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ERNST BLUMENTHAL
Über den Gegenstand
der Erkenntnis

- (Gegen Heinrich Rickert) -

"Das individuelle Ich ist seiend. Urteilen aber ist eine Tätigkeit und eine Tätigkeit erfordert einen Täter. Wer urteilt hier? Das Bewußtsein überhaupt ist nur ein Begriff und ein Begriff kann keine Tätigkeit ausüben."
    "Ist Metaphysik Wissenschaft, wie kommt es, daß sie sich nicht, wie andere Wissenschaften in allgemeinen und dauernden Beifall setzen kann? Ist sie keine, wie geht es zu, daß sie doch unter dem Schein einer Wissenschaft unaufhörlich groß tut und den menschlichen Verstand mit niemals erlöschenden aber nie erfüllten Hoffnungen hinhält?"
So sagt KANT in der Einleitung seiner Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können. Metaphysik, d. h. das System der synthetischen Urteile a priori aus bloßen Begriffen, ist möglich. Das ist das Resultat der Kantischen Kritik der reinen Vernunft. - Aber wie kommt es, könnte man fragen, daß man hundert Jahre nach dem Tode des großen Denkers noch immer nicht sagen kann: "Hier ist Metaphysik, die dürft ihr nur lernen und sie wird euch unwiderstehlich und unveränderlich von ihrer Wahrheit überzeugen?" Hat KANT etwa geirrt, gibt es doch keine wissenschaftliche Metaphysik? Es gibt eine solche und wir sind sogar in der glücklichen Lage, "ein Buch aufzeigen zu können, so wie man etwa den EUKLID vorzeigt und sagen zu können: das ist Metaphysik". Dieses Buch ist ERNST FRIEDRICH APELTs "Metaphysik". Doch es genügt nicht, die Philosophie zu erlernen, wichtiger fast noch ist die Kunst des Philosophierens. In diese aber wird uns niemand besser einweihen, als JAKOB FRIEDRICH FRIES und zwar am gründlichsten durch seine "Neue oder anthropologische Kritik der Vernunft." So hätten denn also FRIES und APELT schon die gesamte Arbeit auf dem Gebiet der reinen Philosohie geleistet und alles, was spätere Philosophen hervorgebracht haben, wäre überflüssig? Wenn wir hier von rein historischen Erzeugnissen absehen, so ist dies in der Tat unsere Behauptung, die es nunmehr zubeweisen gilt. Wählen wir als Beispiel eins der jüngsten Erzeugnisse der modernen Philosophie RICKERTs "Gegenstand der Erkenntnis", ein Buch, welches kürzlich in der zweiten, nicht unbeträchtlich veränderten Auflage erschienen ist. Wir werden also zeigen, daß, wenn wir offensichtliche Fehler, die RICKERT begangen hat, verbessern, wenn wir, was bei ihm dunkel ist, aufklären, wenn wir Begriffe, die bei ihm verwirrt sind, unterscheiden, wir auf gar nichts weiter stoßen, als was uns von FRIES und APELT her wohl vertraute Lehren sind.


I.

1. RICKERT geht davon aus, daß zum Begriff des Erkennens ein Gegenstand gehört (Seite 1) Unter Gegenstand aber versteht er dasjenige, wonach sich die Erkenntnis zu richten habe, um ihren Zweck zu erfüllen, das heißt, um objektiv zu sein (Seite 1). Ist dies RICKERTs Definition vom Gegenstand der Erkenntnis und gehört nach RICKERT ein solcher Gegenstand zum Begriff des Erkennens, so bleibt ihm noch übrig, aufzuweisen, daß es auch in der Tat so etwas wie Erkenntnis gibt. Wir wolen nun zunächst darlegen, daß es keine wissenschaftliche Aufgabe sein kann, zu entscheiden, ob irgendetwas im RICKERTschen Sinne Gegenstand sei oder nicht. Haben wir dies gezeigt, so würde folgen, daß wir auch von dem, was im philosophischen Gebrauch Erkenntnis heißt, nicht sagen können, ob es einen Gegenstand habe oder nicht. Daraus aber würde weiter folgen, daß es für RICKERT unmöglich ist, die Aufgabe zu erfüllen, die für einen Philosophen, der Begriffe aufstellt, unumgänglich nötig ist, nämlich die Realität seiner Begriffe aufzuzeigen. Denn wenn es unmöglich ist, zu entscheiden, ob etwas einen Gegenstand habe oder nicht und wenn es andererseits zum Begriff der Erkenntnis gehört, einen solchen zu besitzen, so kann man auch niemals entscheiden, ob etwas Erkenntnis sei oder nicht. Daß es aber in der Tat kein wissenschaftliches Problem ist, zu entscheiden, ob etwas Gegenstand sei oder nicht, dafür diene Folgendes zum Beweis. Um zu zeigen, daß etwas Gegenstand ist, d. h. daß sich die Erkenntnis danach richtet, müßte ich die Erkenntnis damit vergleichen können. Dazu müßte ich aber eine Kenntnis vom angeblichen Gegenstand haben, die nicht Erkenntnis sein dürfte. Denn wäre sie Erkenntnis, so hätte sie, wie nach RICKERT jede Erkenntnis, einen Gegenstand und ich hätte nur wieder diese Erkenntnis mit ihrem Gegenstand zu vergleichen, was auf einen unendliche Regreß führt. - Für die Ansicht, daß die Vorstellungen den Gegenstand abbilden sollen, hat RICKERT dieses Verhältnis wohl bemerkt (Seite 84). Was er aber vollkommen übersehen hat, ist, daß es dabei ganz gleichgültig ist, ob die Erkenntnis in Vorstellungen oder in Urteilen besteht, ob die Erkenntnis den Gegenstand abbildet oder sich in  anderer  Weise nach ihm richtet. Vor allen Dingen aber müssen wir darauf hinweisen, daß es ganz gleich wäre, ob der RICKERTsche Gegenstand der Erkenntnis in einem Sein bestünde oder in einem transzendenten Sollen. Niemals kann es die Aufgabe einer Wissenschaft werden, die Übereinstimmung der Erkenntnis mit ihrem Gegenstand, mag man diesen nun in einem Sein oder in einem Sollen suchen, nachzuweisen. Ob irgendetwas Gegenstand ist oder nicht, es sei, was es wolle, das heißt, ob sich die Erkenntnis nach ihm richtet oder nicht, das auszumachen ist unmöglich. Da aber nun nach RICKERT der Gegenstand zum Begriff des Erkennens gehört, so ist damit gezeigt, daß sein Begriff vom Erkennen fehlerhaft ist.

2. Ganz anders gestaltet sich die Sachlage, wenn wir, nach dem üblichen Sprachgebrauch unter Gegenstand der Erkenntnis nur das verstehen, was erkannt wird, ohne irgendetwas darüber auszusagen, ob sich die Erkenntnis danach richtet oder nicht.  Beweisen  können wir allerdings auch dann nicht, daß es einen Gegenstand gibt. Aber sollte daraus folgen, daß ein Gegenstand nicht existiert? Dieser Behauptung würde das Dogma zugrunde liegen, daß sich alle Wahrheit beweisen lasse, ein Dogma, dessen Unrichtigkeit - ohne sie an dem hier vorliegenden Fall besonders zu erörtern - schon von vornherein daraus einleuchtet, daß doch auch jeder Beweis von irgendwelchen in letzter Linie unbeweisbaren Voraussetzungen ausgehen muß. Ob aber vielleich die Behauptung von der Existenz des Gegenstandes zu solchen unbeweisbaren Wahrheiten gehöre, diese Frage ist nicht durch die dogmatische Behauptung abzutun: "Jedenfalls: die transzendente Existenz der Dinge ist nicht unmittelbar gewiß, sondern, wenn sie angenommen wird, erschlossen." (Seite 19), oder "das Transzendente muß, wenn es überhaupt angenommen werden soll, erschlossen sein" (Seite 36). - So hat das wirkliche Problem der Transzendenz bei RICKERT gar nicht genügend Berücksichtigung gefunden, denn die Frage: "Gibt es eine vom erkennenden Bewußtsein unabhängige Wirklichkeit,  die Gegenstand der Erkenntnis ist"  (Seite 10 unten), ist eine andere als die: "Existiert eine vom erkennenden Bewußsein unabhängige Wirklichkeit" (Seite 3 und Seite 28), solange man mit RICKERT unter Gegenstand dasjenige versteht, was der Erkenntnis die Regel der Wahrheit vorschreibt. Die Verneinung der ersten Frage zieht keineswegs, wie RICKERT meint, die Verneinung der zweiten nach sich. So täuscht eben RICKERT stets der fehlerhafte Begriff, den er sich vom Erkennen gebildet hat und auch sein Sollen, nach dem er unsere Erkenntnis sich richten läßt, ist auf seinen, wie gezeigt, fehlerhaften Begriff der Erkenntnis gegründet. So müssen wir sagen, daß RICKERT am Gegenstand der Erkenntnis in Wahrheit vorbeigegangen ist und daß das Problem der Transzendenz in keiner Weise gefördert worden ist. (1)

Was nun die andere Frage betrifft, die RICKERT mit der Frage nach dem Gegenstand der Erkenntnis verquickt hat, nämlich die Frage nach der Regel der Wahrheit für unsere Erkenntnis, so haben wir darüber folgendes zu sagen. Wenn wir nicht entscheiden können, ob sich unsere Erkenntnis nach dem  Gegenstand  richtet, so müssen wir allerdings eine  andere  Regel der Wahrheit für unsere Erkenntnis suchen. Diese Regel kann jedoch, da wir, wie oben gezeigt, Erkenntnis nur mit Erkenntnis vergleichen können, nur wieder in Erkenntnissen bestehen. Wir werden jedoch bei dieser Vergleichung nicht auf einen unendlichen Regreß geführt, weil wir einen Gegenstand im RICKERTschen Sinn keineswegs als notwendig zum Begriff der Erkenntnis gehörig betrachten können. Es widerspricht sich also nicht, anzunehmen, daß es Erkenntnis gibt, die einer Regel der Wahrheit entbehren kann, d. h. die unmittelbar gewiß ist. Diese unmittelbare Erkenntnis aber kann sehr wohl Regel der Wahrheit für diejenige Erkenntnis sein, die einer solchen bedarf, d. h. für die mittelbare Erkenntnis. Daß wir in der Tat eine solche unmittelbare Erkenntnis besitzen, das werden wir noch später zu zeigen haben.


II.

1. Doch sehen wir jetzt vom Fehler in der Problemstellung ab und betrachten wir die Methode, mit der die gestellte Frage gelöst werden soll. RICKERT will "nur Erkenntnistheorie und nicht Psychologie oder Metaphysik geben" (Vorrede Seite VI). Welches ist aber die Methode der Erkenntnistheorie? "Die Erkenntnistheorie soll voraussetzungslos sein." "Allerdings nicht absolut voraussetzungslos", sondern nur "in dem Sinne, daß die ihre Voraussetzungen sow weit wie möglich einschränkt" (Seite 8). Nun, damit ist allerdings wenig gesagt, denn soweit wie möglich schränkt auch jede andere Wissenschaft ihre Voraussetzungen ein. Was uns aber gerade interessiert, ist, wie weit es der Erkenntnistheorie möglich ist, ihre Voraussetzungen einzuschränken. Darüber ist bei RICKERT nirgends etwas gesagt. Doch weiter. "Die Erkenntnistheorie versucht an allem zu zweifeln" (Seite 8) und stellt auf diese Weise "die unbezweifelbaren Voraussetzungen, die allem Erkennen zugrunde liegen, klar" (Seite 9). Was heißt aber "unbezweifelbar"? Unbezweifelbar ist erstens dasjenige, dessen kontradiktorisches Gegenteil einen Widerspruch einschließt. Und in der Tat scheint RICKERT "unbezweifelbar" in diesem Sinne zu meinen. Denn er sagt: "Wir untersuchen, ob die Leugnung des Sollens sich durchführen läßt, ohne daß man in Widerspruch kommt und dadurch die Leugnung sich selbst aufhebt. Denn ein anderes Kriterium als dieses besitzen wir zur Begründung der Voraussetzungen des Erkennens nicht" (Seite 128, ebenso "Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung", Seite 693) und "an einem transzendenten Sollen überhaupt zu zweifeln, führt also zum logischen Widerspruch" (Seite 129). Nun sind aber ausschließlich die analytischen Urteile von der Beschaffenheit, daß ihre Leugnung einen Widerspruch einschließt. Nach kantischem Sprachgebrauch ist aber das System der analytischen Urteile die Logik. (2) Wenn demnach der Satz des Widerspruchs für RICKERT das alleinige Kriterium der Wahrheit ist, so wäre seine Erkenntnistheorie ein Teil der Logik oder gar mit dieser identisch. Das muß in der Tat so scheinen, wenn er sagt: "Wir reflektieren nur noch auf das, was wir als den logischen  oder  erkenntnistheoretischen Sinn, den jedes Urteil hat, bezeichnet haben" (Seite 95). Es können aber analytische Urteile niemals eine neue Erkenntnis geben, sondern sie können nur dazu dienen, eine Erkenntnis, die ich schon habe, zu verdeutlichen. Aus bloßer Logik Philosophie zu machen, ist demnach ein Ding der Unmöglichkeit. (3) Ist aber Erkenntnistheorie mehr als bloße Logik, das heißt, enthält sie synthetische Urteile, so ist es auch nicht möglich, daß der Satz des Widerspruchs das hinreichende Kriterium der Wahrheit für die Erkenntnistheorie sei; denn alle synthetischen Urteile müssen zwar den Gesetzen der Logik gemäß sein, aber sie sind nicht allein durch diese bestimmbar. Wäre also nur das unbezweifelbar, dessen Negierung gegen die Gesetze der Logik verstößt, so gelangte die Erkenntnistheorie niemals über analytische Urteile hinaus und ein synthetisches Urteil wie "wenn ich Töne höre und darüber urteilen will, so bin ich genötigt zu urteilen, daß ich Töne höre" (Seite 115), wäre nicht unbezweifelbar. Und doch sagt RICKERT (Seite 116), dieser Satz sei in der Tat unbezweifelbar.

So muß denn wohl das Wort "unbezweifelbar" bei RICKERT noch einen anderen Sinn haben. Uns scheinen nun allerdings auch gewisse synthetische Urteile unbezweifelbar zu sein, nämlich alle empirischen, mathematischen und philosophischen Grundurteile. Es fragt sich aber, wie wir den Bestand dieser unbezweifelbaren synthetischen Urteile festzustellen vermögen. Sehen wir bei jedem uns vorliegenden Urteil zu, ob es möglich ist, an ihm zu zweifeln, ohne mit der unmittelbaren Erkenntnis, die ihm zugrunde liegt, in Widerstreit zu geraten, so bürgt uns nichts dafür, daß wir auch wirklich in den vollständigen Besitz dieser unbezweifelbaren Erkenntnis, die ihm zugrunde liegt, in Widerstreit zu geraten, so bürgt uns nichts dafür, daß wir auch wirklich in den vollständigen Besitz dieser unbezweifelbaren Urteile gelangen, sofern wir dabei nicht methodisch vorgehen. Nur eine einzige Methode, die regressive, welche die psychologische Kritik anwendet, leistet uns das. Mit dieser regressiven Methode, die in FRIES' Neuer Kritik der Vernunft vollständig durchgeführt worden ist, werden wir uns später noch zu beschäftigen haben. Sie scheint allerdings RICKERT gänzlich unbekannt geblieben zu sein.

2. Überhaupt ist RICKERTs Verhältnis zur Psychologie keineswegs klar. In der Vorrede (Seite VI) sagt er, er wolle "nur Erkenntnistheorie und nicht Psychologie oder Metaphysik geben", und auf Seite 88: "Doch die Erkenntnistheorie oder die Wissenschaftslehre ist nicht identisch mit der Psychologie des Erkennens". Weiter heißt es (Seite 107: "Wir brauchen ferner auch nicht noch ausdrücklich zu zeigen, daß diese Wahrheit wiederum unabhängig von allen psychologischen Theorien gilt" und auf derselben Seite: "Wir haben damit unser Ergebnis nicht nur von jeder psychologischen Theorie, sondern auch von allen Voraussetzungen über ein transzendentes Sein unabhängig gemacht." Trotzdem aber soll in gewisser Hinsicht das Tatsachenmaterial der Erkenntnistheorie wirklich zum Teil dasselbe sein, wie das der Psychologie und nur der Gesichtspunkt, unter dem es gesehen wird, soll ein anderer sein" (Seite 69) und es "bestehen zwischen dieser quaestio iuris der Erkenntnistheorie und der quaestio facti der Psychologie Beziehungen, denn auch die Behandlung der Rechtsfrage nach den notwendigen Bestandteilen jedes auf Wahrheit ausgehenden Denkaktes kann nur an Hand von schon vorher festgestellten Tatsachen sich auf das besinnen, was gilt. Sieht man die Feststellung solcher Tatsachen als Aufgabe der Psychologie an, so muß auch die Behandlung der Frage nach dem erkenntnistheoretischen Wesen des Urteils mit psychologischen Feststellungen beginnen" (Seite 89). Wie ist es denn dabei möglich, daß die Erkenntnistheorie von  aller  Psychologie unabhängig ist? Welches ist denn der  andere  Gesischtspunkt, von dem aus die Erkenntnistheorie die psychologischen Tatsachen betrachtet, so daß die Erkenntnistheorie der Psychologie nicht zugezählt werden darf? "Die Erkenntnistheorie", sagt RICKERT (Seite 88), "hat die Geltung der Erkenntnis zum Problem und sucht nach dem Begriff des Erkennens, der die Objektivität verständlich macht". Auch hier sind wieder zwei Probleme vermengt.  Erstens  soll die Erkenntnistheorie den Begriff der Erkenntnis suchen, der die Objektivität verständlich macht. Erkenntnis ist eine Tätigkeit, deren ich mir durch innere Erfahrung bewußt werde. Es gehört aber im allgemeinen zu einer Wissenschaft, die Begriffe, mit denen sie arbeitet, zu definieren. Welches ist der Grund, daß hier nicht die Psychologie, die Wissenschaft, die sich mit den inneren Tätigkeiten beschäftigt, sondern eine andere, nach RICKERT davon scharf zu unterscheidende, nämlich die Erkenntnistheorie, die Definition der Erkenntnis zur Aufgabe hat? Denjenigen Begriff aber der Erkenntnis suchen, der die Objektivität verständlich macht, ist eine Aufgabe, die dieser anderen ähnlich ist: denjenigen Begriff des Dreiecks zu suchen, der den pythagoräischen Lehrsatz verständlich macht. Daß dies keine wissenschaftliche Aufgabe ist, sieht jeder ein, der weiß, daß die Definition die zur eindeutigen Bestimmung des Gegenstandes notwendigen und hinreichenden Merkmale und nur diese aufzuzählen hat. Gegen diese Regel des Definierens wird jedoch verstoßen, wenn verlangt wird, eine Definition zu geben, die eine beliebige Eigenschaft der unter den definierten Begriff fallenden Gegenstände verständlich mache.

Zweitens  soll die Erkenntnistheorie die Geltung der Erkenntnis zum Problem haben. Das ist aber ein von der Definition der Erkenntnis ganz verschiedenes Problem. Was diese zweite Frage anbelangt, so soll das Verhältnis der Psychologie zur Erkenntnistheorie folgendes sein (Seite 88): "Die Psychologie kann nur fragen, wie das Urteilen tatsächlich beschaffen ist und als welchen psychischen Bestandteilen es sich zusammensetzt. Sie interessiert sich nur für das  Sein  der Urteile. Die Wissenschaftslehre dagegen, welche den Begriff des Erkennens untersucht und feststellen will, worin die Wahrheit der Erkenntnis besteht, hat die Bedeutung dessen kennen zu lernen, was das Urteil  meint  und sie fragt daher allein nach dem  Sinn,  den jedes Urteil haben muß, insofern es den Anspruch erhebt, wahr zu sein. Kurz, sie betrachtet das Urteil nicht mit Rücksicht auf das, was es  ist,  als vielmehr mit Rücksicht auf das, was es  leistet  und woraus es bestehen muß, um diese Leistung vollbringen zu können". Aber hier hätte gesagt werden müssen, durch welche Methode die Erkenntnistheorie zu entscheiden vermag, welchen Sinn das Urteil haben muß, insofern es den Anspruch erhebt, wahr zu sein. Daß die Logik, im alten, kantischen Sinne, dies nicht leisten kann, meinen wir deutlich gezeigt zu haben. Versteht aber RICKERT unter Logik etwas anderes, als KANT, so hätte er seine neue Logik definieren und auch hier vor allem angeben sollen, welche Methode denn seine Logik anwendet. Es genügt durchaus nicht, zu sagen: "Logik betrachtet die Urteile unter dem Gesichtspunkt ihrer Wahrheit" (Seite 99). Welches ist die Methode, die das möglich macht? - "Nichts unbewiesen hinzunehmen" (Seite 132) ? Das ist keiner Wissenschaft möglich. Denn beweisen heißt doch nichts anderes, als auf letzte unbeweisbare Grundsätze zurückzuführen. Sollen aber diese letzten Grundsätze wegen ihrer Unbeweisbarkeit nicht gelten, so sind auch alle Beweise, die sich auf diese Grundsätze stützen, hinfällig und das Gebäude dieser versuchten Wissenschaft stürzt in sich zusammen. Was endlich berechtigt RICKERT, zu sagen, die Psychologie interessiere nur das Sein der Urteile? Unsere, von FRIES ausgebildete Methode ist von jeher von ihren Gegnern mit Verachtung, von uns mit Stolz als psychologisch bezeichnet worden. Und doch interessiert sich diese Methode in hohem Maße für die Gültigkeit der Urteile und es ist ihre vornehmste Aufgabe, mit Hilfe der transzendentalen Deduktion die quaestio iuris der philosophischen Grundsätze zu entscheiden. So klar es nämlich auch ist, daß über die Gültigkeit der unmittelbaren Erkenntnis, das heißt über das Verhältnis der Erkenntnis zum Gegenstand, die Psychologie nichts entscheiden kann, da, wie wir bewiesen haben, dieses Verhältnis überhaupt keiner wissenschaftlichen Prüfung unterworfen werden kann, so leicht läßt es sich doch zeigen, daß die danach allein übrig bleibende Aufgabe einer wissenschaftlichen Erkenntnistheorie, nämlich die Ermittlung jener unmittelbaren Erkenntnis, nur auf psychologischem Weg lösbar ist. Grundsätze nämlich können ihren Grund nicht wieder in anderen Urteilen haben; denn sonst wären sie keine Grundsätze. Sie haben aber ihren Grund in der unmittelbaren Erkenntnis der Vernunft. So kann also der Rechtsnachweis der philosophischen Grundsätze nur darin bestehen, daß wir uns unserer unmittelbaren Erkenntnis, die an sich nicht klar ist, vollkommen bewußt werden. Wir entscheiden die quaestio iuris der Grundsätze durch die quaestio facti der unmittelbaren Erkenntnis. Diese letztere Frage aber kann nur psychologisch entschieden werden, da die unmittelbare Erkenntnis als Erkenntnis eine innere Tätigkeit ist und als solche in das Gebiet der inneren Erfahrung fällt.


III.

1. Aber diese Mißachtung der Psychologie ist nicht ohne bedeutende Folgen für die weiteren Ausführungen des "Gegenstandes der Erkenntnis" geblieben. Hätte RICKERT sorgfältige psychologische Selbstbeobachtungen angestellt, so hätte er niemals behaupten können: "Jede Erkenntnis beginnt mit Urteilen, schreitet in Urteilen fort und kann nur in Urteilen bestehen" (Seite 103), oder "Jede Erkenntnis muß die Form eines Urteils haben" (Seite 86), oder "Alles Erkennen bewegt sich in voll entwickelten Urteilen" (Seite 106). Nein, Erkenntnis besteht durchaus nicht ausschließlich in Urteilen. RICKERT selber sagt (Seite 90): "Das bloße Hören von Tönen und ein Urteil über die Töne sind also offenbar zwei völlig verschiedene psychische Zustände". Soll denn dem bloßen Hören der Töne gar kein Erkenntniswert zukommen? Ein ernsthafter Selbstbeobachter wird das niemals behaupten können. Im Gegenteil, das bloße Hören der Töne entscheidet einzig und allein darüber, ob das Urteil, daß ich Töne höre, welches ja von mir in jedem Fall ausgesprochen werden kann, Wahrheit oder Lüge enthält. Wir sind also zwar darin mit RICKERT vollkommen einig, daß "das Urteil nicht eine einfache Verbindung von Vorstellungen ist, sondern nur dann allein eine Bedeutung für die Erkenntnis besitzt, wenn sein Sinn in einer Bejahung oder Verneinung besteht" (Seite 96). Trotzdem aber haben wir an dem von RICKERT selbst gebrauchten Beispiel klargemacht, daß das Urteil durchaus nicht die einzige Erkenntnisform darstellt.

Wenn RICKERT nun aber sagt, daß Erkennen nicht in bloßen Vorstellungen möglich ist, so liegt auch hier eine Verwirrung von Begriffen zugrunde. Der Begriff der Vorstellung ist der Oberbegriff für die beiden engeren Begriffe Vorstellungsbilder und Anschauungen. Die Vorstellungsbilder nun machen an sich gar keinen Anspruch auf Wahrheit, sondern sind ganz problematisch. Sie können mit der Zeit undeutlich werden, mehrere verschiedene können in eins verschmelzen und dergleichen mehr. Anders verhält es sich mit den Anschauungen der Sinneswahrnehmung. Diese Art der Vorstellungen macht einen ganz unmittelbaren und äußerst starken Anspruch auch Wahrheit. Ja, für einen Kantianer dürfte es auch keine Neuigkeit sein, wenn wir behaupten, daß alle Erkenntnis mit der Sinnesanschauung beginnt. Und wie sollte auch das Urteil die alleinige Erkenntnis sein? Im Urteil sind Begriffe in gewisser Weise zu einer Einheit verknüpft. Wie aber gelange ich zu Begriffen? Durch Urteile? Das ist, könnte man meinen, allerdings RICKERTs Ansicht, wenn er sagt, "daß man einen Begriff nur wirklich denken kann, indem man ihn in Urteile auflöst" (Seite 34). Wäre indessen dieser letzte Satz richtig, so würde ich niemals einen Begriff wirklich denken können, denn die Begriffe, welche im Urteil, in welches ich den Begriff aufgelöst habe, verknüpft sind, müßten wieder in Urteile aufgelöst werden und so fort ad infinitum. (4) Ich gelange aber nicht anders zu Begriffen, als durch Abstraktion von der Sinneswahrnehmung, wie mir dies die Selbstbeobachtung aufs deutlichste zeigt. Da aber das Urteil selbst stets Begriffe voraussetzt, so kann es nicht wieder seinerseits die Voraussetzung der Begriffe sein. Daraus folgt, daß die Sinneswahrnehmungen nicht in Urteilen bestehen können. Da aber nun doch die Sinneswahrnehmung, wie schon hervorgehoben, einen ganz wesentlichen Bestandteil unserer Erkenntnis ausmacht, so wäre auch hiermit der RICKERTsche Satz von der Identität von Urteil und Erkenntnis widerlegt. Was aber von der Sinnesanschauung gesagt ist, das läßt sich auch für die anderen Arten der unmittelbaren Erkenntnis zeigen, das heißt also für die reine Anschauung und für die philosophische Erkenntnis der reinen Vernunft. Die Erkenntnis besteht demnach durchaus nicht nur in Urteilen, vielmehr muß unterschieden werden zwischen unmittelbarer Erkenntnis, die gar nicht aus Urteilen bestehen kann und Urteilen, die stets mittelbare Erkenntnis sind.

Wenn unsere Behauptung noch einer Stütze bedarf, so kann sie vielleicht darin gesehen werden, daß auch bei RICKERT eine unmittelbare Erkenntnis, wenngleich sie bei ihm ein anderes Aussehen hat, durchaus nicht vermieden ist. Hierfür wollen wir den Nachweis im folgenden liefern. RICKERT sagt (Seite 115): "Sobald wir urteilen wollen, tritt ein Sollen richtunggebend auf". Es fragt sich nun aber, wie ich zu der Erkenntnis gelange, daß ich hier bejahen, dort verneinen soll. Kann diese Erkenntnis durch ein Urteil vermittelt werden? Das dürfte wohl kaum angängig sein. Wir können hier vom Sollen genau dasselbe sagen, was RICKERT vom Sein sagt (Seite 119 und 120): "Um zu wissen, was man soll, muß man doch schon geurteilt haben". Und da man doch auch zu diesem Urteil wissen muß, was man soll, so würde man auch hier wieder auf einen unendlichen Regreß geführt werden. Aber das ist RICKERT keineswegs entgangen. Denn es heißt ebenfalls Seite 119: "Man kommt immer wieder auf das unmittelbare Gefühl des Sollens zurück" und ähnlich heißt es Seite 108, Seite 115, 118, 126 und an anderen Stellen. Ein  unmittelbare Gefühl  ist es also, was mich bestimmt zu urteilen. So ist denn dieses unmittelbare Gefühl die Erkenntnis von dem, wie ich urteilen soll und es ist nicht richtig, daß Erkenntnis nur in Urteilen besteht. Aber man vergesse ja nicht, daß RICKERTs ganze Lehre mit dem Satz steht und fällt, daß Erkenntnis nur in Urteilen besteht. Ist also gezeigt, daß es auch bei RICKERT noch eine andere Erkenntnis als das Urteil, nämlich das "unmittelbare Gefühl des Sollens" (Seite 115, 118) gibt, so ist nicht einzusehen, warum wir dem unmittelbaren Gefühl von der Existenz eines Gegenstandes, wie es dem üblichen Begriff des Erkennens zugrunde liegt, weniger vertrauen sollen, als dem von RICKERT an dessen Stelle gesetztem Gefühl des Sollens. Das Sollen aber löst sich, wie oben dargelegt, bei genauer Selbstbeobachtung in Sinnesanschauung, reine Anschauung und unmittelbare philosophische Erkenntnis auf. Und so fällt denn mit dem Sollen zugleich das ganze darauf errichtete Gebäude in sich zusammen.

2. Aber auch das Gefühl, welches uns vermittelt, was wir sollen, muß näher betrachtet werden. Auch hier wieder macht sich die Verachtung der psychologischen Methode in verhängnisvoller Weise geltend. RICKERT behauptet. "Die Evidenz ist psychologisch betrachtet ein Lustgefühl" (Seite 112), "Was ich bejahe, muß mir gefallen, was ich verneine, muß mein Mißfallen erregen" (Seite 106). Nun, daß es mein Wohlgefallen erregt, wenn ich sage, meine Handlung sei schlecht oder daß andererseits das Urteil: meine Handlung ist nicht schlecht, mein Mißfallen erregt, wird, wie wir annehmen, auch RICKERT nicht behaupten wollen. (5) Meint RICKERT jedoch, die Verbindung des Subjekts mit dem Prädikat errege mein Mißfallen und deshalb verneine ic sie, so betrachten wir das Urteil: meine Handlung ist nicht gut. Die Verbindung meiner Handlung mit dem Begriff  gut  erregt durchaus nicht mein Mißfallen und trotzdem verneine ich sie. "Aber das Lustgefühl des Bejahens, das Unlustgefühl des Verneinens ist kein hedonistische Lustgefühl". Gewiß nicht, jedoch nur aus dem Grund, weil beim Bejahen und Verneinen überhaupt kein Lustgefühl mitsprechen darf, sondern wir im Gegenteil stets nur fragen dürfen, was wahr ist und nicht, was uns gefällt, sei dieses Gefallen nun hedonistisch oder nicht. Ein Gefühl, das Wahrheitsgefühl, leitet uns allerdings bei unseren Urteilen, das werden wir niemals bestreiten. Aber es ist ein Dogma, daß "jedes Gefühl stets Lust oder Unlust sei" (Seite 106). Und der von RICKERT hierfür versuchte Beweis ist durchaus nicht stichhaltig: "Wenn wir fühlen, fühlen wir entweder Lust oder Unlust. Auch beim Urteilen handelt es sich um ein entweder - oder, also handelt es sich auch beim Urteilen um Lust oder Unlustgefühle" (Seite 105). Nein, hier entscheidet einzig und allein die Selbstbeobachtung. Diese aber zeigt uns, daß zwar jedes wahre Urteil, sei es verneinend oder bejahend, als solches für uns Wert hat, also, mit RICKERT zu reden, ein nicht-hedonistisches Lustgefühl auslöst. Davon jedoch ist aufs strengste zu scheiden das Wahrheitsgefühl, das uns zu unseren Urteilen bestimmt. Dies ist ein Gefühl von ganz besonderer Art, das mit Lust und Unlust nicht das Geringste zu tun hat, das im Gegenteil mit Aufbietung aller Kräfte von der Beeinflußung durch jegliche Lustgefühle befreit werden soll und kann.


VI.

1. Wir kommen nunmehr zu RICKERTs "Bewußtsein überhaupt". Wir wollen davon absehen, daß der Name bei RICKERT etwas vom kantischen Bewußtsein überhaupt ganz verschiedenes bezeichnet und deshalb vielleicht besser vermieden worden wäre. Aber was ist denn nun dieses Bewußtsein überhaupt? "Das Bewußtsein überhaupt ist das Subjekt, das bleibt, wenn wir das individuelle theoretische Ich ganz als Objekt denken." (Seite 144) Aber "das Bewußtsein überhaupt ist nichts anderes, als ein Begriff" (Seite 29, 149, 156). "Es ist nichts anderes, als das allen immanenten Objekten Gemeinsame" (Seite 29), das heißt, es ist von den immanenten Objekten abstrahiert und setzt daher diese voraus. Die immanenten Objekte hingegen setzen das erkenntnistheoretische Subjekt voraus, in dem "wir die logische Voraussetzung alles Seins finden" (Seite 147). Nun sagt RICKERT zwar: "den Begriff des Bewußtsein überhaupt bilden wir nicht ohne den des dazugehörigen Bewußtseinsinhaltes" (Seite 29). Können wir aber auch den Begriff des Inhaltes nicht bilden, ohne den dazu gehörigen des Bewußtseins überhaupt (Seite 147), so stehen wir vor einer Aufgabe, die ebenso unlösbar sein dürfte, wie aus  einer  Gleichung eine bestimmte Lösung für zwei Unbekannte zu finden. Diese Schwierigkeit hat RICKERT keiner Beachtung gewürdigt. - Welchen Sinn soll es ferner haben, von immanentem Sein zu reden, wenn nicht in letzter Linie ein transzendentes Sein vorhanden ist, dem das erste immanent ist. Gibt es  nur  ein  immanentes  Sein, so ist eben dieses das Sein schlechthin. Steht diesem immanenten Sein als Transzendentes nichts gegenüber, als eine bloße Abstraktion, die noch dazu zu ihrer Möglichkeit das immanente Sein voraussetzt, so verliert die Bezeichnung dieser Lehre als transzendentaler  Idealismus  jeden Sinn und sinkt zu einem bedeutungslosen  Wort  herab. Denn, kann diesem immanenten Sein kein transzendentes Sein gegenübergestellt werden, das im Gegensatz zum immanenten  an sich  existiert, so existiert eben dieses immanente Sein uneingeschränkt, sofern überhaupt irgend etwas existieren und der Begriff der Existen nicht gänzlich seinen Sinn verlieren soll.

Sodann aber sagt RICKERT: "Das Sein ist nichts, wenn es nicht Bestandteil eines Urteils ist" (Seite 120). Wenn wir das auf das individuelle Ich anwenden, so muß also das Urteil gefällt werden: Das individuelle Ich ist seiend. Urteilen aber ist eine Tätigkeit und eine Tätigkeit erfordert einen Täter. Wer urteilt hier? Das Bewußtsein überhaupt ist nur ein Begriff und ein Begriff kann keine Tätigkeit ausüben. Wollte man jedoch sagen, das individuelle Ich, von dem das Bewußtsein überhaupt abstrahiert ist, urteile, so kann man einwenden, daß dieses das Urteil nicht zu fällen brauche, denn die Voraussetzung zur Fällung dieses Urteils ist doch schon seine Existenz und dann wäre das Urteil nicht mehr nötig. Wer fällt also nun das Urteil, daß der Bewußtseinsinhalt des Bewußtseins überhaupt seiend ist? Darauf haben wir keine Antwort gefunden. - Und wo bleibt schließlich die exakte Methode der Erkenntnistheorie, die "nichts unbewiesen hinnehmen darf" (Seite 132), bei der dogmatischen Behauptung, daß das Bewußtsein überhaupt urteilend und nicht vorstellend ist? RICKERT fragt: "Muß das theoretische Subjekt, wenn wir alles Individuelle daraus entfernen und zum Objekt rechnen, deshalb aufhören, urteilendes Subjekt zu sein?" (Seite 144). Es hätte aber bewiesen werden müssen, daß es nicht aufhören  kann,  urteilendes Subjekt zu sein. Das ist nicht geschehen; denn das Wort "Sein" bedeutet gar nichts, wenn es nicht Bestandteil eines Urteils ist, was doch die Stütze der Seite 147 gegebenen Begründung bildet, ist im vorhergehenden nur für das individuelle Ich zu beweisen versucht worden. Daß auch das Bewußtsein überhaupt nicht unmittelbar und ohne ein Urteil zu fällen sich des Seins seines Inhaltes bewußt werden kann, ist damit keineswegs bewiesen. Ist aber selbst zugegeben, daß das Bewußtsein überhaupt urteilende ist, so ergibt sich noch folgende Schwierigkeit: Um urteilen zu können, muß ich nach RICKERT Gefühle haben, denn er sagt (Seite 106), das Erkennen sei ein Vorgang, der durch Gefühle bestimmt werde und Gefühle seien stets, psychologisch betrachtet, Lust oder Unlust. Aber noch mehr, nach Seite 233 wäre das urteilende Bewußtsein überhaupt auch ein wollendes, denn "das Erkennen beruht in letzter Hinsicht auf einem Willensentschluß", und "das Bejahen oder Verneinen ist ohne einen Willen zur Wahrheit nicht denkbar". (Seite 140) Wie aber verträgt sich das mit dem Ausspruch (Seite 25): "Das Wahrnehmen ist ebenso wie das Wahrgenommene, das Fühlen ist ebenso wie das Gefühlte, das Wollen ist ebenso wie das Gewollte dem Objekt zuzuweisen oder dem Bewußtseinsinhalt".

2. Es sei uns gestattet, über den Rest der RICKERTschen Darstellungen, das heißt über seine Kategorienlehre ganz kurz hinwegzugehen. Dieser Teil seiner Ausführungen hat nur Wert, sofern das Vorhergehende über jeden Zweifel erhaben ist. Nun sind aber unsere Einwände derart, daß nur zwei Möglichkeiten übrig bleiben: Entweder sie werden widerlegt oder die ganze neue Erkenntnistheorie sinkt in sich zusammen. Ehe also das erste nicht geschehen ist, können wir jede Besprechung der Katgeorien aussetzen. Nur zwei Punkte wollen wir erwähnen. Nach RICKERT ist die Kategorie der Akt der Anerkennung, der die transzendenten Normen anerkennt (Seite 173). Er unterscheidet nun unter diesen die Norm der Gegebenheit oder des  Dies  (Seite 180), die Norm der objektiven Wirklichkeit und die methodologische Norm. Dem gegenüber stehen nun die entsprechenden Kategorien. Hier müssen wir uns fragen, ob denn die verschiedenen Kategorien auch etwas wirklich Verschiedenes darstellen. Sind die Normen voneinander verschieden, so bleibt doch für die Kategorie nichts anderes übrig, als die betreffende Norm zu bejahen. Eine Form der Bejahung, die verschieden wäre, je nachdem ich dieses oder jenes bejahe, gibt es nicht. So meinen wir, daß, wenn man verschiedene Normen aufstellt, es nicht angeht, verschiedene Kategorien im RICKERTschen Sinn diesen gegenüberzustellen. Es ist eine und dieselbe Kategorie, die bald die eine, bald die andere Norm anerkennt.

Wichtiger als dies erscheint uns der zweite Punkt. Es ist nach RICKERT unzulässig, "die kausal bedingte mit der gesetzmäßigen Veränderung zu identifizieren" (Seite 212). Es wäre in der Tat sehr ungereimt, den einzelnen Fall mit der allgemeinen Regel zu identifizieren; aber nicht weniger fehlerhaft wäre es, zu behaupten, daß in einem Urteil, das die kausale Verknüpfung von Gegebenheiten behauptet,  nur  "ein Urteil über einen einmaligen individuellen Vorgang enthalten sei" (Seite 217). Wenn ich vielmehr sage: "dieser Stoß war die Ursache dieser Bewegung", so heißt dies nicht nur: "Auf diesen Stoß ist diese Bewegung gefolgt", sondern es kommt noch der Gedanke der  Bewirkung  des einen durch das andere hinzu. Dieser Gedanke ist aber kein anderer, als der der Gesetzmäßigkeit dieses Vorgangs, der Gedanke, daß unter gleichen Verhältnissen jedesmal dieser Stoß, wenn ich ihn ausführe, diese Bewegung zur Folge hat. Es enthält also das angeführte Urteil bedeutend mehr, als eine Aussage über einen einmaligen, individuellen Vorgang, nämlich bereits die Behauptung einer Gesetzmäßigkeit. Dieser gesetzmäßige Bestandteil kann nicht aus den entsprechenden Wahrnehmungsurteilen entnommen sein, wie: dieser Stoß ist, diese Bewegung ist, diese Bewegung ist in diesem Augenblick auf diesen Stoß gefolgt. Es ist vielmehr eine ganz neue und eigentümliche Erkenntnis, die im Urteil: dieser Stoß ist die Ursache dieser Bewegung, hinzukommt. Wollen wir uns dieser Erkenntnis gesondert bewußt werden, so kann dies in der allgemeinsten Form nur geschehen durch das Urteil: jede Veränderung hat ihre Ursache. Dies Gesetz, das also implizit im Urteil: dieser Stoß ist die Ursache dieser Bewegung, enthalten ist, ist die Voraussetzung, die nötig ist, damit das besondere Urteil überhaupt gefällt werden kann. So sehen allerdings auch wir, wie RICKERT (Seite 227) "im Gesetz keine Wirklichkeit", wohl aber in der Wirklichkeit Gesetze. Es kann daher sehr wohl, "Wissenschaften geben, die sich um Gesetze gar nicht kümmern" (Seite 224), niemals aber solche, die eben diese Gesetze nicht voraussetzten. Das Gesetz ist also weit mehr, als ein Mittel zur Bearbeitung der Wirklichkeit und nur insofern ist es ein "Abstraktionsprodukt" (Seite 216), "ein Produkt der Wissenschaft" (Seite 240), als es in dem, wovon ich es abstrahiere, schon enthalten ist. (6) Wenn ich selbst eine noch so große Zahl von "Wirklichkeitsurteilen" gefällt habe, welche aussagen, daß so und so oft auf gewisse Erscheinungen gewisse Veränderungen erfolgten, so kann ich mit Hilfe der Abstraktion nur dann das Urteil fällen: jede Veränderung hat ihre Ursache, wenn die in diesem Urteil ausgedrückte Gesetzmäßigkeit bereits in den einzelnen Urteilen enthalten ist. Der allgemeingültige Bestandteil, der wie oben gezeigt, auch schon in den Urteilen, die nur "kausale Verknüpfungen" ausdrücken, enthalten ist, ist hier das allen einzelnen Urteilen Gemeinsame, dem ich durch die Abstraktion gesondert Ausdruck verleihe.


V.

Es ist also wohl deutlich geworden, daß alle Fehler, die wir aufgewiesen haben und die geeignet sind, das ganze System zu stürzen, aus dem Mangel an Selbstbeobachtung, aus der Verachtung der Psychologie entsprungen sind. Aber seltsam! Man wird sich vielleicht wundern zu hören, daß RICKERT, wie hoch er sich auch über die Psychologie erhaben glaubt, unbewußt selber Psychologie treibt. Wir behaupten nämlich, daß RICKERT, sofern er nicht Dogmatiker ist, sich ausschließlich auf psychologischem Gebiet bewegt.

1. Nach zwei Richtungen hin machen wir RICKERT den Vorwurf eines dogmatischen Verfahrens. Zunächst deshalb, weil er an die Spitze seiner Untersuchungen Definitionen stellt (vgl. I, 1. Rickert geht davon aus) und somit die Warnung unbeachtet läßt, die KANT in der Kritik der reinen Vernunft über den Gebrauch der Definitionen in der Philosophie erhebt. (Transzendentale Methodenlehre. Die Disziplin der reinen Vernunft im dogmatischen Gebrauche) KANT setzt hier auseinander, daß die Mathematik zwar sehr wohl mit Definitionen beginnen könne, da ihre Begriffe rein anschaulich und daher konstruierbar sind, daß dieses Verfahren jedoch für die Philosophie unzulässig sei. Er sagt (Kehrbachsche Ausgabe, Seite 560): "... man dürfe es in der Philosophie der Mathematik nicht so nachtung, die Definitionen voranzuschicken, als nur etwa zu bloßen Versuche. Denn, da sie Zergliederungen gegebener Begriffe sind, so gehen diese Begriffe, obzwar nur noch verworren, voran und die unvollständige Exposition geht vor der vollständigen, so daß wir aus einigen Merkmalen, die wir aus einer noch unvollendeten Zergliederung gezogen haben, manches vorher schließen können, ehe wir zur vollständigen Exposition, d. i. der Definition gelangt sind; mit einem Wort, in der Philosophie müsse die Definiton, als abgemessene Deutlichkeit, das Werk eher schließen, als anfangen". Die Gefahr, die in der Vernachlässigung dieser Warnung liegt, besteht darin, daß die aus der unvollständigen Zergliederung gewonnenen Begriffe durch Worte bezeichnet werden, denen im Sprachgebrauch eine ganz bestimmte Bedeutung zukommt. Gibt man nun den Worten durch eine Definition einen vom Sprachgebrauch abweichenden Sinn, so geschieht es leicht, daß man Merkmale, die dem Begriff zukommen, den das Wort im Sprachgebrauch bezeichnete, unbewußt auf den Begriff überträgt, den das Wort nach der Definition bezeichnen soll. Damit sind wir auf die hauptsächliche Quelle der Irrtümer im "Gegenstand der Erkenntnis" gestoßen. RICKERT sieht nämlich ein, daß die oft aufgestellte Behauptung, die Erkenntnis richte sich nach ihrem Gegenstand, d. h. nach einem Sein, nicht haltbar ist. Er meint aber, daß die Schuld daran das "Sein" treffe und übersieht, daß keine Wissenschaft feststellen kann, daß die Erkenntnis sich nach  irgendetwas,  was nicht Erkenntnis ist, richte. Da also nicht behauptet werden kann, daß die Erkenntnis sich nach dem "Sein" richte, so sucht er einen anderen "Gegenstand", nach dem sich die Erkenntnis richtet und findet diesen in einem "Sollen". RICKERT hat also unberechtigter und dogmatischer Weise den Gegenstand mit der Regel der Wahrheit identifiziert. Damit aber ist sein Begriff vom Gegenstand ein anderer geworden, als im gewöhnlichen Sprachgebrauch mit dem Wort bezeichnet wird. Was also für den Gegenstand im gewöhnlichen Sinn ganz richtig ist, daß er zum Begriff des Erkennens gehört, trifft für den Gegenstand, wie ihn RICKERT definiert, nicht mehr zu. Denn die unmittelbare Erkenntnis hat zwar keine Regel der Wahrheit außer sich, sondern trägt ihre Gewißheit in sich selbst; wohl aber hat sie einen Gegenstand im üblichen Sinn des Wortes und dieser besteht gerade in einem Sein. Anders verhält es sich mit der mittelbaren Erkenntnis. Diese bedarf allerdings einer von ihr selbst verschiedenen Regel der Wahrheit. So mußte RICKERT dazu kommen, die mittelbare Erkenntnis, die in Urteilen besteht, mit der Erkenntnis überhaupt zu verwechseln und daher Erkenntnis und Urteil zu identifizieren. In der Tat trifft vieles, was RICKERT von der Erkenntnis überhaupt aussagt, für die mittelbare Erkenntnis sehr wohl zu. Erst durch die, von ihr selbst verschiedene, Regel der Wahrheit kommt zu ihr, als zu etwas an sich Problematischem, die Assertion [Behauptung, daß der Prädikatbegriff dem Subjektbegriff auch tatsächlich zukommt. - wp] hinzu, wird aus dem Urteil Erkenntnis. Das Urteil ist ein dem Willen unterworfener Akt der Reflexion, das Urteil wird durch ein Gefühl, das Wahrheitsgefühl, bestimmt. So sieht man, daß es, die Voraussetzungen einmal zugegeben, dem RICKERTschen System keineswegs an Konsequenz fehlt. Aber gerade diese Konsequenz ist stets ein gefährlicher Vorzug für ein philosophisches System. Dient sie doch nur dazu, den in den Voraussetzungen einmal gemachten Fehler durch das ganze System zu schleppen und ihn damit gewissermaßen nur in höhere Potenzen zu erheben.

Zweitens aber scheint uns RICKERT deshalb Dogmatiker zu sein, weil er gegen folgende, von KANT im selben Abschnitt aufgestellte Forderung verstößt: "Die Philosopie hat keine Axiome und darf niemals ihre Grundsätze a priori so schlechthin gebieten, sondern muß sich dazu bequemen, ihre Befugnis wegen derselben durch gründliche Deduktion zu rechtfertigen." (Seite 562)

RICKERT sagt: "Auf den beiden Sätzen, daß Urteilen nicht Vorstellen ist und daß das  Sein  nur einen Sinn gewinnt als Bestandteil eines Urteils, beruhten alle seine Ausführungen." (Seite 156). Von diesen beiden Sätzen ist der erste  als ein analytisches Urteil  allerdings unbestreitbar. Der zweite Satz dagegen ist eine rein dogmatische Behauptung. Wir haben oben ausführlich gezeigt, daß er sogar falsch ist. Sollte aber jemand von der Richtigkeit unserer Darlegungen in diesem Punkt nicht überzeugt sein, so muß doch das mindestens einleuchten, daß es keinen  logischen  Widerspruch einschließt, an dem RICKERTschen Satz zu zweifeln, daß es vielmehr sehr wohl  möglich  ist, daß ein Sein durch eine besondere Art der Vorstellung, z. B. durch Anschauung, erkannt wird und daher auch unabhängig vom Urteil Sinn hat. Eine Begründung seines Satzes hat RICKERT nirgends gegeben. Es ist ferner dogmatisch, daß die Existenz eines Gegenstandes deshalb nicht behauptet werden dürfe, weil er nicht die Regeln der Wahrheit unserer Erkenntnis sein könne, sowie es dogmatisch ist, das vom individuellen Bewußtsein Gesagte auf das Bewußtsein überhaupt zu übertragen.

2. Psychologisch ist dagegen die Lehre von der Urteilsnotwendigkeit. Ob ich beim Urteil von einem Gefühl bestimmt werde und welcher Art dieses Gefühl ist, das kann niemals die Logik entscheiden. Nur die Psychologie, als innere Naturlehre, ist imstande, darüber etwas auszusagen. Es ist falsch, daß es gar nicht  "denkbar  wäre, daß etwas anderes, als ein Gefühl uns zur Zustimmung oder der Abweisung veranlassen könnte" (Seite 107). Ein  logischer  Widerspruch ist es durchaus nicht, zu sagen: es ist kein Gefühl, das unsere Urteile bestimmt, sondern irgendetwas anderes. Ob es aber etwas anderes ist und was dieses andere ist, das kann nur Gegenstand psychologischer Untersuchungen sein. Vor allen Dingen aber ist es durchaus kein logischer Widerspruch, daß zwar ein Gefühl, keineswegs aber ein Lust- oder Unlustgefühl, unser Urteilen bestimme. Diese letztere Behauptung haben wir oben aufgestellt und auch hier wieder ist es gleichgültig, ob man sie zugibt oder nicht. Auf jeden Fall haben wir gezeigt, daß unsere Behauptung keinen logischen Widerspruch enthält. Will man sie widerlegen, so bedarf man dazu nicht der Logik, sondern der Psychologie. Es sei also RICKERTs Behauptung oder die unsrige richtig, man wird sie niemals als "von jeder psychologischen Theorie unabhängig" (Seite 107) hinstellen können. - Ganz ebenso verhält es sich mit dem Satz, daß "das Bejahen oder Verneinen ohne einen Willen zur Wahrheit nicht  denkbar  ist", (Seite 140) und "daß das Erkennen in letzter Hinsicht auf einem Willensentschluß beruht" (Seite 233). Wenn Urteilen ein willkürlicher Akt der Reflexion ist, so ist es allerdings selbstverständlich, daß zum Urteilen ein Wille nötig sei. Aber wiederum kann nur der Psychologe diese Natur des Urteils feststellen. Eine logische Voraussetzung des Urteils ist der Wille nicht, sondern nur eine psychologisch. Was aber für das Urteil in der Tat psychologische Voraussetzung ist, ist deshalb noch nicht psychologische Voraussetzung der Erkenntnis überhaupt; denn die Berechtigung zur Übertragung vom Urteil auf die Erkenntnis fällt mit dem Satz, daß Erkennen ausschließlich in Urteilen bestehe. So sehen wir, daß von einer Unabhängigkeit der Erkenntnistheorie von der Psychologie gar keine Rede sein kann. Aus reiner Logik läßt sich nicht Philosophie machen und niemals kann die Erkenntnistheorie "über sich selbst hinaustreiben" (Seite 234). Das ist keiner Wissenschaft möglich. RICKERT will "reine Erkenntnistheorie treiben, die von Psychologie und Metaphysik frei sein soll." In Wahrheit aber ist seine Methode teils dogmatisch, teils psychologisch. Auf den beiden angeführten Voraussetzungen, meint er, beruhe allein seine ganze Erkenntnistheorie. Daß RICKERT aber unbewußt eine Reihe von psychologischen Behauptungen aufstellt, die, wie wir gesehen haben, nicht einmal den Tatsachen entsprechen, ohne die jedoch sein System nicht bestehen kann, das haben wir gezeigt. Die Psychologie aber, als Physik der inneren Natur, setzt genau so wie die Physik der äußeren Natur gewisse logische und metaphysische Grundsätze voraus. Oder sollte etwa eine Psychologie als Wissenschaft aus innerer Erfahrung möglich sein, die in ihrem System die von KANT aufgewiesenen Bedingungen der Möglichkeit aller Erfahrung, also z. B. das Gesetz der Kausalität oder das Prinzip der Kontinuität, nicht voraussetzt?

Wir aber sind gerade dadurch im Vorteil, daß wir unsere Schranken kennen. Wir wissen, daß die Psychologie eine Erfahrungswissenschaft ist und wir wissen auch, daß wir als Psychologen eine gewisse Zahl von Grundsätzen voraussetzen. Aber eben weil wir das wissen, streben wir nicht mit der Psychologie über diese hinauszuwachsen. Wir prüfen, was die Psychologie leisten kann und nur das, nichts Unmögliches verlangen wir von ihr. Wir ergreifen nicht "den alten Wanderstab des erkenntnistheoretischen Zweifels", wir suchen nicht "voraussetzungslos" zu sein, sondern wir wenden uns an die anthropologische Kritik; wir suchen uns unserer Voraussetzungen bewußt zu werden und sie aus unserer Vernunft zu deduzieren. Die psychologische Kritik aber ermöglicht es uns als Kritik gegen jede dogmatische Behauptung anzukämpfen und als Psychologie setzt sie uns in den Stand, falsche Selbstbeobachtung zu erkennen und richtig zu stellen.
LITERATUR - Ernst Blumenthal, Über den Gegenstand der Erkenntnis (Gegen Heinrich Rickert) in Abhandlungen der Fries'schen Schule, Göttingen 1903
    Anmerkungen

    1) Eine wirkliche Lösung des Problems findet sich in FRIES' Neuer Kritik der Vernunft, § 126 - 131
    2) Vielleicht versteht RICKERT etwas anderes unter Logik. Jedenfalls findet sich eine Begriffsbestimmung der Logik im "Gegenstand der Erkenntnis" nirgends vor. Wir finden dort nur recht allgemeine Bestimmungen. Nach Seite 98 heißt  logisch betrachten  auf das hin ansehen, was das Urteil meint oder als wahr aussagt und nach Seite 99 betrachtet die Logik die Urteile unter dem Gesichtspunkt ihres logischen Sinnes oder ihrer Wahrheit. Wie dem auch sei, an den von uns dargelegten tatsächlichen Verhältnissen vermag eine abweichende Nomenklatur nichts zu ändern.
    3) Ganz ausführlich ist das Verhältnis der Logik zur Philosophie, das hier nur angedeutet werden konnte, von KANT dargestellt worden in der Kritik der reinen Vernunft, Kehrbachsche Ausgabe, Seite 81f
    4) Hierbei ist auf den Unterschied, den RICKERT in seinen "Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung" zwischen Begriff und Wortbedeutung macht (Seite 40f) nicht eingegangen worden. Diese Unterscheidung könnte allerdings als Einwand gegen unsere obige Darlegung herangezogen werden. Unsere folgenden Ausführungen bleiben jedoch davon unberührt, denn sie verlieren nichts, wenn man hier für Begriff Wortbedeutung einsetzt. An der angeführten Stelle ist auch auf die Entstehung der Wortbedeutung aus der Anschauung klar und deutlich hingewiesen, ohne daß RICKERT sich bewußt geworden wäre, daß, da das Urteil Wortbedeutungen und Wortbedeutungen Anschauungen voraussetzen, Anschauung, d. h. eine Art der Erkenntnis, unmöglich aus Urteilen bestehen kann.
    5) Wie wenig klar sich RICKERT gerade in Hinsicht auf das Urteil ausdrückt, zeigt auch der Satz Seite 103 "... denn erst durch Bejahen oder Verneinen wird aus den Vorstellungen etwas Wahres oder Falsches, das heißt Erkenntnis". Sollen wir wirklich glauben, daß verneinende Urteile weniger wahr sind, als bejahende oder auch daß auch etwas Falsches Erkenntnis werden kann?
    6) KANT behält daher Recht, wenn er sagt (Kritik der reinen Vernunft, Kehrbachsche Ausgabe, Seite 134): "Die Ordnung und Regelmäßigkeit an den Erscheinungen, die wir Natur nennen, bringen wir selbst hinein und würden sie auch nicht darin finden können, hätten wir sie nicht ursprünglich hineingelegt." Demgegenüber erscheint es wunderbar, wenn RICKERT als Kantianer behauptet: "Der Begriff der Wirkung stammt aus den Veränderungen, die wir in der immanenten Sinnenwelt beobachten." (Seite 47)