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FRITZ MAUTHNER
Fixierung der Sprache
II-02

"Es ist der Grundirrtum aller Wissenschaft, zu glauben, daß Ende und Anfang sich finden werden."

Unwillkürlich sucht man die Sprache, die in Wirklichkeit nur immer der flüchtige Laut ist, dauernd zu machen, durch sichtbare Zeichen zu fixieren, wenn man sie als Gegenstand der Wissenschaft betrachtet. Nur wenige Forscher mögen sich klar darüber sein, daß diese Beschränkung auf dauernde Zeichen die Sprachwissenschaft der Sprache gegenüber so ungünstig stellt, wie es nur etwa die topographische Anatomie dem Leben gegenüber ist. Nur wenige mögen es schon als Qual empfinden, daß die Sprachwissenschaft bei allen historischen Sprachen (also auch bei unseren Sprachen, wie sie z.B. vor zwanzig Jahren gesprochen wurden) auf die höchst mangelhaften schriftlichen Aufzeichnungen beschränkt ist. Nur wenige - und diese wenigen kenne ich leider nicht - mögen darüber nachgedacht haben, was alles zur Sprache gehöre und darum in einer vollkommenen Schrift verzeichnet werden müßte. Kaum daß man angefangen hat, unser schlechtes historisches Alphabet durch ein reicheres phonetisches, beinahe physiologisches Alphabet zu ersetzen.

Man stelle sich einen höchst intelligenten, höchst gewissenhaften und sehr feinhörigen Menschen vor, der von unserer Buchstabenschrift nichts wüßte und sich die Aufgabe gestellt hätte, unsere Sprache durch bildliche Zeichen darzustellen. Und man nehme an, er hätte sich sogar die Aufgabe gestellt durch sein System bildlicher Zeichen nur alle diejenigen Sprachformen zu fixieren, welche gewöhnlich unter der Bezeichnung "deutsch" zusammengefaßt werden. Ich glaube, es würde ihm vor allem nicht einfallen, sich mit armseligen 24 Buchstaben zu begnügen. Er würde mindestens vier verschiedene a brauchen, drei  ch,  fünf  e  usw. Sodann würde er, woran in unserer Schrift gar nicht gedacht ist, Notenlinien herstellen müssen und seine Buchstaben so zwischen die Linien schreiben, daß wenigstens annähernd einerseits der Tonfall unserer Rede, anderseits das sogenannte Singen der einzelnen Mundarten unterschieden wäre. (Denn es "singt" jede Mundart, man hört es nur in seiner eigenen nicht.) Ferner müßte durch eine Verbindung von Notenlinien und Pausenzeichen die Funktion unserer Interpunktionen weit reicher ausgestattet werden, als es bisher der Fall war. Man achte nur darauf, was alles in der lebendigen Rede durch die wechselnden Rhythmen der Stimme ausgedrückt wird, die eben nur ganz andeutungsweise durch unsere krüppelhaften Interpunktionen bezeichnet werden. Wir haben, wenn wir "er kommt" niederschreiben wollen, eigentlich nur den dummen Punkt dahinter zu setzen. Zur Not einmal auch das Fragezeichen oder das pathetische Ausrufungszeichen. Unser intelligenter Schrifterfinder müßte Zeichen für die Freude und den Schrecken, für die Furcht und die Hoffnung, die Warnung und die Drohung erfinden; denn mit allen diesen Empfindungen kann gesagt werden: "Er kommt". Und darum ist es unter Umständen mit einer jeden von diesen Betonungen auszusprechen.

Nebenbei: die alte Interpunktion, wie sie vor den Alexandrinern von den Griechen geübt wurde, war zwar sehr ungenügend, aber doch insofern für die Betonung wichtig, als sie oratorischer Natur war und wesentlich nur angab, wann die Stimme zu senken war. Unsere neuere Interpunktion ist von alexandrinischen Schulmeistern erfunden und von Buchdruckern eingeführt. Sie wurde im wesentlichen so, wie sie jetzt ist, festgestellt, als die ersten Ausgaben der alten Klassiker gedruckt wurden. Sie wurde aber so wenig tonmalend, wurde so durchaus grammatisch, daß sie nicht einmal für die verschiedenen modernen Sprachen in gleicher Weise angewendet werden konnte. So steht im Deutschen vor und nach jedem Relativsatz ein sauberes Komma, während wir doch nicht daran denken, "wer lügt" anders zu betonen als "der Lügner"; im Französischen und Englischen ist das "logisch" geforderte Komma des Relativsatzes nicht nötig. Umgekehrt setzt der Engländer vor dem "und" ein Komma, wo es doch im Deutschen verboten ist.

Wäre die Sprache eine Dienerin des Gedankens, der Gedanke Gegenstand anderer Wissenschaften, so wäre es genügend, in der Schriftsprache Laute, Ton und Ausdruck zu untersuchen, dazu im Zusammenhange jeder Sprache die Worte mit ihren Umformungen und die Sätze mit ihren Gliederungen. Für uns aber ist der Gegenstand der Sprachwissenschaft damit noch nicht erschöpft.

Nach der landläufigen Ansicht ist die Logik eine Wissenschaft für sich, eine äußerst fürnehme Wissenschaft dazu, die nur mit Formen zu tun hat und der die Wirklichkeit nicht zu nahe kommen darf. Wir aber werden sehen, daß alle logischen Regeln nur breitgetretene Begriffe sind, Begriffe aber Worte, daß also die ganze Logik in den Worten einer Sprache verborgen ist. Wenn nun immer wiederholt wird, es gebe ganz einheitliche und für alle Menschengehirne gleicherweise gemeingültige Kategorien der Logik, die Formen der einzelnen Sprachen seien nur verschiedene Ausdrucksweisen des gleichen Gedankens, so muß ich demgegenüber behaupten: nur dann, wenn die Worte verschiedener Sprachen Zeichen für die gleichen Vorstellungen sind (was mathematisch genau niemals der Fall sein wird), wenn in den verschiedenen Worten zweier Völker gleiche Erinnerungen der Völker gebunden sind, nur dann lassen sich die verschiedenen Worte zu gleichen Gedanken oder Sätzen aufdröseln, nur dann könnte man von der gleichen Logik zweier Völker sprechen. Nichts ist gemeinsam als das leere Gesetz der Tautologie.

Da aber die Worte nicht ewig da waren, sondern mit dem Volke sich entwickelt haben, da jedes Wort in jeder Bedeutung durch das Beobachten von Ähnlichkeiten (aus Metaphern und Analogien) entstanden ist, da diese Vorgänge nach unserem Sprachgebrauch der Psychologie angehören, so sind außer den logischen Umständen auch die psychologischen Entstellungsgründe der Worte Gegenstand der Sprachwissenschaft.

Es fragt sich nur, ob es möglich ist, mit den Worten und Bildern seiner Muttersprache sich jemals Wort und Ton, Logik und Psychologie einer einzigen fremden Sprache vorzustellen, ja ob es auch nur möglich ist, mit den Worten der heute lebendigen Sprache Logik und Psychologie der letzten Generation sich selber oder einem anderen mitzuteilen.

Sprache ist der Gegenstand dieser Wissenschaft, Sprache ist ihr Werkzeug. Und es ist nur traurig, daß dasselbe Ding als Stoff so unendlich, so allumfassend sein kann, das als Werkzeug zu klein, so wenig umfassend ist. So mußte es den Leuten zumute sein, als sie noch glaubten, das menschliche Auge erzeuge das Licht, das unendliche Licht, das die Welt erfüllt und das doch nur durch das kleine müde menschliche Auge da ist.

Unsere Grammatik ist so roh, daß sie nicht einmal der Sprache beizukommen weiß. Sie hält sich eben nicht an die lebendige Sprache, sondern an die schriftlich fixierte, an den toten Leichnam der Sprache und versteht ihren Bau so wenig, wie der Anatomieschüler den lebendigen Organismus versteht. Der ganze Apparat der Betonung ist ihr unzugänglich. Und ich fürchte, die schriftliche Fixierung der Sprache wird die Sprachen tonlos machen, wie sie sie dialektlos gemacht hat. Wozu auch betonen? Die Bücher sind fast nie betont (hie und da nur ein Wort durch gesperrten Druck) und man versteht sie doch. Schon hat man sich gewöhnt, Fragen und Verneinungen durch Wortstellung tonloser zu machen. Wie wichtig die Betonung ist, und wie alle ihre Feinheiten der Grammatik entgehen, mache man sich an einem Beispiel klar.

"Ich habe dich nicht geliebt" kann heißen  "ich  h. d. n. g., sondern du hast mich verführt." Oder "i.  habe  d. n. g., ich liebe dich noch." Oder "i. h.  dich  n. g., sondern deine Schwester." Oder "i. h. d.  nicht  g., wenn ich es auch geglaubt habe." Oder "i. h. d. n.  geliebt,  sondern dich aus anderen Gründen geheiratet."

So hat der für die Schrift identische Satz völlig verschiedenen Sinn, ohne daß seine grammatischen Formen sich scheinbar geändert hatten. In Wirklichkeit war das psychologische Prädikat immer ein anderes. Ausgesagt, prädiziert wurde immer, worauf das Denken aufmerksam eingestellt wurde, was darum auch schärfer zu Gehör gebracht wurde, wie Bilder im Fleck des deutlichsten Sehens schärfer geschaut werden.

Es gibt in der Sprache viele Worte (besonders Verneinungen, wie: nichts, kein, niemand, niemals, aber vielleicht auch Worte wie: Sein, Gott, Unendlichkeit), die betont, im musikalischen Zusammenhang des Satzes etwa noch einen Sinn haben können, die aber völlig leer werden, sobald sie tonlos, als Begriffe für sich auf dem Papier stehen.

Wir nennen die deutliche Erinnerung an einen Sinneseindruck, eine Beobachtung (im Gegensatze zu der undeutlichen Erinnerung, dem Glauben), unser Wissen von einer Sache. Die Etymologie des Wortes ist ungewöhnlich klar. Es ist ein ursprüngliches Perfektum zu dem Begriffe "sehen" (Band II, S. 294); was ich gesehen habe, das "weiß" ich. All mein "Wissen" ist "Gesehen haben", ist Erinnern. Durch die Endsilbe "schaft" nun wird diese einfache Tatsache, daß wir Menschen Erinnerungen besitzen, zu einem feierlichen Abstraktum; der Begriff wird verdächtig. Wissen"schaft" will ein höheres Wissen sein, ein System von Wissen, ein in sich selbst zurückkehrender Ring von Wissen, eine wissende Schlange, die sich in den Schwanz beißt. Es ist der Grundirrtum aller Wissenschaft, zu glauben, daß Ende und Anfang sich finden werden.

Was Wissenschaft vermag, ist doch immer nur: eine Übersichtlichkeit über die Erinnerungen herzustellen. Das Mittel der Übersicht ist die Sprache, die ihrem Wesen nach klassifiziert und klassifizierend erinnert. Schlimm für den Menschen, wenn er die Sprache selbst zum Gegenstande einer Wissenschaft zu machen wagt; Gegenstand der Erinnerung und Zeichen der Erinnerung, Stoff der Erkenntnis und Form der Erkenntnis fallen dann zusammen. Wie soll da das Gefäß den Inhalt fassen? Ist es nicht, als ob man ein Holzfeuer in einem hölzernen Ofen anzünden wollte? Muß das Innere nicht das Äußere zerstören? Oder soll ich lieber an die Zuckerbäcker denken, die in den Straßen der Stadt Gefrorenes verkaufen und dazu Tellerchen und Löffel aus Zuckerschaum? Die Kinder essen den Löffel und den halben Teller auf, bevor das Eis noch verzehrt ist.

Wie bei jeder anderen Wissen"schaft", so ist es auch bei der Sprachwissenschaft nicht in der Natur, sondern nur in unserem Interesse begründet, ob wir das Gebiet so oder so abgrenzen, ob wir unsere Beobachtungen so oder so ordnen wollen. Ist es doch sogar von unserem Interesse abhängig, ob wir an dieser Feder z. B. sehen, daß sie leicht, daß sie blau, daß sie feucht, daß sie weich oder daß sie elektrisch sei. Es wird uns nicht überraschen, daß die Erinnerung an das Sehen (das Wissen) absichtsvoll, unnatürlich, interessiert, menschlich sein müsse, wenn das Sehen selbst so ist. Alle guten Regungen treiben uns an, Einsicht zu suchen; aber die Einsichten gehen immer auf Sinneseindrücke zurück, und die immer auf Absichten. Es ist demnach auch in der Sprachwissenschaft bloß ein Werk des augenblicklichen Augenmerks, ob wir sie zu den historischen Wissenschaften und da etwa zur Anthropologie oder Ethnographie rechnen wollen oder ob wegen der Lautphysiologie zu den Naturwissenschaften.

Dabei ist gar nicht in Betracht gezogen, daß "Sprache" selbst ein höchst vieldeutiges Wort ist. Es kann mein augenblickliches Sprechen bedeuten ("was ist das für eine Sprache?"), im Gegensatz zu allen anderen Worten, die je irgendwo gebraucht worden sind. Es kann meine Individualsprache (ein Abstraktum!) bedeuten im Gegensatze zu der Sprache meiner Horde, meiner Landschaft, meines Volkes; es ist dann offenbar eine Zusammenfassung von Äußerungsgewohnheiten. Es kann aber auch nur das sogenannte Sprachvermögen bedeuten.

Die Beschäftigung mit den Einzelsprachen (seien es nun Individualsprachen, Volkssprachen oder selbst Sprachstämme) gilt nicht mehr als rechte Sprachwissenschaft, seitdem die Allgemeingültigkeit der Sprachgesetze in Zweifel gezogen worden ist. Unsere Wissen"schaft" will zum Sprachvermögen selbst vordringen, zum Verständnis dieser menschlichen Eigen"schaft", von der man nicht recht weiß, ob man sie ein Organ nennen darf oder nicht (weil man nicht weiß, was ein Organ ist). Wollte ich mich durch Aufstellung eines neuen Einteilungsgrundes für die Wissenschaften auszeichnen, so würde ich vorschlagen, unsere Kenntnisse oder Erinnerungen zu ordnen danach, ob wir sie auf die Sinneseindrücke selbst beziehen, was dann alle Naturwissenschaften und die zu ihnen gehörigen Historien gäbe (Weltgeschichte als Fortsetzung der Geologie, als Historie vom  homo sapiens),  oder ob wir uns mit diesen Erinnerungen selbst als  Problem  beschäftigen, was dann die Geisteswissenschaft wäre oder ein System von Geisteswissenschaften. Und je nachdem ich nun Sprachwissenschaft oberflächlicher oder tiefer nähme, würde sie in jedem Augenblicke einem dieser Fächer zuzuzählen sein, das heißt (da Sprachwissenschaft ein Abstraktum ist und jede einzelne sprachwissenschaftliche Betrachtung sich selbst legitimieren muß) es hängt von mir ab, ob ich eine einzelne Untersuchung so oder so anstellen will.

Achte ich z.B. beim Aussprechen der Laute "Stiefel" auf das Geräusch allein oder noch auf sein Werkzeug, so beteilige ich mich an physikalischen, mechanischen oder physiologischen Studien, achte ich auf Entlehnung des Wortes aus dem italienischen  stivale  (mittelalterlich-lateinisch aestivale, sommerlich, Sommerschuh), so treibe ich einen Ausschnitt Geschichte, unter Umständen auch Kulturgeschichte. Erst wenn ich den Substantivcharakter des Wortes ins Auge fasse, wenn ich dann z.B. das Adjektiv  aestivale  in seinen grammatischen und logischen Formänderungen verfolge, gelange ich dazu, anstatt der Wirklichkeit und ihrer Sinneseindrücke, an die das Wort erinnert, diese Erinnerung selbst zu betrachten und mich der Frage zu nähern: wie ist Erinnerung im Menschengehirn möglich? Bedenken wir nun, daß alle sogenannten Geisteswissenschaften bei dieser Frage stehen bleiben müssen, weil sie bei ihr nicht vorbei und über sie nicht hinaus können, weil aller Werkzeug die Sprache ist und jeder Gebrauch eines Werkzeugs mit seiner Kenntnis beginnen muß, so dürfen wir vielleicht die Sprachwissenschaft die Geisteswissenschaft par excellence nennen,  die  Geisteswissenschaft, in welcher Psychologie, Logik, Metaphysik, Moral, Ästhetik und - Graphologie nebst Theologie schon enthalten sind; ja, ich wäre geneigt, alle Geisteswissenschaften, die  nicht  Sprachwissenschaft sind, Spaßwissenschaften zu nennen. So daß Geisteswissenschaft als Synonym von Sprachwissenschaft übrig bliebe. Nur daß zwei Bildungsbestandteile von "Geist"eswissen"schaft" mir vollkommen unfaßbare Schälle sind, und ich schon zufrieden wäre, wenn ich Geist mit Sprache gleich setzen und mir bei einem Wissen von der Sprache etwas Rechtes vorstellen könnte.

Dieser Zusammenhang mußte von den neueren Sprachforschern schon geahnt worden sein, als sie die Forderung aufstellten, um Sprachwissenschaft zu werden, müßte Philologie und Linguistik sich mit dem "Sprachgeist" befassen, anstatt mit etymologischer Sprachvergleichung. Eine Zeitlang hatte man ja diese Sprachvergleichung (weil das Spiel noch neu war) für den höchsten Geistesgenuß gehalten. Da "verwandelte" sich lateinisches  f in spanisches  h,   li  in spanisches  j,  die lateinische Endung  us  in  o;  hatte man also die Aufgabe,  filius  ins Spanische zu "verwandeln", so brauchte man sich nur der Regeln zu erinnern und hatte  hijo  beisammen. Erst als man nach beinahe hundert Jahren des Spiels müde wurde, fingen einzelne an einzusehen, daß bei solchen Vergleichungen ein "Gesetz", eine Begründung nie herauskomme. Mir scheint sogar, daß die Entdeckung von der Verwandtschaft zwischen  filius  und  hijo  nicht gar wertvoller sei, als das Bewußtsein von der Ähnlichkeit zwischen der Aussprache Wurst und der Aussprache Wurscht. Geistig kam wirklich nichts dabei heraus. Man wollte also in den Geist der Sprache eindringen, wissenschaftlich.

Ich will nicht lachen; ich will nur die Worte festhalten. Das Wissen von der Sprache kennen wir schon als unsere Erinnerung an die Erinnerungszeichen; die Sprachwissenschaft ist also schon genötigt, sich selbst über die Achsel zu gucken. Wollen wir aber gar etwas vom "Geiste" der Sprache wissen, so suchen wir uns allerdings unter unseren Erinnerungszeichen gerade deren zu erinnern, deren wir uns nicht mehr erinnern, die wir uns nicht mehr vorstellen können, und die wir darum den Geist nennen.

Freilich wird die Forderung, die Sprachwissenschaft solle den Sprachgeist studieren, erst neuerdings erhoben, seitdem es auf dem alten Wege nicht mehr recht vorwärts gehen will. Man hatte die Teile in seiner Hand, es fehlte leider nur das geistige Band. Man hatte sich zu sehr um das Gegenteil von Sprachgeist gekümmert: um den Sprachkörper. Und es ist in Übereinstimmung mit der gegenwärtigen Auffassung von der Würde der Wissenschaft, daß man sich jetzt um den unkörperlichen Geist bekümmert.
rückerLITERATUR - Fritz Mauthner, Beiträge zu einer Kritik der Sprache II,
Zur Sprachwissenschaft, Stuttgart/Berlin 1906