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THEODOR LIPPS
Philosophie und Wirklichkeit
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"Dem bloßen Apperzipieren nun steht das Urteilen entgegen, dem erfassenden der urteilende Geist. Die Dinge werden nicht nur vom Geist erfaßt und erfassend geformt, sondern sie werden beurteilt. Und das Urteilen unterliegt nun der Gesetzgebung, die wir als logische Gesetzgebung bezeichnen. Es unterliegt dem Vernunftgesetz, kurz, der Vernunft oder dem Vernunft-Ich."

"Es gibt gewiß eine allgemein wissenschaftliche Methode, die wiederum bedingt ist durch die Natur des denkenden Geistes und das gemeinsame Ziel aller Wissenschaften, die Wirklichkeit zu erkennen. Im übrigen aber bestimmt sich die Methode einer Wissenschaft nach ihrer besonderen Aufgabe und der Natur ihrer Gegenstände, die Richtung des Weges bestimmt sich nach dem Ausgangspunkt und dem Zielpunkt. Insofern ist die Rede von einer naturwissenschaftlichen Methode der Psychologie ein Widersinn. Es gibt nur eine Methode der Psychologie, nämlich die psychologische, welche die Psychologie sich selbst aus ihrem Ausgangs- und Zielpunkt geschaffen hat und die niemand ihr an ihrer Stelle schaffen kann."

"Die Naturwissenschaft nennt das Wirkliche, weil sie es in der Form der Räumlichkeit anschaut oder es in diese Sprache faßt, die Materie. Mit dem Wirklichen ansich dagegen hat die Naturwissenschaft nichts zu tun."


Hier nun kommen wir auch wiederum auf die Räumlichkeit der Dinge. Alle räumlichen Bestimmungen lassen sich zurückführen auf eine Grundbestimmung, nämlich den Ort jeden Dinges und seiner Elemente. Indem jedes Ding seinen Ort hat, sind die Dinge räumlich geordnet. Indem jedes Element eines Dinges seinen Ort hat, hat das Ding seine bestimmte räumliche Größe und Form. Das In-Ruhe-sein ist das dauernde Dasein an einem und demselben Ort. Die Bewegung ist die Veränderung des Ortes.

Aber was ist nun der Ort eines Dinges? Ich sage nicht an sich, sondern für mich. Er scheint eine Bestimmung des Dinges selbst; ich sage: dieses Ding ist an diesem, jenes an jenem Ort und jedes Ding hat seinen Ort. Aber indem das Ding seinen Ort verändert, verändert es doch nicht sich selbst. Sondern was sich verändert, sind einzig seine räumlichen Beziehungen zu anderen Dingen. Kurz, für uns ist der Ort nichts anderes, als das Dasein gewisser räumlicher Beziehungen. So nur ist der Ort der Dinge für uns auffaßbar. Beziehungen aber sind nirgendwo sonst, als im auffassenden Geist, die Beziehungen sind das Bezogensein durch mich. Nur durch den beziehenden Geist also ist der Ort auffaßbar, nur indem er übersetzt wird in die Sprache des aufeinanderbeziehenden Geistes. Er ist auffaßbar allein in dieser geistigen Erscheinungsweise. Gewiß  hat  jedes Ding seinen Ort ganz und gar  ohne mein Zutun.  Aber das heißt doch nur: dem Ding eignet an sich das  X,  das in die Sprache des aufeinanderbeziehenden Geistes übersetzt, die Ortsbestimmtheit des Dinges ergibt, die Ortsbestimmtheit, die nun einmal für mich in nichts anderem bestehen kann, als in räumlichen Beziehungen. Ein solches  X  also ist der Ort eines Dinges,  ansich  betrachtet und er ist  für mich nichts  als dieses. Oder von anderer Seie her betrachtet: die Ortsbestimmtheit eines Dinges ist die Weise, wie der aufeinanderbeziehende Geist eine uns an sich unbekannte Bestimmtheit des Dinges auffaßt und seiner Natur zufolge einzig auffassen kann. Das aufeinanderbeziehende Tun des Geistes ist also die Bedingung, unter welcher ein Ding für uns einzig einen Ort haben kann. Und sofern, wie oben gesagt, alle räumlichen Bestimmungen der Dinge auf den "Ort" zurückführbar sind, kann das aueinanderbeziehende Tun des Geistes als die Bedingung bezeichnet werden dafür, daß die Dinge überhaupt für uns räumliche Bestimmungen haben.

Danach stehen die räumlichen Bestimmungen eigentümlich in der Mitte zwischen den sinnlichen Erscheinungsweisen der Dinge und den Bestimmungen, die sie im auffassenden Geist gewinnen, also den geistigen Erscheinungsweisen. Räumlichkeit überhaupt ist, wie oben gesagt, eine Form der sinnlichen Erscheinungsweisen der Dinge. Die einzelnen  Raumbestimmungen  aber sind Erscheinungsweisen der Dinge im auffassenden und beziehenden Geist. Oder beides zusammengefaßt: die räumliche Ordnung der Dinge ist eine notwendig  sinnlich geistige  Erscheinungsweise der Dinge.

Der erfassende oder auffassende Geist, von dem im bisherigen die Rede war, kann auch bezeichnet werden als der apperzipierende oder apperzeptiv ordnende Geist; die Sphäre, in die wir die Dinge soeben entreten sahen, als die Sphäre der Apperzeption und des apperzeptiven Ordnens.

Dem bloßen Apperzipieren nun steht das Urteilen entgegen, dem erfassenden der urteilende Geist. Die Dinge werden nicht nur vom Geist erfaßt und erfassend geformt, sondern sie werden beurteilt. Und das Urteilen unterliegt nun der Gesetzgebung, die wir als logische Gesetzgebung bezeichnen. Es unterliegt dem Vernunftgesetz, kurz, der Vernunft oder dem Vernunft-Ich. Dieser Gesetzgebung also verfallen die Dinge im Geist. Und hier nun entsteht, als letzte Stufe in der "Erscheinung" der Dinge, die  gesetzmäßig geordnete  Welt der Dinge.

Die Dinge werden am Ende ihrer Laufbahn in dem sie auffassenden Ich von der Vernunft erleuchtet, ihrem Gesetz unterworfen. Denn alle Gesetzmäßigkeit in der Welt der Dinge kommt für mich zustande - nicht indem ich in den Dingen etwas finde, das ich ihre Gesetzmäßigkeit nennen dürfte, sondern indem sie dem Gesetz der Vernunft unterworfen werden.

Auch die Gesetze des Wirklichen sind freilich den Dingen eigen, so wie ihnen die Einheiten und die Aufeinanderbeziehungen eigen sind oder eigen sein können, von denen vorhin die Rede war. Wir können sogar auch hier denselben Ausdruck gebrauchen, wie oben und wiederum von objektiven Einheiten und Beziehungen sprechen. Auch die Vernunft schafft eine Einheit und setzt die Dinge zueinander in Beziehung. Aber das ist freilich nicht die Einheit und insbesondere die raumzeitliche Einheit, die vorhin gemeint war, sondern die gesetzmäßige Einheit und die Beziehungen, die hier gemeint sind, sind die gesetzmäßigen Abhängigkeitsbeziehungen, das Zusammenhängen von allem mit allem innerhalb jener Einheit und nach allgemeinen Gesetzen.

Daß aber die Gesetze des Wirklichen den Dingen selbst oder an sich eigen sind, das besagt nicht nur, daß es die Dinge sind, die wir in Gesetze fassen, daß sie das im Gesetz Gefaßte sind, daß das in Gesetze Gefaßtsein sie betrifft, ihnen zukommt. Sondern sie sind Gesetze der Dinge auch in dem Sinne, daß die Dinge bestimmen,  wie  sie sich in die Gesetzmäßigkeit des Geistes einfügen, welche Stelle sie in dieser Gesetzmäßigkeit oder gesetzmäßig geordneten Einheit einnehmen. Ich kann statt dessen wiederum sagen, sie bestimmen, wie sie vom geistigen Licht oder der Beleuchtung, in welche die Vernunft die Dinge rückt,  getroffen  werden.

Aber das hindert auch hier nicht, daß die Beleuchtung selbst Sache der Vernunft ist. Das heißt mit anderen Worten: die Gesetzmäßigkeit selbst, die allgemeine Form der Gesetzmäßigkeit, wenn man so will, ist Sache der Vernunft, dagegen, daß die Gesetzmäßigkeit hier diesen, dort jenen  Inhalt  hat, daß es diese oder jene inhaltlich bestimmten einzelnen Gesetze gibt, das ist Sache der Dinge. Die gesetzmäßig geordnete Welt baut sich auf aus dem Material der Dinge oder unserer Erfahrungen von den Dingen. Aber sie wird aufgebaut durch den Geist nach dem Gesetz der Vernunft.

Also ist die gesetzmäßig geordnete Welt ein Produkt aus den beiden Faktoren: aus den Dingen, so wie sie sich ohne unser Zutun dem Geist darstellen und der Gesetzmäßigkeit des Geistes, dem sie sich darstellen oder in den sie eindringen.

Und jetzt gibt es für mich auch eigentlich erst eine  wirkliche  Welt. Was ist die wirkliche Welt, die Welt, die ich meine, wenn ich von der wirklichen Welt rede? Das ist nicht die Welt des Gegebenen. Diese kann auch eine Welt des Scheins sein. Das Gegebene ist nur Material zum Aufbau der wirklichen Welt. Die wirkliche Welt selbst aber, ich meine die wahrhaft wirkliche, ist die gedachte, nämlich nach der Gesetzmäßigkeit der Vernunft von mir gedachte und eventuell umgedachte Welt des Gegebenen. Wirklich kann nur das Gegebene, das und insofern es sich der Vernunft fügt, genannt werden; wirklich kann nur die gesetzmäßig geordnete, nämlich nach dem Gesetz der Vernunft geordnete Einheit der Dinge und Iche und was in dieser Einheit seine Stelle findet, heißen.

Das Gesetz der Vernunft ist das Gesetz der Wahrheit, also auch ein Gesetz, wonach sich bestimmt, was wahrhaft  wirklich  ist. Das Gegebene kann Wahrheit sein, aber auch bloßer Schein, ein wahrhaft oder auch ein nur scheinbar Wirkliches. Erst das Gesetz der Vernunft vollbringt oder der Geist vollbring am Gegebenen  nach  dem Gesetz der Vernunft, die Scheidung. So kommt für mich die wirkliche Welt zustande, nicht wie sie  ansich,  aber wie sie  für mich  ist. Das Gesetz der Vernunft ist in ihr ein Faktor oder die Vernunft ist in ihr ein Faktor und ein notwendiger Faktor. Sie ist eine  Bedingung  der Wirklichkeit, das heißt, sie schafft erst endgültig die Welt der Wirklichkeit, nämlich für mich. Das Vernunftgesetz ist ein Gesetz des für mich Wirklichen, aber nicht in dem Sinne, daß das Wirkliche mir das Gesetz gebe, sondern es ist ein Gesetz  für  das Wirkliche oder das Gesetz, wodurch für mich erst die Wirklichkeit entsteht.



Gegenüber dem vorstehenden bezeichneten Sachverhalt nun gibt es einen doppelten möglichen Standort. Der eine Standort ist der des Ich, das die Dinge in sich hinein nimmt. Dieser Standort ist der der Naturwissenschaft. Sie ist das die Dinge solchergestalt in sich hineinnehmende Ich. Sie ist das Ich, dessen Sinnen zunächst die Dinge erscheinen und das sie oder das diese sinnlichen Erscheinungsweisen der Dinge räumlich anschaut, das sie dann weiterhin geistig erfaßt und formt, vereinheitlicht und aufeinander bezieht, das sie endlich der Gesetzmäßigkeit der Vernunft unterwirft, also in ein gesetzmäßig geordnetes System einfügt. Indem sie dies tut, gibt sie freilich die Bestimmtheiten, welche die Dinge bei jenem Eindringen in die  erste  Region des Ich, das heißt in die Region der  Sinne,  gewinnen, in gewisser Weise Preis. Das will sagen, sie erkennt die sinnlichen Erscheinungsweisen als bloße Erscheinungsweisen an, zieht sie also von den Dingen, so wie sie an sich sind, gedanklich wiederum ab. Sie beläßt es aber bei der diesen Erscheinungsweisen eigentümlichen Raumform. Das heißt, sie betrachtet die unmittelbar  gegebenen  räumlichen Bestimmungen als den Dingen an sich angehörige und ersetzt zugleich die spezifischen sinnlichen Qualitäten durch  gleichartige  räumliche Bestimmungen; kurz, sie faßt die Dinge allgemein und durchaus in die Sprache der Räumlichkeit, das heißt einerseits in die Sprache der Form der Erscheinungsweisen, andererseits in die Sprache des aufeinander beziehenden Geistes. Und sie ordnet endlich die in diese Sprache gefaßten Dinge in eine geistige Einheit, in der alles mit allem nach allgemeinen "mechanischen" Gesetzen zusammenhängt. Dieser Zusammenhang aber ist, ich betone noch einmal, ein Zusammenhang im Geiste. Seine Gesetzmäßigkeit ist das Ergebnis der Unterordnung der in die Raumbegriffe gefaßten Dinge unter das Gesetz der Vernunft.

Dieser Standort der Naturwissenschaft kann verglichen werden mit dem Standpunkt des Schauspielers, der auf der Bühne seine Rolle spielt oder dem Standpunkt des Akteurs. Ein solcher Akteur ist in der Tat der Naturforscher.

Ihm gegenüber steht aber der Standort dessen, der außerhalb der Bühne steht und das Spiel und den Schauspieler betrachtet. Oder, ohne Bild gesprochen, diesem in der Aktion stehenden Ich steht das die Aktion betrachtende Ich gegenüber.

Dieses letztere Ich nun ist das Ich des Philosophen, diese Betrachtung trägt den Namen der Philosophie.

Von seinem Standort aus aber sieht der Philosoph dreierlei, nämlich erstlich das Ich und zweitens die ihm gegenüberstehenden und in das Ich eindringenden und seiner Formung und Gesetzmäßigkeit sich unterwerfenden Dinge und er sieht drittens die Stufen des Eindringens der Dinge in das Ich, woraus zuletzt die Erkenntnis entsteht.

Sofern nun die Philosophie ernstlich hinblickt auf das Ich, ist sie  Psychologie.  Doch unterscheidet diese am Ich notwendig zweierlei. Das, was ich erlebe, indem ich mich erlebe, das ist ja eine Resultante aus zwei Komponenten. Das Ich ist einerseits das individuelle Ich oder es ist das am Ich, was es zu diesem individuellen macht. Es ist das an diesen Leib gebannte, das hier befindliche, also einer bestimmten einzelnen Stelle der Wirklichkeit angehörige, zu diesem Ding in näherer, zu jenem in fernerer Beziehung stehende, das Ich einer bestimmten "Seele" - wobei doch die Seele nichts bezeichnet, als eben jene Stelle der Wirklichkeit.

Andererseits aber findet der auf dieses Ich gerichtete Blick als ein zu ihm gehöriges Moment das Vernunftgebot, das "Du sollst"; es stößt auf die Vernunft oder das X, das mir im "Du sollst" zu Bewußtsein kommt.

Auch das Dasein dieses "Du sollst" und der Vernunft ist eine Tatsache, so gewiß das, was am Ich individuell ist, eine Tatsache ist. Ja, jenes Momentim Ich ist in besonderem Sinn Tatsache; es ist das, wodurch alles, was irgend Tatsache heißt, für mich erst wahrhaft Tatsache wird. Denn Tatsache ist nur das der Vernunft oder jenem "Du sollst" Gemäße, das mit dem Gesetz der Vernunft Einstimmige oder, wie wir sagen, das logisch Richtige. Tatsache ist, was ich denken soll oder was zu denken von mir gefordert ist. Die letzte Richterin aber über das, was ich denken soll und denken darf, ist die Vernunft.

Hiermit nun komme ich von neuem auf jene Gefahr des Verlustes oder der Verrückung des Tatsachensinnes.

Man stellt wohl Normen und Tatsachen einander gegenüber und sagt, Tatsachen haben Wirklichkeit, Normen dagegen gelten; man redet, als ob es keinen Sinn hätte, vom wirklichen Dasein oder von der Existenz von Normen zu sprechen. Aber das ist eine irrige Rede. Gewiß ist es so: Normen sagen, was sein soll, Tatsachen bestehen darin, daß etwas ist, oder in der Welt der Wirklichkeit vorkommt. Und zwischen beidem ist ein deutlicher Gegensatz. Aber das ist nicht ein Gegensatz der Norm und der Tatsache, sondern ein Gegensatz des  Inhalts  der Norm oder dessen, worauf sie  zielt,  einerseits und der Tatsache andererseits. Und dieser Gegensatz schließt nicht aus, daß auch hinsichtlich der Norm die Frage Sinn hat, ob sie in der Welt der Wirklichkeit vorkomme. Ja, diese Frage ist es, die zuerst gestellt werden muß.

Die Frage nach der Geltung der Norm ist die Frage nach ihrer Fähigkeit sich Anerkennung zu schaffen. Aber hierbei ist schon die Wirklichkeit der Norm vorausgesetzt. So ist es etwa mit den bürgerlichen Normen. Sie haben eine bestimmte Art der Geltung. Ehe sie aber diese haben können, müssen sie existieren. Daß sie existieren, heißt nichts anderes, als daß der gesetzgebende Wille existiert.

Und analog ist es auch mit der Vernunftform. Sie existiert, und jeder kann ihres Daseins inne werden. Damit wird er zugleich der besonderen Art ihrer Geltung inne. Er findet, daß sie absolute Geltung hat, d. h. daß er nicht umhin kann, sie anzuerkennen, lediglich indem er davon weiß, daß es gegen sie keinen Appell oder Rekurs gibt, daß sie nicht ein hypothetischer, sondern ein kategorischer Imperativ ist. Umgekehrt aber können wir nicht der  Geltung  der Vernunftnorm inne werden, ohne zunächst ihres  Daseins  inne zu werden.

Freilich ist nun die Vernunftnorm oder das Vernunftgebot nicht eine auf Dinge bezügliche Tatsache. Und was ich darin als an mich herantretend erlebe, ist kein Ding. Aber das ist eben das übelste Ergebnis der Verkehrung des Tatsachensinns, von der ich rede, daß man nur die dingliche Wirklichkeit als Wirklichkeit gelten lassen will, daß man in ihr wenigstens eine vornehmere Wirklichkeit sieht und daß man die  substanzielle  Wirklichkeit dieser dinglichen Wirklichkeit  gleichsetzt

Was ist denn diese substanzielle Wirklichkeit? Sie ist, wenn ich mit dem Wort irgendeinen Sinn verbinden soll, die Wirklichkeit einer Substanz, eines Wirklichen also, das nicht wiederum ein Anderes als Bedingung seiner Wirklichkeit voraussetzt. Ihr gegenüber steht jede Art der akzidentiellen Wirklichkeit, das heißt der Wirklichkeit dessen, was um wirklich zu sein, einer Wirklichkeitsstütze, eines Trägers, irgendeines Wirklichkeitshaltes, bedarf. So sind die Gegenstände der sinnlichen Wahrnehmung für jedermann, auch schon für das naive Bewußtsein, nur akzidentiell wirklich.

Nehmen wir nun die substanzielle Wirklichkeit so, dann kann auch vom einzelnen Ding nicht im strengen Sinn gesagt werden, daß ihm substanzielle Wirklichkeit eigne. Jedes einzelne Ding ist, soviel wir irgend wissen, wirklich nur als ein Punkt in der Einheit des Wirklichen, an seiner Stelle oder als ein "modus" in der Allsubstanz, die allein letzten Endes den Namen einer Substanz verdient, als in Wahrheit substanzielle Wirklichkeit hat. Es gilt in dieser Hinsicht vom einzelnen Ding genau, was vom einzelnen oder individuellen Ich gilt. Auch das ist ein Punkt in der Einheit alles Wirklichen. Auch das existiert, soviel wir wissen, nur als solches, hat ebenso wie das Ding sein Dasein nur an seiner Stelle im Ganzen des Weltzusammenhangs. Ja, das Ding ist, wie oben gesagt, schließlich nichts als ein leerer Beziehungspunkt. Es ist dies für uns: wir wissen schlechterdings nicht zu sagen, was von dem Ding noch übrig bleiben sollte, wenn wir es aus seiner Beziehung zu anderem und schließlich zum Weltganzen in unseren Gedanken herausnehmen wollten.

Oder nennt man das einzelne Ding darum etwas Substanzielles und demgemäß seine Wirklichkeit eine substanzielle, weil das Ding eben doch ein Punkt oder ein  Teil  in jenem substanziell Wirklichen sei. Dann bleibt doch jedenfalls das Ding dem Ich koordiniert. Es ist dann schlechterdings nicht einzusehen, warum nicht das individuelle Ich mit dem gleichen Recht als ein substanziell Wirkliches bezeichnet werden können sollte. Nich mehr und am Ende auch nicht minder als das Ich ist das Ding einer Wirklichkeitsstütze bedürftig, wenn es nicht in Nichts versinken soll.

So hätte also zunächst das individuelle Ich dieselbe substanzielle Wirklichkeit wie das Ding. Und dabei muß noch betont werden:  jene  substanzielle Wirklichkeit ist im Vergleich mit  dieser  die  primäre.  Sie ist die unmittelbar gewisse und sie ist die Wirklichkeit - nicht eines  X,  sondern eines unmittelbar Bekannten. Sie ist für uns mehr als die Wirklichkeit eines bloßen Beziehungspunktes.

Wir reden aber hier nicht mehr vom individuellen Ich, sondern von der Vernunft. In mir finde und erfasse ich unmittelbar auch die Norm oder das "Du sollst". Zugleich doch erfasse ich dieses "Du sollst" als etwas von mir, diesem individuellen Ich, Unabhängiges. Dieses "Du sollst" rufe ich nicht nach Belieben denkend ins Dasein. Sondern es ist mir gegeben oder gesetzt, es ist, ohne mein Zutun, nur einfach da. Es liegt also auch in ihm das Moment der Transzendenz so gut wie in den Gegenständen meiner sinnlichen Wahrnehmung. Zugleich ist durch oben Gesagtes die Wirklichkeit des Etwas, das uns in den Vernunftnormen entgegentritt und das wir kurz als die Vernunft bezeichnen, soviel ich sehe, durchaus charakterisiert als substanzielle Wirklichkeit im vollen Sinne. Die Vernunft hat weder das individuelle Ich oder die einzelnen Iche, denen es ja als ein ihnen Transzendentes gegenübertritt, noch die einzelnen Dinge zu Trägern oder zur Wirklichkeitsstütze.

Mit Weglassung der Worte "Substanz" und "substanziell" können wir auch wirklich sagen: In dieser Vernunft haben wir das objektiv Wirkliche. Wir  stoßen  auf das objektiv Wirkliche in unserem Denken, indem wir die Dinge denken. Wir erleben und  erfassen  es dagegen, es offenbart sich uns unmittelbar, im Vernunftgebot.

So gibt es für uns eine objektive Wirklichkeit - oder mit Beibehaltung des obigen Ausdrucks Transzendenz - eine Transzendenz von zwei Seiten her. Es gibt für uns eine Transzendenz von sekundärer Art, eine Transzendenz als Gegenstand des instinktiven Glaubens, der den Zweifel nicht ausschließt und Glaube an ein völlig Unbekanntes, ein bloßes  X  ist. Das ist die objektive Wirklichkeit der  Dinge.  Und es gibt ihr gegenüber eine Transzendenz oder objektive Wirklichkeit, die unmittelbar erfaßt wird und die darum jedem Zweifel entrückt ist. Das ist die objektive Wirklichkeit der  Vernunft  und des Vernunftgebotes.

Die letztere kann zugleich die im wahren Sinn des Wortes  greifbare  objektive Wirklichkeit heißen.

Daß die objektive Wirklichkeit der Vernunft und ihres "Du sollst" eine unmittelbar erfaßte ist, schließt auch aus, daß wir sie als Erscheinung bezeichnen. Sie ist nicht Erscheinung, sondern absolute Tatsache. Sie ist absolute Tatsache auch in dem Sinne, daß sie nichts Geringeres ist, als die Bedingung dafür, daß es für uns überhaupt so etwas wie eine Tatsache gibt.

Ich nannte das Ich, das die Forderung des "Du sollst"  erfährt,  das  individuelle  Subjekt. Auch die gesetzgebende Vernunft kann, da ich sie doch nur in mir erlebe, ein Subjekt heißen. Aber sie ist das absolute Subjekt. Jenes individuelle Subjekt erlebe  ich;  von anderen dagegen ist es geglaubt, nicht unmittelbar erfaßt, sondern mit instinktiver Notwendigkeit gedacht.

Dieses absolute Subjekt dagegen ist überindividuell. Jeder erlebt es in sich und doch als ihm transzendent. Und ich erlebe es im Namen  aller,  als dasjenige, dessen Gesetzgebung mit dem Unterschied der Individuen nichts mehr zu tun hat.

Mit Vorstehendem ist zugleich eine Spaltung der Psychologie bezeichnet. Das individuelle Ich ist der Gegenstand der Psychologie im engeren Sinne. Das in dieses Ich hineinragende, vom individuellen Ich in sich erlebte, überindividuelle Subjekt dagegen ist der Gegenstand der Logik, d. h. der Vernunftwissenschaft, welche die reine normative Ethik und Ästhetik in sich begreift.

Aber  in mir  finde ich doch die transzendente Vernunft und  ich,  dieses individuelle Ich, werde in meiner Daseinsweise, meinen Urteilen, Werten und Wollen durch das transzendent Subjekt, die Vernunft,  bestimmt,  wenn auch bald mehr, bald weniger. Und so gehört die Logik im weiteren Sinne, das heißt als die Vernunftwissenschaft, doch auch zur Psychologie, was wiederum nicht hindert, daß die Vernunftwissenschaft in den Aussagen der Vernunft ihr von der sonstigen Psychologie unabhängiges Gebiet hat, daß die Frage, was die Vernunft gebietet, nichts zu tun hat mit der Frage, was die Vernunft gebietet, nichts zu tun hat mit der Frage, was die Vernunft gebietet, nichts zu tun hat mit der Frage, wieweit das Individuum des Gebotes der Vernunft sich bewußt ist oder gar dadurch sich bestimmen läßt.

Aber wehe der Psychologie, die nicht die Aussagen der Vernunft, also die logischen Erkenntnisse, in sich hineinnähme. Sie würde ein Ich zum Gegenstand ihrer Betrachtung machen, das es nicht gibt.

Die Tatsachen der Vernunftwissenschaft gehören zu den Grundmauern des Gebäudes der Psychologie, also zu diesem Gebäude. Dagegen hätte es keinen Sinn zu sagen, daß die Logik sich auf die Psychologie stützt oder gründet, so wenig als es Sinn hat, die Grundmauern eines Gebäudes auf das fertige Gebäude sich stützen oder dadurch begründet sein zu lassen.

Sofern die Psychologie Ich-Wissenschaft ist, ist sie der Naturwissenschaft als der Wissenschaft von den physischen Erscheinungen, also den Gegenständen der sinnlichen Wahrnehmung, unmittelbar entgegengesetzt. Ihr Gegenstand ist mit dem der Naturwissenschaften schlechterdings unvergleichlich. Sie ist das direkte Gegenteil einer Naturwissenschaft.

Sofern sie doch das an eine Stelle in der Welt der Dinge gebundene oder das für mich an eine Stelle in der Welt der sinnlichen  Erscheinungen  gebundene Ich zum Gegenstand hat, scheint sie der Naturwissenschaft verwandt.

In Wahrheit ist ihre Aufgabe eine von der naturwissenschaftlichen vollkommen verschiedene. Nicht darum handelt es sich hier, physische Erscheinungen in ein gesetzmäßig geordnetes Ganzes zusammenzuschließen, sondern darum, ein Bewußtsein und Bewußtseinstatsachen, die nicht Erscheinungen sind, als eine gestzmäßig geordnete Einheit zu begreifen oder in eine solche geistig einzufügen.

Bei jenem Unterfangen der Naturwissenschaft ergibt sich die Notwendigkeit, die Lücken der Erscheinungen oder des sinnlich Wahrgenommenen durch allerlei nicht in der Wahrnehmung Gegebenes, sondern nur Postuliertes auszufüllen. Solche naturwissenschaftlichen Postulate sind etwa die Atome und ihre Bewegungen. Sie sind um des physisch Gegebenen willen, das heißt zum Zweck der Ausfüllung der Lücken in der gesetzmäßigen Einheit des physisch Gegebenen, gedacht und darum genau so gedacht, wie es die physischen Erscheinungen fordern. Und sie sind samt diesen Erscheinungen in die Sprache dieser Erscheinungen gefaßt, insbesondere also in ihre Raumsprache. Die naturwissenschaftliche Begriffssprache ist mit einem Wort notwendig der naturwissenschaftlichen Erfahrung entnommen und kann nur dieser Erfahrung entnommen sein. Sie ist, soweit sie naturwissenschaftliche Berechtigung haben soll, notwendig dieser Erfahrung, bzw. ihren Gegenständen, angepaßt, angemessen, auf den Leib geschnitten oder nach ihr zugeschnitten.

Und genau ebenso nun muß die Psychologie zur Ausfüllung der Lücken des gesetzmäßigen Zusammenhangs des Bewußtseinslebens, den sie herstellen soll, den Gegenständen ihrer Erfahrung, also den Bewußtseinstatsachen, dieses oder jenes hinzupostulieren, das im Bewußtseinsleben nicht angetroffen wird, muß also mit anderen Worten Unbewußtes statuieren. Dieses Unbewußte der Psychologie ist das direkte Gegenbild der unwahrgenommenen sinnlichen Erscheinungen oder der unwahrgenommenen Gegenstände der sinnlichen Wahrnehmung, kurz, jener naturwissenschaftlichen Postulate. Aber dieses Unbewußte ist um der psychischen Tatsachen willen gedacht, mit ihnen zusammengeordnet und in die gesetzmäßige Einheit des Bewußtseinslebens mit hineingeordnet. Darum muß es so gedacht werden, wie es zur Ausfüllung der Lücken im Zusammenhang des Bewußtseins erforderlich ist, also von diesem Bewußtseinsleben aus. Und es kann, soweit es überhaupt sprachlich gefaßt zu werden vermag, nur in die Sprache der Bewußtseinstatsachen gefaßt werden.

Mit anderen Worten: die Psychologie muß sich, weil sie nun einmal eigenen unmittelbar gegebenen  Tatsachen  besitzt und diese, die Bewußtseinstatsachen, mit physischen Erscheinungen unvergleichbar sind, in jeder Hinsicht ihre eigene  Begriffssprache  bilden. Es ist übel bestellt um eine Psychologie, die irgendwelche naturwissenschaftlichen, das heißt den naturwissenschaftlichen Tatsachen und Bedürfnissen entsprechende Begriffe verwendet, ich könnte sagen, die naturwissenschaftliche Begriffe stiehlt oder sich als Bettler oder Parasit an die Tische der Naturwissenschaft drängt; es sei denn, daß sie solche naturwissenschaftlichen Begriffe erst ihres naturwissenschaftlichen Inhaltes ganz und gar entledigt und ihnen statt dessen einen rein psychologischen Inhalt gegeben hat. Dann aber wird sie freilich gut tun, auch die äußere Schale der Begriffe, das heißt die naturwissenschaftlichen Namen, die der Sache leicht einen naturwissenschaftlichen Schein geben könnten, nach Möglichkeit zu vermeiden.

Speziell geredet: es gibt für den Psychologen kein "Gehirn", sondern nur eine  Seele,  so gewiß es für den Physiologen keine Seele gibt noch geben darf. Beide mögen im letzten Grund dasselbe Etwas sein. Aber dann hat doch dieses Etwas seine physikalische und seine psychologische Seite. Und, je nachdem es von der einen oder anderen Seite betrachtet wird, trägt es auch mit Fug und Recht den einen oder anderen Namen. Alle Gehirnkunde geht den Physiologen an und der Psychologe kann hier nur, was der Physiologe erarbeitet hat, von ihm sich sagen lassen. Und er wird es sich dann gewiß von ihm sagen lassen müssen, wenn es sich nicht mehr um Psychologie oder um den Zusammenhang des individuellen Ich in sich selbst, sondern um den Zusammenhang des individuellen Ich mit der übrigen Welt der Wirklichkeit, z. B. dem Gehirn, das nun einmal nur in physikalische Begriffe faßbar ist, handelt.

Dabei wird es bleiben müssen, sofern nicht etwa die Psychologie durch Personalunion - eine Realunion ist unmöglic - mit der Physiologie verbunden ist. Oder sofern es nicht den Psychologen gelüstet, gelegentlich auch einmal physiologisch zu - dilettieren oder zu kokettieren. Auch unter der Voraussetzung jener Personalunion aber sollte doch der Psychologe, der zugleich Physiologe ist, jederzeit wissen, wann er das eine und wann er das andere ist und nicht etwa das Gehirn denken lassen, so wenig es dem Physiologen in den Sinn kommen wird, von einem Tumor, einem Herd, von Windungen und Spalten in der Seele zu reden oder zu sagen, die Seele eines Menschen haben im Durchschnitt ein Gewicht von so und soviel Gramm.

Damit ist nicht verkannt, daß es auch eine gemeinsame wissenschaftliche Begriffssprache gibt. Das ist die Begriffssprache, die durch das allgemeine Wesen des erkennenden  Geistes  bestimmt ist. Aber ich rede hier von der spezifisch naturwissenschaftlichen und der spezifisch psychologischen Begriffssprache. Und mit Bezug hierauf müssen wir dabei bleiben: jede Wissenschaft nimmt ihre Begriffe aus den Tatsachen  ihrer  Erfahrung. Die Psychologie, die naturwissenschaftliche Begriffe übernähme, also solche Begriffe, die der naturwissenschaftlichen Erfahrung entnommen und nach dieser gebildet sind, wäre insofern nicht mehr Psychologie, sondern eine  Fälschung  derselben.

Und was hier von der psychologischen Begriffsbildung gesagt ist, gilt auch von jeder Art der psychologischen  Methode.  Es gibt gewiß eine allgemein wissenschaftliche Methode, die wiederum bedingt ist durch die Natur des denkenden Geistes und das gemeinsame Ziel aller Wissenschaften, die Wirklichkeit zu erkennen. Im übrigen aber bestimmt sich die Methode einer Wissenschaft nach ihrer besonderen Aufgabe und der Natur ihrer Gegenstände, die Richtung des Weges bestimmt sich nach dem Ausgangspunkt und dem Zielpunkt. Insofern ist die Rede von einer naturwissenschaftlichen Methode der Psychologie ein Widersinn. Es gibt nur eine Methode der Psychologie, nämlich die psychologische, welche die Psychologie sich selbst aus ihrem Ausgangs- und Zielpunkt geschaffen hat und die niemand ihr an ihrer Stelle schaffen kann.

Im vorstehenden war an die Psychologie in ihrem ganzen Umfang, also auch an die erklärende Psychologie gedacht. Aller "erklärenden", das heißt nichts anderes, als die gesetzmäßig geordnete Einheit des individuellen Bewußtseinslebens herstellenden Psychologie - eine Erklärung in einem anderen Sinne gibt es nicht, - geht aber die volle psychische Phänomenologie voran, das heißt, die Erkenntnis vom Wesen des Bewußtseins. Es wird Zeit sein, an die "Erklärung" des Bewußtseinslebens heranzutreten, in dem Maße, als man die ganze Fülle dessen, was das Wort Bewußtsein in sich schließt, sich zu Bewußtsein gebracht hat. Und für die Gegenwart tut uns zunächst noch eine solche Phänomenologie als Grundlage aller weiteren psychologischen Bemühungen  bitter not. 

Zu diesem phänomenologischen Unterbau der Psychologie gehört aber auch die Logik einschließlich der Ästhetik und Ethik. Sie gehört dazu, genau so gut, wie etwa die Lehre von den im individuellen Bewußtsein vorkommenden Empfindungen.

Und es gehört zur Phänomenologie der Erkenntnis aller jener Weisen der Gestaltung oder Formung der Dinge durch das Ich und die Scheidung der gestalteten Dingen von den Gestaltungen, die an ihnen das Ich vollbringt. Und es gehört dazu nicht nur das Gestalten der Dinge, sondern das Gestalten der Objekte überhaupt und das geistige Schaffen von Objekten und ihr Ordnen und die Herstellung eines gesetzmäßigen Zusammenhanges der Objekte auf jedem Gebiet, auf dem der Zahlen etwa ebensogut, wie auf dem der Dinge. Mit einem Wort, es gehört dazu die Erkenntnislehre.

Indem insbesondere von den  Dingen  die Weisen der Gestaltung durch das Ich geschieden werden, richtet sich der philosophische Blick, das heißt jener Blick des außerhalb des Schauspiels stehenden Auges endlich auf das Wirkliche oder die Welt der Dinge ansich. Die Naturwissenschaft nennt das Wirkliche, weil sie es in der Form der Räumlichkeit anschaut oder es in diese Sprache faßt, die Materie. Mit dem Wirklichen ansich dagegen hat die Naturwissenschaft nichts zu tun. Sie erkennt seine Gesetzmäßigkeit, doch ohne darüber, was das gesetzmäßig Geordnete ansich sei, etwas zu sagen. Dagegen hat es die Psychologie, wie schon gesagt, mit dem Wirklichen ansich zu tun, zunächst an einem Punkt, dem eigenen Ich und den nach Analogie des eigenen Ich gedachten Punkten, welche die fremden Iche heißen.

Im individuellen Ich aber findet die Philosophie zugleich jenes überindividuelle Ich oder die Vernunft. Damit hat sie das dem individuellen Bewußtsein transzendente Wirkliche, das Wirkliche ansich. Ich sage nicht in seiner Totalität, aber in der Weise, wie es sich uns offenbart und von uns unmittelbar erfaßt zu werden vermag. Zugleich ist das die einzige Weise, wie wir das "Ding ansich" unmittelbar zu erfassen vermögen.

In der Erkenntnis von der im individuellen Ich und nur hier unmittelbar erfaßbaren Wirklichkeit der Vernunft wird die Erkenntnislehre und durch sie die Philosophie zur  Metaphysik.  Zugleich ist hiermit die Metaphysik als Wissenschaft abgeschlossen. Doch müssen wir hier die "Vernunft" in ihrem vollen Umfang nehmen, nicht als die logische - im engeren Sinne - allein, sondern vor allem als den Gegenstand des sittlichen Bewußtseins.

Was ist danach die Philosophie? Ich antworte: sie ist Ich-Wissenschaft. Sie ist als solche Psychologie. Und sie ist damit zugleich Logik im weiteren Sinne oder ist die Vernunftwissenschaft. Und sie ist Erkenntnislehre. Sie ist Wissenschaft von der Wahrheit, den gültigen Werten und Zwecken, dem Schönen und Guten und sie ist Wissenschaft von der Wahrheitserkenntnis, den gültigen Werten und der gültigen Zwecksetzung, also dem sittlichen Wollen. Und sie ist endlich Metaphysik. Auch als Psychologie, Logik und Erkenntnislehre kann sie Metaphysik heißen, sofern sie auch darin über die Physik oder die Naturwissenschaft hinausgehende und ganz und gar jenseits ihrer liegenden Wissenschaft ist.

Naturwissenschaft und Philosophie zielen letzten Endes auf dasselbe. Auch die Naturwissenschaft  meint  das Wirkliche, wie es an sich ist. Die Philosophie aber meint es nicht bloß, sondern sie  erfaßt  es.

Zugleich ergänzen sich beide. Jene ist, wie schon gesagt, die Wissenschaft von Gesetzmäßigkeit des Wirklichen, aber in die Sprache der Räumlichkeit gefaßt. Darum kann sie letzten Endes nichts sein, als die Wissenschaft, welche das Wirkliche in  mechanische  Gesetze faßt. Dagegen hat es die Philosophie mit dem Quale des Wirklichen zu tun.
LITERATUR - Theodor Lipps, Philosophie und Wirklichkeit, Heidelberg 1908