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JUDITH BUTLER
Das fiktive Geschlecht
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"Männer und Frauen sind politische Kategorien und keine natürlichen Tatsachen."

SIMONE de BEAUVOIR in  Das andere Geschlecht : "Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es. " Dieser Satz klingt merkwürdig, ja sogar unsinnig, denn wie kann man eine Frau werden, wenn man es nicht bereits die ganze Zeit ist? Wer ist dieser jemand, der hier etwas wird? Gibt es einen Menschen, der zu einem bestimmten Zeitpunkt seine Geschlechtsidentität wird? Sollen wir annehmen, daß dieser Mensch nicht seine Geschlechtsidentität war, bevor er sie wurde? Wie "wird" man seine Geschlechtsidentität? Wie sieht der Moment oder der Mechanismus der Konstruktion der Geschlechtsidentität aus? Oder vielleicht ist die folgende Frage entscheidender: Wann erscheint dieser Mechanismus auf der kulturellen Bühne, um das menschliche Subjekt in ein geschlechtlich bestimmtes Subjekt (gendered subject) zu verwandeln?

Gibt es überhaupt Menschen, die sozusagen nicht immer schon geschlechtlich bestimmt sind? Die Markierung der Geschlechtsidentitäten scheint den Körpern die Eigenschaft "menschlicher Körper" zu verleihen. Ein Kind (infant) wird in dem Augenblick zum menschlichen Wesen, wenn die Frage: "Ist es ein junge oder ein Mädchen?" beantwortet ist. Jene Körperfiguren dagegen, die nicht in eine der Geschlechtsidentitäten passen, fallen aus dem Bereich des Menschlichen heraus, bilden das Gebiet des Entmenschlichten und Verworfenen, gegen das sich das Menschliche selbst konstituiert. Wenn die Geschlechtsidentität immer schon existiert und im voraus absteckt, was als menschliches Wesen bestimmt wird, wie können wir dann von einem Menschen sprechen, der seine Geschlechtsidentität wird, so als ob die Geschlechtsidentität ein Postscriptum oder ein kulturelles Afterdenken wäre?

BEAUVOIR wollte natürlich nur darauf hinweisen, daß die Kategorie "Frau(en)" ein veränderlicher kultureller Erwerb, ein Bedeutungskomplex ist, der innerhalb eines kulturellen Feldes überbzw. aufgenommen wird, und daß niemand mit einer Geschlechtsidentität zur Welt kommt. Die Geschlechtsidentität (gender) ist stets erworben. Andererseits war Beauvoir bereit zu behaupten, daß man mit einem Geschlecht (sex), als ein Geschlecht und sexuell bestimmt (sexed) zur Welt kommt. BEAUVOIR behauptete: sexuelle Bestimmtheit und Menschsein seien deckungsgleich und gleichzeitig; das anatomische Geschlecht sei ein analytisches Attribut des Menschen; es gibt keinen Menschen, der nicht sexuell bestimmt ist; das Geschlecht kommt dem Menschen als notwendiges Attribut zu. Aber das anatomische Geschlecht ist nicht die Ursache der Geschlechtsidentität, und die Geschlechtsidentität läßt sich nicht als Widerspiegelung oder als Ausdruck des Geschlechts verstehen. Für BEAUVOIR ist das Geschlecht tatsächlich unwandelbar faktisch, die Geschlechtsidentität dagegen erworben, und während das anatomische Geschlecht nicht verändert werden kann - so dachte zumindest BEAUVOIR -, stellt die Geschlechtsidentität eine variable kulturelle Konstruktion des Geschlechts dar: nämlich die unzähligen offenen Möglichkeiten kultureller Bedeutung, wie sie ein sexuell bestimmter Körper hervorruft.

"Man kommt nicht als Frau zur Welt. " - In ihrem gleichnamigen Artikel, der in  Feminist Issues  veröffentlicht wurde, greift WITTIG den Satz BEAUVOIRs wie ein Echo wieder auf. Welches Echo und welche Re-präsentation von BEAUVOIR bietet uns WITTIG dar? Zwei ihrer Thesen erinnern an BEAUVOIR und setzen WITTIG zugleich von ihr ab: Die erste lautet, daß die Kategorie des Geschlechts weder unveränderlich noch natürlich ist, sondern einen spezifischen politischen Einsatz der Kategorie "Natur" darstellt, der den Zwecken der reproduktiven Sexualität dient. Anders formuliert: Es gibt keinen Grund, die menschlichen Körper in das männliche und das weibliche Geschlecht aufzuteilen; außer diese Aufteilung paßt zu den ökonomischen Bedürfnissen der Heterosexualität und verleiht der Institution der Heterosexualität einen naturalistischen Glanz. Daher macht WITTIG keinen Unterschied zwischen dem anatomischen Geschlecht (sex) und der Geschlechtsidentität (gender); vielmehr ist die Kategorie "Geschlecht" selbst bereits eine kulturell generierte Geschlechterkategorie (gendered category), die vollständig politisch besetzt, und obgleich naturalisiert, nicht natürlich ist.

Die zweite These von WITTIG, die der Intuition eher zuwiderläuft, lautet: Eine Lesbierin ist keine Frau. Eine Frau, argumentiert WITTIG, existiert nur als Term, der eine Binarität und gegensätzliche Beziehung zu einem Mann stabilisiert und festigt. Diese Beziehung ist nach WITTIG heterosexuell bestimmt. Da eine Lesbierin die Heterosexualität ablehnt, so argumentiert WITTIG, läßt sie sich nicht mehr nach Maßgabe dieser gegensätzlichen Beziehung definieren. WITTIG behauptet also, daß eine Lesbierin den binären Gegensatz zwischen Frau und Mann überschreitet, daß die Lesbierin weder eine Frau noch ein Mann ist. Darüber hinaus hat die Lesbierin kein Geschlecht; sie steht jenseits der Kategorie des Sexus. Durch ihre Zurückweisung dieser Kategorie entlarvt die Lesbierin (die Pronomen werden hier ein Problem) die kontingente kulturelle Konstitution dieser Kategorien und die verschwiegene, aber bleibende Voraussetzung der heterosexuellen Matrix. Daher können wir mit WITTIG sagen: Man kommt nicht als weibliches Wesen (female) zur Welt, man wird es. Oder noch radikaler: man kann, wenn man will, weder ein weibliches, noch ein männliches Wesen, weder eine Frau, noch ein Mann werden. Damit erscheint die Lesbierin als dritte Geschlechtsidentität (gender), oder wie ich zeigen werde, als eine Kategorie, die sowohl das anatomische Geschlecht (sex) als auch die Geschlechtsidentität als feste politische Beschreibungskategorlen radikal in Frage stellt.

WITTIG begreift die diskursiven Kategorien wie z. B. das "Ge-schlecht" als Abstraktionen, die dem gesellschaftlichen Feld gewaltsam auferlegt werden und eine verdinglichte Realität "zweiter Ordnung" hervorbringen. Während die Individuen scheinbar über eine "unmittelbare Wahrnehmung" des Geschlechts als einer objektiven Gegebenheit der Erfahrung verfügen, legt WITTIG dar, daß das Objekt gewaltsam zu dieser Gegebenheit geformt wurde und daß die Geschichte und die Mechanismen dieser gewaltsamen Formung nicht mehr an dem Objekt in Erscheinung treten. Demnach stellt das "Geschlecht" den Realitäts-Effekt eines gewaltsamen Prozesses dar, der gerade durch seine Effekte verschleiert wird. Was in Erscheinung tritt, ist lediglich die Kategorie "Geschlecht", so daß das "Geschlecht" als Totalität dessen, was ist, wahrgenommen wird. Scheinbar hat das Geschlecht keine Ursache, nur weil die Ursache nirgends zu erkennen ist. WITTIG sieht durchaus, daß ihre Position der Intuition zuwiderläuft, doch möchte sie gerade die politische Kultivierung der Intuition aufklären, entlarven und in Frage stellen:

Das Geschlecht wird als "unmittelbar Gegebenes", als "sinnlich Gegebenes", als "physikalische Merkmale" aufgefaßt, die zu einer natürlichen Ordnung gehören. Aber was wir für eine physische, unmittelbare Wahrnehmung halten, ist nur eine kulturell erzeugte, raffinierte und mythische Konstruktion, eine "imaginäre Formation", die die physikalischen Merkmale (die an sich ebenso neutral sind wie andere, aber durch ein Gesellschaftssystem markiert werden) durch das Netz der Beziehungen reinterpretiert, in dem sie wahrgenommen werdend.

Die "physikalischen Merkmale" scheinen in bestimmtem Sinne da zu sein, gleichsam auf der anderen Seite der Sprache, unmarkiert durch ein gesellschaftliches System. Dennoch ist unklar, wie diese Merkmale benannt werden können, ohne die reduktive Wirkung der Kategorie "Geschlecht" zu reproduzieren. Denn die zahlreichen Merkmale gewinnen ihre Bedeutung und Einheitlichkeit erst durch ihre Artikulation innerhalb der Kategorie des Geschlechts. Oder anders formuliert: das Geschlecht legt einer sonst diskontlnuierlichen Reihe von Attributen eine künstliche Einheit auf. Als sowohl diskursive wie perzeptuelle Kategorie steht der Begriff "Geschlecht" für ein geschichtlich kontingentes epistemisches Regime, für eine Sprache, die die Wahrnehmung formt, indem sie das Beziehungsgeflecht prägt, durch das die physikalischen Körper wahrgenommen werden.

Existiert überhaupt ein "physikalischer" Körper vor dem perzeptuell wahrgenommenen Körper? Diese Frage läßt sich nicht entscheiden. Denn nicht nur die Versammlung der Attribute unter die Kategorie "Geschlecht" ist suspekt, sondern auch die Unterscheidung (discrimination) der "Merkmale" selbst. Daß der Penis, die Vagina, die Brüste usw. benannte Geschlechtsteile sind, bedeutet, daß der erogene Körper auf diese Teile eingeschränkt wird und zugleich der Körper als Ganzes fragmentiert wird. In Wirklichkeit ist die Einheit, die dem Körper durch die Kategorie "Geschlecht" auferlegt wird, eine "Un-Einheit", eine Fragmentierung und Aufsplitterung sowie eine Reduktion der Erogenität. So wundert es nicht, daß WITTIG in ihrem Buch  Le Corps lesbien  den "Sturz" der Kategorie "Geschlecht" textuell durch die Zerstörung und Fragmentlerung des sexuell bestimmten Körpers in Szene setzt. Da das "Geschlecht" den Körper fragmentiert, zielt der lesbische Sturz der Geschlechtskategorie auf das Herrschaftsmodell der sexuell differenzierten Normen körperlicher Integrität, die diktieren, was den Körper als einen sexuell bestimmten "vereinigt" und ihm seine Kohärenz verleiht. In ihren theoretischen wie literarischen Texten zeigt WITTIG, daß die "Integrität" und "Einheit" des Körpers, die oft als positive Ideale verstanden werden, vielmehr als Zeichen der Fragmentierung, Einschränkung und Herrschaft dienen.

Die Sprache gewinnt ihre Macht, das "gesellschaftliche Reale" zu schaffen, durch die lokutionären Akte der sprechenden Subjekte. Laut WITTIG besteht die Aufgabe für Frauen darin, die Position dieses autoritativen, sprechenden Subjekts einzunehmen -was im gewissen Sinne ihr ontologisch begründetes "Recht" ist - und sowohl die Kategorie "Geschlecht" als auch ihren Ursprung: das System der Zwangsheterosexualität, zu stürzen. WITTIG begreift die Sprache als eine Reihe von Akten, die mit der Zeit wiederholt werden und die Realitäts-Effekte hervorbringen, die wir schließlich als "Tatsachen" fehldeuten. im Ganzen betrachtet, hat die wiederholte Praxis, die sexuelle Differenz zu benennen, den Anschein einer natürlichen Aufteilung erzeugt. Die "Benennung" des Geschlechts ist ein Herrschafts- und Zwangsakt, eine institutionalisierte Performanz, die die gesellschaftliche Realität schafft und dem Gesetz unterwirft, indem sie die diskursive/perzeptuelle Konstruktion des Körpers gemäß den Prinzipien der sexuellen Differenz verlangt. Daher schließt WITTIG: "Wir sind gezwungen, in unserem Körper und Geist, Zug um Zug, der Vorstellung von der Natur zu entsprechen, die uns auferlegt ist ...  Männer  und  Frauen  sind politische Kategorien und keine natürlichen Tatsachen."

Das "Geschlecht", die Kategorie, erzwingt den "Sexus", die gesellschaftliche Konfigurierung der Körper, und zwar durch einen aufgezwungenen Vertrag, wie WITTIG schreibt. Daher ist die Kategorie "Geschlecht" eine Benennung, die versklavt. Die Sprache "wirft Bündel von Realität auf den gesellschaftlichen Körper", Bündel, die sich nicht so leicht wieder abwerfen lassen, "Indem sie ihm ihren Stempel aufdrückt und ihn gewaltsam formt". WITTIG zeigt, daß der straight mind, der in den Diskursen der Humanwissenschaften evident ist, "uns alle, Lesbierinnen, Frauen und homosexuelle Männer unterdrückt", weil er "für selbstverständlich hält, daß die Gesellschaft, jede Gesellschaft, durch die Heterosexualität begründet wird". Der Diskurs wird repressiv, wenn er verlangt, daß das sprechende Subjekt, um sprechen zu können, an der Terminologie der Unterdrückung teilnimmt - d. h. die Unmöglichkeit oder Unintelligibilität des sprechenden Subjekts als selbstverständlich hinnimmt. Die vorausgesetzte Heterosexualität funktioniert innerhalb des Diskurses als eine Drohung: "Du wirst-normal-sein-oder nicht-sein." Frauen, Lesbierinnen und schwule Männer können, nach WITTIG, innerhalb des Sprachsystems der Zwangsheterosexualität nicht die Position des sprechenden Subjekts einnehmen. Denn innerhalb dieses Systems sprechen, bedeutet gerade, der Möglichkeit zu sprechen beraubt sein. Überhaupt in diesem Kontext zu sprechen, ist ein performativer Widerspruch, nämlich die sprachliche Behauptung eines Subjekts, das in der Sprache, die es behauptet, nicht "sein" darf.

Die Macht, die WITTIG diesem "System" der Sprache zuspricht, ist gewaltig: Konzepte, Kategorien und Abstraktionen können eine physikalische und materielle Gewalt gegen die Körper ausüben, die sie angeblich organisieren und interpretieren: "Die Macht der Wissenschaften und Theorien, materiell und aktuell auf unseren Körper und Geist einzuwirken, hat nichts Abstraktes an sich, selbst wenn der Diskurs, der sie hervorbringt, abstrakt ist. Diese Macht ist eine der Herrschaftsformen oder ihr Ausdruck, wie Marx schrieb. Ich würde eher sagen, sie ist ihre Ausübung. Alle Unterdrückten kennen diese Macht und haben mit ihr zu tun gehabt." Die Macht der Sprache, auf die Körper einzuwirken, ist sowohl die Ursache der sexuellen Unterdrückung als auch der Weg, der über die Unterdrückung hinausführt. Die Sprache wirkt weder magisch noch unaufhaltsam: "Es gibt eine plastische Formbarkeit des Realen durch die Sprache; die Sprache hat eine plastische Wirkung auf das Reale."

Die Sprache übt ihre Macht, auf das Reale einzuwirken, durch die lokutionären Akte aus, die als wiederholte zu eingebürgerten Praktiken und letztlich zu Institutionen werden. Die asymmetrische Struktur der Sprache, die das Subjekt, das für das Universelle und als Universelles spricht, mit den männlichen Wesen gleichsetzt, während sie die weiblichen Sprecherinnen als "partikular" und "befangen" darstellt, ist keineswegs bestimmten Sprachen oder der Sprache selbst wesentlich. Diese asymmetrischen Positionen lassen sich nicht aus der "Natur" von Männern und Frauen ableiten, weil eine solche "Natur", wie bereits Beauvoir feststellte, nicht existiert:
"Wir müssen begreifen, daß Männer nicht mit einem Vermögen für das Universelle zur Welt kommen und daß Frauen nicht von Geburt an auf das Partikulare reduziert sind. Das Universale wurde und wird immer noch, jeden Augenblick, von den Männern beschlagnahmt. Dies geschieht nicht einfach, sondern muß getan werden. Es ist ein Akt, ein krimineller Akt, den eine Klasse gegen eine andere verübt. Es ist ein Akt, der auf der Ebene der Konzepte, der Philosophie und der Politik ausgeführt wird."
Ich habe mit der spekulativen Frage begonnen, ob die feministische Theorie ohne ein in der Kategorie "Frau(en)" bezeichnetes Subjekt auskommen kann. Damit steht nicht die Frage auf dem Spiel, ob es strategisch oder übergangsweise noch sinnvoll ist, sich auf die Frauen zu berufen, um in ihrem Interesse repräsentative Forderungen zu erheben. Das feministische "Wir" ist stets nur eine phantasmatische Konstruktion, die zwar bestimmten Zwecken dient, aber zugleich die innere Vielschichtigkeit und Unbestimmtheit dieses "wir" verleugnet und sich nur durch die Ausschließung eines Teils der Wählerschaft konstituiert, die sie zugleich zu repräsentieren sucht. Freilich ist der schwache oder phantasmatische Status dieses "Wir" kein Grund zur Verzweiflung - oder besser gesagt: nicht nur ein Grund zur Verzweiflung. Die radikale Instabilität dieser Kategorie stellt die grundlegenden Einschränkungen der feministischen politischen Theorie in Frage und eröffnet damit andere Konfigurationen, nicht nur für die Geschlechtsidentitäten und für die Körper, sondern auch für die Politik selbst.

Die fundamentalistische Argumentation der Identitätspolltik tendiert zu der Annahme, daß zuerst eine Identität da sein muß, damit die politischen Interessen ausgearbeitet werden können und dann das politische Handeln einsetzen kann. Meine These ist dagegen, daß es keinen "Täter hinter der Tat gibt", sondern daß der Täter in unbeständiger, veränderlicher Form erst in und durch die Tat hervorgebracht wird.

Für gewöhnlich wird die Frage der Lokalisierung der "Handlungsmöglichkeit" (agency) mit der Lebensfähigkeit des "Subjekts" verbunden, wobei dem "Subjekt" eine feste Existenz vor dem kulturellen Feld, auf das es aktiv einwirkt, zugesprochen wird. Denn selbst wenn das Subjekt eine kulturelle Konstruktion ist, verfügt es nichtsdestoweniger über eine Handlungsmöglichkeit. Oder anders formuliert: die Bedingungen, die die Behauptung des "lch" ermöglichen, werden durch die Struktur der Bezeichnung bereitgestellt, d.h. durch die Regeln, die die legitime bzw. illegitime Berufung auf dieses Pronomen regulieren, oder durch die Verfahren, die die Intelligibilitätsnormen errichten, die die Zirkulation dieses Pronomens ermöglichen. Die Sprache ist kein äußerliches Instrument oder Medium, in das ich gleichsam ein Selbst einfließen lasse oder dem ich einen Widerschein dieses Selbst entnehme. Das HEGELsche Modell der Selbst-Anerkennung, das von MARX, LUKACS und einer Reihe zeitgenössischer Befreiungsdiskurse übernommen wurde, setzt eine potentielle Übereinstimmung zwischen dem Ich" voraus, das seiner Welt, einschließlich der Sprache, wie einem Objekt gegenübertritt, und jenem "lch", das sich selbst als Objekt in dieser Welt findet. Diese Subjekt/Objekt-Dichotomie, die hier zur Tradition der westlichen Epistemologie gehört, bedingt indes gerade die Problematik der Identität, die sie zu lösen versucht.
LITERATUR - Judith Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, Ffm 1991