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ALOIS RIEHL
Beiträge zur Logik
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    I. Begriffe und Definitionen
II. Begriffliche Sätze und Urteile
III. Formen der Aussage
IV. Die Arten der Schlußfolgerung

"Die gewöhnliche Vorstellung, eine Aussage bestehe in der Subsumption eines Subjektbegriffes unter einen gegebenen, ein für alle mal feststehenden Prädikatsbegriff, ist zu berichtigen. Durch Verknüpfung mit einer neuen Subjektsvorstellung erfährt jedesmal auch das Prädikat eine Veränderung seiner ursprünglichen Bedeutung."

"Es versteht sich eigentlich von selbst, daß wir immer nur unser Wissen von den Objekten, nicht die Objekte selbst definieren können."

I. Begriffe und Definitionen

1) Alle unsere Erkenntnisse, Erfahrungen wie gedankliche Überzeugungen werden sprachlich in der Form von Sätzen ausgedrückt. Auch wo wir uns, wie in der Analysis, eines künstlichen Zeichensystems bedienen oder durch graphische Darstellung den Zusammenhang von Tatsachen, die Abwandlung von Ereignissen versinnlichen, bedürfen wir immer zugleich sprachlicher Sätze, um die Bedeutung der Zeichen und Darstellungsmittel festzustellen und zu überliefern.

Wir bezeichnen dergleichen Sätze, um sie von Befehlen, Wünschen, Fragen usw. zu unterscheiden, als Aussagesätze oder kurz als Aussagen.

Grammatisch läßt sich eine Aussage in der Regel in drei Bestandteile, in Subjekt, Prädikat und Kopula, zerlegen. Doch kann auch der eine oder der andere dieser Bestandteile sprachlich unbezeichnet bleiben. In einem Satz wie: "viel Feind viel Ehr" fehlt das Zeichen für die Kopula, die Impersonalien, z. B.  es blitzt  lassen das Subjekt unbestimmt und unter Umständen ermangelt das Prädikat des Satzes eines sprachlichen Ausdruckes. Es wird dann durch ein den Sinnen gegenwärtiges Ereignis vertreten, auf welches das allein ausgesprochene Subjekt unmittelbar bezogen wird.

Schon hieraus also ergibt sich die Notwendigkeit, die logische Gliederung einer Aussage vom grammatischen Aufbau des Satzes zu unterscheiden. Die Kopula z. B. hat zunächst lediglich die sprachliche Funktion, der Aussage die Form eines Satzes zu geben und doch verbirgt sich zugleich hinter dem Wörtchen: "ist" eine tiefere, logische Bedeutung, die aber, wie es sich in der Folge zeigen wird, prädikativer Natur ist.

Die Bestandteile einer Aussage sind von dieser losgetrennt, also für sich genommen nichtaussagende Formen des Vorstellen. Wir bezeichnen diese Formen als Begriffe. Nun mag es richtig sein, daß Begriffe nicht unabhängig von der Aussage entstehen und es ist gewiß, daß die Sprache mit ihrer Unterscheidung von Substantiven, Verben und Adjektiven den Gebrauch der Begriffe auf die Aussage beschränkt. Dennoch lassen sich die Begriffe - eben mittels der Sprache - auch an sich selbst betrachten, ihr Inhalt und Umfang läßt sich mit Hilfe anderer Begriffe darstellen, ohne daß diese Darstellung, die ihre Definition heißt, schon den Wert einer Aussage besitzt.

Wir gehen hier auf die Frage nach dem Ursprung der Begriffe nicht näher ein; es genügt uns, die Begriffe nach ihren wesentlichen Eigenschaften zu kennzeichnen und ihre Bedeutung für die Erkenntnis im Allgemeinen darzulegen.

Im Gegensatz zu den anschaulichen, konkreten und darum individuellen Vorstellungen der Sinne und der Einbildungskraft sind die Begriffe gedankliche, abstrakte und daher allgemeine Vorstellungen, welche in unserem Bewußtsein die Stelle der anschaulichen vertreten. Diese Sonderung gedanklich Vorstellungen von den anschaulichen, den Wahrnehmungen und Erinnerungsbildern wird durch die Sprache ermöglicht. Ein Begriff ist die mit einem Zeichen, in der Regel einem Wort, verschmolzene Bedeutung: das, was wir innerlich vernehmen, wenn wir Worte einer uns bekannten Sprache hören, was wir mitteilen wollen, wenn wir solche Worte gebrauchen. Wort und Bedeutung sind dabei so untrennbar verbunden wie Organ und Funktion. Daher fassen wir nach SCHOPENHAUERs richtiger Bemerkung den Sinn einer Rede unmittelbar auf, ohne ihn erst in Bilder der Phantasie übersetzen zu müssen; und ebenso sind es Begriffe, nicht irgendwelche Anschauungsbilder, die wir anderen durch Rede oder Schrift mitteilen. Zwar klingen gleichsam die sinnlichen Vorstellungen, deren Stelle das bedeutsame Zeichen vertritt, in unserem Bewußtsein nach oder begleiten wie Schatten die Bewegung unseres Denkens. Man könnte das Zeichen als den Ausstrahlungsmittelpunkt für die anschaulichen Vorstellungen betrachten. Müßten aber diese letzteren jedesmal über die Schwelle des Bewußtseins gehoben werden, um das Verständnis der Zeichen zu vermitteln, so würden wir niemals zu jener abgekürzten, verdichteten und darin der Wahrnehmung und Phantasie so überlegenen Art des Vorstellens befähigt sein, die wir, im Unterschied vom Anschauen, Denken nennen. Während die anschaulichen Vorstellungen so verschieden sind, wie die Umstände ihrer Erwerbung, sind die begrifflichen, vorausgesetzt nur, daß sie hinlänglich definiert, d. i. durch andere, bekannte Begriffe erklärt werden, für jedermann dieselben. - Gewiß wird die Sprache überliefert, nicht angeboren. Das Kind muß die Bedeutung kennen lernen, die es mit einem bestimmten Wort zu verknüpfen hat; auch ist es nichts Ungewöhnliches, daß Worte gebraucht werden ohne Sinn oder Begriff. Bedeutung und Wort, Begriff und sprachliches Zeichen scheinen demnach auseinander zu fallen, das Wort scheint dem Begriff äußerlich, der Begriff vom Wort unabhängig zu sein. Wir müssen, um diesem Bedenken zu begegnen, die ursprüngliche Erwerbung einer Sprache, so wie wir uns unsere Muttersprache aneignen, von der Erlernung einer fremden unterscheiden. Durch jene gelangen wir erst in den Besitz von Begriffen, bei dieser übertragen wir nur die Bedeutung eines Wortes unserer eigenen Sprache auf ein entsprechendes Wort oder die entsprechenden Worte des fremden Idioms. Je tiefer wir aber in den Geist einer fremden Sprache einzudringen versuchen, umso mehr überzeugen wir uns auch, daß es für diese Übertragung Grenzen gibt, die zwar nach dem Grad der Verwandtschaft der Sprachen verschieden sind, aber nicht völlig aufgehoben werden können. Nicht bloß die Worte sind verschieden, auch die Begriffe decken sich nicht vollkommen. So genau hängen Begriff und Wort zusammen.

Ein Begriff ohne jedes sprachliche Zeichen könnte im Bewußtsein nicht festgehalten werden, er würde schon im Entstehen wieder verschwinden, nämlich von den anschaulichen Vorstellungen verdrängt werden. Erst der ausgesprochene Begriff ist der vollendete Begriff und die Namensgebung ganz eigentlich die Begriffsschöpfung. In den Anfängen der Sprachentwicklung gab es daher noch keine bedeutungslosen Namen, keine wahren Eigennamen. Unabhängigkeit des Denkens von der Sprache fordern heißt nur, die Vertauschung der ungenauen Sprache des gewöhnlichen Lebens mit der genauen der Wissenschaft fordern; die Sprache selbst bleibt dabei immer vorausgesetzt, wie denn auch ohne sie ein abstraktes Denken nicht möglich ist. Ein Denken im weiteren Sinne des Wortes liegt gewiß der sprachlichen Ausdrucksbewegung, soweit dieselbe der Bildung und Mitteilung der Vorstellungen dient, als innere Form oder treibende Kraft zugrunde, nur ist es noch kein begriffliches Denken. Dieses stellt sich vielmehr mit der Sprache zugleich ein, durch die es auch allein überliefert und weiter entwickelt wird. Verstehen wir also unter Vernunft die Fähigkeit des Menschen, in abstrakten Vorstellungen zu denken, so haben wir als Quelle und Träger dieser Fähigkeit die Sprache und nur die Sprache anzuerkennen. Sie erzeugt den Begriff. Außer den gedanklichen Vorstellungen, die an die Sprache gebunden sein müssen, um überhaupt bestehen zu können, finden wir in unserem Bewußtsein nur noch anschaulich der Sinne und der Einbildungskraft, nichts Drittes.

2) Begriffe sind als solche abstrakt, das ist ihr wesentlicher Charakter, von welchem ihre übrigen Eigenschaften, insbesondere ihre Allgemeinheit, abhängig sind. Nur der Gegenstand eines Begriffes, nicht der Begriff selbst, kann konkret sein und ist es auch in der Tat bei allen aus empirischer Anschauung geschöpften Begriffen. Die übliche Unterscheidung der Begriffe als konkrete und abstrakte ist falsch, wenn sie statt auf die Anwendung der Begriffe, auf diese selbst bezogen wird. Wohl aber gibt es Abstufungen in der Abstraktheit der Begriffe, je nachdem diese der Anschauung näher oder ferner stehen. Eine Gattung ist im höheren Grad abstrakt als die Art, eine Kollektivbegriff wie Nation, Menschheit und dgl. abstrakter, als ein Gattungsbegriff, z. B. Mensch, Grieche. Begriffe von Individuen, denen ein einziges wirkliches Objekt entspricht, sind im Allgemeinen weniger abstrakt als solche, die eine Mehrheit verschiedener Objekte unter sich begreifen. - Daß es von Individuen wirklich Begriffe gibt und nicht bloß Anschauungen steht außer Zweifel, obwohl es von KANT bestritten wird. Jede geschichtliche Persönlichkeit, jedes historische Ereignis als Gegenstand begrifflicher Erkenntnis liefert dafür den Beweis und obgleich des nur  einen  Raum gibt, unterscheiden wir doch ganz richtig zwischen Raumanschauung und Raumbegriff. - Solche Individualbegriffe sind abstrakt, möglicherweise wie eben das Beispiel des Raumbegriffes lehren kann, in höherem Grad abstrakt, als irgendwelche Klassenbegriffe - und weil abstrakt auch allgemein. Denn die Allgemeinheit eines Begriffes ist unabhängig von der Anzahl der Objekte, auf welche der Begriff Anwendung findet, sie ist ausschließlich die Folge seiner abstrakten Natur.

Konkret nennen wir das der Zeit nach oder zugleich dem Raum und der Zeit nach Bestimmte, das Wirkliche im Gegensatz zum bloß Vorgestellten - abstrakt das Vorgestellte im Gegensatz zum Wirklichen, auch zu seiner eigenen Wirklichkeit als Vorstellung. Nun denken wir in der Tat die Begriffe nicht allein unabhängig von der Existenz ihrer Objekte, sondern sogar von ihrer eigenen Existenz als psychologischer Ereignisse in unserem Bewußtsein. Der Begriff einer natur-historischen Art bleibt bestehen, mag auch die betreffende Art längst vom Erdboden verschwunden sein. Auch ist es für den Begriff als solchen ohne jegliche Bedeutung, wann, von wem oder von wie vielen er tatsächlich gedacht wird. Ich erinnere an das Wort SCHOPENHAUERs: frei von der Gewalt der Zeit ist nur eines: der Begriff.

Es wurde schon angedeutet, daß auch das Einzelne Gegenstand einer begrifflichen Erkenntnis sein kann. So vermögen wir uns von der augenblicklichen Lage des Mittelpunktes der Erde einen Begriff zu bilden. Die Vorstellungen aber, durch deren Verknüpfung wir ein solches Einzelnes begrifflich bestimmen, sind selbst abstrakter Natur, daher ebensogut in jedem beliebigen anderen Zusammenhang zu verwenden. Die Begriffe bleiben somit abstrakt und allgemein, mag auch ihr Gegenstand individuell, ja einzig sein in seiner Art.

Man darf die einem Begriff als solchem wesentliche Allgemeinheit nicht mit Unbestimmtheit verwechseln. Begriffe sind klare, scharf bestimmte Vorstellungen gleich den anschaulichen selbst, ihre Klarheit und Deutlichkeit ist nur von anderer Art als jene der Anschauungen. Die Allgemeinheit gehört zur Form des Begriffs, nicht zu seinem Inhalt. Inhalt eines Begriffes ist daher niemals das allgemeine oder richtiger das unbestimmte Bild, das nach der Meinung vieler Psychologen als Niederschlag zahlreicher Wahrnehmungen ähnlicher Objekt im Bewußtsein nachbleiben soll. Diese schematische Vorstellung, die man als Gemeinbild bezeichnet, steht überhaupt mit der Begriffsbildung in keinem Zusammenhang. Sie geht aus dem Unvermögen der Einbildungskraft hervor, die Unterschiede in den Wahrnehmungen genau und in allen Einzelheiten zu wiederholen. Die Begriffsbildung dagegen beruth auf Unterscheidungsfähigkeit. Denken ist etwas wesentlich anderes, als sich unvollständig zu erinnern. Nicht durch Übersehen der Unterschiede, durch Absehen von den Unterschieden wird das begrifflich Allgemeine gewonnen und dazu bedarf es einer zerlegenden und sichtenden Tätigkeit des Geistes. In vielen, vielleicht den meisten Fällen sind es übrigens nicht einmal Bestandteile der anschaulichen Gesamtvorstellung selbst, sondern Wirkungen oder Folgen der Objekte, woran die Begriffsbildung ursprünglich anknüpft - ein Beweis, wie durchaus verschieden Begriff und Gemeinbild sind. So dient im Wort  equus  die Schnelligkeit zum begrifflichen Merkmal des Pferdes, der  Mond  wird von der Zeitmessung benannt,  Farbe  ist das die Oberfläche der Körper Bedeckende und  Mensch  bedeutet bald den Denkenden, bald den Sterblichen. Aber auch, wenn in anderen Fällen wirklich ein Bestandteil der sinnlichen Vorstellung in den Inhalt der begrifflichen übergeht, muß dieser zuvor aus seinem Zusammenhang herausgehoben, also für sich genommen werden und hört eben damit auf, anschaulich zu sein. Die drei Ecken oder Winkel des Dreiecks lassen sich ohne die Seiten nicht anschaulich vorstellen, in dieser Abstraktion werden sie nur gedacht, d. i. als die Bedeutung des Wortes Dreieck erfaßt.

Der Anschauung als der unmittelbaren Vorstellung eines Gegenstandes steht der Begriff als dessen mittelbare gegenüber, als Vorstellung desselben durch andere Vorstellungen oder einen Teil der anschaulichen Gesamtvorstellung. Eine Farbe anschaulich vorstellen, heißt, sich ihren Eindruck in die Erinnerung rufen, sie denken bedeutet, sie durch Wellenlänge und Schwingungszahl definieren, also mittelbar vorstellen. Darin eben besteht das Wesentliche der Begriffsbildung, daß Vorstellungen aus einem Anschauungsgebiet auf Objekte eines anderen übertragen werden, bei welcher Übertragung sie ihre eigene anschaulich Bedeutung notwendig einbüßen und zu gedanklichen Symbolen der durch sie bezeichneten Dinge werden. Je mehr dieser Prozeß fortschreitet, um so weiter treten Begriff und Anschauung auseinander. Der Begriff gewinnt ein von der Anschauung unabhängige, obschon nicht ohne Verbindung mit ihr verbleibende Bedeutung.

Außer dem Universum seiner Wahrnehmungen und anschaulichen Vorstellungen gibt es für den Menschen ein Universum von Bedeutungen, das er sich selbst geschaffen hat. Das Mittel dazu war ihm die Sprache. Die Beziehung der Welt der Bedeutungen auf die Welt der Anschauungen bildet sein Erkennen.

3) Begriffe stehen auf mannigfache Weise in Beziehungen zueinander oder sie werden durch ihre Objekte in solche Beziehungen gebracht. Die Bedeutung des einen Begriffes kann die des anderen einschließen, wie das von einem Artbegriff in seinem Verhältnis zur zugehörigen Gattung der Fall list. Oder die Bedeutungen der Begriffe stehen zueinander im Gegensatz oder endlich, um andere mögliche Verhältnisse zu übergehen, sie modifizieren sich wechselseitig in der Aussage. - Die gewöhnliche Vorstellung, eine Aussage bestehe in der Subsumption eines Subjektbegriffes unter einen gegebenen, ein für alle mal feststehenden Prädikatsbegriff, ist zu berichtigen. Durch Verknüpfung mit einer neuen Subjektsvorstellung erfährt jedesmal auch das Prädikat eine Veränderung seiner ursprünglichen Bedeutung. Als FRANKLIN den Blitz als elektrischen Funken erkannte, erweiterte er damit zugleich den Begriff: elektrisch, der ursprünglich nur die Eigenschaft des Elektron, leichte Körper anzuziehen, bezeichnete. Und einen noch tiefer gehenden Bedeutungswandel erfuhr der Begriff, seit HERTZ durch seine Versuche die Annahme bestätigt fand, daß die Induktionswirkungen durch Schwinungen erzeugt werden , die sich in Übereinstimmung mit den Gesetzen der Lichtbewegung im Raum ausbreiten. Daß Begriffe in der Aussage ihre Bedeutung ändern, steht keineswegs im Widerspruch mit dem Identitätsprinzip. Denn dieses Prinzip fordert Eindeutigkeit und Beständigkeit der Begriffe nur innerhalb eines und desselben Denkzusammenhanges, eines und desselben "universe of discourse", um einen Ausdruck der englischen Logik zu gebrauchen. Daß ein Begriff in verschiedenen Zusammenhängen auch eine verschiedene Bedeutung annehmen muß, ist selbst eine Konsequenz des Identitätsprinzipes.

Zu den Verhältnissen, die zwischen Begriffen mittels ihrer Objekte entstehen, zählen wir außer der Kreuzung auch die Identität.

Begriffe, die nach dem, was sie für sich genommen bedeuten, verschieden sind, kreuzen sich, wenn sie einen Teil ihrer Objekte gemein haben. So können sich für bestimmte Fälle die Begriffe Irrtum und Schuld kreuzen, die für sich betrachtet eher einen Gegensatz bilden. Eigentlich also kreuzen sich nicht die Begriffe selbst, sondern die Anwendungsgebiete zweier oder mehrerer verschiedener Begriffe.

Und wie die teilweise ist auch die vollständige Identität ein Verhältnis nicht unmittelbar zwischen Begriffen selbst, sondern von Begriffen zu einem und demselben Objekt. Es wäre vielleicht vorzuziehen, statt von Identität von Kongruenz [Deckungsgleichheit - wp] der Begriffe zu reden. In einem anderen, als dem eben angegebenen Sinne eine Identität von Begriffen annehmen, hieße wirklich gegen das Identitätsprinzip verstoßen. Ein jeder Begriff ist für das Denken nur einmal da. Es kann nicht zwei vollkommen übereinstimmende Begriffe geben, solche würden sich nämlich in Nichts unterscheiden, sie wären also nicht zwei Begriffe, sondern nur die wiederholte Setzung eines einzigen. Die Wiederholung eines und desselben Begriffes nennen wir aber nicht Identität, sondern Tautologie. Niemals also sind Begriffe als solche identisch. Wohl aber lassen sich Begriffe, welche ein einziges, folglich identisches Objekt haben, auch als unter sich identisch gebrauchen, der eine kann an die Stelle des anderen gesetzt werden. Alle Beispiele, die man zum Beweis für identische Begriffe anführt, sind nur Beispiele einer derartigen mittelbaren Identität der Begriffe aufgrund der Identität ihres Objektes.

4) Weil demnach die Begriffe entweder unter sich oder mittels der Objekte in den mannigfachsten Beziehungen stehen, ist es möglich, einen Begriff mit Hilfe anderer Begriffe darzustellen. Man bezeichnet diese Darstellung als die Definition des Begriffes.

Da ich hier keine Abhandlung der Logik schreibe, sondern nur einige mit der Theorie der Schlußfolgerungen zusammenhängende Fragen erörtere, darf ich die Methoden des Definierens als bekannt voraussetzen. - Die Logik des Altertums kannte nur  eine  Methode des Definierens: die klassifizierende, durch Angabe des genus und der spezifischen Differenz. Man kann diese Definitionsweise auch die topische nennen, sofern sie den Ort bestimmt, den der zu erklärende Begriff innerhalb des Systems der Begriffe, zu dem er gehört, einnimmt. Sie setzt voraus, daß wir uns im Besitz eines vollständigen und überdies wohlgeordneten Systems von Begriffen befinden, eine Annahme, die nur dort zutrifft, wo wir, wie in der Geometrie, die Gattungen der Objekte selbst erzeugen. Die neuere Logik dagegen kennt und bevorzugt die genetische, den Begriff aus seinen Elementen entwickelnde Definition. Eine besonders instruktive Art des genetischen Definierens wollen wir als die historische Definition bezeichnen. Sie geht von der Geschichte des Begriffes aus, indem sie zu den Aufgaben und Erkenntnis-Bedürfnissen zurückgreift, die zur Aussonderung des fraglichen Begriffes führten. Auf solche Weise wird z. B. der Begriff des Differentialquotienten am zweckmäßigsten erklärt.

Man muß die Begriffsbenennung von der Begriffserklärung oder der eigentlichen Definition unterscheiden. Diese Unterscheidung hat an die Stelle der für die heutige Wissenschaft bedeutungslosen, zwischen Nominal- und Realdefinition zu treten. Was wir definieren, ist niemals bloß der Name - es sei denn, wir suchen statt der Definition die Etymologie des Wortes; es ist auch nicht die Sache selbst, sondern der Begriff, die gedankliche Bedeutung also, die im Zusammenhang und nach den Zwecken unseres Erkennens mit einem bestimmten Wort verbunden ist oder verbunden werden soll. Diese Bedeutung stellen wir mit Hilfe anderer Worte dar, deren Bedeutungen dabei als bekannt und definiert vorausgesetzt werden. Es versteht sich eigentlich von selbst, daß wir immer nur unser Wissen von den Objekten, nicht die Objekte selbst definieren können. Das gilt sogar in dem Fall, wo wir die Objekte unseren Begriffen gemäß schaffen. Auch in der Geometrie werden nicht die räumlichen Gebilde definiert, sondern die aus der Natur des Raumes fließenden Regeln, diese Gebilde zu erzeugen. Das Objekt der Geometrie ist Gegenstand der Anschauung, die wir uns selber geben, im Unterschied von der empirischen, die uns gegeben wird. Zur Bestimmung der Objekte dienen uns andere als logische Methoden, nämlich der praktische Verkehr mit den Dingen und in der Wissenschaft das experimentelle Verfahren.

Da die Begriffe sich notwendig aufeinander beziehen und dadurch bestimmen, ein jeder Begriff also als Mittelpunkt von Beziehungen anzusehen ist, die sowohl ihn selbst verdeutlichen, als auch umgekehrt durch ihn verdeutlicht werden; so gibt es, wie schon SCHOPENHAUER richtig erkannt hat, keine schlechthin einfachen oder undefinierbaren Begriffe. Wer etwas denkt, muß auch angeben können, was er denkt. Sogar bloße Empfindungen, die man am ehesten als Beispiele einfacher Begriffe anführen könnte, weil sie einfache Vorstellungen sind, lassen sich definieren, nämlich durch Vorstellungen ausdrücken, die aus einem anderen Sinnesgebiet stammen, aber mit jenen Empfindungen in gesetzlichem Zusammenhang stehen. Solche Definitionien beschreiben zwar nicht die Empfindungen nach ihrem qualitativen Eindruck, dieser wird erfahren, nicht gedacht, ist also kein Begriff, wohl aber vertreten sie ihre Stelle im Universum der Bedeutungen. Dem Blinden fehlt eigentlich nicht der Begriff der Farbe - er kann sich genaue Vorstellungen von Schwingungszahlen und Wellenlängen bilden - sondern der Gegenstand des Begriffs, er kann seinen Begriff nicht gebrauchen. Bestreiten, daß es von Empfindungen Begriffe und folglich Definitionen gebe, wäre so viel, wie behaupten, die Lektüre eines Werkes über Tonempfindungen müsse notwendig akustische Eindrücke oder wenigstens Erinnerungsbilder dieser Art hervorrufen, gleichwenn es ein Werk in Tönen wäre, nicht ein solches über Töne.

5) Ein Begriff ist gleich seiner Definition oder im Falle, daß es von ihm mehrere Definitionen gibt, gleich der Gesamtheit seiner Definitionen. Begriff und Definition unterscheiden sich überhaupt nur wie Potentielles vom Aktuellen sich unterscheidet. Der Begriff enthält in implizierter oder unzerlegter Form, was in der Definition entwickelt und ausgelegt erscheint. Handelt es sich um überlieferte Begriffe, um solche Bedeutungsvorstellungen also, deren Verständnis wir zugleich mit dem Verständnis der Sprache gewinnen, so hat die Definition die Aufgabe der Begriffsklärung. Sie setzt an die Stelle der mehr oder minder unentwickelten Bedeutung die vollständig entwickelte und ausgesprochene, an die Stelle der mehr oder minder schwankende, die für einen bestimmten Denkzusammenhang fixierte Bedeutung. Sie schreibt vor, was für eine Bedeutung wir mit einem gewissen Wort verbinden und mit demselben verbunden festhalten sollen. Wo es sich aber um neue Begriffe handelt, da schafft erst die Definition den Begriff. Sie gibt uns die Regel an die Hand, welcher gemäß wir einen bestimmten und  Alle  den nämlichen Begriff zu erzeugenn haben. Nur um diese Regel nicht immer von Neuen wiederholen zu müssen, wird der Begriff benannt, womit er für seinen weiteren Gebrauch im Denken die Form eines überlieferten Begriffes annimmt. So verfahren die mathematischen Wissenschaften, deren Begriffe aus der gesetzlichen Form des Denkens und Anschauens hervorgehen; sie stellen die Definitionen an die Spitze ihrer Untersuchungen. - Mußte aber nicht wenigstens der Urheber eines neuen Begriffes schon im Besitz desselben gewesen sein, um ihn definieren zu können? Ich antworte, er sucht den Begriff, weil er in den bisherigen gedanklichen Vorstellungen eine Lücke bemerkt und er nähert sich ihm durch den Versuch, bekannte Begriffe in neue Kombinationen zu versetzen, bis er zugleich mit der vollendeten Definition in den Besitz des vollendeten Begriffes gelangt.

Begriffe sind demnach als Ergebnisse von Definitioinen aufzufassen. Denn entweder werden sie durch die Definition überhaupt erst gegeben oder mittels derselben dargestelt und durch sie entwickelt. Man kann dementsprechend Begriffe als abgekürzte Definitionen betrachten, Definitionien als ausführliche Begriffe; dem Wesen nach besteht kein Unterschied zwischen Begriff und Definition.

Wir folgern daraus, daß Definitionen keine Aussagen sind, obschon sie die Form von Aussagen besitzen. Ihre sprachliche Einkleidung darf uns nicht über ihren eigentlichen Charakter täuschen. Es hat keinen verständlichen Sinn, einen Begriff von sich selbst auszusagen; in der Definition aber, sie mag so zusammengesetzt sein, wie man will, wird nie mehr als jedesmal  ein  Begriff gegeben oder erklärt.

Es ist keine Aussage, wenn wir erklären: der Raum sei eine Mannigfaltigkeit von drei Dimensionen, welche wahre Unendlichkeit und nicht bloße Unbegrenztheit besitzt; wir geben damit nur an, was unter dem Begriff des Raumes zu verstehen sei. Eine Aussage ist es dagegen, wenn wir etwa behaupten: der Raum sei lediglich Form unseres Anschauens oder im Gegenteil sagen: er sei zugleich in Verhältnissen der angeschauten Dinge begründet. Denn damit urteilen wir über die Art der Wirklichkeit des Raumes, dessen Begriff wir vorhin definierten.

Daß sich mit Definitionen ohne weiteres Urteile verbinden können, welche die Realität der betreffenden Begriffe behaupten, soll so wenig in Abrede gestellt werden, wie die Tatsache, daß bei der ursprünglichen Erwerbung der Begriffe in vielen Fällen gewisse einfache oder unreflektierte Urteilsakte mitgewirkt haben. So oft wir aus der Wahrnehmungswelt bestimmte Bestandteile für sich hervorheben, um sie zu begrifflichen Merkmalen zu machen, sind wir uns ohne Zweifel zugleich der Wirklichkeit jener Bestandteile bewußt. Allein nicht an diese Wirklichkeit denken wir dabei, sondern ausschließlich an den Inhalt der Bestandteile und nur dadurch erheben wir sie auch zu Begriffen für jede weitere, durch sie gekennzeichnete Wirklichkeit. Mit der Trennung des Inhaltes einer Vorstellung von der Behauptung der Existenz des Inhaltes beginnt die Abstraktion oder die Bildung von Begriffen.

LITERATUR - Alois Riehl, Beiträge zur Logik, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. XVI, Leipzig 1892