p-4ra-1cr-2von KirchmannErdmannTetensTwardowskiMesser    
 
THEODOR LIPPS
Inhalt und Gegenstand
(Psychologie und Logik)
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"Die Dinge haben nun einmal den Eigensinn, nicht aus Empfindungen oder Vorstellungen oder  perceptions  oder  experiences  oder dergleichen zu bestehen. Wer Dinge sieht, schon wer die Farbe oder Form eines Dings sieht, sieht nicht Empfindungen oder Vorstellungen oder Perzeptionen oder experiences; wer einen Ton hört oder empfindet, hört oder empfindet nicht eine Empfindung. Ein laut klingender Ton ist nicht eine laut klingende Empfindung. Gar ein hoher, dicker, knorriger Eichenbaum ist weder eine hohe, dicke, knorrige Empfindung, noch ein hoher, dicker, knorriger Komplex von Empfindungen. Und das alles gilt auch, wenn an die Stelle des Wortes  Empfindung  eines der Worte  Vorstellung  oder  perception  oder  experience  gesetzt wird."

"Daß mir in einem Bewußtseinserlebnis etwas gegeben ist, das für mich Gegenstand  werden kann,  sagt doch nicht, daß das Bewußtseinserlebnis für mich Gegenstand  ist;  daß in ihm implizit ein Gegenstand liegt, sagt nicht, daß derselbe von mir expliziert, d. h. eben, daß er  für mich  Gegenstand ist oder daß ich ihm gegenüber ein Gegenstandsbewußtsein habe."

"Das Empfinden ist in der Tat ein Haben im Sinne des Empfangens oder im Sinne des Empfangenhabens. Dagegen ist das Denken ein  Akt.  Ich  mache  nicht etwas zu meinem Empfindungsinhalt, rufe nicht diesen ins Dasein, wohl aber mache ich mir etwas zum Gegenstand, rufe den Gegenstand - nicht ansich, wohl aber für mich ins Dasein."

"Das Kausalgesetz ist ein Gesetz der  Dinge.  Es ist eine Aussage über den Zusammenhang der Dinge in der dinglich realen Welt. Es behauptet die notwendige Zugehörigkeit einer Ursache zu jeder, in der dinglich realen Welt vorkommenden Veränderung. Daß es sich so verhält, unterliegt nicht dem geringsten Zweifel. Solche Gesetze aber, die über Vorkommnisse in der dinglich realen Welt eine Aussage machen, nennen wir  Naturgesetze.  Das Kausalgesetz ist also ein Naturgesetz."

"Jede naturwissenschaftliche Aussage und jede Aussage über Tatsachenwissenschaften überhaupt, sagt, eben indem sie eine Tatsache aussagt, was sein  soll,  oder ist eine Aussage über eine Norm. Tatsachen sind in der Tat nichts als Normen, nicht für die Gegenstände, an welchen diese Tatsachen statthaben, aber für den Geist, der sie denkt."

"Zu diesen Normwissenschaften, also den Normwissenschaften im einzig möglichen Sinn des Wortes aber gehört die Physik ebensogut wie die Logik und die Ethik. Gewiß redet die Naturwissenschaft von Tatsachen, aber Tatsächlichkeit  ist  eben Norm und sie ist für uns nichts als dies. Und umgekehrt, Normen sind Tatsachen."


Obigen Titel gab ich einer Untersuchung, die ich mir vor zwei Jahren vorgenommen hatte, in diesen Sitzungsberichten zu veröffentlichen. Inzwischen habe ich das Allgemeine, was ich "Inhalt und Gegenstand" in dieser Untersuchung zu sagen gedachte, in einem anderen Zusammenhang veröffentlicht, nämlich im ersten Heft der von mir herausgegebenen "Psychologischen Untersuchungen" (Leipzig), und kürzer in meinem "Leitfaden der Psychologie". Im folgenden nun will ich dieses Thema nach einer anderen Richtung behandeln. Vor allem liegt mir an der Scheidung zwischen Logik und Psychologie; und damit überhaupt an der Stellung beider im System der Wissenschaften.


Vom Gegenstandsbewußtsein

Zweifellos stellt die Logik Gesetze des Denkens auf. Was nun sind diese Gesetze? Wenn der Logiker sie ausspricht, wovon redet er? oder was für einen Sachverhalt gibt er damit Ausdruck?

Die Antwort auf diese Frage wäre einfach, wenn diejenigen Recht hätten, die meinen, alles Wirkliche, die Welt der Dinge und das Bewußtsein, bestehe aus Empfindungen, oder für die alles, die Welt der Dinge und das Bewußtsein, sich in dem einen Wort "perception" oder in dem gleichbedeutenden "experience" zusammenfaßt. Jenes scheint eine jetzt viel vertretene Meinung. Alles ist "perception" für HUME. Das Wort "experience" setzt - vor allem in einem auf dem 5. Psychologen-Kongreß in Rom gehaltenen Vortrage - WILLIAM JAMES an die Stelle.

Hätten nun diese Meinungen Recht, so müßten wohl auch die logischen Gesetze Gesetze der Empfindung bzw. der Vorstellung sein, - auch Empfindung und Vorstellung werden von jenen ersteren nicht unterschieden, - oder sie wären Gesetze der "perception" oder "experience", oder wie sonst auch immer der Name für die Bewußtseinserlebnisse lauten mag, von denen man versichert, daß sie  "alles"  konstituieren.

In Wahrheit aber haben die Dinge nun einmal den Eigensinn, nicht aus Empfindungen oder Vorstellungen oder "perceptions" oder "experiences" oder dergleichen zu bestehen. Wer Dinge sieht, schon wer die Farbe oder Form eines Dings sieht, sieht nicht Empfindungen oder Vorstellungen oder Perzeptionen oder experiences; wer einen Ton hört oder empfindet, hört oder empfindet nicht eine Empfindung. Ein laut klingender Ton ist nicht eine laut klingende Empfindung. Gar ein hoher, dicker, knorriger Eichenbaum ist weder eine hohe, dicke, knorrige Empfindung, noch ein hoher, dicker, knorriger Komplex von Empfindungen. Und das alles gilt auch, wenn an die Stelle des Wortes "Empfindung" eines der Worte "Vorstellung" oder "perception" oder "experience" gesetzt wird.

Oder sind die Dinge vielleicht Empfindungs inhalte  oder Komplexe von solchen? Auch dies trifft, soviel ich sehe, nicht zu. Die Empfindungsinhalte sind dahin, wenn die  Empfindungen,  deren Inhalte sie sind, dahin sind. Die Dinge dagegen existieren, wie wir glauben, unabhängig von diesen Inhalten weiter. Vielleicht bestreitet man das  Recht  dieses Glaubens. Dies ändert dann doch am begrifflichen Unterschied zwischen Empfindungsinhalten oder Komplexen von solchen einerseits und Dingen andererseits nichts. Es hat dann doch eben  Sinn,  die Dinge als weiter bestehend zu denken, wenn das Empfinden dessen, was an ihnen empfindbar ist, nicht mehr stattfindet; während dies mit Rücksicht auf die Empfindungsinhalte keinen Sinn gibt.

Hier unterscheide ich zugleich, wie man sieht, Empfindungen und Empfindungs inhalte.  Auch diese Unterscheidung wird von manchen Psychologen nicht vollzogen. Und ein Kritiker meines "Leitfadens der Psychologie", der als Kritiker doch wohl Psychologe sein sollte, meint, diese Unterscheidung sei eine metaphysische. Als ob der Gebrauch des Wortes "metaphysisch" das Recht gäbe, dasjenige ununterschieden zu lassen oder grundsätzlich zu verwechseln, was nun einmal verschieden ist. Es scheint aber eben, daß jener Kritiker das Wort "metaphysisch" verwendet, um damit einen solchen Freibrief zu haben. Nun dann sei es mir gestattet, dem Denken jenes Kritikers etwas nachzuhelfen.

Vielleicht genügt dazu die einfache Erinnerung, daß immer dann, wenn ich empfinde, wenn ich etwa Blau oder Rot empfinde,  ich  der Empfindende bin, daß das Empfinden, oder, mit einem  substantivum concretum,  die Empfindung, in solchen Fällen immer eine Bestimmung  meiner selbst  ist, eine Bestimmung dieses Ich. Dagegen ist in solchen Fällen das Blau oder Rot, dieser Empfindungs inhalt, nicht  eine Bestimmung von mir. Ich erlebe mich als empfindend, aber ich erlebe niemals mich als blau oder rot.

Zugleich ist das Empfinden in einem solchen Fall, d. h. wenn ich Blau oder Rot empfinde, in gewissem Sinne auch eine Bestimmung des Blau oder Rot, nämlich sofern das Blau oder Rot, das ich empfinde, eben damit von mir empfunden oder mein Empfindungsinhalt ist. Beides vereinigt sich nun in der Einsicht, daß das Empfinden oder die Empfindung eine  Beziehung  zwischen  mir  und dem  Blau  oder Rot  bezeichnet,  nämlich die Beziehung, die ich auch damit anerkenne, daß ich sage, ich  "habe"  einen solchen Empfindungsinhalt oder endlich auch: ich erlebe dieses Blau oder Rot in der eigentümlichen Weise des "Empfindens".

Um es kurz zu sagen: In dem Erlebnis, das ich so ausdrücke: ich empfinde Blau oder Rot, liegt für mich, und damit wohl auch für andere dreierlei: nämlich ich, mein Empfinden, und das Empfundene oder den Empfindungsinhalt. Und nun fordere ich lediglich, daß man dieses dreierlei nicht konfundiere [vermische - wp]. Ich bin nicht das Empfinden oder die Empfindung. Und ebensowenig ist das Blau oder Rot das Empfinden oder die Empfindung. Sondern ich bin das Empfindende; und Blau oder Rot ist das in der Empfindung Empfundene. Zu beidem aber tritt dann die "Empfindung" als ein drittes, nämlich als die unmittelbar erlebte Beziehung zwischen beiden. Und man sollte meinen, es sei nicht allzuschwer bei einer solchen Beziehung, die, wie dies nun einmal bei Beziehungen so üblich ist, zwei Beziehungsglieder hat, die Beziehung von diesen Beziehungsgliedern zu unterscheiden. In jedem Fall ist bei der "Empfindung" diese Unterscheidung  notwendig;  nicht weil es irgendjemand, sondern weil die Sache es so befiehlt oder weil der Unterschied tatsächlich besteht. Dem Gebot einer Sache aber, mit anderen Worten einer Tatsache, kann man sich auch nicht durch den Gebrauch des Wortes "Metaphysik" entziehen, so beliebt auch jetzt dieser Kunstgriff sein mag. Psychologie ist nun einmal kein Spiel mit Worten.

Dinge sind weder Empfindungen oder Komplexe von solchen, noch auch Empfindungsinhalte oder Komplexe von solchen, sondern sie sind eben Dinge. Dinge wiederum sind Gegenstände. Und die wirklichen Dinge, also diejenigen, die wir zu meinen pflegen, wenn wir von Dingen reden, sind wirkliche Gegenstände.

Sind aber Gegenstände nicht nur keine Empfindungen, sondern auch keine Empfindungsinhalte, so ist auch unser  Bewußtsein  von Gegenständen kein  Empfinden.  Es ist auch kein Vorstellen, es sei denn daß man unter "Vorstellen" bald das Haben eines Vorstellungsbildes, bald das Denken eines Gegenstandes in einem solchen Vorstellungsbild versteht. Sondern das Bewußtsein von Gegenständen ist, wie soeben schon angedeutet, ein  Denken

Und das ist etwas völlig anderes als Empfinden, und ebenso etwas völlig anderes als Vorstellen im Sinne des Habens eines Vorstellungsbildes. Man kann das Bewußtsein von Gegenständen "perception" nennen, wenn dies der Name ist für jedes beliebige Bewußtseinserlebnis, wenn man also unter dem Deckmantel dieses Wortes von vornherein auf jede Unterscheidung der Bewußtseinserlebnisse und damit zugleich auf jede sichere Grundlage der Psychologie verzichtet. Man kann das Denken auch "experience" nennen, wenn dieses Wort in gleicher Weise zur Verdeckung aller Unterschiede zwischen Bewußtseinstatsachen mißbraucht wird. Aber Worte sollten in der Psychologie niemals eine solche Funktion haben.

Von der Eigenart des Denkens nun ist in der ersten meiner "Psychologischen Untersuchungen" zur Genüge die Rede. Hier aber füge ich dazu noch die Bemerkung, daß auch von solchen, die sonst wissen, was Empfinden heißt, die Empfindung ein  Gegenstandsbewußtsein  genannt worden ist.

Dieser Ausdruck sollte, so meine ich, in der Psychologie durchaus vermieden werden. Man kann gewiß in das Empfinden allerlei hineinlegen, was über das bloße Haben von Empfindungsinhalten hinausgeht. Im Interesse der Klarheit psychologischer Begriffe aber sollte man unter Empfindung niemals etwas anderes verstehen als eben die Empfindung, d. h. das Haben von Empfindungsinhalten.

Man kann gewiß Empfindungsinhalte als  gegenständliche Bewußtseinsinhalte  bezeichnen, wenn man damit sagen will, sie seien etwas von "mir" oder dem "Ich" Verschiedenes, das mir oder dem Ich zuteil wird, das ich erfahre, angesichts dessen ich mich rezeptiv verhalte, kurz, das ich habe. Man kann dieselben auch, wie ich selbst an anderer Stelle, nämlich in jener ersten "Psychologischen Untersuchung", getan habe, als  objektive  Bewußtseinserlebnisse bezeichnen. Und man kann sie durch jene Bezeichnung unterscheiden und in vollkommen zutreffender Weise unterscheiden von den Gefühlen und weiterhin von allen Tätigkeiten und Akten. Auch Gefühle, kann man sagen,  "habe"  ich, ebenso wie Empfindungsinhalte, aber in einem völlig anderen Sinn. Sie sind nicht etwas, das ich  bin,  oder in dem ich unmittelbar  mich  als irgendwie bestimmt  erlebe.  So erlebe ich mich z. B. im Gefühl der Lust oder Trauer als lustig oder traurig. Und das kann man nun auch so ausdrücken: Gefühle sind  zuständliche  Bewußtseinsinhalte. Und man kann meinen, diesen werden die Empfindungsinhalte durch die Bezeichnung als  gegenständliche  Bewußtseinsinhalte am deutlichsten  gegenübergestellt. 

Oder man nennt die Gefühle, weil sie als unmittelbare Bestimmtheiten des Ich oder des Subjekts erlebt werden,  subjektive  Bewußtseinserlebnisse. Dann erkennt man auch durch die Bezeichnung der Empfindungsinhalte als  objektiver  Bewußtseinserlebnisse in zutreffender Weise den Gegensatz der Gefühle und der Empfindungsinhalte an.

Soweit also ist alles in bester Ordnung. Aber etwas völlig anderes ist es, wenn man nun aufgrund davon meint, das Empfinden als ein  Gegenstandsbewußtsein  bezeichnen zu dürfen. Das Gegenstandsbewußtsein ist das Bewußtsein von Etwas  als  meinem Gegenstand. Es ist nicht das Bewußtsein oder Erleben von Etwas, das mir  tatsächlich  "gegenübersteht", d. h. das tatsächlich von mir unterschieden ist, tatsächlich etwas anderes ist als ich, der ich jetzt dieses Bewußtsein habe; das tatsächlich von mir empfangen oder erfahren wird oder mir zuteil wird und zuteil geworden ist; sondern das Wort Gegenstandsbewußtsein besagt, daß auch dieses mir Gegenüberstehen bewußt von mir erlebt oder daß der Gegenstand als mir gegenüberstehender von mir "gewußt" wird.

In gewissem Sinne erlebe ich freilich in allem Empfinden einen Gegenstand, d. h. in jedem Empfindungsinhalt liegt  implizit  ein solcher, oder liegt etwas, was für mich Gegenstand  werden kann. 

Zunächst aber nun ist damit nicht etwa ein spezifische Eigentümlichkeit der  Empfindung  bezeichnet. Sondern in jedem Bewußtseinsinhalt  überhaupt  liegt implizit ein Gegenstand. Auch die Lust, die ich fühle, kann für mich Gegenstand werden, d. h. kann von mir gedacht und betrachtet werden. Nur ist diese gedachte und betrachtete Lust kein objektiver, d. h. von mir verschiedener, sondern ein subjektiver Gegenstand.

Damit ist gesagt, worin allein das Auszeichnende des Empfindungsinhaltes besteht. Es ist nur dies, daß in ihm ein  objektiver,  d. h. vom Subjekt verschiedener Gegenstand implizit liegt.

Im übrigen aber sagt dies, daß mir in einem Bewußtseinserlebnis etwas gegeben ist, das für mich Gegenstand  werden kann,  doch nicht, daß das Bewußtseinserlebnis für mich Gegenstand  ist;  daß in ihm implizit ein Gegenstand liegt, sagt nicht, daß derselbe von mir expliziert, d. h. eben, daß er  für mich  Gegenstand ist oder daß ich ihm gegenüber ein Gegenstandsbewußtsein habe. So sagt insbesondere auch der Satz, es liege im Empfindungsinhalt implizit ein objektiver Gegenstand, nicht, daß das Empfinden ein Gegenstandsbewußtsein ist, so wenig, wie der Satz, jedes Gefühl, das ich habe, kann für mich Gegenstand sein oder werden, oder es liegt in ihm implizit ein "Gegenstand für mich", sagt, daß  Fühlen  ein Gegenstandsbewußtsein ist. Sondern  ansich  ist ein Empfindungsinhalt so wenig für mich Gegenstand als ein Gefühl. Empfinden ist also ansich so wenig ein Gegenstandsbewußtsein als das Fühlen.

Daß etwas für mich Gegenstand ist, oder daß ich ein Gegenstandsbewußtsein habe, dies sagt, ich wiederhole, daß etwas ein bewußt mir Gegenüberstehendes ist in dem Sinne, daß ich auch sein Gegenüberstehen  bewußt erlebe.  Solange aber der Empfindungsinhalt nur einfach als solcher da ist, steht er mir noch nicht bewußt gegenüber. Er ist, wie der Name sagt,  in  mir. Und davon ist das Dasein  für  mich, d. h. das Gegenstandsbewußtsein, aufs strengste zu unterscheiden.

Kurz, das Gegenstandsbewußtsein ist im Vergleich mit dem bloßen Dasein eines Empfindungsinhaltes in mir ein eigenartig neues Bewußtseinserlebnis. Etwas kann Empfindungsinhalt sein, ja ich kann beliebig viel in meinem Bewußtsein haben, kann allerlei sehen oder hören, ohne daß es für mich Gegenstand ist, also ohne daß ich ein Gegenstandsbewußtsein habe.

Soll dies geschehen, dann ist erforderlich, daß ich mich dem Inhalt oder genauer dem im Inhalt gegebenen Gegenstand  zuwende  und den Gegenstand aus dem Inhalt herauslese oder ihn "expliziere". Es ist dazu ein Akt der "Aufmerksamkeit" oder der  Auffassungstätigkeit  erforderlich. Durch ihn geschieht das Wunderbare, in jedem Fall völlig Neue, daß mir ein Gegenstand bewußt gegenübersteht, oder vor meinem geistigen Auge steht, in mein geistiges Sehfeld tritt. Erst war etwas  in  mir, nun ist da etwas  vor  mir, sozusagen in einer Distanz von mir. Erst erlebte ich nur etwas, nun weiß ich von etwas; kurz, ich habe es als Gegenstand. Damit ist ein Vorgang bezeichnet, den ich in grober Weise vergleichen kann mit dem Vorgang, der sich vollzieht, wenn ich erst einen körperlichen Gegenstand, ein materielles Ding, in der Hand habe, und dann mir dasselbe vor das sinnliche Auge bringe. Ich kann das Ding in jener Weise  haben,  ohne es in dieser Weise  vor mir  zu haben. Nun, so kann ich auch allerlei in meinem Bewußtsein haben, ohne es vor mir zu haben oder vor mich hingerückt, hingesetzt, hingestellt, kurz  als Gegenstand  zu haben.

Der Unterschied zwischen dem Gegenstandsbewußtsein und dem Haben eines Empfindungsinhaltes leuchtet aber schließlich besonders deutlich ein, wenn wir berücksichtigen, daß sich mir jedesmal ein  doppeltes  Gegenstandsbewußtsein aufgrund des Habens eines und desselben Empfindungsinhaltes ergeben kann. Ich erinnere hier an das Beispiel, das ich in der ersten meiner "Psychologischen Untersuchungen" angeführt habe. Ich habe den Empfindungsinhalt Blau, oder Blau kommt in meinem sinnlichen Sehfeld vor. Und nun mache ich mir zum Gegenstand das eine Mal das "Blau selbst". Dies erscheint mir dann als etwas vom Dasein des Empfindungsinhaltes Blau Unabhängiges, als etwas, das auch weiterhin bestehen wird, wenn der Empfindungsinhalt nicht mehr da ist, und das auch existierte, wenn der Empfindungsinhalt nicht da wäre oder nie dagewesen wäre. Ein andermal dagegen mache ich in rückschauender Betrachtung diesen Empfindungsinhalt oder dieses Bild als  solches,  oder ich mache mir das Blau  als Inhalt meiner Empfindung  zum Gegenstand. Jetzt gewinne ich das Bewußtsein, dieser Empfindungsinhalt sei jetzt eben oder zu einer Zeit in mir dagewesen oder ich habe ihn gehabt. Zugleich gewinne ich vielleicht das Bewußtsein, dieser Empfindungsinhalt sei im gegenwärtigen Moment nicht mehr da; ich gewinne in jedem Fall das Bewußtsein, er sei zu anderen Zeiten nicht dagewesen.

Bildlich gesprochen, ich kann, wenn ich einen Empfindungsinhalt habe, mein geistiges Auge nach der doppelten Richtung wenden: Einmal nach dem von mir verschiedenen Gegenstand, der im Empfindungsinhalt implizit gegeben ist, in unserem Beispiel nach dem "Blau selbst", das mir im Empfindungsinhalt Blau implizit gegeben ist; ein andermal nach dem Empfindungsinhalt als solchem. In jenem Fall wende ich das Auge in der Richtung nach dem Objekt, in diesem Fall in der Richtung nach dem Subjekt. Und je nachdem nun mache ich mir jenen Inhalt als solchen und sein Dasein in mir zum Gegenstand je nachdem habe ich jenes oder dieses  Gegenstandsbewußtsein.  Je nachdem weiß ich von einem von mir  unabhängigen  Gegenstand oder von einem vorübergehenden Vorkommnis in mir.

Dies nun ist ein genügender Beweis, daß der Bewußtseinstatbestand des Empfindens von beiden Arten des Gegenstandsbewußtseins verschieden ist. Das Dasein des Empfindungsinhaltes in mir ist in der Tat nichts als die Grundlage, das Substrat, die Voraussetzung, worauf sich das eine oder das andere Gegenstandsbewußtsein aufbauen kann.

Es ist, so kann ich auch sagen, das gegen beide Arten des Gegenstandsbewußtseins neutrale Material für dieselben. Und vielleicht lasse ich auch das Material unbenutzt oder unterlasse jene  beiden  Wendungen des geistigen Auges, etwa darum, weil dasselbe anders wohin und darum nicht in diese Region gerichtet ist, auf anderweitige objektive Gegenstände oder auf anderweitige Icherlebnisse, die weder mit den fraglichen Empfindungsinhalten, noch mit den darin gegebenen objektiven Gegenständen etwas zu tun haben. Dann ist der Empfindungsinhalt nur einfach da und vergeht wiederum, ohne daß ich die in seinem Dasein liegenden beiden Möglichkeiten eines Gegenstandsbewußtseins verwirklicht habe.

So liefern mir die Sinne fortwährend allerlei "Material", das ich in der doppelten Weise benützen kann. Einmal so, daß ich aus den Empfindungsinhalten den objektiven Gegenstand, etwa die Farbe, den Ton, die Form oder einen komplexen Gegenstand, ein Haus, einen Baum usw. herausnehme und mir gegenüberstelle. Ein andermal in der Weise, daß ich mir das Subjektive, das Dasein dieses Inhaltes in mir, das Dasein des  Bildes  einer Farbe, eines Tones, eines Hauses oder Baumes in meinem Bewußtsein, zum Gegenstand mache. Und in unzähligen Fällen lasse ich das Material vollständig unbenützt, d. h. verwirkliche keine dieser Möglichkeiten, so daß eben nur tatsächlich die Bilder in mir da sind und wieder verschwinden, und weder der objektive Gegenstand aus ihnen herausgenommen wird, noch auch das Bild als solches, oder als dieses subjektive Vorkommnis, für mich Gegenstand wird. In jenen beiden ersten Fällen wie in diesem letzten aber habe ich in gleicher Weise den Empfindungsinhalt oder den Komplex von solchen, das Gegenstandsbewußtsein dagegen ist bald so bald so gerichtet oder es unterbleibt vollständig.

Weil es nun aber so ist, d. h. weil das Gegenstandsbewußtsein eine vom Haben eines Empfindungsinhaltes so völlig verschiedene Sache ist, darum sollten wir es nicht nur unterlassen, das letztere als Gegenstandsbewußtsein zu bezeichnen, sondern wir müssen auch diesem einen besonderen Namen geben. Und der Name, der dem Gegenstandsbewußtsein gebührt, ist der Name  "Denken".  Etwas denken, an etwas denken, das heißt etwas zum Gegenstand haben. Es heißt, genauer gesagt, sich etwas zum Gegenstand zu machen oder gemacht zu haben.

Der letztere Ausdruck kann uns aber schließlich noch an einen wichtigen  qualitativen  Unterschied erinnern, der zwischen dem Gegenstandsbewußtsein einerseits und dem Haben eines Empfindungsinhaltes andererseits besteht. Das letztere, das Empfinden, nannte ich schon ein rezeptives Erlebnis. Das Empfinden ist in der Tat ein Haben im Sinne des Empfangens oder im Sinne des Empfangenhabens. Dagegen ist das Denken ein  Akt.  Ich  mache  nicht etwas zu meinem Empfindungsinhalt, rufe nicht diesen ins Dasein, wohl aber mache ich mir etwas zum Gegenstand, rufe den Gegenstand - nicht ansich, wohl aber für mich ins Dasein.

Der Akt, den ich dabei vollbringe, das ist eben jener Akt des vor mich Hinstellens oder Hinrückens, des mir Gegenüberstellens, oder der Akt, in welchem ich mich dem Gegenstand gegenüberstelle, so daß er nun auch mir gegenübersteht, kurz der Akt des Denkens.

Es ist aber von größter, psychologischer Bedeutung, daß wir, wie überall, so auch hier, die Akte von den rezeptiven Erlebnissen strengstens scheiden. Man redet freilich auch von Akten des Empfindens. Doch dann meint man mit dem Empfinden in Wahrheit nie das bloße Empfinden; denn dieses ist nun einmal durchaus kein Akt; sondern, was man dabei "Akt" nennt, ist eben der Akt des Denkens, der sich auf dem Empfinden oder dem Haben des Empfindungsinhaltes aufbaut, und den man vom bloßen Empfinden nicht unterscheidet. Gemeint ist mit dem "Akt des Empfindens" in Wahrheit das, was ich, nachdem mir der Inhalt  zuteil  geworden ist, nun meinerseits  tue. 

Und der Weg, auf dem ich zum Vollbringen dieser Tat gelange, d. h. die dem Akt vorangehende und in ihm sich vollendende  Tätigkeit,  das ist jene Tätigkeit der Zuwendung der Aufmerksamkeit oder jene  Auffassungstätigkeit. 

Mit Vorstehendem wende ich mich zugleich gegen die Verwendung des Begriffs des "Aktes" bei HUSSERL. HUSSERL verwischt den Sinn des Wortes Akt. Er übersieht, daß in diesem Wort doch zweifellos die Aktualität steckt. Das Haben von Empfindungsinhalten aber trägt nichts von Aktualität in sich, so gewiß es Voraussetzung ist für allerlei Arten desselben. Zunächst für den Akt des Denkens.


Denkgesetze als Gesetze der Gegenstände

Doch setzen wir jetzt weiterhin einfach unseren Begriff des Gegenstandes voraus. Gegenstand ansich ist das Denkbare; und Gegenstand für mich ist das, was von mir gedacht ist. Und dieses Denken ist etwas vom Haben eines Empfindungsinhaltes und ebenso vom Haben eines Vorstellungsinhaltes durchaus Verschiedenes, ja damit völlig Unvergleichbares, eine absolut neue Tatsache.

Und wirklich sind für uns Gegenstände, wenn sie an uns die Forderung stellen, gedacht zu werden, oder wenn sie das Gedachtwerden als ihr Recht beanspruchen, und wenn wir diese Forderung oder dieses Recht anerkennen.

Gesetzt nun aber, man verwechselt die Gegenstände, die wir denken, und sei es als wirklich anerkennen, sei es als nicht wirklich erkennen, sei es endlich um ihre Wirklichkeit und ihre Nichtwirklichkeit gar nicht befragen, man verwechselt insbesondere die objektiv wirklichen Gegenstände, die den Namen "Dinge" tragen, mit Komplexen von Empfindungs- oder Vorstellungsinhalten, oder gar mit Empfindungen und Vorstellungen selbst bzw. den Komplexen von solchen. Dann ist man  "Psychologist".  Und zwar ist man dies unter der gemachten Voraussetzung gleich beim Beginn der Psychologie. Denn das Grundwesen des Psychologismus ist eben dies, daß man psychologische Vorkommnisse zusammenwirft mit demjenigen, was dem Bewußtsein und allen Bewußtseinserlebnissen, also allem Psychologischen als sein absolutes Gegenteil gegenüber steht, d. h. mit den Gegenständen; daß man das Subjekt und das Objekt, das Ich und die von mir gedachte Welt zusammenwirft. Im Bild gesprochen: den Mittelpunkt des Kreises mit der Kreisperipherie. Auf einer solchen Verwechslung baut z. B. der Kritiker meines "Leitfadens der Psychologie" seine Kritik auf.

Ist aber einem Psychologisten einmal diese Verwechslung begegnet, dann ist es nur konsequent, wenn dieselbe bei ihm schließlich zum Prinzip seiner Psychologie wird. Es ist beispielsweise kein Wunder, wenn man nun auch umgekehrt, um in unserem Gleichnis zu bleiben, die Kreisperipherie mit dem Mittelpunkt des Kreises verwechselt, wenn man etwa die Gefühle und Affekte und ihre Eigentümlichkeiten in den gegenständlichen Vorstellungen, d. h., da man ja Vorstellungen und Vorgestelltes oder Vorstellungen und gedachte Gegenstände nicht unterscheidet, wenn man in den Besonderheiten der Gefühle Besonderheiten der gedachten Gegenstände sieht, also erklärt, gewisse Unterschiede zwischen Gefühlen seien Unterschiede der Gegenstände, auf welche sich dieselben beziehen.

Doch davon will ich hier nicht reden. Woran mir im gegenwärtigen Moment liegt, das ist eine andere Konsequenz jener oben bezeichneten Verwechslung oder jenes Psychologismus. Sind Gegenstände nicht Gegenstände, sondern Empfindungen oder Vorstellungen, kurz Bewußtseinserlebnisse, dann sind auch die Denkgesetze notwendig Gesetze von Bewußtseinserlebnissen.

Und hier tritt nun gleich eine andere Verwechslung hilfsbereit hinzu. Sind die Gegenstände Empfindungen und Vorstellungen oder fließen für den Philosophen oder Psychologen die Gegenstände und vor allem die Dinge einerseits, und die Empfindungen und Vorstellungen andererseits, unterschiedslos zusammen, dann ist er in Gefahr, auch umgekehrt das, was er als Empfindungen und Vorstellungen bezeichnet, d. h. die Bewußtseinserlebnisse, als Gegenstände und schließlich als Dinge anzusehen und die logischen Gesetze unter den Gesichtspunkt zu stellen, unter welchen er die Gesetze von Dingen oder die Naturgesetze stellt.

Die Gesetze der Dinge aber gewinnen wir, so sagt man, auf empirischem Weg, d. h. wir gewinnen sie, indem wir die Dinge betrachten, und zusehen, wie es nach Aussage der Dinge mit ihnen bestellt ist. Naturgesetze sind, so versichert man, Verallgemeinerungen dessen, was in bestimmten Fällen von uns beobachtet wird oder sich unserer Betrachtung darstellt. Und so meint man nun, gewinnen wir auch die logischen Gesetze, indem wir das Denken und Vorstellen - auch denken und vorstellen ist ja für jene Philosophen ein und dasselbe, - betrachten, und zusehen, wie es damit bestellt ist. Auch die logischen Gesetze können dann nichts anderes sein als Aussagen darüber, was die Betrachtung der einzelnen Fälle des Denkens oder der einzelnen Denkvorkommnisse ergibt.

Diese Weise, Denkgesetze in gleichem Licht zu betrachten, wie die empirischen Naturgesetze hat nun freilich zur Voraussetzung, daß man die oberste Regel wissenschaftlicher Erkenntnis vernachlässigt, nämlich die Regel, daß Tatsachen eines Gebietes nicht gemessen werden dürfen an Begriffen, die einem völlig anderen Tatsachengebiet entnommen sind; vielmehr, daß Tatsachen überhaupt nicht an Begriffen zu messen sind, sondern umgekehrt. Auf Bewußtseinstatsachen angewendet, besagt diese oberste Regel, daß an dieselben keine Begriffe herangebracht werden dürfen, außer denjenigen, die unmittelbar aus dem Bewußtseinsleben selbst entnommen sind; daß insbesondere alle physikalischen Begriffe da, wo es sich nun einmal nicht um physikalische Dinge, sondern um das Bewußtsein handelt, aufs säuberlichste ferngehalten werden müssen, so lange nicht etwa die Betrachtung der Bewußtseinserlebnisse ihre Anwendbarkeit erweist.

Mit Rücksicht auf unseren Fall soll das heißen: Empirische Gesetze sind - empirische Gesetze. Und wie sich logische Gesetze zu diesen verhalten, ist für den, der an die Betrachtung der letzten herantritt, zunächst eine offene Frage. Es geht nicht an, sie von vornherein irgendwie im Lichte der empirischen Gesetze zu betrachten. Oder meint man, diese Betrachtungsweise sei gerechtfertigt, weil die logischen Gesetze und die empirischen Gesetze mit dem gleichen Namen "Gesetz" bezeichnet werden, dann ist zu bemerken, daß gleiche Namen, auf verschiedenen Gebieten angewendet, einen völlig verschiedenen Sinn haben können. Aber freilich unter der Voraussetzung jener Verwechslung bleibt es dabei: Auch Denkgesetze können nichts sein als in der Erfahrung gefundene, d. h. aus der Betrachtung des tatsächlich vorkommenden Denkens gewonnene Gesetze, empirische  psychologische  Gesetze in diesem Sinne des Wortes.

Was wäre unter dieser Voraussetzung etwa das Kausalgesetz? Nun offenbar nichts als die Aussage darüber, wie wir zu denken pflegen; die Aussage, daß wir zu Veränderungen eine Ursache hinzu zu denken pflegen, oder hinzu zu denken uns genötigt sehen. Das Kausalgesetz wäre, allgemein gesagt, nichts als ein Bericht darüber, was  uns  bei der Betrachtung des Geschehens in der Welt  zu begegnen  pflegt.

Hier ist noch eine Zwischenbemerkung zu machen. Sie betrifft das Wort "Genötigtsein". Denknotwendigkeiten, so sagte ich in der ersten meiner "Psychologischen Untersuchungen", sind keine Nötigungen, sondern etwas davon absolut Verschiedenes, nämlich Forderungen von Gegenständen. Indessen, unterscheidet man nicht die Gegenstände von den Bewußtseinserlebnissen, dann kann man auch nicht die Forderungen der Gegenstände oder die "Denknotwendigkeiten" von den Nötigungen unterscheiden, die in unserem Bewußtsein vorkommen; die Forderung zu denken von der Vorstellungsnötigung und vielleicht von der gewohnheitsmäßigen Nötigung des Vorstellens.

Aber eine Aussage über das, was in unserem Bewußtsein da und dort vorzukommen pflegte, oder auch wohl jederzeit vorkam, ist nun einmal das Kausalgesetz, das ich soeben als Beispiel eines Denkgesetzes anführte, nicht. Und daß es dies nicht ist, hätte jenen Psychologisten die Augen öffnen müssen. Das Kausalgesetz sagt nicht: Ich oder andere Individuen pflegen oder pflegten, wenn sie eine Veränderung wahrnahmen oder als vorhanden ansehen mußten, dazu eine Ursache hinzu zu denken oder sie fanden sich zum Hinzudenken einer solchen  "genötigt",  sondern es sagt:  Zur Veränderung gehört eine Ursache.  Das Kausalgesetz sagt also ganz und gar nichts aus über Gewohnheiten oder wiederkehrende Nötigungen des Denkens.

Und wovon redet es dann? Nun von der Veränderung und von der Ursache. Und wiederum nicht von der Veränderung in unserem Denken oder Vorstellen, und nicht von der Ursache dieses Denkens oder dieses Vorstellens, sondern von Veränderungen, die in der vom Bewußtsein unabhängigen Welt, der Welt der Dinge, geschehen; und es redet von Ursachen, die in gleicher Weise der vom Bewußtsein unabhängigen Welt der Dinge angehören. Und es besagt, daß zu jenen Tatsachen, den Veränderungen in der objektiv wirklichen Welt, diese anderen Tatsachen, die Ursachen derselben, in eben dieser objektiv wirklichen Welt  gehören.  Kurz, das Kausalgesetz ist ein Gesetz der Dinge. Und es ist ein allgemeinstes Gesetz derselben.



Hiermit stehen wir nun aber vor einem doppelten Problem. Das Kausalgesetz ist, so sage ich hier, ein Gesetz der Dinge. Es ist eine Aussage über den Zusammenhang der Dinge in der dinglich realen Welt. Es behauptet die notwendige Zugehörigkeit einer Ursache zu jeder, in der dinglich realen Welt vorkommenden Veränderung. Daß es sich so verhält, unterliegt nicht dem geringsten Zweifel. Solche Gesetze aber, die über Vorkommnisse in der dinglich realen Welt eine Aussage machen, nennen wir Naturgesetze. Das Kausalgesetz ist also ein Naturgesetz. Oben aber nannte ich es ein Denkgesetz. Ich wählte es ausdrücklich als Beispiel eine Denkgesetzes überhaupt. Und auch daß es dies ist, bezweifelt niemand. Man nennt es auch ein logisches Gesetz. Aber logische Gesetze sind Denkgesetze.

Wie aber können Naturgesetze Denkgesetze sein? Es scheint, Gesetze sind entweder das eine oder das andere. Die Natur ist doch nicht das Denken.

Und zweitens: Ich legte oben Gewicht darauf, daß das Kausalgesetz nicht ein aus der  psychologischen Erfahrung  gewonnenes, nicht ein psychologisches Gesetz in dem Sinne sei. Indem ich es aber jetzt ein Naturgesetz nenne, scheine ich es doch immerhin als ein in der  Erfahrung,  wenn auch nicht der psychologischen Erfahrung, gewonnenes Gesetz zu betrachten. Naturgesetze sind doch auch empirische, d. h. eben aus der Erfahrung gewonnene Gesetze. Und jedes Naturgesetz, so scheint es,  muß  ein solches sein, d. h. es muß aus der Betrachtung der Dinge der Natur gewonnen sein. Und, wenn das Kausalgesetz ein Naturgesetz ist, so gilt dies auch von ihm. Oder wie können wir wissen, daß dasselbe von den Dingen gilt, ohne daß wir die Dinge, von denen es gilt, daraufhin ansehen. Und wenn wir das Kausalgesetz in einer solchen Weise gewonnen haben, nur dann ist es eben, wie andere Naturgesetze, ein  empirisches  Naturgesetz.

Bleiben wir nun zunächst einen Augenblick bei der letzteren Frage. Vielleicht meint man sogar, es liege im  Begriff  des Naturgesetzes, daß es aus der Betrachtung der Tatsachen der Natur gewonnen sei. Darauf würden wir antworten, daß man in der Tat jenen Begriff so fassen könne. Aber andererseits liegt doch im Begriff des Naturgesetzes nicht ohne weiteres zugleich diese  Herkunft. 

In jedem Fall nehmen wir zunächst das Wort nicht in diesem Sinne. Das Wort "Naturgesetz" besagt uns zunächst: ein Gesetz, das von der Natur oder von den Dingen in der Natur  gilt.  Ob es aus der Betrachtung der Natur  gewonnen  ist, das ist eine weitere Frage.

Nehmen wir aber das Naturgesetz in diesem und nur in diesem Sinne, dann ist zweifellos das Kausalgesetz nicht nur ein Naturgesetz, sondern ein allgemeinstes Naturgesetz. Dies heißt nach dem soeben Gesagten nicht, daß es durch Verallgemeinerung sonstiger Naturgesetze oder Gesetze der Dinge gewonnen ist. Nur die Tatsache, daß es von allen Dingen  gilt soll damit bezeichnet sein.

Schon das Gesetz, alles Leben stamme aus der Zelle, ist ein sehr allgemeines Naturgesetz. Es gilt von allen lebenden Körpern. Das Gesetz der Gravitation gilt von Körpern überhaupt, es ist also ein allgemeineres Gesetz der Dinge. Dies will sagen, die Dinge, von denen es gilt, sind nicht die als lebend näher bestimmten Körper, sondern sie sind Körper überhaupt. Und nun verallgemeinern wir diesen Begriff des Körpers weiter oder bilden aus ihm einen noch allgemeineren oder noch weniger determinierten Begriff. Dann gewinnen wir den Begriff des Dings oder des vom Bewußtsein Unabhängigen überhaupt. Und von diesem Allgemeinsten nun gilt, daß es keine Veränderung erfahren kann ohne Ursache. Wir gelangen also in der Tat durch fortgesetztes Aufsteigen von allgemeinen zu immer allgemeineren Gesetzen der Dinge schließlich zum Kausalgesetz.

Das Kausalgesetz ist aber, obgleich ein allgemeinstes, doch nicht das allgemeinste Gesetz der Dinge. Wir sind soeben von allgemeinen zu allgemeineren Gesetzen aufgestiegen und auf diesem Weg zum Kausalgesetz gelangt. Wir können aber eine solche Verallgemeinerung noch weiter treiben. Dann gelangen wir vom Begriff des Dings zum Begriff des  Gegenstandes überhaupt Der Begriff des Dings ordnet sich in der Tat diesem allgemeinsten Begriff unter.

Auch von den Gegenständen überhaupt gilt nun ein Gesetz; nämlich das Identitätsgesetz. Wir formulieren dasselbe so: was ein Gegenstand fordert, das fordert er allgemein, oder solange er der gleiche Gegenstand ist. Dies ist in der Tat die  allgemeinste  Formulierung dieses Gesetzes. Es ist zugleich eine solche, durch welche dem Identitätsgesetz ein Inhalt gegeben wird, oder unter deren Voraussetzung er nicht eine bloße Tautologie ist. Und dieses Gesetz ist zweifellos ein Gesetz der Gegenstände.

Indessen will ich hier nicht in den Streit über die zutreffende Formulierung des Identitätsgesetzes eintreten. Auch wenn dasselbe in anderer Form ausgesprochen wird, etwa in der Form:  A ist A oder  A,  das  B  ist, ist  B,  d. h. jeder Gegenstand ist, was er ist, oder jeder Gegenstand ist mit sich identisch usw., immer tritt dasselbe auf als Gesetz, das von  Gegenständen  eine Aussage macht.

Hier nun aber entsteht uns jener obige Widerspruch von neuem. Das Identitätsgesetz ist wie gesagt ein Gesetz der Gegenstände. Es redet von Gegenständen und nur von solchen. Und Gegenstände sind das Denkbare. Aber sie sind nicht das Denken. Wie nun kann dann ein Gesetz der Gegenstände ein Gesetz des Denkens sein?

Diese Frage ersetzen wir zunächst durch die andere, oder stellen sie in der Form: Was unterscheidet die Gesetze, die wir Gesetze des Denkens nennen, von den Gesetzen, die wir nur Gesetze der Dinge, bzw. der Gegenstände und nicht Denkgesetze nennen. Was unterscheidet sie insbesondere von den Naturgesetzen, die nicht Denkgesetze genannt werden.

Hier aber liegt uns zunächst daran, wie die Besonderheit der Denkgesetze  nicht  bestimmt werden darf.

Eine erste Weise ist diese. Vielleicht ist man geneigt, das Auszeichnende der Gesetze des Denkens, oder allgemeiner gesagt, des Geistes, darin zu suchen, daß sie lediglich  formal  seien. Aber das genügt nicht. Der formale Charakter dieser Gesetze ist, wenn einmal feststeht, daß sie allgemeinste Gesetze sind, am Ende nicht mehr als selbstverständlich. Je allgemeiner ein Naturgesetz ist, so sahen wir schon, umso weniger sind die Dinge bestimmt, von denen es gilt. Kein Wunder, wenn ein oberstes oder allgemeinstes Naturgesetz sie gar nicht mehr bestimmt. Es ist also der formale Charakter der Denkgesetze nicht ohne weiteres ein Kennzeichen, durch das sie zu Denkgesetzen werden.

Weiter betont man: Jene Denkgesetze sind  Normen  oder sind Normgesetze  für das Denken,  d. h. sie sagen, welche allgemeinsten  Forderungen  an das Denken ergehen. Dies ist wiederum ein Moment, das man als charakteristisch für die Denkgesetze ansehen könnte. In der Tat pflegt man die Logik und die Wissenschaft von den Denkgesetzen als Normwissenschaften den Tatsachenwissenschaften gegenüberzustellen. Die Naturwissenschaft z. B. sei eine solche Tatsachenwissenschaft. Und man meint vielleicht, dieser Gegensatz sei möglichst klar und einfach. Die Norm sagt, was sein soll, die Tatsache, was ist. Dieser Gegensatz, meint man, springe in die Augen.

Indessen dieser Gegensatz ist nur scheinbar. Jede naturwissenschaftliche Aussage und jede Aussage über Tatsachenwissenschaften überhaupt, sagt, eben indem sie eine Tatsache aussagt, was sein  soll,  oder ist eine Aussage über eine Norm. Tatsachen sind in der Tat nichts als Normen, nicht für die Gegenstände, an welchen diese Tatsachen statthaben, aber für den Geist, der sie denkt. Daß die Körper dem Gravitationsgesetz gehorchen, besagt, daß sie  fordern,  so  gedacht  zu werden, wie es das Gravitationsgesetz aussagt. Daß die Rose rot ist, dies besagt, sie fordert als rot gedacht zu werden; kurz alle Tatsächlichkeit ist für uns nichts als eine Forderung. Und allgemeine Tatsachen sind allgemeine Forderungen. Und diesen Forderungen geschieht nichts zuleide, wenn sie als Normen bezeichnet werden.

Indem man Logik als Normwissenschaft bezeichnet, stellt man sie zugleich den anderen Normwissenschaften, etwa der Ethik, zur Seite. Aber auch die Ethik ist nicht mehr Normwissenschaft als die Naturwissenschaft. Die ethischen Sätze sind der Ausdruck der Forderungen, welche die Gegenstände an unser  Wollen  stellen, sowie die naturwissenschaftlichen Sätze der Ausdruck sind für Forderungen, die von den Gegenständen an unseren Verstand gestellt werden. Damit sind freilich die ethischen Sätze von den naturwissenschaftlichen Gesetzen unterschieden. Aber sie stehen doch zugleich insofern mit ihnen auf einer Linie, als beide Forderungen zum Ausdruck bringen.

Oder dringt man darauf, daß die naturwissenschaftlichen Sätze bei all dem doch eben  Tatsachen  verkünden? Nun dann verkünden die ethischen Sätze im gleichen Sinne Tatsachen, nur eben Tatsachen anderer Art. Und es fällt nicht schwer, die ethischen Sätze auch im sprachlichen Ausdruck so zu wenden, daß sie unmittelbar als Aussagen über Tatsachen erscheinen. Statt zu sagen, die Rose fordert als rot gedacht zu werden, sage ich gewiß einfacher, die Rose ist rot; aber statt zu sagen, dies soll geschehen, jene Handlungen sollen vollbracht werden, kann ich ebensowohl einfach sagen, dies ist recht, jene Handlung ist Pflicht.

Und was die logischen Gesetze angeht, so haben wir dieselben ja bereits oben in die Form von Aussagen über Tatsachen gekleidet. "Was ist, das ist", dieser Satz macht von einer unleugbaren Tatsache Mitteilung.

Danach scheint es, man täte gut, den Gegensatz von Normwissenschaft und Tatsachenwissenschaften überhaupt fallen zu lassen. In der Tat ist damit nichts gesagt. Die Trivialität, der Satz, die Rose sei rot, wolle doch nicht sagen, die Rose soll rot sein, sollte man dagegen nicht anführen. Normen dieser letzteren Arten stehen natürlich hier nicht in Frage. Eine Normwissenschaft, die solche Sätze ausspricht, gibt es nicht. Sondern unter Normwissenschaften sind selbstverständlich solche zu verstehen, die Forderungen aussprechen an unser Denken, unser Werten und Wollen, kurz an das individuelle  Bewußtsein.  Und ein individuelles Bewußtsein ist ja doch eben die Rose nicht.

Zu diesen Normwissenschaften, also den Normwissenschaften im einzig möglichen Sinn des Wortes aber gehört die Physik ebensogut wie die Logik und die Ethik. Gewiß redet die Naturwissenschaft von Tatsachen, aber Tatsächlichkeit  ist  eben Norm und sie ist für uns nichts als dies. Und umgekehrt, Normen sind Tatsachen.

Aber die Normen der Logik und Ethik sind Tatsachen noch in einem anderen Sinn als dem oben gemeinten. Die Normen werden vom individuellen Bewußtsein  erlebt.  Wir könnten von logischen, ethischen Normen usw. gar nichts wissen oder davon reden, wenn wir sie nicht in uns erlebten. Kurz, die Normen sind Bewußtseinstatsachen.

Und sie sind Bewußtseinstatsachen von eigener Art. Ich erlebe die Normen als an  mich  ergehend, ich erlebe es, daß  ich  zur Veränderung eine Ursache hinzudenken muß, dieses Müssen im Sinne der logischen Notwendigkeit genommen; ich erlebe es, daß  mir  eine an  mich  ergehende Forderung, ein Denkakt, den ich zu vollziehen im Begriff bin, verboten wird. Die fraglichen Erlebnisse sind also Icherlebnisse, Erlebnisse von etwas, das dem Ich geschieht. Das Ich insbesondere, das die logischen Normen erlebt, ist das denkende Ich, oder das Ich, das sich in Denkakten betätigt.

Und damit nun könnte man wiederum meinen, dasjenige erfaßt zu haben, was den logischen Gesetzen das spezifische Recht gäbe, als Denkgesetzt bezeichnet zu werden. Die Sätze insbesondere, in denen wir die logischen Normen zum Ausdruck bringen, sind, so könnte man sagen, Aussagen oder Mitteilungen über diese Ich- oder Denkerlebnisse, in welchen mein Bewußtsein von den Normen besteht.

Indessen, auch dies gilt wieder in gleicher Weise von den physikalischen Sätzen. Auch von den Forderungen, die in diesen liegen, von der Norm etwa, die das Gravitationsgesetz aussagt, wüßte ich nichts, wenn ich sie nicht als an  mich  ergehend erlebte. Ich mache also, wenn ich dieses Gesetz ausspreche, damit nicht minder Mitteilung von einem Ich- oder Denkerlebnis, als wenn ich das Kausalgesetz ausspreche.
LITERATUR - Theodor Lipps, Inhalt und Gegenstand, Sitzungsberichte der philosophisch-philologischen u. d. historischen Klasse der Königlich-Bayerischen Akdademie der Wissenschaften zu München, Jahrgang 1905, [vorgelegt am 4. Juli 1903] München 1906