cr-3 
 
ELISABETH LEINFELLNER
Sprachkritik und Atheismus
bei Fritz Mauthner


Mauthner im hist. Kontext
Fritz Mauthner
Sprachkritik und Erkenntnistheorie
Es ist schwer ernst zu bleiben, wenn man den Begriff "Gottes Wort" untersuchen will.

Zu Mauthner und österreichische Philosophie
Bevor ich mein eigentliches Thema diskutiere, möchte ich ein paar Sätze über das Thema "Mauthner als österreichischer Philosoph" sagen, weil dies sehr gut die Problematik des Begriffs  österreichische Philosophie  beleuchtet. MAUTHNER wird allgemein zur österreichischen Philosophie gerechnet, so bei HALLER, JOHNSTON, WEIBEL, und letztlich auch der Autorin der vorliegenden Arbeit. (1)

Unter dem Aspekt, daß der Term  österreichische Philosophie  geographisch oder politisch aufzufassen sei, war MAUTHNER kein Österreicher. Er ist zwar - 1849 - in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie geboren, in Horschitz, und hat in Prag studiert. 1876, also im Alter von 27 Jahren, übersiedelte er nach Berlin. Er wurde deutscher Staatsbürger und er hat den Rest seines Lebens in Deutschland verbracht, wo er 1923 gestorben ist.

Politisch war er das, was wir heute "deutschnational" nennen, und ein begeisterter Anhänger BISMARCKs (siehe z.B. GA IV, 282, 301ff). Man hat dem Juden MAUTHNER auch Antisemitismus oder, feiner ausgedrückt, jüdischen Selbsthaß vorgeworfen; (2) ich meine jedoch, zu Unrecht. Es stimmt zwar, daß er die völlige Assimilation der Juden als Ziel vor Augen hatte, und daß er gelegentlich antijüdische Äußerungen von sich gegeben hat. Andererseits hat er den Antisemitismus als eine der bösen Folgen des Nationalitätsgedankens gesehen (GA II, 321); den Antisemitismus z.B. DÜHRINGs und SCHOPENHAUERs hat er getadelt (GA IV, 317ff.; GA IV, 176).

Man braucht nur MAUTHNERs gespenstisch-prophetischen Roman von 1882,  Der neue Ahasver,  zu lesen, um den Vorwurf des Antisemitismus zurückzuweisen. (Daß uns der Roman aus stilistischen und anderen Gründen heute nicht mehr zusagt, ist ein anderes Kapitel.) Die beste Erklärung dieser schwankenden Haltung MAUTHNERs ist wohl, daß seine anti-jüdischen Bemerkungen seiner allgemeinen Ablehnung aller Theologien, und darunter eben auch der Theologie des Alten Testaments, zuzurechnen sind; er hat selbst einmal gesagt, daß er schon als Kind das Alte Testament gehaßt habe (und die hebräische Sprache gleich dazu). Soweit zu Mauthners politischer Einstellung.

In seinem Buch,  The Austrian Mind,  liefert W. M. JOHNSTON eine Variante des "geopolitischen" Arguments für MAUTHNERs Zugehörigkeit zur österreichischen Philosophie. JOHNSTON sagt da, daß MAUTHNERs Sprachkritik indirekt seine Wurzeln in seiner jüdischen Erziehung habe. (3) Aber erstens ist Mauthner nicht jüdisch erzogen worden, und zweitens ist eine jüdische Erziehung nicht etwas nur österreichisches.

Wegen seiner Sprachkritik und seines empiristischen Nominalismus wird MAUTHNER aber dann doch zur österreichischen Philosophie gerechnet, als ob Österreich die Sprachkritik und den nominalistischen Empirismus gepachtet oder erfunden hätte. Nach diesem Kriterium wären z.B. LICHTENBERG - MAUTHNER rechnet ihn unter seine sprachkritischen Vorläufer - und OCKHAM österreichische Philosophen. Wir werden somit wieder auf die Geographie und die politischen Verhältnisse zurückgeworfen.

Was ich damit sagen will, ist nur, daß wir uns in der Philosophiegeschichte in solchen komplexen Fällen wie z.B. MAUTHNERs doch nach anderen oder zusätzlichen Kategorien umsehen sollten als denjenigen, die zur Bezeichnung einen geographisch-politischen Term benötigen.

Vorbemerkung.
Das Motto dieser Vorbemerkung sei:
Es ist schwer ernst zu bleiben, wenn man den Begriff  Gottes Wort  untersuchen will. Wirklich: im Anfang war das Wort und Gott war im Wort. Götter sind Worte. (WP 1,458)
Dieses Motto faßt Mauthners Ansichten prägnant zusammen - von der Sprachkritik des Wortes  Gott  bis zur Heiterkeit, dem "fernen Lachen", wie er sagt, das wir hören, wenn Gott und die Gottesbeweise als trügerisch erkannt worden sind. Der terminologische Wandel von dem KANTschen  Kritik der reinen Vernunft  zu dem MAUTHNERschen  Beiträge zu einer Kritik der Sprache  spiegelt ein Stück Philosophiegeschichte, den Weg vom Idealismus zur Analytischen Philosophie. MAUTHNER selbst hat seine Philosophie als erkenntnistheoretischen Nominalismus gesehen (KdS 111, 611); dies ist für unser Thema nicht uninteressant. Denn er war der Auffassung, daß ein sprachkritischer Nominalismus - der in seinem Fall eben auch erkenntnistheoretisch war - stets zum Atheismus führen wird (GA 1,347).

Zum Unterschied von vielen Vertretern der Analytischen Philosophie, die der Sprache als Mittel der Welterkenntnis gar keine Beachtung schenken, hat MAUTHNER die erkenntnistheoretischen Probleme einer Analytischen Philosophie gleich mitbehandelt, nur kam er zu einem absolut skeptischen Ergebnis: Die Sprache ist ihm ein "elendes Erkenntniswerkzeug" (KdS 1, 93), das keine zwingenden Rückschlüsse auf die Wirklichkeit erlaubt.

In MAUTHNERs monumentalem Werk (4 Bde., 2201 Seiten), Der Atheismus und seine Geschichte im Abendlande, wird - ganz im Sinne der Wendung von der Kritik der Vernunft zur Sprachkritik - d.h. von der idealistischen Begriffsgeschichte zur erkenntnistheoretisch orientierten Sprachgeschichte - die Geschichte des Atheismus zu einer "negativen Wortgeschichte" (GA II,376), der Geschichte des Bedeutungswandels bestimmter Terme, vor allem natürlich des Terms  Gott,  aber auch der damit verknüpften Terme  Unsterblichkeit, Wunder, Wille, Seele, Geist  u.ä.:
ich behaupte: daß die ganze Frage nach dem Gottesbegriffe eine Frage der Wortgeschichte ist, eine historische Frage, und daß die Kritik der Sprache allein die Antwort finden kann. (GA I, 115)
Während hier also die Sprachkritik auf Terme der Religion und der Theologie angewandt werden soll, waren es umgekehrt zunächst Terme der Religion, die MAUTHNER Anstoß zur Sprachkritik gegeben hatten:
Ich kann und will nämlich nicht leugnen, daß meine Sprachkritik zumeist an religiösen Begriffen entwickelt hat...(4)
Sprachkritisch nähert sich MAUTHNER dem Problem des Atheismus hauptsächlich von zwei, ineinander verschränkten Seiten, 1. dem Problem der Gottesbeweise, 2. der erkenntnis-theoretisch -sprachkritischen Lehre von den "drei Bildern der Welt".

Wir wollen als erstes auf die Gottesbeweise eingehen, mit denen MAUTHNER sich besonders beschäftigt hat, nämlich den historischen, den teleologischen, den kosmologischen und den ontologischen. In einer Fußnote befaßt sich MAUTHNER auch mit dem "grammatischen" Gottesbeweis WILHELM JERUSALEMs; wir wollen ihn hier gleich vorwegnehmen, weil er nicht in die Kategorie der althergebrachten Gottesbeweise gehört: Nach JERUSALEM ist das Weltgeschehen, das Universum, ein Verb, ein unpersönliches Verb, zu dem wir ein Subjekt suchen müssen - und dieses Subjekt sei Gott. Abgesehen davon, daß MAUTHNER von vornherein die Analogie Prädikat:Subjekt - Universum:Gott sprachkritisch ablehnt, so geht er bei der genaueren Interpretation des grammatischen Gottesbeweises so vor wie z.B. beim ontologischen: er relativiert den grammatischen Gottesbeweis auf jeweilige Sprachen.

Nicht in jeder Sprache verlangt ein unpersönliches Verbum nach einem Subjekt nach dem Muster "Es donnert", "Es blitzt" oder dem LICHTENBERGschen "Es denkt" (GA IV, 440/441; vgl. auch RUYERs mystisches "Es denkt im Universum" (5). Ein Gottesbeweis, der nur in bestimmten Sprachen formuliert werden kann, ist aber ungültig. Das wäre so, als wenn man die Fallgesetze z.B. nur im Deutschen beweisen könnte.

Wenn wir im folgenden die Gottesbeweise diskutieren, so wollen wir dabei natürlich nicht Theologie betreiben, sondern MAUTHNERs Analyse darsteilen. MAUTHNER selbst hat sein Atheismus-Werk grundsätzlich als eine Auseinandersetzung mit dogmatisch verfestigten Religionen gesehen, nicht als eine Diskussion des Atheismus der Antike oder des buddhistischen Atheismus, obwohl er auf deren Probleme eingeht, z.B. in der Einleitung. Zur Theologie sei nur soviel gesagt, daß auch heute noch in der Dogmatik an der Möglichkeit und Gültigkeit von Gottesbeweisen festgehalten wird, zumal es ja obendrein ein Dogma gibt, nach welchem Gott im Licht der Vernunft erkannt werden kann. (6)

Gottesbeweise. Ganz prinzipiell sind nach MAUTHNER alle Gottesbeweise, auch die nicht-scholastischen, "wortabergläubisch" (GA 111, 142); alle traditionellen Gottesbeweise sind -wie alle logischen Beweise - eine petitio principii [es wird vorausgesetzt, was erst zu beweisen ist - wp] (GA 1, 239). Bei "Logik" denkt MAUTHNER an die klassische Logik.

Der historische Gottesbeweis
Den historischen Beweis, z.B. in der Form, daß sich historisch - oder auch anthropologisch-biologisch - die Gottesvorstellung bei allen Völkern finde, lehnt MAUTHNER in einer für ihn typischen Weise ab: Es werde dabei auf die Verschiedenheit der Gottesvorstellungen und die damit verknüpfte Verschiedenheit der Bedeutungen der entsprechenden Terme in den verschiedenen Sprachen gar keine Rücksicht genommen (GA 1, 44). In MAUTHNERs Philosophie ist dies ein Argument, das schwerer wiegt als vielleicht in anderen Philosophien; denn er hat die Hypothese vertreten, daß Denken und Sprechen eins sind. MAUTHNER wird bei allen möglichen Gelegenheiten nicht müde, davor zu warnen, die verschiedenen Terme in verschiedenen Sprachen einfach gleichzusetzen, seien dies nun Terme für ein übernatürliches Wesen, für das, was wir "Seele" nennen, oder seien es philosophische Terme. Z.B. lehnt MAUTHNER entschieden die Übersetzung von  tao  als  Gott  oder  logos  ab (WP II, 468f; siehe auch GA IV, 413f, 444f). Ebenso entschieden tadelt er die Missionare, die oft die Sprache der zu Bekehrenden nur mangelhaft oder gar nicht sprachen, und die jeden nur irgendwie assoziierbaren Term einer ursprünglichen Religion zum christlichen Gottesbegriff umformten, was dann natürlich einen Rückkopplungseffekt hatte (GA IV, 410).

Mehr spezifisch greift MAUTHNER den historischen Gottesbeweis wie folgt an:
  • Er ist ein mangelhafter Induktionsschluß (GA IV, 410).
  • Jede Frage nach der Entstehung von etwas, des Donners, des Denkens, des Lebens usw., wird solange umgeformt, bis sie eine Frage nach einer ersten Ursache, die mit Gott identifiziert wird, ist, während es in Wirklichkeit eine Frage nach einer natürlichen Ursache ist (GA IV, 410f.).
  • Jede Antwort auf die Frage nach dem Ursprung rätselhafter Erscheinungen wird als religiös angesehen. Aber nicht jede Weltanschauung oder Erklärung ist eine Religion (GA IV, 411f.).
Der teleologische Gottesbeweis.
Der teleologische Beweis beruht auf der Ansicht, daß die Welt völlig (klassisch kausal, deterministisch) geordnet ist, und daß sie daher einen Ordner voraussetzt. In "Die drei Bilder der Welt" führt MAUTHNER den teleologischen Gottesbeweis auf die Verwechslung der Zweckmäßigkeit des Organismus mit der Zweckmäßigkeit von vom Menschen geschaffenen Maschinen zurück (DBW, 111). Obendrein hat er den Begriff der Zweckmäßigkeit und der Zweckursachen aus sprachkritischen Gründen abgelehnt (DBW,94ff) . Spöttisch bemerkt er, daß wir in der Zahlentheorie oder beim Pythagoreischen Lehrsatz trotz der Ordnung, die sie verkörpern, nicht annehmen, daß sie von Gott geschaffen seien, obwohl der Pythagoreische Lehrsatz allgemein gültiger ist als die Zehn Gebote (DBW, 95f).

In der Geschichte des Atheismus beschäftigt sich MAUTHNER nur kurz mit dem teleologischen Beweis (GA 1, 163): Da Darwin das Konzept der Schöpfung durch das Konzept der Evolution ersetzt hat, kann man den teleologischen Beweis nun auf den Moderhaufen der anderen Gottesbeweise werfen (GA IV, 153). Eine längere Darstellung findet sich im  Wörterbuch der Philosophie Wenn es schon unwahrscheinlich ist, daß jemand, der nicht Deutsch kann, durch Zufall auf einer deutschen Schreibmaschine den  Faust  produziert, dann ist es noch viel unwahrscheinlicher, daß ein geordnetes Weltall entstanden ist.

Die Hypothese, daß am Anfang der Schöpfung eine intelligente Absicht steht, ist - so MAUTHNER - die allerunwahrscheinlichste (WP II, 577f). Man könnte hier einwenden, daß die Anhänger des teleologischen Gottesbeweises gerade davon ausgehen, daß die Unwahrscheinlichkeit einer von selbst entstandenen Ordnung beweist, daß Gott existiert (Wahrscheinlichkeit = 1, d.h. Gewißheit). MAUTHNER lehnt aber die Prämisse ab, daß die Welt völlig geordnet ist; sie ist nur teilweise geordnet, oder, wie er sich ausdrückt: Die Welt kann weder den Zufall, noch eine Intelligenz zur Ursache haben (WP 11, 578).

MAUTHNER geht beim teleologischen Gottesbeweis -- den er einfach "albern" findet (WP II, 577) - nicht besonders sprachkritisch vor. Nach ihm ist die Übertragung aus dem Bereich des Menschen (siehe oben) in den Bereich des Religiösen metaphorisch. Nur zwei seiner Bemerkungen über den teleologischen Beweis sind sprachkritisch:
Und hätten wir in unserer Sprache nicht Worte wie Gott, Welt, Schöpfung, schaffen, usw., wir könnten so dumme Fragen gar nicht stellen (WP 11, 578)
und - über die "allerunwahrscheinlichste Hypothese" -:
Die sich aber sinnvoll der sinnlosen Zufallshypothese gegenüber durch Jahrtausende gehalten hat, weil die Menschensprache ein taugliches Werkzeug der Poesie ist. (WP II, 578)

Der kosmologische Gottesbeweis.
Der kosmologische Gottesbeweis ist, wie bekannt, die Vorstellung von einer ersten Ursache, die mit Gott gleichgesetzt wird. Im ersten Band der  Geschichte des Atheismus  hat MAUTHNER diesem Beweis noch zugeschrieben, daß er unseren naiven Vorstellungen naheliegt, und daß er daher gewissermaßen wenn schon nicht verteidigt, so doch entschuldigt werden könnte (GA 1, 240). Im letzten Band geht er dann schärfer mit ihm ins Gericht (GA IV, 431ff). MAUTHNER will nicht KANTs Widerlegung wiederholen, sondern nur zusätzlich sein sprachkritisches Kommentar anfügen. Sein erster Einwand ist, daß er tautologisch ist (KANT hatte dies vom ontologischen Gottesbeweis behauptet):
Diese elende Tautologie würde ehrlich lauten: die letzte Ursache ist die letzte Ursache. (GA IV, 431; siehe auch GA IV, 434)
Zweitens verwendet MAUTHNER HUMEs Auffassung der Kausalität, um seine eigenen sprachkritischen Zusätze dazu im Rahmen des kosmologischen Gottesbeweises vorzutragen:  Kausalität  ist, wie  Wärme, Elektrizität, Schwerkraft  u.a.m., ein mythologischer Begriff der Wissenschaften, dem eine Personifikation zugrunde liegt (GA IV, 233) - dies berührt die noch zu erläuternde MAUTHNERsche Philosophie von den drei Bildern der Welt: Der Mensch hat sich in der Sprache Gott als Ursache erschaffen.

MAUTHNER veranschaulicht diesen Aspekt des kosmologischen Gottesbeweises an einem interessanten Beispiel, das in gewisser Hinsicht GILBERT RYLEs "Geist in der Maschine" vorwegnimmt: Wenn jemand Naiver - wir müssen hinzusetzen: am Beginn der Motorisierung - hört, daß ein neuer Eisenbahnzug von 100 Pferdestärken oder Pferdekräften angetrieben wird und sich gläubig an das Wort hält, dann wird er vermuten, daß irgendwo in der Maschine 100 Pferde verborgen sind. Wer sich hier an dem Wort  Pferdestärke  stößt und das Argument nur dann gelten lassen will, wenn es  Pferd  hieße, der solle sich vor Augen halten, daß man statt  Gott  auch  Gottheit  sagt, und daß  -heit,  wie das Wort  Stärke,  auch einmal eine Beschaffenheit oder einen Zustand bezeichnet hat (GA IV, 444).

Drittens, sagt MAUTHNER, rührt sich hier bereits der Schnitzer des Beweises aus dem Superlativ, den wir anhand des ontologischen Gottesbeweises noch näher besprechen werden. Der Unterschied zum ontologischen Gottesbeweis bestehe bloß darin, daß der Ausdruck  erste Ursache  - den MAUTHNER offensichtlich als einen verschleierten Superlativ auffaßt - philosophischer klinge als die Begriff des Mächtigsten, Weisesten und Gütigsten.

Der ontologische Gottesbeweis. Dem ontologischen Gottesbeweis des ANSELM von CANTERBURY (ca. 1033-1109) widmet MAUTHNER die meiste Aufmerksamkeit und kritisiert ihn am schärfsten. Nach dem ontologischen Gottesbeweis ist Gott dasjenige, was vollkommener und größer nicht gedacht werden kann. Dieses vollkommenste Wesen muß existieren, weil es ohne seine Existenz nicht das vollkommenste Wesen ist. MAUTHNER nennt diesen Beweis den "dauerhaftesten" neben dem teleologischen (GA I, 238), aber auch den "allerelendsten" (GA 1, 240) und "hinterlistigsten" (GA 1, 243); der ontologische Beweis ist "berüchtigt" (WP 1, 449), ja, in unfreiwilliger Komik nennt der Atheist MAUTHNER ihn "gottverlassen" (GA 1, 240).

Als erstes stellt MAUTHNER wiederum fest, daß dieser Beweis - wie alle traditionellen Gottesbeweise - eine petitio principii ist.

Zweitens führt MAUTHNER die GAUNILO zugeschriebene Widerlegung an, nach welcher der ontologische Gottesbeweis ebensogut auf die vollkommenste Insel angewandt werden kann - MAUTHNER fügt hinzu, daß nach demselben Verfahren auch die Existenz des vollkommen Bösen, des Teufels, bewiesen werden kann (GA 1,240).

Drittens benützt MAUTHNER den ontologischen Beweis, um darzulegen, daß Gottesbeweise wortabergläubisch sind:
Dieser Schnitzer, auf die kürzeste Form gebracht, besagt: weil es in der griechischen und lateinischen Sprache die Sprachkategorie des Superlativs gibt, darum muß es auch in der Wirklichkeit jedesmal etwas geben, was dem Superlativ entspricht. (GA 1,239)
Viertens: Im Wörterbuch der Philosophie (WP 11, 188ff.) zeigt MAUTHNER, daß gewisse Beweise, wie z.B. der ontologische Beweis für die Existenz eines allmächtigen und allweisen - MAUTHNER sagt einmal "allmächtig und allboshaft" (GA I, 76) - Gottes oder der Beweis für die beste aller möglichen Welten derart an den Superlativ geknüpft sind, daß sie ohne die Existenz des Superlativs gar nicht geführt werden können (siehe die Vorbemerkung über die Relativierung der Gottesbeweise auf jeweilige Sprachen).

Nun ist es so, daß der Kern des Arguments bei ANSELM nicht im Superlativ, sondern im Komparativ steht: Gott ist ein Wesen "quo nihil maius cogitari potest". Aber erstens stehen die Folgerungen, die aus diesem Satz gezogen werden können, doch im Superlativ, z.B., daß Gott das weiseste, gütigste etc. Wesen ist, (7) und zweitens kann MAUTHNERs sprachkritische Diskussion des ontologischen Gottesbegriffes ebenso gut auf Formulierungen, die einen Komparativ enthalten, angewandt werden.

Es ist klar, daß MAUTHNER versuchen muß, Sprachen zu finden, die keinen Superlativ oder, allgemeiner, keine Steigerungsformen bilden können. Nach einem Ausflug ins Hebräische geht er auf die suppletiven (ergänzenden) Steigerungsformen ein, d.h. Adjektive, deren Steigerung von verschiedenen Stämmen gebildet wird, wie z.B. im Lateinischen:  bonus / melior/ optimus.  Schon WUNDT vertrat die These, daß die suppletiven Steigerungsformen - die den ältesten Sprachschichten angehören - nicht Gradunterschiede, sondern Qualitätsunterschiede markieren, eine Auffassung, die auch heute noch die Standardauffassung ist. MAUTHNER kommentiert dazu, daß in der Natur und einer der Natur angepaßten Sprache - wenn es eine solche gäbe - keine Steigerung existiert; nur Zahlen könnten gesteigert werden (WP 11, 195). MAUTHNER hat einen numerischen Superlativ für möglich gehalten (WP 11, 217), eine Frage, die wir hier nicht diskutieren können.

MAUTHNER stellt der theologischen Auffassung vom allmächtigen, superlativischen Gott und dem übermenschlichen, aber nicht allmächtigen Teufel, der von Gott selbst geschaffen ist, den Volksglauben gegenüber: Der Volksglaube ist ein Zweigöttersystem, mit einem Gott, der zwar mächtiger und klüger als der Teufel ist, aber nicht allmächtig und allweise; auch der Teufel trägt göttliche Züge. Ebenso bei HUME und MILL: Gott ist hier nur sehr mächtig und sehr weise - im Komparativ sozusagen - im Vergleich zum moralisch bösen Teufel (GA 1, 187). Zusammenfassend sagt MAUTHNER über die Gottesbeweise:
Für die Kritik der Sprache verflüchtigen sich alle diese Gottesbeweise (am wahrnehmbarsten der ontologische) zu einem fernen Lachen über den Betrug der feierlichen Worte. Das Dasein eines Wortes bietet keine Gewähr für das Dasein des Wortinhalts. (GA IV, 442)
Dieses ferne Lachen ist wohl ein Echo des ferner Lachens, das der sterbende Buddha in MAUTHNERs  Der letzte Tod des Gautama Buddha  lacht:
"Gerungen hat der dumme Buddha. War ja nur ein Mensch. Ist jetzt bald einer von den lieben, klugen, kleinen Faltern. Meinen Meisterlein. War ein törichter Meister. Wollte das Nichtwollen lernen und lehren. Lernte nichts, lehrte nichts. Sprich keine Worte nach. Als der dumme Buddha das Nichtwollen ausgelernt hatte, da wollte er wieder etwas: das Nichtsein. Dumm. Nicht wahr, mein Falterlein? Und als er das Nichtsein hatte, der lebende törichte Buddha, da wollte er doch wieder etwas: wissen wollte er. Und als er nicht mehr wissen wollte, weil er alles zu wissen glaubte, und als er das Nichtsein hatte, der dumme Buddha," - immer leiser, immer leister, doch wie das Lachen eines Silberglöckleins tönte es, das habe ich gehört - "da wollte er leben." Immer weiter, immer ferner klang das Lachen; über Erdenfernen hinaus ...(LT, 116)
Sprachabhängigkeit religiöser Terme.
Im nächsten Abschnitt werden wir sehen, wie MAUTHNER die Sprachabhängigkeit religiöser Terme in seiner Philosophie von den drei Bildern der Welt darstellt. Hier wollen wir ein paar Bemerkungen einschalten, die nicht direkt in den nächsten Abschnitt fallen, obgleich sie damit zusammenhängen.

MAUTHNER hat z.B. den Streit um die Abendmahlslehre als Streit um Begriffe dargestellt (GA I, 234f). Er beruft sich auf BERENGAR von TOURS (geb. um 1000, gest. um 1088), der sich die Verwandlung einer Substanz ohne Akzidentien nicht vorstellen konnte. Nach der katholischen Dogmatik (8) wird noch heute - wie zu Zeiten der Scholastik - angenommen, daß die ganze Substanz, d.h. Materie und Form, verwandelt wird, während die Akzidentien unverwandelt zurückbleiben. MAUTHNER hat sich auf die Sprachabhängigkeit der Transsubstantiationslehre nicht weiter eingelassen; wir können das aber gewissermaßen für ihn tun, und zwar, indem wir uns auf COPIs Analyse des Substanzbegriffes beziehen. (9) Nehmen wir an, es gäbe eine Sprache, in der es für weiße Tische und für schwarze Tische verschiedene Substantiva gibt, z.B.  pom  und  ku.  Wir würden dann sagen, daß  pom  und  ku  verschiedene Substanzen bezeichnen, denen jeweilige Akzidentien - aber niemals schwarz oder weiß - zukommen.

Wem dies konstruiert vorkommt, der möge sich unsere Bezeichnungen für Angehörige verschiedener Menschenrassen vor Augen halten: Der Unterschied zwischen  Neger  und  Kaukasier  kommt uns größer vor, als der zwischen  schwarzer Mensch  und  weißer Mensch,  d.h. im ersten Fall erscheint uns der Unterschied als substanziell, im zweiten als akzidentell.

In gewisser Beziehung hat MAUTHNER COPIs Argument vorweggenommen: Bei der Diskussion des Substanzbegriffes bei Spinoza bemerkt er, daß wir, die wir bei der Erkenntnis der Attribute Gottes an unsere Sinnesorgane gebunden sind, nicht wissen können, ob es nicht anderswo eine andere Substanz mit anderen Attributen und einen anderen Gott gibt (GA 11, 363).

Die drei Bilder der Welt. Wir kommen nun zum zweiten sprachkritischen Ansatz der Geschichte des Atheismus. Nach MAUTHNER ist die Sprache die Quelle dreier Bilder, die wir uns von der Welt machen, des adjektivischen, des verbalen und des substantischen. (10)

Die adjektivische Welt ist nach MAUTHNER die einzige, die ein Korrelat in der Sinneswelt hat und die wir daher mit den Tieren gemeinsam haben: Empfindungen sind adjektivisch und die adjektivische Welt kann auch als die psychologische und physiologische angesehen werden (DBW, 27). Die adjektivische Welt ist punktuell (WP 1, 12ff.) und ohne Ordnung (WP II, 221; siehe auch DBW, 10f).

In der verbalen Welt wird die adjektivische Welt geordnet, und zwar dadurch, daß die Apperzeption aus den Sinnesdaten eine Einheit schafft (WP I, 12f). Die Ordnung der verbalen Welt ist mit der Kausalordnung identisch; dies ist die Welt, in der wir zweck- und absichtsvoll handeln (DBW, 26) und der HUMEs Kausalitätsbegriff zugrunde liegt, der einzige Kausalitätsbegriff, den MAUTHNER anerkennt.
LITERATUR - Elisabeth Leinfellner in J.C. Nyìri (Hrsg), Von Bolzano zu Wittgenstein, Zur Tradition der österreichischen Philosophie, Wien 1986
    Abürzungen
    GA I-IV = Der Atheismus und seine Geschichte im Abendlande, Bd. I-IV (Stuttgart-Berlin 1920-1923);
    KdS I-III = Beiträge zu einer Kritik der Sprache, Bd. I-III (Leipzig 31923; reprografischer Nachdruck Hildesheim 1969);
    WP I - II = Wörterbuch der Philosophie, Bd. I - I I (München-Leipzig 1910; reprografischer Nachdruck Zürich 1980);
    DBW = Die drei Bilder der Welt (Erlangen 1925);
    LT = Der letzte Tod des Gautama Buddha (München-Leipzig 1913).
    Anmerkungen
  1. Siehe z.B. R. Haller, Sprachkritik und Philosophie, in Sprachthematik in der österreichischen Literatur des XX. Jahrhunderts (Wien 1974), S. 42f.; W. M. Johnston, The Austrian Mind: An Intellectual and Social History (Berkeley 1972), Seite 196-199; P. Weibel, "Philosophie als Sprachkritik: Sprachkritische Epistemologie in Österreich um 1900", in Manuskripte 79, 1983, Seite 71ff. Für eine allgemeine Darstellung von "Der Atheismus und seine Geschichte im Abendlande" siehe G. Weiler, Fritz Mauthner as an Historian". History and Theory. Bd. 4, 1964.
  2. Für eine genauere Darstellung des Problems siehe G. Weiler, "FRITZ MAUTHNER: A Study in Jewish Self-Rejection. Year Book VZIZ of the Leo Baeck- Institute of Jews from Germany, London 1963.
  3. W. M. Johnston, The Austrian Mind: An Intellectual and Social History, Berkeley 1972, Seite 197; siehe auch Seite 25.
  4. Zitiert nach J. Kühn. Gescheiterte Sprachkritik: Fritz Mauthners Leben und Werk, Berlin-New York 1975, Seite 107.
  5. Ruyer, Raymond, Jenseits der Erkenntnis: Die Gnostiker von Princeton, Wien-Hamburg 1977.
  6. Ott, L., Grundriß der katholischen Dogmatik, Freiburg-Basel-Wien 1965, Seite 15ff.
  7. Siehe z.B. A. Zvie Bar-On, "Knowledge and Belief in St. Anselm’s Proof", in W. L. Gombocz (Hrsg), Religionsphilosophie, Wien 1984, Seite 128.
  8. Ott L. Grundriß der katholischen Dogmatik, Freiburg-Basel-Wien, 1965, Seite 455
  9. Copi, I., "Essence e and Accident", in M. J. Loux (Hrsg.), Universals and Particulars (Garden City, NY, 1970), Seite 289ff.
  10. Ganz im Sinne MAUTHNERs spricht der Stöhr-Schüler Cleve z.B. von Verb-Philosophien und Substantiv-Philosophien.