p-4p-4E. ZellerE. SaxingerG. Sulzerd'AlembertJ. Orth     
 
JOHANN GEBHARD MAASS
(1766-1823)
Versuch über die Einbildungskraft

"Wenn bei der Wahrnehmung eines Gegenstandes durch die Sinne die mitwirkende Einbildungskraft nicht genötigt wäre, von jedem Teil des Mannigfaltigen im Gegenstand unmittelbar zu demjenigen fortzugehen, der  zunächst  mit dem vorigen verbunden von den Sinnen rezipiert wird; so würde es gar keine allgemeingültigen, oder auch nur mit sich selbst einstimmig bleibenden Erfahrungsbegriffe von Objekten geben. Denn die Einbildungskraft würde bei der Wahrnehmung von ein und demselben Gegenstand das Mannigfaltige desselben einmal in dieser und ein andermal wieder in einer anderen Verbindung auffassen und darstellen: derselbe Gegenstand würde also das einemal in dieser und das anderemal wieder in einer anderen Form erscheinen."

"Es unterscheidet sich die sinnliche Urteilskraft dadurch von der  verständigen,  daß sie nicht, wie diese, nach Begriffen, sondern nur nach sinnlichen Vorstellungen von den Objekten urteilt. ›Ich  verstehe  es zwar nicht, aber, wenn ich  nach meinem Gefühl  urteilen soll, so ist diese Musik sehr schön‹, sagt der bescheidene Nichtkenner der Kunst, wenn man ihn um sein Urteil frägt. Er will sich also kein Urteil des  Verstandes  anmuten, sondern nur ein sinnliches, wo er, nicht nach Begriffen, sondern nur nach dem Gefühl, urteilt."


Vorrede

Die sittliche Verbesserung des Menschen ist das Erhabenste, was sich die Wissenschaften zu ihrem letzten Zweck vorsetzen können. Einige streben diesen Zweck mittelbar zu erreichen; andere mehr unmittelbar. Unter den letzteren nimmt die Psychologie eine der vornehmsten Stellen ein. Es ist daher eine sehr angenehme Erscheinung, daß sie in unseren Tagen eine vorzügliche Aufmerksamkeit denkender Köpfe auf sich gezogen hat.

Zu ihren wichtigsten Hauptstücken gehört die Theorie der Einbildungskraft, und diese beruth auf der Auflösung zweier Probleme:
    1) Nach welchem Gesetze vergesellschaften sich die Vorstellungen in der Einbildungskraft?

    2) Welche unter mehreren Vorstellungen, die sich mit einer gegebenen vergesellschaften können, wird jedesmal zur Klarheit gebracht? Richtet sich das nach einem allgemeinen Gesetz? und welches ist dieses Gesetz?
Bei der Auflösung des ersten Problems kommt es darauf an, daß man das oberste Gesetz der Assoziation aus einem höheren Prinzip ableitet, weil es sonst immer ein unsicherer Führer bleibt. Das zweite hat man noch nicht aufzulösen unternommen, oder vielmehr, in seiner ganzen Allgemeinheit noch nicht aufgeworfen.

Ich habe mich bemüht, beide Probleme aufzulösen, und meine Schrift, aus der innigen Überzeugung, daß sie weiter nichts ist, einen Versuch genannt.

Da ich den Zusammenhang der Einbildungskraft mit den übrigen Vermögen der Seele aufsuchen mußte; so war ich genötigt, auch über die letzteren einige einzelne Betrachtungen anzustellen.

Hierunter findet sich, wie ich glaube, manches, was der Psychologie zu einigen Fortschritten vielleicht Anlaß geben könnte, z. B. was ich über die Prinzipien des vernunftähnlichen Vermögens gesagt habe, oder über den Parallelismus zwischen dem Geschmack, dem moralischen Sinn und dem sogenannten gemeinen Menschenverstand.



Erster Teil
Theorie der Gesetze der Einbildungskraft

Einleitung
§ 1.

Es gibt unter unseren Vorstellungen zwei Hauptarten: Begriffe und Anschauungen. Denn die Merkmale, wodurch ein Objekt vorgestellt wird, müssen entweder individuelle oder gemeinsame sein. Eine Vorstellung aber, sofern sie gemeinsame Merkmale vorstellt, heißt ein  Begriff,  und, sofern sie individuelle Merkmale vorstellt, eine  Anschauung.  Aus diesem Grund teilt sich auch das gesamte Erkenntnisvermögen in zwei Hauptzweige. Der  Verstand  im weiteren Sinne (das  obere Erkenntnisvermögen)  beschäftigt sich mit Begriffen; die Anschauungen sind das Eigentum des  sinnlichen  oder unteren Erkenntnisvermögens. (1)

In dieser unserer Sinnlichkeit aber, lassen sich wieder zwei Hauptvermögen unterscheiden: ein leitendes und ein tätiges. Beide werden erfordert, um die Erscheinungen, welche das untere Erkenntnisvermögen darbietet, möglich zu machen. Wenn die Seele durch irgendeinen Gegenstand affiziert wird, und dadurch eine Vorstellung erhält; so kommt ihr insofern eine  Rezeptivität,  oder, eine Fähigkeit zu, durch Gegenstände bestimmt zu werden. Dies ist also ein leidendes Vermögen, obgleich es hier dahingestellt bleiben mag, mit welchen näheren Bestimmungen dasselbe gedacht werden muß? ob es bloß und allein, oder nur gewissermaßen leidend ist? ob bei den, von äußeren Gegenständen erhaltenen Eindrücken eine Akzidenz [Nebensächliches - wp] oder gar etwas Substantielles in das vorstellende Subjekt übergeht? oder ob nur die Tätigkeit des letzteren auf irgendeine andere Art durch die Objekte bestimmt wird? Die Untersuchung dieser Fragen gehört nicht hierher. Hier ist es ausreichend, bloß im Allgemeinen zu bestimmen, daß unter einer Rezeptivität diejenige subjektive Beschaffenheit des Vorstellungsvermögens verstanden wird, wodurch es ihm ermöglicht wird, Eindrücke von Gegenständen aufzunehmen. Ich schreibe nun diese Rezeptivität  den Sinnen  zu, als ihr ausschließliches und alleiniges Eigentum. Alle Vorstellungen und Modifikationen der Sinnlichkeit aber, die nicht insofern in ihr wirklich sind, als sie von einem Gegenstand affiziert wird, müssen durch ein tätiges Vermögen derselben hervorgebracht werden, das sich von den Sinnen unterscheidet, und in der weitesten Bedeutung die  Einbildungskraft  heißen mag, da man dieses Wort gewöhnlich in einem engeren Sinn nimmt, der weiter unten (§ 7) vorkommen wird.

§ 2.

Die Einbildungskraft hat bei allen ihren Wirkungen keinen anderen Stoff, als den, der durch die Sinne gegeben ist. Daher kann sie zwar, ohne unmittelbare Beihilfe der Sinne, neue Vorstellungen erzeugen; aber nur durch die Verbindung und Trennung der, aus dem Sinnenstoff genommenen Merkmale. Neue, einfache und ursprüngliche Vorstellungen hervorzubringen, steht nicht in ihrer Gewalt. Denn dergleichen Vorstellungen würden, durchaus unabhängig von der Erfahrung, zum Bewußtsein kommen. Es müssen aber, wie die verschiedensten philosophischen Systeme einmütig zugestehen, alle unsere Vorstellungen, selbst die Begriffe  a priori,  die es etwa geben mag, durch die Erfahrung entwickelt werden, und können ohne sie nicht zum Bewußtsein gelangen. Einige scharfsinnige Psychologen (2) scheinen es zu leugnen, daß man der Einbildungskraft das schöpferische Vermögen, neue ursprüngliche Vorstellungen zu bewirken, absprechen darf. Sie glauben, die Einbildungskraft sei imstande, verworrene Empfindungen, worin wir weiter keine Merkmale unterscheiden (z. B. von zwei Farben), so ineinander zu verschmelzen, daß eine neue Vorstellung hervorgeht, die gleichfalls eine völlig einfache Erscheinung darstellt.

Gesetz aber, dies sei möglich; so steht es der Wahrheit des Vorigen nicht entgegen. Ursprünglich und unabhängig vom Sinnenstoff ist eine solche Vorstellung dennoch nicht, wenn sie auch auf gedachte Art von der Einbildungskraft erzeugt wird. Vielmehr entsteht sie durch die Verbindung solcher Merkmale, welche die Einbildungskraft von den Sinnen aufnahm.

So allgemein sich demnach sagen läßt, daß die Einbildungskraft keinen eigenen Stoff hat, sondern nur bearbeitet, was die Sinne liefern; so ist es dennoch nicht weniger wahr, daß sie selbst erst mitwirken muß, um diesen Stoff zustande zu bringen, indem die Sinne allein ihn nicht liefern können. Diese Mitwirkung der Einbildungskraft bei den Empfindungen nenne ich die  ursprüngliche Tätigkeit  derselben, alle übrigen aber  abgeleitete,  indem sie durch jene erst möglich werden.

Für die Entwicklung des höchsten Gesetzes, dem die Sukzession [Aufeinanderfolge - wp] aller Wirkungen der Einbildungskraft unterworfen ist, wird es nicht ohne Nutzen sein, auf diesen Unterschied ihrer Tätigkeiten Rücksicht zu nehmen, und die Art, wie dieselben aufeinander folgen müssen, zuerst an den ursprünglichen zu erforschen.


Erster Abschnitt
Von der ursprünglichen Tätigkeit
der Einbildungskraft


§ 3.

Wenn ein Gegenstand auf unsere Sinne wirkt; so nehmen diese das Mannigfaltige, was die Einwirkung enthält, auf, sie  perzipieren  es. So wenig aber dadurch eine Uhr entsteht, daß man alle dazugehörigen Teile, Räder, Kette etc. nebeneinander legt, ohne sie in gehöriger Form zu verbinden, ebensowenig könnte die Vorstellung von einem bestimmten Gegenstand, als solchem, in uns entstehen, wenn nicht bei den Empfindungen ein tätiges Vermögen mitwirken würde, welches die Vorstellung von der Form des den Sinnen gegebenen Stoffes hervorbrächte. Zur Vorstellung von einem einzelnen, bestimmten, sinnlichen Gegenstand gehört nämlich zweierlei:
    1) die Vorstellung von seiner Materie;
    2) die Vorstellung von seiner Form
Die erstere bekommen wir durch die Rezeptivität der Sinne. Denn die Materie des Gegenstandes, das in ihm wirkliche Reale, ist es eben, was auf unsere Sinne wirkt, und was also von den Sinnen perzipiert wird. Die Form des Objekts aber, die nichts für sich Wirkliches, sondern nur ein Verhältnis der Teile gegeneinander ist, kann nicht auf die Sinne wirken; und die Vorstellung davon also nicht durch die bloße Rezeptivität gegeben werden. Wenn also auch, wie man sich ausdrückt, das Fundament dieser Vorstellung den Sinnen angehört (nämlich die Vorstellung von den Teilen des Mannigfaltigen, dem die Form zukommt); so gehört ihnen doch diese Vorstellung selber nicht an; ebensowenig wie ein Urteil das Werk der Sinne sein kann, wenngleich Subjekt und Prädikat durch sie vorgestellt werden.

Soll demnach eine Vorstellung von der Form des wahrgenommenen Objekts entstehen; so muß ein tätiges Vermögen die Teile des Mannigfaltigen in einem Objekt auffassen, gegeneinander halten, und sie so in ihrer Beziehung aufeinander vorstellen.

Dieses tätige Vermögen aber kann nicht der Verstand sein, teils, weil der Verstand das Anschauliche nicht vorstellt, teils, weil hier, bei der Wahrnehmung eines einzelnen Gegenstandes, als solchen, dergleichen die Sinne doch nur liefern, noch nichts durch Begriffe (das Eigentum des Verstandes) gedacht, sondern nur etwas Individuelles völlig  in concreto  vorgestellt wird. Es muß also das tätige Vermögen der Sinnlichkeit, d. h. die Einbildungskraft, sein, wodurch bei der Erfindung eines Gegenstandes die Vorstellung von seiner Form möglich wird.

Die Einbildungskraft muß also bei allen Empfindungen, wodurch wir eine Vorstellung von einem Gegenstand bekommen, mitwirken; und das ist ihre ursprüngliche Tätigkeit.

Diese Theorie bestätigt sich noch durch eine Nebenbetrachtung. Es gibt viele Empfindungen, die in demselben Augenblick, wo sie vollendet werden, woe wir das ganze Objekt vollständig wahrgenommen haben, auch wieder verschwinden. Wie z. B. wenn ich eine Bewegung sehe, die jemand mit der Hand macht; so ist die Wahrnehmung vorbei in demselben Augenblick, in dem die Bewegung ganz wirklich geworden ist, und wo ich also die ganze Bewegung gesehen habe. Bei dergleichen Empfindungen könnte nun die Vorstellung vom wahrgenommenen Gegenstand gar nicht in die Einbildungskraft kommen, wenn diese nicht beim  Entstehen  der Empfindung selbst mitwirken und das Mannigfaltige des Gegenstandes auffassen würde. Denn woher sollte sie hernach die Vorstellung nehmen? Die Empfindung ist ja in demselben Augenblick, wo sie  entstanden  ist, auch schon wieder verschwunden.

§ 4.

Wollte man indessen den Sinnen nicht bloß eine Rezeptivität zuschreiben, sondern sie selbst mit einem tätigen Vermögen ausstatten, was zur Vorstellung von einem Gegenstand, als solchem, erfordert wird; so kann ich das geschehen lassen. Nur ist dasselbe alsdann mit der Einbildungskraft einerlei, und diese muß also für ein, den Sinnen zuständiges Vermögen gehalten werden. Denn einmal dürfen die Vermögen der Seele, so wie die Naturkräfte überhaupt, nicht ohne Not vervielfältigt werden. Dieselben Erscheinungen erfordern dieselben Gründe ihrer Möglichkeit: einerlei Tätigkeiten setzen einerlei Vermögen voraus. Die abgeleiteten Tätigkeiten der Einbildungskraft aber sind von derselben Art, als die ursprünglichen. Diese, wie jene, beschäftigen sich mit dem von den Sinnen empfangenen Stoff, um Vorstellungen von individuellen Gegenständen daraus zu bilden, (oder die schon gebildeten dem Bewußtsein wieder vorzuhalten). Zudem geschieht es ja bloß zum Zweck unserer Erkenntnis, um sie zu erleichtern, daß wir uns die verschiedenen Wirkungen der Seele, und die verschiedenen, dazu erforderlichen Vermögen als abgesondert vorstellen. In der Natur existieren diese Vermögen nicht abgesondert voneinander, sondern sind ingesamt ein und dieselbe Kraft, der wir nur verschiedene Namen geben, je nachdem sie sich auf verschiedene Art äußert.

§ 5.

Wenn also die Einbildungskraft bei den durch die Sinne gegebenen Vorstellungen mitwirkt, und wenn es also ursprüngliche Tätigkeiten derselben gibt; so ist, ansicht betrachtet, eine verschiedene Ordnung denkbar, in welcher eine Reihe solcher Tätigkeiten aufeinander folgen können. Dies gilt sowohl beim Mannigfaltien in  einem  Gegenstand, als auch in Absicht auf den Fortgang von einem Gegenstand zum anderen. Es frägt sich also: in welcher Ordnung müssen die Wirkungen der Einbildungskraft bei den Empfindungen aufeinander folgen? oder: nach welchem allgemeinen Gesetz richtet sich die Sukzession ihrer ursprünglichen Tätigkeiten richtet?

§ 6.

Stetig  überhaupt heißt, was unmittelbar verbunden ist; (so, daß nichts dazwischen ist). Dieser Begriff aber erhält verschiedene nähere Bestimmungen, je nachdem die Objekte verschieden sind, auf welche man ihn anwendet. So ist z. B. der Raum stetig: denn, wo der eine Teil desselben aufhört, da fängt zugleich der nächstfolgende an; es ist nichts dazwischen. Die Zeit ist stetig, indem das Ende eines jeden Zeitabschnitts zugleich der Anfang des nächstfolgenden ist. Verhältnisse von Größen, z. B. von Zahlen, sind stetig, wenn das letzte Glied des einen zugleich das erste Glied des anderen ist. Und wenn nun von einem Kausalzusammenhang der Naturwirkungen die Rede ist; so besteht die Stetigkeit darin, daß jede Erscheinung  mit einem Grund unmittelbar verbunden  ist, oder einen  nächsten  Grund (rationem proxime) hat. Wenn eine Erscheinung ohne einen nächsten Grund vorkäme, so wäre das ein  Sprung  in der Natur (3), welcher das ist, was der Stetigkeit entgegensteht.

Das  Gesetz der Stetigkeit  der Naturwirkungen will also sagen, daß eine jede einen nächsten Grund haben muß.

Daß nun diesem Gesetz der Stetigkeit alle Erscheinungen in der Natur unterworfen sind, kann hier nicht untersucht, aber als eine unbezweifelte Wahrheit vorausgesetzt werden, indem die verschiedensten philosophischen Systeme darüber einig sind. Diesem Gesetz der Stetigkeit müssen also auch alle Wirkungen der Einbildungskraft, da sie zu den Erscheinungen in der Natur gehören, gemäß sein.

Bei ihren ursprünglichen Tätigkeiten aber kann die Einbildungskraft dem Gesetz der Stetigkeit nicht anders treu bleiben, als daß sie beim Auffassen des den Sinnen gegebenen Stoffes von jedem Teil desselben unmittelbar zu demjenigen fortgeht, welcher der Rezeptivität der Sinne zunächst (der Zeit nach) mit dem vorigen verbunden, gegeben wurde.

Ich glaube, folgendes wird hinreichen, diese Wahrheit ins Licht zu setzen.

Der nächste Grund, warum die Einbildungskraft irgendeinen Stoff,  a  oder  b,  überhaupt auffaßt, ist der, daß dieser Stoff der Rezeptivität der Sinne gegeben würde: hätten ihn die Sinne nicht perzipiert, so hätte ihn die Einbildungskraft nicht auffassen können. Wenn also die Einbildungskraft, beim Auffassen des Mannigfaltigen eines Objekts unmittelbar von  a  zu  b  fortgeht; so kann der nächste Grund hiervor nur darin liegen, daß  b  zunächst (der Zeit nach) mit  a  verbunden der Rezeptivität der Sinne gegeben wurde. Findet dieser nächste Grund nicht statt, so ist gar keiner, also ein Sprung, vorhanden.

Ich verbinde damit noch diese Betrachtung. Wenn bei der Wahrnehmung eines Gegenstandes durch die Sinne die mitwirkende Einbildungskraft nicht genötigt wäre, von jedem Teil des Mannigfaltigen im Gegenstand unmittelbar zu demjenigen fortzugehen, der zunächst mit den vorigen verbinden von den Sinnen rezipiert wird; so würde es gar keine allgemeingültigen, oder auch nur mit sich selbst einstimmig bleibenden Erfahrungsbegriffe von Objekten geben. Denn die Einbildungskraft würde bei der Wahrnehmung von ein und demselben Gegenstand das Mannigfaltige desselben einmal in dieser und ein andermal wieder in einer anderen Verbindung auffassen und darstellen: derselbe Gegenstand würde also das einemal in dieser und das anderemal wieder in einer anderen Form erscheinen. (§ 3) Wenn dagegen die Einbildungskraft genötigt ist, bei der Empfindung eines Gegenstandes das Mannigfaltige desselben ebenso unmittelbar nacheinander aufzufassen, und ebenso verbunden darzustellen, als es den Sinnen gegeben wird; so hängt die Vorstellung vom Gegenstand in seiner bestimmten Form von diesem Gegenstand selbst ab; und bleibt also, wenn sonst alles gleich bleibt, immer dieselbe. Alsdann sind allgemeingültige und mit sich selbst einstimmig bleibende Erfahrungsbegriffe von Gegenständen der Sinne möglich.

Begriffe dieser Art aber sind wirklich vorhanden. Also muß auch die Bedingung ihrer Möglichkeit stattfinden. Die Einbildungskraft muß also auf die vorgedachte Art an das Gesetz der Stetigkeit gebunden sein.

Demnach ist das höchste Gesetz für die Sukzession ihrer  ursprünglichen  Tätigkeiten dieses.

Wenn ein Gegenstand durch die Sinne wahrgenommen wird; so muß die Einbildungskraft von jedem Teil des gegebenen Stoffes unmittelbar zu demjenigen fortgehen, welcher, der Zeit nach, zunächst mit dem vorigen verbunden von den Sinnen rezipiert wird. 

Dieses Gesetz der Stetigkeit, daß die Einbildungskraft bei ihren ursprünglichen Tätigkeiten nichts ohne einen nächsten Grund tun kann, und deshalb den Sinnenstoff in der Verbindung auffassen muß, worin er von den Sinnen rezipiert wird, dieses Gesetz, sage ich, muß in der subjektiven Natur der Einbildungskraft selbst gegründet, sie muß durch ihre innere, wesentliche Beschaffenheit daran gebunden sein. Denn, wenn sie, ihrer inneren, wesentlichen Beschaffenheit nach, imstande wäre, Tätigkeiten ohne einen nächsten Grund auszuüben! so könnte dies durch die Objekte außer ihr nicht gehindert werden. Denn, wenn diese es hindern sollten, so müßte es doch dadurch geschehen, daß sie auf irgendeine Art auf die Einbildungskraft wirken; und die Einbildungskraft müßte diese Einwirkungen erst perzipieren, bevor sie einen Erfolg haben könnten. Also, beim Auffassen dieser Einwirkungen selbst wäre sie noch an keine Stetigkeit gebunden; sie könnte dabei noch Sprünge machen.

Wenn also das Gesetz der Stetigkeit nicht in der subjektiven, wesentlichen Beschaffenheit, in der Natur der Einbildungskraft selber läge; so wären auch ihre ursprünglichen Tätigkeiten gar nicht notwendig an dasselbe gebunden; sondern sie könnte, in einigen Fällen zumindest, ihm entgegen handeln.


Zweiter Abschnitt
Von der abgeleiteten Tätigkeit
der Einbildungskraft


Erstes Kapitel
Vom höchsten Gesetz für die Sukzession der
Vorstellungen der Einbildungskraft überhaupt.


§ 7.

Da die Einbildungskraft, bei allen ihren Verrichtungen keinen anderen Stoff hat, als den, der ihr durch die Sinne gegeben wird; so muß sie aus diesem Stoff auch die Elemente zu all den Vorstellungen hernehmen, die durch ihre abgeleiteten Tätigkeiten entstehen. Diese Tätigkeiten sind folglich, ihrer materiellen Bestimmung nach, wiederholte ursprüngliche, und die dadurch gewirkten Vorstellungen, in Absicht auf ihren Inhalt, erneuerte Empfindungen: sie stellen uns wieder vor, was wir durch die Sinne wahrgenommen haben, und heißen  Einbildungen. 

Das Verhältnis, worin die Einbildungen gegen die vorgestellten Objekte stehen, ist von dem, welches bei den Empfindungen statt hatte, sehr verschieden. Bei diesen war der Gegenstand gegenwärtig und bestimmte durch seine unmittelbare Einwirkung den Stoff der entstehenden Vorstellung. Bei einer Einbildung aber ist das nicht der Fall. Hier ist der Gegenstand nicht mehr gegenwärtig, er wird nicht mehr durch die Sinne wahrgenommen; sondern die Einbildungskraft bringt die Vorstellung von ihm aus sich selbst wieder hervor.

Sofern nun die Einbildungskraft ein Vermögen zu Einbildungen ist, heißt sie  Einbildungskraft im eigentlichen Sinne,  und in dieser Bedeutung soll das Wort in der Folge jederzeit genommen werden, wenn von Einbildungskraft schlechthin die Rede sein wird.

§ 8.

Die Einbildungen wiederholen aber die Empfindungen entweder in unveränderter Gestalt, oder verändert: Das erstere, wenn in ihnen alle Merkmale, die in den Empfindungen unterschieden wurden, in eben der Verbindung wieder vorgestellt werden, das andere, wenn das nicht geschieht. Sofern die Einbildungskraft ein Vermögen ist, Einbildungen der ersteren Art zu wirken, also Gegenstände wieder so vorzustellen, wie sie durch die Sinne wahrgenommen wurden, wird sie von einigen die  Einbildungskraft im engsten Sinn  genannt und von der  Phantasie  unterschieden, unter welcher alsdann das Vermögen, die wahrgenommenen Objekte in veränderter Gestalt wieder vorzustellen, verstanden wird.

Wenn nun die sinnlichen Gegenstände in veränderter Gestalt wieder vorgestellt werden, so kann die vorgenommene Veränderung nur in einer Trennung oder neuen Verbindung der, aus dem Sinnenstoff genommenen Merkmale bestehen. Unter dem letzteren begreife ich beides, sowohl das Zusammensetzen der Merkmale, wobei sie in der Einbildung unterschieden werden, als auch das (gleichsam chemische Vermischen derselben, wenn sie so verbunden werden, daß wir sie nicht mehr voneinander unterscheiden, und daß aus ihnen eine dritte, einfache Vorstellung hervorgeht; ein Unterschied, von welchem schon oben geredet ist (§ 2).

Das Vermögen der Einbildungskraft, zusammen empfundene Merkmale zu trennen, einige derselben, oder auch die Subjekte, denen sie zukommen, zu verdunkeln, und nur das übrig bleibende allein klar vorzustellen, heißt das  sinnliche Abstraktionsvermögen so wie unter  sinnlichem Dichtungsvermögen  die Einbildungskraft zu verstehen ist, insofern sie das Mannigfaltige des durch die Sinne gegebenen Stoffes auf eine neue Art zusammensetzt (obgleich bei diesem Vermögen noch andere, wie z. B. der Witz mitwirken müssen).

Mit der Einbildungskraft überhaupt, und den ebengenannten Zweigen derselben insbesondere, hängt die  sinnliche Urteilskraft  insofern sehr genau zusammen, als sie ihren Stoff großenteils von jenen Vermögen empfängt. Es unterscheidet sich aber die sinnliche Urteilskraft dadurch von der  verständigen,  daß sie nicht, wie diese, nach Begriffen, sondern nur nach sinnlichen Vorstellungen von den Objekten urteilt. (4)

Insoweit nun die sinnliche Urteilskraft überhaupt mit der Phantasie verknüpft und von ihr abhängig ist, gilt dasselbe auch von den besonderen Zweigen derselben, und den, von ihr abhängigen Vermögen. Es gehört aber dahin:

1) Das  sinnliche Erinnerungsvermögen,  welches nichts anderes ist, als die sinnliche Urteilskraft, insofern sie bei gegebenen Vorstellungen urteilt, daß sie dieselben seien, die wir schon einmal gehabt haben. Denn indem ich mir bei einer gegebenen Vorstellung bewußt werden, sie sei dieselbe, die ich schon einmal gehabt habe, so  erinnere  ich mich. Das Erinnerungsvermögen macht das Wesentliche und Eigentümliche des Gedächtnisses aus. Denn nur insofern ist eine Wirkung des letzteren vorhanden, als eine Erinnerung stattfindet. Es ist also ganz unrichtig, wenn man das Gedächtnis als einen Zweig der Einbildungskraft ansieht, da es vielmehr eine Modifikation der Urteilskraft ist; zumal, wenn man zudem bedenkt, daß es sich auch mit abstrakten Vorstellungen beschäftigt, welche in die Einbildungskraft gar nicht kommen können. Vorstellungen aufzubewahren und wieder hervorzurufen ist gar nicht das Geschäft des Gedächtnisses, sondern nur, sich der durch andere Vermögen aufbewahrten und wieder erweckten Vorstellungen zu erinnern. Weil aber die Erinnerung an etwas das Wiederhervorrufen der Vorstellung davon notwendig voraussetzt; so macht der gemeine Sprachgebrauch ein  quid pro quo [dieses für jenes - wp] und schreibt auch das letztere dem Gedächtnis zu.

Ferner gehören

2) hierher der sinnliche  Witz  und  Scharfsinn,  wovon der erstere über die Übereinstimmungen, der andere über die Verschiedenheiten der Dinge urteilt (5). Im gemeinen Leben hat man den Begriff des ersteren Vermögens noch erweitert. Die eigentlich witzigen Gedanken nämlich (die man auch witzige  Einfälle  nennt, da sie nicht absichtlich gesucht, sondern gleichsam von selbst uns eingefallen zu sein das Ansehen haben müssen, sind durch das Neue und Unerwartete, das sie enthalten, vorzüglich geeignet, Vergnügen zu erregen. Dies sieht man daher als eine ausschließende Eigenschaft des Witzes an und schreibt diesen deshalb auch solche Gedanken zu, die uns durch einen unerwarteten Einfall vergnügen, wenngleich sie keine Übereinstimmung unter Objekten vorstellen.

Endlich muß

3) das  Vernunftähnliche  (analogon rationis) als ein von der sinnlichen Urteilskraft abhängiges Vermögen betrachtet werden. Man versteht darunter das Vermögen, ein Urteil aus anderen zu folgern, ohne einen Begriff davon zu haben, wie es aus denselben folgt; von welchem Vermögen unter anderen auch die sinnlichen Vorhersehungen und Erwartungen abhängig sind.

§ 9.

Es kommt hier nicht darauf an, die Verrichtungen der genannten Vermögen weiter zu zergliedern und in ihre Bestandteile aufzulösen. Sie mußten nun voneinander unterschieden werden, um desto deutlicher einzusehen, wie die Reihe der Vorstellungen in der Einbildungskraft, in den verschiedenen gegebenen Fällen, durch dieselben modifiziert wird; was geschehen kann, wenn gleich ein allgemeines Gesetz vorhanden ist, wonach sich eine jede Sukzession derselben richten muß. Der Folge wegen sei mir noch eine vorläufige Bemerkung erlaubt.

Die Einbildungen haben es insgesamt mit den Empfindungen gemein, worin auch eigentlich der Charakter sinnlicher Vorstellungen besteht, daß ihr Gegenstand als etwas Einzelnes vorgestellt wird. Dem ungeachtet aber gibt es einige unter ihnen, die den Begriffen des Verstandes darin ähnlich sind, daß sie uns solche Merkmale vorstellen, die mehrere Gegenstände miteinander gemein haben, und daß sie also in der Tat mehrere Objekte (nebst den Vorstellungen von diesen) unter sich fassen; obgleich diese gemeinsamen Merkmale niemals als solche, sondern immer als etwas Individuelles von der Einbildungskraft vorgestellt werden. Einige wollen diese Vorstellungen  allgemeine Bilder,  ich möchte sie  unvollendete  nennen. Die Einbildungskraft gelangt zu derselben durch die Hilfe der Abstraktion und des Dichtungsvermögens. Wenn wir mehrere Gegenstände von einerlei Art (z. B. mehrere Pferde) wahrnehmen; so müssen die, ihnen gemeinschaftlichen, Merkmale, (z. B. die Gestalt des Pferdes oder daß es vier Füße hat) weil sie öfter wiederkehren, von der Einbildungskraft vorzüglich aufgefaßt werden. Die übrigen läßt sie leichter wieder fallen, und behält nur jene. So entsteht dann ganz unwillkürliche ein unvollendetes Bild, das aber seinen Ursprung zuweilen auch einer willkürlichen Abstraktion zu danken hat. Diese Bilder, die durch fortgesetzte Abstraktion immer unbestimmter werden können, gebrauchen wir insbesondere, die Begriffe des Verstandes uns zu vergegenwärtigen, und sie auf sinnliche Gegenstände anzuwenden. Auch dienen dieselben dem Verstand als Zeichen seiner abstrakten Begriffe, und wenn es also auch wahr wäre, daß wir ohne Zeichen nicht denken können, weil die Aufmerksamkeit, um sich zu fixieren, etwas Sinnliches bedarf, so können wir es doch gewiß ohne Worte. Dies machen die unvollendeten Bilder der Einbildungskraft möglich. Überhaupt aber muß ein Begriff doch erst wirklich sein, ehe er mit irgendeinem Zeichen verbunden werden kann; wir müssen folglich ohne alle Zeichen denken können.

§ 10.

Nach welchem Gesetz richtet sich nun die Sukzession der abgeleiteten Tätigkeiten der Einbildungskraft? Welches ist die Ordnung, in welcher die Einbildungen aufeinander folgen?

Es ist zuerst aus den Bemerkungen über die Empfindungen im ersten Abschnitt klar, warum der durch die Sinne gegebene Stoff, wenn dadurch die Vorstellung von einem Gegenstand entsteht, in die Einbildungskraft übergeht, und als Stoff ihrer künftigen, abgeleiteten Tätigkeiten von ihr perzipiert wird. Denn, bevor dies nicht geschieht, kann überall das Mannigfaltige des Sinnenstoffes nicht als ein Gegenstand vorgestellt werden (§ 3). Bei denjenigen Empfindungen, wo dies nicht geschieht, wo nichts als ein vom vorstellenden Subjekt verschiedenen Gegenstand, sondern bloß eine subjektive Modifikation des ersteren vorgestellt wird, ist es daher nicht notwendig, daß die Einbildungskraft den Stoff derselben perzipiert; noch weniger aber kann sie ihn immer zu ihren abgeleiteten Tätigkeiten gebrauchen. Ich darf es kaum sagen, daß ich hier die Empfindungen der unvollkommenen Sinne, des Geschmacks, Geruchs und Gefühls in Gedanken habe, deren Wahrnehmungen von der Einbildungskraft seltener und bei weitem unbestimmter wieder vorgestellt werden, als die der übrigen Sinne.

Der Stoff aber, den die Einbildungskraf durch eine ursprüngliche Tätigkeit wirklich perzipiert, muß auf irgendeine Art, welche hier im Voraus zu bestimmen nicht möglich und nicht nötig ist, für dieselbe aufbewahrt werden. Denn sonst würde es ihr völlig unmöglich sein, Einbildungen hervorzubringen. Sie könnte, da sie keinen anderweitigen Stoff hat, nur wirksam sein, wenn ein Gegenstand außerhalb von ihr die Sinne affizieren würde, und es würde also keine anderen sinnlichen Vorstellungen geben, als Empfindungen. Es wird also der durch die Sinne gegebene Stoff aufbewahrt, und die Einbildungskraft kann ihn durchlaufen und wieder vorstellen, auch wenn der äußere Gegenstand nicht mehr gegenwärtig oder seine Einwirkung auf die Sinne nicht mehr wirklich ist.

Bei diesem Geschäft, also bei der Sukzession der Einbildungen ist die Einbildungskraft an das Gesetz der Stetigkeit auf eine ähnliche Art gebunden, wie bei ihren ursprünglichen Tätigkeiten. Sie muß von jeder gegebenen Vorstellung zunächst zu einer solchen fortgehen, die mit der gegebenen zunächst verbunden von ihr rezipiert ist. Folgende Betrachtungen werden dies ans Licht setzen.

§ 11.

Wenn eine Vorstellung  a  den Grund enthält, wodurch eine andere  b,  die wir schon einmal gehabt haben, wieder hervorgerufen wird (mit oder ohne Bewußtsein), so  vergesellschaftet  sich  b  mit  a (associatio idearum); und wir sagen im gemeinen Leben: Bei der Vorstellung  a  sei uns  b eingefallen.  Wenn ich z. B. an einen Ort hinkomme, so fällt mir die Begebenheit wieder ein, die ich daselbst erlebt habe: Die Vorstellung von dieser Begebenheit assoziiert sich mit der Vorstellung von diesem Ort.

Man sagt ferner, daß Vorstellungen in der Seele  zusammen sind,  wenn sie entweder zugleich oder unmittelbar nacheinander existieren.

Diese Begriffe vorausgesetzt, drücke ich nun  da höchste Gesetze der Einbildungskraft  aus:

Mit jeder gegebenen Vorstellung können sich in der Einbildungskraf alle, aber auch nur diejenigen unmittelbar vergesellschafteten, die mit der gegebenen schon einmal zusammen gewesen sind. 

Die Deduktion [Ableitung - wp] dieses Gesetzes  a priori [von Vornherein - wp] beruth auf folgenden Gründen:

A) Es ist ein ganz allgemeines Gesetz für die Vergesellschaftung aller Vorstellungen überhaupt (nicht bloß der in der Einbildungskraft): daß sich mit einer jeden alle, aber auch nur diejenigen assoziieren können, die mit ihr schon einmal zusammen gewesen sind.

Denn

1) Wenn die Vorstellungen  a  und  b  in der Seele schon zusammengewesen sind, so ist die Vorstellungskraft dadurch bestimmt worden, diese Vorstellungen unmittelbar zu verbinden, und es ist irgendein (wenn auch vielleicht nur der niedrigste) Grad der Fertigkeit, von  a  unmittelbar zu  b  fortzugehen, entstanden. Wenn also nun die Vorstellung  a  gegeben wird, so muß die Vorstellungskraft unmittelbar vielmehr zu  b,  als zu irgendeiner anderen Vorstellung übergehen, die mit  a  noch gar nicht zusammengewesen ist, und bei der also noch gar keine Fertigkeit, zu ihr von  a  unmittelbar überzugehen, stattfindet. Mit  a  muß sich  b  assoziieren. Diese Vergesellschaftung hat alsdann einen nächsten Grund und ist dem Gesetz der Stetigkeit gemäß.

Wenn sich aber

2) mit einer gegebenen Vorstellung  a  eine andere  b  unmittelbar vergesellschaftet, die mit ihr noch gar nicht zusammengewesen wäre, so wäre das ein Sprung und dem Gesetz der Stetigkeit zuwider. Denn es geschähe völlig ohne Grund, daß sich mit  a  gerade  b  und keine andere Vorstellung unmittelbar assoziiert; die Vorstellungskraft hätte zu jeder andern ebensogut unmittelbar fortgehen können. Die gedachte Assoziation nämlich hätte

a) keinen objektiven Grund. Denn, wenn die Vorstellung  a  gegeben wäre, und irgendein Objekt außerhalb von ihr bewirkt, daß die Vorstellung  b  sich mit ihr verbindet, so wäre dies, laut der Definition, gar keine Vergesellschaftung. Soll es Assoziation sein, so muß  a  selber die Vorstellung  b  hervorrufen, und dies kann nicht durch irgendeinen objektiven Grund geschehen.

Die erwähnte Assoziation hätte aber auch

b) keinen subjektiven Grund. Denn, wenn in den Vorstellungen  a  und  b  oder sonst im vorstellenden Subjekt, irgendein Grund läge, warum sich diese Vorstellungen assoziieren müßten; so hätten sie sich auch schon assoziieren müssen, als wir sie das vorigemal hatten. Alsdann aber wären sie, schon einmal zusammen gewesen, welches wider die Voraussetzung streitet. Hätte aber die eine von ihnen, etwa  a  noch niemals in der Seele existiert; so könnte sie auch noch nicht in irgendeine Verbindung mit  b  in der Seele gebracht sein. Es könnte also keinen subjektiven Grund geben, wodurch sich  b  unmittelbar mit  a  assoziieren könnte.

Was nun für die Vergesellschaftung aller Vorstellungen überhaupt gilt, das muß auch für die Assoziation der Vorstellungen in der Einbildungskraft wahr sein; und diese müssen sich also nach dem angegebenen Gesetz vergesellschaften.

B) Mit dem Gesagten kann man noch folgende Betrachtung verbinden. Die abgeleiteten Tätigkeiten der Einbildungskraft sind, ihrer materiellen Bestimmung nach, von den ursprünglichen abhängig, indem durch diese aller Stoff für jene gegeben wird. Wenn aber die Einbildungskraft von der Vorstellung  a  unmittelbar gerade zu  b  und nicht zu einer anderen Vorstellung übergeht, so ist dies eine individuelle, materielle Bestimmung ihrer Tätigkeit. Also kann dieser Übergang nur stattfinden, wenn er durch ursprüngliche Tätigkeiten der Einbildungskraft so bestimmt ist, d. h. wenn  b  unmittelbar mit  a  verbunden durch eine ursprüngliche Tätigkeit aufgenommen ist; also, wenn  b  und  a  schon zusammen gewesen sind.

Die von mir versuchte Deduktion des höchsten Gesetzes für die Vergesellschaftung der Einbildungen, und aller Vorstellungen überhaupt, knüpft sich an das Räsonnement [Argument - wp] worauf WOLFF jenes Gesetz baute, und das er für allein zureichend hielt. Er hates von den meisten Psychologen, die sich mit der Untersuchung des Assoziationsgesetzes, vor ihm und nach ihm, beschäftigten, voraus, daß er sich nicht damit begnügte, dasselbe durch Abstraktion von den in der Erfahrung vorkommenden Fällen aufzusuchen, und in einem bestimmten Ausdruck anzugeben, welches allerdings auch für die gründliche Kenntnis der geheimsten Wirkungen der menschlichen Seele von großem Nutzen ist; sondern, daß er auch versuchte, dasselbe  a priori  zu beweisen, und dadurch vor Augen zu legen, daß sich die Einbildungskraft notwendig nach demselben richten muß. Er philosophierte darüber (6): Die Einbildungskraft hat es mit den Sinnen gemein, daß sie die Erscheinungen in der Welt den Eindrücken gemäß vorstellen muß, die auf die sinnlichen Werkzeuge gemacht werden. Wenn nun eine Vorstellung  a  gegeben wird, die wir schon einmal gehabt haben, so enthält diese den Grund, warum noch andere Vorstellungen von abwesenden Gegenständen entstehen, und zwar von denjenigen, die wir ehemals mit dem Gegenstand der Vorstellung  a  zusammen perzipierten. Warum  a  nicht diese, sondern vielmehr andere Einbildungen hervorbringen sollte, davon ist gar kein Grund vorhanden: es würden das Vorstellungen sein, die den auf die sinnlichen Werkzeuge gemachten Eindrücken nicht gemäß wären.

Ich habe versucht, dieses Räsonnement auf höhere Gründe zurückzuführen, teils dadurch, daß ich die Abhängigkeit der abgeleiteten Tätigkeiten der Einbildungskraft von den ursprünglichen zeige, teils dadurch, daß ich aus dem Gesetz der Stetigkeit herleitete, warum die Sukzession der Einbildungen, wie WOLFF sagt, der auf die Sinne gemachten Eindrücke gemäß sein müssen.

Mit weniger Deutlichkeit und Schärfe als WOLFF leitete BAUMGARTEN das Gesetz der Einbildungskraft aus der Beschaffenheit der Gegenstände her, die von ihr vorgestellt werden. Sie stellt nämlich individuelle Objekte vo, die wir durch die Sinne wahrgenommen haben. Zur Individualität eines Objekts gehört aber auch sein Zusammenhang mit anderen Gegenständen. Wenn also die Einbildungskraft irgendein Objekt, das wir wahrgenommen haben, wieder vorstellt; so muß sie auch den Zusammenhang mit vorstellen, worin sich dasselbe mit anderen Gegenständen befand, folglich auch (wenngleich vielleicht ohne Bewußtsein) diese anderen Gegenstände selbst. Die Vorstellungen von diesen Gegenständen assoziieren sich also mit der gegebenen. Folglich vergesellschaften sich mit einer gegebenen Vorstellung solche, die mit ihr schon zusammen gewesen sind.

Allein, abgesehen davon, daß dieser Grund für das Assoziationsgesetz nicht allgemein genutzt ist, so ist auch keineswegs erweislich, daß eine endliche Vorstellungskraft, wie die menschliche, wenn sie ein individuelles Objekt als solches vorstellt, gerade  alles  mit vorstellen muß, was zur Individualität derselben gehört. Es ist nicht einmal erweislich, daß sie alle inneren individuellen Merkmale vorstellt, geschweige den die äußeren. Nur auf eine uneingeschränkte Kraft, die bei der Vorstellung eines Gegenstandes alles, was zu ihm gehört, vollständig erkennt, würde die Folgerung bündig angewendet werden können.

§ 12.

Um einige Schwierigkeiten, welche die Anwendung unseres allgemeinen Assoziationsgesetze etwa haben dürfte, zu erleichtern, setze ich folgende Anmerkungen hinzu:

1) Bei einer Vorstellung  A  fällt uns oft eine andere  B  ein, die mit ihr noch niemals zusammengewesen ist. Aber das geschieht alsdann immer mittels einer Zwischenvorstellung  C,  die nicht zum Bewußtsein kommt. Wenn  A  gegeben ist, so assoziiert sich unmittelbar  C  (die mit  A  schon zusammen gewesen ist) und mit  C  assoziiert sich  B (welche beide auch schon zusammengewesen sind). Weil aber  C  dunkel bleibt, so hat es das Ansehen, als habe sich  B  unmittelbar mit  A  vergesellschaftet. Diese Erscheinung hat manche getäuscht, und zu einem ganz schiefen Urteil über das Assoziationsgesetz veranlaßt. Ich denke z. B. an den Park zu Wörlitz und es fällt mir dabei Konstantinopel ein, obgleich ich beides noch nie zusammen gedacht habe. Aber ich habe einmal in jenem herrlichen Park mit jemandem gesprochen, der aus Konstantinopel gebürtig war. Also, indem ich an den Park denke, assoziiert sich die Vorstellung von dieser Person, und hiermit wieder die Vorstellung von Konstantinopel. Aber die zweite Vorstellung bleibt dunkel, und daher scheint es, als sei mir bei dem Gedanken an den Park unmittelbar Konstantinopel eingefallen.

2) Wenn sich  B  mit  A  wirklich unmittelbar assoziiert, so ist nicht nötig, daß die ganze Vorstellung  B  mit der ganzen Vorstellung  A  schon zusammengewesen ist, es braucht nur irgendein Merkmal von  A,  etwa  m,  mit irgendeinem Merkmal von  B,  etwa zusammengewesen zu sein. Wenn alsdann  A  gegeben, als  m  vorgestellt wird, so assoziiert sich damit  n,  da beide schon zusammen gewesen sind, und mit  n  vergesellschaften sich alsdann die übrigen zu  B  gehörigen Merkmale, weil diese in der Vorstellung  B  schon mit  n  zusammengewesen sind. So wird also die ganze Vorstellung  B  durch  A  hervorgerufen. Beim Anblick eines ganz fremden Menschen kann mir z. B. mein Freund einfallen, ungeachtet dessen, daß ich beide noch nie zusammengedacht habe. Man setze z. B. dieser Fremde habe gewisse auffallende Gesichtszüge und mein Freund eine gewisse Eigenheit im Gang; und ich habe einmal einen Dritten gesehen, der beides zugleich an sich hatte: jene Eigenheit im Gang und jene Gesichtszüge. Alsdann sind die Vorstellungen hiervon in meiner Seele zusammen gewesen. Indem ich also den Fremden sehe, so fällt mir bei seinen Gesichtszügen die gedachte Eigenheit im Gang und hierbei mein Freund ein.

3) Die gegebene Vorstellung, womit sich eine Einbildung assoziiert, braucht nicht notwendig auch eine Einbildung zu sein; sie kann auch eine Vorstellung von anderer Art sein, wenn sie nur mit jener Einbildung schon zusammen gewesen ist. Denn nur hierauf kommt es an.

§ 13.

Ein Inbegriff von Vorstellungen, die in der Seele zusammen sind, ist eine  Totalvorstellung,  und eine jede von jenen heißt eine (zur letzteren gehörige) Partialvorstellung. Daher kann man das allgemeine Assoziationsgesetze auch so ausdrücken:

Mit einer gegebenen Vorstellung können sich alle, aber auch nur diejenigen unmittelbar vergesellschaften, die mit ihr zu einer Totalvorstellung gehören;  oder wie man auch sagt:  jede Vorstellung ruft ihre Totalvorstellung wieder ins Gemüt. 

Dieses allgemeine Gesetz der Assoziation hat man schon längst richtig aufgefunden und, wenn man von einer kleinen Unbestimmtheit absieht, auch richtig ausgedrückt. Man sagt nämlich schlechthin: mit jeder Vorstellung könnte sich jede andere vergesellschaften, die mit ihr zu einerlei Totalvorstellung gehört. Allein der Zusatz "unmittelbar" darf hier nicht fehlen. Denn unmittelbar assoziieren sich auch solche Vorstellungen, die noch niemals in der Seele zusammen waren, die also noch nicht zu einer Totalvorstellung gehören (§ 12, Nr. 1).

§ 14.

Ehe ich zu einer weiteren Entwicklung des höchsten Gesetzes der Einbildungskraft fortgehen kann, muß ich zuvor die Hypothesen beleuchten, welche die Vergesellschaftung der Vorstellungen in derselben aus mechanischen Gesetzen abzuleiten suchen, und die seit HOBBES' Zeiten anfingen in Umlauf zu kommen. Diese Art zu philosophieren war leicht faßlich, und schien die Sache auf den ersten Blick so einfach und natürlich zu erklären, daß es gar wohl begreiflich ist, wie sie sich einen so ausgebreiteten Beifall erwerben konnte. Unter denen, die dieser Erklärungsart zugetan waren, und sie scharfsinnig genug durchzusetzen suchten, zeichnen sich vorzüglich MALEBRANCHE und HARTLEY aus. Auch hat dieselbe heutigentags ihre Verehrer unter Männern, deren gelehrte Einsichten sonst bekannt genug sind, die sich aber einer tieferen Untersuchung ihrer Hypothese, wodurch man nur allein von der Unstatthaftigkeit derselben überzeugt werden kann, vielleicht eben deshalb überheben, weil dieselbe ein Licht um sich her verbreitet, das auf den ersten Blick allerdings sehr täuschend ist.

Um die Unmöglichkeit einer mechanischen Erklärungsart der Assoziation im Allgemeinen zu erkennen, muß man die beiden Hauptsysteme, die es dabei geben kann, voneinander unterscheiden, und das Wesentliche eines jeden in Erwägung ziehen. Offenbart sich hier eine Unmöglichkeit, sie als gemeine Prinzipien der Assoziation zuzulassen, so können sie auch durch keine Modifikation, die ihnen etwa gegeben werden mag, zu diesem Rang erhoben werden. Alsdann aber müssen sie als Erklärungsgründe der Vergesellschaftung ganz wegfallen, gesetzt auch, daß es einzelne Fälle gibt, die aus mechanischen Gesetzen, von jener Unmöglichkeit überhaupt abgesehen, begreiflich würden. Sollte sich aber auch die Sukzession der Einbildungen aus physiologischen Gründen erklären lassen; so hätte man doch dadurch keine Vergesellschaftung erklärt. Denn nun würde keine Vorstellung durch die andere hervorgerufen, es assoziierte sich keine mit der andern; sondern eine jede würde durch einen Eindruck des Körpers auf die Seele erzeugt. Die physiologischen Gründe sind selbst Objekte für die Seele, und können nichts Subjektives in derselben erklären.

§ 15.

Die beiden Hauptsysteme, unter welche sich alle mechanischen Erklärungsarten der Vergesellschaftung der Vorstellungen, so verschieden modifiziert sie auch erscheinen mögen, mit leichter Mühe bringen lassen, sind folgende:

1) Das System der Nervenschwingungen (wie es mir erlaubt sein mag, dasselbe zu nennen). Dieses System lehrt: die Empfindungen entstehen durch Schwingungen gewisser Nerven; dieselben Schwingungen aber können auch hervorgebracht werden, wenn der Sinnengegenstand abwesend ist; alsdann entstehen Einbildungen von denselben Gegenständen, die sich mithin vergesellschaften, wie jene Schwingungen aufeinander folgen. Die Assoziation der Vorstellungen hängt hier also ab von körperlichen Ursachen, wodurch die Bewegung der Nerven erzeugt und von den Bewegungsgesetzen, wodurch dieselbe von einem Nerven zum andern fortgepflanzt wird.

2) Das System der Lebensgeister.  Diese Hypothese läßt die Empfindungen dadurch entstehen, daß die sogenannten Lebensgeister sich im Gehirn bewegen, und in dasselbe eine gewisse Spur eindrücken. Werden die Lebensgeister, während der empfundene Gegenstand abwesend ist, wieder durch dieselbe Spur, bewegt, so entsteht eine Einbildung vom letzteren. Die Einbildungen vergesellschaften sich mithin so, wie die Bewegungen der Lebensgeister durch die Spuren im Gehirn aufeinander folgen. Folglich hängt auch nach diesem System die Assoziation zuerst von körperlichen Ursachen ab, wodurch die Bewegung der Lebensgeister erzeugt, und dann von einem Bewegungsgesetz, nach welchem diese fortgepflanzt wird.

Wenn wir zunächst nur bei einer ganz allgemeinen Betrachtung dieser Hypothesen stehen bleiben; so wird es doch nicht an Gründen fehlen, welche die Überredung von ihrer Statthaftigkeit nicht wenig wankend machen dürften. Was insbesondere die letztere derselben anlangt, so bezweifelt oder leugnet die neuere, verbesserte Physiologie das Dasein der Lebensgeister und noch mehr der Spuren, die von demselben vorgeblich ins Gehirn eingedrück werden sollen. Hieraus aber folgt von selbst, daß die Assoziation der Einbildungen nicht durch den Lauf jener erdichteten Wesen bewirkt werden kann.

Wenn sich aber das erstere System eine Einbildung  a  vom Gegenstand  A  assoziieren läßt, weil sich eben eine in den Gehirnnerven entstandene Oszillation fortpflanzte und die der  a  zugehörige Schwingung  α  erzeugte, so ist dabei zu bemerken:

1) Die Ursache, wodurch  α  bei der sich assoziierenden Einbildung hervorgebracht werden soll, ist irgendeine andere Nervenschwingung  π,  die sich dergestalt fortpflanzt, daß die erstere entsteht;  π  aber ist etwas von dem Eindruck wesentlich Verschiedenes, den  A  hervorbrachte, als die Oszillation  α  bei der Empfindung entstand. Wenn nun wesentlich verschiedene Ursachen nicht einerlei Wirkungen haben; so kann auch  α  nicht durch  π  erzeugt werden, und Einbildungen können sich nicht durch fortgepflanzte Nervenschwingungen vergesellschaften.

2) Aber man könnte sagen: Die Nerven haben durch die Empfindung des Gegenstandes  A  eine Disposition zur Schwingung  α  dürfen folglich nur überhaupt in Bewegung gesetzt werden, um  α  hervorzubringen. Wenn man die Frage über die Möglichkeit einer solchen Disposition beiseite setzt, so gibt es, unter Voraussetzung ihrer Wirklichkeit, zwei Fälle. Entweder  a)  hat jede Vorstellung ihren eigenen Nerven, dessen Oszillation ihr entspricht, oder  b)  es ist das nicht. Im letzteren Fall würde man durch die Dispositionen nicht das Mindeste gewinnen. Denn alsdann hat jeder Nerv mehrere Dispositionen, und wenn sich die Bewegung eines anderen auf ihn fortpflanzt; so ist überall kein Grund vorhanden, warum gerade die Oszillation  α  entstehen sollte. Im ersteren Fall, wenn jede Vorstellung ihren eigenen Nerven hat; so muß jeder Nerv seine Bewegung auf viele andere fortpflanzen können, und es ist wiederum kein Grund da, warum die Schwingung  α  und nicht irgendeine andere entstand.

Um aber denen, die über die Statthaftigkeit oder Unstatthaftigkeit der mechanischen Erklärungsarten noch zweifelhaft sein sollten, ihr Urteil noch mehr zu erleichtern, bin ich genötigt, da die Sache von Wichtigkeit ist, noch etwas weiter in das Wesentliche dieser Systeme hineinzugehen.

§ 16.

Im Systeme (7) der Nervenschwingungen ist es notwendig, daß man, außer der allgemeinen Verbindung, worin die Gehirnnerven, vermöge der Struktur des Körpers, sich befinden müssen, nocht eine besondere Verknüpfung derselben annehme, die zum Zweck der Assoziation der Vorstellungen veranstaltet wurde. Denn widrigenfalls wäre es unmöglich, daß sie sich ihre Oszillationen so mitteilen könnten, als es doch geschehen muß, wenn hierin der Grund von der Vergesellschaftung der Vorstellungen anzutreffen sein soll: denn nicht verbundene Nerven können sich ihre Schwingungen nicht mitteilen. Dieser Zusammenhang der Gehirnnerven kann aber auf eine doppelte Art gedacht werden. Es können

1) alle ähnlichen, d. h. zu ähnlichen Vorstellungen gehörigen Nerven miteinander in näherer Verbindung stehen. Auf diese Art würde einem jeden Inbegriff ähnlicher Vorstellungen ein kleines abgesondertes Nervensystem entsprechen. Unter dieser Bedingung kann sich mit einer gegebenen Vorstellung jede andere ihr ähnliche vergesellschaften. Aber die Möglichkeit der Assoziation nicht ähnlicher oder gar entgegengesetzter Vorstellungen ist gänzlich aufgehoben, was doch nichts Geringeres als ein offenbarer Widerspruch ist. Denn da es eine unleugbare Tatsache ist, daß sich auch unähnliche und widersprechende Einbildungen gesellschaftlich begleiten, so muß eine solche Assoziation auch möglich sein. Um diesem und ähnlichen Widersprüchen zu entgehen, bleibt nichts anderes übrig, als

2) anzunehmen, daß alle diejenigen Nerven in einer näheren Verknüpfung stehen, die zu einer Totalvorstellung gehören, d. h. durch deren Oszillationen solche Vorstellungen erregt werden, die zusammen eine Totalvorstellung ausmachen. Auf diese Art würde einer jeden Totalvorstellung ein kleines abgesondertes Nervensystem entsprechen, und es würde deren soviele geben müssen, als es Totalvorstellungen gibt. Hierbei sind zwei Fälle möglich.

Man kann

a) annehmen, daß dieselbe Vorstellung  c,  die zur Totalvorstellung  a b c d  gehört, wenn sie in einer anderen Totalvorstellung  e f c g  vorkommt, auch durch die Schwingung eines anderen Nerven erzeugt wird. Entstände sie nämlich das erstemal durch die Schwingung des Nerven  x,  so würde sie, nach dieser Voraussetzung, das anderemal von der Oszillation des Nerven  y  abhängig sein. Nun gehört  x  zum kleinen Nervensystem  q r x s,  welches der Totalvorstellung  a b c d  entspricht;  y  aber zum System  t v y z,  welches der Totalvorstellung  e f c g  angehört. Demnach, da  x  und  y  in keiner näheren Verbindung sind, und also ihre Schwingungen einander nicht mitteilen können; so kann auch mittels derselben keine Oszillation von  r  oder  s  nach  v  oder  z  übergehen, und es würde mithin unmöglich sein, daß sich die Vorstellung  b  oder  d  und  f  oder  g  vergesellschaften könnten. Das ist aber widersprechend, da dergleichen Assoziationen wirklich, und also auch möglich sind.

Als GALILEI in seinem späteren Alter das Gesicht verloren hatte, ging er einst, von seinem vortrefflichen Schüler TORICELLI geführt, über eine ihm bekannte schöne Flur.
    "Einst, lieber  Toricelli",  sagte der Greis und drückte seinem Schüler die Hand, "einst ließen auch mich meine Augen die Reize dieser Gefilde empfinden. Aber jetzt, da ihr Licht verloschen ist, sind diese Freuden für mich dahin. Der Himmel läßt mich die längst prophezeite Strafe dulden. Als ich im Gefängnis nach Freiheit schmachtete und von Ungeduld überwältigt, über die Wege der Vorstellung zu murren begann, erschien mir  Kopernikus  im Traum. Der himmlische Geist führte mich über leuchtende Gestirne hin und verwies mir drohend, daß ich mich gegen den auflehne, auf dessen Wink alle diese Welten aus ihrem Nichts hervorgegangen wären. Deine Augen, sagte er, werden dir einst verweigern, diese Wunder anzuschauen."
Ich halte mich hier bei der Erklärung der ganzen Zusammensetzung dieses und ähnlicher Träume nicht auf: dazu wird sich unten Gelegenheit finden. Nur diese Bemerkung fällt in die Augen. In der anfänglichen Totalvorstellung des erzählten Traumes  a b c d  war die Vorstellung von einem himmlischen Geist  a  enthalten. Hiermit assoziierte sich die Vorstellung des Weissagens  g:  weil beide schon in einer anderen Totalvorstellung verbunden gewesen waren. Denn GALILEI hatte es sich schon öfter gedacht, daß ein himmlischer Geist weiter in die Zukunft sehen kann, als wir sterblichen Menschen. Wäre aber  a  im Traum durch die Schwingung eines anderen Nerven hervorgebracht worden, als in der ersten Totalvorstellung; so hätte sich auch  g  nicht mit den Bildern des Traums assoziieren können: KOPERNIKUS würde dem GALILEI nichts geweissagt haben.

Es lassen sich auch noch andere Gründe gegen die Statthaftigkeit der vorliegenden Hypothese beibringen:
    1) die Menge der kleinen Nervensysteme, die man unter der Voraussetzung der selben in einem beschränkten Raum des Gehirns annehmen müßte, würde allen vernünftigen Glauben übersteigen.

    2) Das Entstehen der theoretischen Fertigkeiten unserer Seele würde unmöglich sein. Denn wie könnte die Leichtigkeit in der Hervorbringung gewisser Vorstellungen zunehmen, wenn diese bei jeder Wiederholung durch die Schwingung eines neuen Nerven, also auf einem neuen und ganz ungewohnten Weg, erzeugt würden!
In dieser Gestalt also muß die Hypothese der Nervenschwingungen auch aufgegeben werden, da sie keine Beleuchtung verträgt. Aber vielleicht wird sie uns glücklicher zum Ziel führen, wenn wir

b) den anderen möglichen Fall annehmen, daß eine jede Vorstellung  c,  in allen Totalvorstellungen, worin sie nur enthalten sein mag, immer durch die Schwingung desselben Nerven  x  hervorgebracht wird, die Anhänger dieser Meinung vermeiden freilich das Widersprechende der vorigen; aber sie verwickeln sich in andere Schwierigkeiten, wodurch sie gleichfalls von ihrer Hypothese abzustehen genötigt werden. Will man nämlich eine nach derselben eingerichtete Nervenverbindung im Gehirn annehmen; so ist der Zusammenhang in den abgesonderten kleinen Nervensystemen entweder
    aa) schon wirklich gewesen, ehe die Totalvorstellungen, denen sie entsprechen, wirklich wurden; oder er entsteht

    bb) zugleich mit diesen Totalvorstellungen.
Im ersten Fall hätten sich die Schwingungen eines jeden Nerven zu jedem andern mit ihm verbundenen schon fortpflanzen, mithin die ihnen zugehörigen Vorstellungen sich schon assoziieren müssen, ehe diese als Teile einer Totalvorstellung in der Seele zusammen waren. Abermals eine Unmöglichkeit.

Nie kann sich die Vorstellung  b  mit  a  vergesellschaften, wenn nicht beide schon verbunden gewesen sind. (Wenn  b  zufälligerweise auf  a  folgt, so ist das keine Vergesellschaften). Man lasse einen der deutschen Sprache unkundigen Ausländer den Schall des Wortes  Hochmut  noch so oft hören; es wird ihm dennoch die Bedeutung desselben, oder der entsprechende Ausdruck seiner Muttersprache nicht einfallen; wenn er nicht vorher auf irgendeine Art darüber unterrichtet worden ist. Er hat aber doch den Begriff, den das Wort "Hochmut" bezeichnet und kennt den Ausdruck dafür in seiner Muttersprache.

Man kann hier nicht einwenden: die Vorstellung  b  habe sich mit  a,  ehe sie beide als Partialvorstellungen verbunden wurden, deshalb nicht vergesellschaftet, weil der zur ersteren gehörige Nerv  y  der Aufnahme der oszillierenden Bewegung noch zu sehr widerstanden hat, welcher Widerstand allererst dadurch gehoben werden kann, daß  a  und  b  zusammengehörige Partialvorstellungen werden. Das, sage ich, läßt sich nicht einwenden. Denn wenn man auch zugeben wollte, daß diese Ausnahme in einigen Fällen gültig ist, so führt sie doch in sehr vielen anderen auf einen Widerspruch, in all denen nämlich, wo  b  eine bekannte und geläufige Vorstellung ist. Alsdann muß der Nerv  y  für die Schwingung, von der  b  abhängt, in hohem Grad empfänglich sein, und kann der Aufnahme derselben nicht widerstehen. Das ist der Fall im angeführten Beispiel, zu welchem unzählige andere ohne Mühe hinzugesetzt werden können.

Diese Betrachtungen nötigen den denkenden Verteidiger des Systems der Nervenschwingungen, von dem hier betretenen Weg zurückzukehren und den einzigen der noch offen steht, einzuschlagen. Er muß annehmen: der Zusammenhang in den kleinen, den verschiedenen Totalvorstellungen entsprechenden Nervensystemen entsteht zugleich mit den ersteren. Unter dieser Bedingung muß (so wie auch bei der vorigen) die Nervenverbindung im Gehirn eines jeden Menschen anders beschaffen sein, da dieselben niemals in der Sukzession ihrer Vorstellungen übereinkommen, und man muß annehmen, daß die Nerven in einem Augenblick miteinander verkettet werden könnten, da eine Totalvorstellung, deren Teile sich nachher assoziieren, oft nur von augenblicklicher Dauer ist. Wenn man es sich auch gefallen lassen will, dieses, ansich betrachtet, als möglich vorauszusetzen; so gibt es doch Fälle, wo es durchaus unmöglich wird, man mag sich die enstehende Nervenverbindung denken, wie man will. Die Nerven mögen immerhin aus so feinem Stoff bestehen, daß sie sich unseren Sinnen, selbst, wenn man will, den bewaffneten, entziehen; so sind sie doch unabhängig voneinander wirklich, und im Raum voneinander verschieden. Einige liegen näher beisammen, andere sind entfernter voneinander: einige sind durch einen kleinsten, andere aber durch einen größten Zwischenraum voneinander getrennt. Daß nun die letzteren überhaupt unmittelbar verbunden werden, widerspricht dem Wesen des Raums; und daß dies in einem Augenblick geschieht, widerstreitet diesem, wie auch den Gesetzen der Bewegung. Gleichwohl aber müßte beides möglich sein. Denn es gibt, selbst unter den ungleichartigsten, überall keine Vorstellungen, die sich, sobald sie nur in einer augenblicklichen Totalvorstellung zusammen waren, nicht nachher wieder vergesellschaften könnten.

Ich habe hierbei noch angenommen, daß sich die physische Verknüpfung der Nerven während der ihnen zugehörigen Vorstellungen überhaupt denken läßt; aber diese Möglichkeit würde schwer zu beweisen sein, selbst für diejenigen, die einander am nächsten liegen; zumal wenn man noch dazu nimmt, daß dieselben auf eine unübersehbar mannigfaltige Art miteinander verknüpft werden müßten.

Da demnach auch der letzte Weg, worauf uns das System der Nervenschwingungen den Grund von der Assozitaion der Vorstellungen entdecken wollte, nicht zum Ziel führt; so bleibt nichts übrig, als diese Erklärungsart ganz zu verlassen und, wenn man den Mechanismus zu lieb hat, um ihm ganz untreu zu werden, zum andern System desselben seine Zuflucht zu nehmen. Ob man ber besser dabei fährt, wir sich gleich mehrfach ergeben.

§ 17.

Das System der Lebensgüter läßt die bei jeder Vorstellung im Gehirn gedrückten Spuren miteinander verbunden werden, wenn die ihnen korrespondierenden Vorstellungen zu einer Totalvorstellung verknüpft sind. Den Vorstellungen  a b c d  entsprechen die Spuren  s t v x.  Werden  a b c d  zusammen in eine Totalvorstellung vereinigt; so kommen auch  s t v x  im Gehirn in Verbindung. Kommt nachher  a  wiederum einmal zu Bewußtsein; so laufen die Lebensgeister durch  s,  und weil mit  t v x  mit  s  verbunden sind, so können jene auch leicht die letzteren Spuren durchlaufen. Geschieht das, so assoziieren sich  b c d. 

Da sich, außer dem was in § 15 über dieses System gesagt ist, auch manches im vorigen § Beigebrachte, nur mit der gehörigen Abänderung, auf dasselbe anwenden läßt; so wird es hinreichen, nur noch folgende Bemerkung zu machen.

1) Da sich die Lebensgeister in Zeit und Raum bewegen müssen, und da sogar, diesem System zufolge, der Unterschied der Vorstellungen nur gegründet sein kann in der Verschiedenheit des Raumes oder der Örter, welche jene durchlaufen, und in der Verschiedenheit der Zeit, worin sie diesen Lauf vollbringen (man müßte dann mit einigen annehmen, daß die Lebensgeister aus verschiedenem Stoff zusammengesetzt sind); so muß man in der Beurteilung dieser ganzen Hypothese vorzüglich die Verhältnisse in Anschlag bringen, welche durch die Bewegung der Lebensgeister in Zeit und Raum notwendig entstehen. Hierbei aber, wenn man such die durch den Lauf der Lebensgeister bewirkte Assoziation der Vorstellungen überhaupt als möglich einräumen wollte, ereignen sich unvermeidliche Widersprüche. Denn

a) würde eine, dem Bewußtsein nach, unmittelbare Vergesellschaftung entfernter Vorstellungen unmöglich sein. Unter  entfernten  Vorstellungen nämlich verstehe ich, in Bezug auf die Assoziationen, solche, bei denen die Seele nur mittels einiger (dunkler oder klarer) Zwischenvorstellungen von der einen zur anderen übergehen kann; und eine Vergesellschaftung geschieht  dem Bewußtsein nach unmittelbar,  sofern zwischen einer gegebenen Vorstellung  a  und der sich damit assoziierenden  d  keine andere  b  oder  c  zu Bewußtsein kommt.

Man setze die verschiedenen Totalvorstellungen:  ab, bc, cd;  so sind  a  und  d  entfernte Vorstellungen. Soll  d  mit  a  vergesellschaftet werden, so muß die Einbildungskraft von  a  zu  b,  von  b  zu  c  und schließlich von  c  zu  d  fortschreiten. Nun ist es aber ungezweifelt gewiß, daß sich in sehr vielen Fällen dieser Art, in unserem Bewußtsein  d  mit  a  unmittelbar vergesellschaftet. Dieser Fall würde nach der vorliegenden Hypothese unmöglich sein. Den Totalvorstellungen  ab, bc, cd  mögen im Gehirn die Spuren  α β, β γ γ δ  entsprechen; so müssen die Lebensgeister, wenn sich  d  mit  a  vergesellschaftet, von  α  ausgehen, und bevor sie in  δ  anlangen, erst  β  und  γ  durchlaufen. Denn  α  und  δ  sind nicht miteinander verbundenk: weil sich sonst, gegen die allgemeine Erfahrung, Vorstellungen unmittelbar assoziieren würden, die gar nicht zu einer Totalvorstellung gehören. Demnach, da die Bewegung der Lebensgeister schon in  α  und noch in  δ  stark und geschwind genug ist, die den Spuren zugehörigen Vorstellungen zu Bewußtsein zu bringen; so müßten auch, indem die Lebensgeister durch  β  und  γ  laufen,  b  und  c  zur Klarheit erhoben werden.

Es würde eine ganz vergebliche Ausflucht sein, zu sagen:  a  und  d  sind in Fällen dieser Art für das gegebene Subjekt stärkere und klarere Vorstellungen als  b  und  c;  die Spuren der ersteren,  α  und  &delta,  sind daher tiefer in das Gehirn eingedrückt und gebahnter, als  β  und  γ  es könne folglich eine Bewegung der Lebensgeister in  α  und  δ  hinreichend sein, die zugehörigen Vorstellungen zu Bewußtsein zu bringen, die aber deshalb nicht auch in  β  und  γ  zu dieser Absicht ausreichen.Hierauf antwortete ich  aa)  gesetzt, daß dies in einigen Fällen von der angezeigten Art zutrifft; so ist es doch in vielen anderen falsch, in all denen nämlich, wo  b  und  c  ebenso starke und klare Vorstellungen für das gegebene Subjekt sind, wie  a  und  d;  wo also  β  und  γ  ebenso tief eingedrückte und ebenso gebahnte Spuren sein müssen, wie  α  und  δ  und folglich der Bewegung der Lebensgeister, ebenso wenig wie diese, Widerstand leisten können.  bb)  Entweder ist die Bewegung der Lebensgeister so, wie sie von  α  ausgeht, ebenso stark und geschwind, wie sie in  β  und  γ  war, da  b  und  c  zuerst klar vorgestellt wurden; oder nicht. Im ersten Fall erhellt sich von selbst, daß sie auch jetzt hinreichen muß,  b  und  c  zu Bewußtsein zu bringen. Im anderen Fall muß sie hierzu gleichfalls hinlänglich sein können, solange sie groß genug ist, die Vorstellung  a  klar zu machen. Widrigenfalls bezeichne man sie durch  m;  so kann zur Totalvorstellung  ab  noch eine dritte Partialvorstellung  l  gehören, die, da es eine bedingt größte Bewegung geben kann, in ihrer zugehörigen Spur  δ  gar keine größere Bewegung der Lebensgeister zuläßt, als  m  ist. Nun wird  l  durch irgendeine Veranlassung klar vorgestellt; so ist es dann unmöglich, daß sich  b  so damit assoziiert, daß wir uns dieser Vorstellung bewußt würden. Denn obgleich die Lebensgeister von  &delta  nach  β  herüberlaufen können, so kann doch ihre Bewegung nicht größer als  m  sein, also nicht den Grad haben, der erforderlich sein würde,  b  zur Klarheit zu bringen.

Dies aber widerspricht den klarsten, vor Augen liegenden, Tatsachen. Von jeden gegebenen Vorstellungen, die in einem gegenwärtigen Augenblick in einer Totalvorstellung enthalten sind (sofern sie nur überhaupt in die Sphäre der Einbildungskraft gehören) ist es möglich, daß sich in den folgenden Augenblicken eine mit der anderen assoziiert.

b) Auch ist es nicht außer Acht zu lassen, daß die Vergesellschaftung der Vorstellungen, sofern sie durch den Lauf der Lebensgeister im Gehirn bewirkt würde, manche Bewegungen der letzteren notwendig machen müßte, die deshalb und insofern unmöglich sind, als sie, wie alle Bewegungen, in der Zeit geschehen müssen. Jede zwei Vorstellungen, wenn sie nur zu einer Totalvorstellung gehören, können sich in einem Augenblick miteinander vergesellschaften. Es müßten also die Lebensgeister von jeder Spur im Gehirn zu jeder andern in einem Augenblick herüber laufen können. Allein da jede Bewegung in der Zeit geschieht, und die Größe der letzteren mit der Größe des beschriebenen Weges, wenn alles übrige gleich ist, im direkten Verhältnis steht; so könnten nicht alle möglichen Übergänge der Lebensgeister aus einer Spur in die andere in gleichen Zeiten geschehen. Es müßte demnach unter den Vorstellungen von einem bestimmten Grad der Klarheit und Stärke einige geben (diejenigen nämlich, deren Spuren im Gehirn weiter voneinander entfernt liegen), die sich nicht so augenblicklich miteinander vergesellschaften könnten, wie die übrigen, und das müßte am merklichsten sein bei denjenigen, deren Spuren durch den größten Zwischenraum getrennt wären.

So führt uns auch die Betrachtung der notwendigen Bewegungsgröße auf die Unmöglichkeit, die Vergesellschaftung der Vorstellungen vom Lauf der Lebensgeister abzuleiten.

Diese Hypothese verwickelt sich zudem noch

2) in andere unauflösliche Schwierigkeiten, in dem sie entweder manche Veränderungen ohne allen Grund annehmen, und so mit einem allgemeinsten Naturgesetz streiten, oder, wenn sie das nicht will, mit der Erfahrung in Widerspruch geraten muß. Ich habe hier insbesondere die ungewöhnlichen Vergesellschaftungen der Vorstellungen im Sinn. Unsere meisten Vorstellungen sind mit unzähligen anderen assoziiert,  a  mit  b c d ...;  folglich müssen auch die ihnen zugehörigen Spuren im Gehirn mit ebenso vielen anderen Spuren,  α  mit  β γ δ ...  verknüpft sein. Nun aber kann  a  mit einer von denselben, etwa mit  b,  am stärksten vergesellschaftet sein; so daß sie  b  sehr oft damit assoziiert;  c  oder  d  hingegen assoziieren sich nur höchst selten mit  a.  Unter dieser Voraussetzung müssen die Spuren  α  und  β  so beschaffen sein, und in einem solchen Verhältnis gegeneinander stehen, daß darin ein Grund liegt, warum die Lebensgeister von  α  vielmehr nach  β,  als nach  γ  oder  δ  übergehen. Dieser Grund kann kein anderer sein, als der:  β  muß zunächst an  α  angrenzen, muß eine tiefer eindrückte Spur sein als  γ  und  δ  und es müssen in ihr, wie auch zwischen ihr und  α  die wenigsten Hindernisse angetroffen werden, die sich den bewegten Lebensgeistern entgegensetzen könnten.

Allein a) kann dieser Grund, wenn man ihn als möglich voraussetzt, doch nicht dann stattfinden, wenn  c  und  d  ebenso starke und klare Vorstellungen sind wie  B;  wobei in diesem Fall  γ  und  δ  den Lebensgeistern einen ebenso gebahnten Weg anbieten, wie  β. b) In den Fällen aber, wo der vorgebliche Grund wirklich seine Anwendung finden könnte, wenn nämlich  c  und  d  weniger klar und stark als  b,  also  γ  und  δ  schwächer dem Gehirn eindrückt wären, als  β,  in diesen Fällen, sage ich, würde ein Widerspruch mit der Erfahrung entstehen. Es könnte nämlich unter der Voraussetzung der gedachten Bedingung, niemals  c  oder  d,  es müßte immer  b  mit  a  vergesellschaftet werden. Denn wenn  β  zunächst an  α  grenzt, wenn den Lebensgeistern die wenigsten Hindernisse entgegen stehen, sofern sie sich von  α  nach  β  bewegen und  β  die am tiefsten eindrückte Spur ist; so kann die Bewegung der Lebensgeister von  α  aus keine andere Richtung nehmen, als nach  β.  Also kann sich mit  a  keine andere Vorstellung als  b  assoziieren; welchem aber die Erfahrung widerstreitet. Man muß also entweder die Unrichtigkeit der zugrunde liegenden Voraussetzung eingestehen, oder eine Bewegung der Lebensgeister annehmen, die, da sie ohne alle und gegen die angezeigten Gründe geschehen würde, unmöglich ist.

3) Man kann diese Gedanken noch erweitern und überhaupt fragen: Wie ist es möglich, daß sich die Lebensgeister so unordentlich und verworren bewegen können, wie man nach der Hypothese, daß durch ihre Bewegung die Assoziation der Vorstellungen gewirkt were, überhaupt annehmen muß? Denn da die Bilder der Einbildungskraft bald so, bald wieder anders aufeinanderfolgen, sich einander durchkreuzen und ihrer Sukzession keine gleichartige Wiederkehr beobachten lassen; so müßte dies auch in den Bewegungen der Lebensgeister der Fall sein. Allein der Fall ist nicht denkbar, da in allen Veränderungen, die von einem Mechanismus abhängen, eine gleichartige Wiederkehr stattfinden muß. Diese Bemerkung entging denen, die den mechanischen Erklärungsarten der Assoziation unter anderen auch deswegen ihren Beifall zuriefen, weil dadurch, ihrer Meinung nach, die unübersehbare Mannigfaltigkeit der sich assoziierenden Einbildungen begreiflicher gemacht wird.

§ 18.

Um nichts zu übergehen, was für die Hypothesen, nach welchen die Assoziation der Vorstellungen durch die Sukzession gewisser Modifikationen des Gehirns bewerkstelligt werden soll, zu streiten scheinen könnte; muß ich noch den Einfluß berühren, den der Wille, oder überhaupt das Begehrungsvermögen auf die Anordnung der Reihe jener Modifikationen haben könnte. Das Begehrungsvermögen, könnte man sagen, lenkt in vielen Fällen den Lauf der Lebensgeister oder die Nervenschwingungen, und daraus werden dann diejenigen Assoziationen begreiflich, die sich sonst von diesen Gehirnveränderungen nicht würden herleiten lassen.

Ich antworte hierauf:

1) Jede Tätigkeit des Willens setzt eine Vorstellung voraus, ist ohne diese nicht möglich. Die Sukzession der Einwirkungen des Begehrungsvermögens, die dasselbe auf die Reihe der sich assoziierenden Vorstellungen vornimmt, beruth also auf einer Assoziation von Vorstellungen. Wir stehen also in der Auflösung der Aufgabe noch auf demselben Fleck: die Schwierigkeit ist nicht gehoben, sie ist nur einen Augenblick länger verspart worden.

2) Die Einwirkung des Begehrungsvermögens auf die Vergesellschaftung der Vorstellungen kann auch nur ganz allgemein und unbestimmt sein, sich nur auf die Hervorbringung einer gewissen Reihe von Einbildungen überhaupt, aber schlechterdings nicht auf das Hervorrufen und auf die Anordnung der einzelnen Vorstellungen selbst erstrecken. Denn sollte sich irgendeine einzelne Einbildung durch eine Wirkung des Begehrungsvermögens assoziieren, so müßte diese offenbar vor jener vorhergehen: denn sonst könnte sie auf die letztere auf keine Art einwirken. Allein, da keine Tätigkeit des Begehrungsvermögens vor der einzelnen Vorstellung voraufgehen kann, womit sie sich beschäftigen soll, so ist dieser Fall unmöglich. Wir können uns zwar vornehmen oder auch wünschen, über einen gewissen Gegenstand nachzudenken, und Untersuchungen darüber anstellen; aber man kann nicht beschließen, und es wäre lächerlich, zu sagen, man habe beschlossen, was für einzelne Vorstellungen uns bei diesem Nachdenken einfallen sollen.

Vielleicht hat mich der Gedanke, daß die beurteilten mechanischen Erklärungsarten der Vergesellschaftung der Vorstellungen noch unter den neuesten Beobachtern der menschlichen Seele ihre Verteidiger finden, verleitet, in der Aufdeckung der Inkonsequenz, die sich in diesen Hypothesen bei einer genaueren Entwicklung verraten muß, etwas zu weitläufig zu sein. Es war aber keine unwichtige Angelegenheit für meine Untersuchungen, die Wahrheit ins Licht zu stellen: daß die Sukzession der Einbildungen auf keine Weise in irgendeiner Sukzession körperlicher Veränderungen gegründet sein kann, und hierdurch von neuem zu bestätigen, daß der allgemeine Grund davon einzig und allein in der Seele und zwar in der Natur der Einbildungskraft gesucht werden muß. Die gesamte Organisation ist ein Objekt für die Seele und kann nichts Subjektives in der letzteren erklären.

§ 19.

Das höchste Gesetz der Einbildungskraft, so wie ich es aus der wesentlichen Beschaffenheit dieses Vermögens in seiner Wirkungsart habe abzuleiten gesucht, ist von den besten Kennern der menschlichen Seele, wie schon bemerkt, und überdem bekannt genug ist, durch Abstraktion von den wirklichen Vergesellschaften schon längst aufgefunden und als das allein richtige anerkannt. Inzwischen fehlt es doch nicht an scharfsinnigen Psychologen, die ihm diese Gerechtigkeit widerfahren lassen. Sie behaupten vielmehr: es gelte dasselbe bloß insofern, als die Phantasie ganz allein wirksam ist; hingegen, sobald andere Vermögen, vorzüglich die Dichtungs- und Begehrungskraft mit ins Spiel kommen, kann die Sukzession der Einbildungen gar nicht aus demselben erklärt werden (8). was nun insbesondere das Dichtungsvermögen anlangt; so erhellt sich aus dem Obigen (§ 8), daß dasselbe nur ein Zweig, oder eine besondere Modifikation der Einbildungskraft und folglich eben den allgemeinen Gesetzen unterworfen ist, welche die Einbildungskraf überhaupt zu befolgen genötigt ist. Überhaupt aber kann das allgemeine Assoziationsgesetz, obgleich alle einzelnen Assoziationen ihm gemäß geschehen müssen, eben deswegen, weil es allgemein ist, nicht die besonderen Gründe angeben, wodurch die Assoziation in den einzelnen Fällen modifiziert oder wodurch es in einem solchen Fall bestimmt wird: welche von den mehreren, nach dem allgemeinen Gesetz möglichen, Assoziationen wirklich stattfinden soll. Diese besonderen Gründe, welche die Reihe der Einbildungen modifizieren können, geben untergeordnete Assoziationsgesetze an die Hand, welche vollständig aufzufinden ebenso schwer wie wichtig und das Geschäft ist, das ich im folgenden Kapitel auszuführen den Versuch machen werde.
LITERATUR - Johann Gebhard Ehrenreich Maaß, Versuch über die Einbildungskraft, Halle und Leipzig 1797
    Anmerkungen
    1) Vgl. meine Logik § 3.
    2) Zum Beispiel TETENS in seinem Versuch über die menschlichen Natur, Bd. 1, Nr. 14 und 15.
    3) siehe BAUMGARTEN, Metaphysik, § 278
    4) "Ich  verstehe  es zwar nicht, aber, wenn ich  nach meinem Gefühl  urteilen soll, so ist diese Musik sehr schön", sagt der bescheidene Nichtkenner der Kunst, wenn man ihn um sein Urteil frägt. Er will sich also kein Urteil des  Verstandes  anmuten, sondern nur ein sinnliches, wo er, nicht nach Begriffen, sondern nur nach dem Gefühl, urteilt.
    5) Man hat diese Unterscheidung aus dem Grund verwerfen wollen, "weil es auch scharfsinnigen Witz gibt". Das wußte BAUMGARTEN auch; denn er handelt vom  scharfsinnigen Witz.  Und gibt es denn etwa keine Dinge, die in einigen Merkmalen übereinstimmen, in anderen verschieden sind? Kann etwa die Vorstellung ihrer Übereinstimmung und Verschiedenheit nicht zusammen bestehen?
    6) CHRISTIAN WOLFF, Psychologia rationalis, § 223, 224.
    7) Ich habe hier, dem Ausdruck nach, nur auf einen der im vorigen gedachten Fälle Rücksicht genommen, auf den nämlich, welcher einer jeden Vorstellung einen eigenen Nerven einräumt: teils weil dieser Fall bei weitem der scheinbarste ist, teils weil die hierin vorkommenden Widersprüche mit leichter Mühe auf den anderen Fall anwendbar sind, wenn man nur statt eines schwingenden Nerven  x  bloß eine Oszillation  x  setzt, und dann bedenkt, daß doch auch in diesem Fall mehrere Nerven vorhanden sein und sich ihre Schwingungen mitteilen müssen.
    8) zum Beispiel TETENS, Versuch über die menschliche Natur, Bd. 1, Seite 108.