p-4S. Bryszvon RümelinM. SchlickB. Erdmanndow    
 
HERBERT MARCUSE
Zum Begriff des Wesens
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"Jeder Versuch, die Philosophie in der Objektivität, auf der Gegenstandsseite zu fundieren, ohne die realen Voraussetzungen ihrer Begrifflichkeit anzugreifen, d. h. ohne die verändernde Praxis in die Theorie aufzunehmen, muß ihren vernunftkritischen Charakter opfern und heteronom werden. Diesem Schicksal verfällt die materialistische Wesenslehre: sie führt, ebenso wie der Positivismus, zur Auslieferung der Theorie an die  gegebenen  Mächte und Ordnungen. Es ist der erkenntnismäßig Grundsinn der Wesensanschauung, daß sie sich ihren Gegenstand  geben läßt,  daß sie ihn hinnimmt und sich an ihn bindet als ein  absolut Gegebenes." 

"Die  positivistische Opposition gegen die  Metaphysik der Wesenslehre versteht sich selbst zunächst als eine erkenntnistheoretische Kritik: unsere Erfahrung von der Wirklichkeit rechtfertige durchaus nicht jene Annahme von zwei seinsverschiedenen  Welten, die dem Gegensatz von Ding und Erscheinung, Wesen und Tatsache zugrundeliegt. Es gibt keine Tatsache, die zu einer derartigen Gegenüberstellung zweier irreduzibler Realitäten zwänge oder auch nur berechtigte. Wir gelangen zu einem befriedigenden Weltbld nur dann, wenn wir  allem Wirklichen, den Bewußtseinsinhalten sowohl wie allem außerbewußten Sein die gleiche Art und den gleichen  Grad von Realität ohne jeden Unterschied zuerkennen. Damit geht aber dieser Positivismus über den erkenntnistheoretischen Empirismus in einem entscheidenden Schritt hinaus: er arbeitet mit einem Begriff von Tatsache, wo die Tätsächlichkeit eines Gegenstandes der Erkenntnis nicht nur seine  Realität, sondern zugleich auch die erkenntnismäßig Gleich-Wertigkeit dieser Realität mit jeder anderen begründet: alle Tatsachen sind als solche gegenüber der Erkenntnis gleich-gültig. Die Welt der Tatsachen ist eine gleichsam eindimensionale: das Reale ist  schlechthin real, und diese Schlechthinnigkeit schneidet jede Transzendenz: sowohl die metaphysische wie die kritische Transzendenz zum Wesen ab. Es gibt nur  eine Wirklichkeit, und sie ist immer  Wesen und läßt sich nicht in Wesen und Erscheinung auseinanderlegen."

Es gibt philosophische Grundbegriffe, deren metaphysischer Charakter sie am weitesten von der realen Basis des Denkens entfernt und deren gleichbleibender Inhalt in den verschiedensten philosophischen Theorien am ehesten die Idee einer "philosophia perennis" zu rechtfertigen scheint. An diesen "höchsten Punkten" der Philosophie setzt sich die geschichtliche Entwicklung weniger in einer Veränderung des Begriffsinhalts als in einer Veränderung der Stellung und Funktion solcher Begriffe innerhalb des jeweiligen Systems durch. Dann zeigt es sich, daß gerade sie ein deutlicher Index für die historische Verwandlung der Philosophie sind als Begriffe, die ihrem Inhalt nach der Faktizität weit näher stehen. Der metaphysische Charakter verrät hier mehr, als er verhüllt. Denn in die Grundfragen der Metaphysik nach einer letzten Einheit, Wahrheit und Allgemeinheit des Seins ist zu viel von den wirklichen Kämpfen und Sehnsüchten der Menschen eingegangen, als daß dies nicht noch in den abgeleiteten Formen zum Ausdruck käme, in denen die Tradition diese Fragen festgehalten hat.

Zu solchen Kategorien gehört der Wesensbegriff. Seinen mannigfachen Gestalten liegt als gleichbleibender Inhalt die Abhebung eines Einen wahren Seins von der stets wechselnden Vielheit der Erscheinungen zugrunde. Unter dem Titel "Wesen" wird dieses Sein zum Gegenstand der "eigentlichen", sicheren und gewissen Erkenntnis gemacht. Wie nun die neuere Philosophie im Gegensatz zur Antike und zum Mittelalter die Wesenserkenntnis verstanden und begründet hat: in ihren Aufassungen des Verhältnisses von Wesen und Erscheinung wird die geschichtliche Situation des diese Philosophie tragenden Bürgertums sichtbar. Am Anfang des bürgerlichen Zeitalters soll die kritische Autonomie der vernünftigen Subjektivität jene letzten Wesenswahrheiten stiften und rechtfertigen, von denen alle theoretische und praktische Wahrheit abhängt. Das Wesen des Menschen und der Dinge ist in der Freiheit des denkenden Individuums, des Ego cogito aufgehoben. Am Ende desselben Zeitalters hat die Wesenserkenntnis vor allem die Funktion, die kritische Freiheit des Individuums an vorgegebene, unbedingt gültige Notwendigkeiten zu binden. Nicht mehr die Spontaneität des Begriffs, sondern die Rezeptivität der Anschauung ist das Organon der Wesenslehre; die Erkenntnis vollendet sich in der Anerkennung und bleibt dort stehen. Während HUSSERLs Phänomenologie als die verspätete Anstrengung betrachtet werden kann, die bürgerliche Theorie mit den Grundkräften und Grundbegriffen des Deutschen Idealismus (in dem die Wesenslehre ihre klassische Gestalt gefunden hatte) unter Abbiegung des Kritizismus noch einmal zu sichern, und so noch der liberalistischen Periode verbunden bleibt, bezeichnet die in HUSSERLs Nachfolge ausgebildete materiale Eidetik den Übergang und die Vorbereitung des Denkens auf die Ideologie der autoritären Herrschaftsformen. Die Wesensanschauung wird zur Aufstellung von Wertordnungen mißbraucht, in denen geforderte Rang- und Unterordnungsverhältnise aus dem "Wesen" des Menschen, des Volkstums, der Rasse abgeleitet werden. Der Wesensbegriff umspannt, von DESCARTES bis zur modernen Eidetik [Wesensschau -wp], den Weg von der Autonomie zur Heteronomie, von der Proklamation des freien vernünftigen Individuums bis zu seiner Auslieferung an die Mächte des autoritären Staates.

In der gegenwärtigen Gestalt der Wesenslehre sind die wahren Erkenntnisse, die zur Trennung von Wesen und Erscheinung geführt haben, nicht mehr aufbewahrt, ebensowenig aber in der abstrakten Aufhebung dieser Trennung, wie sie der Positivismus verlangt. Eine Theorie, welche den Wesensbegriff aus der Wissenschaft ausmerzen will, verfällt einem hilflosen Relativismus und fördert so selbst die Mächte, deren rückschrittliches Denken sie bekämpfen will. Der Positivismus kann keine überwindende Kritik der idealistischen Wesenslehre leisten; eine solche bleibt die Aufgabe der materialistischen Dialektik. Bevor diese Aufgabe anzudeuten versucht wird, sollen einige typische Formen der idealistischen Wesenslehre charakterisiert werden.


I.

Wo der Wesensbegriff seine erste entscheidende philosophische Formulierung gefunden hat: in der platonischen "Ideenlehre", war er eine Antwort auf die Frage nach der Einheit und Allgemeinheit des Seins gegenüber der Mannigfaltigkeit und dem Wechsel des Seienden. Daß die Dinge, obwohl jedes ein "Individuum"; doch aneinander gleich und ungleich, ähnlich und unähnlich sind, daß sie in der endlosen Vielheit ihrer Bestimmungen als selbig-eine begriffen werden, daß ganz verschiedene Phänomene darin übereinkommen, als gut, schön, recht, unrecht usw. zu gelten, - kurz: daß das Seiende sich in Gattungen und Arten spaltet, unter höchsten Kategorien sich ordnet, unter Allgemeinbegriffen erkannt wird, das ist der philosophische Tatbestand, welcher der Frage nach dem Wesen zugrunde liegt. Sie wird hier nicht als ein Problem der reinen Erkenntnis gestellt. Indem vielmehr die Einheit in der Vielheit, das Allgemeine als das Wesen, als das wahrhaft Seiende gefaßt wird, gehen kritisch-ethische Motive in den Wesensbegriff ein. Die Ablehnung des eigentlichen Seins gegen das uneigentliche, des Seinsollenden und Seinkönnenden gegen das Daseiende. Das Sein der Dinge geht nicht auf in dem, was sie unmittelbar sind; sie erscheinen nicht schon so, wie sie sein können. Die Gestalt ihres unmittelbaren Daseins ist unvollkommen, gemessen an ihren Möglichkeiten, wie sie das begreifende Wissen als das Bild ihres Wesens erkennt. Ihr Eidos, ihre Idee wird zum Maß, an dem der jeweilige Abstand des Seienden von dem, was es sein kann, von seinem Wesen gemessen wird.

Die Bestimmungen dieses Wesensbegriffs deuten somit keineswegs auf einen primär logischen oder erkenntnistheoretischen Sachverhalt. In der Bemühung um die Einheit, Allgemeinheit und Ständigkeit des Seins, in der "Erinnerung" an das Wesen lebt das kritische Bewußtsein einer "schlechten" Faktizität, das Bewußtsein nicht verwirklichter Möglichkeiten. Das Wesen als Möglichkeit wird zur Kraft und Macht im Seienden. Seit der Spätfassung der platonischen Ideenlehre im "Sophistes" und "Philebos" steht die Idee als  dynamis  in einem Prozeß, in dem das "wahre Sein" als Resultat eines Werdens entsteht. Erst in dieser Gestalt kommt der kritisch-dynamische Charakter des Wesensbegriffs zur vollen Wirkung. Die Idee hat den Grundsinn des  agathon  [das Gute - wp], dessen was so ist, wie es seinem eigenen Maß nach sein kann, und zu diesem  agathon  hin ist das Seiende in Bewegung. (1) Die Dynamik dieses Verhältnisses beherrscht auch die aristotelische Ontologie; die Wesensbegriffe  ousia  [Substanz, Essenz - wp] und  ti en einai  [Wesenswas - wp] suchen die Weise zu erfassen, wie das Seiende in den verschiedenen Phasen seiner Bewegung sich als selbiges erhält und verhält. Die antike Lehre vom Wesen ist seit PLATO von der Unruhe des ungelösten Gegensatzes zwischen Wesen und Dasein getrieben. Die christliche Philosophie des Mittelalters hat das kritische Bewußtsein dieses Gegensatzes in einem onto-theologischen Prinzip zur Ruhe gebracht und ihn als Strukturgesetz der kreatürlichen Welt verewigt. Bei THOMAS von AQUINO ist das Wesen als  essentia  des Seienden das, gemäß dem, wodurch und worin das Seiende ist, was es ist, - gleichsam die innere Struktur des Seienden, die in ihm als Formprinzip auf je verschiedene Weise wirksam ist. In der jeweiligen Existenz des Seienden ist das Wesen immer schon verwirklicht, aber - und dies ist das Entscheidene - diese Wirklichkeit ist nicht und nie die Wirklichkeit des Wesens selbst. Bei allem endlichen Seienden fallen Wesen und Dasein seinsmäßig auseinander. Das Dasein ist ein zum Wesen "Hinzukommendes", und das Wesen als solches hat dem Dasein gegenüber den Seinscharakter reiner Möglichkeit, potentia transzendentalis: es ist ewig, unveränderlich und notwendig, die "Idee" als das Urbild des Seienden in der göttlichen Vernunft. Das so gefaßte Wesen kann nur durch ein ihm "äußeres" Prinzip wirklich werden, und die Gestalt seines wirklichen Daseins bleibt in ihrer materialen Bestimmtheit eine unaufhebbare Zufälligkeit. (2) Die seinsmäßige Differenz des endlichen Seienden zwischen Wesen und Dasein ist so der kritischen Sorge und Bemühung der Menschen enthoben. (3)

Bei aller Beruhigung der kritischen Spannungen des Wesensbegriffs hat die thomistische Philosophie doch daran festgehalten, daß die Differenz von Wesen und Dasein einen Sachverhalt am Seienden selbst anzeigt, so wie es als räumlich-zeitliche Wirklichkeit dem Menschen gegeben ist. Auf diese Weise wird die Einebnung des Wesensproblems zu einer logisch-erkenntnistheoretischen Frage verhindert. Dies geschieht erst in der Entwicklung des neuzeitlichen Denkens, die mit DESCARTES beginnt und mit HUSSERL endet. Der Wesensbegriff tritt in die Sphäre des seiner selbst absolut gewissen Ego cogito, der transzendentalen Subjektivität. Das aus der Gebundenheit der mittelalterlichen Ordnung zur Selbstgestaltung seiner Welt befreite autonome Individuum sieht seine Vernunft vor die Aufgaben gestellt, die in der Lehre vom Wesen metaphysisch hypostasiert [einem Gedanken gegenständliche Realität unterschieben - wp] waren: aufgrund der entdeckten rationalen Beherrschbarkeit der Natur die eigentlichen Möglichkeiten des Seienden zu verwirklichen. Das Wesen wird zum Gegenstand der theoretischen und praktischen Vernunft. Die transzendental-subjektive Form des Wesensbegriffs ist seine typische Gestalt in der bürgerlichen Theorie. Sie ist zum erstenmal bei DESCARTES erarbeitet.

DESCARTES geht in seinem Versuch einer Neubegründung der Philosophie auf eine absolut gewisse, notwendige und allgemeingültige Erkenntnis aus, und er sucht das Fundament dieser Erkenntnis im Bewußtsein des Individuums, im Ego cogitans. Der DESCARTES leitende Begriff von Theorie ist weitgehend von der mathematischen Naturwissenschaft vorgebildet, aber das erschöpft keineswegs die Bedeutung seines Ansatzes. Warum greift DESCARTES in einer Epoche, wo diese mathematische Naturwissenschaft eben ihre bahnbrechenden Entdeckungen gemacht hatte, wo das Ideal einer "objektiv" gesicherten Erkenntnis und seine Erfüllung in der berechneten und beherrschten Natur so nah wie nie zuvor ereichbar schien, auf die "subjektive" Gewißheit des Ego cogito zurück? Warum steht die Verankerung der Theorie im Bewußtsein der Subjektivität unmittelbar neben seiner mechanistischen Philosophie, neben seiner analytischen Geometrie und seinem Traktat über Maschinen?

Die Bedeutung des DESCARTESschen Ansatzes ist deshalb so schwer zu umschreiben, weil er durchaus zwiespältiger Natur ist: Befreiung und zugleich Ohnmacht, Bejahung und zugleich Flucht und Protest des von den mittelalterlichen Ordnungen gelösten Individuums gegenüber dem Gesetz der bürgerlichen Gesellschaft. Der universale Zweifel, die Forderung einer Ausweisung aller Urteile von der souveränen Vernunft des Individuums, die Aufnahme der Mathematik und Mechanik in die Philosophie sind ein Ausdruck der neuen selbstbewußten Individualität, die mit dem Anspruch auf freie Gestaltung ihrer Lebensbeziehungen, auf Unterwerfungg der Natur und ihres neu erschlossenen Reichtums in die Welt hinaustritt. Ein starker Aktivismus offenbart sich in der programmatischen Verbindung von Theorie und Praxis, die DESCARTES betont: die ihrer Erkenntnis absolut gewisse Theorie soll der Praxis als sicheres Organon dienen. "Il suffit de bien juger pour bien faire, et de juger le mieux qu'on puisse pour faire aussi tout son mieux, c'est-á-dire pour acquérir ... tous les autres biens qu'on puisse acquérir." [um so gut zu urteilen, wie man kann und auch nach seinem Besten zu handeln und zugleich auch alle anderen Güter zu erwerben, die man erwerben kann. - wp] (4) DESCARTES glaubt an eine "philosophie pratique" anstelle der alten "philosophie spéculative", eine praktische Philosophie, "par laquelle, connaissant la force et les actions du feu, de l'eau, de l'air, des astres, des cieux et de tous les autres corps qui nous enviroment ... nous les pourrions employer en même facon á tous les usages auxquels ils sont propres, et ainsi nous rendre comme maîtres et possesseurs de la nature." [durch die wir die Kraft und Wirkungsweisen des Feuers, des Wassers, der Luft, der Sterne, der Himmelsmaterie und aller anderen uns umgebenden Körper ebenso deutlich kennen lernen und die wir auf eben diese Weise zu allen Zwecken, für die sie geeignet sind, anwenden und so zu Herren und Eigentümern der Natur werden könnten. - wp] (5) Aber die Beherrschung der Natur durch rationale Produktionsmethoden, welche die Theorie DESCARTES' vor Augen hat, ist in der ihm vorliegenden Gestalt der gesellschaftlichen Organisation mit der souveränen Vernunft der vergesellschafteten Individuen nicht vereinigt und von ihr nicht geleitet. Das Schicksal der bürgerlichen Gesellschaft kündigt sich an in ihrer Philosophie. Wie das befreite Individuum als Subjekt der Praxis nun faktisch an die Gestaltung seiner Lebensbeziehungen geht, sieht es sich den Gesetzen des Warenmarktes unterworfen, als blinden ökonomischen Mächten, die sich hinter seinem Rücken durchsetzen. Sein erster Schritt: der Anfang seiner Laufbahn kann noch als frei und nur von der eigenen Vernunft diktiert erscheinen; alle anderen Schritte sind ihm durch die Verhältnisse der warenproduzierenden Gesellschaft vorgeschrieben, auf deren Einhaltung es angewiesen ist, wenn es nicht zugrunde gehen will.

An die Stelle der durchsichtigen Abhänigigkeitsverhältnisse der mittelalterlichen Ordnung ist ein dem Individuum undurchschaubares System von Abhängigkeiten getreten; die Arbeitsbedingungen verselbständigen sich und machen das Schicksal des Individuums für es zu einer bloßen Zufälligkeit. Die raum-zeitliche Wirklichkeit wird zu einer nur "äußeren" Welt, die mit dem, was der Mensch eigentlich sein kann, mit seiner "Substanz", seinem "Wesen" nicht vernünftig verbunden, nicht als Tat seiner Freiheit gestaltet ist, während gleichzeitig eine solche Gestaltung von der neuen Wissenschaft als möglich gezeigt und von der neuen Philosophie als Aufgabe gefordert wird. Die Aufgabe stößt in der Praxis auf einen Widerstand, dessen Aufhebung über die Grenzen dieser Gesellschaft hinausführt. Sofern die Philosophie daher die Idee einer wirklichen Veränderung nicht in sich aufnimmt, macht die Vernunftkritik vor dem Bestehenden Halt und wird zu einer Kritik des reinen Denkens. Der Unsicherheit und Unfreiheit der äußeren Welt steht die Gewißheit und Freiheit des Denkens als einzige noch verbleibende Machtbasis des Individuums gegenüber. Es muß sich bewußt werden, daß es eher sich selbst besiegen muß als das Schicksal, eher seine Bedürfnisse als die "Weltordnung", "qu'il n'y a rien qui soit entiérement en notre pouvoir que nos pensées, en sorte qu'apres que nous avons fait notre mieux touchant les choses qui nous sont extérieurs, tout ce qui manque de nous réussir est au regard de nous absolument impossible." [daß nichts als unsere Gedanken ganz in unserer Macht sind, sodaß, nachdem wir unser Bestes hinsichtlich der Dinge außerhalb von uns getan haben, alles was uns zum Gelingen fehlt, im Hinblick auf uns selbst völlig unmöglich ist. -wp] (6) Wenn das Individuum gerettet, wenn an der Freiheit des Menschen festgehalten werden soll, dann muß die "essence", das Wesen des Menschen im Denken liegen: hier müssen seine eigentlichen Möglichkeiten, hier muß die Seinsgewißheit seiner Existenz gefunden werden: "je conclus fort bien que mon essence consiste en cela seul que je suis une chose qui pense, ou une substance dont toute l'essence ou la nature n'est que de penser." [Ich weiß, daß durchaus nichts anderes zu meiner Natur oder Wesenheit gehört, als allein, daß ich ein denkendes Wesen bin, deshalb schließe ich mit Recht, daß meine Wesenheit allein darin besteht, daß ich ein denkendes Ding bin. - wp] (7)

Es wird gegenwärtig betont, daß DESCARTES' Ansatz des Ego cogito den Sündenfall der neueren Philosophie bedeute, daß er einen ganz abstrakten Begriff des Individuums an den Anfang der Theorie stelle. Aber in seinem abstrakten Begriff des Individuums ist etwas von der Sorge und die Freiheit des Menschen lebendig: die Wahrheit aller Lebensverhältnisse an der Kraft des vernünftigen Denkens zu prüfen. HEGEL sagt über DESCARTES: "Es ist das Interesse der Freiheit, was zum Grunde liegt; was als wahr anerkannt wird, soll die Stellung haben, daß unsere Freiheit darin erhalten ist, daß wir denken." (8)

Daß diese Freiheit nun eine Freiheit "nur" des Denkens wird, daß nur noch das "abstrakte" Individuum frei ist, daß die Sorge um die Freiheit des Menschen zur Sorge um die absolute Gewißheit der Erkenntnis wird, darin zeigt sich die historische Wahrhaftigkeit der cartesischen Philosophie. Dem Individuum, dem es um die größtmögliche Wahrheit und Sicherheit der bürgerlichen Praxis geht, bleibt in der Tat als Korrelat seiner faktischen Unfreiheit nur die Freiheit des Denkens. Die "Vernunft" dieses Zeitalters ist notwendig "abstrakt": sie muß, sofern sie bei sich selbst bleiben und nicht in die Unvernünftigkeit fallen will, absehen von der gegebenen Gestalt des räumlich-zeitlichen Daseins, ja sogar absehen vom jeweiligen konkreten Inhalt des Denkens, und nur das Denken als solches, die reine Form der Cogitationes zurückbehalten. Die Vernunft kann sich nicht in der vernünftigen Beherrschung und Gestaltung der Objekt durch die freien Individuen entfalten; Objektivität wird zu einer Forderung der reinen Erkenntnis und vom "Interesse der Freiheit" gelöst: "Der Trieb der Freiheit liegt in der Tat zugrunde, aber überwiegend oder im Bewußtsein ist der Zweck, zu etwas Festem, Objektivem zu kommen, - das Moment des Objektiven, nicht das Moment des Subjektiven - daß es von mir gesetzt, erkannt, erwiesen sei." (9)

Seitdem DESCARTES das Wesen des Menschen als "Denken" und das Denken als "fundamentum inconcussum" [nicht weiter kritisierbare Grundlage - wp] der Theorie bestimmt hatte, rückt das Wesensproblem in die Sphäre der erkennenden Subjektivität. Die Frage nach dem Wesen: nach der Einheit, Wahrheit und Eigentlichkeit des Seins verwandelt sich in die Frage nach der Einheit, Wahrheit und Eigentlichkeit der Erkenntnis. Daß die "Organisation" des Seienden aus seinen begrifflichen Möglichkeiten heraus bei der kritisch-freien Vernunft des Individuums liegt, an diesem philosophischen Grundgedanken des bürgerlichen Zeitalters wird auch im nach-cartesianischen Idealismus festgehalten. In der verdinglichten Welt, in der die Arbeitsverhältnisse mit den realen Möglichkeiten der Menschen nicht mehr "wesentlich" verbunden sind und als ein Effekt übermächtiger Produktionsbedingungen erscheinen, verschwindet die Idee, daß eine solche Organisation des Seienden nach seinen "wesentlichen" Verhältnissen das Resultat einer zu geschehenden Veränderung sein könnte; sie wird zu einer Sache der "reinen" Erkenntnis. In der Transzendentalphilosopihe erfährt der Gedanke einer kritisch-vernünftigen Organisation des Seienden die entscheidende Reduktion auf ein formales Apriori hin, das jeder faktischen Erfahrung immer schon vorausliegt. Die apriorischen Synthesen stehen zwar zur Erfahrung im Modus absoluter Gleichzeitigkeit, sofern sie aber als ewig-gültige jeder möglichen künftigen Erfahrung vorhergehen und von keiner künftigen Erfahrung überholt werden können, wird das Wesen des erkennenden Menschen und der erkannten Dinge von der Zukunft abgeschnitten und auf die Vergangenheit hin orientiert. Das ist die Leitlinie der transzendentalen Methode, der spezifischen Methode der bürgerlichen Philosophie.

Bei KANT kehren die Charaktere des Wesens: Einheit, Allgemeinheit, Ständigkeit usw. im Zusammenhang der reinen theoretischen Vernunft wieder, und zwar gehen sie teils in die reinen Verstandesbegriffe bzw. in deren transzendentale Apperzeption, teils in die transzendentalen Vernunftideen ein. Sie erscheinen also einmal als die kategorialen Formen der begrifflichen Synthesis, die jeder künftigen Erfahrung gegenüber apriori sind, und andererseits als Begriffe aus reinen Verstandesbegriffen, welche "die Grenze aller Erfahrung übersteigen" und in denen "niemals ein Gegenstand vorkommen kann, der der transzendentalen Idee adäquat wäre." (10) Im ersten Fall ist der kritisch-dynamische Gegensatz des Wesens zur Erfahrung völlig in der zeitlosen Geschichte der Erkenntnis aufgehoben. Im zweiten Fall ist die Aufnahme der Wesensproblematik in die "Vernunft" unmittelbarer und unverdeckter deutlich, - nicht nur deshalb, weil KANT durch die Bezeichnung der Vernunftbegriffe als "Ideen" bewußt an die platonische Wesenslehre anknüpft. Die Vernunft ist der Ort der letzten Einheit, Ganzheit und Allgemeinheit der Erkenntnis: das "Vermögen der Einheit der Verstandesregeln unter Prinzipien" (11); die Idee als reiner Vernunftbegriff geht auf die "Totalität der Bedingungen zu einem gegebenen Bedingten": sie ist der "Begriff des Unbedingten." (12) Von diesen Ideen wird nun gesagt, daß sie "vielleicht von den Naturbegriffen zu den praktischen einen Übergang möglich machen." (13) Die seit alters in der Wesenslehre lebendige Frage der Verwirklichung des Wesens zum Dasein wird hier als der Übergang von den Begriffen der theoretischen zu denen der praktischen Vernunft aufs neue zum Problem. KANT hat betont, daß es "ein praktisches Interesse" sei, das die Vernunft an diesen Ideen habe: es gehe in ihnen um die "Grundsteine der Moral und der Religion." (14) Und gerade hier verwickelt sich jenes Denken, dessen Struktur KANT entfaltet, in Paralogismen und Antinomien, in einen "natürlichen und unvermeidbaren Schein", der, "selbst wenn man nicht mehr durch ihn hintergangen wird, noch immer täuscht." (15)

Es kennzeichnet die historische Situation des idealistischen Denkens, daß die "Ideen" als Vernunftbegriffe nun in die Dialektik des transzendentalen Scheins fallen und daß die Dialektik, wo sie innerhalb des Idealismus zuerst wieder auftritt, eine solche des Scheins, der notwendigen "Jllusion" ist. Noch wird das Wesen des Menschen in der Vernunft gesehen, "die allein alle Irrungen abzutun berufen ist"; noch wird daran festgehalten, daß diese Vernunft "keinen anderen Richter erkennt als selbst wiederum die allgemeine Menschenvernunft, worin ein jeder seine Stimme hat; und da von dieser alle Besserung, deren unser Zustand fähig ist, herkommen muß", so ist die Freiheit ihr ursprüngliches Recht "und darf nicht geschmälert werden." (16) Aber nicht zufällig sind in KANTs Werk zwei verschiedene Begriffe von "Vernunft" ineinander verwoben: Vernunft als die einigende Ganzheit des menschlichen Erkenntnisvermögens (so wie sie Subjekt der "Kritik" der reinen und praktischen Vernunft ist), und "Vernunft" in einem eingeschränkten Sinn: als ein einzelnes, "über" dem Verstand sich aufbauendes Vermögen, eben als jenes Vermögen der "Ideen", welche niemals adäquat in der Erfahrung dargestellt werden können und eine bloß regulative Funktion haben. Es ist Vernunft in diesem zweiten, eingeschränkten Sinn, durch die bei KANT der Übergang zu den praktischen Begriffen geschieht. Er erfolgt am Leitfaden des Freiheitsbegriffs: die "Idee" verwandelt sich in ein "Postulat" und das "Postulat" in ein "Faktum" der praktischen Vernunft. Auf diesem Weg erfährt die Freiheit der Vernunft noch einmal eine Einschränkung. Indem die freie Vernunft des Menschen mit der empirischen Welt der Notwendigkeit vereint werden soll, wird Freiheit zu einem zeitlosen Geschehen hypostasiert: sie kann nur insofern auf die empirische Welt ihre Kausalität ausüben, als diese selbst ohne jede Wirkung auf sie ist. Die Funktion der freien Vernunft ist darauf beschränkt, den Bestimmungsgrund von Handlungen abzugeben, Handlungen "anzufangen". Einmal angefangen, treten die Handlungen in den undurchbrechbaren Kausalnexus der Naturnotwendigkeit, an deren Gesetzmäßigkeit sie in alle Ewigkeit fortlaufen.

So spiegelt sich in dieser Lehre wieder das Schicksal einer Welt, in der die vernünftige Freiheit des Menschen immer nur den ersten Schritt frei tun kann, um dann auf eine unbeherrschte Notwendigkeit zu stoßen, die der Vernunft gegenüber zufällig bleibt. Die einseitig gerichtete Kausalität der Vernunft, die eine Wirkung der empirischen Welt auf das intelligible Wesen des Menschen abschneidet, verfestigt dieses Wesen in einer zukunftslosen Vergangenheit: "Das intelligible Wesen jedes Dings, und vorzüglich des Menschen, ist diesem [dem Idealismus] zufolge außer allem Kausalzusammenhang, wie außer oder über alle Zeit. Es kann daher nie durch irgendetwas Vorhergehendes bestimmt sein, indem es selbst vielmehr allem anderen, das in ihm ist oder wird, nicht sowohl der Zeit, als dem Begriff nach als absolute Einheit vorangeht ..." (17)


II.

In der Entwicklung der nach-kantischen Transzendental-Philosophie wird die Verfestigung des Wesensbegriffs durchbrochen und eine dynamische Lehre vom Wesen erreicht. HEGELs Dialektik, in der sich die dynamische Wesenslehre entfaltet, ist in der idealistischen Philosophie nicht weitergebildet worden; ihre Auswirkung gehört einer anderen Richtung des Denkens an und soll später behandelt werden. Wenn HUSSERL die Neubegründung der Wesenslehre unternimmt, so geschieht das zunächst auf dem Boden jener Theorie der transzendentalen Subjektivität, wie sie von DESCARTES bis KANT erarbeitet worden ist.

Die Phänomenologie hat allerdings nicht als Transzendentalphilosophie begonnen. Das Pathos rein deskriptiver Wissenschaftlichkeit, von dem die "Logischen Untersuchungen" getragen sind, weiß auf eine innere Verbindung mit dem Positivismus, auch dort wo dieser angegriffen wird. HUSSERL selbst hat HUME als denjenigen in Anspruch genommen, der zuerst mit "der reinen Inneneinstellung DESCARTES' ernst machte." (18) Aber wo die Wesenslehre ins Zentrum der HUSSERLschen Philosophie tritt, da zwingt ihre Ausarbeitung die Phänomenologie immer radikaler auf den Boden des Transzendentalen Apriorismus. Die Stufe der "Logischen Untersuchungen" kann daher hier unberücksichtigt bleiben."

HUSSERL bestimmt das Wesen im Gegenzug gegen das individuelle, räumlich-zeitlich daseiende Reale, gegen die "Tatsache", wie sie Gegenstand aller Erfahrungswissenschaften ist: "Der Sinn dieser Zufälligkeit, die da Tatsächlichkeit heißt, begrenzt sich darin, daß sie korrelativ bezogen ist auf eine  Notwendigkeit,  die nicht den bloßen faktischen Bestand einer geltenden Regel der Zusammenordnung räumlich-zeitlicher Tatsachen besagt, sondern den Charakter der  Wesens-Notwendigkeit  und damit eine Beziehung auf  Wesens-Allgemeinheit  hat." Es gehört "zum Sinn jedes Zufälligen ..., eben ein Wesen und somit ein rein zufassendes Eidos zu haben, und dieses steht nun unter Wesens-Wahrheiten verschiedener Allgemeinheitsstufe." (19) Auf den ersten Blick unterscheiden sich diese Bestimmungen in nichts von der traditionellen Fassung des Wesens als "quidditas" [Washeit - wp] und "essentia", wie sie durch die scholastische Formulierung in die Philosophie eingegangen ist. Aber der Zusammenhang, in dem die Phänomenologie mit dem Wesensbegriff arbeitet, ist ein völlig anderer: die Sphäre des von allen auf räumlich-zeitliches Dasein bezüglichen Setzungen "gereinigten" transzendentalen Bewußtseins. Der Wesensbegriff wird bei HUSSERL nur relevant in der Dimension der reinen Subjektivität, die als Residuum der phänomenologischen "Weltvernichtung" übrigbleibt und die "dem Sein der Welt als ihren Seinssinn in sich konstituierende vorhergeht" - eine "Realität ganz und gar in sich", "absolut Seiendes." (20) Die in dieser Dimension auftretenden Wesenswahrheiten "enthalten nicht die mindeste Behauptung über Tatsachen, also ist auch aus ihnen allein nicht die geringfügigste Tatsachenwahrheit zu erschließen." (21) HUSSERL hat sie den "Ideen" seine philosophische Arbeit programmatisch zu DESCARTES in Beziehung gesetzt. Das Verhältnis von HUSSERL zu DESCARTES ist nicht nur ein philosophie-historisches: es ist  das Verhältnis des späten bürgerlichen Denkens zu seinem Anfang.  Die transzendentale Phänomenologie stellt in sich selbst, in ihrem eigenen Inhalt einen "Ausgang" dar: die von ihr versuchte Neubegründung der Philosophie als strenger Wissenschaft gibt sich selbst als das nicht mehr überholbare Ende jener Richtung des Denkens, welche die absolute Gewißheit, Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit der Erkenntnis im Ego cogito zu verankern unternahm. Es sind die Grundcharaktere der bürgerlichen Theorie, um die hier noch einmal gekämpft wird - gekämpft in einer Weise, daß schon die Resignation und der Übergang offenbar wird. Erst in diesem Zusammenhang kann die Bedeutung der Restituierung des Wesensbegriffs in der Phänomenologie deutlich werden.

In der "Formalen und transzendentalen Logik" hat HUSSERL über sein Verhältnis zu DESCARTES und zur Transzendentalphilosophie Rechenschaft abgelegt. Er sieht bei DESCARTES den Anfang der Transzendentalphilosophie und nimmt diesen Anfang als auch für ihn gültigen an: "daß alle objektive Erkenntnis auf die einzige apodiktische [unumstößliche - wp] Gegebenheit ... des ego cogito gegründet werden müsse." (22) Aber er bezeichnet es als die große "Verirrung", daß DESCARTES in diesem Ego ein "erstes, zweifellos seiendes Endchen der Welt" gesehen und aus ihm die übrige Welt "erschlossen" habe. Dieser "Realismus" DESCARTES' sei ein naives Vorurteil, das die Phänomenologie nicht mitmachen darf. (23) Und andererseits war es die "Verirrung" der kantischen Vernunftkritik, daß sie sich auf die transzendentale Konstitution dieser uns gegebenen räumlich-zeitlichen Welt richtete, statt auf "alle möglichen Welten." (24) So bleibe auch KANTs Kritizismus im "mundanen" Realismus stecken. Die Phänomenologie legt Wert darauf, sich schon im Ansatz von diesem Kritizismus scharf abzugrenzen: "Die Phänomenologie kann sich gar nicht vom Kritizismus entfernen, weil sie nie bei ihm war." (25) Nun ist gerade dies: daß das Ego cogito als ein "zweifellos seiendes Endchen der Welt" angesetzt wird und gleichsam als das einzige Sprungbrett in die Welt dient, - gerade dies ist der Punkt, an dem die cartesische Philosophie mit den progressiven Tendenzen des Bürgertums verbunden ist. Nur wenn das Ego als ein in der Welt real Seiendes zur ersten Seinsgewißheit wird, nur dann kann seine Vernunft den kritischen Maßstab wirklicher Erkenntnis abgeben und als Organon der Lebensgestaltung gelten. Und nur solange die Vernunft konstitutiv auf das empirisch-gegebene "Material" verwiesen wird, kann ihre Spontaneität mehr sein als bloße Einbildung. Sobald diese Verbindung zwischen dem vernünftigen Denken und der raum-zeitliche Wirklichkeit durchschnitten ist, ist das "Interesse der Freiheit" aus der Philosophie völlig verschwunden.

Eine solche Durchschneidung steht aber programmatisch am Anfang der phänomenologischen Reduktionen. Die räumlich-zeitlichen Tatsachen in ihrer räumlich-zeitlichen Relevanz werden aus dem Bereich der eigentlich phänomenologischen Forschung ausgeschaltet. Als Resultat dieser ersten Reduktion verbleiben die Tatsachen des Bewußtseins, eine Welt, deren Tatsächlichkeit und Fülle "dieselbe" ist wie der "natürlichen" Welt - mit einem sehr entscheidenden Unterschied: der phänomenologische Index modifiziert den Sinn von Tatsächlichkeit derart, daß alle Tatsachen als Tatsachen des intentionalen Bewußtseins gleich-gültig werden; sie haben einen prinzipiell "exemplarischen" Charakter. So wird "die ganze räumlich-zeitliche Welt, der sich Mensch und menschliches Ich als untergeordnete Einzelrealitäten zurechnen, ihrem Sinn nach bloßes intentionales Sein, also ein solches, das den bloßen sekundären, relativen Sinn eines Seins für ein Bewußtsein hat. Es ist ein Sein, das das Bewußtsein in seinen Erfahrungen setzt, das prinzipiell nur als Identisches von motivierten Erscheinungsmannigfaltigkeiten anschaubar und bestimmbar - darüber hinaus aber ein Nichts ist." (26) Die volle Bedeutung dieses Herabsinkens der Tatsachen zu "Exemplaren" enthüllt sich erst in der phänomenologischen Bestimmung des Verhältnisses von Wesen und Tatsache bei der Wesenserfassung. In der zweiten Reduktion wird Wesensgehalt und Wesensordnung der Bewußtseinstatsachen gegen ihre Tatsächlichkeit abgegrenzt. Hierbei fungieren alle Bewußtseinsvorkommnisse in gleicher Weise als "exemplarisch": die Wesenserklärung kann sowohl aufgrund einer Wahrnehmung wie jeder anderen Art von Vergegenwärtigung erfolgen, - ja bezeichnenderweise gewinnen sogar "freie Phantasien eine Vorzugstellung gegenüber den Wahrnehmungen." (27) Das Wesen ergibt sich als die Invariante innerhalb der unendlich mannigfaltigen Variationen, welche die vergegenwärtigenden Akte an ihrem Gegenstand vornehmen. Die das Wesen gebende Variation wird "in der Freiheit der reinen Phantasie und im reinen Bewußtsein der Beliebigkeit - des "reinen" Überhaupt - vollzogen ..., womit sie sich zugleich in einem Horizont offen endlos mannigfaltiger freier Möglichkeiten für immer neue Varianten hineinerstreckt. in einer derartig völlig freien, von allen Bindungen an im voraus geltende Fakta gelösten Variation stehen nun alle Varianten des offen unendlichen Umfangs - in die auch das von aller Faktizität befreite Exempel selbst, als "beliebiges", einbezogen ist ... in einer kontinuierlich durchgehenden Synthesis der "Deckung im Widerstreit". Eben in dieser Deckung tritt aber das in dieser freien und immer wieder neu zu gestaltenden Variation notwendig Verharrende, das  Invariante  hervor, das unzerbrechlich Selbige im Anders und Immer-wieder-anders, das allgemeinsame  Wesen  - an das alle "erdenklichen" Abwandlungen des Exempels ... gebunden bleiben." (28)

Diese Stelle, die am tiefsten in den inneren Mechanismus der phänomenologischen Wesenserfassung hineinführt, läßt auch die veränderte Funktion der Wesenslehre am besten erkennen. Alle entscheidenden Begriffe, die in der Lehre vom Wesen seit den Anfängen wirksam waren, treten hier wieder auf, und alle in einer charakteristisch verwandelten Form. Freiheit ist zu einem Index der reinen Phantasie geworden: als die freie Beliebigkeit der ideirenden Variationsmöglichkeiten. Das Verharrende, Selbige, Notwendige wird nicht mehr als das Sein des Seienden gesucht, sondern als die Invariante in der unendlichen Mannigfaltigkeit der vergegenwärtigten Abwandlungen der "Exemplare". Die Möglichkeit ist nicht mehr als Kraft auf die Wirklichkeit hin gespannt: in ihrer offenen Endlosigkeit gehört sie der bloßen "Imagination" an. (29)

Das Ego cogito und die ihm erscheinenden Wesen, wie sie Gegenstand der Phänomenologie werden, stehen zu allem tatsächlichen Dasein nicht mehr in kritischer Spannung. Die Phänomenologie ist dadurch eine prinzipiell  deskriptive  Philosophie: sie will immer nur beschreiben was ist, so wie es ist, wie es sich an ihm selbst zeigt, - nicht etwa zeigen, was sein könnte und sollte. Die theoretische Radikalität, die aus der Forderung "zu den Sachen selbst" herausgehört wurde, enthüllt sich im Fortgang der Phänomenologie in ihrem quietistischen, ja  positivistischen  Charakter: die "Sachen" der Phänomenologie sind dies erst, nachdem sie ihrer faktischen Sachlichkeit entkleidet und in die "nivellierende" Sphäre der transzendentalen Subjektivität eingegangen sind, vor der jede Sache als Tatsache des Bewußtseins gleich-gültig ist. In dieser Dimension hat die Rede vom Wesen nicht mehr den Sinn, die Wirklichkeit gegen ihre Möglichkeit, das Dasein gegen sein Seinkönnen zu stellen: auch sie hat rein deskriptiven, erkenntnistheoretischen Charakter. Eine Philosophie, der in gleicher Weise "jedes vorgegebene Seiende mit seiner geraden Evidenz als  Vorurteil"  gilt (30), hat überhaupt keinen Boden mehr, von dem aus sie innerhalb eines solchen Seienden kritisch unterscheiden kann. Die universale Voraussetzungslosigkeit wird hier gleichwertig der universalen Anerkennung. Der Wesensbegriff der Phänomenologie ist so entfernt von jeder kritischen Bedeutung, daß vor ihm das Wesentliche wie das Unwesentliche, das Phantasierte wie das Wahrgenommene gleichermaßen zunächst zu "Tatsachen" werden. Der erkenntnistheoretische Anti-Positivismus dieser Lehre verdeckt nur wenig ihren positivistischen Grundzug.

Die Stillstellung der im Wesensbegriff liegenden Dynamik gibt auch den wenigen Resten einer Stellungnahme HUSSERLs zur Erkenntnis der (raum-zeitlichen) Faktizität ihre Prägung. Die formal-erkenntnistheoretische Fassung des Wesensbegriffs läßt die Faktizität als ein in sich geschlossenes Reich "neben" dem Reich der Wesenheiten bestehen: ihre Erkenntnis will an ihr nichts aufheben und nichts ändern; sie will "nur verstehen". "Die transzendente Welt ... wird durch meine phänomenologische Besinnung nicht aufgehoben, entwertet, geändert, sondern nur verstanden ..." (31) Die phänomenologische  epoche,  die an Radikalität über den DESCARTESschen Ansatz hinausgehen will, enthält eine quietistische Indifferenz gegenüber dem Bestehenden, die hinter DESCARTES zurückfällt. Bei HUSSERL ist aus der Sorge um die Gegenwart die Sorge um die Ewigkeit geworden - die Ewigkeit der reinen Wissenschaft, deren zeitlos-absolute Wahrheit jeder Gegenwart Sicherheit geben soll. Er hält die "geistige Not" unserer Zeit für die "radikalste Lebensnot", und er sagt: "Um der Zeit willen dürfen wir die Ewigkeit nicht preisgeben, unsere Not zu lindern, dürfen wir nicht Not um Nöte unseren Nachkommen als ein schließlich unausrottbares Übel vererben." (32)

Die positivistische Gleichgültigkeit ist jedoch nur die eine Weise, in der sich die veränderte Funktion der Transzendentalphilosophie in der Phänomenologie ausdrückt. Die Phänomenologie ist mit dem radikalen Anspruch eines Neubeginns aufgetreten, und daß sie ausdrücklich wieder vom "Wesen" im Gegensatz zur "Tatsache" spricht, daß sie das Wesen zum Gegenstand einen eigenen "Anschauung" macht, ist ein bedeutsames Novum, das aus der Entwicklung der transzendentalen Methode allein nicht zu erklären ist. Das Pathos der Evidenz allgemeingültiger, notwendiger, objektiver Wahrheiten, die Forderung, "zu den Sachen selbst" zu kommen, die Wiedergeburt der Metaphysik in der Nachfolge der Phänomenologie gehören einer anderen geschichtlichen Tendenz an. Hier wird, unter Beibehaltung der transzendentalen Fragestellung, vorgegeben, von den konkreten Gegenständen aus zu philosophieren, wahrhaft konkret zu sein. Indem wieder vom Wesen als Gegenstand einer eigenen sich originär gebenden Anschauung geredet wird, kommt in diese Philosopie ein Zug materialer "Objektivität" und Fülle. Es ist entscheidend, daß nach dem Anspruch der Phänomenologie die Ausweisung, der "Sinn" und die Wahrheit der erkennenden Urteile nicht mehr auf der "Subjektseite" des Ego cogito, sondern auf der "Objektseite" liegen: es ist der Gegenstand selbst, der da erscheint und dessen Wesen den auf ihn gerichteten Akten die Erkenntnis gleichsam vorschreibt. Die phänomenologische Wesenslehre bindet die transzendentale Freiheit des Ego cogito an gegenständlich vorgegebene Wesen und Wesenssachverhalte. Hier ist der Ort, wo sich innerhalb der Phänomenologie die neue Situation des Denkens durchsetzt, der Ansatzpunkt der materialen Eidetik, in der die ganze Fragestellung verändert wird. Die Philosophie des bürgerlichen Zeitalters war von DESCARTES als eine subjektiv-idealistische begründet worden, und dies aus innerer Notwendigkeit. Jeder Versuch, die Philosophie in der Objektivität, auf der Gegenstandsseite zu fundieren, ohne die realen Voraussetzungen ihrer Begrifflichkeit anzugreifen, d. h. ohne die verändernde Praxis in die Theorie aufzunehmen, muß ihren vernunftkritischen Charakter opfern und heteronom werden. Diesem Schicksal verfällt die materialistische Wesenslehre: sie führt, ebenso wie der Positivismus, zur Auslieferung der Theorie an die "gegebenen" Mächte und Ordnungen. Es ist der erkenntnismäßig Grundsinn der Wesensanschauung, daß sie sich ihren Gegenstand "geben läßt", daß sie ihn hinnimmt und sich an ihn bindet als ein "absolut Gegebenes." (33) Was in evidenter "Deckungseinheit" sich selbst gibt, ist "zugleich absolutes Sein, und der Gegenstand, der nun Gegenstand eines solchen Seins ist, eines solchen puren Wesens, ist in idealem Maße adäquat gegeben." (34) Die Wesensanschauung ist (bei aller "Freiheit" der ideierenden Variationen) rezeptiv. Am höchsten Punkt der Philosophie ersetzt die Rezeptivität der Wesensanschauung die Spontaneität des begreifenden Verstandes, die allerdings von der Idee der kritische Vernunft nicht zu trennen ist.

Das Opfer der Idee der Vernunftkritik bereitet die Resignation der Wesenslehre, ihr Abgleiten in eine neue Ideologie vor. Die bürgerliche Philosophie hat den archimedischen Punkt verloren, an dem sie die Freiheit des erkennenden Individuums festgemacht hatte; sie hat keinen Boden mehr, auf dem die Waffe der Kritik gegen die Inanspruchnahme bestimmter Sachverhalte und Ordnungen als "wesenhafter" gebraucht werden kann. Die materiale Wesenslehre beginnt mit der Ausarbeitung einer neuen Ethik, die im Gegenzug gegen KANTs praktische Vernunftphilosophie entworfen wird. Die Gesetzmäßigkeit sittlicher Wertung liegt jetzt nicht mehr im Gehorsam des autonomen Individuums unter der frei selbstgegebenen, schlechthin verbindlichen "Norm", sie erfolgt vielmehr "durch die Wirksamkeit von personhaft gestalteten Vorbildern und Gegenbildern." (35) "Ich behaupte also, daß die Wertsysteme, erst recht die von ihnen abhängigen Normen- und Gesetzessysteme, denen der Mensch gehorsam oder ungehorsam ist, in letzter Linie immer wieder auf die je herrschenden  personalen Vorbilder,  auf Wertgestalten in Form der Person zurückzuführen sind. Wir wählen sie nicht - denn sie besitzen uns und ziehen uns an, ehe wir wählen können." (36) Die materiale Wertethik wird zu einer "personalen" Vorbild-Ethik, in der die Normen des Handelns nicht mehr von der individuellen oder allgemeinen Vernunft  gegeben,  sondern  empfangen werden; auch hier wird die Autonomie der Freiheit durch die rezeptive Heteronomie abgelöst. Die Ideologie der monopol-kapitalistischen Phase kündigt sich an, in der die Herrschaft der mächtigsten ökonomischen Gruppen durch Delegierung vorbildhafter Führerpersonen erfolgt und in der die Interessen dieser Gruppen durch das Bild einer wesenhaft personalen Wertordnung verhüllt werden (Führertum und Gefolgschaft, ständische Ordnung, Rassenelite usw.). Die Wesensanschauung hilft bei der Aufstellung "wesenhafter" Rangordnungen, in denen die materiell-vitalen Werte des Menschenlebens die unterste Stufe eninehmen, während die Typen des Heiligen, des Genies und des Helden an erster Stelle stehen; Entsagung, Opfer und Demut gelten als "wesenhaft" als die zentralen Werte des Individuums: "Blut und Boden" sollen dann das "Wesen" des Volkstums konstituieren. Die Weiterentwicklung dieser Theorien ist hier nicht zu verfolgen; es kam nur darauf an, ihre begrifflichen Verbindungen mit der materialen Wesenslehre anzudeuten. (37)

Die Funktion der Wesensanschauung in der materialen Eidetik führt zur Abdankung der kritischen Freiheit der Vernunft, zur Aufhebung ihrer Autonomie. Die Idee der Autonomie der Vernunft war seit DESCARTES mit den fortschrittlichen Tendenzen des Bürgertums verbunden; ihre Einschränkung auf die abstrakte erkennende Vernunft bezeichnet deren Zurücktreten; in der monopolkapitalistischen Epoche wird die Vernunft durch die hinnehmende Anerkennung "wesenhafter" Gegebenheiten ersetzt, bei deren Ausweisung sie anfangs noch eine sehr abgeleitete, später gar keine Rolle mehr spielt.

Es ist diese materiale Eidetik, welche der positivistische Angriff gegen den Wesensbegriff vor Augen hat. Die  positivistische Opposition  gegen die "Metaphysik" der Wesenslehre versteht sich selbst zunächst als eine erkenntnistheoretische Kritik: unsere Erfahrung von der Wirklichkeit (wobei Wirklichkeit keineswegs mit dem unmittelbar Gegebenen zusammenfallen muß) rechtfertige durchaus nicht jene Annahme von zwei seinsverschiedenen "Welten", die dem Gegensatz von Ding und Erscheinung, Wesen und Tatsache zugrundeliegt. "Es gibt keine Tatsache, die zu einer derartigen Gegenüberstellung zweier irreduzibler Realitäten zwänge oder auch nur berechtigte ... Wir gelangen zu einem befriedigenden Weltbild nur dann, wenn wir  allem  Wirklichen, den Bewußtseinsinhalten sowohl wie allem außerbewußten Sein die gleiche Art und den gleichen  Grad  von Realität ohne jeden Unterschied zuerkennen. Alle sind im gleichen Sinne selbständig, alle aber auch im gleichen Sinn voneinander abhängig." (38) Damit geht aber dieser Positivismus über den erkenntnistheoretischen Empirismus in einem entscheidenden Schritt hinaus: er arbeitet mit einem Begriff von Tatsache, wo die Tätsächlichkeit eines Gegenstandes der Erkenntnis nicht nur seine "Realität", sondern zugleich auch die erkenntnismäßig Gleich-Wertigkeit dieser Realität mit jeder anderen begründet: alle Tatsachen sind als solche gegenüber der Erkenntnis gleich-gültig. Die Welt der Tatsachen ist eine gleichsam eindimensionale: das Reale ist "schlechthin real", und diese Schlechthinnigkeit schneidet jede Transzendenz: sowohl die metaphysische wie die kritische Transzendenz zum Wesen ab. "Es gibt nur  eine  Wirklichkeit, und sie ist immer  Wesen  und läßt sich nicht in Wesen und Erscheinung auseinanderlegen. Es gibt sicher viele Arten wirklicher Gegenstände, wohl gar unendlich viele, aber es gibt nur eine Art der Wirklichkeit, und sie kommt ihnen allen in gleicher Weise zu." (39) So verbindet sich hier die These von der Wesentlichkeit der Tatsachen mit der schlechthinnigen Anerkennung der Wirklichkeit, "die immer Wesen ist". Das Erkennen, von der Spannung der Tatsachen gegen das Wesen gelöst, wird in sich selbst zum Anerkennen. Die Theorie, die den Wesensbegriff aus der Wissenschaft ausmerzen will, bringt dasselbe Opfer der kritischen Vernunft wie die phänomenologische Eidetik, welche das Wesen von allen Spannungen zu den raum-zeitlichen Tatsachen befreite und zu einer Gleich-Gültigkeit aller Tatsachen vor dem transzendentalen Bewußtsein gelangt. Die Stellung der Philosophie zur Wirklichkeit bleibt grundsätzlich dieselbe, wenn unterschiedslos nur die Tatsachen als wesentlich gelten, und wenn unterschiedslos jeder Tatsache ein Wesen zugeordnet wird. Der Positivismus hat zwar das kritisch-moralische Motiv der Wesenslehre begriffen: "die eine Art des Seins gilt für höher, echter, vornehmer, wichtiger als die andere, d. h. es spielt der  Wert gedanke hier hinein." (40) Aber das ist für ihn nur eine Verwechslung des "Wertgesichtspunktes mit dem logischen Gesichtspunkt", das  proton pseudos  [die erste Lüge - wp] der wissenschaftlichen Theorie. Er bindet sich an das bürgerliche Ideal voraussetzungsloser, reiner Theorie, in der fehlende Wertfreiheit, stellungnehmende Entscheidung eine Trübung der Strenge bedeutet. Gegenüber der zur Ideologie gewordenen materialen Eidetik, in der die Rede vom wesentlichen Vorrang bestimmter Werte deren Setzung durch rückschrittliche gesellschaftliche Interessen verdeckt, behält der Positivismus eine gewisse kritische Tendenz. Aber wenn die Welt der "schlechthin realen" Tatsachen von Mächten beherrscht ist, denen es um die Aufrechterhaltung dieser Gestalt der Realität im Interesse kleiner ökonomischer Gruppen gegen die schon reale Möglichkeit einer anderen Gestalt der Realität geht, wenn die Spannung von Wesen und Tatsache in der Form einer universalen gesellschaftlichen Spannung das geschichtliche Bild der Wirklichkeit bestimmt, dann kann die Theorie von der einen Wirklichkeit, die "immer Wesen" ist, nur eine Resignation darstellen. Die positivistische Aufhebung des Gegensatzes von Wesen und Tatsache ist ebensowenig wie die phänomenologische Eidetik ein neuer Anfang, sondern ein Ende.
LITERATUR Herbert Marcuse, Zum Begriff des Wesens, Aufsätze aus der Zeitschrift für Sozialforschung 1934-1941
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    Anmerkungen
    1) Die dynamische Gestalt der platonischen Ideenlehre ligt im  Sophistes  247ff und im  Philebos  23b-27b, unter den hier angedeuteten Zusammenhängen vor.
    2) "Die Wirklichkeit ist etwas, was zum Was eines Seienden hinzukommt. Die Existenz ist kein Teil der Realität, sondern kommt hinzu." (THOMAS von AQUIN, Quodlibet 12, a5). - "Aber das kann von Gott nicht wahr sein, weil wir Gott die erste Ursache nennen. Deshalb ist es unmöglich, daß sich Gottes Existenz von seinem Wesen unterscheidet." (THOMAS von AQUIN, Summa Theol. I, qu. 3, a4).
    3) Die durch die Stillstehung der kritischen Spannungen der Wesenslehre eingetretene Veränderung wird durch den gewandelten Sinn der in sie eingearbeiteten Begriffe der antiken Ontologie beleuchtet. Das Wesen als solches ist nicht mehr "eigentliches" Sein, sondern reine Möglichkeit. Die Möglichkeit ist gegenüber der Wirklichkeit ein Minderes, ein Mangel. So hatte auch ARISTOTELES das Verhältnis von  dynamis  und  energeia  bestimmt, aber das Verhältnis von Möglichkeit und Wirklichkeit war für ihn ein Bewegungsverhältnis; das  on dynamei  war als vorhandene "Kraft" gefaßt, die in sich selbst zum Wirklichwerden gespannt ist (ARISTOTELES, Metaphysik, 1045b, 33f). - Das Wesen als potentia transzendentalis hingegen ist nicht mehr die "reale Möglichkeit" der "Kraft", und eine Beziehung zur Wirklichkeit ist nicht mehr ein dynamischer Bewegungszusammenhang.
    4) DESCARTES, Discours de la Méthode. Oeuvres Choisier, Paris, Garnier, 1930, Bd. 1, Seite 24f
    5) DESCARTES, a. a. O., Seite 54
    6) DESCARTES, a. a. O., Seite 22
    7) DESCARTES, Méditations Métaphysiques, a. a. O., Seite 150
    8) HEGEL, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Werke, Originalausgabe, Band XVI, Seite 338
    9) HEGEL, a. a. O., Seite 336
    10) KANT, Kritik der reinen Vernunft, Werke, Ausgabe CASSIRER, Berlin 1913, Bd. III, Seite 264
    11) KANT, a. a. O., Seite 250
    12) KANT, a. a. O., Seite 262
    13) KANT, a. a. O., Seite 265
    14) KANT, a. a. O., Seite 334
    15) KANT, a. a. O., Seite 303
    16) KANT, a. a. O., Seite 503 und 509
    17) SCHELLING, Vom Wesen der menschlichen Freiheit, Werke, Stuttgart 1856f, 1. Abteilung, Bd. 7, Seite 383
    18) HUSSERL, Formale und transzendentale Logik. In: Jahrbuch für Philosophie und phänomenologische Forschung, Band X, Halle 1929, Seite 227.
    19) HUSSERL, Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie. In: Jahrbuch für Philosophie und phänomenologische Forschung, Band 1, Halle 1913, Seite 9.
    20) HUSSERL, Formale und transzendentale Logik. In: Jahrbuch für Philosophie etc., Band X, Halle 1929, Seite 237 und 241
    21) HUSSERL, Ideen zu einer reinen Phänomenologie, a. a. O. Seite 13
    22) HUSSERL, Formale und transzendentale Logik, a. a. O., Seite 201
    23) HUSSERL, Formale und transzendentale Logik, a. a. O., Seite 202
    24) HUSSERL, Formale und transzendentale Logik, a. a. O., Seite 225
    25) EUGEN FINK, Die phänomenologische Philosophie Edmund Husserls in der gegenwärtigen Kritik, Berlin-Charlottenburg, 1934, Seite 20
    26) HUSSERL, Formale und transzendentale Logik, a. a. O., Seite 93
    27) HUSSERL, Formale und transzendentale Logik, Seite 130
    28) HUSSERL, Formale und transzendentale Logik, Seite 219
    29) HUSSERL, Méditations Cartésiennes, Paris 1931, Seite 49
    30) HUSSERL, Formale und transzendentale Logik, a. a. O., Seite 244
    31) HUSSERL, Formale und transzendentale Logik, a. a. O., Seite 243
    32) HUSSERL, Philosophie als strenge Wissenschaft, in  Logos,  Bd. 1, 1910/11, Seite 337
    33) HUSSERL, Philosophie als strenge Wissenschaft, a. a. O., Seite 315
    34) MAX SCHELER, Zur Ethik und Erkenntnislehre (Schriften aus dem Nachlaß, Band I), Berlin 1933, Seite 288
    35) SCHELER, Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik. In HUSSERL, Jahrbuch für Philosophie a. a. O. Band II, Halle 1916, Seite 465
    36) SCHELER, Vorbilder und Führer. In: Ethik und Erkenntnislehre, a. a. O., Seite 163f.
    37) Eine charakteristische Äußerung von repräsentativer Stelle macht diese Verbindung offenbar: "Wenn die neuere Philosophie sagt, daß die intuitive Wesensschau die unmittelbare Anschauung des Gesetzmäßigen ist, dann findet dieses Eigenschaft in der Persönlichkeit ADOLF HITLERs ihre stärkste Ausprägung ... Der Führer besitzt nicht nur die so unendlich wertvolle Fähigkeit, das Wesentliche in den Dingen zu sehen, sondern auch in hohem Maße den Instinkt zu kühnem, zeitlich richtigem Handeln" (OTTO DIETRICH, Die philosophischen Grundlagen des Nationalsozialismus, Breslau 1935, Seite 36f).
    38) MORITZ SCHLICK, Erscheinung und Wesen. In: Kant-Studien, Bd. 23, Heft 2-3, Berlin 1918, Seite 206
    39) SCHLICK, Allgemeine Erkenntnislehre, Berlin 1918, Seite 205
    40) SCHLICK, Erscheinung und Wesen, Kant-Studien, Bd. 23, Berlin 1918, Seite 194