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JULIUS von KIRCHMANN
Über die Gegenständlichkeit
der in den Sinneswahrnehmungen
enthaltenen Eigenschaften der Dinge

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"Die Beobachtung ergibt nämlich, daß die Nerven jedes einzelnen Sinnes stets dieselbe ihnen eigentümliche Empfindung in der Seele hervorrufen, mag auch die Erregung dieser Nerven aus den verschiedensten Ursachen hervorgehen und es scheint deshalb ganz der Schluß gerechtfertigt, daß die Empfindungen und Wahrnehmungen, welche bei Erregungen dieser Nerven in der Seele erweckt werden, gar nicht von einem bestimmten äußeren Vorgang abhängig sind, sondern lediglich von der Beschaffenheit der einzelnen Sinnesnerven selbst, so daß also diese Qualitäten innerhalb der Wahrnehmung als subjektive gelten müssen."

"Das bloße Sehen bietet nur Flächen und keine dritte Dimension; es bietet auch nicht die absolute Größe dieser Flächen; es bietet auch nicht die Entfernung des Gesehenen vom Auge. All das wird erst durch Tätigkeiten des Verstandes dem Gesehenen hinzugefügt, der sich dabei hauptsächlich auf die bereits in anderer Weise erlangte Kenntnis von der Größe und Gestalt des betreffenden Gegenstandes und dessen Umgebung stützt."

Ich beschränke mich hier auf diese Andeutungen, da die Frage der Organismen eigentlich nicht zu meinem Thema gehört und wende mich nun zu der letzten und höchsten uns bekannten geistigen Sphäre, nämlich zur  menschlichen Seele,  nach deren Analogie alle Vorstellungen noch höherer Geister von unserer Phantasie gebildet worden sind. Wenn diese Seelensphäre uns gewöhnlich als die allein geistige erscheint, so liegt es bloß darin, daß bei ihr die Wahrnehmung derselben von innen erfolgt und die Auffassung ihres Innern mittels der Selbstwahrnehmung geschieht. Während wir alle bisherigen Sphären nur von außen nach ihrer Wirksamkeit auf die Atome kennen lernen konnten, sind wir hier selbst diese Sphäre und schauen sie von innen, als uns selbst an. Deshalb kennen wir hier auch ihr inneres Wesen und dessen Gliederung in die drei Zustände des Wissens, Fühlens und Wollens, von denen sich jede wieder zu mancherlei Unterarten besondert. Nur deshalb meinen wir, daß es in der äußeren Natur kein Geistiges gibt, weil der Blick von Innen in dessen Inneres uns abgeht; ebenso meinen wir nur deshalb, weil uns der Blick von außen auf unsere Seelensphäre abgeht, daß sie ohne räumliche Ausdehnung ist.

Deshalb muß auch jeder Versuch, die inneren Zustände der Seele auf Bewegungen der Atome im Gehirn zurückführen, wie es z. B. von BONNET und anderen mit dem Gedächtnis versucht worden ist, verunglücken. Die Seelensphäre ist allerdings räumlich ausgedehnt, wie alle bisher betrachteten; sie erstreckt sich so weit wie das Gehirn und die von ihm auslaufenden Nervenfäden mit ihren Ganglienknoten sich im menschlichen Körper ausbreiten, und es ist auch wahrscheinlich, daß einzelne Teile des Gehirns und seiner Nerven beim Wechsel in den inneren Zuständen der Seele vorzugsweise beteiligt sind; allein trotzdem ist die Seele im Gehirn und dessen Nerven  überall  gegenwärtig; nur ihr Bewußtsein kann sich je nach den Berührungen mit der Außenwelt, oder den Einflüssen des inneren Wollens bald mehr auf diese oder jene Stelle konzentrieren, die Intensität ihres Auffassens oder Wissens dadurch steigern und damit den Zustand der Aufmerksamkeit ergeben, deren Natur man bisher sehr unklar erfaßt hat, weil sie sich weder als ein Wissen, noch als ein Fühlen, noch als ein Wollen darstellt. Erst wenn man sie, gleich dem Licht bei den Farben, nur als die gesteigerte Intensität dieser Zustände auffaßt, verschwinden diese Schwierigkeiten.

Ich enthalte mich hier der weiteren Ausführungen, da diese nicht unmittelbar zu meinem Thema gehören und beschränke mich bloß auf zwei Fragen, die dieses Thema mit betreffen:
    1) wie die äußeren Qualitäten der Dinge, zu denen nun auch die sogenannten subjektiven mit gehören, in das Wissen der Seele eintreten können; und

    2) wie die Seele durch ihr Wollen eine Bewegung in den Gliedern ihres Körpers herbeiführen und dadurch mittelbar Bewegungen auch in anderen Körpern der äußeren Natur hervorbringen kann.
Mit diesen Fragen haben sich die bedeutendsten Physiologen in den letzten Jahrzehnten eifrig beschäftigt; ich brauche nur die Namen von JOHANNES MÜLLER, E. H. WEBER, WAITZ, LOTZE, CZERMAK, WUNDT und HELMHOLTZ zu nennen. Bei der ersten Frage zeigte sich die Schwierigkeit darin, wie das Räumliche als Seiendes in die unräumliche Seele als Vorstellung eintreten kann. Es sind hier von den genannten Männern sehr abweichende Erklärungen gegeben worden; namentlich war es schwierig, die Wahrnehmung des  stetigen  Räumlichen aus Erregungen von spitzen und voneinander gesonderten Nervenenden abzuleiten. Man suchte sich mit Empfindungskreisen rings um jedes einzelne Nervenende, mit Lokalzeichen usw. zu helfen; man bildete eine nativistische und eine empiristische Lehre. Nach jener soll die Vorstellung des Raumes der Seele angeboren sein; nach der andern erst durch Erfahrung erworben werden. Schon diese Differenzen zeigen, wie unsicher man sich hier noch fühlt, und genauer betrachtet kommen die meisten dieser Erklärungen nicht über Tautologien hinaus.

Dies ergibt zur Genüge, daß mit der punktuellen, unräumlichen Seele hier nicht weiterzukommen ist; nur wenn die Seele in der, von mir erwähnten Art, im Gehirn und dessen Nerven überall gegenwärtig, also selbst eine räumlich ausgedehnte geistige Sphäre ist, bleibt das Räumliche für sie kein Unfaßbares. Dann können die ausgebreiteten Zustände der äußeren Sphären der Farbe und der Wärme durch deren Berührung mit der Seelensphäre an den Nervenenden der Sinnesorgane in letztere übergehen. Selbst das vorgestellte Räumliche ist dann dem wirklichen Räumlichen nicht mehr so heterogen, wie bei der bisherigen Lehre, da nunmehr beide geistiger Natur sind. Wenn auch die Nervenenden spitz und nicht stetig verbunden sind, so ergänzt sich dies doch in den Ganglienknoten und dem grauen Teil des Gehirns, wo die Nervenfäden sich in eine gemeinsame Masse auflösen und wo die Seele ebenfalls gegenwärtig ist. Deshalb wird auch dieselbe Farbe, soweit sie durch eine Anzahl nebeneinander stehender Nervenenden vermittelt wird, als stetig wahrgenommen und dasselbe gilt von der Wahrnehmung warmer oder kalter Flächen durch die Hautnerven. Nur wenn die nebeneinander stehenden Nervenenden von verschiedenen Farben getroffen werden, hört dieses Zusammenfließen in  eine  Fläche auch und dadurch ist auch die Wahrnehmung von Punkten, wie bei den Fixsternen, und von geraden Linien möglich.

Wenn ferner die Seele mittels zweier Augen doch nur  einen  Gegenstand wahrnimmt, so beruth dies auf der Bewegung der Ätherwellen, welche die Sehhaut in jedem Auge in einer solchen Richtung treffen, daß die nach Außen projizierten Bilder beider Augen in dem Punkt, wo sich diese Richtungen schneiden, sich zu  einem  verbinden. Die Seelensphäre empfindet mittels ihrer Nerven den Stoß oder die Richtung dieser Wellen und nimmt deshalb beide, in dieser verlängerten Richtung zusammentreffende Bilder als  eines.  So erklären sich die sogenannten korrespondierenden Stellen in beiden Augen und daß die auf der Netzhaut des Auges verkehrten Gegenstände aufrecht gesehen werden. Werden diese Richtungen durch Schielen oder andere Umstände gestört, so tritt das Doppeltsehen ein. Ähnliches findet bei einem Druck oder Schlag mittels der motorischen Nerven statt.

Bei der  zweiten  Frage handelt es sich um die Wirksamkeit der Seele nach Außen. Alle Veränderung und Bewegung, welche hier durch die Seele in der Außenwelt bewirkt werden kann, geschieht wesentlich mit Hilfe von Naturkräften; das was dabei der Seele allein angehört, besteht in einer Bewegung ihrer Glieder, die bekanntlich dabei oft nur sehr klein zu sein braucht. Indess erhält auch die Bewegung eines Fingers schon eine Einwirkung auf die Körperwelt und es fragt sich, wie ist dies der Seele möglich? Die Naturwissenschaft legt ganz richtig die Bewegung der Glieder als eine Hebelbewegung der Knochen dar; sie entsteht durch die Zusammenziehung der ihnen anhaftenden Muskeln, und deren Zusammenziehung im Zickzack erfolgt durch eine Einwirkung der motorischen Nerven, deren Erregung dabei in Gehirn oder Rückenmark beginnt. Hier hört aber die Erklärung auf; selbst wenn die Innervation [Nervenimpulse - wp] nur in einer Umstellung der Nervenatome zu einer galvanischen Kette bestehen sollte, erhält diese Umstellung immer eine Bewegung, welche nur von der Seele ausgeht und welche um so unbegreiflicher wird, wenn die Seele als unräumlich und als das einzige Geistige in ihrem Körper angenommen wird.

Auch hier wird der Vorgang durch die von mir dargelegten Sphären viel begreiflicher. Schon bei den Gravitationssphären hat sich ergeben, daß die Wirksamkeit des Geistigen zu einer Bewegung der in ihr eintretenden Körper führen kann. Im Grunde sind ja auch die Kräfte, aus welchen die Naturwissenschaft alle Bewegung hervorgehen läßt, schon geistiger Natur. Diese Bewegung geschieht noch in höherem Maße von der organisierenden Sphäre. Letztere ist im ganzen menschlichen Körper verbreitet und durchdringt auch die in den Nerven ausgebreitete Seelensphäre. Die Erregung der motorischen Nerven durch das Wollen kann also entweder mittelbar mit Hilfe der Organisationssphre geschehen, oder unmittelbar durch die Sphäre der Seele; beides ist nach dem bisher dargelegten nichts Außerordentliches mehr. Überhaupt berühren sich bekanntlich Organisches und Seelisches vielfach und fließen ineinander über; selbst bloße Vorstellungen genügen, um die organisatorische Sphäre in eine besondere Tätigkeit zu versetzen, wie das Zittern aus Angst, das Erröten aus Scham, das Erblassen vor Schreck und vieles andere zeigen. Das alles wird nun bei der gleichen geistigen Natur dieser Sphären, bei ihrer räumlichen Ausdehnung und gegenseitigen Durchdringung viel eher begreiflich.

Diese Bewegung des Körperlichen durch das Geistige hat noch ein besonderes Interesse, weil sie ergibt, daß das so hochgepriesene, angeblich erst von dem Arzt MEYER 1842 entdeckte Gesetz von der Erhaltung der gleichen Menge von Kraft in der Welt durch jene Bewegungen eine Ausnahme erleidet. Bekanntlich gilt dasselbe überhaupt nur für die sogenannte  Arbeitskraft,  worunter die Kraft verstanden wird, womit ein bewegter Körper eine gewisse Arbeit in Überwindung stetig entgegenstehender Kräfte oder Hemmnisse zu leisten vermag, ehe seine Bewegung erlischt. Nach diesem Gesetz ist nun in einem solchen Fall diese Kraft selbst nicht erloschen, sondern nur auf einen oder mehrere andere Körper, die sich nun bewegen, übertragen worden, welche nun zusammen dieselbe Menge von Arbeitskraft äußern. Das Gesetz erhielt erst seine unbedingte Geltung, nachdem sich ergeben hatte, daß auch die Wärme der Körper nur in einer Bewegung ihrer Atome besteht und daß diese Wärme beim Übergang des Körpers in seinen gasförmigen Aggregatzustand, sich wieder in eine fortgehende Bewegung anderer Körper umwandeln kann, sofern man das erhitzte Gas in ein eisernes Behältnis mit beweglichem eng anschließenden Deckel eintreten läßt, wo die durch die Erhitzung veranlaßte Bewegung der Gasatome gegen den Deckel anschlägt und diesen dadurch hebt. Bekanntlich ist dieser Vorgang die treibende Kraft aller Dampf- und anderen Gasmaschinen. Auch haben genaue Versuche ergeben, daß die Bewegung als Wärme sich mit der Bewegung durch Stoß oder Anziehung vergleichen läßt. Dasselbe Quantum Wasser bedarf einer Kraft, wie sie ein aus einer Höhe von 425 Meter herabfallendes gleiches Quantum Wasser durch Fall erreicht, um jenes gleiche Quantum Wasser um  einen  Grad nach Celsius mehr zu erwärmen.

Sonach ist es unzweifelhaft erwiesen, daß innerhalb der Bewegung der Körper und der Fortpflanzung dieser Bewegung von einem Körper auf den andern dieses Gesetz von der Erhaltung der Kraft volle Geltung hat. Allein dieses Gesetz kann sich schon nach den eigenen Annahmen der Naturwissenschaft nicht auf die Wechselwirkung zwischen Seele und ihren Körper erstrecken. Dieses Gesetz mag gelten bis zu den Gehirnbewegungen beim Wahrnehmen der Sinne, allein hier erlöschen diese Bewegungen; sie bewirken keine Bewegung oder Wärme mehr, sondern ein  Wissen  innerhalb der Seele, was bei der angeblich unräumlichen Natur der Seele nicht wieder aus einer Bewegung oder Wärme bestehen kann. Ebenso kann das Wollen der Seele deshalb nicht als eine Bewegung innerhalb ihrer aufgefaßt werden und doch führt es zu einer Bewegung eines Körperlichen, nämlich der Elemente der motorischen Nerven. Wenn diese auch noch so klein ist, so ist sie doch eine neue, welche zu der bis dahin in der Welt vorhandenen Bewegung, also als Kraft hinzutritt, so wie umgekehrt eine solche Kraft beim Wahrnehmen erlischt ohne daß eine Wärme, noch eine andere Bewegung daraus entsteht. Hieraus erhellt sich, daß das Gesetz von der Erhaltung der Kraft durch die Wechselwirkung zwischen Seele und ihrem Leib fortwährend gestört wird, und daß diese Störung bei der ungemein großen Anzahl von Tieren und Menschen zeitweise eine sehr bedeutende werden kann, wenn sich auch im allgemeinen genommen diese Störungen durchschnittlich ausgleichen mögen.

Es ist auffallend, daß selbst von HELMHOLTZ diese Störung nicht bemerkt worden ist. In seiner Abhandlung über dieses Gesetz ("Populäre Vorträge", II. Heft, 1871, Seite 127) bezeichnet er die Kraft, deren Menge sich gleich bleiben soll, nur als "eine im  Naturganzen  vorhandene Kraft". Es wird dieses Gesetz von ihm zwar auch auf die von Tieren und Menschen durch die Bewegung ihrer Glieder geleistete Arbeit angewendet, allein HELMHOLTZ bleibt auch da nur bei den physiologischen Vorgängen der Ernährung, der Wärmeerzeugung usw. stehen, wo das Gesetz, da es sich hierbei innerhalb rein physikalischer und chemischer Vorgänge hält, seine volle Gültigkeit haben mag; aber die Vorgänge, wo an der Seele eine Bewegung in Wissen umschlägt und ein Wollen in ihr in eine Bewegung übergeht, berührt er nicht, obgleich doch diese Vorgänge das Gesetz, selbst in seiner Beschränkung auf Naturvorgänge, erschüttern.

Ebenso bedenklich ist der von HELMHOLTZ in der genannten Abhandlung benutzte Begriff eines  "Vorrats  von Bewegungskraft", der in den Gliedern des Körpers aufgespeichert sein soll und der Begriff "einer  Fähigkeit  Arbeit zu verrichten", die im gespannten Bogen vor dem Abschuß des Pfeiles enthalten sein soll. Diesen Begriffen steht entgegen, daß die Kraft, von welcher das Gesetz gelten soll, immer nur die Kraft eines  sich wirklich bewegenden  Körpers bezeichnet, mag diese Bewegung als Wärme bestehen, oder durch einen Stoß bewirkt sein. Deshalb nennt HELMHOLTZ selbst diese Kraft eine Arbeitskraft; sie bleibt sich aber in ihrer Menge in der Welt nicht gleich, wenn diese Kraft auch als eine ruhende oder aufgespeicherte zugelassen wird. Deshalb gibt der in die Luft geworfene Stein seine Arbeitskraft entweder durch eine Erwärmung der Luft an diese ab, oder sie erlischt ganz in seinem höchsten erreichten Punkt; sein Fallen bringt in ihm wohl eine neue Arbeitskraft hervor, aber erst, wenn die vorherige Kraft ganz erloschen ist. Überhaupt kann das Gesetz auf die bloße in der Gravitation enthaltene Kraft der Weltkörper und der irdischen Körper nicht angewendet werden; denn diese Gravitation befindet sich in einem ununterbrochenen Ausströmen und bleibt sich selbstverständlich, als Quantität aufgefaßt, immer gleich und unverändert, selbst wenn die Wärme auch keine Bewegung wäre und kein Körper durch einen Stoß bewegt werden könnte.

Auch ist es auffallend, daß dieses Gesetz als eine ganz neue Entdeckung von den heutigen Naturforschern gepriesen wird. HELMHOLTZ sagt zwar
    "daß schon  Newton#d und  Humphrey David# wesentliche Züge seiner weiteren Ausdehnung erkannt haben;"
allein schon DESCARTES hat dieses Gesetz 1644 in seinen "Prinzipien", Teil II, § 36 in voller Bestimmtheit von der Bewegung ausgesprochen, und LEIBNIZ rühmt sich wiederholt in seinen Briefen und Schriften, daß er dieses Gesetz erst auf seine volle Wahrheit gebracht hat, indem er dem Begriff der Bewegung den der Kraft substituiert hat. So sagt er in einem 1696 an den Kanonikus [Stifts- oder Chorherr - wp] FOUCHER in Dijon gerichteten Brief:
    "Sie wissen, daß  Descartes gemeint hat, es erhalte sich die gleiche Menge von Bewegung in den Körpern. Ich habe gezeigt, daß er sich hierin geirrt hat, aber  daß sich immer dieselbe Menge der bewegenden Kraft erhäält, während  Descartes statt deren dei Menge der Bewegung selbst angenommen hatte. Indessen setzten ihn die Veränderungen, welche in den Körpern  entsprechend den Veränderungen in der Seele  erfolgen, in Verlegenheit, da sie diesem Gesetz entgegen zu sein scheinen."
LEIBNIZ fügt dann hinzu, wie DESCARTES das Gesetz deshalb so modifiziert hat, daß die Seele zwar nicht die Bewegung selbst, aber doch deren Richtung in den Körpern bewirken kann. LEIBNIZ widerlegt auch dies und stellt als allgemeines Naturgesetz auf, "daß sich nicht bloß dieselbe Menge der bewegenden Kraft, sondern auch dieselbe Menge ihrer Richtung erhält, nach welcher Seite hin man sie in der Welt auch annehmen mag;" ein Satz, der aus dem Parallelogramm der Kräfte allerdings leicht abzuleiten ist.

Hier sehen wir also, wie das Gesetz von der Erhaltung der Kraft schon von DESCARTES und LEIBNIZ sehr bestimmt ausgesprochen worden ist; das Neue, was jetzt hinzugekommen ist, ist nur die Erkenntnis, daß auch die Wärme aus einer Bewegung der Atome besteht, wodurch das Gesetz jedochp nur seine volle Bewährung erhalten hat. Interessant ist aber, daß auch schon LEIBNIZ darauf aufmerksam gemacht hat, wie dieses Gesetz eine Störung erleidet und sich nicht aufrechterhalten läßt, wenn man eine Wechselwirkung zwischen der Seele und ihrem Körper annimmt; namentlich wenn die Seele von sich aus eine Bewegung ihrer Glieder herbeiführen kann. Gerade dieses Bedenken brachte ihn auf den Gedanken seiner vorherbestimmten Harmonie, wo dieser wechselseitige Einfluß völlig aufgehoben ist und nur durch Gott bei der Erschaffung der Welt es so eingerichtet worden ist, daß die Vorstellungen in der Seelenmonade bloß aus ihr selbst, aber genau übereinstimmend sich so entwickeln, daß sie mit den Bewegungen ihrer Körpermonaden, die sich ebenfalls aus diesen allein entwickeln, streng parallel gehen.

So zeigt sich, wie schon LEIBNIZ dasselbe Bedenken gegen das Gesetz von der Erhaltung der Kraft gehabt hat, was vorher von mir geltend gemacht worden ist, weil die heutige Naturwissenschaft, trotz LEIBNIZ, den gegenseitigen Einfluß zwischen Seele und Körper festgehalten hat. Beschränkt man dagegen dieses Gesetz von der Erhaltung der Kraft auf die in der äußeren Natur vorgehenden Bewegungen der Körper und ihrer Atome und läßt jene Einwirkung von Seiten der Seele beiseite, so verträgt es sich sehr wohl auch mit den von mir hier vorgetragenen Ansichten.

Ich möchte diese Ansichten unter dem Namen einer  Lehre von den geistigen Sphären  zusammenfassen; ihr Kernpunkt liegt in der Annahme, daß alles Geistige auch räumlich ausgedehnt ist, und doch dadurch seine, bei der Seele mit dem Ich bezeichnete Einheit nicht verliert. Denn wenn schon die  innere  gleichzeitige Mannigfaltigkeit der Zustände in der Seele, so wie deren  zeitliche  Ausdehnung dieses  Ich  nicht aufheben, so kann es sich ebensogut auch in der räumlich ausgedehnten Sphäre der Seele erhalten. Diese Lehre hat im Vergleich zu anderen naturphilosophischen Systemen, wie z. B. zu dem von MALEBRANCHE, von LEIBNIZ, von FICHTE und von HEGEL den Vorzug, daß sie die Lehren der heutigen Naturwissenschaft, so weit sie das Körperliche betreffen, vollständig in sich aufnehmen kann und doch dabei imstande bleibt, die Bedenken, welche derselben anhaften, zu beseitigen und deren Lücken zu ergänzen. Die Qualitäten der Dinge, mit welchen die Naturwissenschaft nicht weiterkommen kann und die sie deshalb als subjektive Zustände in die Seele verschiebt, wo sie deren Untersuchung enthoben zu sein meint, erhalten dadurch wieder eine äußere Wirklichkeit und beseitigen in ihrer geistigen und durchdringlichen Natur die Bedenken, welche man dagegen geltend machen könnte. Es wäre auch fürwahr unbegreiflich, wie die Natur, oder Gott oder die der Welt immenante Vernünftigkeit einen solchen Drang nach Unwahrheit in die Seele gelegt haben könnte, wenn diese Qualitäten in Wahrheit nichts Reelles wären, obgleich doch alles Wissen und Erkennen des Menschen von den Sinneswahrnehmungen ausgehen und sich darauf stützen muß.

Auch die Welt der Schönheit mit ihrer gewaltigen Macht über das menschliche Gemüt wird durch diese Lehre wieder verständlich. Sie ist dann nicht mehr ein bloßer licht- und tonloser grenzenloser Raum, in welchem nichts besteht, als kleinste, den Sinnen unzugängliche Körperchen, die in der Dunkelheit durcheinander schwirren; sondern ihre Farbe, ihr Licht, ihre Gestalten, ihre Töne und Klänge sind wieder ein Reales in ihr, und nicht bloß ein Schattenspiel innerhalb der Seele. Die Meisterwerke der bildenden Künste und der Musik sind dann keine bloßen Phantasmagorien und subjektive Einbildungen. Selbst die Werke der Dichtkunst werden erst wieder bedeutend und ergreifen das Gemüt, wenn man überzeugt ist, daß ihre Bilder den wirklichen Dingen entlehnt sind und dadurch dieselbe ideale Macht über das menschliche Gemüt gewinnen, welche als reale nur  wirklichen  Dingen innewohnen kann.

Die von der heutigen Naturwissenschaft vollzogene Ausleerung der Natur von allem Geistigen, dieses Herabdrücken derselben zu einem schattenhaften Gespenst ist bereits vielfach von den tüchtigsten Männern schmerzlich empfunden worden und man hat in mancherlei Weise versucht, einen Trost dafür aufzufinden. So erkennt EDUARD von HARTMANN in seiner "Philosophie des Unbewußten" zwar die subjektive Natur der besprochenen Qualitäten an, aber er meint, daß die innere Welt des individuellen Geistes als die höhere und wertvollere im Vergleich zur äußeren Welt gelten muß, und zwar gerade deshalb, weil sie sein eigenes Werk ist und ihm damit näher verwandt bleibt. Das Gezwungene dieses Trostes liegt jedoch auf der Hand. Vor allem kommt es dem Menschen doch auf die  Wahrheit  seines Wissens an, d. h. auf die Übereinstimmung desselben mit dem  Seienden ohne dieselbe sinkt alles Forschen und Wissen zu einem Spiel herab, gleich dem des Knaben, der mit seinem Farbkasten Bilderbogen ausmalt.

ADOLF LASSON geht deshalb in seinem Aufsatz "Über den Begriff des Schönen" weiter, indem er sagt,
    "daß die Ansicht schwer zu verteidigen ist, wonach Farben und Töne etwas bloß Subjektives sind; denn sie vermag kaum die Tatsachen zu erklären. Näher liegt", sagt er, "die entgegengesetzte Ansicht, nach welcher das wahrhaft Seiende und zugleich das, was sein soll und in aller Bewegung angestrebt wird, dasjenige ist, was Leben und Empfindung hat. Dann liegt aber eben dieses auch allem anderen zugrunde und alles, was aus dem Kontakt zwischen dem empfindenden Subjekt und dem äußeren Objekt entsteht, und so auch alle Farben und Töne und alle Empfindungsqualitäten muß als etwas, im Objekt schon Angelegtes betrachtet werden; denn das Objekt ist nach dieser Ansicht ja selbst nur Mittel und Durchgangspunkt für das Empfinden und selber dazu eingerichtet, durch Bewegungen im Empfindenden die Empfindung hervorzurufen."
Wenn auch LASSON sich hier schwankend hält und es mit der Lehre der Naturwissenschaft nicht ganz verderben will, so neigt er doch zu einer gewissen Objektivität der Qualitäten der Dinge. Freilicch wird diese dadurch wieder schwankend, daß diese Qualitäten aus Bewegungen abgeleitet werden und daß LASSON bald darauf wieder sagt:
    "Es scheint daher, daß in unendlicher Abstufung Empfindung und Beseeltheit überall vorhanden ist und daß die Qualitäten der Dinge nicht erst im Tier, sondern analogerweise schon auf den niedrigsten Stufen des Daseins bis zu den niedersten empfunden werden."
Allein es handelt sich hier nicht darum, daß in allem Seienden schon eine Empfindung besteht, sondern daß dieser Empfindung des  Empfindenden  auch etwas Reales im  Empfundenen  entspricht. Der Satz LASSONs beweist nur die Allgemeinheit des Empfindens, was dabei immer eine Täuschung bleiben könnte; aber keine damit übereinstimmende Realität des Empfundenen.

Auch HELMHOLTZ fühlt schwer den Verlust der Realität, wie sie die Naturwissenschaft jenen Qualitäten unbarmherzig abspricht. Bei ihm wird der Trost daher entnommen, daß, wenn auch diese in der Wahrnehmung auftretenden Qualitäten keine  Bilder  eines Gegenständlichen sind, sie doch die sinnlichen  Zeichen  von einem solchen sind, indem jedes dieser Zeichen mit einem bestimmten äußeren Vorgang in gesetzlicher Verknüpfung steht. Diese ausnahmslose Gesetzlichkeit zwischen diesen Zeichen und dem Realen kann uns für unser Wissen genügen. (Man sehe die Ausführungen in seiner Rede zu Innsbruck von 1869 und seine Rede vom 3. August 1878 über die "Tatsachen der Wahrnehmung"). Nun ist diese feste Verknüpfung für unser praktisches Verhalten, für die Bewahrung unseres Lebens und für dessen Genüsse und überhaupt für die Benutzung der Naturkräfte zu unseren Zwecken sicherlich von höchstem Wert; allein der Mensch hat auch einen theoretischen Trieb; sein Wissen soll  wahr  sein, d. h. er will nicht bloß die Verknüpfung zwischen Zeichen und Seiendem kennen, sondern auch  was das Seiende selbst  ist. So genügt z. B. nicht das Wissen, daß dem Blitz immer ein Donner folgt; man will auch wissen, was jedes von beiden für sich ist; und dafür versagen jene Zeichen den Dienst.

Wenn sonach alle diese Trostmittel sich als vergeblich zeigen, so darf umso mehr der von mir unternommene Versuch, die Gegenständlichkeit der besprochenen Qualitäten wieder zur Anerkennung zu bringen, eine nachsichtige Aufnahme erwarten. Ehe ich jedoch schließe, habe ich noch auf zwei Einwürfe einzugehen, von denen der eine von der Naturwissenschaft und der andere von der Philosophie wahrscheinlich erhoben werden wird.

Die neuere Naturwissenschaft stützt die subjektive Natur der besprochenen Qualitäten hauptsächlich auf die sogenannten  spezifischen Sinnesenergien,  ein Begriff, der vorzugsweise durch JOHANNES MÜLLER infolge seiner Beobachtungen und Versuche in die Physiologie eingeführt worden ist, und welchen auch HELMHOLTZ dafür hauptsächlich benutzt. Die Beobachtung ergibt nämlich, daß die Nerven jedes einzelnen Sinnes stets dieselbe ihnen eigentümliche Empfindung in der Seele hervorrufen, mag auch die Erregung dieser Nerven aus den verschiedensten Ursachen hervorgehen. So hat man die Empfindung von Licht und Farben durch den Sehnerven nicht bloß, wenn derselbe in natürlischer Weise durch Ätherwellen erregt wird, sondern auch, wenn er durch einen Stoß, Druck, durch eine Zerrung mittels der Verdrehung des Augapfels, durch elektische Schläge, galvanische Ströme, durch den Andrang von Blut im Gehirn usw. erregt wird. Ähnlich verhält es sich mit den anderen Sinnen, und es scheint deshalb ganz der Schluß gerechtfertigt, daß die Empfindungen und Wahrnehmungen, welche bei Erregungen dieser Nerven in der Seele erweckt werden, gar nicht von einem bestimmten äußeren Vorgang abhängig sind, sondern lediglich von der Beschaffenheit der einzelnen Sinnesnerven selbst, so daß also diese Qualitäten innerhalb der Wahrnehmung als subjektive gelten müssen. Es bleibt jedoch auffallend, daß man für diese spezifischen Sinnesenergien in den betreffenden Nervenfäden nicht den mindesten physikalischen oder chemischen Unterschied in deren Struktur oder Elementen trotz der sorgfältigsten Untersuchungen hat auffinden können. Damit bleibt völlig unerklärt, wie dieser spezifische Unterschied ihrer Energien aus ihnen allein hervorgehen kann.

Wichtiger ist aber noch, daß die Empfindungen, welche durch eine unnatürliche Erregung der Nerven in der Seele entstehen, sich ganz wesentlich von denen, bei deren naturgemäßer Erregung, unterscheiden. Jene veranlassen beim Auge nur einen völlig unbestimmten Licht- oder Farbenschein; derselbe bietet sich auch nur als Empfindung, nicht als Wahrnehmung, d. h. es fehlt bei ihm die dem Wahrnehmen eigentümliche Verlegung nach Außen. Während beim Wahrnehmen der eigene geistige Zustand gar nicht als Empfindung oder Gefühl auftritt, sondern nur als ein Wissen, was unabweislich in sich enthält, daß es einen äußeren Gegenstand widerspiegelt, so wird auch im gewöhnlichen Leben die Vorstellung in der Seele gar nicht bemerkt, sondern nur der äußere Gegenstand, und dieser bietet sich dabei in voller Bestimmtheit nach Farbe und Gestalt. Ähnmlich verhält es sich mit dem Ohrenklingen und Ohrensausen im Vergleich zum wirklichen Hören. Jenes wird sehr bestimmt nur als ein innerer Zustand empfunden, dem alle nähere Bestimmtheit abgeht, während das natürliche Hören nicht bloß den Ton in seiner Höhe, Stärke, Klangfarbe, Verschmelzung usw. mit voller Bestimmtheit bietet, sondern auch diesen Ton mit Notwendigkeit als den Ton eines äußerlichen Gegenstandes auffaßt. Ebenso verhält es sich mit der Empfindung von Frost und Hitze, insofern sie von inneren Zuständen, wie Fieber, veranlaßt werden; ebenso mit den bitteren oder faden Geschmacksempfindungen, welche bei verdorbenem Magen oder sonst vorkommen. Überall fehlt bei diesen Empfindungen die Verlegung ihres Inhaltes, als eines Gegenständlichen nach Außen, und die größere Bestimmtheit; gerade dieses beides macht aber das Wesen der Sinneswahrnehmung aus. Deshalb werden auch diese natürlichen und unnatürlichen Empfindungen von jedem gesunden Menschen mit Leichtigkeit unterschieden und deshalb können die spezifischen Sinnesorgane für die Subjektivität der betreffenden Qualitäten nichts beweisen. Die entfernte Ähnlichkeit jener Empfindungen mit den Wahrnehmungen erklärt sich vielmehr daraus, daß die Nervenfäden der verschiedenen Sinne in verschiedene Teile des Gehirns auslaufen und die dadurch in den grauen Ganglien veranlaßte Erregung bei der dem gewöhnlichen Wahrnehmen statthabenden Erregung mehr oder weniger ähnlich sein mag und deshalb auch in der Seele eine entfernt ähnliche Empfindung erweckt.

Man kann endlich gegen diese Lehre der Naturwissenschaft geltend machen, daß dergleichen unnatürliche Erregungen des Sehnerven auch einen solchen Inhalt mit sich führen, welchen die Naturwissenschaft selbst für einen objektiven erklärt, nämlich die räumliche Ausdehnung. Wenn also der Inhalt der Empfindung für durchaus subjektiv gelten soll, weil er bei unnatürlichen Erregungen sich ebenso zeigt, wie bei den natürlichen, so müßte dies auch für das Räumliche in den Wahrnehmungen gelten, denn die unnatürlichen Erregungen veranlassen dasselbe z. B. auch bei elektrischen Schlägen, wo keine Spur von Räumlichkeit im Gegenstand enthalten ist.

Ebensowenig kann man die Visionen der Wahnsinnigen, Mondsüchtigen und die Zustände des Träumenden für die Subjektivität jener Qualitäten geltend machen. Hier geht der Anstoß offenbar von der Seele und ihren Vorstellungen und Phantasiebildern aus. Wenn sich diese durch die bekannten Anlässe zu einer hohen Intensität steigern, so tritt auch eine entsprechende Erregung des Gehirns ein, die sich bei zunehmender Stärke selbst den Sinnesnerven mitteilen kann und so der inneren Vorstellung den Schein einer von den Nerven ausgehenden Wahrnehmung verleiht. Dessen ungeachtet wird der erwachende Mensch sich des Unterschieds zwischen Träumen und wirklichem Wahrnehmen sofort mit dem Erwachen bewußt und er folgert dies nicht lediglich aus seiner wirklichen, der geträumten widersprechenden Umgebung. Wir haben also auch hier durchaus nicht die gleichen Vorgänge, wie bei den regelmäßigen Wahrnehmungen im wachen Zustand.

Vielleicht könnte man auch die  Sinnestäuschungen  als einen Grund für die Subjektivität der Qualitäten geltend machen; jedoch auch hier mit Unrecht. Man muß hier zunächst zwischen kranken und gesunden Sinnen unterscheiden. Die bei kranken Zuständen der Sinnesorgane sich einfindenden Empfindungen in der Seele fallen, abgesehen vom Schmerzgefühl was überhaupt kein Vorstellen ist, unter dieselben Zustände, wie die durch unnatürliche Erregungen der Sinnesnerven erweckten. Dahin gehören auch die Ermüdungszustände des Auges infolge gesehener sehr blendender Gegenstände oder einer lange andauernden Wahrnehmung derselben Farbe durch dieselben Gruppen von Nervenenden. Das gegen diese krankhaften Zustände früher Gesagte gilt daher auch hier. Was dagegen die Täuschungen bei gesunden Sinnen anlangt, so treffen sie nicht den Vorgang beim Wahrnehmen, sondern entspringen aus Hinzufügungen [appz] von Seiten des Gedächtnisses und Urteilens, welche nur aus Unachtsamkeit als ein Inhalt der eigentlichen Wahrnehmung genommen werden, weil das Wahrgenommene meist einen bekannten und früher schon oft und auch durch andere Sinne wahrgenommenen Gegenstand betrifft, dessen Eigenschaften daher der Seele schon genügend bekannt sind, und dem wirklich wahrgenommenen unwillkürlich mit hinzugefügt werden. So bietet das bloße Sehen nur Flächen und keine dritte Dimension; es bietet auch nicht die absolute Größe dieser Flächen; es bietet auch nicht die Entfernung des Gesehenen vom Auge, nicht die Bewegung desselben, wenn sie in derselben Richtung erfolgt, in welcher der Gegenstand gesehen wird; auch nicht, welcher von zwei Gegenständen, die sich einander nähern oder voneinander entfernen, derjenige ist, welcher sich bewegt, oder ob beide sich bewegen. All das und selbst die dritte Dimension beim stereoskopischen Sehen wird erst durch die genannten Tätigkeiten des Verstandes dem Gesehenen hinzugefügt, der sich dabei hauptsächlich auf die bereits in anderer Weise erlangte Kenntnis von der Größe und Gestalt des betreffenden Gegenstandes und dessen Umgebung stützt.

Deshalb können auch gefärbte Medien durch die man den Gegenstand sieht, zu Täuschungen führen; wie das Rot der Dünste vor der untergehenden Sonne, das Blau der Luft vor entfernten Gebirgen, usw. Überall ist hier die Wahrnehmung wahr; der Fehler liegt nur im Urteil, welches die Farbe dieser Medien mit den durch sie gesehenen Gegenständen verknüpft, weil das Sehen überhaupt die Entfernung des Gesehenen nicht mit bietet. Was endlich die Sinnestäuschungen infolge eigener Zustände des Organs anlangt, so fallen sie zum großen Teil unter die bei den Sinnesenergien erwähnten unnatürlichen Erregungen durch das Blut usw.; oder sie sind nur falsche Urteile, wie z. B. wenn man denselben Gegenstand mit der einen kalten Hand als warm und mit der anderen warmen Hand als kalt fühlt; warm und kalt sind hier relative Begriffe, wobei als Anhalt immer die Temperatur der einen fühlenden Hand genommen und danach das Urteil vom Verstand ergänzt wird.

Somit dürften diese aus der Naturwissenschaft entnommenen Einwürfe meine Ausführungen nicht entkräften; dagegen droht mir von Seiten der Philosophie der Einwurf, daß meine Lehre in einem Dualismus von Körperlichem und Geistigen stecken bleibt, während doch nur der Monismus allein als die wahre und vollendete Erkenntnis gelten kann. Dieser Einwurf wäre sehr erheblich, wenn der Monismus wirklich das leisten würde, was er verheißt. Näher betrachtet beginnt auch jeder monistische Philosoph mit den Unterschieden und wenn er zuletzt die höchsten Unterschiede auf eine Einheit oder  Eines  zurückführt, so ist dieses nur eine bloße Beziehungsform des Denkens oder  einer  von den letzten Unterschieden, aus dem dann bei der deduktiven Ableitung der andere Unterschied scheinbar entwickelt, in Wahrheit aber nur wieder hinzugesetzt wird. Ebenso wird dann das Weitere aus dem schon vorhandenen und bereit gehaltenen Vorrat von Begriffen unter dem Vorgeben einer inneren Entwicklung hinzugefügt.

So beginnt PLOTIN allerdings mit der  Eins (to en - wohlgemerkt nicht mit der Einheit, denn diese setzt schon vorhandene Unterschiede voraus, die sie nur verbindet.) Dieses  en  ist nach PLOTIN weder Vernunft, noch durch Vernunft erkennbar, sondern nur das Eins ohne Gegensätze. Aus diesem  en  emaniert [hervorgehen - wp] nun ein Abbild seiner selbst, was als das  en  anschauend, zur Vernunft (nous) wird. Aus dem  nous  emanieren dann weiter die Ideen, als substantielle in ihm existierende Wesen. Aus dem  nous  emaniert weiter als sein Abbild die Seele, in welcher der Körper ist; auch emaniert daraus die Materie als das  me on,  oder Nicht-seiende; und aus den Ideen emanieren die Naturkräfte, als  logoi,  usw. Es bedarf wohl keiner Ausführung über die Willkür eines solchen Verfahrens; mit Hilfe eines solchen Emanierens kann beliebig Jedwedes aus Jedwedem abgeleitet werden, aber der Begriff einer Wissenschaft hört dabei auf.

Bei den  Scholastikern  tritt als die Monas der christliche Gott auf.

Bei den  Scholastikern  tritt als die Monas der christliche Gott auf; alles Besondere geht aus seiner Allmacht und Allwissenheit als seine Schöpfung hervor. Hier tritt der Begriff des  Erschaffens  anstelle des Emanierens. Bei LEIBNIZ wird Gott selbst zur Monade, welche die weiteren Seelen- und Körpermonaden erschafft; aller Unterschied verwandelt sich bei ihm zu bloßen Unterschieden des Vorstellens; je nachdem die Vorstellungen dunkel und verworren oder deutlich und klar sind, ist die Monade ein Körperatom oder eine Seele; beide nehmen aber keinen Raum ein, der Raum ist nur eine Ordnung der Monaden. - Bei HEGEL tritt anstelle der Emanation und Erschaffung die  Entwicklung.  Sie beginnt mit dem Abstraktesten, dem Sein und dem Nichts; aus deren Umschlagen ineinander und deren spekulativer Vereinigung geht das Werden hervor und in diesem Sinne entwickelt sich immer weiter das Konkretere; aber immer nur in der Sphäre des Logischen, bis zur Idee, welche alles Frühere in sich enthält. Diese Idee entwickelt sich dann zu einer Idee  in ihrem Anders-sein  und wird damit zur Natur; damit hat sich aus dem Wissen das reale Sein entwickelt. Als solches Anders-sein durchläuft die Idee wieder die Reihe der logischen Begriffe und stellt damit die Entwicklung des Besonderen in der Natur vor. Indem diese Negation der Idee dann noch einmal negiert wird, ist der Geist erreicht, welcher erst als subjektiver, dann als objektiver und zuletzt als absoluter seine drei Stufen durchläuft und mit der Philosophie, als dem Höchsten, zugleich Wissenden und Seienden abschließt.

Trotz aller Hochachtung vor diesen kühnen Bildungen erinnern sie mich doch unwillkürlich an die Baukasten der Knaben. In einem solchen Kasten ist bekanntlich ein Vorrat der mannigfachsten Baumaterialien enthalten; hölzernere Würfel, Balken, Bretter, Kugeln, Zylinder, runde und eckige Scheiben usw. Der Reiz des Spieles liegt darin, daß man mit demselben Material die verschiedensten Bauwerke ausführen kann: Häuser, Türme, Mauern, Brücken usw., wenn man nur das Geschick hat, dieses Material entsprechend zu ordnen und zu benutzen. Ganz ähnlich verfährt der Monismus bei seinem Emanieren, Erschaffen oder Entwickeln. Im Sprachschatz liegt ein großer Vorrat der mannigfachsten Begriffe aufgehäuft; höhere und niedere, Begriffe von weitem und engem Umfang, von vielem und wenig Inhalt, von mehr oder weniger Ähnlichkeit zueinander, reine Beziehungsformen und Begriffe des Seienden; gleich dem Material in einem Baukasten. Aus diesen Begriffen baut sich nun der Monismus sein System auf, indem er mit dem Einfachsten von Oben beginnt und diesem das nächst Ähnliche unterschiebt und damit fortfährt, bis er zum Konkretesten als Grundlage gelangt ist. Ein solcher Bau soll dann den Kern der Welt und alles Seienden enthalten. Leider sind aber die Baumeister untereinander selbst nicht einig; jeder will den Bau in einer anderen Ordnung ausführen und das begriffliche Material in einer anderen Weise emanieren oder sich entwickeln lassen. Die Belege hierzu sind den verehrten Mitgliedern hinlänglich bekannt; so haben selbst die getreuesten Anhänger von HEGEL, wie z. B. Herr Professor MICHELET und Herr Professor ROSENKRANZ im Aufbau des Systems zahlreiche und wesentliche Änderungen bei der Entwicklung desselben vorgenommen.

Eine Reihe anderer monistischer Systeme benutzt ein anderes Mittel; es werden die höchsten Begriffe, mit denen der Dualismus abschließt, für identisch erklärt. Dies geschieht z. B. bei SPINOZA mit seiner  Cogitatio  und  Extensio,  worunter er das Denken und das körperliche Seiende versteht. Er sagt in seiner Ethik, Teil II, Lehrsatz 1:
    "Substantia cogitans et Substantia extensa  una eademque est Substantia, quae jam sub hoc, jam sub illo attributo  comprehenditur. Sic etiam modus extensionis et idea illius modi una eademque res est, sed duobus modis expressa."
    ["Die denkende Substanz und die ausgedehnte sind ein und dieselbe, welche bald unter diesem, bald unter jenem Attribut gefaßt wird. Sie ist auch der Modus der Ausdehung und die Vorstellung dieses Modus ein und dasselbe Ding, aber auf zwei Weisen ausgedrückt."]
Ebenso macht auch LEIBNIZ den Unterschied der Körper- von den Seelen-Monade nur zu einem Unterschied in deren Vorstellungen; bei jenen sind sie verworren, bei diesen deutlich.

Ein drittes Mittel besteht darin, daß die höchsten Unterschiede zu Attributen  einer  Substanz erklärt werden. SPINOZA benutzt auch dieses, indem seine  Cogitatio  und  Extensio  zu Attributen Gottes macht und ebenso verfährt von HARTMANN, indem er das Unbewußte und den Willen zu einem  All-Einen  verknüpft. Es wird dabei übersehen, daß durch diese Verknüpfung von Unterschiedenen zu Einem diese Unterschiedenen nicht in  Ein Höchstes  aufgeboben, nicht daraus abgeleitet, sondern nur zu einer  Einheit  verbunden werden, also damit keine erste Monas erreicht wird. Eine solche Verbindung Unterschiedener kennt auch der Dualismus, nur ist sie nicht so unnatürlich, wie bei von HARTMANN, wo das Vernünftige und Unvernünftige zu  einem  Wesen zusammengezwängt werden, welches, wenn der Wille in die Existenz tritt, nichts eiligeres zu tun hat, als ihn zu vernichten und wieder in seine stille Potentialität, d. h. in das Nichtsein zurückzutreiben.

Noch dreister verfährt der  Materialismus  und der  subjektive Idealismus.  Jener macht einfach das Geistige zu einem Körperlichen und dieser das Körperliche zu einem Geistigen. Jener stützt sich auf die zwischen Beiden bestehende Wechselwirkung und verwechselt diesen Begrif mit dem der Identität; dieser stützt sich darauf, daß das Körperliche oder das dem  Ich  Äußerliche durch keinen Syllogismus bewiesen werden kann und übersieht, daß alle Konklusionen schon einen Obersatz mit gleichen Unterschieden verlangen, also daß diese Unterschiede unmöglich mit einem solchen Mittel bewiesen werden können.

Aus all dem dürfte sich ergeben, daß der Monismus in jeder Form nur scheinbar, aber nicht in Wahrheit zu  Einem  zu gelangen vermag und daher den Dualismus oder Pluralismus nur versteckt, aber der Sache nach ebenso in sich enthält, wie die Systeme, welche offen damit abschließen.

Hier am Schluß meines Vortrages verkenne ich nicht, daß meine Lehre von den geistigen Sphären nur erst ein Versuch ist, der sich noch einer strengen Prüfung zu unterwerfen hat. Auch haben sich möglicherweise in meiner Darstellung des Naturwissenschaftlichen Irrtümer eingeschlichen, da dieses Gebiet für die Kenntnis  eines  Menschen jetzt beinahe schon zu groß ist; doch glaube ich, daß dergleichen nicht die Hauptsachen betreffen und deshalb die Grundgedanken meiner Auffassung nicht erschüttern werden. Trotzdem wird mir jeder Einwurf willkommen sein, um die Wahrheit meiner Ansichten daran zu prüfen und eventuell deren Billigung auch bei meinen geehrten Zuhörern zu erreichen.
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LITERATUR | Julius von Kirchmann, Über die Gegenständlichkeit der in den Sinneswahrnehmungen enthaltenen Eigenschaften der Dinge, [Vortrag gehalten am 26. April 1879 in der "Philosophischen Gesellschaft" zu Berlin] Verhandlungen der Philosophischen Gesellschaft zu Berlin, 16. Heft, Leipzig 1880.