tb-1cr-2RickertSchultzSchuppevon AsterSternGroos  dow     
 
JOHANNES von MALOTTKI
Das Problem des Gegebenen
[ 1/7 ]

    - Einleitung - Der Umfang des Problems
I. Der Monismus des Gegebenen
II a. Der monistische Dualismus
II b. Der erkenntnistheoretische Dualismus
III. Die Logisierung des Gegebenen
IV. Der Monismus der Funktion
V. Das Gegebene als Grenzbegriff
   
"Damit haben wir zwei typische Deutungen des Gegebenen vorläufig abgeleitet: das Gegebene als bewußtseinsfremde Voraussetzung und das Gegebene als bewußtseinsimmanentes Erlebnis."
   

Einleitung - Der Umfang des Problems

Der Philosophie ist es in besonderem Sinne eigen, sich um die Klarstellung ihrer letzten Voraussetzungen und Geltungsgrundlagen zu bemühen. Dabei beginnt sie mit der Aufstellung einer Frage und worauf sie diese auch richten mag, immer erweist sich das so in Frage gestellte als Problem. Unter diesem Gesichtspunkt der systematischen Fragestellung den Begriff des Gegebenen zu behandeln, d. h. auch ihn in die Sphäre des Problems einzubeziehen, scheint indessen ein paradoxes oder wenigstens doch nicht ohne weiteres einleuchtendes Beginnen zu sein. Denn wie kaum ein anderer scheint der Begriff des Gegebenen seinem Sinne nach gerade das Unproblematische, das, was jeder Problematisierung enthoben ist, zu bedeuten. Insofern wird das Gegebene ja vielfach in einen gewissen Gegensatz zum Denken gebracht, und die Überzeugung, die diesen Gegensatz trägt, geht davon aus, daß in dem Phänomen des Gegebenen etwas zum Ausdruck kommt, das in seinem Bestande durchaus gesichert vom Denken einfach hingenommen werden muß, ja darüber hinaus diesem selbst erst eigentlich eine sichere Basis schafft. Diese Bedeutung hat man dem Gegebenen im Bereich der positiven Wissenschaften zuerkannt. Der methodische Fortgang derselben, der durch Beschreiben und Erklären einen begriffenen und verstandenen Zusammenhang anstrebt, ist gebunden und zugleich in seiner Eigenart bestimmt durch das gegebene Material, das in seiner Tatsächlichkeit von jeder subjektiven "Zutat" frei ist. Überall in den positiven Einzelwissenschaften identifiziert man das Gegebene mit dem rein Tatsächlichen und dieses bildet den letzten Erklärungsgrund, über den hinauszugehen für die Einzelwissenschaften nicht nötig ist.

Die Situation wird indessen sofort eine andere, wenn wir über das einzelwissenschaftliche Denken und die ihm gegebenen Tatsachen hinaus uns dem Denken überhaupt zuwenden, d. h. das Problem der Erkenntnis im allgemeinsten Sinne aufwerfen. Offenbar können wir nämlich auch nach der Möglichkeit der gegenständlichen Erkenntnis überhaupt fragen und das Besondere dieser Fragestellung käme dann darin zum Ausdruck, daß sie das von dem spezielleren Standpunkte aus als tatsächlich und gegeben Hingenommene eben wegen seiner Tatsächlichkeit zu ihrem Problem macht. Worin diese Problematisierung besteht, können wir uns auf folgende Weise klarmachen. Wenn dem einzelwissenschaftlichen Denken das Gegebene als das Tatsächliche, Wirkliche, als sein Material, oder welche Bezeichnung man sonst dafür wählen mag, gegenübergestellt wird, so soll damit das Vorhandensein eines Faktums, eines Denkfremden als notwendiger Voraussetzung für das Denken betont werden. Übernehmen wir diese Deutung des Gegebenen als eines Denkfremden, dann ergibt sich folgende Frage: Hat das Denken ein Denkfremdes, ein Gegebenes mit Rücksicht auf seine gegenständliche Erkenntnis überhaupt anzuerkennen oder ist das Faktum der Gegenstandserkenntnis durch die Gesetzlichkeit des Denkens allein gesichert? Wir sehen also von der besonderen Fassung, die die Einzelwissenschaften dem Denkfremden durch die Identifizierung mit dem Tatsächlichen geben, ab und stellen das Problem ganz allgemein, indem wir nach der Möglichkeit und etwaigen Notwendigkeit eines Bewußtseinsfremden innerhalb der Erkenntnis fragen und die inhaltliche Bestimmung des Gegebenen, falls sich ein solches aufzeigen läßt, dem Verlauf der Untersuchung selbst überlassen.

Damit umgehen wir zugleich eine Schwierigkeit. Es setzen nämlich die verschiedensten Lehrmeinungen nicht nur innerhalb des Gegebenheitsproblem ein, sondern der Streit beginnt schon bei dem Versuch einer ersten Definition des Gegebenen. So hat man das Problem des Gegebenen, wo man sich mit ihm auseinandersetzte, in der verschiedensten und gegensätzlichsten Weise behandelt. Würden wir nun eine bestimmte Formulierung des Gegebenheitsbegriffes gleichsam als These an den Beginn setzen, dann wäre damit noch keine Klarheit geschaffen. Verhält es sich aber so, wie der Verlauf der Untersuchung es bestätigen wird, daß bei aller Gegensätzlichkeit und Disparatheit der Ergebnisse der Gegebenheitstheorien ihnen allein ein bestimmter Grundbestand von systematischen Fragen gemeinsam ist, zu denen sie positiv oder negativ Stellung nehmen und woraus ihre Eigenart begriffen werden kann, dann liegt es nahe, zunächst in diesem Widerstreit und aus ihm heraus die durchgehenden typischen Fragenkomplexe herauszuheben, um die die vorhandenen Theorien des Gegebenen sich insgesamt wie um ihren verborgenen Mittelpunkt bewegen. Wir gehen also davon aus, daß die Mannigfaltigkeit der vorliegenden Auffassungen von verschiedenen durchgehenden Problemen beherrscht wird, und daß mit der Behandlung dieses systematischen Grundbestandes zugleich das Problem selbst abschließend in Angriff genommen werden kann. In diesem auf die systematischen Voraussetzungen gerichteten, typisierenden Sinne soll die Problembewegung selbst dargestellt werden.

Mit Rücksicht darauf lassen sich unter dem Gesichtspunkt einer letzten systematischen Zusammenfassung aller Standpunkte zwei Grundeinstellungen der Gegenstandserkenntnis gegenüber nachweisen, die dementsprechend für das Problem des Gegebenen von entscheidender Bedeutung sind. An ihnen können wir die erste Orientierung für unsere Untersuchung gewinnen. Sie kommen in zwei fundamentalen Grundsätzen zum Ausdruck: in dem Satz von der Rezeptivität des Denkens, nach dem alles Erkennen ein passives, lediglich aufnehmendes Verhalten sei und in dem Satz von der Spontaneität des Denkens, wie wir ihn ebenso kurz bezeichnen wollen, nach dem das Denken als schöpferische Funktion anzusehen wäre.

Übertragen wir diese beiden Grundhaltungen auf das Problem des Gegebenen, so müssen sich auch in gleicher Weise zwei typische Fassungen des Gegebenen herausheben lassen. Und in der Tat ist es nicht schwer, diesen Nachweis zu führen. Sieht man im Erkennen ein lediglich passives Aufnehmen und Hinnehmen, dann muß auch etwas da sein, das aufgenommen wird; es muß dem Denken etwas Fremdes gegeben sein. Gegeben muß aber in diesem Falle die gesamte Wirklichkeit sein und das Denken hat als vermittelnde Funktion lediglich sich nach dieser bewußtseinsfremden Wirklichkeit zu richten, um sie auf diese Weise vollständig aufnehmen zu können. Jedenfalls geht soviel aus dieser vorläufigen Andeutung hervor: die Rezeptivität des Denkens weist augenscheinlich auf ein bewußtseinsfremd Gegebenes als Voraussetzung der Erkenntnis hin. Was es mit der Identifizierung des in diesem Sinne Gegebenen und der Wirklichkeit auf sich hat, werden wir noch sehen. Vorläufig halten wir daran fest: dem rezeptiven Charakter des Denkens entspricht als seine Voraussetzung ein Bewußtseinsfremdes, das rezeptiv aufgenommen die Erkenntnis ermöglicht. Sehen wir nun zu, wie sich das am Grundsatz der Spontaneität orientierte Denken zum "Gegebenen" verhält. Nach dieser Auffassung ist das Denken schöpferische Funktion, aus sich selbst forttreibende und fortschreitende Bewegung, in der und mit der die gegenständliche Welt als ein Zusammenhang von Denkerzeugnissen entsteht. Danach kann es keine bewußtseinsfremde Gegebenheit anerkennen. Denn auch das Gegebene müßte nach dieser Auffassung, um gegeben werden zu können, erst zuvor im Denken als gegeben erkannt werden, dann aber wäre es kein Gegebenes mehr, sondern ein Ergebnis der Spontaneität des Denkens. Auch hier werden wir auf die Motive und Voraussetzungen dieser Theorie noch ausführlich einzugehen haben; soviel wird aber jetzt schon klar: ein in diesem Sinne spontanes Denken kennt kein Gegebenes als Voraussetzung, als Bewußtseinstranszendentes, vielmehr wandelt sich hier das Gegebene zum Ergebnis, zur immanenten Denkbestimmung.

Damit haben wir zwei typische Deutungen des Gegebenen vorläufig abgeleitet: das Gegebene als bewußtseinsfremde Voraussetzung und das Gegebene als bewußtseinsimmanentes Erlebnis. Mit ihnen werden wir uns auseinanderzusetzen haben und dabei wird sich auch zeigen, daß viele Unstimmigkeiten und gegensätzliche Auffassungen in bezug auf den Begriff des Gegebenen darauf zurückzuführen sind, daß die Doppelsinnigkeit des Gegebenen, das sich zunächst sowohl im Sinne einer bewußtseinsfremden Voraussetzung, wie auch als immanentes Ergebnis fassen zu lassen scheint, nicht genügend beachtet wird. Bei aller Gegensätzlichkeit haben jedoch beide Standpunkte etwas gemeinsam. Sie sind nämlich monistische. Damit ist folgendes gemeint. Wir trafen auf die beiden genannten Deutungen des Gegebenen dadurch, daß wir von einer bestimmten Auffassung des Denkens ausgingen und das jeweils zu ihm gehörige Beziehungsglied in dem Gegebenen fanden, das sich einmal als transzendente Voraussetzung und daneben als immanentes Ergebnis bestimmte. Nun ist aber in beiden Fällen nicht von einer Relation des Gegebenen zum Bewußtsein als Grundlage der Wirklichkeitserkenntnis die Rede. In dem einen Fall nämlich, in dem wir den vom Satz der Rezeptivität diktierten Standpunkt verfolgten, ergab sich aus der rezeptiven Fassung des Denkes die Identität des bewußtseinsfremd Gegebenen und des Wirklichen. Wenn wir also auf unsere Frage, ob in der Wirklichkeitserkenntnis die Anerkennung eines bewußtseinsfremd Gegebenen zur Geltung komme, die Antwort suchen, dann würde sie nach dieser Auffassung darin beschlossen sein, daß das Erkennen ja in dem Aufnehmen der gegebenen Wirklichkeit bestehe und sich darin erschöpfe. Den Hintergrund bildet dabei die Überzeugung, daß der Charakter der Wirklichkeit, sofern diese ja gegeben ist, vom Denken unabhängig ist. Dieses habe keinerlei Einfluß auf die Gestaltung der Wirklichkeit und ihre Beziehung zum Denken sei für sie selbst und ihren Bestand nicht von grundlegender Bedeutung. Mit anderen Worten: die gegenständliche Welt und ihre Erkenntnis beruth allein auf dem Gegebenen. Das Denken hat an ihrem Zustandekommen keinen Anteil. Der ideale Fall wäre ein einfaches "Haben" dieses Gegebenen unter Ausschaltung aller subjektiven Denkvornahmen. Damit ist die Relation, von der wir ausgingen, aufgelöst; wir haben statt dessen den konsequenten Monismus des Gegebenen. Ebenfalls auf eine Auflösung des Verhältnisses von Denken und Gegebenem, nur nach der anderen Seite hin, kommt der Standpunkt hinaus, der vom Grundsatz der Spontaneität ausgehend das Gegebene als Ergebnis bestimmt. Die Frage nach der Möglichkeit der Gegenstandserkenntnis wird hier ja in dem Sinne gelöst, daß die Wirklichkeit lediglich als ein in dem Zusammenhange des Denkes entstehende und bestehende Welt, lediglich als reine Gedankenschöpfung betrachtet wird. Hier hat also umgekehrt das Gegebene keinen Anteil an der Ermöglichung der gegenständlichen Erkenntnis. Diese ist ausschließlich auf das Denken zurückzuführen, und das Gegebene erfährt dementsprechend eine Art Transponierung und Logisierung, es wird zum Ergebnis und ist ebenfalls damit dem Denken immanent. Das ist der konsequente Monismus der Funktion.

Das Problem des Gegebenen erfährt aber noch eine weitere Komplizierung. Es hat nämlich mit diesen beiden monistischen Standpunkten und ihren Gegebenheitsfassungen nicht sein Bewenden. Vielmehr treten uns Theorien entgegen, die zwischen den beiden charakteristischen Extremen einen vermittelnden Standpunkt einnehmen, in der Weise, daß sie die beiden grundsätzlichen Motive der Rezeptivität und der Spontaneität irgendwie zu verbinden suchen. Dementsprechend wird in ihnen eine dualistische Auffassung der Wirklichkeitserkenntnis vertreten. Diese wird als begründet in einer Korrelation des Bewußtseinsfremden und des Bewußtseins angesehen. Vom Monismus des Gegebenen wird das Gegebenheitsmotiv übernommen, vom Monismus des Denkens das Funktionsmotiv. Leitend ist dabei der Gedanke, daß das Denken seinem eigentlichen Wesen nach doch mehr ist, als ein bloß passives Verhalten, nämlich formende Tätigkeit. Wenn nun aber auch das Denken als Formen anzusehen sei, so müsse doch andererseits diese Form einen Inhalt erhalten, ein Material, das geformt werden könne. Erst in der Synthese von Form und Inhalt ergäbe sich dann gültige Erkenntnis. Charakteristisch für diese dualistischen Standpunkte ist es nun, daß sie das Gegebenheitsmotiv in der Weise zur Anerkennung bringen wollen, daß sie dem Denken als der Formgebung das Gegebene als den Inhalt, das Material, gegenüberstellen, das geformt wird. Hierauf werden wir ebenfalls ausführlich einzugehen haben. So viel kann aber schon hier gesagt werden: die Tatsache, daß die dualistischen Theorien das Gegebenheitsmotiv und das Funktionsmotiv unter dem Form-Inhalt-Gesichtspunkt verbinden wollen, führt zu der irrigen Identifizierung des Gegebenen und des Inhalts, des Materials, der Erkenntnis. Es wird sich herausstellen, daß diese Auffassung verwirrend wirken mußte und viel des Falschen, das über das Gegebene gesagt worden ist, geht auf diese Verwechslung zurück. Wenn es z. B. heute vielfach in der Philosophie als ausgemacht gilt, daß das Gegebene in den Empfindungen bestehe und man sich auf der einen Seite um den Beweis dieses Gegebenen ebenso heftig bemüht, wie auf der Gegenseite um den Nachweis der Unmöglichkeit dieser Annahme und daraus dann das Nichtvorhandensein eines Gegebenen überhaupt folgert, so sind das alles Folgerungen, die das eigentliche Problem unberührt lassen. Denn die vorausgesetzte Identität von Empfindung und Gegebenem ist, wie sich eindeutig herausstellen wird, falsch. Schuld an dieser ganzen Auffassung ist zum großen Teil die Verquickung des Gegebenheitsproblems mit dem Inhaltsproblem. Sieht man im Denken ein "Formen", dann liegt es nahe, das Gegebene als den Inhalt anzusehen und wenn dann die Inhaltlichkeit der Erkenntnis als in den Empfindungen begründet aufgefaßt wird, gelangt man schließlich zu der üblichen Gleichsetzung des Gegebenen und der Empfindung.

Fassen wir das bisherige Ergebnis zusammen, so zeigt sich, daß wir zu verschiedenen Gegebenheitsfassungen kommen können, je nachdem wir unseren Ausgangspunkt wählen und insofern scheinen die zunächst als Möglichkeiten nebeneinander bestehenden Theorien nicht gerade für eine eindeutige Lösung des Problems zu sprechen. Nun sind aber die angedeuteten Standpunkte nicht willkürlich aufgegriffen und aufgezählt, sondern die typischen Grundeinstellungen dem Problem des Gegebenen gegenüber. Wir kennzeichneten zunächst den Standpunkt, der das Gegebene absolut setzt und von ihm allein ausgeht, deuteten dann die gegenteilige Auffassung, den Monismus der Funktion, an, der das Denken absolutiert und das Gegebene auflöst und fanden die sogenannten vermittelnden Standpunkte, die beide Motive verbinden wollen. Offenbar kann man diese Auffassungen im Sinne einer systematischen Typologie anordnen. Dann ergibt sich nämlich folgendes: auf der einen Seite steht der Absolutismus des Gegebenen, daran schließt sich die Reduktion des Gegebenen zum Inhalt, Material usw., zu dem das Denken als Form in eine Relation gesetzt wird und schließlich vollzieht sich die allmähliche Auflösung des Gegebenen überhaupt, - wie sich zeigen wird auf dem Wege über das bedeutungslos neutrale Etwas -, zum Begriff des Ergebnisses, zur immanenten Denkbestimmung. Anders ausgedrückt: mit dieser unter dem Gesichtspunkt der zunehmenden Logisierung des Gegebenen angeordneten Typologie der Standpunkte ist der Umkreis des Problems gekennzeichnet. Welche Auffassung man auch immer von dem Gegebenen haben mag, es hat innerhalb dieses Schemas, das das Problem des Gegebenen von seiner absoluten Transzendenz bis zur absoluten Immanenz umgreift, seinen systematischen Ort. Damit ist nun nicht etwa gesagt, daß man das Gegebene entweder als Transzendentes oder als Immanentes bestimmen muß. Schon bei den dualistischen Zwischenstandpunkten ist ein eigentümliches Schwanken zwischen immanenter und transzendenter Auffassung zu bemerken und es wird sich herausstellen, daß der Begriff der Grenze zwischen Immanenz und Transzendenz für unser Problem von einschneidender Bedeutung ist und eine andere Betrachtungsweise zuläßt.

Hat also die Andeutung der kurz entwickelten Auffassungen des Gegebenen zugleich den Wert, daß ihre Anordnung den Umfang des Problems zum Ausdruck bringt, dann sind wir damit einen Schritt weitergekommen und können dann, da wir die Problemsphäre kennen, daran gehen, innerhalb derselben den Begriff des Gegebenen zu untersuchen. Der Gang dieser Untersuchung ist nach dem bisher Gesagten schon vorgezeichnet. Wir werden zunächst eine kritische Erörterung der das Problem des Gegebenen umfassenden Standpunkte vornehmen. Diese Untersuchung wird sich als äußerst nützlich erweisen und sofern sie nicht nur bloß formal ist, sondern den inneren Voraussetzungen der jeweils verwendeten Argumente nachspürt, wird sie den Hintergrund abgeben, auf dem dann die von uns zu entwickelnde Lösung dargestellt werden kann.

Die Untersuchung selbst erfährt nun eine Einschränkung in doppelter Hinsicht. Zunächst eine historische. Es wird keine Geschichte des Gegebenheitsproblems entwickelt, sondern wir beschränken uns auf die gegenwärtige deutsche Philosophie und nehmen das Problem so auf, wie es uns hier geboten wird. Dann eine sachliche, die ja schon angedeutet wurde. Es handelt sich nämlich für unsere kritische Erörterung nicht darum, eine möglichst vollständige Aufzählung und Übersicht über alle Philosopheme, die sich mit dem Gegebenen beschäftigen, zu gewinnen, sondern unter dem Gesichtspunkt der systematischen Vollständigkeit typische Grundhaltungen dem Gegebenen gegenüber herauszuarbeiten, Standpunkte, denen also eine überhistorische, problemsystematische Bedeutung beizumessen ist. Deshalb deckt sich diese Untersuchung durchaus nicht mit der historisch vollständigen Darstellung des Gegebenheitsproblems in der Gegenwart.

Auch so werden wir zu einer Behandlung der für das Problem maßgebenden Gesichtspunkte und Motive gelangen. So werden wir zunächst den Standpunkt betrachten, der das Gegebene allein von der gegenständlichen Seite her bestimmt und das ontische Motiv untersuchen, das zur Identität des transzendent Gegebenen und der Wirklichkeit führt. Sodann, immer unter dem Gesichtspunkt der zunehmenden Logisierung des Gegebenen, die dualistischen Standpunkte prüfen, die sich, um es zunächst schlagwortartig zu sagen, am Gedanken der Korrelation des Gegebenen zum Bewußtsein orientieren; dabei werden wir zu der Gegenüberstellung des Gegebenen einerseits und der Begriffe des Materials, des Inhalts, des "Inhalts des Inhalts" kommen. Der Gesichtspunkt der zunehmenden Logisierung wird uns weiterhin zu einem Standpunkt führen, der das Gegebene als Denkbestimmng, als Kategorie, auffaßt, um es dann gänzlich nach der funktionellen Seite hin aufzulösen, d. h. es zur Aufgabe, bzw. zum Ergebnis des Denkens zu machen. Hier wird uns das kritische oder logische Motiv, das im Rahmen des Gegebenheitsproblems wirksam ist, besonders beschäftigen.

Damit werden wir die zur abschließenden Behandlung des Gegebenen notwendigen Gesichtspunkte gewonnen haben und die an ihnen geübte Kritik wird den abschließenden Standpunkt vorbereitet haben. Wir werden sehen, daß es allen diesen Theorien gegenüber mit einer bloßen Negation nicht getan ist, daß wir vielmehr den berechtigten Ansprüchen in ihnen Anerkennung verschaffen müssen. Trotzdem wird die von uns vertretene Auffassung anders geartet sein. Es wird sich zeigen, daß im Begriff des Gegebenen, wie wir ihn fassen müssen, der Standpunkt der Transzendenz sowohl wie der Immanenz aufgehoben wird. Das Gegebene ist weder mit der transzendenten Realität noch mit der immanenten Funktion identisch. Und wie wir das Gegebene nicht monistisch, weder im transzendenten noch im immanenten Sinne werden bestimmen können, so wird sich auch der am Form-Inhalt-Problem orientierte Dualismus als unzulänglich erweisen. So wird das zutage treten, das nachzuweisen der eigentliche Endzweck dieser Untersuchung ist: daß dem Begriff des Gegebenen eine Dialektik eigen ist, die die Immanenz durchbricht und zugleich die Transzendenz aufhebt, eine Dialektik, die es verbieten wird, das Gegebene einseitig nach der immanenten oder transzendenten, nach der idealistischen oder realistischen Seite festzulegen. Wir werden sehen, daß dies nur auf dem Wege einer gewaltsamen Absolutierung des Gegebenen möglich ist, zu der wir aber in keiner Weise berechtigt sind. Das wird uns zugleich zu einer Klärung des Problems des Absoluten führen. Der eigentliche Sinn des Gegebenen wird sich uns in der endgültigen Festlegung einer Relation erschließen und insofern scheinen wir uns den dualistischen Standpunkten anzuschließen, die ja ebenfalls eine Beziehung des Gegebenen zum Denken aufrechterhalten. Indessen wird auch hier die Dialektik des Gegebenen auf einen fundamentalen Dualismus hinweisen, an Stelle der ontologischen Relation werden wir zu einer "logisch-erkennntnistheoretischen Grenzbeziehung" gelangen, die den üblichen Dualismus ebenfalls aufhebt. . (1)
LITERATUR - Johannes von Malottki, Das Problem des Gegebenen, Berlin 1929
    Anmerkungen
    1) HEINRICH MAIER, Wahrheit und Wirklichkeit, 1926, Seite 262f, 268, 534

    dow Download mit den Kommentaren [417 KB]