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WILLIAM JAMES
Der Pragmatismus
Wilhelm Jerusalem
- - Vorwort des Übersetzers -
[ 1/4 ]

1. Das Dilemma der Philosophie
2. Was will der Pragmatismus?
   
"Der Pragmatismus ist eifrig bemüht, überflüssige Probleme zu beseitigen und sucht die philosophische Denkarbeit einerseits der Denkweise des gesunden Menschenverstandes näher zu bringen, andererseits für das praktische Leben verwertbar zu machen."
   

Durch die Übertragung des vorliegenden Werkes möchte ich dazu beitragen, daß eine neue philosophische Richtung, die vor einigen Jahren in Amerika entstanden ist und dann in England, Frankreich und Italien gründliche Beachtung und eifrige Anhänger gefunden hat, auch in Deutschland bekannt werde. Ich verspreche mir davon wertvolle Anregungen für die deutsche Philosophie der Gegenwart.

WILLIAM JAMES, bis vor kurzem Professor der Philosophie an der berühmten Harvard-Universität in Cambridge bei Boston (Nordamerika) ist zwar nicht der Schöpfer, wohl aber einer der ersten und bedeutendsten Verfechter des Pragmatismus. Während man sich bisher über diese neue Richtung nur aus einzelnen Aufsätzen in den amerikanischen, englischen, französischen und italienischen Zeitschriften orientieren konnte, ist in diesem Buche zum erstenmal der Versuch gemacht, eine einheitliche, systematische Darstellung des Pragmatismus zu geben und seine Beziehungen zu den wichtigsten philosophischen Problemen zu erörtern. (1) Über die Entstehung des Namens und die Literatur dieser immer mächtiger anschwellenden Bewegung wird der Leser durch das Vorwort des Verfassers und durch die zweite Vorlesung orientiert. Nur über die Beziehungen zur deutschen Philosophie, die der Verfasser weniger berücksichtigt, will ich hier einige ergänzende Bemerkungen einfügen.

Der Pragmatismus ist kein  System,  sondern eine  Methode.  Die strenge und konsequente Handhabung dieser Methode bringt es aber mit sich, daß man dabei doch zu positiver Stellungnahme in wichtigen Fragen gelangt. Diese Stellungnahme dürfte nun bei vielen angesehenen Vertretern der Philosophie in Deutschland auf starken Widerspruch stoßen. Der Pragmatismus ist nämlich ausgesprochener Feind jedes  a priori  und ein entschiedener Gegner der "reinen Logik", mag diese nun nach transzendentaler oder nach scholastischer Methode betrieben werden. Die neue "Gegenstandstheorie", die es sich zum Ruhme anrechnet, eine "daseins-freie" Wissenschaft zu sein, muß vom Standpunkt des Pragmatismus eben deshalb als etwas vollkommen Überflüssiges bezeichnet werden. Die Neu-Kantianer, die Neu-Hegelianer und die Neu-Scholastiker Deutschlands, die alle, wie es scheint, immer mehr an Ansehen gewinnen, werden also den Pragmatismus zweifellos entschieden ablehnen. Man muß sich darauf gefaßt machen, daß von dieser Seite die neue Richtung als seicht, als oberflächlich, als ganz unphilosophisch bezeichnet wird, wie dies bereits von den extremen Rationalisten Englands geschehen ist.

Trotzdem fehlt es auch in Deutschland nicht ganz an Denkern, die der Richtung des Pragmatismus nahestehen. OSTWALDs Naturphilosophie ist bereits von JAMES und von SCHILLER mit Recht für den Pragmatismus reklamiert worden. ERNST MACHs Methodologie, sein so überaus fruchtbares Prinzip der Denkökonomie, insbesondere aber seine Auffassung der Naturgesetze als Einschränkungen der Erwartung und überhaupt seine ganze, von biologischen Gesichtspunkten ausgehende Betrachtung der Wissenschaft, das alles bewegt sich in derselben Richtung und steht dem Pragmatismus sehr nahe. GEORG SIMMELs Wahrheitsbegriff, wie er ihn in seinem Buche "Die Philosophie des Geldes" entwickelt, ist durchaus pragmatisch.

Von anderer Seite nähert sich RUDOLF EUCKEN der neuen Richtung, wenn auch sein "Aktivismus" keineswegs mit dem Pragmatismus zusammenfällt. Er teilt aber mit ihm, wie EUCKEN selbst sagt, "die Ablehnung einer intellektualistischen Lebensgestaltung, die das Erkennen aus eigenem Vermögen Wahrheit finden und sie dem übrigen Leben zuführen läßt." (2) EUCKENs Aktivismus ruht auf bestimmten metaphysischen Voraussetzungen, während der Pragmatismus rein empirisch ist. Zum "Aktivismus" bekennt sich auch RUDOLF GOLDSCHEID, der zwar den Primat des Intellekts vor dem Willen betont, aber keineswegs im Erkennen den letzten Zweck sieht. "Wir dürfen nicht eher ruhen", meint er, "nicht bis wir die Zweckmäßigkeit des Geschehens  erkannt,  sondern bis wir die Zweckmäßigkeit des Geschehens  bewerkstelligt  haben." (3)

Was nun meine eigene Stellung zum Pragmatismus betrifft, so erlaube ich mir darüber folgendes zu bemerken. In der Zeitschrift "International Journal of Ethics", Bd. 16 (1906) Seite 391f erschien eine von F.C.S. SCHILLER unterzeichnete Besprechung meines Buches: "Der kritische Idealismus und die reine Logik". Darin wird gesagt, daß ich von derselben Idee ausgegangen sei, wie der Pragmatismus und fast ganz zu denselben Resultaten gelangt sei. Dies war für mich der Anlaß, mich mit der neuen Richtung eingehender zu beschäftigen. Je tiefer ich nun in diese Gedankenwelt eindrang, desto klarer wurde es mir, daß alle philosophischen Prinzipien, die ich bisher ausgesprochen, und alle meine Arbeiten sich auf denselben Gedankenbahnen bewegt hatten, die der Pragmatismus mit soviel Kraft und Wärme beschritt. Meine Forderung nach psychologischer Grundlegung der Erkenntnistheorie und Logik, meine Bekämpfung des  a priori,  meine biologisch gerichtete Auffassung des Seelenlebens, meine Anwendung des biologischen Gesichtspunktes auf Ästhetik und Ethik, das alles schien mir mit der pragmatischen Methode nicht nur vereinbar, sondern beinahe als unmittelbare Konsequenz derselben.

Noch in einer anderen Beziehung mußte ich mich der neuen Richtung nahe verwandt fühlen. Der Pragmatismus ist eifrig bemüht, überflüssige Probleme zu beseitigen und sucht die philosophische Denkarbeit einerseits der Denkweise des gesunden Menschenverstandes näher zu bringen, andererseits für das praktische Leben verwertbar zu machen. Genau dasselbe hatte ich in der Schlußbetrachtung meiner "Einleitung in die Philosophie" (3. Auflage 1906) verlangt, und es gewährte mir eine nicht geringe Ermutigung, Gesinnungsgenossen zu finden, die ganz unabhängig zu denselben Ergebnissen gelangt waren.

Wenn ich mich nun als aufrichtigen Anhänger der pragmatischen Methode bekenne, so ist damit natürlich nicht gesagt, daß ich allen Behauptungen der einzelnen Vertreter des Pragmatismus vollinhaltlich zustimmen könnte. Die neue Richtung ist ja erst im Anfang ihrer Entwicklung und die Methode wird noch manche wichtige Erweiterung und auch mancherlei Berichtigung erfahren müssen. So bedarf z. B. die Wahrheitstheorie des Pragmatismus einer überaus wichtigen Ergänzung. Es muß vor allem historisch untersucht werden, welche Gestalten der Wahrheitsbegriff im Laufe der wissenschaftlichen Forschung und in der philosophischen Spekulation angenommen hat. Erst dann wird die grundlegende biologische Bedeutung desselben klar hervortreten, und erst dann wird man einsehen, daß die Wahrheit immer in einer lebensfördernden Führung und Leitung unseres geistigen Ich besteht. Man wird ferner den  sozialen  Faktor in der Erkenntnisentwicklung mehr berücksichtigen müssen und dabei zugleich über das Wesen der  historischen  Wahrheit, sowie über Inhalt und Zweck der  Geschichtswissenschaften  zu größerer Klarheit gelangen als die z. B. dem Verfasser des vorliegenden Buches geglückt ist. Es wird ferner unerläßlich sein, die pragmatische Methode auf die  Ethik  anzuwenden und dabei den  sozialen  Faktor gegen den  individualistischen  viel schärfer abzugrenzen und die Beziehungen beider viel tiefer zu erfassen, als dies bisher geschehen ist.

Die pragmatische Methode wird gewiß noch viele andere Probleme an den Tag bringen und das ist eben ihr großer Vorzug. Während der Rationalismus der "reinen" Logiker sich im Kreis dreht und durch seine statische Starrheit Probleme verdeckt und bahnsperrend wirkt, eröffnet der Pragmatismus immer neue und immer weitere Perspektiven. Vielleicht erkennt man dies bald auch in Deutschland und läßt die neue, dem Leben zugekehrte Philosophie sich ungestört weiter entwickeln.

Was nun die Übersetzung betrifft, so war es mir um Genauigkeit, Verständlichkeit und Lesbarkeit zu tun. Auf ausdrücklichen Wunsch des Verfassers und auch aus eigenem Bedürfnis habe ich frei übersetzt, aber so, daß der Sinn mit der größten Sorgfalt ganz exakt wiedergegeben wurde. Oft war es nötig, kleine Einschiebungen zu machen, um die oft schwer verständliche Kürze des Originals zu verdeutlichen. Die Anmerkungen des Verfassers sind nicht weiter bezeichnet. Die wenigen Noten, die ich selbst hinzugefügt habe, sind als "Anmerkungen des Übersetzers" charakterisiert. Aus Versehen ist dies bei der Fußnote auf Seite 2, die von mir herrührt, unterblieben.

Wien, im November 1907
Dr. Wilhelm Jerusalem
LITERATUR - William James, Der Pragmatismus, Leipzig 1908
    Anmerkungen
    1) Der Hauptvertreter dieser Richtung in England ist F. C. S. SCHILLER in Oxford hat allerdings zwei Sammlungen seiner in verschiedenen Zeitschriften erschienenen Aufsätze veranstaltet. Die erst heißt "Humanism" (1903), die zweite "Studies in Humanism" (1907). Diese Aufsätze zeichnen sich durch besonders klare und schöne Darstellung aus und es wäre gewiß für die Sache des Pragmatismus, dem SCHILLER den Namen "Humanismus" gibt, von großem Wert, eine Auswahl dieser Aufsätze dem deutschen Publikum zugänglich zu machen.
    2) RUDOLF EUCKEN, "Grundlinien einer neuen Lebensanschauung" (1907) Seite 211
    3) RUDOLF GOLDSCHEID, "Grundlinien zu einer Kritik der Willenskraft", Wien 1905, Seite 15


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