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GOTTLOB ERNST SCHULZE
(1761 - 1833)
Die Hauptmomente
der skeptischen Denkart

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"Was aber die Versicherung betrifft, daß für den idealistischen Philosophen der absoluten Art die intellektuelle Anschauung etwas Entschiedenes ist, worüber kein Zweifel statuiert oder Erklärung für nötig befunden wird, daß sie ihm durch ein göttliches Geschick beschieden ist und er deshalb gar nicht nötig hat, auf das Geständnis der bornierten und von der Natur stiefmütterlich behandelten Köpfe, die das Vermögen einer solchen Anschauung in sich nicht finden können, einige Rücksicht zu nehmen; so ist sie freilich ein Mittel, alle Einwendungen gegen die Wirklichkeit der absoluten Erkenntnisart, desgleichen gegen die absolute Einheit des Idealen und Realen, gegen das Begreiflichmachen alles Einzelnen aus einer Spaltung dieser Einheit oder aus einem Abfall von derselben und gegen die göttliche Kunst, in Allem Alles zu erblicken, mit einem einzigen Schlag zu zerstören. Denn der Blindgeborene muß darauf verzichten, über das Licht urteilen zu wollen."

§ 40. Den Sieg, welchen die Vernunftkritik über den Skeptizismus davon getragen haben will, glaubt der Idealismus der Wissenschaftslehre dadurch erst vollendet zu haben, daß er nicht allein die Form, sondern auch jeden Stoff der menschlichen Erkenntnis aus einer absoluten, dabei aber gesetzmäßigen Tätigkeit des Ich ableitet. Nach demselben ist nämlich der Unterschied des Vorstellens und Seins oder des dem bewußtseienden Subjekt angehörigen Erkennens und des von diesem Subjekt unabhängigen Realen, ein auf dem gemeinen Standpunkt des Bewußtseins unvermeidlicher Schein, der aber durch die Einsicht, welche der transzendentale Idealisms von der Mechanik des menschlichen Geistes und von dem darin befindlichen Grund des Setzens aller vom Ich und dessen Bewußtsein unterschiedenen Existenz der Dinge gewährt, völlig abgehoben und für die Vernunft vertilgt wird. Denn nach dieser Einsicht gibt es gar kein Reales ansich oder kein von unserem Bewußtsein unabhängiges Sein, sondern was uns als dergleichen auf der niedrigsten Stufe des Bewußtseins, welche wir mit den Tieren gemein haben, so vorkommt, ist überall nichts mehr, als ein aus dem gesetzmäßigen Handeln des Ich Folgendes, und dieses Handeln macht das absolut Erste aus. Es soll daher auch ein bloßes Hirngespinst sein, dem der dogmatische Realist bei seinem Wissen nachgeht; der Skeptiker diesem aber die Freude, es gefunden zu haben, nur dadurch verderben, daß er jenes Hirngespinst gleichfalls als eine Realität voraussetzt und dann darlegt, daß sie in einer unerreichbaren Ferne befindlich ist.

§ 41. Um nun zu sagen, daß auch dieser Idealismus unbegründete Ansprüche darauf macht, in der ihm eigentümlichen Spekulation eine Höhe erreicht zu haben, wo der Skeptizismus demselben nichts anhaben kann, brauchen wir sein Kunststück der Subjekt-Objektivierung nicht erst von Grund auf zu beleuchten, sondern ihm nur eine Frage, auf welche er die Antwort nicht verweigern kann, vorzulegen: Ob nämlich, was er vom absoluten Handeln des Ich, als der Quelle allen für das menschliche Bewußtsein vorhandenen Seins sagt, wiederum nur bloße Vorstellung und subjektive Bestimmung eines menschlichen Bewußtseins ausmacht oder für eine wahre und objektiv-gültige Erkenntnis von der Natur und Mechanik des Ich gehalten werden soll? Ist das erstere der Fall, nun so wäre seine ganze Weisheit von einem absoluten Handeln des Ich eine bloße Phantasie. Diese Weisheit soll ja aber keine systematisierte Einbildung, sondern Wissenschaft sein. Also muß man wohl annehmen, daß sie bei ihren Lehren vom Handeln des Ich, wodurch es sich selbst objektivert und eine scheinbar reale Welt aus sich projiziert, auf objektive Gültigkeit derselben Ansprüche macht. Dann darf sie aber auch die Rechtfertigung dieser Ansprüche dem Skeptiker nicht schuldig bleiben und muß die Mittel nachweisen, wodurch sie zur Einsicht davon gelangt, daß die Wahrheit, welche bei ihren Spekulationen über das Ich stattfinden soll, nicht aus einer Selbsttäuschung des menschlichen Bewußtseins herrührt.

§ 42. Derjenige Idealismus hingegen, welcher in der vollkommenen Gleichheit oder Identität des Idealen und Realen, des Denkens und Seins, die Urwahrheit und das Prinzip aller Dinge gefunden zu haben vorgibt, behauptet, in der intellektuellen Anschauung das Vermögen einer Erkenntnis, worin alle Differenz zwischen dem erkennenden Subjekt und dem erkannten Objekt wegfällt, entdeckt zu haben, und beweisen zu können, teils daß alles Mißlingen der bisherigen dogmatischen Bestrebungen nach einem Wissen, teils die skeptischen Zweifel an der Möglichkeit eines Wissens, einzig und allein aus der Unwissenheit über die intellektuelle Anschauung oder absolute Erkenntnisart, herrühren. Dieser Beweis ist folgender: (siehe "Neue Zeitschrift für spekulative Physik", von SCHELLING, Bd. I, erstes Stück, Seite 1 - 78).

Wenn auch der Dogmatismus eine Idee vom Absoluten, als von einer vollkommenen Gleichheit des Denkens und seins, der Möglichkeit und der Wirklichkeit (oder als von einer Einheit, in der unmittelbar dem Begriff des Dings auch das Sein desselben folgt und verknüpft ist), besaß, so verkannte er doch gänzlich die absolute Erkenntnisart, die in Anbetracht des Absoluten stattfindet, fixierte und betrachtete das Absolute als ein vom subjektiven Erkennen des Philosophen verschiedenes Objektives, nahm daher auch nur ein relatives Wissen (dem erst durch die Beziehung auf ihm entgegengesetztes Reales Wahrheit zukommt) in Anbetracht des Absoluten als möglich an, und stellte durch seine Erkenntnis des Absoluten den Angriffen und Zweifeln des Skeptizismus bloß.

Denn da diese Erkenntnis nur ein Denken war, aus dem Denken eines Dings aber keineswegs dessen Realität folgt oder erreicht werden kann; so war es für den Skeptizismus ein Leichtes, die dogmatische Weisheit in allen ihren Formen zu bestreiten. Dieser ist also, wenn er ein wahrer Skeptizismus ist, ganz gegen die Reflexionserkenntnis (die ihrer Natur nach auf einer Entgegensetzung des Denkens und Seins beruth) gerichtet, aber aus dem Prinzip der wahren, auf intellektuelle Anschauung gegründeten Spekulation, nur daß er dieses nicht kategorisch aussprechen kann, weil er sonst aufhören würde, Skeptizismus zu sein. Gegen die wahre Spekulation hingegen oder gegen die absolute Erkenntnis kann er nichts ausrichten, denn er kann keine anderen Waffen gebrauchen, als die vom gemeinen und relativen Wissen hergenommen sind, dessen Realität er selbst anfechten muß, da sie von jener Spekulation nicht bloß bezweifelt, sondern unbedingt verworfen wird.

Von der höchsten und absoluten Erkenntnisart, die man auch die demonstrative nennen kann, hätte man nun schon ein Beispiel in der Mathematik finden können. Denn in dieser Wissenschaft ist das Denken dem Sein, der Begriff dem Objekt jederzeit adäquat und wie kann auch nur die Frage entstehen, ob das, was im Denken richtig und gewiß ist, auch im Sein oder im Objekt ist oder wie das, was im Sein ausgedrückt ist, zu einer Notwendigkeit des Denkens wird. Es ist hier mit einem Wort kein Unterschied von subjektiver und objektiver Wahrheit, Subjektivität und Objektivität sind absolut Eins und es gibt keine Konstruktion dieser Wissenschaft, in der sie es nicht sind. Diese Einheit ist auch die reine Evidenz selbst. In der Geometrie erscheint sie jedoch in einer Unterordnung unter das Sein, in der Arithmetik hingegen unter das Denken. Beide Wissenschaften drücken also den Charakter der absoluten Erkenntnis, obgleich nicht in ihrem Stoff oder den unmittelbaren Gegenständen, welche bloß zu der abgebildeten Welt gehören, so doch formell höchst vollkommen aus.

Die mathematische Evidenz ist aber nur eine Art der intellektuellen Anschauung, die aus dem Vermögen überhaupt besteht, das Allgemeine im Besonderen, das Unendliche im Endlichen, beide zur lebendigen Einheit vereinigt zu sehen oder die Einheit und Indifferenz des Denkens und Seins, nicht in dieser oder jener Beziehung, sondern schlechthin als ansich, folglich als die Evidenz in aller Evidenz, die Wahrheit in aller Wahrheit, das rein Gewußte in allem Gewußten zu erblicken. Diese absolute Erkenntnis gewährt durch sich selbst eine absolute Erkenntnis und ist, indem sie formell absolut ist, auch dem Gegenstand nach absolut. Sie ist ganz und gar im absoluten Selbst, weder bloß von ihm ausgehend, noch aus ihm heraustretend, noch etwa in ihm endendund eine Erkenntnis des Absoluten selbst, mit Aufhebung jeden Differenzverhältnisses zwischen ihm als Erkannten und dem Subjekt, als Erkennenden. Dieselbe wird aber intellektuelle Anschauung genannt. Denn alle Anschauung ist ein Gleichsetzen oder eine Einheit des Denkens und Seins. Intellektuell heißt sie hingegen deswegen, weil sie Vernunftanschauung ist und als Erkenntnis zugleich Eins mit dem Gegenstand der Erkenntnis.

So wie nun der Geometer in seiner Wissenschaft ohne alle Anleitung zur reinen Anschauung unmittelbar zu seinen Konstruktionen fortschreitet, ebenso ist dem Philosophen in der strengwissenschaftlichen Konstruktion die Intellektuelle oder Vernunftanschauung etwas Entschiedenes, worüber kein Zweifel statuiert oder Erklärung nötig befunden wird. Sie ist das, was schlechthin und ohne alle Forderung vorausgesetzt wird und kann in dieser Hinsicht nicht einmal ein Postulat der Vernunft genannt werden. Deswegen kann sie auch ebensowenig wie das Licht dem Blindgeborenen, jemandem erst durch Unterricht beigebracht und andemonstriert werden, sondern jeder muß sie vielmehr lebendig in sich selbst ergreifen. Und es ist gar nicht zu begreifen, warum die Philosophie eben zu einer besonderen Rücksicht auf das Unvermögen verpflichtet sein soll, da es sich vielmehr ziemt, den Zugang zu ihr scharf abzuschneiden und nach allen Seiten hin vom gemeinen Wissen zu isolieren, daß kein Weg oder Fußsteig von ihm aus zu ihr führen kann. Wenn sie aber keinem erst durch Unterricht beigebracht werden kann, so besitzt sie auch den Vorzug, daß ihr von niemandem etwas entgegengesetzt werden kann, denn sie ist das durchbrechende Licht, as sich selbst der Tag ist und keine Finsternis kennt und gleichwie sie das Prinzip allen Begreifens durch Vernunft ist, so ist sie auch wieder Prinzip ihres eigenen Begreifens.

Sobald jedoch jemand nur das Gebiet der Philosophie betritt, so kann man ihn von allen Seiten aus zur Anerkennung einer vorläufig auch nur formell absoluten Erkenntnisart hintreiben. Denn das Dasein einer Philosophie an und für sich schon auch nur in der Idee beweist die Notwendigkeit der Voraussetzung, daß das Wissen, zu dem man auf dem gewöhnlichen Weg gelangt, kein wahres Wissen ist. Von jener Anerkennung aber bis zu der Einsicht, daß es für das Bewußtsein einen Punkt gibt, wo das Absolute und das Wissen des Absoluten schlechthin Eins ist, gibt es nur einen Schritt. Denn aus der bloßen Idee des Absoluten, nach welcher es aus einer gleichen absoluten Einheit der Idealität und Realität des Denkens und Seins, des Wesens und der Form besteht, kann schon der Beweis geführt werden, daß es einen solchen Punkt gibt. Da nämlich nach der Voraussetzung einer im intellektuellen Bewußtsein vorkommenden formell-absoluten Erkenntnis das Absolute ein Erkennen der Form nach ist, so ist es wegen der absoluten Indifferenz des Wesens und der Form, die zu seiner Idee gehört, auch dem Wesen nach im Erkennen die absolute Einheit des Denkens und Seins, Idealen und Realen, ist die ewige von seinem Wesen nicht verschiedene Form des Absoluten, das Absolute selbst. Nun ist aber in der absoluten Erkenntnis eben eine solche Einheit des Denkens und Seins (wie gezeigt); der einzige Gegensatz, der zurückbleiben könnte, wäre, daß das Erkennen formell bestimmt und als solches dem Absoluten selbst, Einheit des Wesens und der Form gehört zu seiner Idee: und die formell-absolute Erkenntnis ist demnach notwendig zugleich eine Erkenntnis des Absoluten selbst.

Es gibt also eine unmittelbare Erkenntnis des Absoluten (und nur des Absoluten, weil nur bei ihm die Bedingung der unmittelbaren Evidenz: Einheit des Wesens und der Form, möglich ist), oder es gibt ein Wissen, welches zugleich die Wesenheit und die Realität des Absoluten selbst ist. Dieses Wissen ist der Tag, in welchem wir alle Wunder, die im Absoluten verborgen liegen und durch dasselbe an und für sich nicht offenbar werden, begreifen, und folglich die erste spekulative Erkenntnis, das Prinzip und der Grund der Möglichkeit, welche also auf der Gleichsetzung des absoluten Wissens und des Absoluten selbst beruth. Die unmittelbaren modi eines solchen Wissens sind die Ideen, das Wissen selbst aber ist die Idee aller Ideen, die Form aller Formen. Wem dieses Wissen fehlt, dem fehlt auch das Organ zur Philosophie und der bleibe also von derselben weg.

43. Es ist allerdings nicht zu leugnen, daß der Erfinder des absoluten Idealismus und neueste Inhaber der Kunst, in allem alles zu sehen, in dem, was er intellektuelle Anschauung nennt, eine Erkenntnisart beschrieben hat, deren Produkte über alle skeptischen Zweifel erhaben sein müßten. Denn bei demselben fällt ja alle Möglichkeit einer Abweichung des erkannten Objekts von der Erkenntnis gänzlich weg. Allein es spricht auch nichts so sehr für die Gründlichkeit und Vernunftmäßigkeit des Skeptizismus, als daß man zu einem solchen Ungeheuer von Fiktion seine Zuflucht hat nehmen müssen, um für die Möglichkeit eines Wissens gegen den Skeptizismus etwas sagen zu können. Denn daß die hochgerühmte intellektuelle Anschauung nichts weiter, als ein fingiertes Ungeheuer ist, kann sehr leicht dargelegt werden.

Zuerst einmal wenden wir unsere Aufmerksamkeit auf denjenigen Punkt, welcher den Anfang und das Ende der Weisheit des absoluten Idealismus ausmacht, ja diese Weisheit selbst sein soll, oder auf die Idee von einer vollkommenen Gleichheit und Identität des Idealen und Realen, der Möglichkeit und der Wirklichkeit. Nun braucht man bloß zu bedenken, daß die Begriffe vom subjektiven Denken und objektiven Sein ihrem Inhalt nach einander widersprechen, um sogleich zu begreifen, daß das Bewußtsein einer Einheit derselben unmöglich ist, und daß folglich die höchste Vernunfterkenntnis des absoluten Idealismus eine Ungereimtheit ausmacht. Eine weitere Erörterung dieser Beschaffenheit jener Erkenntnis ist aber überflüssig, da ihr Entdecker mit einer bisher beispiellosen Naivität selbst bekennt (siehe "Kritisches Journal der Philosophie", Bd. 1, zweites Stück, Seite 128: Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums), daß ein Satz nur dann eine Vernunfterkenntnis enthält und aufhört verständig zu sein, wenn die Begriffe, die darin vereinigt sind, sich einander aufheben und widersprechen, und daß die seinem System ausschließlich eigene Spekulation mit der einen Widerspruch enthaltenden Gleichsetzung kontradiktorisch entgegengesetzter Begriffe anfängt. Aber freilich hätte hierbei von ihm noch angezeigt werden sollen, wie er es anfängt, um Begriffe, die sich einander aufheben und daher einander aus demselben Akt des Bewußtseins ausstoßen und vertilgen, in eine Einheit zusammenzufassen. Auch will sich mit jenem Bekenntnis dessen Polemik gegen andere Systeme nicht vereinigen lassen, in der er so oft die Ungereimtheit dieser Systeme für einen Grund ihrer Verwerflichkeit erklärt. Nach den von ihm angegebenen Charakteren der Vernunfterkenntnis müßten ja diese Ungereimtheiten gleichfalls für eigentümliche Erkenntnisse der über den Verstand erhabenen Vernunft gehalten werden.

Wenn man aber auch davon, daß das Zentrum aller Weisheit und Wissenschaft des absoluten Idealismus ein handgreiflicher Widerspruch ist, absehen wollte; so wäre es doch noch in einer anderen Hinsicht durchaus verwerflich. Diejenige vollkommene Gleichheit des Idealen und Realen, nach welcher jenes seinem Gehalt nach mit diesem dasselbe ausmacht, also jenes durch dieses und dieses durch jenes völlig aufgehoben und vernichtet wird, soll nämlich auch das Erhabenste, was die Vernunft fassen kann, oder das ganz defektlose Absolute, das einzige Ansicht, die wahrhafte Substanz ausmachen. Die Wurzeln und Elemente dieses Absoluten sind also zwei Begriffe, deren Inhalt aus Datis unseres Bewußtseins besteht, und die lauter Relativitäten ausdrücken. Nun würde zwar durch die angebliche Identifikation derselben jeder Punkt ihrer Verschiedenheit, keineswegs aber auch das, was an den Objekten derselben Eingeschränktheit ist, aufgehoben. Mithin muß man wohl urteilen, daß der absolute Idealismus sich auf eine der dürftigsten Fiktionen, wodurch jemals ein Bild von der höchsten Realität hat hervorgebracht werden sollen, stützt, und anstatt den menschlichen GEist mit dem unvergänglichen Manna des Himmels zu speisen, ihm eine Komposition aus lauter irdischen Eingeschränktheiten zum immerwährenden Nagen daran vorhält. Hierbei wolle man aber doch ja nicht anführen, daß der Dogmatismus schon längst im Absoluten ein Etwas gedacht hat, dessen Wirklichkeit durch seine Möglichkeit bestimmt wird, und worin jene aus dieser folgt. Denn es gehört nur eine geringe Aufmerksamkeit dazu, um einzusehen, daß die Möglichkeit des vollkommensten Wesen, von welcher nach einigen der älteren Philosophen auf dessen Wirklichkeit soll geschlossen werden können, von ganz anderer Art war, als die im Absoluten des Identitätssystems mit dem Wirklichen identifizierte. Übrigens darf dies auch nicht übersehen werden, daß wenn nun jemand den abscheulichen Geisteszwang sich angetan und in der Identität des Denkens und Seins die wahrhafte Realität zu verehren angefangen hat, derselbe hinterher, wenn vom absoluten Idealismus das Rätsel der Absonderung aller scheinbaren einzelnen Idealität und Realität aus dem Absoluten für das menschliche Bewußtsein gelöst wird, weil nach dieser Lösung im Absoluten nur die Möglichkeit, nicht aber zugleich auch die Wirklichkeit der Absonderung des Einzelnen befindlich sein soll, die hochverehrte Identität des Idealen und Realen, als schon in sich selbst mit einem Gegensatz und einer Trennung von diesen beiden behaftet, betrachten und daher durch und durch für ein relatives Nichtwesen halten muß.

Doch die eigentliche Widerlegung des Skeptizismus durch den absoluten Idealismus beruth darauf, daß es von dem aus Ingredenzien [Zutaten - wp], die lauter Eingeschänktheiten sind, zusammengesetzten Absoluten eine Erkenntnis geben soll, wobei zwischen dem erkennenden Subjekt und dem erkannten Objekt gar keine Verschiedenheit stattfindet, und die also selbst mit dem Absoluten durch und durch identisch ist, oder eine vollkommene Gleichheit des Denkens und Seins ausmacht. Denn die Unwissenheit über diese Erkenntnis soll die Quelle des Skeptizismus sein.

Daß nun im menschlichen Gemüt, sobald alle Unterscheidung zwischen dem erkennenden Subjekt und der erkannten Sache aufhört, ein Zustand der bewußtlosen Ohnmacht stattfindet, und alsdann auch nichts mehr erkannt werden kann, ist eine allgemein bekannte Sache, über die auch nicht nach angeblichen Ideen der Vernunft, sondern nur nach Datis der inneren Erfahrung entschieden werden kann. Inzwischen behauptet der Erfinder des absoluten Idealismus (zwar nich als Mensch, sondern nur als spekulativer Philosoph) im Besitz einer Erkenntnis zu sein, wobei sein erkennendes Ich mit dem erkannten Objekt in eine absolute Einheit zusammengeschmolzen ist und die sich also weder auf ein Subjekt, noch Objekt bezieht. Damit aber das Vermögen dieser Erkenntnis von absoluter Art nicht denjenigen Fähigkeiten beigezählt wird, die aus törichtem Eigendünkel dem menschlichen Geist beigelegt worden sind, so hat er die Annahme der von der bloßen Möglichkeit noch verschiedenen Wirklichkeit desselben mit besonderen Beweisen unterstützt, deren Stärke wir also untersuchen müssen, weil dadurch eben der Skeptizismus zu Boden gestreckt werden soll.

Schon die Mathematik soll nämlich in ihren Konstruktionen das Beispiel von einer zumindest der Form nach absoluten Erkenntnis liefern, indem darin das Subjektive (der Begriff) und das Objektive (die dem Begriff entsprechende Anschauung) absolut ein sein sollen. Nun muß freilich in jeder richtigen mathematischen Konstruktion die dem Begriff untergelegte Anschauung jenem adäquat sein. Allein beim Konstruieren identifiziert nicht der Mathematiker sein erkennendes Subjekt mit der Figur, welche er durchs Konstruieren hervorbringt und es ist also kein absolutes Erkennen, nach der davon im absoluten Idealismus gegebenen Beschreibung. Ferner enthält bekanntlich die Anschauung mehr Bestimmungen, als im mathematischen Begriff, der dadurch konstruiert wird, vorkommen und jene kann also mit dieser nicht identisch sein. Wenn nun aber der Erfinder des absoluten Idealismus selbst lehrt ("Neue Zeitschrift für spekulative Physik", Bd. 1, erstes Stück, Seite 35; zweites Stück, Seite 24), teils daß der Mathematik nur eine bedingte oder relative Wahrheit zukommt, teils daß das Dreieck, welches der Geometer konstruiert, kein wirkliches, d. h. einzelnes Dreieck, aber das absolute und schlechthin reale sein soll, dagegen aber dem wirklichen oder erscheinenden Dreieck schlechthin keine Wesenheit zukommt, so widerspricht er ja selbst dadurch der Behauptung, daß die Mathematik das Beispiel einer der Form nach absoluten Erkenntnis liefert.

Was aber die Versicherung betrifft, daß für den Philosophen (aus der absolut idealistischen Schule) die intellektuelle Anschauung etwas Entschiedenes ist, worüber kein Zweifel statuiert oder Erklärung für nötig befunden wird, daß sie ihm durch ein göttliches Geschick beschieden ist und er deshalb gar nicht nötig hat, auf das Geständnis der bornierten und von der Natur stiefmütterlich behandelten Köpfe, die das Vermögen einer solchen Anschauung in sich nicht finden können, einige Rücksicht zu nehmen; so ist sie freilich ein Mittel, alle Einwendungen gegen die Wirklichkeit der absoluten Erkenntnisart, desgleichen gegen die absolute Einheit des Idealen und Realen, gegen das Begreiflichmachen alles Einzelnen aus einer Spaltung dieser Einheit oder aus einem Abfall von derselben und gegen die göttliche Kunst, in Allem Alles zu erblicken, mit einem einzigen Schlag zu zerstören. Denn der Blindgeborene muß darauf verzichten, über das Licht urteilen zu wollen. Allein auf eine so kahle Versicherung des Besitzes eines Vermögens, das anderen Menschen versagt worden sein soll, wird billig gar keine Rücksicht genommen, weil mittels derselben von jeder Schiefheit des Geistes, daß sie das echte philosophische Talent sein soll und von jeder Einbildung, auf die ein zerrüttetes und von der Vernunft verlassenes Gemüt geraten ist, daß sie das Licht ist, welches alle Wunder der Welt begreiflich macht, bewiesen werden kann.

Doch der Erfinder des absoluten Idealismus scheint von dem ihm beiwohnenden und durch ein göttliches Geschick verliehenen inneren Licht, nicht trauen wird und hat daher für die Wirklichkeit der intellektuellen Anschauung des Absoluten noch einen aus der Idee der Philosophie hergenommenen Beweis beigebracht. In dieser Hinsicht wird von ihm gesagt: Zur Anerkennung einer vorläufig auch nur formell absoluten Erkenntnisart könne man jeden, so wie er nur das Gebiet der Philosophie betritt, von allen Seiten aus hintreiben, indem ja schon die Idee der Philosophie beweist, daß das gemeine oder relative Wissen kein wahres Wissen ist; von dieser Anerkennung aber bis zur Einsicht, daß das Absolute selbst und das Wissen des Absoluten eines ist, gibt es nur einen Schritt. Nun räumen wir gern ein, daß zur Wirklichkeit der Philosophie, sofern sie eine wahre Wissenschaft sein soll, eine unbedingt gültige Wahrheit erforderlich ist, leugnen aber aus Gründen, die im Vorhergehenden schon erörtert worden sind, daß es eine solche Wahrheit für das menschliche Bewußtsein geben kann. Die Idee einer Philosophie, wenn man unter dieser Idee nicht etwa gar auch eine Identität der Gedenkbarkeit und Wirklichkeit der Philosophie verstehen will, kann also nicht zur Anerkennung einer formell absoluten Erkenntnisart nötigen. Folglich hat auch der aus dem Begriff des Absoluten, als einer Identität des Denkens und Seins, des Wesens und der Form geführte Beweis, daß die formell absolute Erkenntnis mit dem Absoluten selbst schlechthin eins sein muß, gar keine Beweiskraft. Und wenn die Absolutheit einer Erkenntnis ein Grund ihrer Identität mit dem Absoluten selbst wäre; so müßte dies ja auch von der Absolutheit der mathematischen Erkenntnis gelten, und der Stoff dieser Erkenntnis gleichfalls das Absolute selbst sein und könnte nicht zur abgebildeten Welt gehören, wie doch vom Entdecker jener Absolutheit behauptet wird.

Bedenkt man dann schließlich noch, daß nach der beständigen Lehre der absoluten Idealisten zur Möglichkeit des menschlichen Bewußtseins von etwas das Bewußtsein einer Differenz zwischen dem erkennenden Ich und dem erkannten Objekt notwendig ist; so erhellt sich unleugbar, daß die intellektuelle Anschauung, welche das Licht sein soll, wodurch das Wesen des Absoluten mit allen in ihm verborgenen Wundern begreiflich gemacht wird und daher das allsehende Auge der Welt heißt, niemals einem Menschen im wachenden Zustand zuteil werden kann (denn darin findet allzeit eine Entgegensetzung des erkennenden Ich und des erkannten Objekts statt) und daß dieses allsehende Auge der Welt, mit dem der absolute Idealist absolut Eins ist, das ihm ferner alle Wunder des Absoluten offenbart, ungeachtet es mit dem an und für sich nichts offenbarenden Wesen des Absoluten identisch ist, nur im traumlosen Schlafen und während der Ohnmacht wirksam sein kann. Wenn nun aber auch die Nacht des bewußtlosen Zustandes, worin der absolute Idealist sein Philosophieren treiben muß, es begreiflich machen sollte, wie er darin alles in allem zu sehen und sich mit dem Absoluten identifiziert zu erblicken meinen kann; so bleibt es doch ein Rätsel, wie derselbe wachend von den Wundern jener Nacht etwas zu erzählen weiß.

44. Von der Beleuchtung derjenigen Spekulationen über die Wahrheit der menschlichen Erkenntnis, welche vermöge ihrer Reinheit von allen Fehlern des Dogmatismus, auch über alle Angriffe von Seiten des Skeptizismus erhaben sein sollen, wenden wir uns zur Prüfung dessen, wodurch man den letzteren als in sich selbst mit einem unvertilgbaren Widerspruch behaftet und daher sich selbst vernichtend, hat darstellen wollen. Billig wird aber hierbei auf dasjenige nicht Rücksicht genommen, was aus groben Mißverständnissen und blinder Parteisucht der skeptischen Denkart Böses nachgesagt worden ist.

45. Die Behauptung, daß derjenige, welcher allen Erkenntnissen Gewißheit abspricht, wenn er sich nicht widersprechen will, auch seine Zweifel an dieser Gewißheit für ungewiß erklären und sie dadurch vernichten muß, ist so oft wiederholt worden, daß man wohl sieht, man müsse ihr ein vorzügliches Gewicht beigelegt haben. Außerdem gewährt sie noch den Vorteil, sich den Skeptizismus mit allen seinen Einwendungen gegen das dogmatische Wissen sehr geschwind, und ohne alle Beleuchtung des Gehaltes dieser Einwendungen, vom Hals schaffen zu können. Allein es ist leicht zu zeigen, daß der Schein von Gründlichkeit,, welcher dieser Einwendung gegen den Skeptizismus anklebt, bloß daher rührt, daß man teils die Natur des Zweifelns gänzlich verkennt, teils der Lehre des Skeptizismus den Charakter eines dogmatischen Systems beilegt oder sie für eine Reihe als objektiv gültig ausgesprochener Sätze nimmt, deren Wahrheit sich auf einen obersten Grundsatz stützen soll und daher meint, wenn einem Grundsatz Gewißheit abgeht, so muß sie auch der ganzen Reihe abgesprochen werden.

Das Bekenntnis des Skeptikers von der Ungewißheit bei aller Erkenntnis, ist nämlich die Erklärung, daß er über die objektive Gültigkeit, worauf alles, was dem Menschen als Erkenntnis gilt, Ansprüche erhebt, deswegen nichts entscheidet, weil er es unmöglich findet, den objektiven und nicht aus dem erkennenden Subjekt herrührenden Gehalt der Erkenntnis ausfindig zu machen. Die Zweifel des Skeptikers sind daher nur besondere Bestimmungen seines Bewußtseins; sie bestehen bloß mit dem Bewußtsein, das solche enthält und sind getrennt von diesem Bewußtsein ebensowenig etwas, wie das Fürwahrhalten einer Erkenntnis, abgesondert vom Bewußtsein, das solches in sich schließt, noch etwas ist. Dieselben beziehen sich also auch nicht auf eine vom Zustand des Ich, woraus sie bestehen, verschiedene Sache, die dadurch dem Ich zur Erkenntnis vorgehalten würde, und lassen sich ebensowenig zum Objekt eines davon verschiedenen Zweifels machen, wie das Fürwahrhalten einer Erkenntnis, um etwa dasselbe aller Ungewißheit zu entreißen, zum Objekt eines anderen Fürwahrhaltens gemacht werden kann.

Was ferner die Gründe der skeptischen Zweifel betrifft, so bestehen dieselben auch nicht aus einer Erkenntnis, welche auf objektive Gültigkeit Anspruch erhebt. Denn sie sind ja nur ein Bewußtsein des Mangels derjenigen Bedingungen, unter welchen allererst ein Wissen stattfinden kann und dieser Mangel ist keineswegs ein vom Bewußtsein desselben verschiedenen Sache.

Aus dieser Erörterung der skeptischen Zweifel erhellt sich zugleich, daß die Ausdehnung derselben auf alle Erkenntnis nicht etwa durch die Ableitung untergeordneter Sätze aus einem obersten Grundsatz entspringt, sondern daß vielmehr der Grund, im Hinblick auf welchen jede Erkenntnis skeptisch für ungewiß erklärt wird, unmittelbar bei ihr selbst stattfindet. Denn er besteht in der Reflexion darauf, daß sich der objektive Gehalt der Erkenntnis nicht bestimmen läßt. es ist also immer ein und derselbe Akt der Besonnenheit, welcher in Anbetracht jedes besonderen Wissens die skeptischen Zweifel hervorbringt.

46. Der Skeptizismus soll ferner seiner Erklärung, daß alles ungewiß ist, auch dadurch widersprechen, daß er Wahrheit und Schein in der menschlichen Erkenntnis voneinander unterscheidet, indem ja diese Unterscheidung eine zuverlässige Einsicht von den Merkmalen der Wahrheit und des Scheins voraussetzt, außerdem aber ohne allen Gebrauch ist.

Auf diesen Vorwurf dient zur Antwort, daß der Skeptiker in Anbetracht der Natur der Wahrheit und des Scheins dasjenige voraussetzt, was die menschliche Natur darüber ausspricht und keines Beweises weiter fähig ist, weil jeder Beweis nur insofern Gültigkeit hat, als dasjenige bei den Bestandteilen desselben vorkommt, was zur Natur der Wahrheit gehörend angenommen wird. Da nun aber jene Voraussetzung nur eine Norm der Beurteilung der Wahrheit unserer Erkenntnis ist, so widerspricht ihr auch nicht das Bekenntnis, daß man bei jeder menschlichen Erkenntnis dasjenige vermißt, wodurch über deren Wahrheit etwas ausgemacht werden kann. Auch stellt ja der Skeptiker gar nicht in Abrede, daß die Bestimmung der Wahrheit und des Scheins, die seinen Zweifeln zugrunde liegt, den Aussprüchen der menschlichen Natur darüber gemäß abgefaßt ist und er legt daher diesen Zweifeln nur Gültigkeit für Menschen bei (siehe § 34).

47. Aber mag auch immer, wird man sagen und hat man oft gesagt, der Skeptizismus im Kampf mit dem Dogmatismus den Sieg davon tragen, und von diesem an seiner einzigen Stelle verwundet werden können; so kann doch dessen Weisheit des Nichtwissens unmöglich für etwas, das irgendeinen Wert hat, gehalten werden. Denn wollte man diese Weisheit zur Richtschnur des Lebens machen, so würde dadurch der menschlichen Natur ein unersetzlicher Schaden zugefügt werden, indem ja dann alles, was sonst auf die Tätigkeit des Menschen Einfluß hat, das wahre Leben desselben und die Entwicklung seiner Anlagen befördert, unwirksam werden muß; dahingegen dem der menschlichen Denkart weit mehr angemessenen Dogmatismus bei allen seinen Mängeln das Verdienst bleibt, das menschliche Nachdenken geweckt und geübt und manche verborgene Wahrheit ans Licht gezogen zu haben. Der Skeptizismus ist also für die Zwecke des menschlichen Daseins keineswegs so unschädlich, wie man vorzugeben pflegt oder kann doch nur dadurch unschädlich gemacht werden, daß man als Mensch verwirft, was man als Philosoph als Gipfel aller Weisheit ausgibt und folglich mit sich selbst uneinig wird.

Um die Gültigkeit dieses Vorwurfs gehörig beurteilen zu können, wird die folgende, obgleich kurze Beleuchtung des Verhältnisses, in welchem der Dogmatismus und Skeptizismus zur natürlichen Überzeugung des Menschen stehen, hinreichen.

48. Ehe jemand Philosoph ist, war er Mensch, und ehe er sich das Rätsel der Welt aufzulösen suchte, lebte er schon in derselben durch die Anwendung seiner Kräfte. Zum menschlichen Leben gehört aber unentbehrlich eine Unterscheidung des Wahren vom bloßen Schein, des objektiv Vorhandenen vom nur in der Einbildungskraft Verfertigten und ein Vertrauen zu unserem Bewußtsein, daß es mit uns kein Spiel treibt und bloße Phantasmen als Sachen ausgibt. Dieses Vertrauen ist auch in jedem Menschen als eine unbegreifliche Stimme seiner Natur vorhanden und auf die Aussprüche derselben stützt sich alle zum Leben unentbehrliche Überzeugung.

Auf diese Aussprüche sich verlassend glaubt der Mensch, daß er in einer von seinem Ich verschiedenen Welt existiert, daß, was er in dieser Welt bewundert, nicht erst durch seine Vorstellung davon in diese hineingelegt worden ist und daß sich in der Einrichtung derselben etwas Höheres, als ein bloßer Mechanismus seiner Einrichtung zu erkennen gibt. Der Stimme seiner Natur vertrauend glaubt der Mensch, daß die Begriffe von Gut- Bösesein, vom Recht und Unrecht tun, wonach er den Wert allen menschlichen Tuns und Lassens bestimmt, keinen Wahn ausmachen, daß sein Handeln nicht durch den Zwang der Naturgesetze bestimmt wird, sondern ihm vielmehr das Vermögen innewohnt, durch eigenen Entschluß und nach angestellter Überlegung freier Urheber seiner Taten zu sein, und daß er durch den Gebrauch dieses Vermögens tugendhaft oder lasterhaft wird.

Bei diesem natürlichen Glauben an das Wahre und Gute und an etwas Höheres, als der Mensch ist, das ihm aber durch die Welt offenbar wird, meint nun der Dogmatismus es nicht bewenden lassen zu dürfen und hat die Absicht, statt desselben uns ein Wissen vom Wahren und Guten zu verschaffen. Er will, damit ja niemand mehr in Anbetracht der Beschaffenheiten der physischen und moralischen Welt irren oder bloßen Einbildungen ergeben sein kann, sowohl vom Stoff, der allen Dingen in derselben zugrunde liegen soll, als auch von der Art, wie zu diesem Stoff die Form hinzugekommen ist, nicht etwa nur, was menschlicherweise davon eingesehen werden kann, sondern was selbst ein allwissendes Wesen davon verstehen mag, angeben.

Dieses Bestreben des Dogmatismus, alles zu ergründen und jede menschliche Einsicht in apodiktische [unumstößliche - wp] Gewißheit zu verwandeln, führt nun in seiner höchsten Anstrengung unvermeidlich dahin, was die unbegreifliche Stimme unserer Natur von einer wahrhaften physischen und moralischen Welt bezeugt, für lauter Lug und Trug zu erklären. Denn dadurch werden erst alle Gegenstände in der Welt vollkommen aufgehoben und dieselben auf eine höchste Einheit zurückgeführt. Er beweist es euch ja, seinen eigenen Versicherungen nach, aus den höchsten Gründen allen Seins und aus den letzten Prinzipien allen Wissens aufs Strengste, daß jede eurer an den Gesetzen der Erfahrung und am Gemeinsinn noch so genau geprüften Wahrnehmungen des Wirklichen, bloße Erscheinung oder lauter Schein enthält und will es aus den Bedingungen der Möglichkeit einer Erkenntnis apodiktisch dargetan haben, daß der Mensch sich alle Wahrheit selbst macht und daß nur für die Dumpfheit des gemeinen Bewußtseins, welches der Mensch mit den Tieren gemein hat, eine vom Mechanismus der Bewegungen der Vorstellungskraft unabhängige Welt existiert. Um aber die natürlichen Aussprüche des Gewissens über Gut und Böse, über menschliches Verdienst und menschliche Schuld begreiflich zu machen und von allen Täuschungen zu reinigen, wodurch ihr Inhalt entstellt werden soll, löst der Dogmatismus diese Aussprüche entweder in lauter Maximen der Klugheit auf - denn daß der Mensch danach strebt, recht angenehm in der Welt zu leben, ist aus dessen sinnlicher Natur vollkommen begreiflich -; oder leitet dieselben aus einem Gebot der von aller Empirie gereinigten Vernunft ab, nach welchem nichts weiter, als eine bloße Form des Wollens gewollt werden darf, gesteht aber hinterher selbst, um der Moralphilosophie, als apodiktisch gültiger Wissenschaft, nichts zu vergeben, daß der zur sittlichen Vollkommenheit des Handelns unentbehrliche starre Gehorsam gegen Gesetze (die, weil sie bloß durch ihre Form Gesetzeskraft haben, auch für den Willen übermenschlicher Wesen gültig sein sollen) im menschlichen Geschlecht nirgends angetroffen wird, man daher wohl von der Tugend sprechen, sie jedoch bei keinem Individuum dieses Geschlechts suchen darf.

Gegen diese Herabwürdigung der Stimme unserer Natur zu einer Lüge, ist nun der Skeptizismus mit gerichtet. Er verschafft keine positive Einsicht. Aber was man ohn ihn schon durch das unerklärliche Vertrauen zur Stimme der Natur an Einsichten besitzt, das sichert derselbe gegen Verdrehungen und gegen alle Sophistikationen [Spitzfindigkeiten - wp], wodurch es in einen Wahn verwandelt hat werden sollen. Ihr Bearbeiter und Verbesserer der nicht zur spekulativen Philosophie gehörigen Wissenschaften verkennt ihn also ganz, wenn ihr ihn dafür anseht, daß er euch die Rechtmäßigkeit des Besitzes eures Eigentums streitig machen will. Den Grund und Boden, worauf ihr euch angebaut habt, wenn ihr euch bescheidet, nichts davon zu verstehen, was wiederum disen Boden hält und trägt, will und kann er nicht erschüttern. Seine Angriffe sind bloß auf den spekulativen Dogmatismus gerichtet, der seine systematisierten Träume für die höchste Weisheit und Wissenschaft ausgibt, und den menschlichen Geist dadurch einsichtsvoller machen will, daß er durch dialektische Kunststückchen entweder die Dinge in der Welt oder die natürliche Denkart desselben über diese Dinge umkehrt.

§ 49. Indem nun der Skeptizismus das Geheimnis dieser Kunststückchen aufdeckt und durch Verstärkung der Besonnenheit das Blendwerk, das dieselben hervorbringen, zerstört, führt er nicht nur alles scheinbare Wissen aus dem Gemüt ab, sondern bewirkt auch, daß die natürliche Stimme, welche, was für den Menschen wahrhaft wahr und gut ist, verkündet, besser vernommen und genauer erwogen wird. Er führt den Menschen in seine wahre Heimat und wird zuletzt, d. h. nach vollendeter Abfertigun des Dogmatismus, wie jede vollkommene Kunst, wiederum Natur.

§ 50. In der bisherigen Darstellung der Fundamente, des Inhalts und des Zwecks des Skeptizismus sind übrigens auch schon die Gründe beigebracht, um welcher willen wir denjenigen einsichtsvollen und scharfsinnigen Bestreitern der dogmatischen Anmaßungen nicht beitreten können, welche dafür halten, daß selbst in den skeptischen Zweifeln an der Möglichkeit allen Wissens, weil dieses Zweifeln doch eine Art von Denken ist, das auf Wahrheit Ansprüche erhebt und daher auch insgeheim irgendeinen unbedingten oder absoluten Grund voraussetzt, etwas gegeben ist, woraus unmittelbar die Notwendigkeit eines Glaubens an das Absolute entwickelt werden kann. Der Skeptizismus ist vielmehr nach unserer Einsicht von demselben ein geschlossenes Ganzes, das nicht über sich selbst und die darin gelehrte allgemeine Ungewißheit hinausführen kann und das in seinen Fundamenten nichts weiter enthält, als die Besinnung auf den Mangel der unentbehrlichen Bedingungen der Möglichkeit eines Wissens. Die Quelle des Glaubens an ein über alle Relativität erhabenes Absolutes liegt daher auch gänzlich außerhalb dessen Umfang und erkann nichts weiter bewirken, als daß man diese im Wesen der menschlichen Natur befindliche Quelle nicht verkennt und ihre Ausflüsse weder durch Grübelei, noch auch durch Schwärmerei mit fremder Zutat verunreinige, was aber nicht dafür angesehen werden darf, daß er selbst auch aus dieser Quelle entstanden ist und daher völlig ausgedacht darauf führt.
LITERATUR - Gottlob Ernst Schulze, Die Hauptmomente der skeptischen Denkart über die menschliche Erkenntnis, in "Neues Museum der Philosophie und Literatur", hg. von Friedrich Bouterwek, Bd. 3, drittes Heft, Leipzig 1805