ra-2Felix DahnEmil LaskJulius von KirchmannGustav von RümelinOtto Gierke  
 
RUDOLF von JHERING
Der Zweck im Recht

VII. Der Lohn
(2/7)

    I. Das Zweckgesetz
II. Der Zweckbegriff beim Tier
VII. Der Lohn
VIIIa. Der Zwang 1 - Das Tier / Der Mensch
VIIIb. Der Zwang 2 - Das Recht
VIIIc. Der Zwang 3 - Unterordnung der Staatsgewalt
VIIId. Der Zwang 4 - Der Zweck des Rechts

"Daß die Wölfe nach Freiheit schreien, ist begreiflich; wenn aber die Schafe, wie es bei jener Frage so oft der Fall gewesen ist, in ihr Geschrei einstimmen, so beweisen sie damit nur, daß sie Schafe sind."

"Eine Gegenleistung, die für die Partei nichts weiter ist, als ein  Äquivalent,  d. i. der Leistung  gleichwertig, hat psychologisch nicht die Kraft, eine Änderung des bestehenden Zustandes zu bewirken, dazu bedarf es vielmehr eines Übergewichts, eines Plusvalents, selbstverständlich nicht im objektiven, sondern im subjektiven Sinn, beide Teile müssen überzeugt sein, daß sie beim Tausch gewinnen."

"Unter Äquivalent verstehen wir das Gleichmaß zwischen Leistung und Gegenleistung, bemessen nach dem durch den Verkehr auf dem Wege der Erfahrung ermittelten Wert der Güter und Leistungen."


2. Der Grundsatz der Entgeltlichkeit


Die Entgeltlichkeit im Verkehrsleben enthält nur einen einzelnen Anwendungsfall eines allgemeinen Gedankens, welcher die ganze Menschheit durchdringt, des Gedankens der  Vergeltung.  Ansetzend mit der  Rache,  der Vergeltung des Üblen mit Üblem, treibt der Gedanke der Vergeltung in seiner Auswirkung immer höhere Triebe, bis er endlich, hinausgewachsen über die Region des menschlichen Daseins, in der Idee einer göttlichen Vergeltung und Gerechtigkeit seinen höchsten Abschluß findet. Versuchen wir an der Hand der Sprache, uns des Inhalts, den er in sich schließt, zu bemächtigen.

 "Gelten"  drückt Wertgleichheit aus und zwar in der ursprünglichen, heutzutage nur in den Compositis  "Engelten" "Vergelten"  erhaltenen transitiven Bedeutung das Gewähren, in der intransitiven das Dasein derselben, daher "Geld" (früher  Gelt) das wertgleiche (intransitiv)  und das den Wert ausgleichende (transitiv) Ding. Die älteste historisch verfolgbare sprachliche Anwendung des Ausdrucks ( geltan, keltan, gildan ) geht auf den heidnischen Gottesdienst zurück, mit dem Dankopfer  "galt"  der Mann dem Gotte das ihm widerfahrene Gute, mit dem Sühnopfer das von ihm begangene Böse. Unser heutiger Sprachgebrauch hat dafür "Vergelten" gesetzt, das er von "Entgelten" unterscheidet. Den letzteren Ausdruck hat das Recht in Besitz genommen für die sei es im voraus versprochene, sei es den Umständen nach zu erwartende Ausgleichung einer Leistung (entgeltliche Verträge), des ersteren Ausdrucks bedient sich die Sprache für die im voraus nicht in Aussicht genommene Erwiderung des Bösen mit Bösem, des Guten mit Gutem.

Die Organisation des  Entgeltens  im gesellschaftlichen Leben ist der  Verkehr,  die des  Vergeltens  des sozial  Bösen  die  Strafrechtspflege.  In die Vergeltung des sozial  Guten  teilen sich der  Staat,  die  öffentliche Meinung  und die  Geschichte,  seinen idealen Höhepunkt erreicht der Gedanke der Vergeltung nach  beiden  Richtungen hin in der Idee der  göttlichen Gerechtigkeit . Es gibt keine Idee, die für den Menschen etwas so Zwingendes hätte, wie die der Ausgleichung. Worauf dies beruht, ob dieselbe dem Menschen abgeboren oder wie so manche Ideen, die wir für angeborene halten, nur der Niederschlag eines geschichtlichen Prozesses ist, soll uns hier nicht kümmern, wir werden die Frage an geeigneter Stelle aufnehmen.

Auf welche letzte Quelle aber immerhin auch der Gedanke der Ausgleichung zurückgeführt werden müsse, darüber kann kein Zweifel bestehen, daß die Verwirklichung desselben im Verkehr lediglich den Egoismus zum treibenden Motiv hat. Der Verkehr ist das vollendete System des Egoismus, weiter nichts. Damit konstatiere ich nicht einen Mangel, ein Gebrechen des Verkehrs, sondern einen Vorzug desselben, das Moment, worauf seine Größe und Stärke beruht, und nach dessen Durchbildung sich der Höhegrad seiner Entwicklung bestimmt. Je mehr es ihm gelingt, in allen Lebensverhältnissen die Garantie der Befriedigung des menschlichen Bedürfnisses ausschließlich auf den Egoismus zu gründen, das Wohlwollen und die Uneigennützigkeit durch den Eigennutz und den Erwerbstrieb zu ersetzen, um so vollkommener erfüllt er seine Aufgabe.

Ich bin mir bewußt, mit diesem Loblied auf den Egoismus bei jedem meiner Leser, der über die Sache nicht weiter nachgedacht hat, Anstoß zu erregen. Der Egoismus im Verkehr, wird er mir einwenden, ist ein notwendiges Übel, aber wo er sich noch nicht eingestellt hat, soll man ihn nicht herbeirufen, sondern sich freuen, daß man ohne ihn auskommen kann. Der Leser soll an einem speziellen Verhältnis selber die Proble machen.

Er denke sich, daß er die Wahl habe zwischen einer Reise in ein Land, in dem er überall Gasthöfe vorfindet, oder in ein solches, wo es an denselben völlig fehlt, dieser Mangel aber durch eine allgemein übliche Gastfreundschaft ersetzt wird. Wohin wird er lieber seine Schritte lenken, vorausgesetzt, daß im übrigen kein sonstiger Umstand seine Wahl beeinflußt? Ich zweifle nicht, daß er sich für das erstere Land entscheiden wird.

Es ist zwar ein schönes Ding um die Gastfreundschaft, die dem müden Wanderer das Tor öffnet, und der poetische Reiz der Sache soll keineswegs bestritten werden, so wenig, wie der der Raubritter, Räuber, Löwen, allein für das praktische Leben sind sichere Straßen besser, als unsichere, Ochsen und Polizeidiener, die einem begegnen, besser als Löwen und Raubritter, eine Gast-Wirtschaft besser als eine Gast-Freundschaft. Denn die Gastwirtschaft gewährt mir die Sicherheit der Aufnahme, die ich bei der Gastfreundschaft nicht habe, und mein Geld erspart mir das Demütigende der Bitte, der empfangenen Wohltat, des Dankes - in meinem Geldbeutel steckt meine Freiheit und Unabhängigkeit auf der Reise. Darum enthält es einen Fortschritt von nicht hoch genug anzuschlagendem Wert, wenn in einer menschenleeren Gegend, in der bisher der Fremde darauf angewiesen war, sein Unterkommen zu erbetteln, sich Gastwirtschaften etablieren; erst damit ist ein solches Land dem reisenden Publikum wahrhaft erschlossen - für das Reise hat der Gastwirt keine geringere Bedeutung, als für den Tauschverkehr der Kaufmann, beide garantieren die mühelose, gesicherte Befriedigung einer gewissen Art des menschlichen Bedürfnisses, sie schließen die  verkehrsmäßige,  d. h. auf den Grundsatz der Entgeltlichkeit gebaute Organisatio0n dieser Befriedigung in sich.

Der an diesem Beispiel veranschaulichte Übergang von der Unentgeltlichkeit zur Entgeltlichkeit oder vom Gefälligkeitsfuß zum Verkehrsfuß hat sich noch an manchen andern Verhältnissen vollzogen und wiederholt sich unter unsern Augen. Jeder, der dazu mitwirkt, erwirbt sich ein Verdienst um die Gesellschaft, obschon er bei der großen Masse dafür eher Tadel als Anerkennung erntet. Die meisten Leute halten sich nur an die ihnen unbequeme Seite der Neuerung, daß sie fortan etwas bezahlen müssen, was sie bisher umsonst hatten, ohne zu bemerken, wie reichlich dieser Nachteil durch die Vorteile derselben aufgewogen wird. Ich kann mich der Aufgabe nicht entziehen, diese Vorteile in ihr volles Licht zu setzen.

Also der Vorzug des Geldes vor der Unentgeltlichkeit! Nur das Geld ist im Stande, die Aufgabe des Verkehrs wirklich zu lösen, d. h. das reale System der gesicherten Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse in vollendeter Weise herzustellen. Das "Vollendete" des Systems liegt teils in der extensiven Erstreckung desselben - das Geld befriedigt alle Bedürfnisse, die edelsten wie die niedersten, und in jedem beliebigen Maße, im größten wie im kleinsten - teils darin, daß die Voraussetzungen zur Befriedigung aller gedenkbaren Bedürfnisse auf eine einzige, unendlich einfache, ewig gleiche und berechenbare reduziert werden: das Geld. Es gibt Bemerkungen, die so platt scheinen, daß man sich fast scheut, sie zu machen, und deren man sich doch, wenn man eine Sache in ihr volles Licht rücken will, nicht überheben darf. Dazu gehört die von der  absoluten Voraussetzungslosigkeit des Geldes . Die Gefälligkeit hat viele Voraussetzungen, das Geld keine andere als sich selbst. Die Gefälligkeit will mit Schonung und Geschick angesprochen sein, sie hat ihre Stimmungen, ihre Launen und Antipathien, sie kehrt sich vielleicht gerade von demjenigen ab, der ihrer am meisten bedarf, oder zu der Zeit, in der Lage, wo sie ihm am nötigsten ist, und selbst wenn sie immer willig wäre, so hat sie doch ihre eng bemessenen Grenzen. Von alle dem weiß das Geld nichts. Das Geld kennt kein Ansehen der Person, es leidet nicht an Launen, es hat keine Zeiten, wo es minder zugänglich wäre, und es kennt schließlich keine Grenze, bei der seine Bereitwilligkeit sich erschöpfte. Der Egoismus hat das lebhafteste Interesse daran -  Jedem - zu jeder Zeit - in jeder Ausdehnung -  zu Diensten zu stehen; je mehr man ihm zumutet, desto mehr leistet er, je mehr man von ihm begehrt, desto williger wird er. Es gäbe keinen unerträglicheren Zustand, als wenn wir alles, was wir nötig haben, von der Gefälligkeit erwarten müßten, es wäre das Los des Bettlers! Unsere persönliche Freiheit und Unabhängigkeit beruht nicht bloß darauf, daß wir zahlen  können,  sondern zugleich darauf, daß wir zahlen  müssen  - im Geld steckt wie unsere  ökonomische,  so auch unsere  moralische  Unabhängigkeit.

Der Gegensatz der Entgeltlichkeit zur Unentgeltlichkeit wird durch das Geld nicht erschöpft, die Gegenleistung, kann statt in Geld auch in andern Dingen: Sachen oder Dienstleistungen bestehen. Alle solche entgeltlichen Verträge heißen in der Terminologie des Juristen  onerose  oder  zweiseitige  Verträge, die unentgeltlichen  liberale, lukrative  oder  einseitige.  Die psychologisch unabweisbare Bedingung des Vorganges bei den ersteren ist die Überzeugung beider Teile, daß dasjenige, was jeder erhält, ihm wertvoller ist, als das, was er gibt, jeder sucht nicht bloß zu gewinnen, sondern ist überzeugt, daß er gewinne - ohne diese Voraussetzung, mag sie auch objektiv nicht zutreffen, kann kein Austausch zu Stande kommen. Die objektive Bezeichnung der Gegenleistung als  Äquivalent,  so richtig sie ist, wie sich später zeigen wird, vom Standpunkt des Verkehrslebens aus ist, enthält daher subjektiv von dem der Parteien aus eine entschiedene Unrichtigkeit. Eine Gegenleistung, die für die Partei nichts weiter ist, als ein  Äquivalent,  d. i. der Leistung  gleichwertig, hat psychologisch nicht die Kraft, eine Änderung des bestehenden Zustandes zu bewirken, dazu bedarf es vielmehr eines Übergewichts, eines Plusvalents, selbstverständlich nicht im objektiven, sondern im subjektiven Sinn, beide Teile müssen überzeugt sein, daß sie beim Tausch gewinnen.

Möglich ist es, daß dies für beide wirklich zutrifft. Wer seine Sache, für die er absolut keine Verwendung hat, für einen mäßigen Preis verkauft, verbessert seine ökonomische Lage, denn er bekommt an Stelle von etwas Unbrauchbarem etwas Brauchbares, und ebenso gewinnt der Käufer, der die Sache billig gekauft hat. Diese Möglichkeit des beiderseitigen Gewinnes beim Geschäft beruht auf der Verschiedenheit des beiderseitigen Bedürfnisses, jeder von beiden Teilen hat für die beiden Sachen oder Leistungen, welche den Gegenstand des Austausches bilden, in seinem eigenartigen Bedürfnis einen von dem des andern abweichenden individuellen Wertmaßstab, und so kommt es, daß jeder gewinnt, ohne daß der andere verliert.

Das also ist die Logik des zweiseitigen Vertrages: Jeder sucht seinen Vorteil und weiß, daß der Andere es tut, und das Recht erkennt ihnen diese Befugnis zu, es verstattet dem Egoismus völlig freies Spiel, sofern er sich zur Verfolgung seines Zweckes nur nicht unerlaubter Mittel bedient.


3. Der Lohn (das Geld)

Das einfachste Schema des zweiseitigen Vertrages ist die unmittelbare Befriedigung des beiderseitigen Bedürfnisses; jeder von beiden Teilen erhält diejenige Sache oder Leistung, die er nötig hat, der Vertrag übt also für beide ganz dieselbe Funktion aus, und darnach werde ich diese Gestaltung des Tauschvertrages mit dem Namen der  Funktionsgleichheit  bezeichnen.

Diese einfachste Gestalt des Vertrages ist aber auch zugleich die unvollkommenste, denn sie setzt voraus, daß jeder Teil gerade das besitzt und feil hat, was der andere sucht; eine Voraussetzung, die nur selten zutrifft, und die den Verkehrt, wenn er sich nicht von ihr losreißen könnte, ganz außerordentlich schwerfällig und unbeholfen machen würde. Das Mittel, wodurch er sich von ihr befreit hat, enthält einen der genialsten praktischen Gedanken des Menschen - es ist das  Geld.  Der Dienst, den dasselbe dem Verkehr leistet, liegt so klar und offen vor, daß ich darüber kein Wort verliere, ich beschränke mich auf eine einzige Bemerkung.

Ich habe den Verkehr definiert als das System der Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse; trifft die Definition auch für das Geld zu, befriedigt das Geld das Bedürfnis dessen, der dafür etwas leistet? Nicht aktuell, aber potentiell. In dem Gelde, das der Käufer ihm für die Sache zahlt, erhält der Verkäufer das Mittel zur Befriedigung seines Bedürfnisses, er hat nur die richtige Person, die dazu im Stande ist, zu suchen, es verleiht ihm in Bezug auf alle Formen und Modalitäten der Bedürfnisbefriedigung (Zeit - Ort - Personen - Umfang) die unbegrenzteste Wahlfreiheit. Das Geld befriedigt also nicht das Bedürfnis unmittelbar, aber es gewährt eine absolut sichere, weil von jedem respektierte Anweiseung auf demnächstige Befriedigung des Bedürfnisses. Der Unterschied zwischen dem Tauschvertrag im engern Sinn und dem Kaufvertrag besteht also darin, daß die Befriedigung der beiderseitigen Bedürfnisse bei jenem durch einen und denselben Akt geschieht, während sie beim Kaufkontrakt in mehrere Akte auseinander fällt; nur der Käufer, nicht der Verkäufer erhält hier unmittelbar dasjenige, desser er benötigt.

Damit tritt dem obigen auf  Funktionsgleichheit  beruhenden Schema des zweiseitigen Vertrages ein anderes auf  Funktionsverschiedenheit  beruhendes gegenüber, bei dem die eine Leistung die aktuelle, die andere bloß die potentielle Befriedigung des Bedürfnisses vermittelt, oder was dasselbe: bei dem auf der einen Seite reale oder individuelle Leistungen, auf der anderen eine ideale oder abstrakte: das Geld steht. Wir erhalten damit das folgende, sämtliche gedenkbaren Verträge des Tauschverkehrs im weitern Sinn in sich fassende Schema:

Realleistung Geld Vertrag
1) dauernde Überlassung
     einer Sache
Preis Kauf
2) Vorübergehende Überlassung    
     a) einer Sache Mietzins Mietkontrakt
     b) eines Kapitals Zinsen Darlehn
3) Dienstleistungen Lohn
(Honorar, Gehalt)
Dienstvertrag

Es ist wünschenswert, für die Funktion, welche das Geld in allen diesen Fällen ausübt, einen bestimmten Ausdruck zu haben. Der Ausdruck Äquivalent paßt dafür nicht, denn er betont ein Wertverhältnis beider Leistungen zu einander, das mit dem Gelde als solchem nichts zu schaffen hat - auch die Sache kann  Äquivalent  einer andern sein. Es möge mir verstattet sein, den Begriff des Lohnes, der im wissenschaftlichen Sprachgebrauch regelmäßig mit dem Arbeitslohn identifiziert wird, im Sprachgebrauch des Lebens aber bekanntlich eine ungleich weitere Bedeutung hat, für alle drei obigen Fälle der Geldleistung zu gebrauchen, unter Lohn im weitern Sinn also nicht bloß den Arbeitslohn, sondern auch den Kaufpreis, den Mietzins und die Geldzinsen zu verstehen. Auch der Begriff des Lohns in der ersten Anwendung (Arbeitslohn) wird unten in dem Begriff des idealen Lohns, den ich dem Geldlohn oder ökonomischen Lohn gegenüberstelle, und des aus ihnen beiden kombinierten: des gemischten Lohns noch eine Erweiterung erfahren. Dadurch hat der Lohnbegriff eine solche Allgemeinheit gewonnen, daß wir den Lohn als die Triebkraft oder den Hebel der gesamten Verkehrsbewegung bezeichnen dürfen, wobei wir freilich die Ungenauigkeit begehen, daß wir uns nur an die vollkommene Form des Tauschverkehrs (gegen Geld) halten, die unvollkommene des Austausches zweier Realleistungen dagegen als für die Verkehrsbewegung im Großen und Ganzen unerheblich beiseite lassen.

Hat der Begriff aber durch diese Weite der Fassung nicht vielleicht eine scharfe Bestimmtheit und damit seine Brauchbarkeit eingebüßt? Ich glaube nicht. Geld und Realleistung sind die beiden durch die Natur der Sache selber sich gegenübergestellten Formen der Entgeltlichkeit, der Ausgleichung der einen Leistung durch die andere. Wie sehr es nun auch immerhin vom Standpunkt des Juristen sowohl wie des Nationalökonomen geboten sein mag, innerhalb der Verkehrsfunktion des Geldes Arbeitslohn, Kaufpreis, Mietzinsen, Geldzinsen von einander zu unterscheiden, so kommen doch diese Unterschiede bei der Frage, die wir hier aufgeworfen und zu beantworten haben: wie vermittelt der Verkehr die Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse? gar nicht in Betracht. Auf diese Frage gibt es nur die Antwort:  unmittelbar  oder  mittelbar,  jenes durch Realleistung, dieses durch Geld, und für diese Funktion des Geldes bedarf es eines Ausdruckes. Der Lohn, den der Arbeiter erhält, befriedigt sein Bedürfnis nicht unmittelbar, sondern er gewährt ihm nur das Mittel dazu, nicht anders der Kaufpreis, der Mietzins, die Geldzinsen dem Verkäufer, Vermieter, Darleiher. Ob die unmittelbare Not den einen treibt zu arbeiten, den andern zu verkaufen, den dritten zu vermieten, oder ob nur der Wunsch, ihre Arbeitskraft, Sachen, ihr Kapital angemessen zu verwerten, sie dazu veranlaßt, prägt dem Gelde, das sie dafür erhalten, keinen anderen Charakter auf, das Geld befriedigt in dem einen wie dem andern Falle das Bedürfnis nicht unmittelbar, sondern gewährt nur die Möglichkeit seiner demnächstigen Befriedigung.

4. Das Äquivalent

Die Begriffe Lohn und Äquivalent decken sich nicht. Das Äquivalent kann in etwas anderem als in Lohn bestehen (Realleistung) und der Lohn braucht  kein  Äquivalent zu enthalten, er kann über den Betrag desselben hinausgehen oder hinter ihm zurückbleiben. Unter Äquivalent verstehen wir das Gleichmaß zwischen Leistung und Gegenleistung, bemessen nach dem durch den Verkehr auf dem Wege der Erfahrung ermittelten Wert der Güter und Leistungen. Wie der Wertmaßstab dafür sich bildet, und worauf er beruth, ist eine Frage der Nationalökonomie, die wir nicht zu erörtern haben; unser Absehen ist lediglich darauf gerichtet, den Fortschritt zu konstatieren, der sich für den Verkehr an die Erhebung des Lohnes zum Äquivalent knüpft.

Die Feststellung des Lohnes im einzelnen Fall ist Sache der individuellen Vereinbarung, und das Recht erkennt dafür den Egoismus als maßgebend und berechtigt an, die Auffassung, von der es ausgeht, ist: jeder von beiden Teilen ist auf den eigenen  Vorteil  bedacht, jeder bestrebt, die Ungunst der Lage des andern zu seinen Gunsten auszunutzen. Diese Ungunst kann sich zu einer wahren  Zwangslage  steigern, wenn mit dem höchsten Grade des Bedürfnisses auf der einen die ausschließliche Möglichkeit der Befriedigung desselben auf der anderen zusammentrifft. Hier bleibt dem Bedürftigen keine andere Wahl, als die Annahme der vom Gegenpart diktierten Bedingungen.

Der Ertrinkende verspricht auf Verlangen ein Vermögen für ein Tau, der Verdurstende in der Wüste gibt seine Perlen dahin für einen Schlauch Wasser, RICHARD III. bietet bei SHAKESPEARE "ein Königreich für ein Pferd" - das geringste Gut gewinnt den höchsten Wert, wenn das Leben daran hängt.

Das also: die unbarmherzige Ausnutzung der fremden Not, ist die Frucht des von uns so verherrlichten Egoismus! Zwingt uns dies Resultat, das jedes sittliche Gefühl empört, nicht, uns mit unserer ganzen Theorie des Egoismus für bankrott zu erklären und offen anzuerkennen, daß derselbe nicht im Stande ist, der Forderung des Verkehrs: der Beschaffung der geregelten und gesicherten Befriedigung des menschlichen Bedürfnisses zu entsprechen? Müssen wir nicht eingestehen, daß es eines Prinzips bedarf, um dem Egoismus, der seiner Natur nach unersättlich ist, das Maß, das er selber nicht in sich trägt, von außen aufzuerlegen?

Dem Egoismus des einen stellt sich der des andern entgegen, jener darauf gerichtet, möglichst viel zu nehmen, dieser darauf, möglichst wenig zu geben. Der Indifferenz- oder Nullpunkt, bei dem beide miteinander ins Gleichgewicht kommen, ist das  Äquivalent.  Äquivalent ist das erfahrungsmäßig ermittelte Gleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleistung, ein Betrag des Lohnes (der Realleistung), bei dem beide Teile zu ihrem Recht kommen, keiner von beiden verliert. Das Äquivalent ist die Verwirklichung der  Idee der Gerechtigkeit  auf dem Gebiete des  Verkehrslebens.  Denn Gerechtigkeit - plan und verständlich ausgedrückt - ist nichts anderes als das, was  allen  paßt, wobei  alle  bestehen können. Den Grundsatz des Äquivalents in allen Verhältnissen möglichst zur Geltung zu bringen, ist demnach eine der höchsten Aufgaben im Verkehrsleben.

Wie löst die Gesellschaft sie? Durch das Gesetz? Wenn es wahr ist, daß es sich um eine Aufgabe der Gerechtigkeit handelt, so scheint dies unabwendlich zu sein, denn was die Gerechtigkeit fordert, soll und muß durch das Gesetz verwirklicht werden. Nach meinem Dafürhalten nicht, sondern wenn es fest steht, daß das Interesse  aller  eine gewisse Ordnung erfordert, so kommt es noch erst darauf an, ob das Interesse nicht mächtig genug ist, die Ordnung selber herzustellen, in diesem Fall bedarf es des Gesetzes nicht - kein Gesetz hat nötig, das Heiraten zu befehlen und den Selbstmord zu verbieten.

Besitzt nun der Verkehr die Fähigkeit, die Idee des Äquivalents aus eigener Macht zu realisieren? Im Großen und Ganzen muß dies offenbar der Fall sein; kein Gesetz zeichnet dem Handwerker, Fabrikanten, Krämer usw. die Preise vor, und doch halten sie Preis. Offenbar nicht aus uneigennütziger Gesinnung oder als soziale Doktrinäre, um die Idee des Äquivalents zu verwirklichen, sondern weil sie nicht anders können. Wer zwingt sie? Niemand anders, als ihr eigener Egoismus. Der Egoismus gestaltet sich hier zu seinem Korrektiv. Und zwar in doppelter Weise. Zuerst mittels der Konkurrenz. Der Egoismus des Verkäufers, der einen zu hohen Preis zu erzwingen sucht, wird durch den eines andern, der lieber zu einem mäßigen Preis als gar nicht verkauft, der des Käufers, der zu wenig, durch den des andern, der mehr bietet, paralysiert -  die Konkurrenz ist die soziale Selbstregulierung des Egoismus .

Aber so richtig dies im Großen und Ganzen ist, so kann doch in besonderen Lagen oder unter ganz eigentümlichen Verhältnissen die Konkurrenz momentan oder sogar dauernd ausgeschlossen sein. Der einzige Gastwirt, Arzt, Apotheker am Ort hat keine Konkurrenz zu besorgen und selbst, wo es ihrer mehrere gibt, kann jemand, der ihrer Dienstleistungen bedarf, sich in einer solchen Lage befinden, daß er schlechterdings nur an den einen von ihnen gewiesen ist und sich die von ihm gestellten Bedingungen gefallen lassen muß. Der Chirurg, welcher die Operation vollbracht, aber den Blutlauf noch nicht gestillt hat, hat den Patienten in seiner Hand, ebenso der Gastwirt, bei dem derselbe sein Lager hat; wer hindert sie: den einen, für die Beendigung der Operation, den andern, für die fernere Einräumung des Zimmers einen ganz unverhältnismäßig hohen Preis zu fordern? Wenn sie auf fernere Patienten und Gäste rechnen: die Rücksicht auf ihren eigenen Vorteil. Wie mittels der Konkurrenz der Egoismus des Einen den des andern in Schach hält, so hier der Egoismus sich selber. Der egoistischen Ausnutzung der Gegenwart stellt sich die Rücksicht auf die Zukunft entgegen, der Egoismus wägt die beiden möglichen Vorteile gegen einander ab und opfert den vorübergehenden, vielleicht noch so hohen des Moments, um sich den geringern, aber dauernden des ganzen übrigen Lebens zu sichern -  der Blick in die Zukunft ist die individuelle Selbstregulierung des Egoismus in Fällen, wo die soziale: die Konkurrenz ihre Dienste versagt. 

Aber um in die Zukunft blicken zu können, muß man ein Auge dafür haben, das Auge mancher Menschen ist aber so blöde, daß es über die Gegenwart nicht hinausträgt, und bei andern ist wiederum der Wille so schwach, daß sie der Versuchung, die Zukunft dem Moment zu opfern, nicht widerstehen können. Und selbst  der  Fall ist möglich, daß eine einzige großartige Erpressung (1) den Verlust der ganzen Zukunft aufwiegt, oder daß selbst die Erpressung als dauerndes Geschäft betrieben (Wucher) sich dauernd als undurchführbar erweist. Hier versagt der Schutz, den der Egoismus gegen sich selbst gewährt, und es bleibt der Gesellschaft, wenn die Gefahren, die letzterer ihr droht, einen für sie bedenklichen Charakter annehmen, nichts weiter übrig, als dasjenige Mittel, wodurch sie sich überhaut der ihr bedrohlichen Ausschreitungen des Egoismus zu erwehren sucht: das  Gesetz.  Der Klasse derartiger den Überschreitungen des Egoismus im Verkehrsleben vorbeugender Gesetze gehören an: die gesetzlichen Taxen, die Zinsbeschränkungen, die Strafen gegen den Wucher, u.a.m. Die Erfahrung hat gezeigt, daß manche derselben ihren Zweck nur höchst unvollkommen erreichen, und die Freihandelsstimmung unserer Zeit betrachtet sie mit ungünstigen Augen und möchte sie als Schranken des Verkehrs am liebsten völlig beseitigen, wie sie es in der Tat mit manchen derselben bereits getan hat. Es wird erst neuer bitterer Erfahrungen bedürfen, bis man wieder inne wird, welche Gefahren der von allen Fesseln entbundene individuelle Egoismus für die Gesellschaft in seinem Schoße trägt, und warum die Vergangenheit es für nötig gehalten hat, ihm einen Zaum anzulegen. Unbeschränkte Verkehrsfreiheit ist ein Freibrief zur Erpressung, ein Jagdpass für Räuber und Piraten mit dem Recht der freien Pirsch auf alle, die in ihre Hände fallen - wehe dem Schlachtopfer! Daß die Wölfe nach Freiheit schreien, ist begreiflich; wenn aber die Schafe, wie es bei jener Frage so oft der Fall gewesen ist, in ihr Geschrei einstimmen, so beweisen sie damit nur, daß sie Schafe sind.

Die Befugnis, welche ich hiermit für die Gesetzgebung in Anspruch nehme, steht mit meiner Grundansicht vom Verkehr als dem auf dem Egoismus beruhenden System der Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse in keiner Weise in Widerspruch. Allerdings vertrete ich die Ansicht und halte an ihr fest, daß der Egoismus die Triebfeder des ganzen Verkehrs, und daß er allein im Stande ist, die Aufgabe zu lösen. Der Gedanke, ihn durch den Zwang ersetzen zu wollen, schließt eine solche Unmöglichkeit in sich, daß man nur etwa, um sich um so besser bewußt zu werden, wie untrennbar das Gedeihen der Arbeit mit, d. h. mit dem Lohne der Freiheit verknüpft ist, einmal versuchen mag, sich ihn auszudenken. Die Arbeit statt durch Lohn durch Zwang regulieren hieße, die Gesellschaft in ein Arbeitshaus zu verwandeln und die nationale Arbeit auf die der Hände einschränken, denn nur die Hände, nicht der Geist, lassen sich zwingen. Aber selbst bei der Handarbeit kann der Zwang den Lohn nicht vertreten. Der Zwang macht den Egoismus zum Gegner, der Lohn zum Bundesgenossen der Arbeit, denn bei der unfreien Arbeit hat der Arbeiter ein Interesse daran, möglichst  wenig,  bei der freien, möglichst  viel  zu arbeiten, bei jener betrügt er seinen Herrn, bei dieser sich selbst, - der Zwang wirkt nur, so lange die Peitsche in Sicht ist, der Lohn unausgesetzt.

Aber so sehr ich davon überzeugt bin, daß es für den Verkehr keine andere bewegende Kraft gibt, als den Egoismus, so fest bin ich es andererseits auch davon, daß der Staat den Beruf hat, den Ausschreitungen desselben, welche dem Gedeihen der Gesellschaft bedrohlich werden, entgegenzutreten. Es gibt in meinen Augen keinen verhängnisvolleren Irrtum, als ob der Vertrag als solcher, sofern sein Inhalt nur nicht gesetzwidrig oder unmoralisch sei, einen gerechtfertigten Anspruch auf den Schutz des Gesetzes habe. Ich werde im zweiten Teil dieser Schrift Gelegenheit finden, diesen Irrtum zu bekämpfen, an dieser Stelle begnüge ich mit mit einem bloßen Protest. Dem Interesse des individuellen Egoismus ist die Gesellschaft so berechtigt wie verpflichtet, ihr eigenes Interesse entgegenzustellen. Das Interesse der Gesellschaft aber geht auf das, was nicht bloß dem Einzelnen, sondern was allen paßt, bei dem alle bestehen können, und das ist, wie oben bereits bemerkt, nichts anderes, als die  Gerechtigkeit.  Sie steht über der  Freiheit.  Der Einzelne ist nicht bloß für sich, sondern auch für die Welt da - darum hat die  Freiheit:  das was dem einzelnen paßt, sich der  Gerechtigkeit:  dem, was allen paßt, unterzuordnen.


6. Der Kredit

Der Kredit enthält den Abschluß der Entwicklung des Tauschsystems, er ist durch den Verkehrszweck in einer Weise postuliert, daß er bei einer gewissen Entwicklung des Verkehrs sich stets mit Notwendigkeit einstellen muß. Ohne Kredit wäre der Verkehr das unvollkommenste schwerfälligste Ding von der Welt - ein Vogel ohne Flügel; um sich zu bewegen, bedarf er der Schwingen des Kredits, und wie dem Vogel die Flügel wachsen, so wie er kaum aus dem Ei gekrochen, so auch ihm. Der Kredit ist durch den Verkehrszweck iun einer Weise geboten, daß er überall mit zwingender Notwendigkeit sich einstellen wird.

Der Verkehrszweck besteht in der Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse, die Form, in der dieselbe sich vollzieht, ist der Tauschvertrage im weitesten Sinn: Leistung um Gegenleistung, oder, seitdem das Geld die normale Form des Äquivalents für alle zu beschaffenden Leistungen geworden ist, Beschaffung der Leistung durch Geld.

Wie nun, wenn es dem Bedürftigen daran gebricht? In diesem Fall würde er, wenn er nicht in der Lage ist, sich dasselbe durch Verkauf seiner Sachen - und dies vielleicht nur mit schwerster Einbuße - zu verschaffen, nicht imstande sein, sein Bedürfnis zu befriedigen, das Brot, an dem das Leben der Seinigen wie sein eigenes hängt, würde ihm versagt bleiben, selbst dann, wenn er die gesicherte Aussicht hätte, das ihm momentan fehlende Geld in kürzester Frist zu erhalten.

In diese Lücke, welche das Tauschsystem in seiner obigen Gestalt offen läßt, schiebt sich nun der Kredit ein, er hilft der Not der Gegenwart ab durch Heranziehung der Zukunft.

Der Not der Gegenwart kann zunächst abhelfen der Freund. Aber Freundschaft und Wohlwollen bilden keinen Faktor des Verkehrs, der Hebel, auf den er berechnet ist und berechnet sein muß, ist der Egoismus, er hat den Vorzug nie zu versagen.

Das Darlehen des Freundes ist ein unentgeltliches, das des Egoisten ein entgeltliches, derselbe verlangt Zinsen. Damit ordnet sich das Darlehen dem Grundzug des Tauschsystems unter: Leistung um Gegenleistung - die Zinsen bilden das Äquivalent für die zeitweise Überlassung des Kapitals, Zeit ist Geld, eben sowohl in Bezug auf die Erwerbskraft des Geldes, als auf die des Menschen.

Auch unter dieser Bedingung aber erhält der Bedürftige das Geld nur, wenn der Darleiher das Vertrauen hegt, daß er es demnächst wieder erhalten werde das  ökonomische  credere des Geldes hat das  moralische  zur Person zur Voraussetzung - Kredit ist der Glaube auf ökonomischem Gebiet, die Gläubigen sind die Gläubiger.

Den Darleiher nennen wir als Inhaber von Geldmitteln, die er dem Anleiher zur Verfügung stellt,  Kapitalisten,  diese Geldmittel selber  Kapitalien  (2). Hat die Gegenwart  mehr,  als sie bedarf, so legt sie bei guter Wirtschaft den Überschuß für die Zukunft zurück - sie  spart.  Werden dieser Ersparnisse mehr, als bei dem Normalmaß des individuellen Bedürfnisses verbraucht werden, so nennen wir sie  Kapitalien.  Kapitalien sind Überschüsse der Wirtschaft, welche die Anfechtung durch das fortgesetzte Bedürfnis siegreich bestanden haben. Es ergibt sich daraus, daß der Begriff ein relativer ist. Eine Summe von 300, vielleicht selbst 30 Mark kann für den Armen ein Kapital sein, d. h. eine bei ihm gegen jene Anfechtung vollständig gesicherte Ersparnis, bei dem Reichen ist es vielleicht die zehn- und hundertfache Summe noch nicht - das Kapital beginnt, wo die Erschöpfung durch das Bedürfnis endet.

Wie nun der Güterverkehr die Sache von der Stelle, wo sie ihre Bestimmung, dem menschlichen Bedürfnis zu dienen, nicht erfüllt, dahin bringt, wo dies der Fall ist, so der Geldverkehr die Kapitalien. Das Mittel dazu sind die Zinsen. Sie locken das Geld von der Stelle, wo es sich angesammelt hat, ohne wirtschaftliche Verwendung zuu finden, an diejenige, wo es fehlt und nötig ist. Überfluß an der einen, Mangel an der anderen Stelle gleichen sich aus, was der Eine zu viel hat, kommt demjenigen zu statten, der zu wenig hat. Es ist die Ausgleichung zwischen Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft der Wirtschaft, verteilt auf zwei Personen. Die Vergangenheit fällt auf den Kapitalisten, er hat sparen müssen, um borgen zu können, Gegenwart und Zukunft auf denjenigen, der das Geld anleiht, die Gegenwart in Gestalt des Defizits, die Zukunft mit der Aufgabe, durch die demnächstigen Überschüsse dieses Defizit zu decken. Es ist dasselbe Phänomen der Ausgleichung in der wirtschaftlichen Welt, wie in der kosmischen die der Wärme über die verschiedenen Jahreszeiten, Gegenden, Land und Meer.


7. Der ideale Lohn

Unsere Sprache beschränkt den Begriff des Lohnes nicht auf diejenige Form desselben, die wir bisher allein im Auge hatten: das Geld, sondern sie gebraucht ihn im moralischen Sinn für jedes Gut, das jemanden als Ausgleichung für eine verdienstliche Tat zuteil wird, sie spricht z. B. von einem Lohn der Tugend, des Fleißes usw. Ob dieser weitere Lohnbegriff für den  Verkehr  irgend welche Bedeutung hat, wird sich demnächst zeigen; daß er sie für die  Gesellschaft  hat, kann nicht Gegenstand des Zweifels sein. Der Lohn in diesem weiteren Sinn bildet das Gegenstück der Strafe; die Gesellschaft straft denjenigen, welcher sich gegen sie vergangen, sie belohnt denjenigen, der sich um sie verdient gemacht hat.

Die Verwendung, welche sie heutzutage von dem Lohn macht, steht hinter der der Strafe weit zurück, sie hat in dieser Beziehung dem Altertum gegenüber einen ganz erheblichen Rückschritt gemacht. In Rom standen Lohn und Strafe als die beiden der Gesellschaft zur Verfolgung ihrer Zwecke zur Verfügung gestellten Mittel in den Augen der Sozialpolitiker sich völlig gleich; ein römischer Jurist scheut sich nicht, bei der Frage vom Endzweck des Rechts den Lohn mit der Strafe auf eine und dieselbe Linie zu rücken. Höchst bezeichnend! Was hat der Jurist mit dem Lohn zu tun? Heutzutage nichts, heutzutage ist nur die Strafe seinen Händen anvertraut, ein rechtlicher Anspruch auf Belohnung hervorragender, ungewöhnlicher Verdienste steht heutzutage niemandem zu. Gerade darin aber spiegelt sich der gewaltige Gegensatz zwischen der römischen und unserer heutigen Welt ab, daß der öffentliche Lohn in Rom nicht wie bei uns eine bloß soziale, sondern daß er eine  rechtliche  Bedeutung hatte, daß dem  Strafrecht  ein  Lohnrecht  entsprach - ein Begriff, den wir gar nicht kennen - ja es ist nicht zu viel gesagt, wenn wir behaupten, daß bis zu der Kodifikation des Strafrechts am Ende der Republik das Lohnrecht sich eriner größeren Bestimmtheit erfreute, als das Strafrecht. Das Strafrecht ward vom römischen Volk mit einer Freiheit gehandhabt, welche an Willkür grenzte; ob es eine Strafe erkennen wollte, und welche, war rein Sache seines freien Beliebens. Aber ob dem Feldherrnein Triumpf oder eine Ovation gebühre, ob der Soldat einen Anspruch auf die corona muralis, civica, castrensis, navalis - die militärischen Orden der Römer - habe, war genau geregelt und konnte selbst Gegenstand eines Prozesses werden. Den Triumphen, den Ölkränzen bei den olympischen Spielen, den Mauer- und Bürgerkronen usw. des Altertums entsprechen ihrer Bestimmung nach unsere heutigen Orden, Titel, Standeserhöhungen, aber sie sind nicht Sache des Rechts, sondern allerhöchster  Gnade ("Gnaden bezeugungen), und vor dem Glauben, in ihnen die zweifellosen Beweise hervorragender sozialer Verdienste zu erblicken, ist man vielfach nirgends mehr bewahrt, als an der Quelle, von wo sie ausgehen, weil man die Motive, Hebel, Rücksichten usw. kennt, welche dabei mitwirken; man möchte sie oft mit den Äpfeln vergleichen, die, den ferner Stehenden unerreichbar, denjenigen, die unter dem Baum sitzen, oder die in der Lage sind, ihn schütteln zu können, in den Schoß fallen. Ob diese Gestalt der Sache im Laufe der Zeiten einer andern Platz machen, ob auch für das staatliche Lohnsystem derselbe Umschwung sich vollziehen wird, wie er für das staatliche Strafsystem längst stattgefunden hat: der Fortschritt von dem subjektiven Belieben zu festen Regeln, d. h. zum Recht, was nichts anderes ist, als die Rückkehr zur Weise des Altertums, - darüber lasse ich jedem seine Ansicht, ich meinerseits glaube daran. Ob der Lohn oder die Strafe, die beide nichts als die Idee der Gerechtigkeit zu verwirklichen haben, sich verirrt, d. h. den Rechten verfehlt und den Unrechten aufsucht, ist mit der Idee der Gerechtigkeit in gleicher Weise unverträglich.

Aber nicht der persönliche Träger der Staatsgewalt allein ist es, welcher das Verdienst gegen die Gesellschaft belohnt, sondern neben ihm gibt es noch eine unpersönliche Macht: die öffentliche Meinung und die Geschichte, welche die Fehlgriffe, die jener begangen hat, rektifiziert; sie hat Ehren zu vergeben, mit denen die seinigen sich nicht messen können. Denn diejenigen, über die er gebietet, sind höchst vergänglicher Art, sie werden mit ihrem Träger begraben - die naive Eitelkeit trifft das Richtige, wenn sie die Orden an den Sarg heftet! Aber der Lorbeer um DANTEs Schläfe grünt unverwelklich für ewige Zeiten, ein Blatt von ihm wiegt Wagenladungen von Großkreuzen auf.

Die Art des Lohnes, die ich im bisherigen betrachtet habe, bezeichne ich als  idealen  Lohn. Ideal nenne ich im Gegensatz zum realen Lohn (dem Gelde), welcher letztere seinen Wert in sich selber trägt, während der ideale Wert lediglich auf den Ideen beruth, die man mit ihm verbindet. Was sind drei Roßschweife, eine Pfauenfeder, ein Band im Knopfloch für denjenigen, der nicht weiß, was sie bedeuten, und was sind sie selbst für denjenigen, der es weiß, aber auf solche Ehren keinen Wert legt? Die äußeren Ehrenzeichen besitzen für ihren Inhaber keinen höheren Wert, als er ihnen selber beilegt, das Geld dagegen behält seinen vollen Wert, d. h. seine ökonomische Kraft auch in den Händen desjenigen bei, der es gering schätzt. Für die Gesellschaft ist es von äußerstem Interesse, daß der ideale Lohn in möglichst hoher Geltung stehe; je höher der Wert, den man auf ihn legt, desto wirksamer der Hebel, den sie in ihm für ihre Zwecke besitzt.

Wir haben oben den Verkehr definiert als das System der geregelten und gesicherten Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse. Zu diesen Bedürfnissen zählen aber nicht bloß die leiblichen: Essen und Trinken, Kleidung und Wohnung, sondern für einen gewissen Teil der Bevölkerung auch die idealen Interessen der Kunst und Wissenschaft; wer sie befriedigt, erfüllt damit einen Verkehrszweck, der Künstler und der Gelehrte dient daher nicht minder dem Verkehr, als der Landwirt, der Handwerker, der Kaufmann. Auch die Kunst und Wissenschaft gehen hinaus auf den Markt und bieten ihre Schätze feil, der Maler sein Gemälde, der Bildhauer seine Statue, der Komponist seine Symphonie, der Gelehrte sein Manuskript. Damit stellen sie sich wie es scheint auf eine Linie mit allen anderen, welche ihre Produkte oder Fabrikate feil halten: dem Landmann, Fabrikanten, Handwerker, - auf das ökonomische Niveau des Geschäftslebens. Sie nehmen Lohn für ihre Arbeit, folglich ist derselbe Arbeitslohn - alles, was von letzterem gilt, gilt auch von jenem.

Es ist durchaus erforderlich, sich von dieser Ansicht loszumachen. Nicht etwa, weil sie die Kunst und Wissenschaft herabsetzt, sondern weil sie sich in einer Weise von der Wahrheit entfernt, die das Verständnis der Wirklichkeit aufhebt. Das Richtige ist: es gibt zwei Gebiete der sozialen Arbeit, auf dem einen bildet das Geld den alleinigen Zweck und Hebel aller auf demselben vorkommenden Operationen, auf dem andern hat das Individuum außer dem Gelde noch ein anderes Ziel seines Strebens im Auge. Dem letzteren Gebiet gehören an die Kunst und Wissenschaft, der Kirchen- und Staatsdienst. Die Sprache mit ihrem feinen Treffer hat den Unterschied beider Gebiete richtig erfaßt, bei dem ersten nennt sie den Lohn "Arbeitslohn", bei dem zweiten vermeidet sie geflissentlich diesen Ausdruck und ersetzt ihn durch andere. Der Schriftsteller, Komponist, Arzt erhält keinen "Lohn" oder "Arbeitslohn", sondern "Honorar", der Beamte "Gehalt", "Besoldung" (im Fall einer außerordentlichen Zuwendung "Renumeration"), der Schauspieler und der Offizier "Gage", der Advokat "Deserviten". Das ist keine bloße Courtoisie des Ausdrucks, welche die Tatsache verhüllen soll, daß der Empfänger für Geld arbeitet und ebensowenig zielt die Verschiedenheit der Bezeichnung bloß auf den Gegensatz der physischen und geistigen Arbeit, sondern es soll meines Erachtens damit die Verschiedenheit der Beziehung des Lohnes zur Arbeit ausgedrück werden, und diese besteht darin, daß der Lohn für den gewöhnlichen Arbeiter das einzige Motiv derselben bildet, während der Arzt, Advokat, Künstler, Gelehrte, Lehrer, Prediger, Staatsdiener, wenn er nicht ein reiner Handwerker ist, das Motiv seiner Tätigkeit und seine Befriedigung keineswegs ausschließlich in dem Gelde, sondern noch in etwas anderem sucht. Hätte jener Sprachgebrauch in bloßer Courtiosie seinen Grund, so würde die Wissenschaft alle Ursache haben, sich von ihm loszusagen, denn er würde dann nur auf dem von der heutigen Zeit völlig überwundenen antiken Vorurteil beruhen, als ob in der Annahme eines Lohnes fr die Arbeit etwas Beschämendes liege. Wo der Lohn sachlich Arbeitslohn ist, wäre eine Umgehung dieses Ausdrucks wegen der sozialen Stellung des Empfängers eben so sinnlos, als wenn man Kaufgelder, Pachtzinsen, Geldzinsen, Börsengeschäfte bei Personen von hohem Stande mit einem andern Namen belegen wollte als bei Personen niedern Standes. Die Sprache ist zu verständig, um auf solche völlig bedeutungslose Momente Gewicht zu legen.

Das Wesen des Gehalts und aller ihm gleichartigen Lohngestaltungen beruht auf der Verbindung des ökonomischen und des idealen Lohnes. Dieselben fügen zu den zwei Arten des einfachen Lohns: dem rein ökonomischen und dem rein idealen noch eine dritte hinzu: den aus beiden zusammengesetzten, ich will ihn den gemischten nennen. Es wäre denkbar, daß bei dieser Verbindung beide Elemente wie bei einem Gemenge sich nur vereinigten, ohne sich gegenseitig zu affizieren; in diesem Falle würden die Grundsätze über den Arbeitslohn auch auf das Gehalt volle Anwendung finden. Daß dieses aber nicht der Fall ist, daß jene Kombination den ökonomischen Lohn vielmehr in einer Weise beeinflußt, die von dem, was sein Wesen ausmacht: der Gewährung des Äquivalents für die Arbeit, unter Umständen kaum das Geringste übrig läßt, davon kann sich jeder überzeugen, der an den drei genannten Verhältnissen: der Kunst, der Wissenchaft und dem öffentlichen (Staats- und Kirchen-) Dienst die Probe machen will.

Ist die hohe Besoldung eines katholischen Kirchenfürsten ein Äquivalent für seine Arbeit? Entspricht die oft so hohe Differenz zwischen dem Gehalt des Präsidenten eine Kollegiums und dem seiner Räte dem verschiedenen Wert ihrer Arbeitskraft oder dem verschiedenen Maß ihrer Anspannung? Richtet sich das Honorar des Schriftstellers, Komponisten stets nach dem Wert seiner Schrift oder Komposition? SCHUBERT hat manche seiner unvergänglichsten Kompositionen fast für Nichts dahin gegeben, während zu derselben Zeit und an demselben Ort der Walzerkomponist STRAUSS für seine Walzer schweres Geld löste.

Ist es das Geld, was dem Maler, Bildhauer, Dichter, Gelehrten die Hand führt? CORNELIUS opferte in der Villa BARTHOLDI in Rom ohne allen Lohn Jahre lang Zeit und Mühe, nur um die Frescomalerei wieder in Aufnahme zu bringen, und doch war er ein völlig mittelloser Mensch, der sich oft in drückendster Not befand. ALEXANDER von HUMBOLDT hat sein ganzes Vermögen im Dienst der Wissenschaft zugesetzt, gar mancher Gelehrte wendet ein halbes Leben voller Mühe an ein Werk, das ihm oft kaum so viel einträgt, um davon Papier, Tinte und Öl zu bezahlen. Arbeitet ein Schuster, Schneider, ein Fabrikant, Kaufmann Jahre lang umsonst, lediglich aus Liebe zur Sache? Das Honorar des Künstlers, Dichters, Gelehrten ist kein Arbeitslohn, es fehlt ihm das wesentlichste Merkmal desselben: die Äquivalenteigenschaft. Es kann hoch sein, wo die Arbeit leicht, gering sein, wo sie schwer ist und völlig fehlen, wo sie den höchsten Grad erreicht. Und das sind nicht bloß vereinzelte Fälle, sondern es gibt ganze Zweige der wissenschaftlichen Literatur, welche sich in der Lage befinden, des Honorars gänzlich entbehren zu müssen und den tatsächlichen Beweis liefern, es zu können, wie z. B. die Naturwissenschaften, bei denen die Fachjournale ohne Honorar bestehen, und selbständige, mit Kupfertafeln versehene Werke nicht selten noch einen Kostenzuschuß von Seiten des Verfassers erfordern.

In dem ökonomischen Lohn kann also der Hebel, welcher das Talent für die Kunst und Wissenschaft in Tätigkeit versetzt, nicht gefunden werden. Aber es gibt noch einen anderen Lohn, der zu ihm hinzukommt oder ihn gänzlich ersetzt: der ideale.

Ich unterscheide zwei Arten desselben: den  äußeren  und den  inneren  Lohn. Unter jenem verstehe ich den Lohn, den die Gesellschaft oder die Staatsgewalt zahlt: Ruhm, Anerkennung, Ehre; unter diesem die Befriedigung, welche die Arbeit selber gewährt: den Genuß der geistigen Arbeit an sich, den Reiz der Erprobung der Kraft, die Freude des Findens, die Wonne des Schaffens, das Bewußtsein, der Welt einen Dienst geleistet, seine Kraft zum Wohle der Menschheit verwertet zu haben. Die soziale Wirksamkeit des idealen Lohns setzt subjektiv die Empfänglichkeit für denselben: den idealen Sinn voraus. Völker, Zeitalter, Individuen, denen dieser Sinn abgeht, werden auf dem Gebiet der Kunst und Wissenschaft nie etwas Großes leisten - das Ideale gedeiht nur auf idealem Boden. Das typische Motiv für Kunst und Wissenschaft, ohne welches sie ihren Beruf nicht erfüllen können, ist der Idealismus, das typische Motiv für das Geschäft der Erwerbstrieb. Ein Künstler, dem es um weiter nichts zu tun ist, als um den Erwerb, der an dem Werk, das er schafft, kein weiteres Interesse nimmt, als daß es ihm bezahlt wird, ist ein höherer Handwerker und wird nie ein wirkliches Kunstwerk schaffen, - wo das Interesse des Erwerbs und der Kunst kollidieren, wird er ersterem den Vorzug geben. Das Gegenstück zu diesem Manne, der auf idealem Gebiete sich durch ökonomische Motive leiten läßt, würde der Geschäftsmann sein, der auf ökonomischem Gebiet anstatt des Erwerbs ideale Interessen verfolgen wollte. Beiden haben ihren Beruf verfehlt, sie verfolgen innerhalb seiner ein Ziel, für das er nicht bestimmt ist, jener hätte Handwerker, Kaufmann, Fabrikant, dieser Künstler, Gelehrter werden sollen. Das Geschäft geschäftsmäßig, das Ideale ideal betreiben - so gehört es sich, und dabei gedeiht der einzelne und die Gesellschaft. Damit ist selbstverständlich nicht der törichten Meinung das Wort geredet, als ob das Ideale und Praktische Gegensätze wären, die sich in derselben Person nicht miteinander vertrügen, so daß der berufene Vertreter des Ersteren unpraktisch, der des Letzteren dem Idealen unzugänglich sein müßte. Die Erfahrung erweist nach beiden Seiten das Gegenteil, und in Bezug auf die letztere hat die Kunst und Wissenschaft alle Ursache, dankbar der Förderung zu gedenken, welche ihr die Opfer gewährt haben, durch welche Buch- und Kunsthändler höheren Schlages nicht selten ihre Werke erst ins Leben gerufen haben.


8. Der Grundsatz der Gleichheit der Person

Der Verkehr kennt kein Ansehn der Person; ob hoch oder niedrig, bekannt oder unbekannt, einheimisch oder fremd - ihm gilt es gleich, er sieht nur auf das Geld. Diese vollendete Gleichheit des Verkehrs gegen die Person - eine selbstverständliche Konsequenz des Egoismus, den nichts weiter kümmert, als der Erwerb - ist in sozialer Beziehung von wahrhaft unschätzbarem Wert, denn sie gewährt jedem Menschen, wer er auch sei, den Besitz des Geldes in seiner Hand vorausgesetzt, die Gewißheit der Befriedigung seiner Bedürfnisse, die Möglichkeit eines den Kulturbedingungen seiner Zeit entsprechenden Daseins. Es gibt nichts, was dem Menschen diese Verkehrsstellung entziehen könnte. Der Staat mag ihm Freiheit und Ehre nehmen, Kirchen und Vereine mögen ihn ausstoßen, der Verkehr schließt ihn nicht aus; - wer sonst zu nichts gut ist, mit wem man jede Gemeinschaft und Berührung flieht, er ist immer noch gut genug, um mit ihm Geschäfte zu machen - die im Gelde enthaltene Anweisung auf die Gesellschaft d. i. auf die Unterstützung durch andere wird stets unweigerlich honoriert.

Diese vollendete Gleichgültigkeit des Verkehrs gegen die Person ist gleichbedeutend mit der völligen Gleichheit der Person im Verkehr. Es gibt kein Gebiet des Lebens, auf dem der Grundsatz der Gleichheit praktisch so vollkommen durchgeführt worden ist, als auf dem des Verkehrs. Das Geld ist der wahre Apostel der Gleichheit; wo es aufs Geld ankommt, verlieren alle sozialen, politischen, religiösen, nationalen Vorurteile und Gegensätze ihre Geltung (3). Sollen wir dies preisen oder beklagen? Es kommt darauf an, von welcher Seite wir die Sache ansehen. Blicken wir auf das Motiv, so liegt im Preisen nicht der mindeste Grund vor, denn das Motiv ist nicht Humanität, sondern Egoismus. Sehen wir aber auf die Wirkung, so kann ich hier nur dieselbe Bemerkung wiederholen, die ich schon vorher machte: der Egoismus, indem er sich dient, dient der Welt. Nur auf sich selbst und seinen Vorteil bedacht, verwirklicht er, ohne es zu ahnen und zu wollen, auf seinem Gebiete einen Gedanken, dem er sonst Widerstand leistet, wo er nur kann, den Gedanken der Gleichheit der Person.


Die Idee der Gerechtigkeit

Die Idee der Gerechtigkeit ist das durch das Interesse der Gesellschaft gebotene und darnach bemessene Gleichmaß zwischen der Tat und ihren Folgen für den Täter, d. i. der  bösen  Tat und der  Strafe,  der  guten  und dem  Lohn.  Nirgends ist dasselbe in der letzteren Richtung in dem Maße verwirklicht worden, als auf dem Gebiete des Verkehrs. Im Verkehr erhält durchschnittlich jeder Teil mittels der Gegenleistung so viel zurück, als er selber gegeben hat, d. h. der Lohn (Arbeitslohn und Preis der Ware) ist durchschnittlich Äquivalent, er repräsentiert regelmäßig den derzeitigen ökonomischen Wert der Leistung. So läßt sich das Äquivalent bezeichnen als die  Verwirklichung der Idee der Gerechtigkeit auf ökonomischem Gebiet.  Die Feststellung der Strafe ist etwas Willkürliches, sie erfolgt durch eine positive Bestimmung der Staatsgewalt, und der Maßstab, den dieselbe dabei zur Anwendung bringt, ist ein höchst elastischer, unsicherer. Die Feststellung des Äquivalents dagegen ist das Resultat der sorgsamsten, unausgesetzt von allen Beteiligten erneuerten Untersuchungen und Erfahrungen, der Lohn ist so empfindlich wie das Quecksilber im Barometer, er steigt und fällt bei den geringsten Veränderungen der ökonomischen Atmosphäre. Frage ich mich: wo ist die Idee der Gerechtigkeit in unseren sozialen Einrichtungen am  vollendetsten  zur Verwirklichung gelangt, so lautet die Antwort: im Verkehr. Frage ich mich: wo am  frühesten,  so wiederum: im Verkehr - Verkehr und Lohn haben früher die entsprechende Gestaltung gewonnen als Staat und Strafe. Frage ich endlich: wo in der ganzen Welt am  gleichmäßigsten,  so zum dritten Mal: im Verkehr. Recht und Strafe sind diesseits der Grenzpfähle anders gestaltet, als jenseits derselben, aber Preise und Löhne kennen keine Grenzpfähle, obschon allerdings positiv staatliche Einrichtungen (Zölle und Steuern) ihrer völligen Ausgleichung in verschiedenen Staatsgebieten hindernd in den Weg treten können.

Die Anwendung des Begriffs der Gerechtigkeit auf den Lohn erschließt das Verständnis eines eigentümlichen psychologischen Phänomens, ich meine das Widerstreben mancher nichts weniger als geizigen Personen, eine Sache über deren wahren Wert zu bezahlen, selbst wenn die Differenz kaum der Rede wert ist. Die Ursache ihres Widerstrebens liegt nicht sowohl, wie Unkundige meinen, im Geiz, als vielmehr in ihrem Rechtsgefühl, welches den Gedanken, dem Gegner etwas geben zu sollen, was ihm nicht gebührt, nicht ertragen kann, es ist nicht das ökonomische, sondern das moralische Motiv, welches ihren Widerstand hervorruft. Um sich von dem Verdacht des Geizes zu reinigen und den Beweis zu liefern, daß ihnen am Gelde als solchem nichts liegt, fügen si nicht selten unmittelbar hinterher Akte einer unmotivierten, rein tendenziösen Freigiebigkeit hinzu - sie kämpfen um den Groschen und schenken den Taler.

Die drei Ideen, die ich so eben in Anwendung auf den Verkehr nachgewiesen habe, sind die höchsten sittlichen Probleme, welche die Ethik kennt, und derselbe hat diese Probleme in einer Weise realisiert, mit der die Art, wie es von Seiten des Staats geschieht, sich durchaus nicht messen kann. Längst bevor der Staat sich erhob vom Lager, noch in der Morgendämmerung der Geschichte, hatte der  Handel  schon ein gut Teil seines Tagewerks vollbracht; während die Staaten sich bekämpften, suchte und bahnte er die Wege, die von einem Volke zum andern führten, und stellte zwischen ihnen ein Verhältnis des Austausches der Waren und Ideen her - ein Pfadfinder in der Wildnis, ein Herold des Friedens, ein Fackelträger der Kultur.
LITERATUR, Rudolf von Jhering, Der Zweck im Recht, Leipzig 1884
    Anmerkungen
    1) Den Ausdruck gebrauche ich hier und im Folgenden nicht im kriminalistischen Sinn, sondern im ökonomischen als Ausnutzung der Notlage eines andern zum Zweck der Steigerung des Preises oder Lohnes über das Äquivalent hinaus. Systematisch oder gewerbsmäßig betrieben wird die Erpressung  Wucher.  Von der Erpressung haben wir zu unterscheiden die  Prellerei.  Während jene auf die Notlage des Gegners spekuliert, so diese auf seine Unkenntnis des wahren Preises oder auf seine Unlust, das Mißverhältnis zwischen diesem und dem geforderten Preise zum Gegenstand unerquicklicher Verhandlungen zu machen.
    2) Die Bezeichnung "caput" für die Darlehenssumme (im Sinne der Hauptsache gegenüber den Zinsen als der Nebensache) entstammt der späteren römischen Kaiserzeit. Wie jener Ausdruck caput, so involvieren auch die heutigen: Kapitalien, Kapitalist die ökonomische Verwertung des Geldes mittels Zinsen; wo wir sie nicht im Sinne haben, sprechen wir von Geld. Die Bestimmung des Kapitals ist, Zinsen zu tragen, Kapitalist im eminenten Sinn ist derjenige, der von seinen Zinsen (Renten, daher Rentier) leben kann.
    3) Der gegenwärtige Zeitpunkt scheint diese meine Behauptung widerlegen zu sollen. In Paris hat die Schürung des Nationalhasses gegen Preussen durch die Presse neben den sonstigen Ausbrüchen, in denen er sich ergeht, auch zu dem Plakat an manchen Läden geführt: on ne vend pas aux Prussiens. [Kein Verkauf an Preußen!] Ich kann darin nur eine törichte Demonstration erblicken, welche wie so viele die Unmöglichkeit ihrer praktischen Ausführung auf der Stirn trägt. Wird irgend einer der Demonstranten einen Käufer, dem er den Deutschen anmerkt, fragen: ob er Preusse, Bayer, Österreicher sei? Die Macht des Geldes wird sich auch in diesen Läden geltend machen, und jene Plakate werden weder allgemein werden, noch sich erhalten.