cr-2O. WeidenbachH. PichlerG. TeichmüllerD. HumeFrischeisen-Köhler    
 
HANS RAECK
Der Begriff des Wirklichen
[Eine psychologische Untersuchung]
[1/2]

"Was den Gegensatz zwischen Bewußtseinszuständen und Körpern angeht, so hat  Hume  anzugeben versucht, was für Ursachen uns veranlassen, an die Existenz von Körpern zu glauben, wobei er im Besonderen fragt, warum wir Gegenständen  dauernde  Existenz und warum wir ihnen eine  gesonderte  Existenz, d. h. eine Existenz außerhalb von uns und unabhängig von uns beilegen und er hat daran bemerkenswerte psychologische Betrachtungen über den Skeptizismus in Bezug auf die Sinne geknüpft."

"John Stuart Mill  will  Hamilton  gegenüber zeigen, daß der Glaube an eine äußere Welt nicht intuitiv, sondern erworben ist. Dieser Glaube soll in der Meinung bestehen, daß unsere Vorstellungen etwas betreffen, was existiert, wenn wir nicht daran denken, was existierte, ehe wir jemals daran gedacht haben, und existieren wird, wenn wir nicht mehr sind, und ferner, daß Dinge existieren, welche niemals durch Jemanden wahrgenommen werden."


Thesen
    I. Wenn  Hume  noch so sehr die Unmöglichkeit, den Glauben an eine unabhängige dauernde Existenz einer Außenwelt auszurotten, betont, so führen seine Betrachtungen doch nicht über den Punkt des Phänomenalismus hinaus.

    II. Alle Aussagen können dahin aufgefaßt werden, daß darin Eigentümlichkeiten des augenblicklichen Bewußtseinszustandes des Aussagenden zum Ausdruck kommen.

    III. Was bei einer Aussage einem einzelnen Wort entspricht, kann als der Begriff, den der Aussagende augenblicklich mit dem Wort verbindet, bezeichnet werden.

    IV. Es ist möglich und im Interesse der Klarstellung der Sachlage auch angezeigt, die Gesamtheit der Bewußtseinszustände mindestens vorläufig, wenn nicht endgültig, zu beschreiben, ohne mit Wirklichem außerhalb von Bewußtseinszuständen zu rechnen.

    V. Mag man auch "Selbstlosigkeit" für das sittliche Verhalten als wesentlich erklären, so darf man daraus noch nicht folgern, die Handlungsweise eines Menschen, der bloß mit Zuständen des eigenen Bewußtseins rechnet, könne nicht sittlich sein.

Soviel auch mit dem Wort  wirklich  von zahlreichen Philosophen und anderen Gelehrten operiert worden ist, die Frage, was es im Bewußtsein ist, das von Wirklichem sprechen läßt, ist bisher selten aufgeworfen und noch nicht genügend beantwortet worden.

I.

Positives liefert zu diesem Problem zuerst BERKELEY. Er behauptet: wenn Empfindungsinhalt existierend gedacht werden, so sei das nur ein Ausdruck dafür, daß man die und die Empfindung hat (1); wenn ihnen aber eine selbständige Existenz "außerhalb des Geistes", wie er sich ausdrückt, zugeschrieben wird, so hat das überhaupt keinen Sinn (2); es handle sich dabei eben nur um Empfindungen, die sich von sonstigen Seelenzuständen, nämlich den Vorstellungen, bloß durch Lebhaftigkeit, Bestimmtheit und Beständigkeit auszeichnen, sowie dadurch, daß sie nach gewissen Regeln eintreten, die vom Belieben des Empfindenden unabhängig sind (3). Die sich dem gegenüber aufdrängende Frage aber, wie es denn zu jenen sinnlosen Aussagen kommen kann, beantwortet er ganz ungenügend. Er bemerkt dazu nur, die Menschen wüßten, daß sie nicht Urheber ihrer Empfindungen sein können, da dieselben nicht von ihrem Willen abhängen, und sie nähme infolgedessen an, die Objekte ihrer Wahrnehmung existierten unabhängig vom Geist, ohne den in einem solchen Gedanken liegenden Widerspruch zu sehen. (4) Abgesehen davon aber, daß BERKELEY nicht darauf eingeht, inwiefern für die Menschen eine psychologische Notwendigkeit vorliegt, eine Wahrnehmung, als deren Urheber der Wahrnehmende nicht gelten kann, durch etwas von ihm Verschiedenes hervorgebracht zu denken, wird bei ihm nicht klar, welche psychologische Umstände dieses vom Menschen Verschiedene in der Gestalt des Objekts jener Wahrnehmung erscheinen lassen. Übrigens wird sich schon seine zuerst erwähnte Behauptung als nicht allgemeingültig erweisen.


II.

Gründlicher geht HUME auf die obige Frage ein, freilich auch nicht so, daß er die volle Erledigung derselben zusammenhängend vorgenommen hätte.

Zunächst (5) betont er in seinem "Traktat über die menschliche Natur" nur, daß jeder Eindruck (6) und jede Vorstellung (7), von welchem oder welcher wir eine Bewußtsein oder Gedächtnis haben, als existierend vorgestellt wird. Bei Eindrücken, soweit sie Empfindungen sind, ist hier nach HUME im allgemeinen an das zu denken, was mit "äußeren Gegenständen" gemeint ist. Er sagt nämlich gleich darauf, wir nehmen im allgemeinen nicht an, die äußeren Objekte seien von unseren Perzeptionen spezifisch verschieden. Danach rechnet er mit Momenten, wo es beim Vorhandensein eines Empfindungsinhaltes für das Bewußtsein von Existierendem sein Bewenden hat. Es handelt sich da um Fälle, für die auch BERKELEYs erste Bemerkung zutriff, wo man tatsächlich z. B. mit der Aussage, daß der Schreibtisch, an dem man sitzt, existiert. nichts weiteres meint, als daß man gewisse Gesichts- und vielleicht auch, insofern man etwa den Arm auflegt, Tastempfindungen hat.

Die besondere, unbestrittene Eigentümlichkeit der Empfindungen gegenüber de Vorstellungen charakterisiert HUME ebenfalls ganz ähnlich wie BERKELEY, nämlich durch größere Stärke und Lebhaftigkeit (8). Während aber BERKELEY solche Ausdrücke nur für die erwähnte Unterscheidung verwendet, gebraucht sie HUME in seinem Traktat außerdem, um innerhalb der Vorstellungen die Erinnerungen und die sonstigen auf nicht gegenwärtiges Wirkliches gehenden Vorstellungen im Gegensatz zu den Phantasievorstellungen zu kennzeichnen (9). Bei BERKELEY konnte die Benutzung jener Ausdrücke als ein Versuch angesehen werden, die allbekannte Eigentümlichkeit der Empfindungen, so wie sie im Bewußtsein vorliegt, mit Worten so gut wie möglich zu beschreiben, ohne daß von dem sonst etwa feststehenden Sinn des einzelnen Wortes ein bindender Schluß auf die Meinung des Verfassers gezogen werden dürfte. Bei HUME liegt die Sache infolge der angeführten weiteren Verwendung der fraglichen Ausdrücke anders. HANS CORNELIUS (10) will in dieser Verwendung einen direkten Widerspruch finden. Derselbe wäre etwa dahin zu formulieren, nach HUME wären besonders lebhafte Bewußtseinszustände unbedingt Empfindungen und doch wieder nicht unbedingte Empfindungen. Ein solcher Widerspruch läßt sich jedoch beheben, wenn man der Auffassung beitritt, man könne sich die Empfindungen mit den Vorstellungen von Wirklichem und den Phantasievorstellungen nach dem Grad, in welchem sie die fragliche Eigentümlichkeit besitzen, in eine Reihe geordnet vorstellen, auf welcher zwei Grenzpunkte vorhanden sind, jenseits deren nur Bewußtseinszustände der ersten, bzw. letzten Art und zwischen denen nur solche der zweiten Art anzutreffen sind. Wollte man dabei freilich enifach in Intensitätsunterschiede im gewöhnlichen Sinn des Wortes denken, wie es z. B. HANS CORNELIUS an obigen Stellen tut, so wäre HUMEs Anschauung mit dem Hinweis darauf widerlegt, daß schon bei Empfindungsinhalten die geringste Intensität vorkommen kann. Für eine solche Auffassung könnte man direkt das  more intense  auf Seite 556 anführen. Doch wäre schon da zu bedenken, daß dem  intense  das Wort  present  vorhergeht. Weshalb sollte dieses Wort hinzugefügt sein, wenn tatsächlich nur  more intense  gemeint wäre? Man könnte etwa sagen, die Terminologie habe für HUME nicht so fest gestanden, daß nur das eine Wort  intense  für das Gemeinte in Betracht gekommen wäre. Das ist jedoch nicht wahrscheinlich, da HUME in diesem Zusammenhang, in welchem zweifelsohne von Intensitätsunterschieden die Rede ist (11), stets von  degrees of quality  spricht, ohne mit dem Ausdruck zu schwanken. Im Besonderen steht hier auch nicht  degrees of force or vivacity [Grade von Stärke und Lebendigkeit - wp] Es hätte HUME ein Abwechseln mit diesem Ausdruck nahe gelgen, falls er für ihn nichts anderes als jener zu bedeuten gehabt hätte.

Wenn ferner auch an den Stellen, wo HUME bloß verschiedene Grade von Stärke und Lebhaftigkeit als Unterscheidungsmerkmal zwischen Empfindungen, Wirklichkeits- und Phantasievorstellungen geltend macht, die Auffassung dieser Grade als Intensitätsstufen nicht schlechthin ausgeschlossen ist, so darf man doch bei der Betrachtung dieser Stellen nicht stehen bleiben, da HUME selber am Schluß des seinem Werk beigegeben Anhangs ausdrücklich erklärt, er müsse seine früheren Äußerungen dahin ergänzen, daß Vorstellungen desselben Objekts sich nicht bloß durch Lebhaftigkeit unterscheiden könnten. Selbst wenn er zunächst bei Lebhaftigkeit geradezu an das, was jetzt Intensität heißt, nachgedacht hätte, dürfte das somit nicht als seine endgültige Anschauung hingestellt werden.

Im Anhang über den Glauben und einer größeren für einen der früheren Abschnitte gegebenen Ergänzung (12) ist dann auch formell und materiell HUMEs Ausdrucksweise in Bezug auf den fraglichen Punkt im allgemeinen nicht die gleiche wie an den früher geschriebenen einschlägigen Stellen. Die Sicherheit, mit welcher vorher die erwähnte Charakteristik gegeben wurde, ist verloren gegangen, er ringt jetzt nach Worten, ohne, wie er selbst sagt, einen ganz adäquaten Ausdruck für das finden zu können, was er im Sinne hat - angesichts der Klarheit, mit der er am Anfang seiner Schrift von  degrees of quality  spricht, ein weiteres Zeichen, daß er dabei nicht den einfachen Intensitätsunterschied meinen kann. Wie BERKELEY neben der Lebhaftigkeit die Bestimmtheit und Beständigkeit als Eigentümlichkeit der Empfindungen gegenüber den Vorstellungen anführt, so spricht jetzt auch HUME von einer größeren Festigkeit (13), die die Wirklichkeitsvorstellungen vor den Phantasievorstellungen voraus haben, und betont zugleich, daß insofern eine Annäherung an einen unmittelbaren Eindruck stattfindet, womit er auch für die Empfindung dieses Merkmal als charakteristisch hinstellt.

Der Einwand ist nicht angängig, HUME huldige mit LOCKE der Überzeugung, daß jede Phantasievorstellung im Ganzen oder zumindest in ihren Teilen auf eine Empfindung zurückverweist, die früher im Bewußtsein gewesen ist, daß also jede Phantasievorstellung im Ganzen oder in ihren Teilen denselben Ursprung hat wie irgendeine andere Vorstellung, die sich als Erinnerung darstellt; danach müßte jede Phantasievorstellung dieselbe Lebhaftigkeit, Stärke und Festigkeit zeigen, wie diesen andern Vorstellungen. HUME könnte darauf antworten, es sei nicht seine Meinung, daß die Natur einer Vorstellung als Abbild einer früheren Empfindung unbedingt das Bewußtsein von dieser ihrer Rolle mit sich bringt, es müßten vielmehr besondere Umstände hinzutreten, damit das zutrifft. Einen Punkt, der hierbei mitspricht, hat er ausdrücklich erwähnt: Es dürfe zwischen der früheren Empfindung und dem Moment der Reproduktion kein zu langer Zeitraum liegen (14). HANS CORNELIUS beachtet hier nicht, worauf HUME hinauswill. Mit Bezug auf HUMEs Bemerkung, Gedächtnisvorstellungen seien oft so schwach und blaß, daß wir nicht bestimmen können, ob es sich um eine Erinnerung oder um eine Phantasievorstellung handelt, und umgekehrt könne eine Phantasievorstellung eine solche Stärke und Lebhaftigkeit gewinnen, daß sie für eine Gedächtnisvorstellung gehalten wird, betont er (15), daß also doch Gedächtnisvorstellungen in geringer, und Phantasievorstellungen, welche jenen in großer Stärke und Lebhaftigkeit gleichstehen. Dabei ist der Unterschied, ob die betreffende Vorstellung sich anderweitig durch ihre Beschaffenheit dem Bewußtsein nachträglich als Erinnerung ausweist oder als Erdichtung, übersehen. Wie so eine Vorstellung, die sich unmittelbar als Phantasievorstellung darstellt, schließlich doch als Erinnerung gelten, und wie das Umgekehrte vorkommen kann, hat HUME freilich nicht auseinandergesetzt; daß beides vorfällt, läßt sich aber nicht leugnen.

In der später geschriebenen "Untersuchung über den menschlichen Verstand" gebraucht HUME bei der Beschreibung des für Vorstellungen, die auf Wirkliches gehen, charakteristischen Glaubens sofort beiderlei Ausdrücke (16). Zur Charakterisierung der Eindrücke gegenüber den Vorstellungen benutzt er wieder nur die erste Gruppe (17).

Stellung zu nehmen ist zunächst bloß bezüglich des letzten Punkts. Da meine ich nun, man sollte dabei stehen bleiben, mit Empfindungen, Gefühlen und Vorstellungen als besonderen, letzten Bewußtseinstatsachen zu rechnen; etwaige Umschreibungen sollten nur soweit vorgenommen werden, als nicht vorausgesetzt werden darf, daß der Hörer oder Leser bei jenen Worten ohne weiters an das denkt, was gemeint ist, und es darauf ankäme, ihn auf Umwegen dazu zu bringen.

Außer jedem Empfindungsinhalt wird, wie gesagt, jede Vorstellung nach HUME als existierend gedacht. Daneben steht bei ihm der Satz:
    "An irgendetwas einfach denken und an etwas als an ein Existierendes denken, das sind nicht zweierlei Dinge." (18)
HANS CORNELIUS will diesen zweiten Ausspruch nicht gelten lassen. Er denkt bei Existierendem stets an irgendwann einmal existierende Empfindungsinhalte. (19) Diese Auffassung ist aber nicht notwendig. Die natürliche ist doch die, wonach HUME hier bezüglich der Vorstellungen Analoges gemeint hat, wie bezüglich der Empfindungen. Bei diesen aber handelt es sich hier nur um den auf sich selber beschränkten Bewußtseinstatbestand. Wenn derselben von einem Wirklichen sprechen läßt, so soll dabei seine Eigentümlichkeit gegenüber dem bei Vorstellungen Gegebenen nichts ausmachen; es sind ja hier immer Empfindungen mit Vorstellungen zusammen genannt. An dieser Eigentümlichkeit kann es also auch nicht liegen, daß ursprünglich im Hinblick auf Empfindungen nicht von wirklichen Bewußtseinszuständen, sondern von wirklichen Dingen die Rede ist, daß also nicht sie selber wirklich heißen, sondern ihr Inhalt es heißt. Dann ist aber auch nichts dagegen zu sagen, daß bei Vorstellungen, soweit sie überhaupt von  wirklich  sprechen lassen, dasselbe gilt, daß also ebenfalls nicht sie selber "wirklich" heißen, sondern ihr Inhalt heißt es. Freilich hat man da zweierlei Wirkliches, das wohl am besten mit den Bezeichnungen leibhaftig einerseits und schemenhaft, schattenhaft andererseits belegt werden kann. HUME hätte, wenn das seine Meinung war, darauf hinweisen sollen, wie sich der charakteristische Unterschied zwischen Empfindungen und Vorstellungen auf die Dinge, die man in diesen Bewußtseinszuständen als existierend denkt, überträgt.

Im weiteren Verlauf der in seinem Traktat angestellten Untersuchungen kommt HUME auf verschiedene besondere Fälle zu sprechen, in denen das Wort  wirklich  zur Bezeichnung eines vorliegenden Bewußtseinstatbestandes verwendet wird.

Durch die Frage, wie Schlüsse in Bezug auf Tatsachen zustande kommen, wird er auf die Erörterung der Natur des Glaubens geführt (20). Wie schon erwähnt, findet er das Charakteristische desselben in einer den betreffenden Vorstellungen anhaftenden Lebendigkeit, Stärke und Festigkeit, welche geringer ist, als bei Empfindungen, aber größer, als bei irgendwelchen Phantasievorstellungen. Diese Eigentümlichkeit wurde oben nur soweit besprochen, als zum Ausschluß der Auffassung derselben als eines bloßen besonderen Intensitätsgrades hinreichte. Es ist aber CORNELIUS darin Recht zu geben, daß HUMEs Aussagen über jene Eigentümlichkeit nicht ohne weiteres einen eindeutig bestimmten Sinn liefern (21). Namentlich ist im Hinblick auf die gegenwärtig herrschende Terminologie zu fragen, ob HUME dabei an irgendwelche Unterschiede der Vorstellungsinhalte selber oder an Gefühlsunterschiede gedacht habe. Im letzten Fall möchte man wissen, ob es sich um Lust- oder Unlustgefühle oder etwa ein eigenartiges Gemisch von beiderlei Gefühlen handelt. Auf diese Fragen ist nun bei HUME keine ausdrückliche Antwort zu finden; er hat sie sich selber jedenfalls nicht gestellt, sondern sich damit begnügt, daß beim Glauben etwas Einzigartiges vorliege, für das eben nur das besondere Wort  Glaube  der ganz angemessene Ausdruck ist. (22) Dieser Glaube ist nach HUME das gemeinsame Merkmal der auf nicht gegenwärtiges Wirkliches gehenden Vorstellungen. Was des Näheren zuerst die Erinnerungen betrifft, so ist zu beachten, daß es HUME nur auf das Wesen des Glaubens ankommt. Die Beziehung auf einen vergangenen Moment nimmt er auch in dem Fall als vorhanden an, welcher mit der Sachlage, bei der ein Glauben stattfindet, in einen Vergleich gesetzt wird; das eine soll sich ja vom andern nur dadurch unterscheiden, daß der Glaube fehlt, der das andere Mal da ist. So wird es erklärlich, daß er auf die psychologische Sachlage, die bei jener Beziehung stattfindet, nicht eingeht. Damit wird der Einwurf von CORNELIUS (23) erledigt, die Stärke und Lebhaftigkeit einer für sich betrachteten Vorstellung könne niemals über das Vorhandensein irgendeiner Relation derselben zu anderen gegenwärtigen, vergangenen oder zukünftigen Vorstellungen Aufschluß geben. HUME will das Vorhandensein des Bewußtseins von einer solchen Relation neben dem in der besagten Weise charakterisierten Bewußtsein, welches die betreffende Vorstellung zum Gegenstand hat, durchaus nicht leugnen; sein Gedankengang führte ihn nur nicht dazu, dasselbe hervorzuheben. (24)

Bei den auf Wirkliches gehenden Vorstellungen weiter, die nicht Erinnerungen sind, ist das betreffende Wirkliche entweder als solches nicht gegenwärtig, wenn auch auf die Gegenwart bezogen, oder überhaupt nicht auf die Gegenwart, sondern auf die Vergangenheit oder Zukunft bezogen, ohne daß bei der Beziehung auf die Vergangenheit ein Bewußtsein vorhanden wäre, nach dem seiner Zeit ein Erleben der Gegenwart des in Rede stehenden Wirklichen stattgefunden hätte. Es fragt sich vor allem, wodurch diese Vorstellungen von den Erinnerungen unmittelbar fürs Bewußtsein unterschieden sind. HUME sagt in erster Linie von ihnen anders als bei Gedächtnisvorstellungen nur etwas aus, was die Herkunft der besonderen Stärke und Festigkeit betriff, ohne auszuführen, wie weit damit etwa für das unmittelbare Bewußtsein ein Unterschied gegeben ist: Sie sollen zu einem gegenwärtigen Eindruck in Beziehung stehen oder an denselben assoziiert (25) sein. Zu den Eindrücken will er hier nach einem späteren Zusatz (26) auch die Erinnerungen gerechnet wissen. Wie die Gedächtnisvorstellungen ihre gleichartige Beschaffenheit nach HUME dem Umstand verdanken, daß ihnen die Lebhaftigkeit, Stärke und Festigkeit der ursprünglichen Empfindungen, von denen sie sich herschreiben, einigermaßen noch anhaftet, so soll den jetzt ins Auge gefaßten Vorstellungen von einem Eindruck, der sie nach Assoziationsgesetzen ins Bewußtsein führt, Energie zufließen. Daß sich die assoziative Beziehung allemal, wenn sie überhaupt vorhanden ist, im Bewußtsein als solche irgendwie bemerkbar macht, wird von HUME nicht gesagt. Nimmt man es an, so möchte man jedenfalls dasselbe Charakteristikum auch allen Erinnerungen zuschreiben, da deren Auftreten durch dieselbe Art Assoziationen wie das jener Vorstellungen bedingt ist. Ein Unterschied zwischen beiderlei Vorstellungen wäre damit also auch nicht ohne weiteres gewonnen. In einem späteren Abschnitt (27) seines Traktats freilich macht HUME für die beregten Vorstellungen ein Moment geltend, welches sicher eine neue Bestimmtheit des Bewußtseins in sich schließt, nämlich: Wir können ihren Inhalt nicht ohne einen fühlbaren Zwang (28) in anderen Beziehungen als den uns geläufigen vorstellen. Jedenfalls läßt der so gegebene Bewußtseinszustand eine Art Beeinträchtigung und damit etwas Unangenehmes empfinden. Es liegen dabei nicht bloß Vorstellungsinhalte und Beziehungen zwischen solchen vor, sondern ein Gefühl in dem Sinn, der mit diesem Wort in der heutigen Psychologie allgemein verbunden wird, und zwar ein Gefühl der Unlust. Dieses psychologische Merkmal schreibt HUME nun Erinnerungen zu. Allerdings ist es als seine Meinung anzusehen, daß im allgemeinen auch deren Inhalt sich in bestimmten Beziehungen zeigt. Aber es liegt in ihrer Natur nicht ein Moment, welches HUME meist als wesentlich für das Wirklichkeitsbewußtsein bei Vorstellungen der in Rede stehenden Art hinstellt: Dieselben müssen häufig im Bewußtsein wiedergekehrt sein, damit ihnen die charakteristische Lebhaftigkeit, Stärke und Festigkeit in einem merklichen Grad zukommt. So spricht HUME auch an der obigen Stelle von einer durch die Erfahrung zustande kommenden Gewohnheit als Grundlage für das beregte Zwangsgefühl. Jene Häufigkeit ist aber für die Beschaffenheit einer Vorstellung, welche sie Erinnerung nennen läßt, durchaus nicht vonnöten.

Genauer wäre über das Verhältnis zwischen den verschiedenen Vorstellungen Folgendes zu sagen. Die Vorstellungen, von denen jetzt gehandelt wird, sind ja ihrer Natur nach, ebenso wie die Elemente der Phantasievorstellungen, allemal Erinnerungsvorstellungen oder aus solchen zusammengesetzt, nur daß wie bei jenen so auch bei ihnen kein Bewußtsein davon vorhanden ist. Auch im einzelnen Fall, dessen mehrfache Wiederholung dazu führt, schließliche eine Vorstellung der neuen Art entstehen zu lassen, wird sich die Vorstellung nicht dem Bewußtsein als Erinnerungsvorstellung darstellen dürfen. Denn dann hätte sie ja von daher schon die besondere Lebhaftigkeit, die sich erst bei einem mehrfachen Auftreten ergeben soll, und man müßte auch schließlich bei ihr den Eindruck einer Erinnerung haben. Vielmehr wird in einem solchen Fall die Vorstellung dem unmittelbaren Bewußtsein als Phantasievorstellung, als ihr Inhalt sich jedesmal in einer gewissen Art an den Inhalt von gegenwärtigen Eindrücken angeschlossen zeigt. Diese Phantasievorstellungen würden, eine je häufigere Wiederkehr von schon im Bewußtsein Gewesenen bei ihnen vorläge, umso mehr Lebhaftigkeit, Stärke und Festigkeit besitzen und auch ein umso merklicheres Zwangsgefühl gegenüber dem Versuch, ihre Beziehungen in Gedanken zu ändern, mit sich führen.

Ganz durchgehend hält jedoch HUME selber nicht an der Bedingung des öfteren Auftretens eine Vorstellung dafür, daß ihr Inhalt den Charakter von nicht gegenwärtigem Wirklichen annimmt, fest. Zwar nicht in dem Zusammenhang, aus welchem die letzte Stelle entnommen wurde, aber in einem späteren (29) spricht er aus, daß der Geist, einmal am Zug, Gleichförmigkeit unter den Gegenständen zu beobachten, natürlicherweise damit fortfährt, bis er die Gleichförmigkeit in eine möglichst vollkommene verwandelt hat. Hier wird mit einer Eigentümlichkeit des menschlichen Geistes gerechnet, welche über das Gewohnheitsprinzip als Erklärungsgrund für jeden einzelnen Fall, wo an nicht gegenwärtig Wirkliches geglaubt wird, hinausführt. Danach kann ein einmaliges Vorhandensein einer Verknüpfung oder Beziehung zwischen Gegenständen im Bewußtsein genügen, damit bei der Wiederkehr des einen die andern in Gedanken als zu  einem  Komplex mit ihm gehörig ergänzt werden. Es muß dann schon bei einmaliger Reproduktion einer Vorstellung die charakteristische Eigentümlichkeit der besonderen Lebhaftigkeit und Festigkeit und das in der angegebenen Weise bedingte Zwangsgefühl auftreten. Bezüglich des ersten Punkts ist dann aber gar kein Unterschied im Vergleich mit der Herkunft derselben Eigenart bei Erinnerungen. Da sollte man meinen, es müßte auch für den zweiten Punkt in beiden Fällen dasselbe gelten.

Was sich damit nahe legt, die Unzulänglichkeit jenes Gefühls für die bewußte Unterscheidung der übrigen auf Wirkliches gehenden Vorstellungen von den Erinnerungen, drängt sich übrigens auch abgesehen davon insofern auf, als das erwähnte Zwangsgefühl einerseits nicht immer bei den fraglichen Vorstellungen, andererseits manchmal auch bei Erinnerungen anzutreffen sein wird. Der Versuch, die vorliegenden Beziehungen der Inhalte von Vorstellungen in Gedanken zu ändern, bei dem es auftreten soll, wird ja nicht bei jeder jener Vorstellungen gemacht. Nur sofern er gemacht wird, soll sich aber jenes Gefühl einstellen. Es wird also Fälle geben, wo die fraglichen Vorstellungen desselben entbehren. Und wenn es für eine Erinnerung auch nicht wesentlich ist, daß ihr Inhalt vor dem in Rede stehenden Moment mehrfach im Bewußtsein vorhanden gewesen sei, so kommt das doch öfters vor; dann kann aber ebenso von einer Gewohnheit gesprochen werden, wie bei den anderen Vorstellungen, und die von HUME für das Entstehen des besagten Zwangsgefühls angegebenen Voraussetzungen sind dann gleichermaßen erfüllt. Was sich also aus HUME als Unterscheidungsmerkmal zwischen Erinnerungen und sonstigen Vorstellungen, deren Inhalt auf Wirkliches bezogen erscheint, herauslesen läßt, ist doch nicht in allen Fällen ein solches; man bekommt von HUME darüber, wie sich die einen im Gegensatz zu den andern für das unmittelbare Bewußtsein ausnehmen, keine befriedigende Auskunft. Dagegen ergibt sich, daß manchmal beiderlei einen gewissen besonders scharf ausgeprägten Charakter trägt. Derselbe wird unten bei LIPPS noch weiter Gegenstand der Betrachtung sein.

Im Übrigen ist zu den zuletzt besprochenen Ausführungen HUMEs Folgendes endgültig zu bemerken.

Hauptsächlich ist der Unterschied zu beachten, der zwischen einem Bewußtseinstatbestand in den Fällen herrscht, wo im Moment des Glaubens an den Gegensatz zu bloßem Vorstellen nicht gedacht wird, und in den Fällen, wo das geschieht.

Bei der ersten Gruppe von Fällen handelt es sich um Zustände, wie sie in jedem Bewußtsein zumindest dann und wann vorkommen, wo gar nicht reflektiert, sondern nur hingenommen wird, was sich dem Bewußtsein darbietet. Nur bei einer nachträglichen Analyse des Bewußtseinsinhaltes solcher Augenblicke ist das Wort  Glaube  am Platz. Achtet man dann bloß auf den Tatbestand des Augenblicks selber, so ist nur festzustellen, daß das und das Vorstellungscharakter Tragende den Gegenstand des Bewußtseins bildet. Vergleicht man aber den Tatbestand eines solchen Augenblicks mit dem eines andern, in welchem mit Bezug auf denselben Moment oder einen andern eine Erdichtung vorliegt, so läßt sich ein gewisser Unterschied wahrnehmen. In  jenen  Augenblicken, deren Vorstellungsinhalt für wirklich, aber nicht für gegenwärtig wirklich gilt, ist kein Bewußtsein vorhanden von einer Disharmonie zwischen ihrem Vorstellungsinhalt und einem gewissen Komplex von Vorstellungsinhalten, welcher, als Welt der sinnlich wahrnehmbaren Dinge bezeichnet, in  diesen  Augenblicken die Seele neben den fraglichen Vorstellungen mit dem Bewußtsein erfüllt, daß der Inhalt der fraglichen Vorstellungen in ihn nicht hineinpaßt. Als besonderer Fall kann vorkommen, daß der Vorstellungsinhalt eines  jener  Augenblicke selber schon das Ganze, "die Welt", ausmacht, mit dem in  diesen  Augenblicken der fragliche Inhalt sich nicht in Übereinstimmung zeigt. Wenn bei einer Erdichtung zu der Zeit, wo an sie gedacht wird, kein Bewußtsein von einer solchen Inkongruenz vorhanden ist, so liegt auch kein Bewußtsein von Erdichtetem vor, vielmehr muß dann ebensogut von Wirklichkeitsbewußtsein gesprochen werden, wie man es bei jeder Empfindung tut, wenn sich nur kein Disharmoniebewußtsein der erwähnten Art daran knüpft, z. B. auch bei Halluzinationen.

Anders liegt die Sache bezüglich besonderer Eigentümlichkeiten des Bewußtseinszustandes, welcher von Glauben reden läßt, wenigstens teilweise dann, wenn im fraglichen Moment der Gegensatz des ins Auge Gefaßten zu nur Vorgestelltem erkannt wird. Es sind da wieder noch zwei Fälle zu unterscheiden. Im einen Fall zeigt sich der Selbstbeobachtung jeder in Betracht kommende Vorstellungsinhalt nur einfach, im andern doppelt und zwar so, daß jeder Doppelgänger zu einem im ersten Fall allein vorhandenen als diesem entsprechender Inhalt für die Zeit und den Ort gilt, in welche bei der Beschreibung des vorliegenden Bewußtseinstatbestandes das nicht gegenwärtige Wirkliche, von dem dabei die Rede ist, versetzt wird.

Im zweiten Fall ist auch Bewußtsein vom obigen Gegensatz möglich, ohne daß die einschlägigen Vorstellungsinhalte eine besondere Eigentümlichkeit nach Art der von HUME angeführten zu haben brauchten. Der Unterschied zwischen Wirklichem und nur Vorgestelltem ist da hinreichend damit charakterisiert, daß zugleich mit dem Bewußtsein, ein vorliegender Vorstellungsinhalt oder Komplex von Vorstellungsinhalten komme im großen Komplex "Welt" vor, auch daran gedacht wird, wie manchmal dieselbe Welt neben dem gerade ins Auge gefaßten Vorstellungsinhalt Gegenstand der Aufmerksamkeit ist, jedoch ohne daß dieser Vorstellungsinhalt in ihr anzutreffen ist. Eine bestimmte Sachlage hat man damit freilich nur, wenn man an solche Fälle denkt, wo kein Entscheid zwischen Erinnerlichem und sonstigem als wirklich Geltendem für das Bewußtsein getroffen ist. Sonst ist außerdem das Vorhandensein oder Fehlen eines besonderen Erinnerungscharakters des Vorgestellten zu bemerken, einer eigenartigen Färbung, die nicht auf Komplikationen sonstiger Qualitäten oder Intensitätsstufen zurückgeführt werden kann.

Nun kommt es aber auch vor, daß die in Betracht gezogenen Vorstellungsinhalte in einem berücksichtigten Augenblick nur einfach, nicht doppelt, im Bewußtsein sind. Wenn dann doch ein Bewußtsein von Wirklichem im Gegensatz zu nur Vorgestelltem bestehen soll, so muß es schon etwas sein, das die Vorstellungsinhalte begleitet und von dem man zugleich weiß, daß es andere Male die Vorstellungsinhalte nicht begleitet, was jenem Bewußtsein zugrunde liegt. Insofern man in einer solchen Lage von  Glauben  im Gegensatz zum  Erdichten  spricht, kann das Besondere sicherlich durch das Wort "Glaube" bezeichnet werden. Die Entscheidung darüber, wie das Wesen desselben zu beschreiben ist, muß der weiteren historisch-kritischen Erörterung vorbehalten bleiben.

Übrigens hat man auch hier wieder wie vorher eine bestimmte Sachlage mit dem Angeführten nur, wenn man annimmt, daß unbestimmt bleibt, ob eine Erinnerung oder ein sonstiges Bewußtsein von nicht gegenwärtigem Wirklichen in Frage kommt. Wo im Besonderen eine Erinnerung vorliegen und als solche erkannt sein soll, da muß der Vorstellungsinhalt noch wieder eine besondere Erinnerungsfärbung zeigen.

Ferner ist HUMEs Aufstellung gegenüber in Betracht zu ziehen, daß durchaus nicht immer ein "Glaube" mitspielt, wenn Wirklichkeitsbewußtsein vorliegt, ohne daß ein Bewußtsein von gegenwärtigem Wirklichen vorhanden ist. Es gilt das von solchen Urteilen, in denen eine Zusammenfassung oder Sonderung oder eine Vergleichung zum Ausdruck kommt. Bei der Vergleichung verdient namentlich der Fall Erwähnung, wo ein Bewußtseinsinhalt mit anderen verglichen wird, die alle im Hinblick auf gewisse gemeinsame Eigenschaften mit demselben Namen belegt erscheinen; führt die Vergleichung zu dem Resultat, daß jener Bewußtseinsinhalt eben diese Eigenschaften hat, so kommt es zu einem demgemäßen Benennungsurteil. Auch bei diesen Urteilen hat man ein Bewußtsein der Wirklichkeit. Als geglaubt gilt aber die betreffende Aussage nur, wenn schließlich keine volle Gewißheit darüber erlangt ist, ob die ihr zugrunde liegende Frage zu bejahen ist. Unter Umständen ist jedoch der Urteilende seiner Sache durchaus gewiß. HUME rechnet nun bei seinen hierher gehörigen Äußerungen nur mit solchen Sachlagen, in denen es sich um Glauben handelt. Er hat also nicht jedes Urteil und jedes bei einem solchen mitspielende Wirklichkeitsbewußtsein berücksichtigt.

Was den Gegensatz zwischen Bewußtseinszuständen und Körpern angeht, so hat HUME anzugeben versucht, was für Ursachen uns veranlassen, an die Existenz von Körpern zu glauben, wobei er im Besonderen fragt, warum wir Gegenständen dauernde Existenz und warum wir ihnen eine gesonderte Existenz, d. h. eine Existenz außerhalb von uns und unabhängig von uns beilegen und er hat daran bemerkenswerte psychologische Betrachtungen über den Skeptizismus in Bezug auf die Sinne geknüpft (30), von denen noch die Rede sein wird. Aber HUME hat den Bewußtseinstatbestand, der beim Glauben an die Existenz von Körpern stattfindet, nicht als solchen beschrieben.

KANT wurde zwar durch HUMEs Hauptproblem, wie Schlüsse in Bezug auf Tatsachen zustande kommen, zu seiner umfassenden Vernunftkritik angeregt, die hergehörige Nebenfrage nach der Natur des Glaubens hat sich jedoch gar nicht vorgelegt. Seine Äußerungen über die Kategorien der Realität und der Wirklichkeit beziehen sich nur darauf, unter welchen psychologischen Umständen Wirkliches überhaupt in Betracht kommt. Es werden als solche richtig in erster Reihe Empfindungen genannt, in zweiter solche Konstellationen, wo nach den Analogien der Erfahrung Empfindungen anzunehmen wären, falls ein geeigneter Beobachter da wäre. Dagegen ist eine Erörterung des Sinnes, der dem Wort wirklich in seinen verschiedenen Anwendungen zukommt, bei ihm nicht zu finden.


III.

JOHANN GOTTLIEB FICHTE hat sich in seiner Schrift "Sonnenklarer Bericht an das größere Publikum über das eigentliche Wesen der neuesten Philosophie" über den psychologischen Charakter der Wirklichkeit dahin ausgesprochen, er sei Selbstvergessen; d. h. das, worin man sich vertieft, worauf gerade der geistige Blick gerichtet ist, heiße allemal  wirklich (31): Man könne sich entweder in einen Empfindungs- oder Vorstellungsinhalt vertiefen - dann heiße dieser, z. B. ein Tisch, wirklich; oder man können den geistigen Blick auf das Repräsentieren, das Vorstellen eines solchen Inhalts heften - dann heiße das Vorstellen wirklich; das Vorstellen des Vorstellens eines Inhalts könne wieder zu dem werden, worin man sich vertiefe, und sonach als wirklich erscheinen, usw. FICHTE nennt diese verschiedenen Verhaltensweisen erste, zweite und höhere Potenzen des Lebens.

Die erste Potenz hatte BERKELEY im Auge, ohne sie in der Weise, wie FICHTE, zu kennzeichnen. HUME rechnet mit den beiden ersten Potenzen, bringt aber den von FICHTE angegebenen Unterschied nicht klar zum Ausdruck. Andererseits ergibt sich schon aus der Besprechung der betreffenden Äußerungen HUMEs, daß mit den obigen Aufstellungen FICHTEs die Bedeutungen des Wortes "wirklich" keineswegs erschöpft sind, daß manchmal zugleich gewisse Färbungen des fraglichen Bewußtseinsinhaltes oder Bewußtseinszustandes mit dem Wort gemeint sind.


IV.

Eine Seite der hier aufgeworfenen Frage wird von JOHN STUART MILL in dem Kapitel seiner Prüfung der HAMILTONschen Philosophie gestreift, in welchem er HAMILTON gegenüber zeigen will, der Glaube an eine äußere Welt sei nicht intuitiv, sondern erworben. Dieser Glaube soll in der Meinung bestehen, daß unsere Vorstellungen etwas betreffen, was existiert, wenn wir nicht daran denken, was existierte, ehe wir jemals daran gedacht haben, und existieren wird, wenn wir nicht mehr sind, und ferner, daß Dinge existieren, welche niemals durch Jemanden wahrgenommen werden. Nach dem Vorhergehenden hat MILL hier nicht mit dem primitivsten Bewußtseinsbestand, der bei diesem fraglichen Glauben vorliegt, gerechnet, wo man, wie FICHTE sagt, in diesen oder jenen Bewußtseinsinhalt verloren ist. Die angeführte Meinung entspricht einem schon reflektierenden Standpunkt. MILL führt sie auf das Bewußtsein von einem großen Kreis von Wahrnehmungen, deren Möglichkeit mit einer beschränkten Zahl gegenwärtiger Wahrnehmungen gegeben ist, zurück.

Noch mehr reflektierend muß man sich beim Glauben an äußere Ursachen unserer Empfindungen verhalten, wenn dieser Glaube, wie ALEXANDER BAIN (32) will, besagen soll, daß bestimmte Handlungen unseres Willens die Empfindungen ins Spiel bringen oder nach festen Regeln modifizieren.

JULIUS PIKLER führt im ersten Teil seiner "Psychologie des Glaubens an eine objektive Existenz" den Gedanken von JOHN STUART MILL und ALEXANDER BAIN näher aus.

Diesen Ansichten gegenüber hebt STOUT (33) hervor, daß es Fälle gibt, wo die permanente Präsentabilität eines Objekts die objektive Existenz des vorgestellten Inhalts nicht einschließt oder ausmacht. Ein Beispiel dafür ist die Flamme eines angezündeten Streichholzes: Wenn dieselbe auch jederzeit hervorgerufen werden kann, so ist damit doch nicht gesagt, daß sie jederzeit existiert. Die willkürliche Präsentabilität schließt die Existenz nur ein, sofern die Realität des vorgestellten Dings unabhängig vom Wollen ist, durch welches es zur Präsentation kommt. Im Bewußtsein dieser Unabhängigkeit sieht STOUT daher im Gegensatz zu den letzten drei Philosophen das Wesen des Bewußtseins von physischer Realität. Näheres gibt er über den Bewußtseinstatbestand selbst nicht an. Auch er stellt sich vielmehr der Hauptaufgabe, dem Ursprung des Realitätsbewußtseins nachzuspüren. Er findet, es sei erzeugt durch die Beschränkungen, welche der Aufmerksamkeit durch die Natur der bemerkten Objekte und durch die entsprechenden Beschränkungen, die den willkürlichen Bewegungen durch die materiellen Widerstände auferlegt sind (34). STOUT wollte (35) aber die äußere Realität im Besonderen so, wie sie dem gewöhnlichen Bewußtsein erscheint, zum Gegenstand seiner Untersuchungen machen. Da zeigt nun das früher Gesagte, daß das Bewußtsein irgendeiner Unabhängigkeit dafür durchaus nicht wesentlich ist; in den von FICHTE (wie in den analogen von BERKELEY und HUME) betrachteten Fällen kommt so etwas ja gar nicht in Frage. STOUT hat also ebensowenig wie seine Gegner das fragliche Bewußtsein nach der naiven Seite hin weit genug verfolgt. Und was für das Bewußtsein von physischer Realität gilt, das gilt nach den eben erwähnten Darlegungen überhaupt vom Realitätsbewußtsein: Nur in speziellen Fällen hat man es dabei mit einem Bewußtsein der Unabhängigkeit zu tun, wie es STOUT bei seiner Erklärung voraussetzt, ohne es in seine Elemente zu zerlegen.

Auch JAMES behandelt die hier in der Erörterung stehende Frage nur unter dem Gesichtspunkt des Glaubens als eines besonderen Sinnes der Realität (36). Er meint damit das psychische Fundamentalphänomen, welches bei FRANZ BRENTANO (37) Urteil heißt. Dieses tritt nach BRENTANO in jedem Satz zum Subjekt, Prädikat und ihrer Relation als psychisches Verhalten des Geistes gegenüber dem ganzen Satz hinzu. Dasselbe sei etwas ganz Eigenartiges (sui generis), bezüglich dessen nichts weiter auf dem Weg einer psychologischen Analyse ausgemittelt werden könne. Jedenfalls ist damit das gemeint, was HUME  Glauben  nennt. (38)

JAMES richtet sein Augenmerk hauptsächlich auf einen zweiten Punkt, im Wesentlichen denselben, der für KANT beim Wirklichen in den Vordergrund trat, nämlich darauf, unter welchen Umständen jenes eigentümliche Verhalten des Geistes eintritt (39). Hier kommt es auf die betreffenden Einzelheiten nicht an.
LITERATUR Hans Raeck, Der Begriff des Wirklichen, Breslau 1893
    Anmerkungen
    1) GEORGE BERKELEY, Abhandlung über die Prinzipien der menschlichen Erkenntnis, III.
    2) a. a. O. IV
    3) a. a. O. XXX. Er sagt "sinnliche Ideen" statt Empfindungen, "Ideen der Einbildungskraft" statt Vorstellungen.
    4) a. a. O. LXI.
    5) HUME, Traktat über die menschliche Natur, II. 6
    6)  impression,  ein Begriff, der die unmittelbar erlebten, nicht bloß Erlebtem nachgebildeten, Empfindungen und Gefühle umfaßt.
    7)  idea,  Bezeichung für die Nachbildungen von Eindrücken.
    8) a. a. O., Ausgabe von GREEN und GROSE, Bd. I, Seite 312:  force and vivacity. 
    9) a. a. O., Seite 317, 386f und öfter - 396, vgl. 406. HUME faßt diese Vorstellungen als die zusammen, bei denen ein Glauben stattfindet.
    10) HANS CORNELIUS, Versuch einer Theorie der Existenzialurteile, Seite 35, 91f
    11) a. a. O., Seite 323, 373, 381.
    12) a. a. O., Seite 397f eingeschoben.
    13)  steadiness [Stetigkeit - wp], Seite 397,  firmness and strength [Festigkeit und Stärke - wp], Seite 557
    14) a. a. O., Seite 387
    15) a. a. O., Seite 94
    16) Essays, Ausgabe von GREEN und GROSE II, Seite 42: "belief is nothing but a more vivid, lively, forcible, firm steady conception of an objekt, than what the imagination alone is ever able to attain." [Der Glaube ist nichts anderes als eine lebendigere, lebhaftere, stärkere, feste und stetige Vorstellung von einem Gegenstand, als das, was die Phantasie allein jemals zu erreichen imstande ist. - wp]
    17) ebd., Seite 13: different degrees of force and vivacity.
    18) a. a. O. (Treatise II, 6), Seite 370.
    19) a. a. O., Seite 63
    20) Treatise III, 7.
    21) a. a. O., Seite 35
    22) Essays II, Seite 41
    23) a. a. O., Seite 93
    24) Weitere Einwendungen von CORNELIUS gegen HUMEs Äußerungen über die Erinnerungen wurden schon bei der Besprechung des von HUME zwischen Empfindungen, auf Wirkliches gehenden Vorstellungen und Phantasievorstellungen gemachten Unterschiedes zurückgewiesen.
    25) a. a. O., Seite 396
    26) a. a. O., Seite 406
    27) III, 11.
    28) a. a. O., Seite 424; without a sensible violence [ohne eine fühlbare Gewalt - wp]
    29) a. a. O. (IV 2) Seite 488
    30) Traktat IV, 2.
    31) FICHTE, Sonnenklarer Bericht etc. Seite 24 (vgl. Seite 38 oder Werke II, Seite 329f.
    32) ALEXANDER BAIN, Mental and moral science, Seite 197f.
    33) "Mind", Bd. 16, Artikel "belief", § 11.
    34) a. a. O., § 12
    35) "Mind", Bd. 15, Seite 545.
    36) WILLIAM JAMES, "Mind", Bd. 14, Seite 321: sense of reality; vgl. "Principles of psychology" (Bd. II) Kap. 21
    37) FRANZ von BRENTANO, Psychologie vom empirischen Standpunkt, Bd. I, Buch 2, Kapitel 7
    38) vgl. besonders HUME, Traktat, Seite 396, Note 2
    39) a. a. O., Seite 325.