individuums erst  werden.  Sie ist eine ungefähre "Einstellung", die sich jedoch beständig wandelt und die wohl innerhalb der Vielheit der seelischen Phänomene eine dominierende Stellung einnimmt, aber auch selbst im extremsten Fall nicht die ganze Vielheit in sich schließt. Soweit eine solche einseitige und einheitliche Willensrichtung in der Struktur der Seele bedingt ist, gehört sie unter die Betrachtung der Prävalenz der seelischen Funktionen. Eine konstante Identität der Seele kann eine solche dominierende Willensrichtung niemals begründen.
8. Alles in allem können wir in der irrationalen Fülle der Persönlichkeitsphänomene zwar einige hervorheben, die eine gewissen Kontinuierlichkeit aufweisen und deren Wandlungen so langsam vor sich gehen, daß sie als relativ feste Bestandteile im Wechsel angesehen werden und daher zu Anhalten einer ungefähren Rationalisierung dienen können. Indessen geht wohl gerade aus der Betrachtung dieser relativ dauernden Dinge hervor, wie wenig sie wirklich imstande sind, die Totalität der Persönlichkeit zu umspannen. Wir wollen gewiß die Individualität nicht als sinnloses Chaos hinstellen: Es gibt in ihr genug, was sie darüber erhebt. Aber gerade diese ordnenden Momente sind zum Teil allgemein-menschlich, d. h. nicht individuell, zum Teil sind sie doch viel zu zerfließend, um feste Fundamente für einen streng logischen Aufbau zu bieten. Was die Struktur der individuellen Seele anlangt, so ist zwar eine gewisse Besonderheit der Proportion ihr eigen, die aber keineswegs völlige Verschiebungen ausschließt. Im Gegenteil, es ist festzustellen, daß jedes Individuum trotz einer gewissen Prävalenz doch auch (von pathologischen Ausfällen abgesehen) die nicht prävalierenden Funktionen besitzt, die gelegentlich doch zur Vorherrschaft gelangen können, so daß jedes Individuum ganz unberechenbare Möglichkeiten birgt. Und was die "Inhalte" der Seele anlangt, so besteht zwar ein gewisser "Stamm", aber auch hier sind die Möglichkeiten ganz unberechenbar und es gibt kaum einen Inhalt, der prinzipiell nicht von jeder Individualität umfaßt werden könnte. Jedenfalls sind diese wenigen relativ "festen" Bestandteile der Individualität nicht im Entferntesten als monadenhafte Substanz anzusehen, in der man eine immanente Kausalität der individuellen Lebensäußerungen zu suchen hätte. Im Gegenteil, keine einzige menschliche Handlung ist aus einer solchen rationalen Monade heraus zureichend zu determinieren. Von groben Verallgemeinerungen abgesehen, ist jede menschliche Handlung irrational, d. h. ihre kausale Bedingtheit ist niemals aus einer hypothetischen Monade abzuleiten. Es gibt prinzipiell kaum etwas, was nicht in den Umkreis einer Persönlichkeit eintreten könnte, es gibt auch keine Regung und kein Erlebnis, das prinzipiell innerhalb einer Individualität unmöglich wäre. Nicht nur vom einzelnen Menschen, auf den es gemünzt war, für jeden anderen gilt das Wort C. F. MEYERs: "Ich bin kein ausgeklügeltes Buch; ich bin ein Mensch mit seinem Widerspruch." Das eben ist das Irrationale der Individualität, daß der Satz des Widerspruchs auf sie nicht angewendet werden kann.


Kapitel III.
Die Identität der Persönlichkeit
als Forderung

Allen den bisher angeführten Tatsachen, die die Identität der Persönlichkeit zumindest als höchst problematisch erscheinen lassen, steht nun die andere Tatsache gegenüber, daß im Leben von den verschiedensten Standpunkten aus die Identität der Individualität  gefordert  wird. In IBSENs "Peer Gynt" hat diese Forderung: "Mensch, sei dir selber treu!" eine poetische Gestaltung gefunden, was am negativen Exempel des ewig schwankenden Helden vorgeführt wird.

1. Betrachten wir zunächst die Identität der Individualität als  soziale  Forderung! Wie eine Rechnung mit lauter variablen Größen eine Unmöglichkeit ist, so ist ein soziales Leben ausgeschlossen, wenn nicht eine gewisse Konstanz der Individuen vorausgesetzt werden kann. Jeder Verkehr, jede Freundschaft, jede Berufsstellung, jeder geschäftliche Kredit, kurz alle menschlichen Beziehungen setzen die Identität der Individualität voraus. Ein völlig unberechenbar Mensch wäre unbrauchbar für jedes soziale Leben. Wir müssen in unserem geselligen und geschäftlichen Verkehr mit den Charakteren unserer Mitmenschen als mit konstanten Größen rechnen können, denen man zwar eine gewisse Unberechenbarkeiten (die jedoch durch einen überwiegenden Kern von Festem kompensiert sein müssen) zugeben kann. Je näher die Beziehungen sind, umso mehr wird diese Konstanz der Individualität Erfordernis.
    Hysterische Frauen mit ihrem wetterwendischen Temperament können für einen nicht nahen Umgang, eine vorübergehende gesellschaftliche Berührung, gerade infolge ihrer Unberechenbarkeit reizvoll sein: Für die Ehe taugen sie nicht und machen den Mann, der sich mit ihnen verbindet, in der Regel sehr unglücklich. Gewiß braucht diese Identität der Persönlichkeit keine absolute zu sein; eine gewisse Plastizität ist ebenso erforderlich; aber als erste Voraussetzung pflegt man doch, wenigstens vom erwachsenen Menschen, zu verlangen, daß man mit ihm als einer festen Größe rechnen kann. Auch juristisch wird so verfahren, indem man die Identität voraussetzt, wenn auch das "Verjähren" von Strafen, die Zubilligung von verminderter Zurechnungsfähigkeit bei manchen Delikten als Konzession an die Wandelbarkeit der Persönlichkeit aufgefaßt werden können.
2. Infolge dieser hervorragenden sozialen Bedeutung ist die Konstanz der Individualität auch eine  ethische  Forderung vornehmster Art geworden. Als "Treue", als "Beständigkeit", als "Zuverlässigkeit" und unter dem Namen vieler anderer Tugenden wird sie umgeben von allem Glanz ethischer Wertung. "Charakter" haben ist schlechthin gleichbedeutend geworden mit "Konstanz der Individualität" besitzen.

Infolgedessen läuft auch ein gut Teil aller Erziehung auf Unterdrückung von Individualitätsschwankungen hinaus. Wir lernen es von früh auf, vorübergehende Launen zu bezwingen, Stimmungsschwankungen zu beherrschen, Leidenschaften zu hemmen: alles, um einen möglichst geschlossenen, gleichmäßigen Charakter zu gewinnen. Aber nicht nur die vorübergehenden Schwankungen, auch die tiefergreifenden Wandlungen der Persönlichkeit sucht man, da ihre völlige Unterbindung weder tunlich noch wünschenswert ist, durch die Erziehung zu leiten. Das Bestreben der Pädagogik ist: der sich entwickelnden Persönlichkeit einen solchen Kurz zu geben, daß von außen eingreifende Einflüsse die Richtung nicht ernsthaft gefährden können. Immer wird die Identität der Persönlichkeit mit einer besonderen ethischen Würde umkleidet, die ihr Halt geben soll im Wandel des Lebens.

3. Zum Teil auf ähnlicher Basis beruth die  ästhetisch Forderung der Einheit der Persönlichkeit. Man verlangt von jedem Menschen einen gewissen "Stil", d. h. eine Einheitlichkeit aller seiner Lebensäußerungen, und findet ein zu starkes Schwanken und unvermutete Wandlungen "unschön". Aus diesem Grund verlangt man vom wohlerzogenen Menschen, daß er jene Abweichungen vom Stil unterdrücke. Der Aristokrat unterscheidet sich vom Plebejer durch eine festere Ausprägung seiner Persönlichkeit, betonten Stil in allen Lebensäußerungen. Der Plebejer "läßt sich gehen", er gibt seinen Launen, seinen Schwächen, seinen Einfällen nach. Der vornehme Mensch erscheint von gleichmäßiger Beherrschtheit, von einer in sich ruhenden Würde, die ästhetisch wohltuend absticht von der rastlosen Hast, Unruhe und Wandelbarkeit des Plebejers. Kulturell kann diese konservative Geschlossenheit ein Mangel sein, ästhetisch ist sie meist von großem Reiz.

4. Auch als  theoretische  Forderung tritt die nach konstanter Identität der Persönlichkeit auf. Es wäre eine maßlose Vergeudung von seelischer Energie, aller Denkökonomie entgegen, wollte man jede Individualität als absolutes Novum, das sich dazu beständig wandelt, ansehen. Man verlangt, daß es sich in Typengruppen einordnen lasse. Nur so ist es möglich, sich unter den Mensche einigermaßen zurechtzufinden. Dafür aber ist es notwendig, daß man einerseits die Individualität als einigermaßen konstante Einheit faßt, andererseits aber auch, daß man sie mit anderen zusammenordnen kann, was wiederum jene Konstanz und Einheitlichkeit zur Voraussetzung hat. Völlig variable Größen kann man niemals klassifizieren oder vergleichen. Eine Wissenschaft der Geschichte wäre unmöglich, wenn man nicht feste Begriffe von den einzelnen Persönlichkeiten, die darin auftreten, zu bilden vermöchte. Aus einem beständig unter den Händen zerrinnenden Material kann man nicht greifbare Gebilde gestalten. Infolgedessen macht die Geschichte die - von ihr selber in ihrer Problematik wenig beachtete - Voraussetzung, daß die Persönlichkeiten als konstante Identitäten sich begreifen lassen.

5. Als letzte Forderung einer Identität der Individualität begegnet uns die  religiös-metaphysische.  Man betonte diese Einheit so stark, daß man sie selbst mit dem Tod nicht erlöschen lassen wollte. Vor allem jene Lehren, die die Unsterblichkeit des Einzelich vertreten, haben eben die Identität der Persönlichkeit als Voraussetzung; denn der Begriff der Unsterblichkeit verliert seinen ursprünglichen Sinn, sobald man nicht die Unsterblichkeit des individuellen Ich meint. Der oft angeführte Eskimo der die Unsterblichkeit ohne Walrosse und Harpunen dankend ablehnte, hat von seinem Standpunkt aus ganz recht; denn eine Unsterblichkeit, die nicht eine Verlängerung des irdischen Individuums mit all seinen Besonderheiten ist, ist strenggenommen überhaupt keine. Besonders im Christentum ist die Lehre vom unendlichen Wert der Einzelseele stark hervorgetreten, wenn auch die Beziehungen dieser Einzelseele zur allumfassenden Gottheit kaum jemals ganz klar herausgearbeitet worden sind.
    6. Freilich ist damit, daß aus all diesen Gründen die identische Persönlichkeit gefordert wird, noch keineswegs gesagt, daß diese Forderung erreichbar sei. Auch wäre eine vollkommene Erfüllung derselben wiederum ein Übel, das unter all den aufgezählten Gesichtspunkten auch seine Nachteile hätte. Indessen als "Ideal", als jenseits restloser Erfüllungsmöglichkeit liegender Zielpunkt behält die geforderte konstante Identität der Persönlichkeit ihren Wert. Jeder Mensch hat von sich eine Idealvorstellung, wie er sein  möchte.  Er bildet innerhalb des Umkreises seiner seelischen Möglichkeiten einen Persönlichkeitsbegriff, der oft sehr stark von der Wirklichkeit abweicht. Auch Räuber und Mörder pflegen solche "Ideale" von sich zu haben, wenn diese auch von sonst üblichen Wertungen stark differieren. Unkritische Naturen identifizieren sich wohl mit diesem "Idealich", ihre Taten aber beweisen ihnen oft genug, daß ihr "wirkliches" Ich sehr weit abweicht von jenem. Das "Idealich" kann ein  Ausschnitt  der Persönlichkeit sein, es kann auch eine  "Ergänzung  derselben sein. Wirklich den gesamten Umkreis der tatsächlichen Persönlichkeit ausfüllend ist es nie. Selbst bei solchen Asketen, die sich zum Zweck einer geistigen "Wiedergeburt" vom Leben zurückzogen, machte sich oft der "alte Adam" neben dem neuen Idealich stark bemerkbar. Auch bei den edelsten Heroen und Heiligen lassen sich Stunden und Gelegenheiten nachweisen, wo sie ihrem Ideal untreu wurden, das heißt, wo sich jenes Idealich nicht stark genug erwies, alle anderen Möglichkeiten der Individualität zu unterdrücken.

    Wir stellen also fest, daß selbst dort, wo bewußt eine konstante Individualität, die allen Forderungen entspräche, also eine Idealpersönlichkeit, angestrebt wird, diese doch niemals dem gesamten Umkreis der Individualität kongruent ist, sondern  neben  ihr pflegen immer noch zahlreiche andere Möglichkeiten weiter zu bestehen, so daß die schwankende Umgrenzung und die Variabilität durch das Vorhandensein eines solchen "Ideals" zwar vermindert, aber nicht aufgehoben werden.

Kapitel IV.
Die Individualität
als fiktive Konstruktion

1. Nach allem, was wir bisher erörtert haben, befinden wir uns mit unserem Problem in einer seltsamen Lage. Zunächst erkannten wir, daß die Individualität ein außerordentlich vages, schwer zu fassendes und beständigen Wandlungen unterworfenes Gebilde ist; zweitens stellten wir fest, daß sich allerdings einige greifbarere Tatsachen innerhalb jenes variablen Komplexes aufzeigen lassen, daß diese jedoch nicht ausreichen, um eine wirkliche Identität der Individualität zu begründen, und drittens fanden wir, daß demungeachtet dennoch von sozialen, ethischen, denkökonomischen, ästhetischen und religiösen Standpunkt aus die mit sich selbst identische Persönlichkeit gefordert wird, ohne daß die Erfüllbarkeit dieser Forderung nachgewiesen wäre. Und nun können wir zu der weiteren Feststellung schreiten, daß sich das Leben fast durchgehend so verhält,  als ob  die Menschen mit sich selbst identische Individualitäten wären.

Wir verkehren mit Unseresgleichen durchaus, als blieben sie im wesentlichen dieselben Menschen; wir gehen mit ihnen Verträge ein, schließen Freundschaften, Bündnisse, Ehen, die alle die Konstanz der Individualität zur Voraussetzung haben; wir bestrafen einen Menschen für Handlungen, die er zu ganz anderer Zeit, in ganz anderer Verfassung begangen hat; wir haben eine Wissenschaft der Geschichte, in der die handelnden Persönlichkeiten als klar umrissene Faktoren auftreten; die Religion lehrt die Unsterblichkeit der Einzelpersönlichkeit, alles, als ob die Identität der Individualität eine klar erwiesene Tatsache wäre. Mit anderen Worten: Wir machen, obwohl unddie schwerwiegendsten Bedenken gegen die Identität mehr oder weniger bewußt sind, dennoch überall im Leben die Fiktion, daß diese Identität tatsächlich bestände.

Auf den ersten Blick muß dieser Tatbestand, dem wir damit ins Auge schauen, verwundern, ja er kann zu schweren Bedenken Anlaß geben. Heißt es nicht, den Bankrott aller der ausgedehnten Lebensverhältnisse ansagen, wenn wir den für sie so wesentlichen Begriff der Individualität für eine Fiktion erklären? Wir dieser Begriff nicht zu einem Hirngespinst, einem Trug? Müssen wir nicht überall mit der so anders gearteten Wirklichkeit in Konflikt geraten?

Wir antworten: Nein! Wenn wir die Identität der Persönlichkeit als Fiktion bezeichnen, so sind wir damit weit davon entfernt, den Wert dieser Fiktion zu leugnen. Gewiß ist eine Fiktion kein adäquates Abbild einer ansich bestehenden Wirklichkeit, aber sie ist darum noch lange nicht ein bloßes Hirngespinst oder eine vage Hypothese. Im Gegenteil,  die> Fiktion einer konstanten, mit sich identischen Persönlichkeit ist zwar eine bewußte Umformung der tatsächlichen Gegebenheiten, aber als solche ein Denkmittel von größter Wichtigkeit, das sich praktisch mannigfach bewährt und in der Tat eine ganze Reihe der oben aufgestellten Forderungen zu erfüllen gestattet. 
Wir treten damit auf den Boden von VAIHINGERs "Philosophie des Als-Ob". (9) In diesem hochbedeutsamen System ist es unternommen, den Fiktionen, die bisher zwar vielfach verwendet, aber selten in ihrer Wichtigkeit erkannt worden waren, volles Bürgerrecht im Bereich der Wissenschaft zu erkämpfen. Ja, das Ergebnis des ganzen Werkes ist, daß fast unser gesamtes Denken eine fiktive Verarbeitung des Gegebenen ist, so daß die hier angestrebte Fassung des Persönlichkeitsbegriffs gar nicht herausfällt aus der Art des menschlichen Denkens überhaupt. Denn da alle Allgemeinvorstellungen und -begriffe letzten Endes Fiktionen sind, so ist auch der Begriff der Individualität eine solche.

VAIHINGER selbst hat in seinem reichen Werk die Anwendung seines Prinzips auf die hier in Frage stehenden Probleme in extenso nicht erbracht; nur gelegentliche Anregungen lassen vermuten, daß er auch die hier beleuchteten Möglichkeiten ins Auge gefaßt hat.

Wir glauben daher ganz in seinem Sinne zu sprechen, wenn wir unsere Lösung des Individualitätsproblems formulieren: Eine konstante Identität der Persönlichkeit im absoluten Sinn besteht nicht; dagegen verhalten wir uns im Leben allenthalben durchaus so,  als ob  eine solche konstante Identität unserer Persönlichkeit bestünde, und wir verkehren mit unseren Nebenmenschen,  als ob  auch sie alle konstante und mit sich identisch bleibende Individualitäten wären.

Des näheren werden wir die Fiktion der einheitlichen, identischen Individualität einreihen können in die Gattung der abstraktiven (oder neglektiven) Fiktionen. Diese entstehen so, daß man nur einen Teil der gegebenen Tatsachen hervorhebt, einen anderen dagegen als unwesentlich beiseite läßt. Eine solche Abstraktion ist naturgemäß immer eine gewisse Willkürlichkeit, aber nicht etwa eine plan- und sinnlose, sondern eine solche, die sich als brauchbar für das Leben erweist. In dieser Hinsicht berührt sich die Philosophie des Als-Ob (10) mit dem Pragmatismus.
    Die Fiktion der einheitlichen, identischen Persönlichkeit kommt also so zustande, daß man alle einheitsbildenden Momente verstärkt, alle die Einheit aufhebenden zurücktreten läßt. Das Verfahren ist etwa dem eines Künstlers zu vergleichen, der unter der Fülle der Möglichkeiten nur diejenigen betont, die ihm im Interesse seiner einheitlichen Anschauung als wesentlich erscheinen. Das Bild, das durch eine solche neglektive Abstraktion entsteht, ist natürlich keine Wahrheit "ansich", es ist sogar in gewisser Hinsicht eine Fälschung, aber immerhin eine unter einem bestimmten Gesichtspunkt vorgenommene Fälschung, deren Wert in der praktischen Bewährung liegt. Verzichtet man nun von vornherein auf den unmöglichen Anspruch, daß unser Denken uns eine "absolute" Wahrheit erschließen könne, geht man davon aus, daß all unser Denken Hilfsmittel des Lebens ist, so wird man eine solche Lösung nicht beklagen, sondern aus ihrer praktischen Bewährung ihren Wert zu erweisen suchen.

    Demnach besitzt die Fiktion der konstanten Individualität alle Kennzeichen, die von jeder echten Fiktion zu verlangen sind. Sie ist eine gewaltsame Umgestaltung der Wirklichkeit, die aber ihren Wert durch ihre Zweckmäßigkeit erweist. Sie sollte, wie jede andere Fiktion, stets von dem Bewußtsein begleitet sein, daß sie nur eine verfälschte Wirklichkeit ist, die jedesmal einer Korrektur bedarf und womöglich schließlich eliminiert werden sollte. Daß das nicht immer geschieht, daß die Fiktioin vielfach für die Wirklichkeit genommen wird, auch dieses Schicksal teilt sie mit den meisten anderen Fiktionen. Gerade dem entgegen zu arbeiten, gehört zu den Hauptabsichten des gegenwärtigen Aufsatzes.
2. Die so fingierte "Individualität" ist zunächst also sozusagen ein  substantielles Hypokeimenon  [das Zugrundeliegende - wp], das im Wechsel der Zustände als dauernd beharrt und mit sich identisch bleibt. Sie ist aber noch mehr; die Fiktion geht noch weiter und leiht diesem Hypokeimenon gleichsam Kräfte. Denn das Wesen der fingierten, konstanten Individualität erschöpft sich nicht in ihrem Trägersein, sie gilt aus als  wirkende Ursache,  die - wenigstens als ein Faktor neben anderen - die wechselnden Zustände mitbedingt. Auch diese neue Fiktion ist psychologisch sehr interessant. Erst errechnet man aus den wechselnden Zuständen sozusagen einen Durchschnittszustand, der in seiner schematischen Mittelschlächtigkeit zwar kaum jemals wirklich real ist, dem man aber doch eine gewisse psychophysische Substantialität verleiht. Darüber hinaus aber gibt man dieser Fiktioin auch noch eine verursachende Kraft, aus der man die Handlungen und anderen Wesensäußerungen des Menschen "erklärt". Man erhebt die Durchschnittlichkeit der Verhaltensweisen eines Menschen zu einer nezessitierenden [nötigenden - wp] Macht, und wenn man ihren Auswirkungen allein Wahrscheinlichkeit, nicht Notwendigkeit, zuschreibt, so tut man das nur, weil man sehr oft wahrnimmt, daß äußere Einflüsse durchkreuzend mitwirken. Wenn man z. B. in der Geschichte vom "Charakter" NAPOLEONs spricht, wenn man von der Eigenart des GOETHEschen "Genius" redet, so ist man sich nicht immer bewußt, daß man in Wirklichkeit mit solchen fiktiven Begriffen nur einen schematischen Durchschnitt meinen kann, sondern man verfährt mit jenen Begriffen so, als hätte man wirklich in ihnen jenen "Kern" des Menschen erfaßt, der als wirkende Ursache im Zentrum der Persönlichkeit säße. Und wenn dann die Historiker uns vorrechnen, daß NAPOLEON aufgrund seines Charakters so und so handeln "mußte", so ist man sich nur selten bewußt, daß man damit niemals eine wirkliche Notwendigkeit konstatieren kann, sondern im besten Falle eine gewisse Wahrscheinlichkeit. Ebenso wie die Substantialisierung ist auch die Einführung der Individualität als wirkende Ursache eine Fiktion, allerdings aber, wie wir wieder hinzufügen können, ebenfalls eine sehr nützliche Fiktion, die gestattet, eine pauschale Kausalität des psychischen Geschehens anzunehmen. In Wirklichkeit ist natürlich eine Kausalität vorhanden, sie ist aber längst nicht so einfach und regelmäßig, wie jene Fiktion uns glauben machen will. Diese macht die Geschehnisse "denkbar", ist jedoch sehr weit entfernt von einer wirklichen, auf Notwendigkeit beruhenden "Erklärung".
    3. Als Fiktion entspricht unser Individualitätsbegriff den verschiedenen Forderungen, die wir oben angeführt haben.

    Als Fiktion genügt er zunächst der  sozialen  Forderung. Alles soziale Leben verläuft,  als ob  die es lebenden Individuen einheitliche Identitäten wären. Im Grunde wissen wir, daß wir selbst sowohl wie unsere Partner bei Geschäften, bei freund- und verwandtschaftlichen Beziehungen, in jeder Art sozialem Verhältnis, den mannigfachsten Wandlungen unterliegen können: Wir handeln jedoch, "als ob" allen eine konstante Identität zukäme. Wir wissen, daß oft genug Enttäuschungen vorkommen; trotzdem ist soziales Leben nur aufgrund jener Fiktion möglich.

    Indem aber die soziale Fiktion mit einer sittlichen Würde bekleidet wird, erhebt sie sich zu gleicher Zeit zur  ethischen  Fiktion. Wir verurteilen Schwankungen und Wandlungen der Identität des Charakters als sittliche Fehler. Das kann zu groben Ungerechtigkeiten führen, indem eine innere Wandlung, die aus Notwendigkeit erfolgt ist, den Ewiggestrigen als Schwäche, ja als Abfall und Verbrechen erscheint. Und doch sind solche Wandlungen gar nicht zu vermeiden, ja, sie sind Notwendigkeiten des Lebens, die sogar ihrerseits ethischen Wert haben können. Trotzdem sucht man jene Fiktion aufrecht zu erhalten, als beharrte die gleiche Individualität. Oft genug behält man deshalb wenigstens als Maske die Fiktion eines früheren Standpunkts bei, während man sich in der Tat längst weiterentwickelt hat. Viele Menschen scheuen sich, aus der christlichen Kirche auszutreten, obwohl sie längst die wesentlichen Kirchenlehren nicht mehr befolgen. Es ist das nicht immer Heuchelei, oft wissen die Betreffenden selber nicht, wie sehr sie sich gewandelt haben, und halten, ohne es zu merken, eine veraltete Fiktion aufrecht. Hinter allen solchen unbewußten Maskeraden steckt die ethische Würde, mit der die Fiktion der Identität der Persönlichkeit bekleidet ist. Die Macht des Konservatismus gegenüber allem Fortschritt beruth auf dieser ethischen Betonung der fiktiven Identität und kann so oft genug zum kulturellen Hemmnis werden.

    Auch als  ästhetischer  Wert ist die Identität der Persönlichkeit, der feste "Stil", nur eine Fiktion. Natürlich ist auch der völlig beherrschte Aristokrat den mannigfachsten Wandlungen und Schwankungen unterworfen: Er weiß sie jedoch zu unterdrücken oder wenigstens zu verbergen. Letzteres genügt durchaus für die ästhetische Wirkung; für diese ist es gleichgültig, ob einer eine geschlossene Individualität  ist  oder bloß  scheint.  Er muß sich nur benehmen, "als ob" er es wäre. Gewiß besteht ein Zusammenhang zwischen Schein und Sein. Oft bringt eine scheinbare, geschauspielerte Haltung die wirkliche, entsprechende mit sich. Indem wir uns den Anschein geben, daß wir unsere Affekte beherrschten, beherrschen wir sie wirklich, eine Tatsache, die aus der physio-psychologischen Natur der Affekte gut zu erklären ist. Für die ästhetische Wirkung, die ja überall auf dem "Schein" beruth, ist es jedoch genügend, wenn die Identität und Einheit der Persönlichkeit nur fingiert ist.

    Das Bedürfnis, die Individualität auch  theoretisch  als Einheit und Identität zu erfassen, beruth zum Teil mit auf den bisher besprochenen Forderungen, darüber hinaus jedoch ist es auch ein rein intellektuelles Bedürfnis nach Klarheit und scharfer Begriffsbildung, wenn man die Individuen als konstante Einheiten erfassen will. Aus diesem Grund prägen wir allerlei Schemata (Typenbegriffe) aus, denen wir die Individuen unterordnen. Daß wir dabei die Individualität nicht bloß als Träger, auch als causa efficiens [Zweckursache - wp], tritt besonders bei ihrer theoretischen Verwendung heraus, wenn auch gerade hierbei stets das Bewußtsein der Fiktivität mitschwingen sollte.

    Nicht nötig, ja dem Zweck entgegenarbeitend würde dieses Bewußtsein freilich bei allen religiösen Lehren sein, die die konstante Individualität sogar über den Tod hinaus noch verlängern. Daß aber die Realität der Individualität keine Conditio sine qua non [Grundvoraussetzung - wp] der Religiosität ist, daß gerade die Fiktivität der Individualität aufs stärkste zu religiösen Zwecken betont werden kann, offenbaren am besten solche Glaubensformen wie der Buddhismus, die so weit gehen, daß sie im Erlöschen der Individualität das höchste Gut sehen.

Kapitel V.
Die begriffliche Fixierung
der Individualität

1. Da unser Hauptziel nicht eine Erforschung der "Persönlichkeit ansich" ist (was ein metaphysisches Unternehmen wäre), sondern da wir nur rein psychologisch die Möglichkeit erörtern, die individuelle Persönlichkeit begrifflich und wissenschaftlich zu fixieren, so betrachten wir nunmehr zunächst die Versuche, die man zu diesem Zweck unternommen hat. Alle diese Versuche sind nur möglich, wenn man den objektiven Tatbestand in fiktiver Weise vereinfacht und schematisiert. Als wichtigste Versuche, die Individualität begrifflich zu erfasesn, finden wir die folgenden drei:
    1. Das Charakterbild
    2. die Biographie,
    3. das Psychogramm.
2. Von diesen dreien ist das  "Charakterbild"  praktisch der verbreitetste, wissenschaftlich der dürftigste Versuch, eine Individualität zu erfassen. Analysieren wir, was man im Leben von seinem Nebenmenschen für Begriffe hat, so behalten wir in der Regel recht wenig Festes in der Hand. Man hat eine mehr oder weniger verschwommene visuelle Vorstellung des Äußeren der Persönlichkeit, man ordnet den Charakter gewissen vagen Typen unter, die nach Besonderheiten des Temperaments, des Gefühls oder Geistes aufgestellt sind und meist nur eine oder die andere hervortretende Eigenschaft festhalten. Dazu treten allerlei Gefühlswertungen, die uns zwar oft in der Praxis mit erstaunlicher, instinktmäßiger Sicherheit leiten, aber meist weit von begrifflicher Klarheit entfernt sind. Diese vagen Vorstellungen von anderen Individualitäten sind - wie gesagt - für das Leben sehr wichtig, trotz ihrer Unbestimmtheit, vielleicht auch gerade  wegen  dieser. Denn eben diese Plastizität, Verschwommenheit und mangelnde Abgrenzung der Vorstellung läßt die Unadäquatheit mit der vielfältigen, sich wandelnden Tatsächlichkeit nicht so sehr ins Bewußtsein treten, zumal durch Gefühl und Instinkt das intellektuelle Manko reichlich aufgewogen wird.

Das "Charakterbild", dessen sich vor allem die Geschichtswissenschaft bedient, ist im Grunde nur eine kritischere und durch sachliche Belege gestützte Bearbeitung solcher vorwissenschaftlichen "Charakterbilder". Dabei ist trotzdem bezweifelbar, ob man bei diesem Verfahren der Historiker noch von Wissenschaft im exakten Sinne reden kann. So bewundernswert die "Charaktergemälde" sind, mit denen die großen Historiker ihre Werke schmücken, sie verdienen diese Bewunderung doch wohl mehr als Kunstwerke, denn als rein wissenschaftliche Leistungen. Im Grunde ist das Verfahren durchaus dem des Malers gleich, der die äußere Persönlichkeit durch eine Auswahl der ihm besonders wichtig scheinenden Züge in einem bezeichnendem Bild wiedergibt. Beim Maler wie beim Schriftsteller entscheidet letzten Endes die künstlerische Intuition darüber, welche Züge und in welchem Grad sie betont werden sollen. Und wenn auch der Wissenschaftler meist eine Anzahl Belege für seine Auswahl mitzugeben pflegt, erschöpfend kann dieses Belegmaterial niemals sein. Es garantiert höchstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit der Darstellung, niemals ihre apodiktische [logisch zwingende, demonstrierbare - wp] Notwendigkeit.

Bei alledem macht der Gestalter von Charaktergemälden die fiktive Voraussetzung, daß es überhaupt möglich sei, die ungeheure Massen von Tatbeständen, als welche sich der Umkreis jeder einigermaßen erforschbaren Persönlichkeit darstellt, so zusammenzufassen, daß das Gestaltete repräsentative Bedeutung hat. Das ist aber, wie gesagt, eine Fiktion, die den Tatsachen Gewalt antut. Denn einerseits ist der Umfang der sich wandelnden, sukzedierenden [nachfolgenden - wp] Tatsachen viel zu groß, als daß er auf eine annähernde Simultaneität zurückgeführt werden könnte. Infolgedessen sehen sich die meisten Charakterbilder genötigt, auch die Wandlungen der Persönlichkeit wenigstens anzudeuten: In diesem Fall aber nähert sich das "Charakterbild" der "Biographie". - Andererseits nimmt es bei der Aufzählung der gleichzeitigen Züge eine starke Auswahl unter bestimmten Gesichtspunkten vor. Damit aber leidet die wissenschaftliche Exaktheit, denn der Umkreis der Persönlichkeit ist auf diese Weise nicht zu erschöpfen; versucht das Charakterbild jedoch den ganzen Umkreis der Persönlichkeit in einem bestimmten Zeitraum zu umspannen, so nähert es sich dem Psychogramm.
    So stellt sich also das "Charakterbild" als ein nur halbwissenschaftlicher Versuch dar, die Individualität zu umspannen. Es macht die Fiktion, daß es möglich sei, aus den unzähligen sukzedierenden und simultanen Momenten die wesentlichsten herauszuheben, ein Verfahren, das stets nur aufgrund künstlerischer Intuition möglich wäre. Um es wissenschaftlich zu machen, müßten entweder biographische oder psychographische Methoden verwandt werden, und je nachdem würde das Charakterbild dann eine Biographie oder ein Psychogramm. Wir werden uns also an diese Methoden halten müssen, wenn wir die Versuche, die Individualität wissenschaftlich zu erfassen, beurteilen wollen. Dem Charakterbild als solchem kommt zwar oft hoher künstlerischer Wert zu, aber nicht wissenschaftliche Exaktheit. Diese setzt voraus, daß die fingierten Voraussetzungen wenigstens etwas reduziert werden.
3. Von den beiden wissenschaftlichen Versuchen, die Individualität in der Mannigfaltigkeit ihrer Aspekte zu fassen, bedient sich die  Biographie  der  historischen  Methode, sie stellt das  Nacheinander  in den Vordergrund und legt gleichsam einen Längsschnitt durch den Tatsachenkomplex. Sie geht von dem Satz aus, daß eines Mannes Charakter seine Geschichte sei. In der Tat wird man anerkennen müssen, daß auf diese Weise immerhin ein beträchtlicher Teil der Variabilitäten gefaßt wird, aber eben doch nur ein Teil. Denn die Individualität umschließt nicht nur eine sukzessive, nein auch eine simultane Mannigfaltigkeit. Gesetzt nun auch, es gelänge einer Biographie, die erstere festzuhalten, so muß sie stets große Lücken in der letzteren lassen. Denn jede Biographie, so ausführlich sie sei, muß vereinfachen, muß auswählen und weglassen. Betrachtet man das biographische Verfahren genauer, so wird man erkennen, daß es ein annähernd einheitliches Nacheinander nur so zuwege bringt, daß alles unter gewissen vereinheitlichenden, abstrahierenden Gesichtspunkten betrachtet wird. Das aber bedingt eine künstliche Vereinfachung, eine Ausscheidung all dessen, was von jenen Gesichtspunkten aus als "unwesentlich" erscheint. So pflegt man die Biographie eines Künstlers unter dem Gesichtspunkt zu schreiben, wie sich eben die Entwicklung der künstlerischen Begabung herausgebildet hat. Alles nicht mit dieser direkt oder indirekt Zusammenhängende wird nebenher oder gar nicht behandelt. Ebenso wird eine Biographie eines Staatsmannes in erster Linie das Politische betonen. Damit werden aber nicht nur die zahlreichen simultanen Mannigfaltigkeiten beschnitten, auch im Nacheinander werden große Lücken gelassen. Zwar entsteht dadurch eine einheitliche Entwicklungslinie, aber diese ist künstlich, ist durch Abstraktion gewonnen, ist eine Fiktion. Freilich versucht jede gute Biographie neben dem Längsschnitt auch hie und da die behandelten Tatsachen in einer gewissen Breite zu sehen: durchzuführen ist dieses Verfahren nirgends vollständig. Immer bleibt die Biographie bei der Fiktion stehen, daß das Wesen der Individualität durch ein einheitliches Nacheinander zu fassen sei, ein Nacheinander das dadurch gewonnen wird, daß man nach gewissen einseitigen Gesichtspunkten ausscheidet, also eine vereinfachende Fiktion vornimmt. Halten wir uns an die Biographien, die uns die historischen Wissenschaften bisher geschenkt haben. Wir werden dabei mit ehrlicher Bewunderung den Fleiß in der Sammlung von Akten und Fakten anerkennen können, wir werden mit gleicher Bewunderung die oft starke künstlerische Fähigkeit feststellen, mit der diese zahlreichen Einzelzüge zu fester Gestaltung gebracht sind. Wir werden aber trotzdem sagen müssen, daß auch die besten Biographien, die wir besitzen, noch weit davon entfernt sind, adäquate Begriffe von der gesamten Individualität der Dargestellten zu geben. Das aber liegt an gewissen Grundmängeln der historischen Methodik, die kurz aufgezeigt seien.

Den ersten haben wir bereits erwähnt, daß nämlich die biographische Methode gewaltsam auswählt und vereinheitlicht, also stets nur einen künstlichen Ausschnitt gibt. Wir schieben die Diskussion dieses Punktes noch zurück, da wir später ihn besonders beleuchten.

Zweitens aber arbeiten die meisten Biographien mit völlig ungeklärten Kausalitätsbegriffen. Das gilt in gleicher Weise von den "naturwissenschaftlichen" Theorien wie von den "philosophischen". Einerlei, ob man das "Milieu" oder die "Vererbung" oder die "Rasse", oder ob man eine überindividuelle "Idee" oder eine "Entelechie" als individualitätsbildenden Agenzien einführt: betrachtet man diese Dinge genauer, so zeigt sich, daß auch sie entweder ganz unzureichend sind, ziemlich grobschlächtige Vereinfachungen oder unbekannte Größen, mit denen man irreführenderweise als mit erkannten operiert.

Drittens aber liefern für eine klare, psychologische  Begriffsbildung  die Biographien in der Regel zwar interessantes Rohmaterial, aber so gut wie nirgends deutlich greifbare Erkenntnisse. So reich wir an Darstellungen des Lebens unserer großen Dichter, Staatsmänner, Forscher sind: Wo erhalten wir einen wirklich klaren Begriff ihrer Individualität, der uns ermöglichte, ihre seelische Eigenart, das Verhältnis und die Stärke ihrer seelischen Fähigkeiten auf eine sichere Formel zu bringen? Oft scheint sich durch das Studium von Biographien die Möglichkeit einer begrifflichen Formel für die Individualität eher zu verringern als zu vergrößern. Auch das Hilfsmittel der  Periodenbildung,  d. h. der Versuch, durch scharf Einschnitte in die sich wandelnde Kontinuität Klarheit zu bringen, bleibt doch rein fiktiv, da eine solche Periodenbildung überall gewaltsame Brüche einführt, wo in Wahrheit unmerkliche Übergänge stattfinden.

4. Neben der biographischen Methode hat die Individualitätsforschung neuerdings eine andere in den Vordergrund geschoben: die  psychographische.  Diese Methode sucht die gerügten Mängel der biographischen zu vermeiden, und zwar in folgender Weise. Erstens will sie nicht wie die biographische die Persönlichkeit unter einem Hauptgesichtspunkt erfassen, sondern sucht  der ganzen Breite  derselben gerecht zu werden. Sie beachtet daher auch solche seelischen Äußerungen, die dem Biographen als "unwesentlich" erscheinen. Statt eines Ausschnitts soll hier also die ganze Mannigfaltigkeit der Individualität erfaßt werden. Zweitens beschränkt sich der Biograph auf  Feststellung von nachweisbaren und nachprüfbaren Tatsachen, Kausalität, arbeitet nicht mit einem verkappten Unbekannten, wie "Rasse", "Vererbung" usw., sondern sucht nur zu ergründen, was wirklich  ist.  Drittens aber geht er auf die  psychologische Struktur des Individuums  aus, die der Biograph nur sehr rudimentär zu erkennen vermag. In der psychographischen Methode hat man ein Mittel, nicht nur die Struktur der einzelnen Persönlichkeit festzustellen, man kann sie auch leicht mit den Ergebnissen von anderen Individuen vergleichen und damit neue wertvolle Gesichtspunkte gewinnen.
    Die psychographische Methodik ist erst in neuester Zeit gründlich durchgebildet worden und steht noch in ihren Anfängen. (11) Man hat die verschiedenartigsten Schemata ausgearbeitet, um allen Möglichkeiten der seelischen Mannigfaltigkeit gerecht zu werden. Es kann hier weder eine Darstellung noch eine Kritik dieser Methoden im einzelnen unser Ziel sein: Wir weisen allein nach, daß auch das Psychogramm auf fiktiven Voraussetzungen fußt.
Wir sind geneigt, die Möglichkeiten der psychographischen Methode sehr hoch einzuschätzen und erhoffen vieles von ihr. Trotzdem, von dem hier in Frage stehenden Gesichtspunkt aus müssen wir auch gegen sie ein gewichtiges Bedenken erheben. Diese Methode nämlich setzt stillschweigend gerade das voraus, was wir hier in seiner ganzen Problematik aufzudecken suchen: die konstante Identität der Persönlichkeit. Das im Psychogramm festgelegte Verhalten soll ja nicht bloß für den Augenblick gelten, es soll eine  Allgemein erkenntnis sein, die gestattet, auch für andere Fälle das Verhalten des Individuums zu berechnen. Das aber ist nur dann möglich, wenn die Individualität sich dauernd identisch verhält. Gerade das aber wird von uns bestritten und, da die Psychographik selber uns recht geben muß, so wird der Wert ihrer Ergebnisse nur sehr relativ sein können. Sie wirk daher nicht mit einzelnen Psychogrammen sich begnügen können, sondern durch eine große Anzahl unter verschiedenen Konstellationen aufgenommener Psychogramme dem Wandel der Individualität Rechnung tragen müssen. Auf diese Weise kann die psychographische Methode zwar ein durchschnittliches, typisches Verhalten errechnen, indessen kann auch diesem nie eine völlige Gewißheit, höchstens eine ziemliche Wahrscheinlichkeit zukommen. Auf diese Weise aber wird der ganze Apparat ungeheuer kompliziert, und erst durch Kombination sehr vieler Psychogramme wird es möglich sein, zu Aufstellungen zu gelangen, die sich über rein Zufällige Feststellungen sich erheben. So wird auch die psychographische Methode sich einschränken müssen auf bestimmte Gesichtspunte, wird das Nacheinander nicht ganz außer acht lassen können und wird in der Praxis sich doch auch der biographischen Methode in manchem annähern, wenn sie eben dem Wandel der Individualität gerecht werden will.

Die psychographische Methode vermeidet also die fiktive Vereinheitlichung, die wir oben bei der biographischen aufgezeigt haben, daß sie nämlich unter allen gleichzeitigen Tatsachen nur einzelne als wesentlich hervorhebt. Sie macht aber eine andere Fiktion, die den Tatsachen kaum weniger Gewalt antut, die nämlich, daß es möglich wäre, an einem beliebigen Querschnitt der Individualität deren innerste Struktur festzuhalten, eine Annahme, die wiederum durch die biographische Erkenntnis sehr unwahrscheinlich gemacht wird.

5. So ergibt sich also, daß sowohl die biographische wie die psychographische Methode allein nie imstande sein werden, die ganze Fülle einer Individualität zu erfassen, da jede von ihnen in ihren fiktiven Voraussetzungen den Tatsachen zu viel Gewalt antut. Das Ideal wäre eine Vereinigung beider insofern, daß aus sehr vielen verschiedenen Lebensphasen Psychogramme aufgenommen und diese nun historisch aneinandergereiht und in einheitlicher Darstellung vereinigt würde. Es liegt auf der Hand, daß diese Kombination der beiden Methoden auch nicht annähernd durchführbar ist und daß selbst bei der denkbar ausgedehntesten Anwendung immer noch Lücken und Fehler bestehen bleiben müßten.

So kommen wir also zur Erkenntnis, daß jeder Versuch, die Individualität wissenschaftlich zu erfassen, gezwungen ist, mit fiktiven Voraussetzungen zu arbeiten. Das Resultat wird also immer nur den Wert einer Fiktion haben, allerdings, wenn es geschickt aufgebaut ist, den Wert einer Fiktion, die außerordentlich brauchbar sein kann. Denn da unser Denken überhaupt beständig mit fiktiven Elementen arbeitet, so würde auch die Fiktion fester Persönlichkeitsbegriffe nicht aus seinem Rahmen fallen.

Es ist nicht das Ziel unserer Untersuchung, die durch jene Methoden gewonnenen Begriffe dadurch zu entwerten, daß wir sie als Fiktionen erweisen. Nein, wir möchten ihnen auch als Fiktionen alle wissenschaftlichen Ehren gönnen; indem wir aber ihren fiktiven Charakter zum Bewußtsein bringen, glauben wir ihren wahren Erkenntniswert noch zu erhöhen. Denn es kann auch ein logischer Wert sein, wenn man die Grenzen erkennt, die einem Denkresultat zukommen, und es wäre ein falsches Verfahren, wollte man sich freiwillig über die Beschränkung unseres Begriffsvermögens hinwegtäuschen.


Kapitel VI.
Der fiktive Individualitätsbegriff
in der Wissenschaft

1. Das gilt vor allem von den  historischen  Wissenschaften, die es hauptsächlich mit Persönlichkeiten zu tun haben. Gewiß ist der Wert, den man den Individualitäten für die Ausprägung der historischen Geschehnisse zumißt, verschieden groß gewesen. Besonders alle jene Bestrebungen, die die historische Methode der naturwissenschaftlichen annähern wollen, haben es versucht, die Bedeutung der Einzelpersönlichkeit herabzudrücken. Ganz können jedoch auch sie, wenn sie nicht vor wichtigen Tatbeständen die Augen verschließen wollen, der Berücksichtigung einzelner Persönlichkeiten und ihres Einflusses nicht entraten. Damit aber kommt, wie wir gesehen haben, ein irrationales Element in die Wissenschaft hinein, das nur fiktionsweise zu einem rationalen gemacht werden kann.
    Indessen ist das, genau besehen, nicht so schlimm, denn ohne fiktive Denkmittel kommt keine Geschichtsauffassung auf. Keine Geschichtsdarstellung kann sich einbilden, sie vermöge auch nur im entferntesten ein getreues  Abbild  der darzustellenden Tatbestände zu sein. Ein solcher Anspruch verlangte ein erkenntnistheoretisch und logisch Unmögliches. Gegeben ist ein ungeheurer, unendlich verflochtener und in allen Einzelheiten unübersehbarer Zusammenhang von Geschehnissen. Aufgabe der Geschichte ist nun, da ein getreues Abbild dieser Gegebenheit unmöglich ist, eine Darstellung, die wenigstens symbolhaft die Hauptzüge des Geschehens festhält und in eine gewisse Ordnung bringt. So wird natürlich keine absolute Wahrheit erzielt, wohl aber eine Beherrschung des Stoffs, die eine allgemeine Orientierung gestattet. Die Geschichte als Darstellung der Haupttatsachen in ihrem Kausalnexus ist also ein fiktives Gebilde, das wir als Ersatz für die damit gemeinte Realität nehmen und das den denkökonomischen, kausalen, und daneben auch allerlei ethischen Ansprüchen genügt. Auch der kleinste historische Komplex setzt eine fiktive Vereinfachung und Zurechtmachung voraus.
2. Die Gesichtspunkte nun, unter denen ausgewählt wird, können die allerverschiedensten sein. Ebenso aber auch die Ordnungsprinzipien, unter denen man die ausgewählten Tatsachen in Zusammenhang bringt. Welche es aber auch sein mögen, sie bleiben fiktiver Natur; denn immer sind sie Vereinfachungen und Abstraktionen des ungeheuren, unübersehbaren Rohmaterials.

Die frühere Geschichtsschreibung hat meist Geschichte so dargestellt, als sei sie das Werk bewußt handelnder Persönlichkeiten. Sie nahm die Individuen als die festen Einheiten und erklärte das Weltgeschehen als Beziehungen zwischen diesen. Es ist nun nach unseren bisherigen Ausführungen offenbar, daß wir diesen Standpunkt nicht unbedingt teilen können. Da uns die Individualitäten sich nur als Fiktionen darstellen, so werden wir uns hüten müssen, in solchen Fiktionen letzte Realitäten zu sehen. Wir werden indessen auch die Geschichte, die unter dem Gesichtspunkt der Individualität geschrieben ist, nicht völlig verwerfen, sondern ihr einen relativen Wert lassen; denn wir können wohl anerkennen, daß die Individualität als fiktives Ordnungsprinzip sehr wertvoll sein kann.

Infolgedessen werden wir keineswegs mit fliegenden Fahnen zur anderen Partei übergehen, die alles Geschehen so darstellt, als sei es ein Produkt gewisser überindividueller Mächte, und die alle Persönlichkeiten zu zufälligen Trägern solcher Mächte macht. Einerlei, ob man "Ideen" als letzte Einheiten des Weltgeschehens ansieht oder materielle Notwendigkeiten oder irgendwelche Zeitströmungen, als wirkliche Realitäten vermögen wir auch diese Dinge nicht gelten zu lassen, nur als fiktive Ordnungsprinzipien. Alle diese Theorien haben rein fiktiven Wert, sie sind nur andere Kategorien, die zur Ordnung der Tatsachen dienen. Entscheiden in diesem Streit wird allein die praktische Bewährung: d. h. diejenige Fiktion wird die beste sein, die gestattet, eine möglichste Fülle von Tatsachen in eine möglichst einfache Ordnung zu bringen. Absoluten Wahrheitswert kann aber keine einzige davon haben.

3. Wie jedoch bereits gesagt: Ganz wird keine Geschichtsschreibung um die Notwendigkeit, Persönlichkeiten zu gestalten, herumkommen. Denn, auch wenn überindividuelle Tatsachen als eigentliche Agentien der Geschichte gefaßt werden, zur Wirkung kommen sie doch meist und vor allem in Individualitäten. Es muß also der Versuch gemacht werden, die Persönlichkeiten begrifflich zu fassen, und zwar so, daß sie als die wirklichen Angelpunkte des Geschehens erscheinen. Wie man das aber auch anfassen mag, die so erzielbaren Gestaltungen bleiben doch schematisierte Fiktionen (12), die dem menschlichen Kausalbedürfnis genugtun. Diese Kausalität der Geschichtswissenschaften kann jedoch nie die der Naturwissenschaft sein und also erhärten, daß alles so hat geschehen  müssen;  die historische Kausalität zeigt immer nur, daß etwas so hat kommen  können.  Daher vermögen auch die von der Geschichte zu liefernden Begriffe von Individualitäten nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit, niemals die Notwendigkeit des historischen Zusammenhanges zu erweisen. Solange die Persönlichkeitsbegriffe nicht mit offensichtlichen Tatsachen in Widerspruch geraten, gelten sie als "richtig" oder "wahr". Fiktive Begriffe bleiben sie jedoch trotzdem. Letzten Endes unterscheiden sich auch die glänzendsten Charakteristiken eines MOMMSEN und eines TREITSCHKE nur gradweise nicht wesentlich von der populären Legendenbildung, die im legendären "eisernen Kanzler" den Schöpfer des neuen Deutschen Reiches erblickt. Nur mit verfeinerter Methode, mit viel gründlicherer Berücksichtigung aller Einzeltatsachen schaffen jene wie hier die Popularintelligenz sich Persönlichkeitsbegriffe, die geeignet sind, als Denkmittel für die Erklärung der Geschehnisse zu dienen. Fiktiv aber sind sie alle.

Die Einzelwissenschaft, deren Ziel es ist, die Tatsachen nach dem Prinzip der Denkökonomie und unter anderen mehr oder minder praktischen Gesichtspunkten zu ordnen, mag sich mit solchen Fiktionen zufrieden geben. Die psychologisch-philosophische Betrachtung der gleichen Tatbestände wird sich stets des fiktiven Charakters aller auf jene Weise erreichten Erkenntnisse und damit des letzten Endes irrationalen Charakters des eigentlichen Tatbestandes bewußt sein.


Kapitel VII.
Der Persönlichkeitsbegriff in der Kunst

1. Der Persönlichkeitsbegriff, mit dem die Kunst arbeitet, hat sehr viel Ähnlichkeit mit dem der historischen Wissenschaften. Auch die Kunst macht überall dort, wo sie es auf Darstellung von Individualitäten abgesehen hat, die Fiktion, daß es möglich sei, die irrationale Gegebenheit in annähernd adäquater Weise mit rationalen Mitteln zu gestalten. Der Maler oder Bildhauer, der eine Porträtdarstellung geben will, geht von der Voraussetzung aus, daß eine Formgebung möglich sei, die in repräsentativer Weise die Gesamtheit der Persönlichkeit festzuhalten gestattet. Dabei ergibt sich dann die den Laien zunächst überraschende Tatsache, daß oft die naturalistische Momentwiedergabe nicht im entferntesten so überzeugend wirkt als eine bewußt fiktive Umgestaltung. Wir sind überzeugt, daß DÜRERs Münchner Selbstporträt, SCHLÜTERs "Großer Kurfürst", KLINGERs "Nietzsche" durchaus freie Umgestaltungen sind, und dennoch werden sie als echter, lebendiger und "wahrer" empfunden als andere, naturalistischere Darstellungen. Der Grund dafür ist derjenige, daß kein einzelnes Moment aus der Vielheit der wirklichen Aspekte eine annähernd adäquate Reproduktion der Gesamtpersönlichkeit ist, daß aber wohl der Künstler die Möglichkeit hat, freischaffend ein  fiktives  Gebilde zu gestalten, das als repräsentativ für die wesentlichen Elemente der Persönlichkeit gilt. So ist es "wahr" im Sinne einer überzeugenden Fiktion, also in ähnlichem Sinne, wie die "Charakterbilder" der großen Historiker "wahr" sind.
    Trotzdem bestehen große Unterschiede in der künstlerischen Darstellung, die man am besten durch den Gegensatz etwa eines RAFFAELschen und eines REMBRANDTschen Porträts illustriert und die letzten Endes auf tiefe, rassepsychologische Unterschiede zurückgehen. Gibt RAFFAEL sozusagen eine  typische  Gestaltung, in der die Seele des Dargestellten in einem typischen, durchschnittlichen Ausdruck erfaßt zu sein scheint, der jenseits aller zeitlichen Bedingtheit ein abstraktes  Sein  darstellt, so faßt REMBRANDT den seelischen Ausdruck gern in einem Moment, der nicht durchschnittlich zu sein braucht, der aber gewisse, besonders charakteristische seelische Gegebenheiten besonders markant zum Ausdruck bringt. Jener stellt die Persönlichkeit im gewöhnlichen Zustand, dieser gerade im außergewöhnlichen dar: Bei beiden handelt es sich natürlich um fiktive Vereinheitlichung des Mannigfaltigen. Indessen ist jenes Verfahren bedeutend rationaler, letzteres geht mehr auf das Irrationale der Persönlichkeit. - Indessen lassen sich diese Dinge hier nur andeuten, nicht ausführlich begründen.
2. In höherem Grad als die bildende Kunst hat es die  Dichtung  in der Hand, Persönlichkeiten zu gestalten. Sie ist nicht darauf angewiesen, eine einzelne Erscheinungsmöglichkeit herauszugreifen, die alle anderen zu repräsentieren hat. Sie kann, da sie das  Nach einander festzuhalten vermag, eine Vielheit der Erscheinungsweisen geben, kann die Variabilität der Persönlichkeit wenigstens einigermaßen fassen, obwohl es natürlich auch bei ihr stets eine Auswahl bleiben wird, was sie zu geben vermag.

Indessen ist die künstlerische Absicht der verschiedenen Dichter nicht immer gleich: Während die einen sich bestreben, die Charakteres als möglichst einheitliche, klare und durchsichtige Gebilde zu geben, wollen andere gerade der  Mannigfaltigkeit  und Irrationalität gerecht werden. Beides kann künstlerische Reize haben, wenn es geschickt durchgeführt wird. Freilich, die Vereinfachung aller Charaktere in Engel und Teufel, wie sie die niedere Literatur liebt, ist eine Fiktion, die auf den anspruchsvolleren Leser meist ihre Wirkung verfehlt. Indessen liegt das Bestreben vieler Dichter, ihre Gestalten in klarer Plastik und voller psychologischer Durchsichtigkeit auszuarbeiten, prinzipiell auf derselben Linie. Zum Beispiel die Figuren der klassischen französischen Kunst arbeiten durchaus mit der Fiktion des einheitlichen Charakters. Die Gestalten, in einigen Hauptzügen scharf gekennzeichnet, handeln ganz konsequent nach diesem festen Charakter. Sie erhalten dadurch oft etwas Maschinenhaftes, aber die von ihnen getragene Handlung gewährt dafür dem Beschauer den Anblick konsequenter Klarheit und Logik. Das kann von hohem ästhetischen Reiz sein, ist aber natürlich eine fiktive Umgestaltung der Welt, eine Rationalisierung des Irrationalen, die dem französischen Geist durchaus entspricht und die wir auch in der französischen Philosophie finden.
    Diese zu weit getriebene Rationalisierung kann daher verstimmen, und in der Tat hat sie oft Widerspruch hervorgerufen. Ich lasse z. B. STRINDBERG zu Worte kommen, der sich bestrebt, das "Automatenhafte" dieser Art der Charakteristik zu vermeiden. Er schreibt: "Der bürgerliche Begriff von der Unveränderlichkeit der Seele wurde dann aufs Theater getragen, wo ja das Bürgerliche immer geherrscht hat. Ein Charakter war dort ein Herr, welcher fix und fertig war, welcher unveränderlich als Betrunkener, als Spaßmacher, als Betrübter auftrat. - Bei dieser Art und Weise, die Menschen einseitig aufzufassen, bleibt sogar noch der große MOLIÉRE stehen. HARPAGON ist nur geizig, obgleich HARPAGON hätte geizig und zugleich ein ausgezeichneter Finanzier, ein prächtiger Vater, ein guter Bürger sein können. - - " Im Gegensatz dazu erklärt STRINDBERG: "Meine Seelen (Charakteres) sind Konglomerate von vergangenen Kulturgraden und Brocken der angehenden Zeit, welche aus Büchern und Zeitungen entlehnt wurden, Stücke von Menschen, abgerissene Fetzen von Feiertagskleidern, welche zu Lumpen geworden sind, ganz wie die Seele zusammengeflickt ist." (13)
Indessen können wir feststellen, daß jeder Dichter die Fiktion einer gewissen Identität und Konstanz der Charaktere machen muß. In der Hauptsache jedoch scheint uns bei STRINDBERG und fast allen großen Dichtern germanischer Rasse die Rationalisierung der Persönlichkeit lange nicht so weit getrieben zu sein wie etwa bei den typischen Franzosen. Freilich, eine gewisse Festigkeit der Charaktere geben auch sie, die ansich noch gar nicht mit der Wirklichkeit in Widerspruch zu stehen braucht. Man kann es aber als besondere Kunst der ganz großen Dichter wie SHAKESPEARE und GOETHE hervorheben, daß sie jenseits der Deutlichkeit der Individualitätsvorstellung, die sie vermitteln, doch noch eine Ahnung des Irrationalen der Persönlichkeit geben. Man kann die Gestalten SHAKESPEAREs und GOETHEs nicht wie die RACINEs auf eine Formel bringen, man hat das Gefühl, von ihnen noch mehr zu wissen, als direkt gezeigt wird; in ihrem Bild sind stets eine Fülle von Linien, die irgendwie ins Unendliche verlaufen. Vielleicht ist die die einzige Möglichkeit, dem Irrationalen der Individualität gerecht zu werden, daß ein großer Dichter hinter dem Faßbaren wenigstens andeutungsweise und symbolhaft die irrationalen Nebentöne mitzugeben vermag.


Kapitel VIII.
Der Individualitätsbegriff in Ethik und Religion

Die Erkenntnis, daß die Individualität eine nicht umgrenzbare, sich beständig wandelnde Irrationale ist und daß jeder Begriff, den wir davon bilden, ungeachtet seiner praktischen Brauchbarkeit, inadäquat zu der damit gemeinten Tatsächlichkeit ist, kann auf fast allen Lebensgebieten zu fruchtbarer Anwendung gebracht werden. Wir versuchen eine solche Anwendung hier nur noch auf dem Gebiet der Ethik und Religion.

Wir begegneten schon an früherer Stelle der ethischen Forderung eines konstanten Persönlichkeitsbegriffs, der besonders als Persönlichkeitsideal, das die einzelnen Möglichkeiten richtunggebend überragt, von hohem Wert sein kann. Trotzdem erkannten wir bereits, daß eine völlige Adäquatheit zwischen dem ethischen Ideal und der tatsächlichen Individualität nicht restlos durchführbar ist, ohne daß das Ideal darum an Bedeutung zu verlieren braucht.

Wir weisen hier nun auf die ethische Auswertung der Erkenntnis hin, daß jeder feste Persönlichkeitsbegriff, wie er sich in sozialen Gemeinschaften bildet, nicht ein reales Abbild der Wirklichkeit, sondern eine Fiktion ist. Auch als solche kann jener fiktive Persönlichkeitsbegriff als Gegenstand der Ehre und des Ruhms ein mächtiger Beweger des Lebens sein. Daneben aber besteht die Inkongruenz zwischen dem Persönlichkeitsbegriff, der Gegenstand der Ehre und des Ruhms ist und der Wirklichkeit nicht minder, so daß letzten Endes Ehre und Ruhm sich doch als trügerische Gebilde erweisen. Nicht nur, daß die Ehre oder der Ruhm selten wirklich der Individualität, meist nur dem Standestypus oder dem abstrakten Vollbringer irgendwelcher Taten gelten, auch da, wo sie, wie bei Künstlern, Entdeckern, Philosophen, wirklich die Individualität selber meinen, ist doch der Ruhm oft ein völlig inadäquates Gebilde, das mit der wirklichen Leistung sehr wenig zu tun hat. Der moderne Romandichter HEINRICH MANN definiert einmal den Ruhm "als weitverbreitetes Mißverständnis über unsere Person". Das ist die paradoxe Zuspitzung eines richtigen Gedankens. Wir haben oben die Gründe aufgeführt, die eine richtige Erkenntnis fremder Individualitäten so schwer machen. Man prüfe nun die Geschichte nach und sehe, um welcher Dinge oft die größten Persönlichkeiten geehrt und gerühmt wurden! Welche erstaunlichen Zerrbilder hat die Welt von CHRISTUS verehrt! Und ist es in geringerem Maße nicht mit jeder berühmten historischen Persönlichkeit ebenso? Infolgedessen gerät jede Ethik, die "das, was einer vorstellt" (um mit SCHOPENHAUER zu reden), in den Mittelpunkt des Lebens stellt, auf Abwege. Daher rührt das DON-QUICHOTTE-hafte jeder Moral, die sich auf die "Ehre" basiert. Sie nimmt einen verzerrten Schatten für die wahre Realität!
2. In anderer Weise läßt sich auf religiösem Gebiet dartun, in welch seltsame Widersprüche man gerät, wenn man die fiktive Identität der Persönlichkeit als Realität nimmt, ja sie sogar ins Transzendente hinaus verlängert!

Man muß die Vorstellung einer Unsterblichkeit des Individuums nur klar durchdenken, um allenthalben auf Unmöglichkeiten zu stoßen. Soll wirklich der Mensch, der er hier auf Erden war, mit all seinen Begierden und Unklarheiten, seinen Titeln und sozialen Beziehungen, in Ewigkeit fortleben? Und welche Phase seines Lebens wird dann weiterbestehen? Der müde Greis, der zuletzt an Altersschwäche dahinsinkt? Oder wenn einer als Säugling stirbt, wird er dann als Säugling unsterblich? All das ist zu absurd, um ernsthaft gedacht zu werden, und doch gerät man unweigerlich in diese Gedankenwirrnis, wenn man konsequent ist in der Forderung der individuellen Unsterblichkeit.

Andererseits, wenn man sagt, nur das innerste Wesen der Persönlichkeit bestehe verklärt im Jenseits weiter, so ist damit die Individualität in ihrer Breite schon aufgehoben: Man erklärt damit eine Fiktion für unsterblich und zwar eine Fiktion, die sich keineswegs mit der entsprechenden Realität deckt. Wenn nicht AUGUST SCHULZE, der in der Friedrichstraße einen Zigarrenladen besitzt, unsterblich ist, sondern nur sein innerstes Wesen, so ist es eben nicht mehr AUGUST SCHULZE, der weiterlebt, sondern ein fiktiver Begriff von ihm. Man steht also vor dem Dilemma, entweder die unendliche Mannigfaltigkeit von unabgegrenzten, sich beständig wandelnden Phasen, die zusammen die reale Grundlage des Individualitätsbegriffs ausmachen, alle miteinander in ihrer ganzen Buntscheckigkeit für unsterblich zu erklären oder aber ein fiktives Gebilde, irgendeine Abstraktion aus jener Mannigfaltigkeit. Da man die erstere Möglichkeit nicht ausdenken kann, die zweite aber nicht mehr als Fortbestehen der realen Individualität angesehen werden kann, so muß man den Gedanken der individuellen Unsterblichkeit preisgeben.

Uns scheint, daß das vom Standpunkt einer geistigen Religion nicht einmal zu bedauern ist. Wenn anders echte Religion nur diejenige ist, die das Menschliche emporhebt zum Göttlichen, also einem Transzendenten, Überpersönlichen, Unendlichen, dann ist die Lehre einer individuellen Unsterblichkeit wahrer Religiosität gerade entgegen. Denn durch diese Lehre wird nicht das Menschliche vergöttlicht, sondern das Göttliche vermenschlicht. Erst wenn man einsieht, daß die Individualität eine fiktive Abstraktion ist, daß jedoch unser wahres Sein schon auf Erden Überpersönliches einschließt und nicht in eng umschreibbare Grenzen gebannt ist, daß wir immer und überall bereits teilhaben an einem Unendlichen und Ewigen, dann erst können wir, ohne in unlösbare logische Widersprüche zu geraten, jenes Gefühl der Gemeinsamkeit mit dem Weltganzen verspüren, das das innerste Wesen echter Religiosität ist. In dieser Hinsicht ist der Buddhismus, der die Individualität als Täuschung ansieht, mit der Logik bedeutend leichter zu vereinigen, als die Lehre der christlichen Kirche - die übrigens in diesem Punkt Stützen aus den unmittelbaren Worten ihres Stifters kaum finden dürfte. Es wäre der Gesamttendenz CHRISTI durchaus zuwider, die Ewigkeit der Individualität in der Art des handfesten Köhlerglaubens zu proklamieren.


Abschluß

Vielleicht sieht unser Ergebnis auf den ersten Blick nicht sehr verheißungsvoll aus. Die Individualität in ihrer erlebten Tatsächlichkeit ergibt sich uns als irrationale Größe, die weder eine feste Umgrenzung gestattet noch dem Identitätsprinzip unterworfen werden kann. Alle Versuche, sie begrifflich zu fassen, erweisen sich als fiktive Gebilde, die jener irrationalen Tatsächlichkeit durchaus inadäquat sind. Nun hatten wir zwar zu erweisen gesucht, daß auch jene inadäquaten Begriffe in mannigfacher Hinsicht auch als Fiktionen als sehr brauchbar erweisen. Indessen könnte unser Standpunkt trotzdem als ganzer als negativer Skeptizismus angesehen werden.

Dieser Vorwurf träfe nicht nur unsere Ausführungen, sondern die gesamte Als-Ob-Philosophie und verwandte Standpunkte mit. Wir glauben, daß er zu Unrecht erhoben wird. Wenn wir auch weiter nichts feststellen könnten als die Irrationalität der Welt, so wäre, wenn diese Feststellung den Tatsachen entspricht, diese Erkenntnis als solche schon unendlich viel wertvoller als jeder Standpunkt, der fälschlich die restlose Rationalisierbarkeit der Welt verträte. Außerdem ist ja die rationale Erkenntnis nicht die einzige, die uns möglich ist. Gerade an unserem Problem zeigte sich, daß die innere Erfahrung, ein unmittelbares Erlebnis, neben der begrifflichen steht, ganz abgesehen davon, daß wir auch durch die Widersprüche der Begriffe untereinander ihre Unzulänglichkeit feststellen konnten. Auch die Erkenntnis dieser Unzulänglichkeit des begrifflichen Denkens ist ein durchaus positiver Erkenntniswert, neben dem als weiterer positiver Wert die trotzdem bestehende praktische Bewährung des rationalen, wenn auch fiktiven Denkens steht. Wir behaupten also, daß unser Standpunkt, selbst wenn er vieles scheinbar Feste ins Wanken bringt, darum keineswegs bloß negativ ist. Er setzt nur anstelle der scheinbar konstanten Größen erkannt variable. Dadurch ist die Welt vielleicht weniger bequem zu erfassen, aber immerhin ist Bequemlichkeit noch nicht das einzeige Kriterium für die Wahrheit.

Wir lassen vielmehr die fiktive Rationalisierung der Welt für den täglichen Gebrauch bestehen, wir versuchen nur, als Philosophen einen Standpunkt zu gewinnen, von dem sich uns die rationalisierte Welt nicht mehr als ganze Wahrheit darstellt. Nein, hinter dem System des begrifflichen Denkens sehen wir noch die diesem unzugängliche irrationale Tiefe des Seins. Und uns scheint, daß auch an ästhetischer Erhabenheit und innerer Würde dieser Standpunkt jenem anderen, der sich über die eigene Unzulänglichkeit der Ratio täuscht und allem mit ihr nicht Erfaßbaren schlechtweg das Daseinsrecht abstreitet, mindestens gleich ist. Statt des starren Begriffsskeletts von der Wirklichkeit, das der Rationalismus allein festhält, suchen wir auch das bewegte, ewig wechselnde Leben in seiner Irrationalität als Tatsache anzuerkennen. Wir bilden uns nicht ein, mit unseren armseligen menschlichen Schöpfgefäßen den unendlichen Ozean der Welt restlos ergründen zu können, wir freuen uns nur, daß wir in unserem Denken ein Mittel haben, uns gleichsam in einem sicheren Kahn hindurchsteuern zu können, während wir uns das volle Bewußtsein zu bewahren suchen dafür, daß wir ringsum umgeben sind von einem Ozean irrationalen Seins.

Auf unser Problem der Individualität angewandt, würde das alles besagen, daß wir zwar fortfahren werden und fortfahren müssen, uns von den Persönlichkeiten, die uns entgegentreten, Begriffe zu bilden. Aber wir wissen zugleich, daß diese nur fiktiven Wert haben, und wir bestreben uns daher, des hinter jenen Fiktionen flutenden irrationalen Seins stets bewußt zu bleiben, weil zur wahren Erkenntnis nicht nur die Feststellung des Rationalen, sondern auch die Anerkennung des Irrationalen gehört. Und in diesem Sinne ist die Analyse der menschlichen Individualität nur ein besonders bezeichnender Sonderfall der philosophischen Erkenntnis in unserem Sinne überhaupt. Möglich, daß den Landratten unter den Denkern, allen jenen, die sich die Wahrheit und die Erkenntnis nur als statische, unverrückbare Wesenheiten deuten können und die sich vor der flüssigen irrationalen Welt fürchten, weil sie "keine Balken" hat, unser Ergebnis gefährlich dünkt! Sei es darum: Eine Fiktion hört darum nicht auf, eine Fiktion zu sein, weil man sie in eine absolute Wahrheit umlügt! Und wenn unsere Wahrheit gefährlich erscheint? Nun, es ist noch nie ein Ruhmestitel für Denker gewesen, daß sie die Gefahr dadurch zu parieren glaubten, daß sie wie der Vogel Strauß ihren Kopf im Sand verbargen.

LITERATUR: Richard Müller-Freienfels, Der Begriff der Individualität als fiktive Konstruktion - eine psychologische Untersuchung, Annalen der Philosophie, Bd. 1, Leipzig 1919
    Anmerkungen
    1) Vgl. ERNST MACH, Analyse der Empfindungen, Kap. II
    2) HERMANN LOTZE, Mikrokosmus I, Seite 154
    3) Vgl. zu diesem und dem Folgenden Kap. I meines Buches "Das Denken und die Phantasie", 1916
    4) Von den neueren Forschern behandeln diese Problem vor allem THEODOR LIPPS, OESTERREICH, BECHER u. a.
    5) In meinem Buch "Persönlichkeit und Weltanschauung".
    6) Vgl. besonders die Untersuchungen KRÄPELINs und seiner Schule
    7) Über Methoden und Prinzipien der differentiellen Psychologie gibt den besten Überblick WILLIAM STERN, Die differentielle Psychologie, 1911. Dazu MÜLLER-FREIENFELS, Persönlichkeit und Weltanschauung, 1. Buch
    8) Vgl. TRAUGOTT K. OESTERREICH, Phänomenologie des Ich, Seite 319f
    9) HANS VAIHINGER, Die Philosophie des Als-Ob. System der theoretischen, praktischen und religiösen Fiktionen der Menschheit. 1911. 2. Auflage 1913
    10) Vgl. VAIHINGER, a. a. O. Seite 171f
    11) Man vgl. besonders WILLIAM STERN, Die differentielle Psychologie in ihren methodischen Grundlagen, 1911. Daselbst auch ausführliche Literaturangaben üebr die bisherigen psychographischen Untersuchungen.
    12) Das ist z. B. auch für die RICKERTsche Auffassung der historischen Methode zu bedenken. Zugegeben, daß die Verallgemeinerung der Naturwissenschaften für die Geschichte nicht anwendbar ist, so darf man doch nicht vergessen, daß auch die Geschichte mit Verallgemeinerungen arbeitet, wofür der schematisierte Individualitätsbegriff das beste Beispiel bietet.
    13) AUGUST STRINDBERG, Vorwort zum Drama "Fräulein Julie".